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Beschreibung

Inwiefern spiegeln Videospiele und ihre Kultur gesellschaftliche Machtverhältnisse? Vor welchen Herausforderungen steht die Spieleindustrie und welche strukturellen Mechanismen prägen sie? Wie können virtuelle Welten utopische Möglichkeitsräume eröffnen? Erstmalig im deutschsprachigen Raum versammeln die Beiträger*innen kritische Perspektiven auf herrschende Ideologien sowie die Produktion und die Nutzung eines Mediums, dessen gesellschaftliche Relevanz stetig wächst. Dabei finden sie Zugänge über Kunst, Wissenschaft sowie Journalismus, um Videospiele im Spannungsfeld von Kapitalismus, Patriarchat und Kolonialismus unter die Lupe zu nehmen.

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Seitenzahl: 456

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Thomas Spies, Şeyda Kurt, Holger Pötzsch (Hg.)

Spiel*Kritik

Kritische Perspektiven auf Videospiele im Kapitalismus

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.dnb.de/ abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 Lizenz (BY-SA). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell, sofern der neu entstandene Text unter derselben Lizenz wie das Original verbreitet wird. https://creativecommons.org/licenses/bysa/4.0/ Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2024 im transcript Verlag, Bielefeld

© Thomas Spies, Şeyda Kurt, Holger Pötzsch (Hg.)

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Umschlagabbildung: Renée Westrich

Illustrationsgestaltung und -satz: Renée Westrich

Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar

https://doi.org/10.14361/9783839467978

Print-ISBN: 978-3-8376-6797-4

PDF-ISBN: 978-3-8394-6797-8

EPUB-ISBN: 978-3-7328-6797-4

Buchreihen-ISSN: 2750-3739

Buchreihen-eISSN: 2750-3747

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

Inhalt

 

Danksagung

Prolog: Eindenken

»Denken in einer schlechten Welt«Von der Notwendigkeit einer kritischen VideospielforschungHolger Pötzsch, Thomas Spies, Şeyda Kurt

Sektion 1: Erinnern

Von Lara Croft zu »Deus Vult!«Spielgeschichte, Männlichkeit und MittelalterAurelia Brandenburg

Geschichte im ComputerspielEine machtkritische Analyse von Historienspielen am Beispiel von Call of Duty: Black Ops Cold WarDaria Gordeeva

Wie analysiert man die Geschichte politischer Ideen in digitalen Spielen?Erste Erfahrungen aus vier Jahren Forschung mit der Horror-Game-Politics- MethodeEugen Pfister und Arno Görgen

Das ewige neue MediumDie Geschichtslosigkeit der ComputerspielgeschichteTobias Unterhuber

Sektion 2: Arbeiten

Notiz über Ökonomie in ComputerspielenJens Schröter

Pay-to-Skip statt Pay-to-WinWie Entwickler:innen von Free-to-Play-Spielen Monetarisierungsmechanismen beurteilen und rechtfertigenLies van Roessel

»You’re so handsome I might just give you a discount«Die Darstellung von Sexarbeit im digitalen SpielNina Kiel und Fabienne Freymadl

Die Blue Wall of Silence in Polizei-SimulatorenDas Unsichtbarmachen von Polizeigewalt als virtuelle CopagandaThomas Spies

Sektion 3: Ermächtigen

Cosplaying AgencyVideospiele als SelbstermächtigungsutopienRobin Klengel, Leonhard Müllner und Michael Stumpf (Total Refusal)

Reicht uns Sichtbarkeit?Wie Gaming meinen Blick auf queere Lebensrealitäten geprägt hatSara Grzybek

Wating for the ›Momification of Games‹?Repräsentation von Mutterschaft im VideospielNatalie Berner

Das politische Potenzial der Folk Mechanic in indigenen VideospielenAstrid Ensslin

Sektion 4: Agi(ti)eren

Open Source Tool – Prototyp : PlaytestSpielRäume Partizipativer Kunst:multiverse*+~Sarah Fartuun Heinze

Grundlagen der PokémonologieLaura Laabs

Grenzen des SpielfeldsSimCity und die Frage der gerechten StadtSinthujan Varatharajah

Spielend bilden?Kritische Betrachtungen zu Videospielen vor deren Einsatz im UnterrichtHolger Pötzsch

Anhang

Die Autor:innen

Danksagung

Die Herausgeber:innen danken: Daniel Bonanati für die großartige Unterstützung beim Förderungsverfahren für den Open Access sowie allen Mitarbeitenden von transcript, die bei der Erstellung des Bandes eine Hilfe waren, insbesondere Katharina Kotschurin. Renée Westrich für die grafische Gestaltung des Covers und der Zwischenbilder. Isabelle Hamm für die Manuskripterstellung. Den Unterstützer:innen, die über ihren Crowdfunding-Beitrag eine Honorarauszahlung für unsere Autor:innen möglich gemacht haben. Dem Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaften (KriKoWi) für die wertvolle Arbeit und die Möglichkeit zur Vernetzung. Und allen kritischen Geistern, die vor uns den Weg bereitet haben und ihn nach uns weitergehen werden.

»Denken in einer schlechten Welt«Von der Notwendigkeit einer kritischen Videospielforschung

Holger Pötzsch, Thomas Spies, Şeyda Kurt

»Hier möchte ich sie jedoch um Geduld bitten, da sich zeigen wird, dass Kritik eine Praxis ist, die eine gewisse Geduld fordert, wie das Lesen nach Nietzsche von uns verlangt, ein wenig mehr wie Kühe als wie Menschen zu handeln und die Kunst des langsamen Wiederkäuens zu erlernen.«

Judith Butler (2009, 226)

1Denk- und Arbeitsverhältnisse: Rahmenbedingungen des Sammelbandes

Das diesem Text vorgestellte Zitat von Judith Butler erinnert uns an etwas, das man im heutigen (Universitäts)Alltag schnell vergessen kann: Kritik erfordert Sorgfalt – Sorgfalt im Lesen, Sorgfalt im Denken, Sorgfalt im Schreiben und Sorgfalt im Handeln. Damit sind wir bereits mittendrin in einer kritischen Verortung forschender Praxis zu Videospielen, wie wir sie in diesem Band anstreben. Denn: Die Fähigkeit, Kritik zu üben, ist durch Faktoren wie verfügbare Zeit, Anstellungsverhältnis und ausreichende Bezahlung bedingt. Muss man beispielsweise jedes Semester um die Erneuerung eines Halbjahrvertrages bangen, ist das eine schlechte Voraussetzung für das Anlegen machtkritischer Perspektiven in der eigenen Forschung. Dafür braucht es eine Sphäre der Sorgfalt, Beharrlichkeit und Zeitverfügbarkeit, um (systemische) Widersprüche aufzudecken, sie auszuformulieren und auszuarbeiten – auch gegen die Interessen mächtiger Akteur:innen und mit Blick auf die eigene Arbeit und die anderer.

Leider sind solche Einsichten im heutigen neoliberalisierten, konkurrenzorientierten Management von Forschung und Lehre eher selten. Denken und Handeln gemäß einer Publish-or-Perish-Logik, konstantes Auditing und Ranking von Mitarbeitenden, Kurzzeitverträge sowie immer weiterwachsende Konkurrenz um Drittmittel, Stellen usw. schaffen Dynamiken, die freiem wissenschaftlichem Austausch sowie kritischem Denken und Handeln nicht nur zuwiderlaufen, sondern diese auch systematisch unterminieren (Fenton et al. 2023, Hopp et al. 2023).

Gleiches gilt für Freischaffende, die einen kritischen Ansatz verfolgen: Als Autor:in oder Journalist:in kann man Produktionsbedingungen von Verlags- und Publikationsbetrieben nur bedingt in Frage stellen, wenn man auf deren Wohlwollen und Honorarzahlungen angewiesen ist. Kunstschaffende sind oft von Galerien, Mäzenen oder Förderungen von Institutionen abhängig, die in der Regel nicht losgelöst von mehrheitsgesellschaftlichen Normierungen agieren. Vor allem in Zeiten sich stetig verengender Meinungskorridore, gerade in der deutschen Öffentlichkeit, haben solche Dynamiken nicht zu unterschätzende Folgen für Meinungsvielfalt und Pluralismus in unseren real-existierenden westlichen Demokratien.

Solchen Zwängen des Kapitalismus können auch wir Herausgeber:innen uns nur ansatzweise entziehen, haben uns diese aber bei der Konzeption des Sammelbandes bewusst gemacht und versucht, Möglichkeiten und Wege auszuloten, um mit diesen umzugehen. Für uns sind kritisches Denken und kritisches Handeln wichtige Voraussetzungen, um zu einer »emanzipatorischen Wissensproduktion« (de Lagasnerie 2018, 17) zu finden – auch bei der Ausführung dieses Bandes. Um eine politisch relevante kritische Forschung betreiben zu können, besteht in unseren Augen zunächst die Notwendigkeit, möglichst vielfältige Stimmen, Kenntnisse und Perspektiven mit einzubeziehen, um die hegemoniale Idee von der weißen, bürgerlichen, cis-maskulinistischen Universität als Hauptort der Wissensproduktion (BRIDGES Kollektiv 2022) herauszufordern. Wir trennen in diesem Band also nicht strikt zwischen akademischer und freier Arbeit und ebenso wenig zwischen Theorie und Praxis.

