Sprjewja - Majka Stock - E-Book

Sprjewja E-Book

Majka Stock

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Beschreibung

Stell dir vor, die Welt, so wie wir sie kennen existiert nicht mehr. Durch das rücksichtslose Verhalten der Menschen gegenüber ihrer Umwelt, lassen finstere Mächte ganze Kontinente verschwinden. Lediglich sieben kleine Erdteile bleiben den Menschen. Sieben sterbliche Engel kämpfen um das Überleben der darauf Übriggebliebenen. Vega wird als solch ein Engel auf einem dieser Erdteile, in Sprjewja, wiedergeboren. Sie gilt als die Unerfahrenste von allen. Eigensinnig stellt sie sich ihren Aufgaben und kämpft gegen Dämonen und finstere Gestalten der Hölle. Als sie Kito das Leben rettet, ist sie fasziniert von ihm. Doch etwas Finsteres umgibt ihn. Er wird wütend als er erfährt, dass Vega ihm etwas verschweigt. Mit der Gewissheit, dass er sich dem Bösen zugewandt hat, ist Vega fest entschlossen ihn zurück zu holen. Dabei riskiert sie nicht nur ihr eigenes Leben.

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Seitenzahl: 386

Veröffentlichungsjahr: 2021

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An meinen Mann

Du hast mir die Zeit verschafft nach Sprjewja abzutauchen.

An meine Kinder

Ihr habt mir diese Zeit hin und wieder genommen. Die beste Ablenkung, die ich mir vorstellen kann.

An meine Mama

Für dich ist Fantasy „so ein Quatsch“. Doch du hast dich tapfer durchgeschlagen. Du hast mich in allem unterstützt und mir so viel geholfen, meinen Traum wahr werden zu lassen. Danke!

INHALT

KLEINES WÖRTERBUCH

SPRJEWJA - Blutmond

Neue Welt

Aufgabe

Ein ganz normaler Tag

Freunde

Begegnung

Bauchgefühl

Aufgelöst

Geschichte

Ein Gast

Wächter

Vorbereitungen

Herbstfest

Verrat

Heilung

Reue

Gelungene Ablenkung

Einladung

Unterwelt

Aufstieg

Das Bild

DIE SORBEN/WENDEN

Kleines Wörterbuch

Im Buch

Korrekte Schreibweise

Sprjewja

Sprjewja

Aus dem Niedersorbischen; Spree, bedeutendster und langer Fluss im Osten Deutschlands

Hazow

Hažow

Aus dem Niedersorbischen; Haasow, Dorf in der Niederlausitz, Ortsteil der Gemeinde Neuhausen/ Spree im brandenburgischen Landkreis Spree-Neiße

Barbuk

Barbuk

[barbuk]

[barbuk]

Aus dem Niedersorbischen; Bärenbrück, Dorf in der Niederlausitz, Ortsteil der Gemeinde Teichland im brandenburgischen Landkreis Spree-Neiße

Kopance

Kopańce

Aus dem Niedersorbischen; Neuhausen/Spree, Gemeinde im Landkreis Spree-Neiße in Brandenburg

Bela Woda

Běła Wóda

Aus dem Niedersorbischen; Weißwasser, Große Kreisstadt im Nordosten im Freistaat Sachsen

Borkowy

Bórkowy

Aus dem Niedersorbischen; Burg (Spreewald), Gemeinde im Landkreis Spree-Neiße im Osten von Brandenburg

Lubin

Lubin

[lubin]

[lubin]

Aus dem Niedersorbischen; Lübben, Kreisstadt des Landkreises Dahme-Spreewald in der Niederlausitz im Land Brandenburg

Skitar/ka

Škitar/ka

[skitar/ka]

Aus dem Obersorbischen; Wächter/in, Verteidiger/in

Carny (Skitar)

carny (škitar)

Aus dem Obersorbischen; schwarz

wjelika murja

wjelika murja

Aus dem Niedersorbischen; große Mauer

smojta murja

śmojta murja

Aus dem Niedersorbischen; finstere Mauer

Mudeera

[mu:de:ra]

Kunstwort, Mönchähnlich, gläubige Helfer

Neue Welt

Bevor der Mensch geboren wurde, war die Welt heil. Das Wasser war klar und der Regen rein. Kontinente drifteten einst in verschiedene Richtungen, bis sie sich kaum noch regten. Flora und Fauna gediehen und entwickelten sich so schnell wie nie. Insekten tummelten sich überall auf den Wiesen. In den Wäldern sprangen Tiere umher. Am blauen Himmel zogen Vögel um die Welt. Glasklare Flüsse entsprangen aus Quellen und mündeten in die Weltmeere, welche die Schönheit der Sonne widerspiegelten.

Die Sommer waren warm, die Winter kalt. Der Schnee war rein und leuchtete hell. Der Herbst erstrahlte in bunten Farben und der Frühling erweckte die schlafende Natur mit milden Temperaturen.

Doch dann kam der Mensch. Zunächst lebte er gemeinsam mit der Welt. Sein Streben nach Wissen war groß. Sein Drang nach schneller Entwicklung überforderte diesen schönen Planeten. Unachtsam und egoistisch entfaltete er sich, ohne Rücksicht auf die Natur der Erde zu nehmen. Zu spät erst erkannten die Menschen, welch Unheil sie angerichtet hatten.

Der Himmel war nun immer grau und die Luft war voller Staub und Gift. Tiere und Insekten starben. Pflanzen konnten sich nicht mehr entfalten und verdorrten. Frühling und Herbst verschwanden, während Sommer und Winter um Rekordtemperaturen rangen. Fast täglich ereigneten sich verheerende Naturkatastrophen. Während die Pole schmolzen, trockneten die Flüsse aus. Weltmeere erstickten im Müll. Als die Menschen unterirdische Deponien errichteten, weil sie nicht mehr wussten, wohin mit ihrem ganzen Abfall, verseuchten sie das Grundwasser. Sie erstickten in ihrem eigenen Dreck.

Gerade, als der Mensch am schwächsten war, entfaltete der Teufel eine große Macht. Er saugte die Schwächen der Menschen förmlich auf und wurde dabei selbst immer stärker. Schon seit Jahrhunderten hatte er geplant, auf der Erde die Herrschaft zu übernehmen. Nun endlich war er stark genug dafür. Er vermochte nun die Giganten zu befreien und auf die Menschen loszulassen. Diese riesigen Monster konnten mit ihren zerstörerischen Kräften Naturkatastrophen erzeugen, die alles Leben ausradieren würden. Der Teufel wusste über die Macht des Wetters. Welches Unheil Hagel und Sturm anrichten konnten, wenn sie nur stark genug waren. Welche Kälte das ewige Eis hervorrufen konnte oder in welch tiefe Finsternis die Erde versinken konnte, wenn man die Giganten nur freilassen würde. Sie zerstörten alles und hinterließen grausige Spuren.

Mit ihren Kräften fingen sie an, Erdmassen und Kontinentalplatten zu verrücken und in Bewegung zu versetzen. Einige Platten schoben sich übereinander, andere versanken im Dreck der Meere. Bis schließlich nur noch eine Platte rund um Europa übrig war.

Gerade als Eurymedon, der König der Giganten, dem letzten verbleibenden Flecken Erde einen finalen Schlag versetzte und diesen in sieben Teile spaltete, ertrugen die Götter das Elend der Menschen nicht mehr.

