Spuken für Fortgeschrittene - S.E. Harmon - E-Book

Spuken für Fortgeschrittene E-Book

S.E. Harmon

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Beschreibung

Als Medium hat man es echt nicht leicht! Rain Christiansen hält seinen aktuellen Job als Cold-Case-Detective und Medium für den schwierigsten in seiner gesamten Karriere – und für den wichtigsten. Nur auf die bizarren Situationen, die seine Arbeit mit sich bringt und die sein geordnetes Leben auf den Kopf stellen, könnte er gut verzichten. Leider gibt es keine Anleitung, wie er die Pflichten in der realen und der Geisterwelt geschickt miteinander verknüpfen kann. Dummerweise wird er auch das Gefühl nicht los, dass er so einiges vermasselt. Dieser Ansicht sind auch die Geister, die zunehmend ungeduldiger werden. Und stärker. Und wie lange wird Danny McKenna, sein Arbeits- und Lebenspartner, die spuktakulären Entwicklungen in Rains Leben aushalten, bevor ihm die aufdringlichen Geister irgendwann zu viel werden? Rain hat geglaubt, wenn er seine übernatürlichen Fähigkeiten akzeptiert, wird das alle seine Probleme lösen. Doch sein aktueller Fall beweist, dass die richtigen Probleme gerade erst beginnen … Teil 2 der gruseligen Abenteuer um Special Agent Rain Christiansen.

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S.E. HARMON

SPUKEN FÜR FORTGESCHRITTENE

EIN FALL FÜR RAIN CHRISTIANSEN 2

Aus dem Amerikanischen von Stefanie Kersten

Über das Buch

Als Medium hat man es echt nicht leicht!

Rain Christiansen hält seinen aktuellen Job als Cold-Case-Detective und Medium für den schwierigsten in seiner gesamten Karriere – und für den wichtigsten. Nur auf die bizarren Situationen, die seine Arbeit mit sich bringt und die sein geordnetes Leben auf den Kopf stellen, könnte er gut verzichten. Leider gibt es keine Anleitung, wie er die Pflichten in der realen und der Geisterwelt geschickt miteinander verknüpfen kann. Dummerweise wird er zudem das Gefühl nicht los, dass er so einiges vermasselt. Dieser Ansicht sind auch die Geister, die zunehmend ungeduldiger werden. Und stärker. Und wie lange wird Danny McKenna, sein Arbeits- und Lebenspartner, die spuktakulären Entwicklungen in Rains Leben aushalten, bevor ihm die aufdringlichen Geister irgendwann zu viel werden?

Rain hat geglaubt, wenn er seine übernatürlichen Fähigkeiten akzeptiert, wird das alle seine Probleme lösen. Doch sein aktueller Fall beweist, dass die richtigen Probleme gerade erst beginnen …

Über die Autorin

S. E. Harmons stürmische Liebe zum Schreiben dauert bereits ein Leben lang an. Der Weg zu einem guten Buch ist jedoch steinig, weshalb sie ihre Leidenschaft schon mehrere Male aufgeben wollte. Letztendlich hat die Muse sie aber immer wieder an den Schreibtisch zurückgeholt. S. E. Harmon lebt seit ihrer Geburt in Florida, hat einen Bachelor of Arts und einen Master in Fine Arts. Früher hat sie ihre Zeit mit Bewerbungsunterlagen für Bildungszuschüsse verbracht. Inzwischen schreibt und liest sie in jeder freien Minute Liebesromane. Als Betaleser hat sie derzeit ihren neugierigen American Eskimo Dog auserkoren, der sich bereitwillig ihre Romane vorlesen lässt, vorausgesetzt, die Bezahlung in Form von Hundekeksen stimmt.

Die englische Ausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Principles of Spookology«.

 

Deutsche Erstausgabe September 2021

 

© der Originalausgabe 2020: S.E. Harmon

© Verlagsrechte für die deutschsprachige Ausgabe 2021:

Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,

Eisenbahnweg 5, 98587 Steinbach-Hallenberg

 

Alle Rechte, einschließlich des Rechts zur vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

Umschlaggestaltung: Frauke Spanuth, Croco Designs

unter Verwendung von Motiven von Wirestock, Ardasavasciogullari,

DesiDrew Photography, Peter Kim, alle stock.adobe.com

 

Lektorat: Judith Zimmer

Korrektorat: Andrea Groh

Satz & Layout: Second Chances Verlag

 

ISBN: 978-3-948457-27-3

 

www.second-chances-verlag.de

 

 

Für Sam, die einen Auszug aus meinem Buch mit »Ach du lieber Himmel« kommentiert hat. Es ist eine besondere Auszeichnung, wenn man es schafft, seine Schwester aus dem Konzept zu bringen. Danke für alles, was du tust.

 

Und für Angel und Ashley, die treusten tierischen Freunde, die man haben kann. Ihr beide könnt das nicht lesen, aber ich habe euch trotzdem lieb.

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über die Autorin

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Weitere Bücher von S.E. Harmon

KAPITEL 1

Nichts machte Menschen in einem Flugzeug so nervös, wie über dem Flughafen zu kreisen.

Aufgrund eines bevorstehenden Tropensturms hatte uns die Flugsicherung zur unfreiwilligen Teilnahme an der seltsamsten Runde Ringelreihen aller Zeiten verdonnert. Sicher erfüllte dieses komplexe Flugritual seinen Sinn und Zweck, aber ehrlich gesagt hatte ich inzwischen einfach nur die Nase voll davon. Ringel, Ringel, Reihe, sind der Runden dreie.

Die Flugbegleiterin erinnerte uns zum dritten Mal daran, dass wir unsere Sicherheitsgurte geschlossen halten sollten, doch ein paar Reihen hinter mir ertönte das charakteristische Klicken der Schnalle. Da wir noch nicht mal gelandet waren, vermutete ich, dass da jemand einen Fallschirmsprung aus der Businessclass plante.

Regen prasselte unaufhörlich gegen die Fenster der abgedunkelten Kabine, und ich stieß ein lang gezogenes Seufzen aus. Meine Sitznachbarin, die sich viel zu sehr in den Verkaufskatalog der Fluggesellschaft vertieft hatte, warf mir einen finsteren Seitenblick zu – den ich ihr nicht verübeln konnte. Das war sicher mein viertes Seufzen in ebenso vielen Minuten.

Der Tag war lang gewesen, und ich fragte mich, wie viele Hindernisse noch zwischen mir und meinem Bett standen. Das größte war gerade Tropensturm Allen, der sich von mir aus jetzt sofort wieder verziehen durfte. Das nächste der Pilot, der es nicht besonders eilig zu haben schien, das verdammte Flugzeug zu landen. In dem typisch sachlichen, selbstsicheren Standard-Pilotentonfall informierte er uns darüber, dass wir mit der Landung warten mussten, bis wir dran waren. Bis wir dran waren. Als wären wir unangemeldet zu Thanksgiving bei jemandem aufgetaucht, der nun schnell auf der Veranda ein paar Gartenstühle für uns sauber machen musste.

Ich seufzte erneut, und meine Sitznachbarin raschelte demonstrativ mit ihrem Katalog. Hätte ich doch nur nie diesem Gefallen zugestimmt, und schon gar nicht für Alford Graycie, meinen ehemaligen FBI-Boss.

Ehemalig.

Daran musste ich mich immer wieder erinnern. Ich hatte den Vortrag eines erkrankten Gastredners vor jungen Schreibtischtätern übernommen, um ihnen zu erzählen, was man als Profiler so machte. Das hatte früher schon nicht gerade zu meinen Hobbys gezählt, aber seit ich in Polizeikreisen quasi zu einer Art Legende geworden war, mochte ich es noch weniger.

Die meisten Kollegen wussten, dass ich ein Mitglied der PTU oder Paranormal Tactical Unit war. Was die Abkürzung ausgeschrieben bedeutete, wurde relativ stark unter Verschluss gehalten, und nur von Fall zu Fall wurden die nötigen Personen eingeweiht. Glücklicherweise war es selten notwendig. Wir waren als Team immer noch dabei, uns aneinander zu gewöhnen, und ich mich an die Tatsache, dass ich ein Medium war. Inzwischen war mir überdeutlich bewusst, wie wenig ich über meine eigenen … Fähigkeiten im Bilde war.

Fähigkeiten klang irgendwie, als wäre ich tatsächlich auf irgendeine Art qualifiziert, aber ich wusste auch nicht, wie ich meine übersinnlichen Neigungen sonst bezeichnen sollte. Talent implizierte, dass ich bewusst etwas dazu beigetragen hatte, aber ich war schlicht damit geboren worden. Das Wort Gabe klang ein bisschen übertrieben.

Ich konnte Geister sehen und mit ihnen sprechen, und manchmal half ich ihnen – irgendwie – auf die andere Seite. Allein meine Willenskraft hatte mich davor bewahrt, wahnsinnig zu werden. Die Sache hatte mich beinahe meine Beziehung gekostet. Letztendlich war mein Job als Profiler bei der Verhaltensanalyseeinheit des FBI auf der Strecke geblieben. Und ganz nebenbei hatte ich durch die Medikamente, die der FBI-Seelenklempner mir verschrieben hatte, um mich wieder »in die Spur« zu bringen, noch eine kleine Tablettenabhängigkeit dazubekommen.

Glücklicherweise war ich jobtechnisch weich gefallen. Nachdem ich mir eingestanden hatte, dass Geister real waren, war ich sogar die Sucht losgeworden … meistens zumindest. Damit hatte auch mehr Bereitschaft zu Ehrlichkeit und Offenheit Einzug gehalten, was mir dabei half, Danny zurückzugewinnen. Dass ich entführt und angeschossen worden war, hatte vermutlich mit dazu beigetragen.