Darüber hinaus fordern wir auch die Produktionsbedingungen eines Sammelbandes heraus: Gerade den freischaffenden Autor:innen wollten wir ein Honorar auszahlen, was für wissenschaftliche Publikationen keine gängige Praxis ist – die Sichtbarmachung der erstellten Texte wird in der Regel als ausreichender Lohn betrachtet. Wir starteten daher eine Crowdfunding-Kampagne, die es möglich machte, unsere Autor:innen für ihre Arbeit zu entlohnen. Um auch denjenigen ohne Zugang zu universitären Datenbanken und Bibliotheken freien Zugriff zu den in diesem Band gesammelten Texten zu sichern, erscheint unser Buch, dank einer durch den transcript Verlag ermöglichten Förderung, neben der Print-Ausgabe online im Open Access und kann kostenfrei als digitale Version heruntergeladen werden.

In der folgenden Einleitung zum Thema bieten wir zunächst eine Übersicht über den Kritikbegriff und verengen das Feld dann auf für uns relevante Ansätze. Danach geben wir einen kurzen Abriss über bisherige kritische Annäherungen an das Phänomen Videospiel und führen zuletzt die in diesem Band gesammelten Beiträge ein.

2Zum Begriff der Kritik

Kritik ist ein schillernder Begriff mit vielen und mehrschichtigen Bedeutungen und Genealogien. In den folgenden Abschnitten beschäftigen wir uns mit der Entstehung und Auffächerung des Konzepts. Ausgehend von Kant zeichnen wir die Entwicklung einer kritischen Theorie in Arbeiten der Frankfurter Schule sowie in Texten Michel Foucaults, Chantal Mouffes und Judith Butlers nach, die wir schließlich um aktuelle Diskurse ergänzen. Zuletzt heben wir für uns besonders zentrale Auffassungen von Kritik hervor, um uns schließlich kritischen Ansätzen in der Videospielforschung zuzuwenden.

Etymologisch hat Kritik seine Wurzeln im Griechischen. Abgeleitet von dem Verb κρίνειν (krínein; dt. unterscheiden, trennen), entstammt das Wort dem Substantiv κριτική (kritikē), welches häufig mit Urteilsvermögen oder Beurteilungskunst übersetzt wird. Im tagtäglichen Gebrauch wird der Term häufig im Sinne von Beurteilung oder Prüfung gewisser Zustände, Objekte, Handlungen oder Ideen anhand spezifischer Maßstäbe genutzt (Regenbogen und Meyer 1998, Nünning 2004).

An diese Tradition schließen auch Anwendungen des Begriffs in Feldern wie Kunstkritik, Literaturkritik, Filmkritik, Theaterkritik und, für uns von besonderer Bedeutung, Spielkritik an. In diesen Fällen sind die Objekte und Handlungen, die der Prüfung von Kritiker:innen unterworfen werden, normalerweise im Bereich der Kunst- und Kulturproduktion angesiedelt, und die Bewertungskriterien abhängig von den in diesen Feldern angelegten Wertmaßstäben, wie zum Beispiel Konformität mit etablierten ästhetischen Normen (oder deren Überschreitung), Gattungskonventionen, Unterhaltungspotential, Kassenerfolg oder Qualität der vermittelten sinnlichen Erfahrung.

2.1Von einer Kritik der Erkenntnis zu einer Kritik der Gesellschaft

In seiner philosophischen Tradition wird der Kritikbegriff zumeist auf die Aufklärung und das Werk Immanuel Kants zurückgeführt. In Schriften wie Kritik der reinen Vernunft (1781), Kritik der praktischen Vernunft (1788) und Kritik der Urteilskraft (1790) erörtert Kant Kritik als eine systematische Methode zur Hinterfragung der Bedingungsgefüge, die menschliche Wahrnehmung und menschliches Denken sowie Handeln erst möglich machen. Zentral sind dabei Fragen, ob und wie die Welt überhaupt wahrgenommen werden kann sowie ob und wie ethisches Handeln oder Werturteile rational begründet werden können. Diese radikale und fundamentale Wende in der Philosophie weg vom Ding-an-sich und hin zu den Bedingungen, die dessen Wahrnehmung konstituieren, hat bleibende Spuren hinterlassen. Auch neuere kritische Ansätze, wie die der Frankfurter Schule (Horkheimer, Adorno), des Kritischen Rationalismus (Popper) oder eines Diskursdenkens (Foucault, Laclau, Mouffe, Butler) sind von Kant beeinflusst und kamen in ihrer Entwicklung an einer Auseinandersetzung mit seinem Denken nicht vorbei (siehe u.a. Horkheimer 1992 [1937], 15ff., Foucault 1999 [1978], Butler 2009a, 2009b).

Moderne kritische Forschung ist auch vom Schaffen Karl Marx’ beeinflusst. Auch bei Marx ging es um das Aufzeigen struktureller Bedingungen menschlichen Denkens und Handelns. In Marx’ Hauptwerk Das Kapital (1867) mit dem Untertitel Kritik der politischen Ökonomie wirdKritik zu einem zweigleisigen Unterfangen. Zum einen ist sie gesellschaftskritisch ausgerichtet und zielt auf eine Untersuchung von Kapitalismus, Klassengesellschaft und Ausbeutung in dominierenden wirtschaftlichen Strukturen ab, die, mit Hilfe der so gewonnenen Erkenntnisse, überwunden werden sollen. Zum anderen richtet Marx seine Kritik auf ein wissenschaftliches Paradigma – das Ökonomiefach seiner Zeit – und fordert damit die Rolle von Wissenschaft und Forschung in der Reproduktion dominanter Machtverhältnisse heraus (siehe auch Fuchs 2020, 9).

Kapitalistische Produktionsverhältnisse, so Marx in Das Kapital, teilen die Welt in die Klassen von Eigentümer:innen an Produktionsmitteln und Arbeiter:innen auf, wobei letztere davon abhängig sind, ihre Arbeitskraft an die Meistbietenden zu veräußern, um sich Einkommen zu sichern. Erstere wiederum nutzen diese Arbeitskraft und schöpfen einen Mehrwert für den eigenen Profit ab, was zu wachsender gesellschaftlicher Ungleichheit und anderen Übeln führt. In diesem materialistischen Weltbild bestimmen die Produktionsbedingungen gesellschaftliche Praxis und Ideensysteme. Die sozio-ökonomische Position ist der entscheidende Faktor, während Ideensysteme wie Religion oder Moral nur einen ideologischen Überbau darstellen, dessen Aufgabe es ist, bestehende Ungleichheiten zu legitimieren und als im Interesse aller darzustellen. Marx’ eigene Arbeit setzt sich zur Aufgabe, Kritik zu üben, Formen falschen Bewusstseins zu entschleiern und so durch das Aufzeigen der wirklichen, ungerechten Verhältnisse eine revolutionäre Umwälzung zu befördern.

Die Gesellschaftskritik von Marx hat also sowohl eine epistemische (erkenntnistheoretische) als auch eine normative (praktische) Dimension. Epistemisch als Kritik an der etablierten wissenschaftlichen Disziplin der politischen Ökonomie, normativ als eine Kritik, die konkrete politische Zielsetzungen artikuliert und auf deren Erringung ausgerichtet ist. Marx’ Ansatz wird später von Antonio Gramsci (2011 [1937]) weiterentwickelt, dessen Theorie der Hegemonie dem gesellschaftlichen Überbau mehr Bedeutung einräumt und damit unter anderem ideologiekritischen Ansätzen erweiterte Gültigkeit verschafft.

Eine Kombination erkenntnistheoretischer und normativ-praktischer Elemente ist auch für das Kritikverständnis der Frankfurter Schule um Max Horkheimer und Theodor Adorno zentral. Hier wendete man das Denken von Marx auf Wissenschaft im Allgemeinen sowie die Bereiche Kunst und Kultur an, um die strukturellen Bedingungen von Wissens- und Kulturproduktion aufzuzeigen. Statt auf Arbeit in isolierten Elfenbeintürmen beschränkt, treten hier sowohl wissenschaftliche als auch künstlerische Praxis als eng mit gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen verknüpft und durch diese bedingt hervor. Als Elemente eines ideologischen Überbaus, so die Frankfurter Denker:innen, ist es die Hauptaufgabe einer traditionellen Wissens- und Kulturproduktion, die etablierte Ordnung zu legitimieren und dadurch an deren ständiger Reproduktion mitzuwirken. Einzig kritisches Denken vermag diese Determiniertheit zu problematisieren, ihre Konsequenzen nachzuzeichnen und konkrete Alternativen aufzuzeigen.