„Raus hier! Schnell!“

„Los, beeilt euch, hier bricht gleich alles zusammen!“

Diesem Inferno zu entkommen, schien aussichtslos. Dennoch versuchten einige Feuerwehrleute, Polizisten und Ärzte inmitten des Chaos, den Menschen zu helfen. Sie retteten sie aus ihren Häusern und brachten sie in völlig überfüllte Notunterkünfte. Sie versorgten die Wunden der erschöpften Menschen und konnten sich selbst kaum noch auf den Beinen halten.

Die Dunkelheit und der Verlust der Energieversorgung machten allen das Leben oder auch Überleben schwer. Viele kauerten zitternd vor Angst auf dem Boden oder lehnten erschöpft an den Mauern, die noch stehen geblieben waren. Die meisten Menschen aber weinten. Nicht nur aus Angst, einem Giganten zu begegnen, oder aus Angst um ihr Leben, sondern aus Angst um ihre Angehörigen. Sie hatten ihre Kinder oder ihre Eltern verloren, sie konnten ihre engste Familie nicht wiederfinden oder wussten, dass sie ihre Liebsten nie wiedersehen werden.

Und wieder begann der Boden unter ihnen zu schwanken. Erst nur leicht. Aber alle wussten, was das bedeuten würde. Es wurde still. Wieder vibrierte es unter ihren Füßen. Doch dieses Mal hörte es nicht auf. Es wurde stärker.

„Ein Erdbeben!“, brüllte ein Mann. Er klang fast ein wenig erleichtert.

„Sie kommen trotzdem!“, entgegnete ihm eine alte Frau mit der Kraft, die ihr noch zur Verfügung stand. „Die Giganten kommen trotzdem! Sie werden uns alle vernichten. Wie viele haben es vorhergesagt? Wie viele haben uns gewarnt? Aber niemand hat zugehört. Wir haben einfach nicht auf unseren Planeten geachtet. Das ist sie nun. Unsere Strafe. Wir können nur noch beten und hoffen, dass uns noch irgendjemand da draußen helfen kann. Hoffentlich sieht nicht die ganze Welt so aus.“

Die alte Frau starrte den Mann eine Weile an, der inzwischen verstummt war. Dann sah sie nach oben in den Dreck. Dahinter vermutete sie wohl den Himmel, den sie vor ein paar Tagen noch hatte sehen können. Sie schloss die Augen. Dann begann der Boden unter ihren Füßen so sehr zu rütteln, dass sie sich nicht mehr halten konnte und zu Boden fiel.

Wieder übertönten gellende Schreie und Hilferufe den Tumult, als die Erde aufriss und sich an den Bruchstellen tiefe Krater auftaten. Familien versuchten verzweifelt zusammenzubleiben. An den Riefen entlang flohen die Menschen, so schnell und weit es ihnen noch möglich war, panisch in unterschiedliche Richtungen.

Das Land zerklüftete immer mehr, bis es von riesigen Schluchten durchzogen war und einzelne Landstriche unüberwindbar voneinander getrennt wurden. An anderen Stellen wiederum wurden Gesteine aus der Erde herausgeschleudert und türmten sich zu hohen Gebilden auf. Unbekannte Elemente aus den Tiefen der Erde drangen zum ersten Mal an die Oberfläche.

Die alte Frau lag noch immer voller Furcht am Boden und schützte mit den Armen ihren Kopf. Sie kniff ihre Augen zusammen und murmelte ein Gebet, denn sie konnte das grauenvolle Heulen und die leiderfüllten Schreie nicht mehr ertragen. Sie fürchtete sich vor dem Ende der Menschheit.

Die Giganten wurden immer eifriger und ließen die Erde spüren, wozu sie im Stande waren. So schickten sie einen immer stärker werdenden Regen. Immer härter schlugen die Tropfen auf den Boden auf, wurden zu Hagelkörnern, die alles zerstörten.

Man sah die Körner nicht kommen, denn der Dunst und der Dreck in der Luft hatten die Erde schon lange verdunkelt. Tag und Nacht ließen sich nur noch schwer voneinander unterscheiden. Und nun sah man die Hagelkörner kaum, bevor man sie zu spüren bekam.

So viele Schreie verstummten. So viele Menschen verschwanden. So viele Tränen trockneten sofort in der heißen Luft. Flammen schienen sich auf den restlichen Teilen der Erde zu verbreiten, obwohl schon die Fluten fast den gesamten Planeten verschlungen hatten. Die dunklen Rauchwolken wurden von Stürmen mitgerissen und ließen kaum noch einen Funken Licht hindurch. Blitze waren die einzigen Lichtquellen, in denen sich manchmal die Umrisse der Giganten zeigten. Mit kräftigem Getose und Gedonner folgten sie weiter dem Befehl des Teufels, auf die Erdoberfläche einzuschlagen und sie zu zerstören.

Die alte Frau bewegte sich kaum noch. Nur ihre Lippen schienen wieder und wieder das Gebet zu wiederholen. Ihre Augen fielen ihr zu, denn sie hatte keine Kraft mehr, sie offenzuhalten. Die Arme schützten immer noch ihren Kopf, doch sie lagen nur noch kraftlos da.

Zwischen den Hagelkörnern, die vor ihr auf die Erde prasselten, leuchtete es plötzlich hier und da blau auf. Winzige kleine Flämmchen lösten sich wie der Regen und der Hagel aus dem Dunst über den Köpfen der Menschen und fielen zur Erde. Sie wurden vom Boden aufgenommen und drangen tief in ihn hinein. Es wurden immer mehr Flämmchen, die schon bald von überall deutlich zu erkennen waren.

Als sich das Dunkel um sie herum allmählich lichtete, öffnete die alte Frau ihre Augen ein paar Millimeter. Sie streckte ihre Hand in den blauen Regen, als ob sie ahnte, dass er sie nicht verbrennen würde. Als die ersten Flämmchen auf ihre Haut trafen, fing sie an zu lächeln. Eine kleine Träne lief ihr übers Gesicht und tropfte auf den Boden. Danach schloss sie für immer die Augen.

Plötzlich brach die dunkle Decke auf und verdunstete in einem Radius von mindestens zehn Kilometern. In diesem wenn auch kleinen Kreis konnte man den Himmel sehen. Einen klaren und blauen Himmel, der so hell war, dass alle geblendet waren. Und doch mochte niemand wegschauen, denn etwas so Schönes hatte es seit langer Zeit nicht gegeben.

Doch nicht nur Licht, sondern auch Hoffnung schien durch die Öffnung zu strömen. Und mit ihr fielen sieben Gestalten vom Himmel hinab.

Zunächst fielen sie bewegungslos wie Steine in Richtung Erdoberfläche. Doch kurz vor dem Aufprall entfalteten die menschenähnlichen Gestalten riesige Flügel, die aus tausenden feinen Federn zusammengesetzt schienen. Einige Flügel schimmerten weiß. Andere aber auch schwarz. Mit unnatürlicher Geschwindigkeit flogen sie über das Land und verschafften sich einen Überblick über das Ausmaß der Katastrophe. Am wahrscheinlich höchsten Punkt der Erde versammelten sie sich dann.

Man konnte sie dort eine Weile beobachten, ehe sie sich wieder in die Luft begaben und in verschiedene Richtungen davonflogen. Jeder von ihnen wollte sich den Giganten stellen.