Ja, ich war ein neuer Rain Christiansen, der versuchte, sich in einer nicht wiederzuerkennenden Version seines Lebens zurechtzufinden. So richtig rund lief das zugegebenermaßen bisher nicht, und ich musste bei meinen Pflichten als Medium noch oft herumexperimentieren. Dennoch würde ich meine … Fähigkeiten nach diesem ganzen Durcheinander sicher nicht als Gabe bezeichnen. So großzügig war ich nicht.

Nach einem weiteren lauten Seufzen meinerseits klappte meine Sitznachbarin ihren Katalog mit einem Schnaufen zu, bevor sie ihn in ihre Handtasche stopfte. »Ich glaube nicht, dass wir die Dinger mitnehmen sollen.« Das konnte ich mir nicht verkneifen.

Sie ignorierte mich, schlug die Beine übereinander und drehte sich von mir weg. Tja. Jetzt bereute ich es, dass ich sie geweckt hatte, als die Flugbegleiter mit Getränken vorbeigekommen waren.

Als wir endlich auf dem Miami International Airport landeten, war es ein Uhr morgens. Ein kurzer Abstecher für Kaffee, dann ließ ich mich in einem außer mir leeren Shuttlebus zum Langzeitparkhaus kutschieren. Der Fahrer war nett, aber nicht redselig, was mir nur recht war – kein Extratrinkgeld nötig, damit er die Klappe hielt. Ich suchte mir einen Platz weiter hinten im Fahrzeug und trank schweigend meinen Kaffee, bis er mich am Parkhaus rausließ.

Mein Auto sah auch nicht schlimmer aus als vorher, also beförderte ich rasch mein Gepäck in den Kofferraum. Der Sturm war doch nicht so schlimm geworden wie erwartet, aber die Luft war heiß, schwül und stickig. Auf dem Heimweg ließ ich alle Fenster offen, sodass der Fahrwind mich von allen Seiten anpusten konnte. Als ich schließlich vom Freeway abbog, sah ich aus, als hätte mich ein Tornado erwischt und wieder ausgespuckt.

Dannys Haus war fast doppelt so weit vom Flughafen entfernt wie meins, aber ich fuhr trotzdem hin. Man sollte meinen, dass wir eine Pause voneinander genießen würden. Wir arbeiteten, aßen und schliefen zusammen. Verdammt, wir lebten praktisch zusammen. Es wäre also gar nicht so verwunderlich, wenn wir uns gegenseitig dermaßen auf die Nerven gingen, dass wir uns grundlos anzickten. Und genau so war es auch.

Aber ich wollte dennoch neben ihm einschlafen. Komme, was wolle. Ich parkte mein Auto neben seinem Charger vor dem Haus. Natürlich stand er wie immer zu weit zur Mitte hin, weswegen ich ein Stück auf den Rasen ausweichen musste. Blödmann.

Irgendwann würden wir uns sicher gegenseitig umbringen, aber wir wollten trotzdem nebeneinander begraben werden.

Ich stieg aus dem Auto und musste bei dem Gedanken lachen. Das traf den Kern unserer Beziehung wirklich gut. Und Danny würde dem wohl auch zustimmen.

***

Ich war zwar todmüde, aber duschen klang einfach zu verlockend. Lange duschen.

Das heiße Wasser tat wahre Wunder für meine verspannten Rückenmuskeln, und obwohl ich gerne ins Bett wollte, blieb ich noch eine Weile, wo ich war, die Hände gegen die Fliesen gestützt. Es fühlte sich einfach zu gut an, die lange Reise von mir abzuwaschen. Ich war ein bisschen zu lange in der Öffentlichkeit gewesen, hatte viele Sachen angefasst, die Leute vor mir schon angefasst hatten, hatte mich gesetzt, wo andere Leute schon gesessen hatten.

Hoffentlich war Danny nicht noch sauer auf mich. Vor meiner Abreise hatte ich den Eindruck gewonnen, dass er nicht allzu begeistert von meinem kleinen Ausflug gewesen war. Weil er mir genau das mitgeteilt hatte. Lautstark.

Danny war überzeugt davon, dass Graycie noch immer Gefühle für mich hatte, und ich war mir nicht sicher, ob er sich da irrte. Außerdem hatte er die Befürchtung, dass es für mich um mehr ging als darum, dem FBI den einen oder anderen Gefallen zu tun, um etwas bei ihnen gutzuhaben. Ob er sich in diesem Punkt irrte, wusste ich auch nicht. Ich begann ja schon selbst damit, meine Motive zu hinterfragen.

Vielleicht vermittelte es mir ein Gefühl der Sicherheit, meine Verbindungen zum FBI nicht komplett zu kappen. Vielleicht war es schwerer, der neue Rain Christiansen zu sein, als ich gedacht hatte. Und vielleicht sollte ich damit aufhören, Wasser und Zeit darauf zu verschwenden, vergeblich nach Antworten zu suchen.

Ich drehte die Dusche ab und rubbelte mich flüchtig trocken, bevor ich nackt ins Schlafzimmer ging und dabei eine Spur nasser Fußabdrücke auf Dannys geliebtem Holzfußboden hinterließ, was mir immense Befriedigung verschaffte. Dann wühlte ich mich durch seine Kommode und borgte mir eine Boxershorts und ein altes T-Shirt.

So leise wie möglich zog ich mich an, doch der Stoff klebte auf meiner feuchten Haut. Wir versuchten immer, den anderen nicht zu wecken, wenn wir nach Hause kamen, meist jedoch vergeblich. Nach den vielen Jahren im aktiven Dienst schliefen wir beide nie besonders tief.

Dennoch kletterte ich ganz vorsichtig aufs Bett … was die Matratze natürlich wie ein Boot auf hoher See wackeln ließ. Ich griff nach dem Kopfteil, um das Gleichgewicht zu halten, und selbstverständlich quietschte das Holz prompt, als wären wir in einem Spukhaus.

»Rain«, murmelte Danny.

»Tut mir leid. Ich bin’s nur.«

»Deswegen hab ich ja auch deinen Namen gesagt.« Seine Stimme war heiser vom Schlaf. Er drehte sich auf die andere Seite, mit dem Gesicht zur Wand. »Du kommst spät.«

»Ja, und die Kissenfalten in deinem Gesicht zeigen mir, wie viel Sorgen du dir um mich gemacht hast.«

»Ich habe mir sehr wohl Sorgen gemacht. Viele.« Sein Tonfall klang belustigt. »Wie war der Vortrag?«

»Erinnere mich nicht dran.«

»So gut, ja?«

»Sagen wir einfach, sie hatten sehr viel Interesse an der PTU.« Ich klopfte mir mein Kissen ein bisschen härter zurecht, als es notwendig gewesen wäre. »Weniger am Profiling, mit dem ich den Großteil meines Berufslebens verbracht habe.«

»Sie sind FBI-Agenten, Rain. Neugierig sein gehört zu ihrem Job.« Er zog sich die Decke etwas höher. »Wenigstens ist das jetzt vorbei.«

»Das stimmt … so nicht ganz.«

Als ich Quantico wieder verließ, hatte Graycie mir schon fast einen weiteren Gefallen aus den Rippen geleiert. Er wollte, dass ich mit einem Serienkiller sprach, um den Verbleib einiger vermisster Opfer herauszufinden. Ich hatte nicht Ja gesagt – aber auch nicht Nein.

Selbst in halb verschlafenem Zustand hatte Danny nichts für vage Aussagen übrig. »Willst du mir das näher erläutern, Rainstorm?«

»Ich hasse diesen Namen.«

»Was denkst du, warum ich ihn benutze?«

Ich schnaubte. »Vielleicht besuche ich irgendwann einen Häftling. Nur als Gefallen für Graycie.«

»Und?«

»Und das ist alles«, erwiderte ich gereizt. Gott, es hatte echt Nachteile, eine Beziehung mit einem zweibeinigen Bluthund zu führen.

»Sag Graycie, dass du hier schon einen verdammten Job hast«, erwiderte Danny. »Und dass ich Wilderer erschieße.«

»Mache ich.«

»Gut.«

Ich rutschte zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Schulter. Seine Haut fühlte sich warm und weich unter meinen Lippen an. So viel gebräunte Haut, auf der Tattoos aus früheren, wilderen Zeiten prangten. Manche von ihnen waren von Bedeutung, andere nicht. Das Pik-Ass auf seinem Unterarm fiel in die zweite Kategorie, ein Gefallen für einen Ex aus dem College, der an seinem Tätowierer-Portfolio arbeitete. Der Drache, der einen guten Teil von Dannys Rücken einnahm, war persönlicher. Er erinnerte ihn daran, wie stark er sein konnte. Danny hatte ihn sich ein paar Monate nach seiner Aufnahme in die Polizeiakademie stechen lassen, nachdem seine Mutter zum vierten Mal im Gefängnis gelandet war. Die Orchidee auf seiner Schulter war das bedeutungsvollste Tattoo von allen, ein Gedenken an seine verstorbene Schwester.

»Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.« Ich fuhr den Schriftzug unter der Orchidee mit den Fingerspitzen nach. Anna. Der Mond war die einzige Lichtquelle im ansonsten dunklen Zimmer, weswegen ich die Blume nur schemenhaft sehen konnte, doch meine Finger hatten sie schon oft genug nachgezeichnet. »Ich glaube, wir brauchen eine von diesen Spezialmatratzen. Wie in der Werbung, wo die Frau mit einer Bowlingkugel und einem Glas Wein auf das Bett springt.«

»Hmhm, und dann fahren wir noch beim Haustierbedarf vorbei und besorgen einen Maulkorb.«

Ich gab ihm einen Klaps auf die Schulter, die ich eben noch geküsst hatte, was ihm ein leises Auflachen entlockte. Als er nichts weiter sagte, ging mir auf, dass er wieder eingeschlafen war. Er drehte mir den Rücken zu, nannte mich einen Hund und tauchte einfach ab ins Traumland. Nicht schlecht für weniger als zwei Minuten. Ich machte mir einen mentalen Vermerk für passende Rache und ließ mich dann in mein Kissen fallen. Mit geschlossenen Augen erwartete ich, auf der Stelle einzuschlafen.

Oder auch nicht.

Und schlafen, wies ich meinen Verstand an. Jetzt.

Okay, Fehlstart. Jetzt!

Jetzt.

Okay, dieses Mal aber wirklich. Leere deinen Geist. Ich versuchte es, und sogar mein Geist war erstaunt, wie viel Chaos in ihm herrschte. Für den ganzen Kram brauchte ich einen Umzugswagen und ein Lagerhaus.

Vielleicht, wenn ich es mir bequemer machte? Ich legte meine Armbanduhr ab und warf sie blind auf den Nachttisch, was einen Dominoeffekt zur Folge hatte. So ziemlich alles, was sich dort befunden hatte, inklusive einer Handvoll Kleingeld, ging lautstark zu Boden.

»Rain.« Danny klang schlaftrunken und nicht sehr erfreut.

»Sorry.«

Ich drehte mich auf die ihm zugewandte Seite und schüttelte mein Kissen auf. Wenigstens musste ich morgen früh nicht arbeiten. Sofern wir nicht spontan angefordert wurden, musste ich erst um die Mittagszeit im Revier auftauchen. Vorher stand um zehn nur ein Treffen mit meiner Maklerin auf dem Plan. Meine Vermieterin wollte mein Haus nach Ablauf des Mietvertrags an ihre Tochter vergeben, weswegen ich mir langsam mal was Neues suchen musste. Mary Anne war sich sicher, dass sie bereits das perfekte Eigenheim für mich gefunden hatte.

»Hey«, flüsterte ich überlaut.

Danny seufzte. »Was?«

»Könntest du dafür sorgen, dass ich aufstehe, bevor du gehst? Ich will meinen Termin mit Mary Anne nicht verschlafen.«

»Ich werde die Frage sicher bereuen, aber wer ist Mary Anne?«

»Meine Maklerin. Die hast du doch schon kennengelernt.«

»Moment, ist das diese nervige Frau, die alles mit ›zauberhaft‹ beschreibt?«

»So schlimm ist sie nicht.«

Sie war sehr wohl so schlimm. Die Schlafzimmer waren zauberhaft, die Bäder waren zauberhaft, die vordere Veranda war zauberhaft, der Balkon war – richtig geraten – zauberhaft. Ich hätte mir vermutlich in der geräumigen Küche des Musterhauses die Kehle aufschlitzen können, und für sie wären die Blutspritzer ebenfalls zauberhaft gewesen.

Dieses Mal unterbrach Danny die Stille. »Ich wusste nicht, dass du noch nach einem neuen Haus suchst.«

»Ich hab dir doch erzählt, dass ich ausziehen muss.«

»Trotzdem. Ein Haus kaufen. Das ist ein großer Schritt.«

Ich blinzelte. »Nun, Daniel, das Department würde es wohl nicht gutheißen, wenn ich ein Penner auf der Straße werde.«

»Vielleicht sollte ich mitkommen.«

»Brauchst du nicht«, antwortete ich hastig.

»Das klingt, als würdest du mich nicht dabeihaben wollen.« Misstrauen schwang unüberhörbar in seiner Stimme mit.

Logische Schlussfolgerungen waren schon immer seine Stärke gewesen. Bei den letzten beiden Besichtigungen war er mitgekommen, jedoch keine große Hilfe gewesen. An jedem Haus, das Mary Anne uns gezeigt hatte, hatte er etwas auszusetzen gehabt.

Er schnaubte nur, als ich nichts dazu sagte. Erneut klopfte ich mein Kissen zurecht, bis es unter meinem Ohr die richtige Form hatte. Dann drehte ich es doch lieber um, sodass die kühle Seite oben lag. Von der anderen Hälfte des Betts kam ein genervtes Grummeln.

»Tut mir leid. Ich bin ein bisschen aufgedreht.«

Danny fluchte und wandte sich zu mir um. Mit wenigen Handgriffen bugsierte er mich auf den Rücken. Dabei beließ er es jedoch nicht. Ich starrte ihn mit offenem Mund an, als er mir die Boxershorts über die Hüften bis auf die Oberschenkel nach unten schob. »Was machst du da?«

»Du warst nur drei Tage weg, Rain. Vergisst man so schnell, was ein Blowjob ist?«

Ich spürte seine rauen Fingerspitzen an meinen Hoden und stöhnte leise auf.

»Das ist die einzige Methode, mit der man dich sicher zum Schlafen bekommt.«

»Meine Mom hat mir immer einen Kräutertee gemacht und mir eine Geschichte vorgelesen.«

»Ich habe meine eigenen Methoden.«

Damit hatte ich kein Problem, insbesondere wenn diese Methoden beinhalteten, dass er seitlich an meinem halb harten Schwanz nach oben leckte. Mir entwich ein begeistertes Keuchen, was Danny leise auflachen ließ, bevor er noch ein paarmal geschickt mit seiner Zunge über meinen Schaft wanderte. Von der Wurzel bis zur Spitze und wieder zurück. Halb hart wurde nach wenigen Momenten zu steinhart. Gerade als ich mich beschweren wollte, dass er mich hinhielt, nahm er mich komplett in den Mund.

Ich stöhnte laut und drängte ihm unwillkürlich das Becken entgegen, schob meinen Schwanz noch tiefer in seine Kehle. Eine seiner großen Hände landete auf meinem angespannten Bauch und dirigierte mich nachdrücklich wieder nach unten. Ich versuchte noch einmal, ihm entgegenzukommen. Sehr weit kam ich nicht, denn sein Arm hielt mich fest, wo ich war, da konnte ich noch so verzweifelt die Hüften kreisen lassen.

Das war keiner von den langsamen, genießerischen Blowjobs, mit denen ich an ruhigen Sonntagen oft geweckt wurde. Dabei trieb er mich gerne so oft bis kurz vor den Höhepunkt, dass ich es kaum mehr aushielt. Manchmal sorgte er auch mit Analtoys dafür, dass ich beinahe explodierte, wenn er mich endlich kommen ließ. Das hier war schneller, schmutziger und weniger raffiniert. Keine Ahnung, was ich lieber mochte: langsam und sinnlich, meine Finger mit seinen verschränkt, oder schnell und versaut, mit meinen Fingern so fest in seine dichten Haare gekrallt, dass es mich wunderte, dass ich ihm keine ausriss.

Die stille Dunkelheit verstärkte jede Empfindung ins Unendliche. Seinen Kopf über meinem Schwanz konnte ich kaum ausmachen. Keinen wissenden Blick unter dunklen Wimpern hervor. Ich konnte nicht beobachten, wie meine Länge zwischen seinen geschwollenen, feucht glänzenden Lippen hindurchglitt.

Aber ich weiß, wie es aussieht.

Versaute Bilder, die sich in mein Gedächtnis gebrannt hatten, liefen vor meinem inneren Auge wie ein Film ab. Mir kam es nur wie Sekunden vor, bis ich mich mit einem lauten Aufschrei in seinen Mund ergoss. Danny streichelte über die Innenseiten meiner Oberschenkel und flüsterte Worte, die ich nicht richtig verstand, weil ich immer noch so verdammt hoch flog.

Schließlich schmiegte er sein Gesicht verspielt an meinen Bauch und rutschte dann wieder nach oben, um mich zu küssen. Ich suchte meinen eigenen Geschmack in seinem Kuss, bis mir aufging, dass ich zu tief in ihm gewesen war, um auf seiner Zunge zu kommen.

Meine Stimme klang heiser, als hätte ich seit Jahren nicht gesprochen. »Soll ich auch …«

»Nicht jetzt. Schlaf einfach.«

War sowieso blödsinnig gewesen, es anzubieten. Im Moment war ich mir nicht sicher, ob ich mich überhaupt bewegen konnte. Im besten Falle hätte ich als gruselige Sexpuppe daliegen können, während er sich auf mir einen runterholte.

Ich überließ mich seiner Führung und half schläfrig mit, meine Boxershorts wieder hochzuziehen, bevor er mich in die Arme nahm. Irgendwann würden wir uns nachher auf unsere jeweilige Bettseite begeben, aber gerade war seine Umarmung genau das, was ich brauchte.

Der Schlaf überrollte mich, ließ meine Glieder schwer und meinen Verstand träge werden. Es war ein erleichterndes Gefühl, fast als würde man in Narkose gelegt werden. Die Anspannung wich als Erstes aus meinen Schultern und Beinen, dann entspannte sich auch der Rest meines Körpers.

»Bin froh, dass du zu Hause bist«, hörte ich noch als kaum wahrnehmbares Flüstern, spürte es als Hauch an meiner Schläfe. Schön, wieder zu Hause zu sein. Zu müde zum Sprechen brachte ich nur ein leises, zustimmendes Murmeln zustande.