Max Horkheimers Aufsatz Traditionelle und kritische Theorie von 1937 ist ein für diesen Ansatz zentrales Werk. Hier kritisiert Horkheimer die seit Descartes dominierenden, von Prämissen geleiteten wissenschaftlichen Paradigmen (traditionelle Theorien) als blind für ihre Einbindung in gesellschaftliche Verhältnisse und daher als unfähig, die sozio-ökonomischen Bedingungen und Folgen von Wissens- und Kulturproduktion adäquat zu hinterfragen. Er schreibt:

»Der Gelehrte und seine Wissenschaft sind in den gesellschaftlichen Apparat eingespannt, ihre Leistung ist ein Moment der Selbsterhaltung, der fortwährenden Reproduktion des Bestehenden, gleichviel, was sie sich selbst für einen Reim darauf machen.« (213)

Kritische Wissenschaftler:innen, so Horkheimer, seien sich dieser notwendigen Einbindung in kapitalistische Gesellschaftsordnungen mit ihren vielfältigen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen, welche Wissensproduktion bedingen und formen, jedoch bewusst. Implizit an Kant anschließend, schreibt Horkheimer:

»Die Tatsachen, welche die Sinne uns zuführen, sind in doppelter Weise gesellschaftlich präformiert: durch den geschichtlichen Charakter des wahrgenommenen Gegenstands und den geschichtlichen Charakter des wahrnehmenden Organs.« (217)

In diesem Kontext sei es die Aufgabe kritischer Theoretiker:innen, zum einen die eigene, unabwendbare Positioniertheit distanziert zu reflektieren und andererseits die Rolle eigener, auch wissenschaftlicher, Handlungen in weiteren gesellschaftlichen Reproduktionskontexten kritisch auszuleuchten. Adolf (2021, 155) schreibt hierzu: »Die Gesellschaftskritik der kritischen Theorie verbindet also Ökonomie- mit Ideologiekritik und kreist um Fragen der Ermöglichung bzw. Unterdrückung von Erkenntnis.«

In späteren Werken Horkheimers und Adornos, wie z.B. Dialektik der Aufklärung von 1944, wird das Kritikverständnis der Frankfurter Schule explizit auf eine, die Moderne dominierende, instrumentelle Rationalität angewendet. Im Schatten der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, eines dämmernden Bewusstseins des Holocaust und einer zunehmenden Kolonisierung aller Lebensprozesse durch zweckrationale Logiken, wird ein gradweiser Verfallsprozess von Vernunft aufgezeigt. Die Autoren postulieren einen inhärenten Gewaltcharakter instrumenteller Rationalität, welche einseitig auf Herrschaft über Menschen und Natur ausgerichtet sei und dessen allgemeine Sinnentleerung sich im Monopolkapitalismus mehr und mehr auch institutionell verfestige. Als Konsequenz sehen Horkheimer und Adorno ein gefährliches Zusammenspiel von technisch-instrumenteller Rationalität und irrationellen, mythengeleiteten Ansätzen, die schließlich in Despotismus und totalitären Ideologien und deren menschenverachtenden Praktiken kulminierten.

Hannah Arendt, die ebenfalls dem Frankfurter Kreis zugerechnet werden kann, gelangte in ihren Studien zu totalitären Herrschaftsformen zu ähnlichen Einsichten. In ihrem Hauptwerk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (2006 [1951], 966ff.) führt sie Totalitarismus auf ein Denkmuster zurück, dessen »eigentliche[s] Wesen« es sei, »aus einer Idee eine Prämisse zu machen« und von dieser dann, streng logischen Ableitungen folgend, entsprechende als streng notwendig erscheinende Handlungsanweisungen zu folgern. So mache, ihr zufolge, ideologisches Denken aus einer »Einsicht in das, was ist, eine Voraussetzung für das, was sich zwangsläufig einsichtig ereignen soll« (967). Es werde so möglich, selbst schlimmste Verbrechen zu legitimieren, die im Sinne der Prämisse als vermeintlich unabwendbar und legitim abgeleitet werden.

Erneut, so Arendt, sehen wir streng logische Prinzipien am Werk, die, von in sich geschlossenen Denksystemen ausgehend, historische, politische, kulturelle und andere Kontingenzen unterdrücken und eine postulierte Wahrheit verabsolutieren, die dann zur Legitimierung von Gewalt und Herrschaft genutzt werden kann. Kritik zielt auf ein Entschleiern solcher verborgenen Prämissen und auf eine Problematisierung der vielfältigen gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen angeblich kontextloser formallogischer Denkoperationen.

In ihrer Entwicklung wurden die Ansätze der Frankfurter Schule ebenfalls wissenschaftlicher Kritik unterworfen. Judith Butler (2009b) zufolge warf Jürgen Habermas der kritischen Theorie vor, rein negativ zu argumentieren. Er zeige auf, dass der Frankfurter Schule ein verbindender normativer Rahmen fehle, der mit konstruktiven Vorschlägen über ein Infragestellen sozialer Hierarchien und Machtrelationen hinausweisen könnte. Als Lösung schlage Habermas sodann seine eigene Theorie kommunikativen Handelns vor, die, ihm zufolge, politischen Handlungen normatives Gewicht und eine klare Richtung geben könne (siehe Habermas 1981). Butler (2009b, 223–224) wiederum kritisiert Habermas dafür, in seiner Alternative blind für die ein implizites ›Wir‹ konstituierenden Rahmenbedingungen seiner Theorie zu bleiben und daher dessen inhärente Kontingenz auszublenden.

2.2Gesellschaftskritik als Medien- und Kulturkritik

Das Ziel der Frankfurter Schule war es, ideologische Verklärungen von Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnissen zu entschleiern, um mündige Menschen zu alternativem Handeln zu ermächtigen. In diesem Projekt wurden Medien wie Film und Fernsehen als Werkzeuge zur Beeinflussung von Massen angesehen und deren Inhalte und Wirkungsweisen kritischen Studien unterzogen (z.B. Kracauer 1947, Enzensberger 1964). Massenkultur wurde als Teil kapitalistischer Produktionsprozesse interpretiert, deren wichtigste Aufgabe es sei, die kontinuierliche Reproduktion ideologischer Inhalte, welche gesellschaftliche Missstände und inhärente Gegensätze verbrämten und dadurch bestehende Ordnungen stabilisierten, zu sichern. Im Gegensatz zu einer solchen negativ konnotierten, rein ideologischen Massenkultur, stand der kritischen Theorie zufolge das Kunstfeld, welches den Menschen herausfordern und dadurch zu Selbstreflektion, Reifung und kritischem Handeln anregen könne.

Solche postulierten Gegensätze von Massen- und Hochkultur wurden später von der Birmingham School for Cultural Studies um Raymond Williams und Stuart Hall herausgefordert. Hier lag der kritische Fokus zum einen auf den vielfältigen Bedingungen und Konsequenzen aller Kulturproduktion in kapitalistischem Kontext. Zum anderen verstand man Rezeption als einen aktiven und situierten Prozess. In seinem Text Encoding/Decoding beschreibt z.B. Hall (1977) die Einflüsse von Produktions- und Rezeptionskontexten auf inhaltliche Ausrichtungen von Film- und Fernsehproduktionen. Dabei räumte er Zuschauer:innen erheblichen Einfluss ein, indem er Lesestrategien konzipierte, die ein aktives Publikum sowohl an sogenannte Hoch- als auch an Massenkultur anlegen könne, um Bedeutungsproduktion in für sie relevante Richtungen zu lenken.

In den Cultural Studies wird Ideologiekritik also auf das Feld der Kunst und die sogenannte Hochkultur ausgeweitet. Denn Kultur, so Hall, ist der Ort, an dem der Welt Sinn und Bedeutung eingeschrieben wird. Gleichzeitig wird die Macht und Wirkungsweise massenmedial vermittelter Repräsentation problematisiert und das Publikum nicht länger als hilfloses Opfer ideologischer Positionierung durch ›die Herrschenden‹ gedacht. Einem kontextabhängigen aktiven Medienverhalten wurde hier also eine Tür geöffnet, die mediale Beeinflussung konkret verortet und empirisch befragbar macht.

Das Aufdecken von ungerechten und unterdrückenden Gesellschaftsordnungen – eine »Hermeneutik des Verdachts« (Jaeggi 2009, 269) – als eine Voraussetzung für Emanzipation, ist jedoch für die Cultural Studies weiterhin zentral. Ihre Ansätze werden allerdings mit der Zeit verstärkt nach identitären Kategorien jenseits gesellschaftlicher Klassen aufgeschlüsselt und auch an Gegebenheiten neuer Technologien angepasst (Shaw 2017, Görgen und Unterhuber 2023).