Auch wenn die Bestien mindestens sieben Mal so groß waren wie sie selbst, traten sie ihnen furchtlos und vollen Mutes entgegen. Aus ihren Körpern strömten jene blauen Flammen, die auch mit dem Regen hinabgekommen waren. Aber jetzt waren sie weitaus größer und mächtiger. Wie Kanonenkugeln feuerten die gefiederten Gestalten sie ab und beschossen damit die mächtigen Körper ihrer Gegner. Diese zeigten sich zunächst wenig beeindruckt davon, wurden aber immerhin abgelenkt.

Immer mehr blaue Feuerbälle feuerten die Engel auf die nun wütenden Monster, die keine Lust hatten, sich von ihrem Zerstörungswerk abbringen zu lassen. Doch als sich die Giganten schließlich den Gefiederten zuwandten und sie verfolgen wollten, hielten die Engelswesen inne. Sie schwebten nun oben am Himmel, noch gerade außer Reichweite der Giganten.

Die Engel schlossen ihre Augen und konzentrierten ihre Macht. Sie konzentrierten in sich das Feuer, welches in ihren Körpern loderte. Auch der blaue Feuerregen wurde durch ihre Macht von der Erde abgelenkt und von ihnen angezogen. Nun schlugen sie ihre Hände vor sich zusammen und jeder von ihnen entfachte eine eigene Kugel aus den Flammen des Engelsfeuers.

Während unter ihnen die Giganten tobten und mit ihren Kräften das Unheil für die Welt auf die Gefiederten zu lenken begannen, blieben diese ruhig und konzentriert. Aus den blau schimmernden und flackernden Kugeln schufen die Gefiederten nun ihre eigenen Wesen. Einer nach dem anderen schien den Flammen Leben einzuhauchen.

Ein paar von ihnen feuerten die Kugeln mit aller Kraft auf die Erde, die hart auf der Oberfläche einschlugen. Das lenkte die Giganten kurz ab. So konnten die Gefiederten mit den wieder freien Händen anfangen neues Engelsfeuer als Waffe zu nutzen und nach den Riesen zu werfen.

Währenddessen entfalteten sich aus den Kratern hinter den Giganten mächtige, blau leuchtende Kreaturen, deren flammende Körper den Dunst der Luft vertrieben und Licht ins Dunkel sandten.

Ein Drache, so groß wie ein ausgewachsener riesiger Baum, stieg mit langsamen Flügelschlägen in die Luft. Er bestand einzig aus den blauen Flammen des Engelsfeuers, der durch eine unsichtbare Kraft zusammengehalten wurde. So konnte man durch ihn hindurch sehen. Sein Kopf war groß und seine scharfen Zähne blitzten dem Feind entgegen. Mit seinem kräftigen Schwanz schlug er auf die Erde und stieß sich ab. An der Stelle, wo er den Boden berührt hatte, spross ein Baum und entfaltete sich im Glanz des Drachen.

Der Engel, der diese Kreatur geschaffen hatte, setzte sich auf seinen Rücken und gemeinsam begannen sie sich gegen die Erdmassen zu verteidigen, mit denen einer der Giganten auf sie losging. Mit seinen Krallen versuchte der Drache das Monster zu Boden zu reißen, während der Engel sein Feuer gegen ihn richtete.

Auch im Ozean schlug eine Feuerkugel auf. Durch das unruhige Wasser ließ sich ein blauer Schimmer erahnen, der sich schnell auf das Land zubewegte. Je weiter das Geschöpf an die Wasseroberfläche kam, desto deutlicher wurden seine Umrisse. Sie ähnelten einem Hai, waren aber so groß wie ein Blauwal. Das blau leuchtende Geschöpf sprang mit einem Satz aus dem Wasser. Noch in der Luft entwickelte es vier kräftige Beine und landete als monströse Echse auf den Klippen am Rande des Ozeans.

Auch sie reinigte die Luft und erhellte das Land mit ihrer leuchtenden Gestalt. Die Flächen, auf denen das Tier den Boden berührte, wurden fruchtbar. Sofort sprossen Keimlinge aus der Erde.

Die Echse raste in atemberaubendem Tempo über weite zerstörte Landstriche hinweg, während sich ihr Engel auf ihrem Rücken festkrallte. Auch sie waren auf dem Weg zu einem der Giganten. Wütend setzte sich dieser in Flammen und errichtete rund um sich herum eine Mauer aus Feuer. Doch das hielt den Gefiederten mit seiner Kreatur nicht auf. Mit Engelsfeuer beschoss er die Flammen des Giganten, welche sich daraufhin in blau schimmerndem Nebel auflösten, den die Echse einsog. Sie spie diesen Nebel in einem solch wuchtigen Strahl auf den Giganten, dass dieser Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten.

Ein anderer Engel behielt die flammende Kugel in seinen Händen und formte damit einen Blitz in Richtung Erde. Doch trafen die Flammen nicht die Oberfläche, sondern verwandelten sich in stahlharte Ketten aus blauen Fackeln. Der Engel wirbelte sie durch die Luft und stürzte sich damit auf einen anderen der Giganten. Wie Peitschenhiebe schmetterte er die brennenden Ketten auf das Ungetüm. Voller Zorn begann sich der Gigant um seine eigene Achse zu drehen und entfachte so einen Wirbelsturm.

Mit seinen Ketten wirbelte der Engel nun genau in die entgegengesetzte Richtung. Auch er entfachte einen mächtigen Luftstrudel, der sich einem Tornado gleich senkrecht in die Lüfte schraubte. Mit seinen Flügelschlägen verstärkte er den Wind in dem blau schimmernden Wirbel. Dann griff er das Monster an und drückte seinen Körper gegen die Sturmsäule des Giganten. Auch er hinterließ statt wüstem Boden eine saftige grüne Landschaft.

Auf einem Berg, der gerade erst von einem der Giganten zusammengeschoben wurde, schlug ebenfalls eine blaue Feuerkugel ein. Einem Vulkanausbruch gleich wurden Millionen blauglühender Wespen aus der Kugel hinausgeschleudert, flogen in die Luft oder krabbelten den Berg hinunter und hinterließen frisches Grün.

Ein anderer Engel hielt plötzlich eine übergroße Sichel in der Hand. Mit ihrem blauen Glanz erstrahlte sie vor Kraft. Sie war mindestens zwei Mal so groß wie der Engel selbst und doch schien er sie mit großer Leichtigkeit gegen den Feind zu schwingen. Jede Bewegung hinterließ einen leuchtend blauen Nebel.

Diesen entfachte auch der letzte Engel mit seinem Engelsfeuer. Ein Nebel, der sich über das ganze übriggebliebene Land legte. Es wurde dadurch jedoch nicht in Dunkelheit, sondern in gleißendes Licht getaucht. So kämpften die Engel, jeder auf seine Art, gegen die Kreaturen, die der Teufel zur Vernichtung der Erde befreit hatte. Dabei bemerkten die Giganten nicht, dass sie immer weiter an die Ränder der Schluchten getrieben wurden, die tief ins Innere der Erde reichten. Immer noch geblendet von dem Nebel schlugen sie mit ihrer Macht wahllos um sich.

