Spiel um Macht und Liebe - Penny Jordan - E-Book

Spiel um Macht und Liebe E-Book

Penny Jordan

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Beschreibung

Machthunger und die Gier nach Geld bringen vier Menschen zusammen, die zunächst nichts miteinander verbindet als ihr zielstrebiger Ehrgeiz: Leo von Hessler, Erbe eines Chemiekonzerns; Davina James, die nach dem Tod ihres Mannes ihre Pharmafirma vor dem Bankrott retten will; Der Manager Saul Jardine, der Davina die Firma abjagen soll; Die Ärztin Christie, die den profitgierigen Pharmakonzernen den Kampf angesagt hat. Alle vier hat das Leben gelehrt, Enttäuschungen mit Härte zu begegnen und Gefühle als Schwäche zu empfinden. Werden sie ihrer Gier nach Macht und Einfluss die Chance opfern, endlich zu lieben und geliebt zu werden?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 688

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Penny Jordan

Spiel um Macht und Liebe

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Johannes Heitmann

Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Lingering Shadows

Copyright © 1992 by Penny Jordan

erschienen bei: Worldwide Books, London

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: pecher und soiron GmbH, Köln

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-598-8

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

1. KAPITEL

„So so. Mein kleiner schlauer Bruder hat also geschafft, was unserem verstorbenen Vater nicht gelungen ist. Du hast die Amerikaner dazu gebracht, uns die Kontrolle über die Herstellung unserer Medikamente zu überlassen. Und wie hast du das bewerkstelligt? Mit denselben Mitteln, mit denen du unseren Vater dazu gebracht hast, sein Testament zu deinen Gunsten zu ändern?“

Neben dem verächtlichen Spott hörte Leo aus Wilhelms Stimme auch die Verbitterung des älteren Bruders heraus.

Es hatte für Leo keinen Sinn, Wilhelm daran zu erinnern, dass er selbst mindestens genauso verblüfft gewesen war, als er erfuhr, dass ihr Vater ihm allein die gesamte Kontrolle über den Arzneikonzern der Hesslers übertragen hatte. Alle hatten damit gerechnet, dass Wilhelm der Alleinerbe würde.

Leo lockerte den Griff, mit dem er den Telefonhörer festhielt. Er war früh am Morgen aus New York in Hamburg angekommen und direkt vom Flugplatz zu den Büros von „Hessler-Chemie“ gefahren, um dem Vorstand einen kurzen Bericht zu geben. Dieses Treffen war von Leos Assistent organisiert worden.

Zwar war Wilhelm bei dem Treffen nicht erschienen, doch offenbar hatte ihm jemand von den Neuigkeiten berichtet.

Leo wusste, dass es sein gutes Recht war, auf seine Ergebnisse aus New York stolz zu sein. Mit demselben Recht konnte er sich über Wilhelms Verhalten ärgern. Bevor er vom Büro nach Hause gefahren war, hatte er seinem Assistenten gesagt, dass er nicht gestört zu werden wünsche, egal von wem.

Folglich kam ihm Wilhelms Anruf ungelegen.

„Vater kann nicht bei Verstand gewesen sein, als er dieses Testament aufgesetzt hat“, regte Wilhelm sich jetzt auf. „Ich war derjenige, der nach seinem Willen die Leitung übernehmen sollte. Das hat er immer gesagt. Ich kam doch bei ihm an erster Stelle.“

Leo biss die Zähne zusammen und ließ Wilhelm seine Bosheiten ungehindert ausstoßen.

An erster Stelle. Wie oft hatte er während seiner Jugend diese Worte von seinem Bruder gehört? fragte Leo sich, als Wilhelm endlich aufgelegt hatte. Wie oft hatte er schmerzlich unter der Kritik und Ablehnung seines Vaters gelitten, bis er schließlich erkannt hatte, dass er seiner eigenen Sicht des Lebens nachgehen musste? Es gab andere Welten und Werte als die, die sein Vater stets verfolgte.

Erschöpft blickte er auf das Telefon. Wilhelm und er waren nie gut miteinander ausgekommen. Es hatte immer Rivalität und Ablehnung zwischen ihnen gegeben. Und manchmal war es Leo sogar so vorgekommen, als habe ihr Vater diese Rivalität noch absichtlich gefördert. Wilhelm war über alle Maßen besitzergreifend. Vielleicht lag das daran, dass er das älteste Kind gewesen und davon ausgegangen war, immer das einzige zu bleiben.

Immerhin lagen vierzehn Jahre zwischen ihnen, und so war Wilhelm den Großteil seiner Kindheit ein Einzelkind gewesen. Und während er aufwuchs, hatte Leo nie daran gezweifelt, wer von ihnen beiden Vaters Liebling war.

Schwächling hatte sein Vater ihn einmal als Junge genannt, obwohl Leo heute mit seinen einsfünfundachtzig schwerlich als schwach bezeichnet werden konnte. Der Ton seiner bernsteinfarbenen Augen passte zu dem Goldbraun seines dichten Haars. Eine seiner Geliebten hatte ihn einmal mit einem Löwen verglichen. Sie hatte gesagt, er strahle dieselbe goldene Geschmeidigkeit aus, aber, hatte sie lachend hinzugefügt, nicht das raubtierhafte Verlangen zu jagen und zu töten.

Körperlich schlägt bei mir die mütterliche Seite durch, stellte Leo fest. Und er hoffte inständig, dass das auch für seine seelische und geistige Seite galt. Er wollte nichts von den Veranlagungen seines Vaters erben. Aber galt das auch für das materielle Erbe?

Unbehaglich ging er zum Fenster und blickte auf den Fluss. Das Bürogebäude lag in einer ruhigen, wohlhabenden Gegend von Hamburg, und das eher kleine Haus wurde von den hohen Nachbargebäuden förmlich zerdrückt. Es war ein altes Haus mit quietschenden Dielen und seltsam verwinkelten Räumen.