Die mit den Cultural Studies eng verzahnten kritischen Kommunikations- und Medienwissenschaften verorten Medien, Halls Konzeption weiterführend, in der gesamtgesellschaftlichen Warenproduktion im Kapitalismus (Fuchs 2010, siehe auch Sevignani 2016). Sie postulieren, dass Medien als Ware und Manipulationsmittel einerseits den kapitalistischen Produktionsprozess untermauern und unterstützen (Repressionsannahme), aber auch über die kritische Rezeption Möglichkeiten der Bewusstseinsbildung und der Gegenbewegung bereithalten können (Emanzipationsannahme).

Ebenfalls auf ganzheitliche gesellschaftskritische Ansätze zurückgreifend, hat Jodi Dean (2009; siehe auch Cabrera et. al. 2017) auf eine gefährliche Verquickung neoliberaler Herrschaftsformen mit affektiv ausgerichteten kommerziellen sozialen Medien verwiesen. Letztere, so Dean, hätten eine starke Tendenz, kritisches politisches Denken und Handeln auf unreflektierte Solidaritätsbekundungen im Namen halb-öffentlicher Selbstdarstellung zu reduzieren. So gingen Konsumdenken, exzessiver Individualismus und neue affektive Technologien eine gefährliche Allianz ein, die demokratische Strukturen untergrabe und einer weiteren Individualisierung im Namen neoliberaler Selbstoptimierung Vorschub leiste.

Medienkritik wird bei den hier zusammengefassten Ansätzen zu mehr als einem Streit über die richtigen Inhalte. Es geht darum, Medienproduktion und –konsum in weiteren gesellschaftlichen Kontexten zu verorten und damit deren komplexe politische Rolle greifbar zu machen. Schiffer (2021, 40–41) schreibt in diesem Sinne:

»Medienkritik ist nicht, eine andere Meinung zu haben, als die in Medien beobachtete und sich dann alternative Fakten zusammenzusuchen, um das Gegenteil zu behaupten. Das ist nicht Medienkritik, sondern Naivität und Selbstgefälligkeit. […] In der Verallgemeinerung von undifferenzierten Beschuldigungen liegt nicht die Medienkritik, sondern in der genauen Analyse.«

2.3Kritik als widerständige Praxis

Kritik ist auch ein zentrales Element im Denken Michel Foucaults. Auf seine Arbeiten zu Diskurs, Macht und Subjektivierung aufbauend, entwickelt er in einem Vortrag mit dem bezeichnenden Titel Was ist Kritik? (1978) ein Verständnis des Begriffs als zentrales Element politischen Widerstandes. Foucault (1992 [1978], 6) zufolge stellt Kritik eine Antwort auf die im 15. und 16. Jahrhundert systematisch gestellte Frage ›Wie regiert man?‹ dar. Kritik, so Foucault, ist »die Kunst nicht dermaßen regiert zu werden« (ebd., 7). Direkt auf Kant verweisend, stellt Foucault dar, wie Aufklärung als Kritik an etablierten Verhältnissen durch eine gegen kirchliche Institutionen gerichtete philologische Rückkehr zur Bibel, eine juridische Berufung auf das Naturrecht sowie ein wissenschaftliches Infragestellen einer Politik der Wahrheit und der mit dieser verknüpften Institutionen und Dogmen als Praxis der »Entunterwerfung« (ebd., 9) realisiert werden kann. Der hier postulierte historisch kontingente Zusammenhang von Wahrheit, Macht und Subjektkonstitution rückt damit Wissensregime und deren Institutionen ins Zentrum eines auf aktiven Widerstand fokussierten kritischen Denkens und Handelns.

In ihrer Auseinandersetzung mit Foucaults Vortrag hat Judith Butler (2009a, 2009b) zu erklären versucht, wie Subjektkonstitution und Entunterwerfung in einer Praxis des Widerstandes schlüssig zusammengedacht werden können. Sie betont, dass Entunterwerfung bei Foucault nie total sein kann. Der von Foucault postulierte Wille, nicht regiert zu werden, bedeutet, Butler zufolge, immer einen Willen nicht so, nicht dermaßen, nicht von denen regiert zu werden. Nicht-Regierung als solches verbleibt damit ein rein theoretisches Konstrukt. Praktischer Widerstand durch kritisches Hinterfragen institutionalisierter Wissen-Macht-Konstellationen und eine Konstitution des Selbst in Opposition zu etablierten Normen, bedeute daher immer mit Notwendigkeit die Annahme anderer, alternativer Wissensregime, Normen und Regelsysteme. Freiheit wird in diesem Sinne zur Freiheit, ein begrenzendes System durch ein anderes zu ersetzen, nicht aber alle Begrenzungen für immer hinter sich zu lassen. Freiheit entsteht dort, wo Ordnungen scheitern und daher, durch Kritik, problematisiert werden können.

Denken und Handeln fordern eine rahmende Ordnung, die begrenzt und Sinn gibt, jedoch im Akt der Begrenzung bereits die Möglichkeit der eigenen Überwindung mit anlegt. Mit diesem Denken wird der kritische Ansatz Butlers auch an die Diskurstheorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (2002) sowie die Demokratietheorie Mouffes (1993, 2000) anschlussfähig.

Die vielen Bereiche, in denen ein erweiterter Kritikbegriff, wie er hier vorgestellt wurde, zur Anwendung kommt, lassen sich aus Platzgründen leider nicht in detaillierter Form herausarbeiten. Wir sind daher gezwungen, es bei einer kurzen Benennung zentraler Ansätze zu belassen.

Auf das Kritikverständnis von Foucault aufbauend, hat beispielsweise Edward W. Said (1978) herausgearbeitet, wie koloniale Strukturen der Wissensproduktion und vermittlung, in Feldern wie Wissenschaft, Kunst- und Kulturproduktion sowie Verwaltung, systematisch ein Bild des Orients erzeugen, das den Realitäten in den kolonisierten Ländern wenig entspricht. Orientalismus erscheint bei Said als eine hegemoniale Diskursformation, die nicht nur den sogenannten Osten falsch und vereinfacht darstellt, sondern diese Darstellungen auch institutionell verankert und dadurch handlungsleitend stabilisiert. So entstehe ein komplexes Machtgefüge, das Selbstverständnis sowie Verständnis des jeweils anderen in sowohl Kolonisierten als auch Kolonisierenden festschreibt und fortführt.

In ähnlicher Weise zieht die Historikerin und Literarturwissenschaftlerin Fatima El-Tayeb (2016) Verbindungslinien zwischen Verhandlungen einer deutschen, nationalen Identität und einem europäischen Kolonialismus und gegenwärtigem Rassismus. Die Konstruktion eines kolonialen Anderen in Wissenschaft wie auch in der Kultur habe alsdiametraler Gegensatz (Bönkost und Apraku 2017) ein deutsches Selbstbild erst geschaffen.

Edward Said greift in seiner Arbeit neben Foucault auch auf die Studien von Frantz Fanon (1965) zurück, der unter anderem auf Zusammenhänge zwischen ökonomischen und psychologischen Dynamiken bei der Herabsetzung und Degradierung Kolonisierter durch koloniale Strukturen und Praktiken hingewiesen hat. Foucaults machtkritische Studien sowie Fanons Kombination von psychologischen mit diskursiven Ansätzen wurden auch von Achille Mbembe (2017, 2019) zur Inspiration genommen.

Mbembes Arbeit zeigt auf, wie Kolonialismus und Kapitalismus sich unter den Bedingungen von Globalisierung, Mediatisierung und eines stetig autoritäreren Liberalismus (siehe Dean 2009, Chamayou 2019, sowie Brown 2015, 2019) verändern und neuen Begebenheiten anpassen. Dadurch, so Mbembe, weite sich koloniale Unterdrückung und Ausbeutung auf den gesamten Planeten aus und umfasse zunehmend auch westliche Gesellschaften, in denen Klassengegensätze, Ungleichheiten und staatliche Unterdrückung verstärkt zu Tage träten. Dadurch würden auch bisher unkritisch vorausgesetzte demokratische Strukturen weiter ausgehöhlt und unterminiert. Hierbei, so Mbembe, komme speziellen Zonen eines kontinuierlichen Ausnahmezustandes eine besondere Rolle zu, die von Massenmedien legitimiert und naturalisiert würden und so einen Zustand von Rechtlosigkeit auf immer neue Bevölkerungsgruppen ausdehnten (siehe auch Agamben 1998, 2005, Pugliese 2013, sowie Wang 2018).