Die Engel hielten inne. Ihre Kreaturen hielten die Giganten an Ort und Stelle. Blitzschnell formierten sich die Gefiederten und umkreisten die Riesen. Sie fingen an, das Engelsfeuer aus ihren Körpern zu vereinen, und bündelten die Energiestrahlen von einem Engel zum nächsten, bis sie einen geschlossenen Kreis bildeten. Die dadurch frei gewordene Energie bildete eine Wand aus blau leuchtendem Staub.

Die Gefiederten flogen langsam in das Innere des Landes und umzingelten die Giganten in einem immer kleineren Radius. Die Giganten, noch immer geblendet, wurden weiter an den Rand der Schluchten zurückgedrängt, bis sie schließlich hineinstürzten und in ihren Tiefen versanken.

Der Nebel ließ nach. Die Engelskreaturen verpufften und hinterließen einen feinen blauen Staub. Die Engel hatten nun noch eine Aufgabe. Sie verfolgten die Giganten weit ins Innere der Erde und schlossen die Schluchten durch ein Schild mit der Macht des Engelsfeuers.

Als die sieben Engel ihre Aufgabe erfüllt hatten, sammelten sie sich wieder auf dem Gipfel, der nun die sieben Länder überragte. Der Dunst der Hölle löste sich langsam vor ihren Augen auf. Nach und nach konnte man das furchtbare Ausmaß der Katastrophe erkennen. Nur ein Teil der Menschen hatte überlebt. Sie würden nun mit allem von vorn beginnen.

Der Teufel hatte den Kampf von weitem beobachtet und stand mit düsterem Blick auf einem großen Schutthaufen. Als er die sieben Engel auf dem Berg entdeckte und in ihre Gesichter sah, erkannte er, dass er verloren hatte. Er fletschte die Zähne und sah zum Himmel. Er wusste nun um das Gleichgewicht, das die Götter hervorgebracht hatten. So eine Chance kam vielleicht nie wieder. Ihm war klar, dass die Hölle nun weiter im Tiefen, in der verborgenen Hitze blieb, während die Götter von oben schauten, umgeben von Licht.

Doch er wusste auch, würden die Engel auf der Erde bleiben, würde es weiterhin Portale zur Hölle geben, um eben genau dieses Gleichgewicht zwischen Gut und Böse zu bewahren. Sieben Portale, mit denen es die Möglichkeit gab, zwischen Erde und Hölle zu wandern. Sein Blick wurde finster, als ihm bewusst wurde, dass er allein keine Chance hatte, die Welt für sich zu gewinnen. Er brauchte göttliches Leben an seiner Seite, um den Ausgleich zwischen Gut und Böse zu überwinden. Doch andersrum ebenso. Wollte das Gute siegen, so benötigte es das Böse an seiner Seite.

So sah er ein letztes Mal zu den Sieben, die mit ihren großen, zum Himmel gerichteten Flügeln warnend vor ihm standen,

UND ER VERSCHWAND

Aufgabe

Ein wunderschöner Abend. Ein wunderschöner Platz, um den Anblick der untergehenden Sonne zu genießen. Ich saß auf dem Dach des Klosters. Das tat ich oft. Immer dann, wenn ich wieder diesen Traum hatte und nachdenken musste.

Langsam versank die Sonne hinter dem Wald am Ende des Tales. Sie wurde von den Steinen des Daches reflektiert, so dass der Abend heller wirkte, als er tatsächlich war. Die dunklen Gestalten der Bäume bewegten sich langsam im Takt des Windes. Die Blätter raschelten aneinander und ab und an löste sich eins vom Zweig und fiel langsam zu Boden. Die hellen Wolken schienen es eilig zu haben und zogen schnell weiter gen Osten. Dennoch ließ die Sonne noch genug ihrer prächtigen Farbe hindurchscheinen. Der Wind strich mir durch die Haare und sanft über meine Arme. Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Ich roch rein gar nichts. Außer der kühlen frischen Luft, die ich so intensiv ich nur konnte inhalierte. Das leise Flügelschlagen von Fledermäusen war zu hören. Ich liebte diese kleinen Biester. Sie hatten etwas Mystisches. Die symmetrische Form dieser glatten Flügel, mit den kleinen Krallen an den Enden, die Nase geformt wie die eines kleinen Schweinchens und unpassend dazu die riesigen Ohren. Niedlich. Als ich die Augen wieder öffnete, schien die Zeit davongerast. Die Sonne war nur noch zur Hälfte zu sehen. Im Sog von heißem Feuer schien sie zu versinken. Ihre feuerrote, orangene Farbe war so hell und klar, als wolle sie die Welt erneut in Flammen setzen. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es einmal ein flaches Land gewesen sein muss.

Von hier oben hatte ich einen wunderschönen Blick auf das ausgedehnte Tal, welches vom größten Fluss der Welt durchschnitten wurde. Es hieß, dass die Spree vor der Katastrophe ein gemächlich plätschernder schmaler Fluss gewesen war. Was das für Kräfte gewesen sein mussten, welche die Erde so stark erschüttert und zerklüftet hatte. Sie ließen wohl auch die Quellen der Spree so sehr anschwellen, dass sein Wasser über die Ufer trat. Und der Fluss, auf den ich nun schauen konnte, hatte sich in einen reißenden Strom verwandelt.

Ich hatte schon viele Legenden gehört, die von den Giganten erzählten. Wie viel Leid sie hinterließen, als sie die Erde verformten. Und wie wenig Land übriggeblieben war.

Aber die Legenden versprühten auch viel Hoffnung. Sie erzählten von der Begegnung der sieben Engel und den Menschen. Genau hier mussten sie gestanden haben. Ich konnte deren imposante Kraft noch förmlich spüren. Sie wandten sich an eine kleine Gruppe Menschen, welche aus der sogenannten Lausitzer Region kamen. Ausgerechnet an dieses kleine Völkchen, das eigentlich schon damals in Vergessenheit geraten war. Sie sprachen eine Sprache, die kaum einer verstand, und hatten Traditionen, die nirgendwo auf der Welt bekannt waren. Um sich besser zu verständigen, erlernten die Engel eben genau diese Sprache, das Sorbische.

So kam es, dass sich in der neuen Welt daraus die Sprache der Engel entwickelte.

Ich fand es schön, dass dieses bezaubernde Fleckchen Erde, welches sich gerade mit dem rötlichen Schimmer der Sonne schmückte, einen sorbischen Namen erhielt. Es wurde benannt nach dem nun mächtigsten Fluss:

Sprjewja.

Sprjewja war einer der sieben Erdteile und jeder Erdteil besaß ein Kloster, das zum Dank an die Engel errichtet war, um ihnen eine Herberge zu bieten. Unser Kloster war auf einem Felsvorsprung am Hang eines Berges oberhalb des kleinen Dorfes Hazow erbaut.

Diese großen und imposanten Mauern hielt ich ja für übertrieben. Aber sie gaben eben auch jenen einen guten Schutz, die das Land bewachen würden. Das Oberhaupt eines solchen Klosters war immer ein Skitar oder eine Skitarka, die von Anfang an als Verteidiger oder auch Beschützer der Engel galten. Ganz ehrlich dachte ich immer, dass der Mensch einfach nur nicht die Kontrolle an die Engel abgeben wollte. Mit den Skitarka konnte man sie doch bestimmt prima überwachen.