Wilhelm hatte versucht, das Testament ihres Vaters anzufechten, mit der Begründung, dass er es nur in dieser Form aufgesetzt haben konnte, wenn er entweder geistig umnachtet oder von Leo unter Druck gesetzt worden war.

Die Firmenanwälte hatten Wilhelm gewarnt, dass er den Fall vor Gericht nur verlieren konnte, zumal ihr Vater bis zu jenem tödlichen Herzinfarkt im Vollbesitz seiner geistigen Gesundheit und der Macht über den Hesslerkonzern gewesen war.

Natürlich kam noch erschwerend hinzu, dass Leo ihn gefunden hatte, als er auf dem Boden in seinem Arbeitszimmer zusammengebrochen lag, aber noch lebte, wenn auch nur noch schwach. Niemand hatte von seiner Herzschwäche gewusst, die hatte er immer geheim gehalten. Leo hatte sofort einen Notarzt gerufen, doch ein paar Sekunden, nachdem er den Hörer wieder aufgelegt hatte, hatte sein Vater einen zweiten und diesmal tödlichen Anfall bekommen.

In diesen paar Sekunden hatte sein Vater mit ihm gesprochen.

„Mein Sohn …“, hatte er mühsam herausgebracht. „Mein Sohn.“

Doch es hatte keine Liebe aus seiner Stimme geklungen, sondern nur dieselbe wütende bittere Ablehnung, die Leo seit seiner Kindheit so gut kannte.

Auf dem Boden neben seinem Vater hatte eine kleine Urkundenkiste mit Vorhängeschloss gelegen. Der Wandsafe war geöffnet gewesen, und der Arzt hatte vermutet, dass die Anstrengung, den Kasten aus dem Safe zu holen, den ersten Anfall ausgelöst haben könnte.

Leo war sich da nicht so sicher. Der Kasten war nicht schwer.

Er drehte sich jetzt unvermittelt um. Die Kiste stand immer noch auf seinem Schreibtisch, wo er sie vor sechs Wochen abgestellt hatte. Schon längst hatte er sie öffnen wollen, war bislang jedoch nie dazu gekommen.

Aber jetzt habe ich die Zeit, rief er sich in Erinnerung.

Beim Blick auf den Kasten wurde ihm klar, dass dies hier eigentlich Wilhelms Aufgabe hätte sein sollen.

Genau, wie der Konzern eigentlich an Wilhelm hätte vererbt werden sollen. Auch die väterliche Liebe war schließlich immer auf Wilhelm beschränkt worden. Oder wenigstens die väterliche Zuneigung. Leo zweifelte daran, dass sein Vater jemals einen Menschen geliebt hatte. Er war einfach kein Gefühlsmensch gewesen. Wieso hatte er ihm jetzt die Leitung des Konzerns übertragen, wenn er jahrelang Wilhelm auf diese Rolle vorbereitet hatte? Die neue Fassung seines Testaments war erst kurz nach dem Tod ihrer Mutter angefertigt worden.

Erschöpft erkannte Leo, dass es keinen Zweck hatte, sich immer wieder dieselben Fragen zu stellen, wenn er keine Antworten darauf wusste.

Stirnrunzelnd betrachtete er die Urkundenkiste. Jetzt, wo er für kurze Zeit die Anspannung vergaß, unter der er durch seine Verantwortung für den Konzern stand, wurde ihm bewusst, wie schäbig dieser Kasten aussah und wie merkwürdig es war, dass er beim Tod seines Vaters neben ihm gelegen hatte.

Neugier und noch ein anderes Gefühl wurden in ihm wach.

Er ging zum Schreibtisch und berührte zögernd die Kiste.

Den Schlüssel hatte er in der Hand seines Vaters gefunden. Als er ihn jetzt aus einer Schublade holte, sah er ihn nachdenklich an. Genau wie die Kiste war er abgenutzt und alt. So etwas passte einfach nicht zu seinem Vater.

Immer noch nachdenklich griff er nach der Kiste und zögerte dann erneut. Es fiel ihm schwer, sie zu berühren und zu öffnen.

Verbittert rief er sich in Erinnerung, dass er jetzt die Gefühle zeigte, die sein Vater an ihm verachtet hatte: Empfindsamkeit, ausschweifende Fantasie und Angst. Angst wovor? Sicher nicht vor seinem Vater. Diese Angst hatte er in dem Augenblick abgelegt, als ihm klar wurde, dass er, egal, was er tat, niemals die Anerkennung und Liebe seines Vaters gewinnen würde.

Es nützt nichts, die Vergangenheit noch einmal zu durchleben, beschloss er. Schließlich war er mit achtunddreißig Jahren kein Kind mehr.

Er steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Kiste.

Der einzige Inhalt war ein Umschlag. Leo hob ihn heraus und verspannte sich leicht, als er das alte, abgenutzte und sich unangenehm anfühlende Papier in der Hand hielt.

Aus dem unverklebten Umschlag holte er alles heraus und breitete es auf dem Schreibtisch aus.

Ein Notizbuch und einige in Englisch geschriebene Zeitungsausschnitte. Als er das Notizbuch aufhob, sah er verwirrt auf die oberste Schlagzeile. Sie gehörte zu einem Artikel, der über die Arbeit von britischen Sanitätssoldaten in einem deutschen Krankenhaus berichtete. Ein Blick auf das Datum der Zeitung verriet Leo, dass der Bericht kurz nach Kriegsende erschienen war.

Ein Foto zeigte einen hageren ausgezehrten Mann in einem Bett, der einem über ihn gebeugten Mann die Arme flehend entgegenstreckte.