KAPITEL 2

Die Besichtigung war ein Reinfall.

Zwar waren alle Anforderungen erfüllt, um die ich Mary Anne gebeten hatte, aber es war dennoch ein klares Nein. So charmant die knarzenden Dielenböden auch waren, der Hausgeist Mabel war es weniger. Sie war vor dreißig Jahren die Treppe runtergefallen und trug es ihrem nichtsnutzigen Sohn noch immer nach, dass er so lange gebraucht hatte, um sie zu entdecken.

»Zwei Wochen«, nörgelte sie und stach mir dabei ihren knochigen Finger in die Brust. »Ist das denn zu fassen?«

Nach fünf Minuten in ihrer Gegenwart? Ja. Ja, durchaus. Ich murmelte etwas Unverbindliches, und sie musterte mich einen Moment lang aus zusammengekniffenen Augen. Offenbar musste ich an meinem Pokerface noch arbeiten, denn ihr misstrauischer Blick verfinsterte sich, bevor sie mich ein weiteres Mal kräftig pikte.

Die aufbrausende Mabel erklärte auch, warum das Haus so ein Schnäppchen war. Als ich Danny eine entsprechende Nachricht schickte, wirkte er nicht sonderlich traurig darüber. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, wäre es mir beinahe so vorgekommen, als wäre er erleichtert.

Ich bog auf den Parkplatz des Brickell Bay Police Departments ein und fuhr direkt in eine Lücke, die gerade von einem Streifenwagen frei gemacht wurde. Wie immer herrschte im Polizeigebäude emsige Geschäftigkeit wie in einem Bienenstock. Der schmale, hohe Bau wirkte in seiner Kastenform sehr nüchtern. Mein letzter Arbeitsplatz war zwar neuer und moderner gewesen, dennoch vermisste ich ihn nicht wirklich.

Nachdem ich den Metalldetektor und zwei Sicherheitschecks hinter mich gebracht hatte, berichtigte ich diese Aussage: Ich vermisste einen verlässlichen Aufzug. Ebenso wie der Rest des BBPD hatte er schon weitaus bessere Tage gesehen. Er bewegte sich im Schneckentempo vorwärts und kam auf jeder Etage mit einem kräftigen Rucken zum Halt. Als ich ihn betrat, sackte die Kabine ein Stück ab, als würde ich eine Tonne wiegen. Ich drückte auf den Knopf für mein Stockwerk und wartete, während der Aufzug mit immer noch offenen Türen über meine Aufforderung nachdachte.

Wenn ich mit diesem Ding gefahren war, hatte ich immer das Gefühl, dem Tod von der Schippe gesprungen zu sein. Das Einzige, was zwischen mir und einem furchtbaren Ableben stand, war ein Aufzug, der von Kabelbindern, Klebeband und Gebeten zusammengehalten wurde. Und doch … war es das tägliche Risiko wert. Menschen, die ohne triftigen Grund zusätzliches Ausdauertraining betrieben, waren eine moderne Sage – etwas, von dem ich irgendwann mal gehört hatte, das ich aber nicht so recht glauben konnte.

Die Aufzugtüren schlossen sich abrupt, und die Kabine setzte sich in Bewegung.

In einer ehemaligen Lagereinheit im zweiten Stock befanden sich die kleinen Räume der PTU. Die Einrichtung unserer Abteilung war nicht gerade vom Feinsten, aber das war für uns schon in Ordnung. Unsere Büroassistentin Macy beschwerte sich manchmal, dass es immer noch ein wenig nach Schimmel roch, und nutzte gerne und viel Raumerfrischer. Ob das Aroma von Schimmel nun besser in Kombination mit »Frühlingswiese« oder pur zur Geltung kam, wusste ich nicht, aber es machte Macy glücklich, also beschwerte ich mich nicht.

Jeder von uns hatte ein kleines Büro für sich bekommen, was durchaus eine Verbesserung und einen willkommenen Bonus darstellte. Es fiel außerdem in die Kategorie Notwendig, damit sich Nick und Kevin nicht umbringen. Vorher hatten wir uns den zur Verfügung stehenden Raum teilen müssen und waren nur durch Raumteiler voneinander abgeschirmt. Nick und Kevin konnten sich eine halbe Stunde lang darüber streiten, welcher Lieferdienst seine Pizzen mit mehr Käse belegte. Zusätzlich zu unseren Einzelbüros stand uns noch ein großer Konferenzraum mit etlichen Pinnwänden und Whiteboards zur Verfügung. Dazu kamen mehrere Verhörräume, Toiletten und eine winzige Kaffeeküche, die das Hauptquartier der PTU vervollständigten.

Unsere Einheit war ziemlich unabhängig von allen anderen. Ich redete mir gerne ein, dass es so einfach praktischer für uns war und das nicht bedeutete, dass man uns vom Rest fernhalten wollte. Dass wir unser Stockwerk nicht verlassen mussten, außer um nach Hause zu gehen, war … sicher nur ein glücklicher Zufall.

Endlich lieferte mich der Aufzug im zweiten Stock ab. Macy telefonierte und schenkte mir ein Lächeln, als ich an ihrem Schreibtisch vorbeikam. Sie trug ein Twinset mit Katzenmotiven, und keins ihrer eisengrauen Haare wagte es, sich aus dem strengen Dutt zu lösen.

Als sie mit einem Zeigefinger auf die Kaffeeküche deutete, folgte ich ihrem Wink in Rekordgeschwindigkeit. Ihre Backkünste waren sagenhaft. Da machte es auch nichts, dass sie regelmäßig Anrufe an den falschen Anschluss weiterleitete oder sich weigerte, Büroausstattung zu benutzen, die für sie »neumodisches Zeug« war. Ich konnte nur hoffen, dass der Rest des Teams noch nicht alles verputzt hatte.

Ich hielt schnurstracks auf die Dose auf der Anrichte zu. Wahrscheinlich würde mich gleich eine monumentale Enttäuschung in die Knie zwingen, von der ich mich nie wieder erholen würde, doch nichtsdestotrotz öffnete ich den Deckel und lugte darunter. Zwei Plunderstückchen waren noch übrig. Kurz überlegte ich, ob Kevin St. James, Dannys Partner und menschlicher Essenstaubsauger, vielleicht krank war. Die beiden Gebäckstücke landeten rasch auf einem Pappteller, und weg war ich.

Ich rupfte ein Stückchen ab und steckte es mir in den Mund. Erdbeere, Kevins Lieblingssorte. Meine Sorge um seine Gesundheit verstärkte sich. Da er quasi immer seine Tür offen ließ, bekamen wir mit, wie er ständig seine eigenen Essenrekorde brach. Im Vorbeigehen warf ich einen Blick in sein Büro und entdeckte ihn dort am Schreibtisch, den Hörer am Ohr und eine Tüte frittierter Kochbananen vor sich, die er in alarmierender Geschwindigkeit leerte.

Kevin war ein ehemaliger Quarterback, blond, blaue Augen und mit einer netten, vertrauenswürdigen Erscheinung gesegnet, die beim Verhör von Verdächtigen durchaus vorteilhaft war. Bevor die wussten, wie ihnen geschah, hatten sie schon viel zu viel ausgeplaudert. Ich war mir auch ziemlich sicher, dass ich ihn noch nie ohne etwas zu essen in der Hand gesehen hatte. Sein Glück war seine große, kräftige Statur, bei der die Kalorien genug Platz zum Verteilen hatten.

Sowie er mich entdeckte, bedeutete er mir zu warten, doch ich tat, als hätte ich nichts gesehen. Die Plunderteilchen würde ich ganz sicher nicht teilen. Mein Magen hatte gesprochen, und meine Hüften würden einfach damit leben müssen.

Er holte mich ein, als ich gerade mein Büro erreicht hatte. »Hey.«

»Selber hey«, gab ich zurück und ließ mich auf meinen Schreibtischstuhl sinken.

»Warum hast du nicht gewartet? Hast du nicht gesehen, dass ich das hier gemacht habe?« Er hielt demonstrativ einen Zeigefinger hoch. »Weißt du nicht, was das heißt?«

Ich verengte die Augen. »E.T. nach Hause telefonieren?«

Kevin schnitt eine Grimasse. »Wo ist McKenna?«

»In einem Meeting, glaube ich. Er sollte bald da sein.« Ich fuhr meinen Computer hoch – auch bekannt als das einzige neue Teil in meinem Büro. Ich weigerte mich, mit etwas zu arbeiten, auf dem ein Dinosaurier das Wort Meteorit hätte googeln können. »Ihr beide werdet ja wohl mal fünf Minuten ohneeinander auskommen.«

Mein Besucherstuhl ächzte besorgniserregend, was mich aufsehen und überrascht feststellen ließ, dass Kevin immer noch da war. Er lächelte freundlich … doch dann landete sein Blick auf meinen Gebäckstücken.

Wir schauten uns in die Augen. Mein stahlharter Blick erklärte ihm, dass ich mir nicht zu fein war, ein Plunderstück anzulecken, um es für mich zu beanspruchen. Sein gelassener Blick sagte mir, dass er sich nicht zu fein war, ein Plunderstück zu essen, das ich bereits angeleckt hatte. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, bedachte er mich mit seinem besten bettelnden Hundewelpenblick.

Ich schob den Teller ein Stückchen in seine Richtung. Zu meiner Überraschung bewies er Beherrschung, indem er sich nur das Teilchen nahm, von dem ich bereits ein kleines Stück abgepflückt hatte. Er verschlang es in zwei Bissen und tätschelte sich dann seufzend den Bauch.