Außerdem wurden die Klöster noch von den Menara bewohnt. Viele Helferlein, die aus Dankbarkeit und mit großem Glauben den Engeln in ihrem Leben beistanden. Sie sorgten nicht nur für ihr Wohl, sondern standen ihnen soweit sie konnten zur Seite.

Das Kloster in Sprjewja war schon immer eines der reichsten. Viele Schätze aus der alten Welt wurden hier aufbewahrt. Zu den Reichtümern der Welt gehörten nun nicht mehr Gold und Silber, Öl oder sonstige Minerale. Wertvoller waren andere Schätze, Überbleibsel aus der alten Welt. Immer wieder konnten verschiedene Sachen gerettet, Bücher und Filme wiederhergestellt und Maschinen und Geräte wieder in Betrieb genommen werden.

Das Wissen um Technik und Fortschritt ging nicht verloren. Doch meine Hoffnung war, dass die Menschen nun bedachter handelten als früher und es nun langsamer und umsichtiger angehen ließen. Sie achteten jetzt mehr auf ihr Umfeld und die Natur. Wenn ich mir in Aufzeichnungen aus der alten Welt zum Beispiel ansah, wie sie damals Energie gewonnen hatten, war ich mir schon ziemlich sicher, dass die Menschen von heute viel dazugelernt hatten und verantwortungsvollere Kreisläufe pflegten. Indem wir den Müll aufräumten, den unsere Vorfahren uns hinterlassen hatten, und ein tiefes Verständnis für erneuerbare Energiequellen gewannen, hatten wir wohl fast wieder den Wohlstand erreicht, der mit der Zerstörung vor hunderten von Jahren verloren gegangen war.

Ich liebte diese Schätze, in denen ich meine Lieblingshelden fand. Die besten Geschichten kamen aus der alten Welt. Die Geschichten waren schöner, emotionaler, hoffnungsvoller und die Autoren und Regisseure einfach großartiger als heute.

Die meisten Werke der weltgrößten Dichter und Musiker fanden hier ein Zuhause.

Doch heute konnte mich weder der schöne Anblick der untergehenden Sonne noch die Erinnerung an die Vergangenheit ablenken. Ständig beschäftigte mich der Traum, der mich immer wieder heimsuchte. Heute verließ mich die Traurigkeit und Ängstlichkeit nicht. Warum quälte mich dieser Traum immer wieder?

Ein kleines Baby in meinen Armen. Ich hebe es hoch, halte es vor mein Gesicht. Ich höre sein Stimmchen. „Mami“ ruft es, „Mami, Mami“, mal fordernd, mal fragend.

Mal lächelt es mich an und mal weint es oder schreit gar. Aber selbst dann sieht es bezaubernd und so süß aus. Ein kleiner perfekt geformter Kopf mit federleichten dunklen Härchen, die sich bei jeder Bewegung, bei jedem Atemzug von mir sanft bewegen. Das runde Gesichtchen mit großen blauen Augen und zarten schmalen Lippen und einer winzigen Stubsnase. Ich halte meine Nase an seine Stirn und kann die weiche, kuschelige Haut spüren und auf ihr die winzigen Härchen. Ich küsse es ganz zart. Es riecht frisch und so vertraut. Die kleinen Händchen, die durch dünne Fältchen wie auf den zarten Arm geschraubt wirken, fassen mir ins Gesicht, spielen mit meinem Haar, ziehen daran. Ich empfinde tiefe Liebe und spüre ein festes Band zwischen uns, aber ich bin mir ganz sicher, es ist nicht mein Baby. Ich will es nicht mehr hergeben und muss aber doch loslassen.

Ich hatte noch nie ein Kind.

Oder doch?

Die Frau, die mich gefunden und die letzten sieben Jahre meines Lebens beschützt hat, war sich sicher, dass ich in meinem früheren Leben ein Baby hatte und nun von ihm träumte. Doch keiner von uns erinnerte sich an sein früheres Leben. Niemand wusste, wer er war oder woher er kam. Auch ich nicht. Keine Erinnerung mehr an Familie, Freunde oder gar ein eigenes Kind. Als ich damals zu mir kam, wusste ich nicht mal mehr meinen Namen.

Es wurde dunkel und ich sprang vom Dach. Sanft landete ich auf dem Boden. Eine helle Stimme rief nach mir. „Vega!“

Vega, das war der Name, den ich bekam, als ich als Engel gefunden wurde. Ich war einer der sieben sterblichen Engel, welche die sieben Kontinente der Erde vor Dämonen der Höllenfürsten beschützten. Ich war verantwortlich, die Menschen in Sprjewja mit all meiner mir zur Verfügung gestellten Macht zu verteidigen, auch wenn es mich mein Leben kosten sollte. Ich wurde wiedergeboren, um das Böse zu erkennen und um es zu bekämpfen.

Wir Engel waren schnell und stark. Unsere Sprünge waren höher und weiter. Unsere Reflexe und Intuitionen ausgeprägter. Unsere Sinne waren weitaus schärfer als die der Menschen. Wir konnten kleinste Geräusche aus großer Entfernung wahrnehmen, sahen in einem Winkel von hundertachtzig Grad komplett scharf. Wir konnten winzige Partikel in der Luft riechen und auch schmecken. Uns fror nicht bei kalten Temperaturen, wir konnten aber auch große Hitze ertragen. Unsere Wunden heilten sehr schnell.

All diese Eigenschaften waren nötig, um einem Dämon gegenüberzutreten und ihn zurück in die Hölle zu befördern.

Mir war bewusst, dass ich noch weit am Anfang stand, meine volle Kraft noch nicht erreicht hatte. Dennoch wusste ich, ich würde mich gut durchschlagen. Ich hatte gelernt, das Engelsfeuer in mir richtig einzusetzen, und fühlte mich großartig, wenn ich es wieder geschafft hatte, eins dieser Mistviecher aus der Hölle zurück zu seinem Ursprung zu befördern.

Meine Skitarka, Katharina, die Frau, die auf mich aufpassen sollte und die mich stets auf meinem Weg begleitete, wurde zu meiner besten Freundin. Obwohl die Skitarka uns Engeln sehr wahrscheinlich eben nicht als Beschützer zur Seite gestellt, sondern auserwählt wurden, um uns zu beobachten und zu lenken, hätte ich ihr alles anvertraut.

Von den Menara erfuhr sie, wenn sich Menschen plötzlich veränderten. Menschen, deren Verhalten plötzlich vom Guten ins Böse umschlug. Sie erfuhr von finsteren Geschehnissen oder unerklärlichen Todesfällen. Immer dann hatten sich Dämonen eingemischt.

Und dann kam ich ins Spiel. Das war meine Aufgabe. Dämonen bekämpfen. Finstere Gestalten. Ausgeburten der Hölle. Meister der Manipulation. Abartige Viecher, deren Ziel es war, Menschen zu besetzen und ihren Willen aufzuzwingen. Menschen Dinge tun zu lassen, die sie in die Hölle brachten, ins Verderben stürzten. Räudige Kreaturen, denen alles egal war, solange sie nur töten konnten.

Die Fürsten der Hölle, jene Gesandten des Teufels, versuchten schon seit Jahrhunderten die Menschheit wieder für sich zu gewinnen. Sie quälten die Menschen mit Dämonen, wollten die Menschen ihr Eigen nennen, sie versklaven, als die wahren Herrscher angesehen werden und die Erde zur Hölle machen.