Beim Anblick der ausgemergelten Gestalt verkrampfte sich unweigerlich Leos Magen. Offenbar war er ein Opfer aus einem der Konzentrationslager. Der Mann im Nachbarbett hatte nach Aussage des Artikels weniger Glück gehabt und war tot.

Der Bericht fuhr fort, dass der Mann noch kurz vor seinem Tod dem Gefreiten Carey die Namen einiger Deutscher verraten hatte, die dafür verantwortlich waren, dass die Lagerinsassen für medizinische Experimente als Versuchskaninchen missbraucht worden waren. Aufgrund dieses Hinweises war es den Besatzungstruppen dann gelungen, eine Reihe dieser Männer festzunehmen.

Mit versteinerter Miene wandte Leo den Blick ab und zwang sich dann weiterzulesen. Mit zitternden Fingern hob er das kleine Bündel von Ausschnitten hoch und überflog rasch die übrigen Artikel.

Sie waren alle in Englisch geschrieben und bezogen sich auf eine kleine britische Arzneifirma namens „Carey Chemicals“. Unbewusst fiel Leo auf, dass der Name mit dem des Gefreiten aus dem ersten Artikel übereinstimmte.

Die Berichte beschrieben den kometenhaften Aufstieg von Carey Chemicals kurz nach dem Krieg, als sie das Patent für ein Herzmittel bekamen, mit dem bei der Behandlung von Herzkranken neue Wege eingeschlagen werden konnten. Außerdem wurde auch der spätere Abstieg der Firma beschrieben.

Carey Chemicals. Diese ganzen Ausschnitte. Was hatten sie mit seinem Vater zu tun? Wieso hatte er sie gesammelt und aufbewahrt?

Zögernd griff Leo nach dem Notizbuch. Sein Vater hatte Hessler-Chemie nach dem Krieg gegründet. Die Siegermächte waren damals bemüht, im Nachkriegsdeutschland wieder Ordnung zu schaffen. Und weil Leos Vater weder im Krieg noch bei den anderen Abscheulichkeiten eine Rolle gespielt hatte, zumal er kurz nach Kriegsbeginn in die neutrale Schweiz gegangen war, wurde ihm erlaubt, wieder nach Deutschland zurückzukehren und seine Firma zu gründen. Diese Firma stellte eine neue Arznei, ein Beruhigungsmittel her, mit deren Hilfe vielen Kriegsopfern die Nachwirkungen der Schrecken erleichtert werden konnten.

Tief in Gedanken öffnete Leo das Notizbuch. Er hatte, gemäß dem Wunsch seines Vaters, Chemie studiert. Immerhin war auch er ein von Hessler, selbst wenn er nicht so aussah und sich nicht dementsprechend benahm, wie ihm sein Vater immer wieder boshaft eingeredet hatte. Und deshalb musste auch er seinen Teil zum weiteren Erfolg der Firma beitragen.

Als er jetzt auf die ausgebleichten, handgeschriebenen chemischen Formeln und Gleichungen sah, erkannte Leo sofort, was er in Händen hielt.

Dies waren die Originalrezepte zur Herstellung der Arznei, mit der Hessler-Chemie gegründet worden war.

Leo betrachtete sie eingehend. Es gab eine Reihe von Geschichten darüber, wie sein Vater in den Besitz dieser Formeln gekommen war. Offiziell hatte sein Vater sie von einem sterbenden Mann bekommen, mit dem er sich als Übersetzer im Auftrag der Siegermächte unterhalten hatte.

Von Zeit zu Zeit kamen weniger schöne Versionen der Geschichte auf, aber der Hesslerkonzern war mittlerweile bereits zu mächtig geworden, als dass die Firma oder ihr Gründer noch ernsthaft angegriffen werden konnten.

Als Jugendlicher hatte Leo Gerüchte gehört, sein Vater habe heimlich von der Schweiz aus als Spion für die SS gearbeitet und sei quer durch Deutschland und andere Länder gereist. Dadurch sei er an die Ergebnisse der Forschungslabore in den Todeslagern gekommen.

Dummerweise hatte Leo es gewagt, seinem Vater das zu erzählen. Sein Vater hatte nichts dazu gesagt und die Geschichte weder abgestritten noch bestätigt. Doch am nächsten Tag hatte Leo seine Mutter im Bett vorgefunden. Sie hatte so schlimme Schläge bekommen, dass Leo auch gegen ihr ausdrückliches Flehen einen Arzt hatte kommen lassen.

Seitdem hatte er seinem Vater gegenüber die Gerüchte nicht mehr erwähnt.

Er blätterte in dem Notizbuch weiter und erstarrte.

Hier standen weitere Formeln und Randnotizen samt der Unterschrift eines Arztes. Leo war sicher, dass dieser Arzt wegen seines Mitwirkens an den Scheußlichkeiten in einem der Lager verurteilt worden war.

Nach einem raschen Überfliegen las er die Formeln langsam und gründlich durch, und ihm wurde kalt bei der Erkenntnis, was er da vor sich hatte.

Die folgenden Seiten listeten die genauen Untersuchungen auf und schlugen eine Formel für ein Herzmedikament vor. Ein Medikament wie das, was die britische Firma Carey Chemicals herstellte.

Wie ein Kartenspieler breitete Leo vor sich die verschiedenen Zeitungsartikel aus und legte bedrückt das Notizbuch darüber.

War sein Vater gestorben, als er versuchte, den Kasten aus dem Safe zu holen, oder hatte er erst nach dem ersten Anfall versucht, dranzukommen, weil er wusste, was der Kasten enthielt? Hatte er den verräterischen Inhalt vernichten wollen? Leo sah auf die Zeitungsartikel und die Berichte über den Gefreiten Carey. Bestand ein Zusammenhang zwischen dem Aufstieg dieses jungen Mannes im Bereich der Arzneiherstellung nach dem Krieg und den Notizen von Leos Vater? Wieso hatte sein Vater das alles überhaupt aufbewahrt? Wollte er sich damit gegen Erpressungsversuche von Carey absichern, weil Carey die Wahrheit über seine SS-Vergangenheit wusste? Hatte Leos Vater Carey mit der zweiten Formel bezahlt?