»Nur eins?«, fragte ich.

»Ich sollte mich ein bisschen zurückhalten.« Er leckte sich die Zuckerglasur von den Fingern. »Ich hatte schon sechs. Meine Frau ist der Meinung, dass ich nur ein Plunderstück vom Zuckerschock entfernt bin.«

So gesättigt machte er es sich bequem, indem er die Füße überschlug, und wie alle hartnäckigen Plagegeister schien auch er es nicht eilig zu haben, wieder zu verschwinden.

»Kann ich dir sonst noch irgendwie helfen?«, fragte ich.

»Ja, da war noch was.« Er lächelte, bevor er die Bombe platzen ließ. »Unser Lieutenant will mit dir sprechen.«

»Was? Wann? Warum?« So panisch hatte ich gar nicht klingen wollen, aber es war einfach aus mir herausgeplatzt. Gespräche mit Lieutenant Tate waren selten angenehm. »Bist du dir sicher?«

»Sie hat explizit nach dir gefragt.«

»Aber warum? Danny ist der Leiter der Einheit.«

»Das weiß ich. Aber er ist nicht hier, du schon, also ist es dein Job.«

»Du hast mehr Dienstjahre.«

Er zuckte die Schultern. »Diese Einheit war deine Idee.«

»Das war nicht meine Idee, sondern Dannys.«

»Dann sollte sie wohl mit Danny sprechen«, erwiderte er.

»Danny ist nicht da«, erinnerte ich ihn.

»Und so beißt sich die Katze in den Schwanz.«

Ich starrte ihn finster an. Einst hatte ich Thanksgiving an seinem Tisch verbracht und seiner großartigen Frau Blumen mitgebracht, und nun das. »Ich bin nicht in der Stimmung, mich von Tate anschreien zu lassen.«

»Dann hättest du zu Hause bleiben sollen.« Weise Worte.

»Christiansen!«, ertönte in diesem Moment Tates laute Stimme durch den Flur, als hätte ich die Frau allein dadurch heraufbeschworen, dass ich an sie dachte. Das Klackern ihrer Absätze wirkte wie ein Omen – vor meinem inneren Auge liefen monumentale Bilder vom Untergang der Welt ab. »Ich muss mit Ihnen reden.«

»Sprich nie ihren Namen aus«, flüsterte Kevin und stand auf. »Das ist wie bei Beetlejuice.«

»Und wo willst du jetzt hin?«, fragte ich.

»Ich habe zwei offene Fälle. Die Arbeit macht sich nicht von allein.«

»Jetzt warte doch …« Mein aufgebrachtes Zischen verstummte, als Tates hochgewachsene Gestalt im Türrahmen auftauchte. Es wäre ein Fehler, sie rein nach ihrem guten Aussehen zu beurteilen – hellbraune Haut, fein geschnittene Gesichtszüge und dunkle Augen, die von langen Wimpern umrahmt wurden. Nein, man sollte ihrem strengen Gesichtsausdruck deutlich mehr Beachtung schenken, denn so herrschte sie hier. Mit eiserner Faust. Eine Diktatorin durch und durch.

»Christiansen, wir müssen reden.« Sie marschierte zu mir herüber und nahm auf einem meiner Besucherstühle Platz. »Sind Sie bei dem Lottie-Hereford-Fall auf dem neuesten Stand?«

»Nein, ich bin gerade erst zur Tür rein…«

»Die Zahnmedizinstudentin«, unterbrach Tate mich ungeduldig. »Ihr Ex-Freund hat sie und die beiden kleinen Kinder umgebracht. Jon Gable?«

»Ja, ich kenne den Fall. Ich habe nur noch kein Update bekommen …«

»Man sollte meinen, dass Sie engagiert genug sind, um auf dem Laufenden zu bleiben.«

Ich warf einen Blick in Kevins Richtung in der Hoffnung auf Unterstützung, musste aber ungläubig feststellen, dass sich dort nur noch ein leerer Stuhl und eine zusammengeknüllte Serviette befanden. Ich gönnte mir für einen Moment den Gedanken daran, wie unhöflich er war – wenn man lernte, sich zu teleportieren, teilte man dieses Wissen mit anderen.

Verlassen von meiner nichtsnutzigen Mannschaft blieb mir keine Wahl, als alleine weiterzurudern. »Was ist los, Lieutenant?«

»Jon Gable behauptet, dass Sie ihm eine Nachricht von seiner toten Mutter überbracht haben.« Sie legte eine Kunstpause ein. »Er sagt, dass er nur gestanden hat, weil Sie ihm erzählt haben, dass seine Mutter sonst Rache an seiner Seele nehmen wird.«

»Er hat mich gefragt, ob sie wütend auf ihn ist. Das habe ich bloß beantwortet – und zwar wahrheitsgemäß …«

»Sie hätten McKenna das Verhör überlassen sollen. Oder St. James.« Sie schüttelte den Kopf. »Verdammt, selbst Macy wäre besser gewesen.«

Das saß. Ich richtete mich in meinem Stuhl auf. »McKenna muss mir nicht das Händchen halten oder mir über die Schulter schauen. Entweder bin ich Teil dieses Teams oder nicht.«

»Seien Sie nicht so empfindlich.« Sie musterte mich. »Es bestreitet ja niemand, dass Sie ein hervorragender Ermittler sind. Wenn ich das bezweifeln würde, hätte ich das längst gesagt.«

»Was ist dann das Problem?«

»Wir waren uns einig, dass die PTU keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollte. Das Team arbeitet wie immer an Cold Cases, und Sie machen unauffällig Ihr Ding. Das war der Deal.«

»Und ich habe meinen Teil der Vereinbarung eingehalten.«

»Jon Gables Anwalt stellt Fragen. Fragen, die ich im Moment nicht gebrauchen kann.« Sie fuhr sich durch die kurzen, stufig geschnittenen Haare. »Soweit ich weiß, ist er damit noch nicht weit gekommen, aber wir wissen beide, dass das nicht so bleiben wird. Es gibt immer Leute, die gerne reden. Selbst wenn sie gar nicht wissen, was sie glauben zu wissen. Wissen Sie?«

»Ich weiß«, bestätigte ich feierlich.

Tate presste die Lippen zusammen. »Das Department muss sich selbst schützen.«

Ich arbeitete lange genug bei den Strafverfolgungsbehörden. Das war die hochtrabende Ankündigung dafür, dass sie mich opfern würden, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich verstehe.«

»Es tut mir wirklich leid, und ich wünschte, ich könnte etwas tun. Insbesondere nach dem, was Sie in Bezug auf meine Großmutter für mich getan haben.«

»So viel war das nicht.«

»Für Sie vielleicht nicht, aber mir hat das alles bedeutet. Ich konnte mit meiner Großmutter sprechen und ein wenig Wiedergutmachung leisten. Ich hätte nie erwartet, diese Möglichkeit zu bekommen.« Ihre Augen wurden ein bisschen feucht. »Das war etwas Besonderes – nein, Sie sind etwas Besonderes, wissen Sie das?«

Ich rutschte unbehaglich auf meinem Stuhl herum. Wann waren aus dem feuchten Schimmer Tränen geworden? Wenn ein zähes Biest wie Tate in meinem Büro losheulte, würde ich es am Ende vielleicht auch noch tun. Und dann würde ich mich postwendend aus dem Fenster stürzen müssen, so peinlich wäre das. Bei meinem Glück würde ich den Sturz aber schwer verletzt überleben, und sie würde mich vom Fenster aus anbrüllen, dass ich nicht ihren Gehweg vollbluten, sondern meinen Hintern umgehend in ein Krankenhaus bewegen sollte.

Ihre Dankbarkeit wich Faszination. »Sie winden sich ja geradezu. Sie ertragen ein einfaches Dankeschön kaum.«

»Ich habe doch gesagt: gern geschehen, oder?«

»Eigentlich nicht, nein. Und werden Sie etwa rot?«

Jep. Ein kleines bisschen. War ja nicht so, als könnte ich das verstecken. Ich war blond und hatte helle Haut – zu den ungünstigsten Zeitpunkten rot zu werden, war praktisch angeboren. Die Hitze, die mir in die Wagen stieg, konnte ich ebenso wenig aufhalten wie eine Kugel nur kraft meiner Gedanken umlenken.

»Lieutenant.« Langsam war ich verzweifelt. »Ich weiß nicht, ob ich das schon erwähnt habe, aber ich bin ein emotional unterentwickelter Mensch.«

»Großer Gott, Christiansen. Ich versuche hier, mich Ihnen zu öffnen.« Sie schüttelte den Kopf. »Vielleicht sollten Sie mal zum Psychologen oder so.«

Sie war nicht die Erste, die mir das empfahl. »Ja, Ma’am«, antwortete ich fügsam.

»Hören Sie, mir ist durchaus bewusst, wie beschränkt dieses Department ist. Ich habe schließlich geholfen, es aufzubauen.« Da war es wieder, das Feuer in ihren Augen. »Aber ich habe mich für Sie und diese Einheit weit aus dem Fenster gelehnt, also müssen Sie jetzt auch liefern.«

»Ich weiß.«

»Wenn die hohen Tiere wollen, dass man die Abteilung dichtmacht, werde ich nichts dagegen tun können.«

»Ich weiß.« Und wie ich das wusste.

»Das reicht nicht. Liefern Sie mir verdammt noch mal Ergebnisse.«

Himmel, sie konnte mir doch nicht den ganzen Arsch aufreißen. Ein bisschen was davon brauchte ich noch zum Sitzen. Und für Sex.