„Vega!“ Katharina war es, die nach mir rief. Sie wollte mich über eine neue eigenartige Angelegenheit einer Familie im Dorf informieren. Es hieß, ein kleiner Junge wollte einfach nicht aufhören zu schreien. Er weigerte sich seit Tagen ins Bett zu gehen und kreischte, bis er keine Kraft mehr hatte. Die Nerven der Eltern lagen blank. Sie waren verzweifelt und wurden aggressiv. Das Kind hatte sich verändert. Nachbarn und Freunde wandten sich ab und so entstanden Gerüchte. Gerüchte, welche jedoch von den Menara ernst genommen werden mussten.

So sollte ich mich in Hazow umsehen. Es kam mir merkwürdig vor, dass sich Dämonen so weit an das Kloster heran wagten, obwohl sie doch wissen mussten, dass ein Engel in Hazow gegenwärtig war.

Das niedliche, kleine Haus der Familie hatte ich schnell gefunden. Ich kannte die Menschen hier alle sehr gut. Ich entschloss mich, erstmal auf dem Dach der Scheune gegenüber abzuwarten, was passiert, statt mich direkt im Haus umzusehen oder mir die Familie anzuschauen. Katharina und ich vermuteten, dass es der Dämon eher auf die Eltern als auf den Jungen abgesehen hatte. Wahrscheinlich wollte er sie wirklich in den Wahnsinn treiben, bis sie ihrem Kind vielleicht etwas Schlimmes antun und somit ihre Seelen aufs Spiel setzen würden.

Vom Dach aus hatte ich schon einen ganz guten Blick in das Zimmer des Jungen. Es war still. Das Kind lag in seinem Bett. Im Zimmer darunter flackerte noch der Fernseher, doch konnte ich in der Reflexion des Bildschirmes erkennen, dass die Eltern bereits auf dem Sofa eingeschlafen waren.

Ich sah mich draußen in der Umgebung genau um. Es war alles still. Außer den üblichen nächtlichen Aktivitäten kleiner Tierchen war weder etwas zu hören noch zu sehen. Neugierig wagte ich mich näher an das Haus heran. Ich stieg auf einen Baum vor dem Haus, von dem aus ich einen noch besseren Blick in das Zimmer des kleinen Jungen hatte. Der Junge schlief. Doch ich wusste, dass es nichts bedeuten musste. Es gab finstere Gestalten, die nur sehr schwer zu erkennen waren.

Aber da war einer. Ein Hauch eines wohlbekannten Geruchs stach mir in die Nase. Schwefel. Jedes Mal roch es nach Schwefel. Es war der Gestank der Hölle.

Ich konzentrierte mich nur auf das Zimmer. Versuchte Ungewöhnliches zu erkennen. Katharina sagte mir immer, es reicht nicht, nur die Augen offen zu halten, sondern ich müsse sehen. So achtete ich vor allem auf die kleinen Details.

Der Mond schien in dieser Nacht besonders hell. Er beleuchtete das gesamte Zimmer. Da fiel mein Blick auf die Schatten. Die Schatten des Bettes auf dem Boden. Die Schatten, die der Baum auf die Wand warf. Die Schatten der Möbel und der Spielsachen des Jungen. Sie verliefen allesamt in die gleiche Richtung. Nur ein Schatten passte nicht. Ein winziger Schatten, der keine Gegenerscheinung zu haben schien und auch aus einem völlig falschen Winkel zum Licht des Mondes fiel. Ein Schatten mit einem eigenen dunklen Bild. Ein Schatten mit eigenem Schattenwurf. Das war nicht richtig. Und dann bewegte er sich. Er verschwand unter dem Bett, in dem der Junge noch immer friedlich schlief.

Ein Schattendämon. Diese heimtückische Art war auch unter dem Namen ‚der schwarze Mann‘ bekannt geworden. Das war es also. Er hielt den Jungen jede Nacht wach. Machte ihm Angst, damit er nicht schlafen konnte.

Wahrscheinlich wollte er ihn gerade wieder wecken, da er bereits unter dem Bett verschwand. Eigentlich hatte ich ihn mir greifen wollen, bevor er aktiv werden konnte, aber das war mir misslungen. Es war schon zu spät. Ehe ich reagieren konnte, war der Junge aufgewacht und schrie aus Leibeskräften wie um sein Leben. Ich konnte das dreckige Lachen des Dämons förmlich hören. Als ich bemerkte, dass nun auch die Eltern vom Lärm über ihnen wach geworden waren, musste ich schnell handeln.

Ein Schattendämon ist nicht schwer zu besiegen. Die Kunst liegt aber darin, nicht so viel Aufsehen zu erregen. Na ja, eine wirkliche Wahl hatte ich nun nicht mehr. Blitzschnell sprang ich zum Kinderzimmerfenster, als ich die Fratze des Dämons wieder unter dem Bett hervorluken sah.

Jetzt oder nie. Noch im Sprung schloss ich meine Augen und konzentrierte mich auf die Macht, die uns Engel so besonders machte. Das Engelsfeuer. Wir trugen es in uns. Ich zentrierte diese Kraft im Inneren meines Körpers.

Als ich genug Energie hatte, sendete ich sie meinen rechten Arm entlang, bis hin zur Mitte meiner Handfläche. Ein Kribbeln ließ mich die Wirksamkeit erkennen. Es war, als ob ich eine Wunderkerze wäre, die langsam abfackelte. Es war ein langer Weg von meinen Schultern bis zur Handfläche. Doch vergingen nur wenige Millisekunden. Und nur meine bloßen Gedanken konnten sie entzünden. Ein blauer leuchtender Nebel legte sich über meine Handinnenfläche und formte sich zu einer faustgroßen Kugel. Ich öffnete meine Hand und sandte einen Zündfunken, der den Nebel in meiner Hand explodieren ließ. Als ich am Fenster des Jungen ankam, setzte ich beide Füße auf die Fensterbank und klammerte mich an die Hauswand. Das blaue Licht in meiner Hand war so grell, dass sogar ich meine Augen zusammenkneifen musste. Ich presste es an die Fensterscheibe und ließ das Zimmer hell erleuchten.

Dem Dämon gefiel das gar nicht. Er flüchtete durch den Spalt der Zimmertür nach draußen.

Ich löschte das Feuer, sprang zurück auf den Boden vor dem Haus und rannte blitzschnell um die Hausecke. Ich war mir ziemlich sicher, dass das Viech aus der Hölle mir nicht in die Arme laufen würde. Ich verfolgte es die Straße entlang bis zu einem Waldweg. Ein Schatten, der sich wie eine Schlange auf dem Asphalt bewegte. Es war schnell, doch ich ebenso. Wieder bündelte ich meine Energie, diesmal nahm ich beide Hände. Ich sprang hoch in die Luft. Als ich das Feuer in meinen Fäusten entfachte, stieß ich mit großer Geschwindigkeit herab auf den Schatten. Mit meinen glühenden Handflächen drückte ich das Vieh so tief es ging in den Dreck des Waldbodens. Es hatte keine Chance. Das blaue Licht drang durch ihn hindurch. Die Energie des Engelsfeuers zersprengte die Gestalt und übrig blieben nur noch Fetzen aus Glut und Asche.

Ich stand auf und atmete tief durch. Ich war erleichtert, dass es tatsächlich ziemlich einfach gewesen war, ihn zu vernichten. Ich musste auch nicht lange warten, bis die ersten Menara auftauchten, um den Ort zu bereinigen.