Aber Carey war bereits ein paar Jahre vor Leos Vater gestorben, auch die Todesanzeige befand sich unter den Ausschnitten. Wieso hatte sein Vater nicht damals den Inhalt vernichtet, wenn sie tatsächlich so verräterisch waren, wie Leo vermutete?

Hatte Carey sein Wissen vielleicht vor seinem Tod an jemand anderen weitergegeben? Es hieß, sein Schwiegersohn führe das Unternehmen jetzt weiter. Hatte er ihm mehr als nur die Arzneifirma hinterlassen?

Möglicherweise irrte Leo sich. Das konnte auch alles nur Zufall sein. Doch bei diesem Gedanken lehnte sich alles in ihm voller Ablehnung auf.

Ich weiß es, dachte er. Tief drinnen weiß ich, dass vor mir der Beweis dafür liegt, wer mein Vater in Wirklichkeit war. In diesem Moment bin ich näher daran, meinen Vater kennenzulernen, als jemals zuvor zu seinen Lebzeiten.

Jetzt war es auch kein Wunder mehr, dass zwischen ihnen immer eine solche Feindseligkeit geherrscht hatte. Mit einmal verstand Leo auch seine Ablehnung dieser dunklen Ausstrahlung, die seinen Vater immer umgeben hatte.

Als Kind hatte er sich vor dieser Dunkelheit gefürchtet, und als Erwachsener war er dankbar dafür, dass er diese Ausstrahlung nicht geerbt hatte, auch wenn sein Vater ihn wegen dieses Mangels immer verachtet hatte.

Dennoch hatte sein Vater ihm die Kontrolle über den Konzern übergeben.

„Mein Sohn … Mein Sohn.“

Das waren seine letzten Worte gewesen, und aus ihnen hatte nichts als Hass und Verbitterung geklungen.

Konnte etwa Absicht darin gelegen haben, dass er Leo diese schrecklichen Unterlagen finden ließ? War es eine letzte Grausamkeit, eine letzte Erinnerung daran, wessen Blut in seinen Adern floss?

Nein, woher hätte er wissen können, dass es Leo sein würde, der ihn fand? Bestimmt hatte er versucht, diese Beweise zu vernichten, da war Leo sich sicher.

Die Beweise …

Er blickte wieder auf die Papiere auf seinem Schreibtisch. Seltsam, wenn man bedachte, dass mit ihnen die ganze Macht des Hesslerkonzerns gebrochen werden konnte, dass sie das Lebenswerk seines Vaters zerstören konnten.

Stimmte das? Waren sein Vater, der als Dolmetscher arbeitete, und Carey, der Sanitätssoldat, in einem Netz aus Mord, Diebstahl, Erpressung und vielleicht noch Schlimmerem miteinander verbunden?

Der Mann, der vor seinem Tod dem Gefreiten Carey noch Namen anvertraut hatte. Hatte er auch den Namen von Leos Vater als Spion der SS genannt? Hatte Carey die Zusammenhänge erkannt und Leos Vater gedroht, ihn bloßzustellen? Hatte sein Vater Carey mit der zweiten Formel ausgezahlt?

Diese Verbindungen waren fraglich und vielleicht nicht zu beweisen, aber dennoch konnte durch diese Unterlagen der Hesslerkonzern gefährdet werden. Und sie erfüllten Leo mit solchem Abscheu, schmerzvoller Wut und Schuldbewusstsein, das er unweigerlich erkannte, dass er wenigstens den Versuch unternehmen musste, die Wahrheit herauszufinden.

Wenn die Dinge anders gelegen hätten und Wilhelm ein anderer Mensch gewesen wäre, hätte Leo diese Last mit ihm teilen können.

Plötzlich kam ihm ein anderer Gedanke. Hatte seine Mutter die Wahrheit gewusst? War sie deshalb bei seinem Vater geblieben, obwohl der sie körperlich und gefühlsmäßig ausnutzte? Hatte sie zu viel Angst gehabt, um ihn zu verlassen? Hatte sie die Wahrheit nie erzählt aus Angst um ihre Söhne? Aus Angst um Leo?

Denn Wilhelm hatte ihr nie so nahe wie Leo gestanden. Wie auch sein Vater hatte Wilhelm die Mutter mit Verachtung und Grausamkeit behandelt.

Langsam hob Leo die Ausschnitte auf. Er sah zum Kaminfeuer und dann auf die Artikel in seiner Hand.

Entschlossen legte er sie wieder zusammen mit dem Notizbuch zurück in den Umschlag. Vielleicht sollte er sie vernichten, doch er wusste, dass er es nicht fertigbrachte. Zumindest nicht, solange er nicht die Wahrheit wusste. Oder das, was davon noch übrig geblieben war. Und er musste das herausbekommen, ohne den Namen Hessler ins Gerede zu bringen. Nicht um seines eigenen Rufs oder dem seines Vaters willen, sondern mit Rücksicht auf alle, die für die Firma arbeiteten und deren Unterhalt von der Firma abhing.

Nein, mit diesem Problem musste er ganz allein fertigwerden. Still, unauffällig und geheim. Beim letzten Gedanken verzog er unwillig das Gesicht. Das erinnerte ihn zu sehr an seinen Vater.

Geheim.

Das Ganze ließ bei Leo einen ätzenden, schalen Nachgeschmack zurück und bedrückte ihn zutiefst.