Eine Kritik an kolonialen Strukturen, Denk- und Handlungsweisen, wie Fanon, Said, El-Tayeb, Mbembe und andere sie durchgeführt haben, lassen sich in erweiterter Perspektive fortführen, die nicht nur auf Zusammenhänge zwischen race und Klasse in zunehmend globalen Ausbeutungs-, Unterdrückungs- und Vernichtungsverhältnissen rekurriert, sondern diese auch auf Kategorien wie Geschlecht, Alter oder Neuro- und andere Diversitäten erweitert (z.B. de Lauretis 1987, Gutiérrez Rodríguez 2000, Dorer 2002, Botha und Gillespie-Lynch 2022, Udonsi 2022, Lewis und Arday 2023).

Sozialistische, Schwarze Denker:innen und Aktivist:innen haben seit den 1960er-Jahren, im Zuge der Black-Liberation-Bewegungen, immer wieder auf die Verzahnung kapitalistischer, rassialer, patriarchaler und heteronormativer Normierungs- und Unterdrückungsverhältnisse hingewiesen. In seinem berühmten Statement von 1977 verkündete etwa das in Boston gegründete Schwarze, lesbische Combahee River Collective:

»Die allgemeinste Aussage unserer politischen Haltung zu dieser Zeit wäre, dass wir aktiv gegen rassische, geschlechtliche, heterosexuelle und klassenbezogene Unterdrückung kämpfen und unsere spezielle Aufgabe darin sehen, eine integrierte Analyse und Praxis zu entwickeln, die auf der Tatsache beruht, dass die Hauptsysteme der Unterdrückung miteinander verknüpft sind. Die Synthese dieser Unterdrückungen schafft die Bedingungen unseres Lebens. Als Schwarze Frauen sehen wir den Schwarzen Feminismus als die logische politische Bewegung, um den vielfachen und gleichzeitigen Unterdrückungen entgegenzuwirken, denen alle Frauen of Color ausgesetzt sind.« (2017 [1977]; Übersetzung durch die Hg.)

Das Manifest wird als analytische Initialzündung linker Identitätspolitik betrachtet und hat Denker:innen wie Kimberlé Crenshaw (1991) und andere dazu inspiriert, Unterdrückung und Ausbeutung als intersektionale Verquickung unterschiedlicher identitärer Kategorien wie Geschlecht, race, Klasse, Alter usw. zu sehen.

Auch Nancy Fraser (z.B. 2009, 2013, 2022) hat während ihrer langen Karriere immer wieder auf Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Dimensionen von Ausbeutung und Unterdrückung hingewiesen. So verknüpfte sie eine Kritik patriarchaler Machtverhältnisse mit Ansätzen zu ökonomischer Ungleichheit und argumentierte, dass Probleme mit der einen nicht ohne Kritik an der anderen Dimension gelöst werden könnten. Verschiedene Formen von Entmachtung und Ausbeutung wären entlang identitärer Achsen wie Klasse, Geschlecht, race, Alter oder anderen strukturiert und müssten in Zusammenhang gebracht werden, um einen ganzheitlich ausgerichteten und damit effektiven Widerstand möglich zu machen (siehe auch Crenshaw 1991). Partikuläre identitäre Bewegungen, wie z.B. liberaler Feminismus, so Fraser (2013), dienten vor allem dazu, neuen Gruppen Zugang zu bestehenden Machtstrukturen zu sichern, ohne jedoch diese Strukturen und ihre Ausbeutungs- und Unterdrückungspraktiken fundamental in Frage zu stellen. Damit werden praktische Umverteilung und Ermächtigung, nicht nur eine Anerkennung von Vielfalt, zentrale Forderungen (Fraser und Honneth 2003).

Kritische Ansätze sind auch auf Natur und Formen nicht-menschlichen Lebens erweitert worden (Coole und Frost 2010, Klein 2016, Brand und Wissen 2017, Dahbour 2023). Dabei wird der Naturbegriff von einer instrumentell-anthropozentrischen Sichtweise gelöst und nicht als dem Menschen untergeordnete, ›reine‹ oder ›wilde‹ Sphäre verstanden, sondern als ein Wert-an-sich, dem auch jenseits von menschlichen Wissensregimen und Schaden-Nutzen-Kalkül eine eigenständige Existenzberechtigung zugesprochen werden muss. In dieser Denkrichtung wird auch eine oft postulierte klare Grenze zwischen Mensch und Natur problematisiert und implizite Hierarchisierungen, wie beispielsweise in René Descartes Gegensatz zwischen Res Cogitans (denkende Materie, Mensch) und Res Extensa (tote Materie, alles andere), herausgefordert und aufgelöst (siehe Coole und Frost 2010, 7–8). Damit wird auch eine Kritik am Kapitalismus als instrumentell-rationales System des Expansivismus und Extraktivismus möglich, das auf der imperialistischen Ausbeutung und Vernichtung von Leben und der Erschöpfung von Ressourcen beruht, was zwangsläufig zu einer globalen Katastrophe führen muss (siehe u.a. Acosta 2013, Parks 2020, Saito 2023).1

Aus unserer oben zitierten eklektischen Auswahl kritischer Ansätze wird ersichtlich, dass sich die Koordinaten kritischen Denkens seit Kant verschoben haben. Philosophische Versuche, die fundamentalen Grenzen und Bedingungen menschlichen Denkens und Erkennens im Allgemeinen zu erschließen, haben sich zu Ansätzen weiterentwickelt, die gesellschaftliche und diskursive Rahmen für politisches Handeln und Normsetzungsprozesse hinterfragen. Eine Kritik der reinen Vernunft wurde so zunehmend zu einer Kritik an wirtschaftlichen und soziokulturellen Verhältnissen, Wissensregimen und Machtrelationen. Vor allem solche macht- und gesellschaftskritischen Ansätze mit Fokus auf die vielfältigen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse in einem globalen kapitalistisch-patriarchalen Wirtschaftssystem sind heute relevanter denn je.

»Die Verhältnisse schreien«, so Rahel Jaeggi (2009, 271), weiterhin nach Kritik, nach einem Denken als Handeln »in einer schlechten Welt« (de Lagasnerie 2018). In den folgenden Abschnitten werden wir eine Auswahl von kritischen Ansätzen in der Spielforschung vorstellen, bevor wir die Beiträge des Sammelbandes kurz im Feld verorten.

2.4Spielen in einer schlechten Welt: Kritische Ansätze in der Videospielforschung2

Versteht man Politik als auch kulturell bedingten Aushandlungsprozess, lassen sich Videospiele als politisch begreifen (Hammar 2015, Pfister 2018, Görgen und Unterhuber 2023). Diese Politizität erstreckt sich über die Sphären des Spielinhalts (Repräsentation), des Spielakts3 sowie des Produktions- und Rezeptionsraumes (Konsumtion). Im Unterschied zu reinen Repräsentationsmedien, wie Film und Fernsehen, Comics und Romanen, kommt bei Videospielen nicht nur deren Erzählungen, Charakteren und Spielwelten kritische Aufmerksamkeit zu, sondern auch den Regelsystemen und Mechaniken, die Handlungsmöglichkeiten Spielender in virtuellen Welten beeinflussen (siehe bspw. Flanagan 2009, Bogost 2007, Keever 2022).4

Kultur- und Gesellschaftskritik lässt sich also über kritische Analysen von Videospielinhalten, Spielhandlungen, Spielindustrie, transmedialen Verknüpfungen etc. üben. Dies erfordert eine Ausweitung der auf den konkreten Gegenstand gerichteten Spielkritik zu einer Kritik an den soziokulturellen, diskursiven, wirtschaftlichen, historischen und politischen Rahmenbedingungen sowie Untersuchungen der Implikationen (von Nutzung und Verbreitung) der analysierten Videospiele. In diesem Kontext hat sich international ein beachtliches Feld der kritischen Spielforschung entwickelt, das vielförmige Schwerpunkte setzt.

Inter- und transdisziplinär haben sich unterschiedlichste Forschungsrichtungen in die kritischen Spielstudien eingebracht: die Geschichtswissenschaften (siehe z.B. Chapman 2016, Brandenburg et al. 2023), die kulturelle Gedächtnisforschung (Pötzsch und Sisler 2019, Hammar 2019), die Gender Studies (Kiel 2014, Ruberg und Shaw 2017, Forni 2019, Stang 2022), die Postkolonialen Studien (Mukherjee 2017, Felczak 2020, Hutchinson 2021), Produktionsstudien (Woodcock 2019, Sotamaa und Švelch 2021), die Diskursanalyse (Ensslin 2011, Ensslin und Balteiro 2019) sowie die kritischen Medienwissenschaften (Jørgensen und Karlsen 2018, Hammond und Pötzsch 2019).5

Auch die Queer Studies sind für kritische Spielstudien eine Quelle der Inspiration. Sie bieten über die Methode des Queer Readings (siehe Shaw und Persaud 2020) nicht nur einen Analyseansatz für die Auswertung von queeren Repräsentationen in Videospielen, sondern auch ein Werkzeug der Kritik über die Komplikation, Disruption und Dekonstruktion normativer Bedeutungen und Definitionen in und durch Spiele und Akte des Spielens (Mejeur 2018, Bohunicky und Milligan 2019, Björklund und Lönngren 2020). Darüber entlasten die Queer Studies einen immer wieder aufflammenden definitorischen Diskurs: Nach ihnen ist ein Videospiel als ›Meta-Hybrid‹ dann ein Videospiel, wenn es sich selbst als solches versteht (Ruberg 2018, 546). Solche kritischen Annäherungen an Spiele und Spielpraktiken gehen von wechselseitigen Rückwirkungen zwischen Spiel, Spielenden und deren Umwelt im weitesten Sinne aus.