Menara waren für mich wie Mönche und Ritter zugleich. Sie halfen mir nicht nur im Kloster, bemühten sich dort um mein Wohlergehen, sondern sie kämpften auch mutig an meiner Seite, wenn es die Situation zuließ. Eine ihrer herausforderndsten Aufgaben, wie ich fand, bestand darin, die Plätze zu reinigen, die ich nach einem Kampf hinterließ. Wie ich zugeben musste, waren diese meist arg verwüstet. Vielleicht sollte ich anfangen, an meiner Feinmotorik zu arbeiten.

„Vega!“ hörte ich eine Stimme näher kommen, „habt Ihr ihn?“

Fragend, aber doch bereits erleichtert sah mich einer der Menara an. Denn als er den Waldboden sah, wusste er die Antwort schon. Ich nickte ihm zu.

„Zwei von uns haben sich zum Haus des Jungen begeben und werden dort alles richten“, berichtete er mir, während er langsam seinen Kopf vor mir verneigte.

Das wiederum mochte ich gar nicht. Dieses Höflichkeitsgeknickse.

„Lasst das“, bat ich ihn.

Doch eine Frage beschäftigte mich mehr. „Ich wundere mich, warum es dieser Dämon ausgerechnet …“

„Vega, seht!“, unterbrach mich erschrocken eine weibliche Stimme.

Ich wandte mich der Menara zu, die auf die Stelle im Waldboden starrte, wo ich den Schatten des Dämons vernichtet hatte. Ihr Schwert hatte sie bereits gezogen.

„Was zum …“.

Ich sah auf den Boden. Vor den Füßen der Menara sammelten sich tausende kleiner glühender Käfer. Erst schienen sie wirr durcheinander zu krabbeln, doch dann erkannte ich, dass sie sich zu einem kleinen Haufen auftürmten.

Die Menara musste würgen. Der Geruch von Schwefel war nun so stark, dass sie ihre Übelkeit nicht mehr verbergen konnte und sich übergab. Sie war wohl noch nicht lange im Kloster. Die Älteren konnten diesen ekligen Gestank besser wegstecken. Schnell zogen sich die anderen Menara ihre Masken übers Gesicht, um den räudigen Geruch ein wenig zu mildern.

„Vega, hier!“, schrie jemand aus der anderen Richtung.

In Sekunden wimmelte es nur so auf dem Boden. Ein wogendes Meer aus Glut, das in alle Richtungen strömte. Da ist noch ein Dämon, dachte ich, als ich bemerkte, dass sich bereits mehr als zwei Häufchen gebildet hatten.

Entschlossen schlugen die Menara mit ihren Schwertern auf die merkwürdigen Gebilde ein. Doch sie konnten nichts ausrichten. Sie schlugen ins Nichts. Die Käfer fielen einfach in sich zusammen und bildeten sich neu. Das brachte so nichts.

Wieder bündelte ich meine Energie und richtete die Engelsflammen wie Feuerwerfer gegen einen dieser Haufen. Damit war ich zwar recht erfolgreich, denn die Biester zerbarsten in Glutfetzen und lösten sich auf. Doch taten sich aus diesen Käferhäufchen immer schneller immer größer werdende Gestalten auf.

Tapfer schlugen die Menara auf alles um sie herum ein. Doch je mehr sie um sich schlugen, desto mehr Kreaturen bildeten sich. Aus meiner eigentlich ausgelöschten Gestalt bildeten sich sogleich zwei neue. Es musste eine andere Möglichkeit geben, sie endgültig zu vernichten. Eine Quelle. Einen Weg, wie ich sie mit einem Mal erledigen konnte. Da fiel mir der Kreis auf, den sie um uns herum gebildet hatten. Und tatsächlich krochen alle diese Missgeburten der Hölle nur aus einer Stelle im Boden heraus. So versuchte ich dort mein Glück und sandte meine blauen Flammen direkt in die Mitte des Kreises. Wie eine Kettenreaktion zersprangen sie alle in ihre Einzelteile. Eigentlich hatte ich das erwartet. Aber ich war immer noch nicht beruhigt.

„Das war zu einfach“, murmelte ich, während ich unsere Umgebung noch einmal aufmerksam absuchte.

„Wie meint Ihr das?“, fragte einer meiner Mitstreiter und trat näher an mich heran.

„Das war noch ein Dämon! Ist er erledigt?“, fragte ein anderer.

Ich sah mich im Dunst der tausend kleinen Explosionen genau um. Der Nebel legte sich nicht. Stattdessen bewegte er sich langsam und zog sich immer wieder merkwürdig zusammen. Ich hatte ein mulmiges Gefühl.

„Scht“, mahnte ich, „es ist noch nicht vorbei!“

Erschrocken sammelten sich die Menara schützend um mich herum. Ihre Schwerter waren erhoben. Und plötzlich ging alles blitzschnell. Zügig zog sich der Nebel zu einer Wolke zusammen, die mehr und mehr einer menschlichen Figur ähnelte. Immer in Bewegung bekam diese Wolke allmählich Konturen. Auch wenn diese Gestalt keine klaren Linien bekam, konnte ich ihr Gesicht gut erkennen. Es brannte sich tief in mein Gedächtnis.

Mit einem Schlag holte der Dämon aus und setzte einen gewaltigen Feuerstrahl in unsere Richtung. Mächtige Blitze schossen auf jeden Einzelnen von uns. Erst starr vor Schreck, noch das dreckige Grinsen des Dämons vor Augen, riss ich instinktiv zwei der Menara zu Boden. Hätte ich das nicht getan, wären sie Opfer dieser gewaltigen Flammen geworden. Solchen Kräften hatte ich noch nie gegenübergestanden. Was für ein Dämon war das denn?

Da ich mich voll darauf konzentrieren musste, dass die anderen Menara sicher vor den Flammen waren, bemerkte ich gar nicht, dass mir einer der Blitze mitten ins Gesicht schoss. Ich war zwar schnell, doch kratzte mich ein Blitz des Dämons am Kinn und fuhr mir schmerzhaft durch den ganzen Schädel. Blut floss mir den Hals herunter, doch die Wunde schloss sich schnell.

Er ließ ab und lachte leise, aber dennoch sehr klar. Angsteinflößend und dunkel. Mir wurde klar, dass dieses Geschöpf hier nicht so einfach zu erledigen war.

Als ich mich aufrichtete, wusste ich, dass ich jetzt all meine Konzentration und all meine Kraft brauchte, die mir die Macht gab.

Ich stemmte meine Füße hart in den Boden, um nicht den Halt zu verlieren. Wieder ließ ich die geballte Energie durch meine Arme fließen, bis ich sie zu einem harten Strahl aus blauem Feuer gegen das Monster richten konnte.

Im selben Augenblick richtete auch er sein Höllenfeuer gegen mich. Beide Feuer trafen krachend aufeinander. Ich sah ihn an. Warum lachte er so dreckig? Ich gab alles, um mich gegen das Vieh zu behaupten.

Und tatsächlich. Er ließ ab. Seine eigenen Kräfte wandten sich jetzt gegen ihn. Mit einem letzten Satz, einem letzten Schub, wollte ich diesen Kampf beenden. Schreiend schleuderte ich meine blauen Flammen in seine Richtung und traf ihn mit voller Wucht.