2. KAPITEL

„Ich muss gestehen, dass mich Ihr Verhalten ein wenig überrascht, Saul.“ Die Stimme und das dazugehörige Lächeln wirkten warmherzig und fast familiär.

Doch Saul wusste, dass dieser Eindruck täuschte. Er erwiderte nichts und wartete ab.

„Natürlich ist mir bewusst, dass Dan Harper ein Freund von Ihnen ist“, stellte Sir Alex Davidson ruhig fest, und als Saul immer noch schwieg, fügte er weniger gelassen und sehr leise hinzu: „Schließlich haben Sie doch einmal mit seiner Frau geschlafen, oder nicht?“

Das hatte Saul nicht, aber er ging nicht darauf ein. Er kannte seinen Chef gut genug, um zu wissen, wie sehr Sir Alex es genoss, eine wunde Stelle gefunden zu haben.

„Allerdings geht es hier ums Geschäft, und es lag in Ihrer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Übernahme von ‚Harper and Sons‘ ruhig und unauffällig vollzogen wird. Stattdessen haben Sie Harper gewarnt, dass wir ihn aufkaufen wollen, um anschließend das gesamte Vermögen aus der Firma zu ziehen, die Belegschaft zu entlassen und das Unternehmen zu schließen.“

Jetzt antwortete Saul und sagte ruhig: „Das ist eine etwas dramatische Beschreibung dessen, was geschehen ist.“

Sein Blick war kühl. Er sah fast furchteinflößend aus, obwohl er fünfundzwanzig Jahre jünger als sein Chef und nur ein Angestellter in Sir Alex’ Firma war. Sir Alex hatte ihn gefördert, um ihn eines Tages zu seinem Nachfolger zu machen.

„Aber Sie haben Harper gewarnt, dass etwas in der Luft liegt.“

„Ich habe ihn vor gar nichts gewarnt“, erwiderte Saul knapp. „Ich habe ihm lediglich erzählt, was möglicherweise geschehen könnte, wenn er verkauft.“

„Wortklauberei“, beschuldigte Sir Alex ihn. Er lächelte jetzt nicht mehr, und seine Stimme klang alles andere als freundlich.

„Absolute Zuverlässigkeit ist eine Selbstverständlichkeit, die ich von meinen Angestellten verlange, Saul, und ganz besonders von Ihnen. Ihnen vertraue ich von allen am meisten, und dafür werden Sie auch hervorragend bezahlt.“

Verächtlich stieß Saul die Luft aus, doch es lag auch Verachtung sich selbst gegenüber darin.

Sir Alex, der immer noch sprach, hatte diese Regung nicht bemerkt.

„Wie gesagt, ich bin sehr enttäuscht. Allerdings steht jetzt etwas Wichtigeres auf der Tagesordnung. Ich möchte, dass Sie nach Cheshire fahren. Dort gibt es eine Gesellschaft mit Namen Carey Chemicals. Ich will sie haben.“

„Carey Chemicals?“

„Genau.“ Sir Alex nahm ein paar Unterlagen von seinem Schreibtisch. „Ein kleines ‚Ein-Mann‘-Unternehmen. Das war es jedenfalls. Der verantwortliche Leiter ist kürzlich gestorben, und die Firma steckt in Schwierigkeiten. Ihre Finanzlage wird immer schwieriger, und bald schon wird das Unternehmen untergehen. Wir werden eine Rettungsmaßnahme durchführen.“

„Wirklich? Weswegen?“, fragte Saul spöttisch nach.

Sir Alex sah ihn kurz an und sagte dann beißend: „Bevor ich Ihnen das erzähle, wüsste ich gern, ob ein enger Freund oder eine Geliebte von Ihnen dort arbeitet.“

Saul blickte ihn nur schweigend und durchdringend an, und aus irgendeinem Grund wurde Sir Alex dadurch verunsichert.

„In Ordnung“, stellte er fest, obwohl Saul kein Wort gesagt hatte. „Carey Chemicals ist eine Arzneifirma, obwohl sie in den letzten zehn, zwanzig Jahren nichts produziert hat, was wirklich Gewinn abwarf. Die Witwe, die das Geschäft geerbt hat, wird bestimmt verkaufen wollen.“

„Und Sie wollen kaufen.“

„Zu einem ansprechenden Preis.“

„Wieso?“, fragte Saul nach.

„Weil mir ein kleiner Vogel zugetragen hat, dass die Regierung vorhat, den britischen Arzneifirmen großzügige, wirklich sehr großzügige Anreize zu bieten, wenn sie auf dem Arzneimittelmarkt Forschungen betreiben. Als Gegenleistung verpflichten die Hersteller sich, falls ein marktfähiges Medikament entwickelt wird, das öffentliche Gesundheitswesen zu einem geringeren als dem Marktpreis zu beliefern.“

„Und damit nehmen sie dem Unternehmen einen möglichen Gewinn aus dem neuen Produkt wieder weg“, fügte Saul spöttisch hinzu.

„Tja, es bliebe immer noch der Gewinn aus den Exporten“, stellte Sir Alex richtig. „Aber im Grunde haben Sie recht.“

„Weshalb also sind Sie interessiert?“, hakte Saul nach.

„Weil die Regierung ihr Geld nicht zurückverlangen kann, wenn trotz Forschung kein Medikament entwickelt wird, das auf dem Markt Bestand haben könnte.“

„Ah, jetzt fange ich an zu verstehen“, sagte Saul. „Sie kaufen das Unternehmen, gründen etwas, das nach außen hin wie eine richtige Forschungsabteilung aussieht, und bekommen eine großzügige Unterstützung von der Regierung. Aber wie wir wissen, kann ein guter Buchhalter große, wenn nicht riesige Summen verlieren, wenn er sie von einer Gesellschaft auf eine andere überträgt. Wenn schließlich die Forschung kein Ergebnis bringt, dann …“

Sir Alex lächelte ihn an.