Andere Ansätze hinterfragen kritisch Einflüsse von Produktionsbedingungen und gesellschaftlichen Akteur:innen auf Spielinhalte, wie globale kapitalistische Machtstrukturen (Dyer-Witheford und de Peuter 2009, Hammar et al. 2020, Gekker und Joseph 2021, Spies 2023), Spielkulturen (Hennig und Krah 2020), Arbeitsbedingungen in der Spielindustrie (Kerr 2017, Woodcock 2019, Ozimek 2021, Ruffino und Woodcock 2021), Geschäftsmodelle (Sotamaa und Švelch 2021), toxische und andere Spielpraktiken (Chess und Shaw 2015, Chess 2017), mögliche Nutzung von Spielen in der Bildung (Pötzsch et al. 2023), sowie psychologische und ökologische Konsequenzen von Spielen und Spielindustrie (Taylor 2023, Hammar et al. 2023).

Auch die sogenannte Gaming Culture mit ihrer mythisch überformten, nostalgisch verklärten Schilderung der Videospielgeschichte als cis-männliche, weiße Heldenerzählung sowie das rassistische und misogyne Verhalten in großen Teilen der Spielkulturen, erfahren zunehmend eine Aufarbeitung und Neubetrachtung (Paul 2018, Banaszczuk 2019, Kirchengast 2023). In Deutschland haben sich aktivistische Verbände wie Keinen Pixel den Faschisten! und Hass im Netz6 als Gegenbewegung zur toxischen Gaming Culture organisiert. Zudem wird auch die Rezension von Videospielen hinterfragt, denn gerade der deutsche Spielejournalismus weist in seinen Berichten in der Regel wenig kritische Distanz zum Medium auf (Schmidt 2011, Schott 2023, Brandenburg 2023).7

Heute sind kritische Ansätze gerade auch in der Spielforschung unerlässlich. Denn Spiele, so Görgen und Unterhuber (2023, 9), bilden »diskursive und gesellschaftliche Formationen aus, die weit über das einzelne Spiel hinaus wirken«. Wie Pfister, Unterhuber und Zangerl (2021, 4) bemerken, sind Videospiele damit »kein nebensächlicher Schauplatz unserer Gesellschaft […], sondern eine Kampfzone, in der darum gekämpft wird, was wir uns zu denken erlauben und wie wir auch Gesellschaft anders denken können«. Deshalb sind sie valide Objekte für verschiedenste Formen der Kritik, die gerade in der deutschsprachigen Spieleforschung lange vernachlässigt wurde. Unser Sammelband will diese Lücke schließen.

3Die Sammelband-Beiträge

Die Beiträge unseres Bandes beleuchten, wie Videospiele als Medium, ihre Produktion, Konsumtion und Rezeption, mit sozialen, historischen sowie kulturellen Strukturen in einem Spannungsverhältnis stehen. Die systemische (feministische, ökologische, wie anti-koloniale) Gesellschafts- und Kapitalismusanalyse meint dabei auch eine Ideologiekritik, die Macht- und Herrschaftsverhältnisse aufzeigen will und verdeutlicht, wie diese durch Videospiele aufrechterhalten, reproduziert oder herausgefordert werden können. Eine kritische Auseinandersetzung mit Videospielen soll ein Verständnis für die historische Genese des Mediums schaffen, aber auch Perspektiven der Transformation und des Widerstandes eröffnen.

Im Folgenden werden wir jeden der Beiträge kurz vorstellen. Wir teilen sie dabei in vier Sektionen ein, die der groben inhaltlichen Ausrichtung der dort gesammelten Texte entsprechen. Die Wahl von Verben als Überschriften für diese Teilsektionen – erinnern, arbeiten, ermächtigen, agi(ti)eren – beruht auf unserem Verständnis von Kritik als vor allem prozessorientiert: Statt statische Verhältnisse nur zu beschreiben, sehen wir die Beiträge zu diesem Band immer auch als kritische Interventionen, die auf neue und verbesserte Praktiken ausgerichtet sind.

Sektion I: Erinnern

Die in der ersten Sektion gesammelten Beiträge gehen der Frage nach, wie an Spiele, in Spielen und durch Spiele erinnert wird. Welche politischen Implikationen haben historische Repräsentationen in Videospielen? Wie können ludische Diskurse zur Vergangenheit adäquat analysiert werden? Und, nicht zuletzt, wie erinnern wir uns an und schreiben wir (über) Videospielgeschichte? In diesem ersten Teil überschneiden sich damit kritische Diskurse zu Spielen und Spielgeschichte mit Geschichtswissenschaften und Studien zu einem kulturellen und Mediengedächtnis.

Aurelia Brandenburgs Beitrag Von Lara Croft zu »Deus Vult!« – Spielgeschichte, Männlichkeit und Mittelalter beleuchtet, wie die Darstellung von Mittelalter in Videospielen als ›Sehnsuchtsdiskurs‹ verhandelt wird. Vor dem Hintergrund der sogenannten Gaming Culture leistet sie eine Bestandaufnahme, in der sie Deutungshoheiten in Spielen und Spielkulturen hinterfragt. Sie weist Verbindungen nach zwischen den von männlichen Perspektiven dominierten Spielgeschichten bzw. von Geschichte im Spiel und misogynen, rassistischen Subkulturen wie GamerGate. Der Text zeigt auf, dass Geschichtsbilder in Videospielen eng mit einem toxischen Bedürfnis nach Identitätsstiftung verwoben sind und einer kritischen Reflexion bedürfen.

Daria Gordeeva verknüpft in Geschichte im Computerspiel – Eine machtkritische Analyse von Historienspielen am Beispiel von ›Call of Duty: Black Ops Cold War‹ Spielstudien mit Forschung zu kulturellem Gedächtnis und Erinnerungskultur. Anhand einer kategoriengeleiteten Inhaltsanalyse arbeitet sie heraus, wie das Videospiel Call of Duty: Black Ops Cold War ein US-amerikanisches Meisternarrativ zum Kalten Krieg reproduziert und, statt Ambivalenzen auszuloten, auf das statische Freund-Feind-Schema hegemonialer Populärkultur zurückfällt. Dies, so Gordeeva, untergräbt das Potential des Spiels, zu einem kritischen Verständnis dieser historischen Epoche oder der globalen Rolle der USA beizutragen.

Eugen Pfisters und Arno Görgens Text Wie analysiert man die Geschichte politischer Ideen in digitalen Spielen? Erste Erfahrungen aus vier Jahren Forschung mit der Horror-Game-Politics-Methode plädiert für die politische Relevanz von Videospielen, welche, so die Autoren, nicht nur der Unterhaltung, sondern immer auch der politischen und kulturellen Kommunikation dienen. Durch Vorstellung der von ihnen erarbeiteten Horror-Game-Politics-Methode zeigen sie auf, wie Videospiele auf ihre Inhalte, Spielpraktiken, und politischen Implikationen hin kritisch befragt werden können. Pfister und Görgen unterscheiden dabei zwischen vier analytischen Teilbereichen, die in Kombination eine ganzheitliche Annäherung an das Phänomen Videospiel erlauben.

Schließlich nähert sich Tobias Unterhuber im Beitrag Das ewige neue Medium – die Geschichtslosigkeit der Computerspielgeschichte der Frage an, wie Spielgeschichte geschrieben wurde und sich schreiben lässt. Er identifiziert drei ›Geschichtsformen des Computerspiels‹, die er als Technikgeschichte, Retrogaming und Generationengeschichte auffächert. Unterhuber zeichnet die Dysfunktionalitäten dieser Diskurse nach, bevor er Konsequenzen für eine kritische Videospielforschung ausleuchtet.

Sektion II: Arbeiten

Wie in unserer Einleitung bereits dargelegt, ist Arbeit ein wichtiges Thema in der Videospielforschung. Die Beiträge in der zweiten Sektion unseres Bandes nähern sich dieser Problemstellung aus unterschiedlichen Richtungen an. So geht es einerseits um Repräsentation, also darum, wie Arbeit, Arbeiter:innen und Arbeiter:innenbewegungen in Spielen dargestellt werden. Andererseits heben Beiträge auch die Wichtigkeit hervor, den Arbeitsbedingungen in der Spielindustrie kritisch nachzugehen und ebenso die Einflüsse der Produktionsverhältnisse auf die Produkte in einer kaum regulierten Branche hin zu untersuchen. Wie zuvor bereits dargelegt, sind prekäre Arbeitsverhältnisse eine schlechte Voraussetzung für das Anlegen machtkritischer Perspektiven – in Forschung wie auch in der Kultur- und Spielproduktion.