Mein Blick landete auf meinem letzten Plunderstück. Ich schob ihr den Pappteller als Opfergabe über den Tisch hinweg zu. Manchmal musste man Futter in den Käfig werfen und hoffen, dass die Bärin davon lange genug abgelenkt war, damit man sein Bein retten konnte.

Ihre Augen wurden groß. »Im Ernst? Hat Macy das gebacken?«

»Ja.« Womöglich war es nicht klug, die Bärin zu reizen, aber ich konnte nicht widerstehen. »Wenn Sie nicht wollen, ist das auch in Ordnung. Vielleicht sollte ich einfach …«

Sie schnappte sich den Teller so schnell, dass ein Navy SEAL auf die Reflexe neidisch gewesen wäre. Ich tat, als würde ich nicht zusehen, wie sie sich ein Stück von dem Gebäck abbrach und hineinbiss. Mein Magen knurrte. Ich vermisse dich schon jetzt, Butter. Du und mein Bauch hättet beste Freunde fürs Leben werden und meinem Cholesterin die kalte Schulter zeigen sollen.

»Mann, Christiansen, Sie wissen doch genau, dass ich auf Diät bin.« Sie brach ein weiteres Stück ab und steckte es sich in den Mund. Dann schob sie den Teller von sich, als wäre er radioaktiv verseucht, und warf mir einen trotzigen Blick zu. Wir wussten beide, dass sie den Rest auch noch essen würde. Aber ich war definitiv nicht Manns genug, ihr das ins Gesicht zu sagen.

Ein paar Sekunden verstrichen, bevor sie sichtlich enttäuscht seufzte, dass ich ihr keinen Grund gegeben hatte, sich wie ein Sumoringer auf mich zu stürzen. »Es ist wichtig, dass wir beide wissen, wo wir stehen. Ich bin froh, dass wir diese nette Unterhaltung miteinander führen konnten.«

»Ja. Ich, äh, auch.«

»Jon Gables Anwalt ist ein Bluthund, also müssen wir hier in die Offensive gehen.«

»Was bedeutet?«

»Die Rechtsabteilung will einen vollständigen Bericht über Ihre Handlungen während der Ermittlungen. Handschriftlich.«

»Handschriftlich?« Ich wusste nicht mal, ob ich noch dazu in der Lage war, einen Stift zu halten. »In welchem Jahrhundert leben die denn?«

»Im gleichen, in dem Sie aufhören, mir Schwierigkeiten zu machen, und sich an die Regeln halten.« Sie erhob sich und schnappte sich den Rest vom Plunderteilchen. »Ich will den Bericht auf meinem Schreibtisch, bevor Sie heute Abend gehen.«

Da ging er also hin, mein Arbeitstag.

»Und, Christiansen?«

»Ja?«

»Der nächste Fall, den die PTU sich vornimmt, sollte besser ein guter sein. Ein solider Fall«, warnte sie mich. »Absolut wasserdicht.«

»Hab’s verstanden«, antwortete ich leise.

Ich machte mir nicht die Mühe, ihr zu erklären, dass ich mir nicht die Geister aussuchte, sondern diese zu mir kamen. Stattdessen salutierte ich mit zwei Fingern, was ihr hoffentlich meine Kooperationsbereitschaft signalisierte. Sir, yes, Sir. Was immer Sie sagen, Sir. Ich zuckte zusammen, als sie tornadogleich, wie sie nun mal war, abrauschte und dabei die Tür so hart hinter sich zuschlug, dass sie eigentlich wie eine Saloon-Tür hätte durchschwingen müssen.

Ich unterhielt mich so wahnsinnig gerne mit ihr.

KAPITEL 3

Ich wusste nicht, was mich geweckt hatte.

Vielleicht ein ungewöhnliches Geräusch von draußen oder dass ich mich aus Dannys Armen wegbewegt hatte. Vielleicht die veränderte Lichtstimmung, die durch das Schlafzimmerfenster hereindrang. Ich blinzelte verschlafen ins Halbdunkel, versuchte, die Form von Schatten zu unterscheiden. Als sich meine Augen wenig später darauf eingestellt hatten, entdeckte ich den Geist, der auf der Bettkante saß.

Ich war zu müde, um sauer zu werden. In den letzten sechs Monaten hatte sich viel verändert, aber eins war geblieben: Ich sah noch immer Geister, und sie hatten immer noch kein Gefühl für Uhrzeiten.

Volles, dunkles Haar hing ihm in die Stirn. Die Farbe seiner Augen konnte ich nicht ausmachen, aber er wirkte in Gedanken versunken … und vielleicht auch ein bisschen traurig. Ich schätzte ihn auf Anfang dreißig, war aber noch nie gut darin gewesen, das Alter einer Person richtig zu bestimmen. Seine dunklen, verwaschenen Jeans, das karierte Hemd und die ausgetretenen Sneaker deuteten darauf hin, dass er wahrscheinlich aus diesem Zeitalter stammte – Gott sei Dank. Echte Frustration hatte ich erst in ihrer Gänze begriffen, als ich vier Monate damit zubringen musste, einem übellaunigen Piraten zu erklären, dass ich nicht unter einem Krankenhaus nach seinem vergrabenen Schatz suchen würde.

Als der Geist meinen Blick bemerkte, hellte sich sein Gesicht auf. Jetzt sah ich auch, dass seine Augen grün waren und ein klarer, hoffnungsvoller Ausdruck in ihnen stand. Diese Augen machten sein hübsches Gesicht noch attraktiver. »Dann stimmen die Gerüchte also.«

»Nein«, sagte ich und zog mir die Decke über den Kopf.

»Du weißt doch noch gar nicht, was ich will.«

»Du willst das Gleiche wie alle anderen.«

Meine Stimme wurde sicher von der Decke gedämpft, aber er verstand offenbar trotzdem. »Deine Aufgabe ist es, mir zu helfen«, meinte er. »So was machst du doch, oder?«

»Ich werde dir helfen«, versprach ich. »Nur nicht mitten in der Nacht.«

Er schnaufte. »Woher soll ich wissen, wann du arbeitest? Zeit ist auf meiner Seite nicht dasselbe. Eigentlich ist gar nichts wie bei dir.«

Ich schlug die Decke wieder zurück, um ihm einen spöttischen Blick zuzuwerfen. »Ich kann dir einen guten Anhaltspunkt dafür liefern, dass es Morgen ist: Da steht dieser große, helle Feuerball am Himmel. Mein Volk nennt ihn Sonne.«

»Mittler«, erwiderte er entnervt.

»Geist«, gab ich zurück, da wir jetzt offensichtlich Dinge aussprachen, die wir schon wussten.

Er rieb sich müde über die Augen. »Ich weiß nicht mal genau, wie ich hierhergekommen bin.«

Na ja, mach einfach das Gegenteil davon und verzieh dich.

Ich rutschte unruhig auf der Matratze herum und kratzte mich mit einem Fuß an der Wade des anderen Beins. Warum Geister ausgerechnet mitten in der Nacht einem Rätsel auf den Grund gehen wollten, war mir nach wie vor schleierhaft. Aber wenn ich jedes Mal sprang und ihnen half, sobald sie danach verlangten, würde sich das nie ändern.

»Morgen«, sagte ich deshalb nachdrücklich.

»Aber ich will dich wohin mitnehmen.« Mein Gesichtsausdruck musste verraten haben, wie sehr mich seine Aussage in Alarmbereitschaft versetzte, denn er gab einen ungeduldigen Laut von sich. »Wenn ich dir etwas antun wollen würde, hätte ich das gleich hier gemacht. Vielleicht sogar, während du noch geschlafen hast.«

Wie beruhigend. Kurz erwog ich, ob ich das Ganze noch ein paar Minuten hinauszögern sollte, aber er machte nicht den Eindruck, als würde er wieder verschwinden. Und meine Laune wurde davon auch nicht besser. »Wie heißt du?«, fragte ich.

»Mason, glaube ich. Wie gesagt, auf dieser Seite ist alles anders, aber dieser Name … er sagt mir etwas.« Er testete ihn erneut. »Mason. Maaaaayson.«

Ich entschied mich fürs Aufstehen, bevor er es mir am Ende noch aufmalte. »Na schön, gib mir eine Minute«, unterbrach ich ihn leise. »Ich ziehe mir was an, und wir machen uns an die Arbeit.«

Er nickte, und ich wühlte mich aus meinem gemütlichen Deckennest. Der Boden fühlte sich kalt unter meinen nackten Füßen an, und ich schwor mir, dass ich demnächst den Vorleger aus meinem Haus mitbringen würde. Danny war unfassbar stolz auf seine Fußböden – die auch wirklich schön waren –, aber warme Füße hatten Vorrang vor glänzendem, dunklem Holz.

Ich versuchte, mich geräuscharm zu bewegen, aber das hätte ich mir auch sparen können. Danny grummelte etwas, bevor ich das Fußende des Betts erreicht hatte, und lenkte mich damit ab, sodass ich über die Ottomane stolperte und mir japsend den schmerzenden Fuß hielt.

Er tauchte mit zerzausten Haaren aus den Decken auf und musterte mich aus einem zusammengekniffenen Auge. Unwillkürlich fragte ich mich, wie lange er wohl schon wach war und mich belauscht hatte, während er Noten verteilte, wie ich mit der Situation umging.

»Geschieht dir recht.« Seine Stimme klang tief und heiser.