„Es erleichtert mich zu sehen, dass Ihr kürzlicher Anfall von Gewissen und Freundschaft Ihren Verstand nicht vollständig vergiftet hat, Saul. Es gibt noch ein, zwei andere Unternehmen, die eine nähere Untersuchung wert wären, aber keines ist so perfekt für unseren Zweck wie Carey. Das Unternehmen ist so hilflos wie ein Lamm, und ohne unsere Unterstützung könnte es leicht den bösen Wölfen zum Opfer fallen.“

„Und Sie möchten, dass ich herausfinde, wie hilflos dieses Lamm ist, und wie günstig wir es erwerben können.“

„Ja. Sie sollen unser Wolf im Schafspelz sein. Für diese Rolle sind Sie bestens geeignet.“

Ein Wolf? überlegte Saul bitter. Sah Sir Alex in ihm wirklich das Raubtier, das die Angst und blinde Panik genoss, die es bei anderen auslöste?

Während er mit dem Aufzug in die Eingangshalle hinunterfuhr, fiel ihm eine Zeile aus einem Gedicht von Byron ein: Die Assyrer fielen über sie her wie ein Wolf über die Herde.

Die Worte und auch die Bilder, die sie in ihm erweckten, beunruhigten Saul. Er hatte in letzter Zeit viel zu oft unter solchen Störungen gelitten. Diese Anfälle von schlechtem Gewissen waren für ihn absolut ungewöhnlich.

Oder war es eher Widerwillen? Der Gedanke kam ihm nur kurz, und er verdrängte ihn rasch wieder. Er hatte Arbeit zu erledigen.

Die Empfangsdame sah ihn an, als er an ihrem Schreibtisch vorüberging. Innerlich stöhnte sie auf. Er war einer der erotischsten Männer, die ihr je begegnet waren. Alle weiblichen Angestellten der Davidson Corporation fanden das, und dennoch zeigte er nie Interesse an einer von ihnen. Ihn umgab eine strenge und kühle Art, die ihn nur noch anziehender machte.

Er war sicher ein guter Liebhaber, das konnte man an der Art erkennen, wie er sich bewegte. Die Empfangsdame fragte sich, ob seine Körperhaare genauso dunkel und dicht wie die auf seinem Kopf waren.

Seine Augen besaßen einen außergewöhnlich blassen Blauton, und sein Gesicht wirkte so kräftig und kantig wie sein Körper. Er strahlte einen Hunger, eine Energie aus. Es war fast wie eine Wut, die bei Frauen einen Hauch von sexueller Erregung auslöste.

Saul ging aus dem Gebäude hinaus in den sonnigen Frühsommertag. Cheshire. Dort lebte seine Schwester Christie.

Vielleicht war es an der Zeit, sie zu besuchen.

Er würde sie heute Abend anrufen. Auch Karen musste er anrufen. Es war mehr als fünf Wochen her, dass er seine Kinder das letzte Mal gesehen hatte. Seinen letzten geplanten Besuch hatte er wieder absagen müssen. Unwillkürlich runzelte er die Stirn und verspannte sich. Es war zweifelhaft, ob seiner Tochter oder seinem Sohn etwas daran lag, ihn zu sehen. Aber Saul lag sehr viel daran. Sie waren immerhin seine Kinder. Er konnte sich noch gut an seinen Vater erinnern, und wie nahe sie sich gestanden hatten.

Viel zu nahe, hatte Christie ihm einmal gesagt. Er hatte ihr vorgeworfen, eifersüchtig zu sein, und sie hatte ihn nur ausgelacht. Sie hatten eine aufreibende Beziehung zueinander gehabt. Einerseits ähnelten sie sich in vieler Hinsicht, aber auf der anderen Seite hatten sie sehr unterschiedliche Ansichten vom Leben.

Wieder kam es ihm vor, als leide er unter einer seltsamen Krankheit, die sein ganzes Leben durcheinanderbrachte und ihn verwirrte. Dabei hatte er in seinem Leben die Ziele immer so klar und deutlich vor sich gesehen. Und er hatte sie schließlich auch erreicht. Er hatte Erfolg und das Versprechen an seinen Vater erfüllt. Wieso also fühlte er sich so leer und ängstlich, als habe er etwas versäumt? Weshalb zögerte er, nach dem Preis der Arbeit zu greifen, der jetzt so nahe lag?

In ein paar Jahren würde Sir Alex sich zurückziehen, und Saul würde seinen Platz übernehmen. Darauf hatte er hingearbeitet, das hatte er seinem Vater versprochen.

Aber war es auch das, was er selbst wollte? Er unterdrückte einen Fluch. Wieso um alles in der Welt bekam er ausgerechnet jetzt einen Anfall von Sinnkrise in seinem Leben?

Saul ging die Straße entlang, mischte sich unter Leute, ohne ein Teil der Menge zu werden oder in der Menge unterzugehen. Zu dieser Sorte Mensch gehörte er nicht. Seine Umwelt, seine Partner und Kollegen beneideten ihn, das wusste er. Und wieso auch nicht? Er wurde in der Presse gelobt, sein Sachverstand und seine Einfalle wurden bewundert. In den Jahren, die er jetzt für Sir Alex arbeitete, hatte er die Gesellschaft an die Spitze der Konkurrenz geführt.

Während Sir Alex der Unternehmer vom alten Stil war, fast eine Art Pirat, war Saul der Vermittler, der Mann, der durch sein Verhandlungsgeschick aus Sir Alex’ Firma das gemacht hatte, was sie heute war.

Durch Saul war das Wachstum des Unternehmens geplant und kontrolliert worden. Als das Land wirtschaftlich einen Abschwung erlebte, war Saul darauf vorbereitet gewesen. Er hatte nach vorn gesehen, und welche Richtung er auch einschlug, die anderen folgten ihm.