Ich hoffte, ihn damit endgültig vernichten zu können. Das grelle Licht und der ohrenbetäubende Lärm schmerzten und wir hielten uns die Ohren zu. Doch ich schwöre, ich hörte eine Stimme. Eine tiefe, heisere Stimme, die im Getöse fast unterging, aber dennoch deutlich zu mir durchdrang. Ein zufriedenes Kichern inmitten dieser gewaltigen Explosion. Es klang nach ,Wie erwartet‘.

Der dunkle Nebel verschwand. Versank im Boden des Waldes. Dennoch standen die Menara schützend und immer noch zum Kämpfen bereit dicht hinter mir.

Endlich hatte sich die Situation beruhigt. Der Geruch nach Schwefel ließ nach. Noch beunruhigt von der Stimme, hatte ich gar nicht bemerkt, wie einer der Menara plötzlich vor mir stand. Erschrocken fragte ich ihn, ob er das auch gehört habe.

„Diesen Krach? Selbstverständlich!“

Er schaute mich verwundert an.

„Nein, ich meine …“, doch ich verstummte.

Vielleicht hatte ich mir das doch nur eingebildet? Wer weiß, welchen Streich mir meine Ohren spielten. Es war sicher nur eine dumme Aneinanderreihung von Lauten des Windes. Ich hatte diesen Dämon doch eindeutig besiegt. Dessen war ich mir sicher. Warum sollte er noch etwas sagen?

„Ach, ist nicht wichtig“, entgegnete ich ihm und schüttelte den Kopf.

„Ist der Dämon endlich tot?“

„Nun, er ist definitiv verschwunden.“

Ich sah mich noch einmal genau um. Nichts zu sehen, nichts zu hören und kein mulmiges Gefühl mehr im Bauch. Erleichtert richteten wir uns alle auf. Ich versicherte mich, dass die Menara unversehrt waren.

Abgesehen von zerrissenen Klamotten schienen sie alle wohlauf zu sein.

Eine Menara ergriff das Wort.

„Verzeiht Vega, aber was zur Hölle war das denn? Das schien gar kein Ende zu nehmen.“

„Ja“, antwortete ich ihr, „drei Dämonen. In einer Nacht.“

„Hier in Hazow“, fügte der, der direkt neben mir stand, hinzu.

„Sicher ein Zufall“, versuchte ich abzulenken. „Würdet Ihr den Wächtern berichten?“

„Wie Ihr wünscht!“

Wieder verneigte er sich demutsvoll vor mir.

„Habt Dank!“, nickte ich ihm zu und wandte mich ab.

Ich verließ den Wald und lief zurück zum Kloster.

Meine Gedanken kreisten um die Dämonen. Drei. Drei Dämonen nacheinander waren viel. Ich hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Der Gedanke beunruhigte mich sehr und ich beschloss, es Christopher zu erzählen.

Christopher war ebenfalls ein Engel. Er war der Engel, welcher den Teil der Erde beschützte, der das Seenland genannt wurde.

Über die Jahre wurde Christopher auch zu einem meiner besten Freunde. Aber auch nicht mehr. Er war ein paar Jahre älter als ich, und schon mit fünfzehn zu einem anderen Weg gerufen worden. Dadurch hatte er bereits viele Erfahrungen sammeln können. Er erteilte mir eine Lektion nach der anderen. Ich saugte sein Wissen förmlich auf, denn ich wusste genau, dass ich von seinen Erfahrungen profitieren würde.

Wie wir alle erinnerte auch er sich nicht an seine Vergangenheit. Aber im Gegensatz zu mir war ihm das völlig egal. Ihm gefiel sein Leben genau so, wie es jetzt war. Über ein anderes verschwendete er keine Gedanken. Er war wahrlich dafür geboren, sagte er immer.

Christopher war recht stämmig gebaut, ein kräftiger Typ. Groß, kurzes, hellbraunes Haar, kräftige Hände. Ein Macher. Gutaussehend, keine Frage, und das wusste er.

Für uns Engel gab es, neben den üblichen technischen Möglichkeiten, noch eine eher ungewöhnliche Methode, miteinander zu kommunizieren. Wir vermochten mit Hilfe der Magie aus Engelsfeuer in die Gedankenwelt des anderen einzudringen. Dazu benötigten wir lediglich einen Spiegel. Natürlich konnte man nicht einfach so die Gedanken eines anderen Flügellosen lesen. Man musste es schon zulassen. Der Vorteil aber war, dass man sich nicht lange erklären musste. Situationen oder Hintergründe mussten nicht erst besprochen werden. Man stand sofort mittendrin und konnte direkt losplaudern. Es sei denn, der andere schlief. Dann musste man ihn erst wecken.

Der Spiegel konnte dabei das Abbild des anderen zeigen oder sogar als Bildübertragung dienen, wenn beide einen Spiegel vor sich hatten.

So stand ich vor meinem rustikalen Spiegel, um mit Christopher zu sprechen. Ich legte meine rechte Hand an den alten, mit Ranken und Federn verzierten Spiegel, dessen dunkle Farbe bereits abblätterte. Ich bat die Magie des Feuers in mir, mit Christopher reden zu dürfen. Dazu musste ich einfach nur an ihn denken. Meine Gedanken galten nun nur ihm, bis ich sein Gesicht deutlich vor mir sah.

Wieder strömte das Engelsfeuer von meinem Inneren durch meinen Arm nach außen zu meiner Hand. Meine Handfläche kribbelte und leuchtete im blauen Nebel auf. Es übertrug sich auf den gesamten Rahmen des Spiegels. Ich musste ihn, solange ich in Christophers Gedanken bleiben wollte, berühren, sonst erlosch das Feuer.

So leuchtete der Spiegel in einem nebeligen Blau auf und erweiterte sein Muster. Das sonst Unsichtbare kam zum Vorschein und vervollständigte das Motiv auf dem alten Holz.

In Gedanken rief ich nach meinem Freund. Ein schwaches Licht begann die Spiegelfläche zu erleuchten. Aus diesem Licht heraus formte der Spiegel Christophers Abbild.

Bei diesen Bildern trugen wir immer eine Robe mit spitzer Kapuze. Das Gesicht war jedoch gut zu erkennen. Ich fand es äußerst amüsant, da es mich immer an meine Lieblingsfilme erinnerte und ich mich dann meinen Jedi-Rittern aus Star Wars verbunden fühlte.

Als das Licht im Spiegel erlosch, ertönte in meinem Kopf eine noch leicht verzerrte Stimme. Aber Christophers Bild war klar und deutlich im Spiegel zu sehen.

‚Lange nichts gehört, moja luba!‘1

„Ich weiß!“, antwortete ich dem Spiegel, „störe ich dich gerade?“

‚Nein, du störst nicht! Du klingst so ernst. Machst du dir um etwas Sorgen? Ist etwas in Sprjewja passiert?‘

„Christopher, ich habe ein ganz komisches Gefühl. Nicht nur wegen Sprjewja. Gerade eben, allein in dieser Nacht, hatte ich drei Dämonen. Nacheinander tauchten sie auf.

Drei! Und das auch noch in unsrem Dorf. Den ersten hatte ich ja noch leicht. Dann kam aber noch ein zweiter und ein dritter. Da hatte ich schon kurz Zweifel. Das ist doch kein Zufall!“