»Danke sehr.« Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. »Apropos, wie läuft eigentlich dein ›Mitgefühl für Dummies‹-Kurs?«

»Ich habe Mitgefühl mit einem ganz bestimmten Dummy«, antwortete er geduldig. »Hast du dir was getan?«

Eigentlich wollte ich etwas Sarkastisches zurückgeben, aber mein Zeh pochte inzwischen schmerzhaft. Meine Aufmerksamkeit richtete sich also wieder auf die Frage, ob ich mir das Mistding gebrochen hatte. Vorsichtig verlagerte ich ein bisschen Gewicht darauf. So weit, so gut.

»Ich glaube nicht«, meinte ich schließlich.

»Zeig mal her.«

Ich wusste, dass Protest reine Zeitverschwendung war. Also hinkte ich zu ihm und stellte den verletzten Fuß auf seinem Schoß ab. Ich versuchte, seine Stimmung abzuschätzen, doch er ließ nicht viel durchblicken. Seine Wimpern verdeckten seine ausdrucksstarken, blauen Augen. Ich bewegte mich unruhig. Wahrscheinlich war er genervt, aber seine Berührungen fühlten sich warm und unglaublich sanft an.

Er untersuchte meinen Fuß mit seiner üblichen Gründlichkeit, drehte ihn in den Händen und drückte hier und da. Nach ein paar Sekunden vorsichtiger Untersuchung wusste ich bereits, dass nichts gebrochen war. Doch ich hielt den Mund und unterdrückte ein Seufzen, als Danny mit dem Daumen über meinen Spann strich. Als Fußmasseur hätte er ein Vermögen verdienen können.

Mir entwich nun doch ein leises Stöhnen, und Danny warf mir einen forschenden Blick zu. »Tut das weh?«

»Ja«, antwortete ich, ohne zu zögern.

»Wo?«

»Ich sag’s dir gleich. Mach einfach weiter.«

Er lächelte und gab mir einen Klaps, sodass ich den Fuß vorsichtig wieder runternahm. »Weißt du, wie spät es ist?«

Ich hatte eine ungefähre Ahnung. »Nein.«

»Drei Uhr morgens«, klärte er mich auf, bevor er sich an meinen Echo wandte. »Alexa, wie viel Uhr ist es?«

»Es ist 3.04 Uhr«, bestätigte sie.

Oh, der stand eine zeitnahe Verabredung mit einem Spülbecken voller Wasser bevor. »Vielen Dank. Euch beiden. Aber das hier kann nicht warten.«

»Wir haben uns über die Grenzen unterhalten, die du Geistern setzen solltest, erinnerst du dich noch?«

»Ja, tue ich, aber …«

»Geht es um Leben und Tod?«

Ich hinkte zu meinem Wäscheberg für die Reinigung und wühlte mich in der Hoffnung durch die Kleidungsstücke, dass ich irgendetwas davon noch mal anziehen konnte. »Vielleicht.«

»Das war eine Fangfrage. Wenn er oder sie schon tot ist, kann das auch bis morgen warten.«

»So funktioniert das nicht.«

»Ach nein? Alexa, mach das Licht an.«

Als nichts passierte, schauten wir beide zum Deckenlicht hoch. Danny wiederholte den Befehl noch einmal lauter, und plötzlich gehorchte sie. Ich kniff die Augen zusammen, als die Glühbirne auf einmal zum Leben erwachte.

»Mir ist schleierhaft, wie du deine Gabe kontrollieren willst, solange du kaum weißt, was genau sie eigentlich beinhaltet«, fuhr Danny fort, offensichtlich unbeeindruckt davon, dass mein Echo eben versucht hatte, uns die Netzhaut zu verbrennen.

»Ich sehe gerade gar nichts mehr, danke dafür.« Ich versuchte, die bunten Punkte wegzublinzeln. »Und ich habe mich immerhin mit diesem Guru getroffen, oder?«

»Ja, aber du bist seitdem nicht wieder hingegangen.«

»Er war nicht der Richtige für mich. Ich hab doch gesagt, dass ich zu einem anderen gehen werde. Ich muss nur die Zeit für einen Termin finden.«

»Ich habe dir einen bei einem anderen Guru gemacht, und du bist nicht hingegangen. Zweimal.«

»Die Arbeit ist dazwischengekommen. Das weißt du.« Ich warf ihm einen gereizten Blick zu. »Und ehrlich gesagt ist es schon nervig genug, um drei Uhr morgens auf Geisterjagd zu gehen. Schlimmer ist nur, deswegen auch noch angemotzt zu werden.«

Ich schüttelte eine dunkelblaue Stoffhose aus und nahm sie genauer unter die Lupe. Wirkte nicht, als hätte ich sie überhaupt angehabt. Das FBI hatte ich zwar verlassen, doch der Dresscode war so tief in mich eingebrannt, dass ich in dieser Hinsicht wohl ein hoffnungsloser Fall war. Man konnte jahrelang gepflegtes neurotisches Verhalten nicht so einfach unterdrücken. Rasch stieg ich in die Hose und fluchte, als mein schmerzender Zeh sich im Stoff verhakte.

»Ich motze nicht«, meinte Danny schließlich deutlich ruhiger. »Ich weiß, dass du dir nichts von dem hier gewünscht hast. Ich … ich mache mir nur Sorgen um dich.«

Ich schaute nicht zu Danny rüber, während ich den Reißverschluss und Knopf meiner Hose schloss. Hauptsächlich, weil sich seine Worte so schrecklich gut anfühlten. Als hätte mir jemand heißen Kakao direkt in die Brust gekippt. Was mich wahrscheinlich umbringen würde, aber genau so fühlte es sich an.

»Ich mag es, wenn du dir Sorgen um mich machst«, gab ich zu. Und ich hasse es gleichzeitig.

»Und du hasst es.« Das folgte so dicht auf meinen eigenen Gedanken, dass ich mich kurz fragte, ob ich es vielleicht laut ausgesprochen hatte. Dannys Mundwinkel bogen sich nach oben. »Ich kenne dich, Rainstorm. Manchmal besser als du dich selbst. Nur weil ich mir Sorgen um dich mache, heißt das nicht, dass ich dich für unfähig halte.«

Während ich noch auf diesem Informationsfetzen herumkaute, schlug Danny mit einer dramatischen Geste die Decken zurück und stieg aus dem Bett. Seine eng anliegenden, dunkelgrauen Pants waren ein bisschen zerknittert und schmiegten sich an seine muskulöse Statur. Sechs Monate, und mein Schwanz regte sich nach wie vor sofort, wenn ich ihn halb nackt sah.

Möglicherweise war ich ja voreingenommen, aber Daniel McKenna war ein widerlich gut aussehender Mann. Volle, dunkle Haare, tiefblaue Augen und ein kantiges Kinn, mit dem man eine Linie hätte ziehen können – der Inbegriff von männlicher Schönheit. Gut gebaut war er außerdem noch mit seinen breiten Schultern, den schmalen Hüften und muskulösen Beinen, die meine Fantasie abdriften ließen, wofür wir jetzt allerdings keine Zeit hatten. Dass ich ihn anglotzte, machte mir aber kein schlechtes Gewissen, denn am meisten liebte ich sein großes Herz, bei dem ihm niemand das Wasser reichen konnte. Das und seinen spektakulären Hintern.

Hey, man konnte mehr als eine Sache lieben.

Danny streckte sich und kratzte sich kurz an besagtem Superhintern. Dann ging er in Richtung Bad. »Warte.« Ich schüttelte den Kopf, um die zweideutigen Gedanken zu vertreiben. »Wo willst du hin?«

Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an, in der sein Barbell-Piercing glänzte. »Ich bin ein Mensch. Als solcher muss ich mich manchmal erleichtern.«

»Sehr witzig.«

»Dann werde ich mich anziehen, weil ich genau weiß, dass du selbstverständlich niemals alleine da rausgehen würdest.«

Genau das hatte ich vorgehabt. »Dafür musst du deinen Schlaf nicht opfern.«

»Ja, der wundervolle Schlaf, den ich genießen würde, während ich mich frage, ob bei dir alles in Ordnung ist, wenn du mitten in der Nacht Gott weiß wo rumrennst und deine einzige Verstärkung aus einem Geist besteht.«

Nun, wenn man es so ausdrückt … Ich suchte verzweifelt nach einer schlagfertigen Erwiderung, aber mir fiel nichts ein – zumindest nichts Intelligentes. Auf mein perplexes Schweigen hin brummte Danny zufrieden und ging dann ins Bad.

»Ich meine, um drei Uhr morgens passieren nur gute Dinge, oder?« Er schloss die Tür hinter sich, doch ich hörte seine Stimme leider weiterhin laut und deutlich. »Und Geister bringen dich auch nur an schöne, sichere Orte, nicht wahr?«

»Klugscheißer.« Ich schlüpfte in ein Hemd, knöpfte es aber noch nicht zu, sondern setzte mich auf die Bettkante, um meine Loafer anzuziehen.

»Und zieh dir eine Jeans an!«, rief Danny. »Mit stabilen Schuhen. Am besten Stiefel. Wer weiß, wo uns dieser Geist hinführt.«

Ich seufzte und warf meine Loafer in Richtung der Ottomane, auf der sie mit einem dumpfen Laut landeten und dann zu Boden fielen. Ja, das war nicht unser erstes Geisterabenteuer außerhalb der regulären Arbeitszeit. Ja, wir waren dabei schon an zweifelhaften Orten gelandet. Und ja, einmal hatte ich mir meine Lieblingshose aufgerissen, als ich einen felsigen Abhang runtergerollt war, weil Geister offenbar keinen Sinn für den erlesenen Modegeschmack von Hugo Boss hatten. Könnten wir da endlich Gras drüber wachsen lassen?