In seiner kurzen Notiz über Ökonomie in Computerspielen beschreibt Jens Schröter implizite inhaltliche Ausrichtungen in Strategiespielen und argumentiert, dass das Genre ein hegemoniales Verständnis von Ökonomie reproduziere, welches ein kapitalistisches Marktsystem verabsolutiere und keinen Raum für das Denken und Erproben von Alternativen lasse. Er hebt gleichsam die Widersprüchlichkeit hervor, dass Vordenker:innen einer kapitalistischen Marktwirtschaft jeden staatlichen oder anderen Einfluss auf die Wirtschaft ablehnen, jedoch das Genre der Strategiespiele die Kontrolle der spielenden Person über ökonomische Prozesse voraussetze – und das Gameplay daher eher als Anklang an eine zentral geplante Ökonomie zu analysieren ist.

Lies van Roessel untersucht Monetarisierungspraktiken und Geschäftsmodelle in der auf Mikrotransaktionen basierenden Free-to-Play-Branche der Videospielindustrie. Ihr Beitrag Pay-to-Skip statt Pay-to-Win: Wie Entwickler:innen von Free-to-Play-Spielen Monetarisierungsmechanismen beurteilen und rechtfertigen lässt dabei Entwickler:innen solcher Spiele zu Wort kommen und eröffnet dadurch Perspektiven auf interne Diskurse und Erzählungen, durch die, häufig fragwürdige, Praktiken zu erklären versucht werden. Ihre Studie zeigt, dass sich Entwickler:innen den Problematiken des Free-to-Play-Modells oft durchaus bewusst sind. Durch ihre empirisch ausgerichtete Arbeit nuanciert Van Roessel ein Verständnis der Problemlage und erleichtert dadurch zielgerichtete kritische Interventionen.

Sexarbeit ist ein Feld, in dem sich intersektionale Kategorien wie Geschlecht, Klasse, Alter und race oft überschneiden und komplexe Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse sichtbar machen. Nina Kiels und Fabienne Freymadls Beitrag »You’re so handsome I might just give you a discount«: Die Darstellung von Sexarbeit im digitalen Spiel nähert sich diesem Themenbereich durch eine kritische Reflektion zu Videospielen an. Die Autor:innen zeigen auf, dass Sexarbeit seit Beginn des Mediums ein wiederkehrendes Motiv virtueller Spielwelten ist. Trotz dieser Verbreitung sind kritische Perspektivierungen der Darstellung von Sexarbeit und Sexarbeitenden bisher jedoch selten. Die Analyse der Narration, audio-visuellen Repräsentation sowie den Spielmechaniken von 31 ausgewählten Videospielen belegt, dass Stereotypisierung, Klischees, Opferrollen sowie Gewaltnarrative dominieren und (bisher) nur wenig Raum für nuancierte Annäherungen an das Thema lassen. Der Beitrag ist damit sowohl kritische Bestandsaufnahme als auch Aufruf an Entwickler:innen, neue Wege zu gehen.

In Die Blue Wall of Silence in Polizei-Simulatoren: Das Unsichtbarmachen von Polizeigewalt als virtuelle Copaganda wendet sich Thomas Spies der Darstellung von Polizei und Polizeiarbeit in Polizei-Simulatoren zu. Anhand einer Kritik des international erfolgreichen Police Simulator: Patrol Officers (2022) des in München angesiedelten Studios Aesir Interactive zeichnet Spies nach, wie die Simulation systeminhärente Aspekte von Polizeiarbeit, heißt, Gewaltanwendung, Rassismus, strenge interne Loyalität sowie Verschwiegenheit nach außen unterkommuniziert oder völlig ausblendet. Das Resultat ist, Spies zufolge, eine Form von medialer Propaganda, die inhärent problematische, staatlich sanktionierte Gewaltanwendungen im Idealtypus des Schutzmannes auflöst und dadurch unsichtbar macht.

Sektion III: Ermächtigen

Kritik analysiert die Welt nicht nur, sie will diese auch verändern. Das bedeutet, dass kritische Forschung nicht in der Beschreibung als schlecht erachteter Zustände verharren kann, sondern immer auch Schritte zur Verbesserung mitdenken muss. Ein Weg zu solcher Verbesserung kritikwürdiger Verhältnisse ist Mobilisierung zum aktiven Widerstand und um diesen zu erreichen, bedarf es oft einer Ermächtigung derer, die in einer bestimmten Ordnung unterdrückt und anderweitig marginalisiert sind. Die in diesem Teil gesammelten Beiträge zielen auf solche Praktiken des Ermächtigens ab, und zwar sowohl auf der Ebene der Repräsentation – welche Charaktere sind in Spielen ermächtigt zu handeln, welche nicht – wie auf der Ebene der Spielenden – lädt das Spiel zum Handeln auch außerhalb der Spielwelt ein?

Die Mitglieder des Total Refusal Kollektivs, Robin Klengel, Leonhard Müllner und Michael Stumpf, gehen in ihrem Kapitel Cosplaying Agency: Videospiele als Selbstermächtigungsutopien der Frage nach, warum Spieler:innen nicht müde werden, in unterschiedlichen Settings und Spielwelten das eigentlich immer gleiche Aufstiegsnarrativ durchzuexerzieren. Die Autoren argumentieren hierbei, dass Leistungsdenken und –darstellung, sowie der Fokus auf Konkurrenz, grundlegende Elemente der Kulturform Videospiel sind, die sowohl in Erzählungen als auch durch Spielmechaniken reproduziert werden. Da Spiele Teil weiterer gesellschaftlicher Strukturen sind, wird dieser Bias auch politisch relevant. Daher, so die Verfasser, müssen diese durch widerständige Spielpraktiken herausgefordert werden, um andere Spielende zu kritischer Reflektion und kritischem Handeln anzuregen.

Sara Grzybeks Essay Reicht uns Sichtbarkeit? Wie Gaming meinen Blick auf queere Lebensrealitäten geprägt hat beschreibt in persönlichem Stil die Erfahrung eines queeren Spielens und nutzt diese als Ausgangspunkt für eine Kritik an angeblich trans*-positiven Repräsentationen wie in Cyberpunk 2077. Der Beitrag arbeitet heraus, dass es nicht genug ist, Protagonist:innen visuell oder narrativ als queer darzustellen, wenn diese Queerness sonst keine weiteren Konsequenzen für den Spielverlauf hat. Das ist jedoch Voraussetzung für eine produktive Identifikation und damit Ermächtigung von sowohl queer Spielenden als auch queer lebenden Menschen.

Repräsentation ist eine Voraussetzung für Ermächtigung und Teilnahme – in Spielwelten wie in der Politik. Natalie Berners Beitrag Wating for the ›Momification of Games‹? – Repräsentation von Mutterschaft im Videospiel untersucht, wie eine zentrale Identitätskategorie – Mütter – in Videospielen dargestellt wird. Berner zeigt anhand einer kategoriengeleiteten Inhaltsanalyse von 15 Videospielen, dass Mütter vor allem durch ihre Abwesenheit auffallen. Im Gegensatz zu Vätern, denen in den letzten Jahren in wichtigen Titeln eine Reihe neuer Rollen zugeschrieben wurden, bleiben Mütter hauptsächlich im Hintergrund, dienen vorwiegend als typisierte emotionale Trigger und spielen nur selten eine aktive Rolle. Berner verbindet in ihrer Arbeit den Fokus auf spielerische Inhalte mit kritischen Fragen an den Produktionskontext, um so die Abwesenheit von Müttern mit Faktoren wie Spieler:innendemographien, fehlende Diversität in Teams von Entwickler:innen sowie Profitinteressen der Spielindustrie zu erklären.

Im letzten Beitrag dieser Sektion verortet sich Astrid Ensslin in indigenen Spielstudien. Ihr Kapitel Das politische Potenzial der Folk-Mechanic in indigenen Videospielen zeigt, wie indigen produzierte Titel koloniale Perspektiven auf den Anderen, auf Natur und auf Landschaft hinterfragen und neu kalibrieren können. Dabei kritisiert ihr Text etablierte Machtverhältnisse und zeigt, wie Spielende durch Interaktion mit in kritischem Bewusstsein erschaffenen virtuellen Welten zu neuem Denken und Handeln ermächtigt werden können. Mit Blick auf medienspezifische Aspekte von Videospielen führt Ensslin den Begriff der Folk Mechanic ein, um die zentrale Rolle von Regelsystemen und Spielmechaniken hervorzuheben und diesen einen konzeptuellen Rahmen zu geben. Diese Mechaniken, so die Autorin, ermöglichen eine relationale Pädagogik, sie seien damit ein »transformatives Werkzeug für dekoloniale, inklusive und diversitätsstiftende Spieldesigns und Analysen«.