Er war ein Pionier, der bewundert und beneidet wurde. Und jetzt warf er buchstäblich alles weg, brach seine eigenen Grundsätze, die er von seinem Vater übernommen hatte.

Den Grund, aus dem heraus er Dan Harper gewarnt hatte, dass Sir Alex ihn aufkaufen wolle, konnte er sich selbst nicht erklären. Sie waren Freunde, das stimmte, doch nicht sehr enge. Saul ließ es nicht zu, dass irgendjemand nahe an ihn herankam. Nicht mehr.

Weder Männer noch Frauen. Seit dem Scheitern seiner Ehe hatte es Frauen gegeben. Unauffällige kontrollierte Affären, die keinem wehtaten. Und keinesfalls hatte er eine Beziehung mit Dans Frau gehabt, egal, was Sir Alex gesagt hatte.

Im Moment gab es niemanden, aber er hatte die Fähigkeit, Sex aus seinem Leben zu streichen, wenn es ihm notwendig erschien. Er hatte sich nie von seinem Trieb mitreißen, geschweige denn, überwältigen lassen.

Manchmal, wenn er sah, wie ein Konkurrent gierig das Essen herunterschlang, für das Saul bezahlte, und die Vorteile auskostete, die die Verbindung mit Saul ihm einbrachte, dann verspürte Saul eine Art Abscheu über diese Gier, diese übermäßige Verschwendung, wenn so viele andere zu wenig hatten.

Das ist das schottische Blut in mir, sagte er sich. All die Jahre der religiösen Entsagung und des strengen moralischen Lebens.

Sir Alex testete ihn, das wusste Saul. Manchmal war es lächerlich einfach, seinen Chef zu durchschauen, selbst wenn Sir Alex sich wie ein Meister der Verstellung vorkam.

Normalerweise hätte er niemals Saul mit so einer alltäglichen Aufgabe betraut. Dafür gab es Agenten, die angestellt wurden, damit der Name der Firma nicht bekannt wurde, solange der Kauf noch nicht ausgehandelt war.

Sein Magen verkrampfte sich. Er war jetzt vierzig und körperlich gesünder als viele Männer mit fünfundzwanzig. Kein graues Haar wuchs auf seinem Kopf, und dennoch kam er sich manchmal unglaublich alt vor. Geschieden, irgendwie vom wirklichen Leben getrennt, ganz allein und vom Rest der Menschheit entfremdet.

Es gab andere Zeiten, da wurde er wütend, als habe man ihn um irgendetwas betrogen, obwohl er nicht hätte sagen können, was ihm fehlte.

Aus welchem Grund hatte er Dan vor der Übernahme gewarnt? Wieso war es ihm so verabscheuungswürdig vorgekommen, diese kleine altmodische Gesellschaft zu zerstören, die sich seit fünf Generationen im Familienbesitz befand? Schließlich hatte er dasselbe auch vorher schon ohne Gewissensbisse getan. Warum also gerade jetzt, wo Sir Alex ihm praktisch versprochen hatte, dass er sich bald zurückziehen und Saul zu seinem Nachfolger erklären würde?

Er konnte den Boden noch wiedergewinnen, den er verloren hatte. Das hatte er aus Sir Alex’ Rede herausgehört.

Weswegen bloß hatte er diesen unbändigen Drang verspürt, sich umzudrehen und nichts mehr mit Sir Alex und seiner eigenen Zukunft zu tun zu haben?

Tief in ihm steckte eine rasende Wut, das erkannte er jetzt, und damit verbunden war die Angst, dass diese Wut stärker als seine Selbstbeherrschung war. Auf seine Beherrschung war Saul stolz. Sie war immer seine stärkste Waffe gewesen, doch jetzt drohte sie ihn zu verlassen.

Cheshire. Was für ein seltsames Spiel spielte Sir Alex, indem er ihn dorthin schickte? Er liebte es, die Leute zu dirigieren und nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Saul hatte sich nie so behandeln lassen. Auch wenn er für Sir Alex arbeitete, so hatte er immer deutlich gemacht, dass er sich nicht unterordnen würde. Sir Alex war ein Mensch, der nur die Leute respektieren konnte, die sich ihm nicht fügten.

Was genau hatte er bloß vor? Wollte er diese Arzneifirma nur zum geringstmöglichen Preis aufkaufen und schickte deshalb Saul nach Cheshire, oder gab es da noch andere Gründe?

Saul fragte sich, ob er wie einer seiner Vorgänger bei seiner Rückkehr nach London jemand anderen auf seinem Platz vorfinden würde. Und wenn ja, würde es ihm etwas ausmachen? War ihm überhaupt noch etwas wichtig? Meine Kinder bedeuten mir etwas, stellte er fest. Es machte ihm etwas aus, dass sie ihn ablehnten, dass ihnen mehr an materiellen Dingen lag. War er selbst auch einmal so gewesen? Josey war fünfzehn und Thomas fast dreizehn. Sie waren sehr unterschiedlich im Charakter, genau wie er und Christie damals. Vor beinahe zehn Jahren hatten Karen und er sich getrennt, und seine Kinder kamen ihm wie Fremde vor. Er hatte in diesen zehn Jahren sehr viel gearbeitet. War er zu beschäftigt gewesen, um sich um seine Kinder zu kümmern?

Der Gedanke tat ihm weh und ließ ihn nicht los. Erst seit kurzer Zeit stellte er sich Fragen, viel zu viele Fragen, die er nicht beantworten konnte. Und weswegen? Weil er eines Morgens aufgewacht war und ihm beim Gedanken an sich und sein Leben übel geworden war. Wieso fühlte er sich so? Er hatte immer seine eigenen Entscheidungen getroffen, war seine eigenen Wege gegangen.