Sektion IV: Agi(ti)eren

Richtet man die Aufmerksamkeit darauf, wie Spielmechaniken und regeln das Agieren Spielender in virtuellen Welten bedingen, wird deutlich, dass diese Technologie auch für Agitation relevant ist – sowohl eine Agitation im Spiel (politische Mobilisierung als Teil der Spielwelt) wie auch Agitation durch oder über Videospiele, die deren Rolle in politischen Prozessen herausfordert oder diese für bestimmte gesellschaftliche Projekte nutzbar zu machen sucht. Beiträge in dieser Sektion verorten sich an unterschiedlichen Stellen dieser Achse des Agierens und Agitierens in Spielen und durch Spiele.

Sarah Fartuun Heinzes experimentelle Spielanleitung Open Source Tool – Prototyp : Playtest : SpielRäume Partizipativer Kunst:multiverse*+~ sieht Videospiele als Ideenort für (analoges) Miteinander. Der im wahrsten Sinne des Wortes verspielte, prozessorientierte Beitrag beschreibt ein und ist zugleich Ergebnis eines Projekts, das dazu einlädt, sich selbst über ein Rollenspiel besser kennenzulernen und interaktiv Entscheidungsmacht zu erlangen – die Lesenden werden dabei zu Playtestern.

Laura Laabs Beitrag Grundlagen der Pokémonologie legt eine Kritik von Pokémon-Welt und –Spielen vor. Anhand eines Glitches – des mystischen MissingNo.– zeigt sie, wie sich in den Spielen koloniale Diskurse zu Wissensproduktion und -ordnungen sowie Weltkonstitution und kartographierung mit Ideen von Kontrolle, Eigentum und Macht vermengen. Der Glitch, so Laabs, fordere durch seine Unzuordbarkeit als »Grenzgänger« implizit viele dieser Denk- und Handlungsrahmen heraus, mache sie sichtbar und damit angreifbar. MissingNo. verweise zurück auf die technische Entstehungsgeschichte der Pokémon-Spiele und ermögliche dadurch eine kritische Genealogie von Prozessen, die sonst unsichtbar blieben.

Vor dem Hintergrund eigener Spielerfahrungen arbeitet Sinthujan Varatharajah im Text Grenzen des Spielfelds: SimCity und die Frage der gerechten Stadt kritische Perspektiven auf den ›Ur-Städtebausimulator‹ heraus. SimCity, so Varatharajah, unterlege alle Werte einem ökonomisch fokussierten Nutzenprinzip. Aus steriler Entfernung verwaltet, gebe es im Spiel nichts, was durch die Spielenden inkludiert oder geschützt werden müsse. Alles sei dem Prinzip der Expansion und des Wachstums untergeordnet. Da das Spiel auch im Schulunterricht eingesetzt wurde und allgemein viele Kinder erreichte, sei diese ideologische Schlagseite und koloniale Grundeinstellung besonders verheerend und erfordere aktive Problematisierung und widerständiges Spielen.

Im letzten Beitrag des Bandes operationalisiert Holger Pötzsch in seinem Kapitel Spielend bilden? Kritische Betrachtungen zu Videospielen vor deren Einsatz im Unterricht das Cybermedia-Modell von Espen Aarseth und Gordon Calleja, um einer kritischen Evaluierung digitaler Spiele vor deren Einsatz im Unterricht eine theoretische Grundlage zu geben. Pötzsch stellt eine Matrize vor, die fünf spielanalytische Dimensionen miteinander in Bezug setzt und so eine Problematisierung von Spielnutzung für Bildungszwecke möglich macht. Anhand einer Analyse des Spiels Train to Sachsenhausen gibt das Kapitel ein Beispiel für die Nutzung der Matrize und leistet so einer kritisch-reflektierten Anwendung des Titels im (Geschichts)Unterricht Vorschub.

4Ausgespielt? Eine Schlussbemerkung

Lässt es sich in Zeiten von Klima-Apokalypse und rasch zunehmender globaler Ungleichheit noch träumen? Lassen sich brutale systemische Formen der Ausbeutung und Unterdrückung ignorieren, während man in virtuellen Welten Abenteuer und Zerstreuung sucht? Kann man, während imperiale Staaten weiter militärisch aufrüsten und mit voller Rückendeckung westlicher ›Demokratien‹ immer neue Schauplätze neokolonialer Kriege eröffnen, noch spielen? Kann man, frei nach Brecht, in unserer eigenen dunklen Zeit noch ein Gespräch über Spiele führen? Oder belegen diese Beispiele, dass wir als Zivilisation ausgespielt haben?

1938, gleichsam am Vorabend des bisher schlimmsten industriellen Verbrechens in Europa, des Holocaust, und der Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges, schrieb Johan Huizinga (1955 [1938], 210), »modern warfare has […] lost all contact with play«. Was der niederländische Spieltheoretiker hier kurz vor seinem Suizid beklagte, war das Verschwinden von Krieg als regelgebundene und daher mit Zivilisation zu vereinbarende Aktivität. Er führt aus:

»Real civilization cannot exist in the absence of a certain play-element, for civilization presupposes limitation and mastery of the self, the ability not to confuse its own tendencies with the ultimate and highest goal, but to understand that it is enclosed within certain bounds freely accepted. Civilization will […] always be played according to certain rules, and true civilization will always demand fair play.« (1955 [1938], 211)

Diese zivilisatorische Fähigkeit, freiwillig selbstgesteckten Regeln zu folgen, eigene Positionen zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen, sich in freiwilligem Austausch durch die Augen des anderen zu sehen und dadurch ein Bewusstsein der Kontingenz eigener Weltsichten und, ja, Werte zu erhalten, ist für Huizinga der Kern eines Spielelementes in der Kultur. In diesem Licht scheint es, unsere dunkle Zeit, hier im Sinne Hannah Arendts (1970),8 erfordere mehr und nicht weniger Spiel – allerdings eine Form von Spiel, die nicht nur der Freizeitbeschäftigung dient, sondern als kultureller Prozess unser Denken und Handeln beeinflussen und in eine progressivere, menschlichere und friedlichere Richtung lenken kann.

Wie kann ein solches progressives Spielen nach dem Holocaust und mitten in Klima-Apokalypse, Artensterben und modernen Vernichtungskriegen aussehen? Wie kann ein Spielelement in unseren Kulturen und Zivilisationen hervortreten, das uns vor Selbstgerechtigkeit, Militarismus und einem Rückfall in unmenschliche Grausamkeit bewahren kann? Mehr denn je braucht unsere Gesellschaft Utopien – Ideen, Geschichten und Handlungen, die kollektiv ausgerichtet sind und für genuin politisches Handeln begeistern. Denn, so schrieb Habermas bereits 1985 (161), »[w]enn die utopischen Oasen austrocknen, breitet sich eine Wüste von Banalität und Ratlosigkeit aus«.

Genau solche Banalität und generelle Ratlosigkeit sind heute kennzeichnend für westliche Gesellschaften. Eine leere, manipulierende Sprache (Arendt 1970) und ein mehr und mehr autoritärer Liberalismus (Brown 2019, Chamayou 2019), in dem Zensur und Demonstrationsverbote die Meinungsfreiheit sichern sollen, drohen in einem kapitalistischen Realismus (Fisher 2009) allen alternativen Organisationsformen und Denkweisen den Gar auszumachen. Was bleibt ist ein banales ›weiter so‹, trotz immanent hervortretender unüberwindbarer Gegensätze des bestehenden Systems und dessen nicht zu bewältigenden gesellschaftlichen und ökologischen Folgekosten. Wie können (Video)Spiele uns helfen, andere politische Zukünfte zu ersinnen und zu erproben?

Wir brauchen Videospiele, die mehr sind als auf Profitmaximierung ausgerichtete kommerzielle Produkte. Und ein solches Ziel erfordert eine klare, auch auf (politische) Praxis ausgerichtete Spielkritik, die helfen kann, Einzelphänomene in weitere Zusammenhänge zu setzen, angeblich Alternativloses zu hinterfragen und scheinbar Natürliches und Objektives als historisch und kulturell bedingt zu entlarven. Aus solcher Kritik können Utopien erwachsen, die weit über hyperkapitalistische virtuelle Fluchträume hinausweisen und zu einem gemeinsamen konkret politischen Denken und Handeln anregen (Flanagan und Nissenbaum 2014). Unsere Gesellschaften brauchen genau das, genau jetzt. Wir hoffen, dieser Sammelband kann einen kleinen Beitrag zu einem solchen Vorhaben leisten.

Quellenverzeichnis

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