Aus der Erinnerung hörte er Christies Stimme, die vor Aufregung heiser klang. Ihr junges Gesicht war damals rot vor Zorn und Verachtung gewesen. „Du tust nichts für dich selbst, Saul. Oder? Du handelst nur, um es Daddy recht zu machen. Und deshalb bist du auch sein Liebling.“

Er hatte über sie gelacht und war auf ihren Ausbruch nicht eingegangen. Er war ein Junge, und deshalb war es nur natürlich, dass er seinem Vater näherstand und sein Liebling war. So hatte er damals gedacht.

Christie. Schon damals war sie voller Leidenschaft und Freiheitsdrang gewesen. Seit jeher war sie bemüht gewesen, ihr Leben nur ganz allein zu bestimmen.

Und sie hatte sich seitdem nicht geändert.

Das bedeutete nicht, dass die Geschwister sich oft sahen. Er hatte sie ein paarmal besucht, seit sie nach Cheshire gezogen war. Diese Besuche waren immer katastrophal verlaufen, wenn seine

Kinder sich nach langem Zögern bereitgefunden hatten, mit ihm mitzukommen.

Christie hatte als viel beschäftigte praktische Ärztin nicht viel Zeit, um sich mit ihnen zu beschäftigen, und Josey hatte ganz offen ihre Verachtung über das unordentliche Zuhause ihrer Tante gezeigt. Sie regte sich darüber auf, dass die Mahlzeiten hin und wieder in der Küche stattfanden, dass Christie fast nie geschminkt war und im Gegensatz zu Joseys Mutter niemals Designerkleidung trug.

Das Einzige, was Josey an Christie gefiel, war die Tatsache, dass sie eine alleinerziehende Mutter war. Es hatte Saul überrascht, wie sehr ihn das verletzte. Du hast viel wichtigere Dinge, über die du nachdenken musst, als das Verhältnis zu deiner Tochter, sagte ihm eine innere Stimme, doch eine andere fragte ihn, was wichtiger als die eigenen Kinder sein konnte. Kaum wurde ihm die Bedeutung der eigenen Gedanken klar, da blieb er reglos mitten auf der Straße stehen, ohne auf die befremdlichen Blicke der Passanten zu achten.

Aber worüber soll ich denn nachdenken? fragte er sich ungeduldig und runzelte unwirsch die Stirn. Der Widerspruch zwischen dem, was er meinte, fühlen zu müssen, und dem, was er tatsächlich fühlte, machte ihm zu schaffen. Das passte überhaupt nicht zu ihm.

„Du darfst dich nicht ablenken lassen, wenn du Erfolg haben willst, Saul.“ Das hatte sein Vater ihm immer gesagt. Dabei war sein Gesicht stets von der Enttäuschung vom eigenen Leben überschattet gewesen. Er selbst hatte seine Ziele im Leben nicht erreichen können.

Das Schicksal hatte es mit Sauls Vater nicht gut gemeint. Aber zu ihm war es gut gewesen, dafür hatte er gesorgt. Jedenfalls war er davon bis vor kurzer Zeit noch überzeugt gewesen.

3. KAPITEL

„Davina, ich weiß, dass du beschäftigt bist, aber hättest du vielleicht eine halbe Stunde Zeit, bevor du nach Hause gehst?“

Davina zwang sich zu lächeln. „Natürlich, Giles. Passt es dir um fünf Uhr?“

Sobald er die Bürotür hinter sich geschlossen hatte, verschwand das Lächeln von ihrem Gesicht. Sie konnte ihm keine Schuld geben. Die Firma stand am Rand des Bankrotts, und Davina wusste, dass Giles nur noch blieb, weil er zu höflich und zu warmherzig war, um sie völlig im Stich zu lassen.

Und auch, weil er sie liebte?

Sie riss sich zusammen und weigerte sich, diesem Gedanken nachzugehen.

Schon immer hatte sie Giles gemocht, aber erst seit Gregorys Tod hatte sie gemerkt, dass er möglicherweise mehr für sie empfand. Es verstörte sie, dass sie vielleicht unbeabsichtigt diese Gefühle genutzt hatte, als sie Giles bat, in der Firma zu bleiben und ihr durch die schwere Zeit nach Gregorys Tod zu helfen.

Das hatte sie nicht gewollt. Im Grunde war reine Panik der Grund gewesen, die Panik nach der Entdeckung, dass die Firma ihres Vaters kein erfolgreiches Unternehmen war, wie sie dummerweise geglaubt hatte, sondern kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stand. Das hatte sie in vieler Hinsicht stärker schockiert als Gregorys Tod.

Giles hatte sie getröstet und gesagt, sie müsse sich keine Vorwürfe machen, weil sie die Situation der Firma nicht früher erkannt habe. Es stimmte, Gregory und vorher auch schon ihr Vater hatten es nie zugelassen, dass sie irgendetwas mit der Firma zu tun hatte.

Doch jetzt blieb ihr keine andere Wahl. Carey Chemicals war der größte Arbeitgeber in der Umgebung. Wenn das Unternehmen schließen und die Arbeiter entlassen würde, würden viele Menschen der Gegend unter Armut zu leiden haben. Das konnte Davina nicht geschehen lassen.

Vorsichtig hatte Giles ihr erklärt, dass ihr möglicherweise nichts anderes übrig blieb. Widerwillig hatte er zugegeben, dass er auch Gregory schon ein paarmal gewarnt hatte, dass sie Vorsorge für die Zeit treffen müssten, wenn das wichtigste Patent der Firma auslief.

Gregory hatte sich geweigert zuzuhören. Er war von seinen eigenen Zielen besessen gewesen, und die hatten nichts mit der für die Entwicklung neuer Medikamente notwendigen Zeit und Sorgfalt zu tun.

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