»Es ist doch offensichtlich, dass ich dir nichts tun werde.« Mason lungerte nach wie vor im Türrahmen herum. »Ich brauche deine Hilfe. Dir zu schaden, wäre doch sehr kontraproduktiv, oder?«

Ich zog eine Augenbraue nach oben. »Gut zu wissen, dass ich nur deswegen kein Geistermesser im Rücken habe, weil ich etwas für dich tun muss.«

Er schnaufte. »Du weißt, was ich meine.«

Als ich mir schließlich eine schwarze Jeans und ein T-Shirt angezogen hatte, war Danny immer noch im Bad und putzte sich gerade die Zähne. Ich seufzte laut, als ich ihn gurgeln hörte. »Wir sollten los!«, rief ich. Er war ja noch nicht mal angezogen. »Geister sind nicht direkt für ihre Geduld bekannt.«

»Komme schon, komme schon.« Er verließ das Bad und machte im Vorbeigehen das Licht aus. »Haben wir noch Zeit für Kaffee?«

Ich blinzelte ein paarmal. »Dein Ernst?« Für Kaffee war immer Zeit.

Er lächelte. »Ich wusste doch, dass ich dich aus gutem Grund behalte.«

»Das und regelmäßiger Sex.«

Sein Blick senkte sich auf meinen Mund, doch ich gab vor, es nicht zu bemerken. Wenn ich jetzt nach unten schaute, würde ich sehen, wie er hart wurde. Seine engen Pants würden nichts der Fantasie überlassen. Außerdem schuldete ich ihm noch einen Blowjob, und solche Schulden löste ich immer ein. Alles andere wäre schlicht unhöflich, und ich besaß eine gute Kinderstube.

»Ich nehme nicht an, dass wir noch Zeit für was anderes haben.« Dannys Stimme klang etwas heiser.

»Nein«, warf Mason laut ein. »Haben wir nicht.«

»Dich hat niemand gefragt«, fuhr ich ihn an.

Es dauerte einen Moment, doch dann schien Danny zu verstehen. »Ah. Ich wusste nicht, dass wir nicht allein sind.«

Ich zog die Schultern etwas nach oben. »Tut mir leid.«

»Nein, ist schon okay.« Sein Tonfall drückte jedoch aus, dass es alles andere als okay war. »Ich habe kurz vergessen, dass wir jetzt immer vor Publikum vögeln.«

Darauf wusste ich nichts zu sagen. Wir hatten das Haus zur geisterfreien Zone erklärt, aber diese Regel hatte sich nicht so gut umsetzen lassen, wie ich mir erhofft hatte. Also hatten wir sie ein bisschen angepasst. Wenn sich ein Geist im Raum befand, durfte ich seine Anwesenheit nicht leugnen. Manchmal bedeutete das, dass ich Danny das in … heiklen Situationen mitteilen musste.

Ich beobachtete schweigend, wie Danny sich eine Jeans und ein graues Shirt mit blauem BBPD-Aufdruck überzog. Er legte sein Hüftholster an und hängte sich seine Dienstmarke um den Hals, deren silberne Kette im Licht der Deckenlampe glänzte. Als ich an mir herunterschaute, fiel mir etwas Wichtiges auf. Wir trugen praktisch die gleiche Kleidung.

»Ich glaube, wir sollten zukünftig nicht mehr zusammen shoppen gehen.«

Danny warf mir auf dem Weg zur Tür einen bösen Blick zu. »Du bist witziger, wenn ich mehr als drei Stunden geschlafen habe.«

»Während deine Grummeligkeit den ganzen Tag lang die reine Freude ist«, murmelte ich in Richtung seines Rückens.

»Was war das?«

»Ich sagte, während du, Liebling, den ganzen Tag lang die reine Freude bist«, wiederholte ich lauter.

Belustigung tanzte in seinem Blick und verriet mir, dass er mich bereits beim ersten Mal gehört hatte. Bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte er mich auch schon gegen eine Wand gedrängt. In solchen Momenten – und nur in solchen – ging es mir ausnahmsweise mal nicht gegen den Strich, dass er einen knappen Kopf größer war als ich. Ich gab einen zustimmenden Laut von mir, als er seine Hände links und rechts von mir abstützte, mich so einkesselte und anschließend um den Verstand küsste. Als er sich schließlich wieder zurückzog, atmeten wir beide schwer. Am liebsten hätte ich mich auf ihn gestürzt.

»Du bist ein furchtbarer Lügner.«

»Scheint aber ein Vorteil für mich zu sein.« Ich verstärkte meinen Griff um seine Taille, nur für den Fall, dass er sich von mir wegbewegen wollte.

Er küsste mich erneut, und ich seufzte genießerisch. Der Morgen entwickelte sich besser als gedacht. Dannys Geschmack wurde vom Minzaroma seiner Zahnpasta überlagert, aber sein Mund war warm und seine Lippen fest auf meinen. Er grub eine Hand in meine Haare, um mich an Ort und Stelle zu halten, aber das war gar nicht nötig. Ich folgte seiner Führung beinahe instinktiv und überließ es ihm nur zu gerne, das Tempo zu bestimmen.

Wir waren stolz darauf, eine gleichberechtigte Partnerschaft zu führen. Tatsächlich bestimmte ich ein bisschen mehr, und das wussten wir auch beide – doch im Schlafzimmer hatte Danny das Sagen. So mochten wir es beide. Brauchten es auch bis zu einem gewissen Punkt.

Als Danny gerade nach dem Reißverschluss meiner Hose griff, hörte ich ein dezentes Räuspern.

»Detectives?«

»Ach, verdammt«, murmelte ich an Dannys Mund.

»Ich bitte vielmals um Entschuldigung.« Mason rümpfte die Nase. »Tut mir wirklich leid, dass ich euer kleines Stelldichein unterbreche. Aber ich würde jetzt gerne los.«

Danny zog sich ein wenig zurück und legte den Kopf schief. »Alles in Ordnung?«

»Jep.« Ich schlug den Hinterkopf etwas härter als notwendig gegen die Wand. »Ich überlege nur gerade, ob mein Ruf als Medium darunter leidet, wenn ich einem Geist sage, dass er gefälligst seine große Klappe halten soll.«

»Ja, tut er«, informierte mich Mason, bevor er wieder verschwand.

Spaßbremse. Das Geheimnis um seinen Tod war vermutlich schneller aufgelöst, als ich angenommen hatte. Ich hatte schon drei Gründe, ihn umzubringen, und ich kannte ihn gerade einmal eine Viertelstunde.

***

Mason leitete uns mit kurzen, einsilbigen Anweisungen, die ich an Danny weitergab, durch die stillen, dunklen Straßen. Andere Fahrzeuge waren um diese Uhrzeit kaum unterwegs, und noch weniger begegneten uns, als Danny einen Weg einschlug, der zunehmend kurvenreicher wurde. Von beiden Seiten warfen Bäume tiefe Schatten, was deutlich zur gruseligen Atmosphäre beitrug. Selbst die Straßenbeleuchtung wurde spärlicher, bis nur noch einsame Dunkelheit vor uns lag. Als ich schon fragen wollte, ob wir uns auf direktem Weg nach Narnia befanden – wo zum Teufel blieben der Löwe, die Hexe und der Kleiderschrank? –, sog Mason plötzlich scharf die Luft ein.

Ich schaute ihn durch den Rückspiegel an und sagte leise: »Halt an.«

Danny lenkte das Auto wortlos auf den Randstreifen. Er brachte den Schalthebel in Parkstellung und machte den Motor aus. Wir tauschten einen unruhigen Blick. Hinter der nächsten Kurve erstreckte sich ein lang gezogener Hügel, der hinunter in einen Park führte. Mehr als ein paar graffitibeschmierte Bänke und einen zugewachsenen Spazierweg schien es da jedoch nicht zu geben. Links befand sich ein See mit einem verfallen wirkenden Steg und einer kleinen Rampe für Boote.

Erneut warf ich Mason einen Blick durch den Rückspiegel zu. Er schaute unverwandt auf den Park, die schmalen Brauen zusammengezogen, und sah verwirrt aus … oder vielleicht erinnerte er sich an etwas Unangenehmes. Ich fand, er könnte jetzt ruhig auch mal etwas beitragen. »Ist das der Ort?«, fragte ich.

Mason fuhr erschrocken zusammen, seine im Schoß ruhenden Hände zuckten hoch. »Vielleicht sollten wir lieber gehen.«

»Wir sind doch gerade erst herkommen.« Ich wandte mich an Danny, der ungeduldig mit den Fingern auf dem Lenkrad herumtrommelte. »Er will wieder weg.«

»Er hat uns aus einem bestimmten Grund hergebracht.« Danny griff unter den Sitz und zog eine Taschenlampe hervor. Sie war riesig und schwer, professionelle Polizeiausstattung, und als er sie anmachte, um die Batterien zu testen, ließ er mich damit beinahe erblinden. »Nun bringen wir es auch zu Ende.«

»Okay, das ist jetzt schon das zweite Mal heute … Wenn du so weitermachst, brauche ich bald einen Blindenhund.«

»Hunde können dich nicht ausstehen. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit führt der dich direkt vor ein Auto.«

Das stimmte doch überhaupt nicht. Ja, der giftige Papillon von Dannys Mutter konnte mich nicht leiden. Ja, der bekloppte Yorkie, der unter dem Tresen meiner Reinigung hauste, bellte immer wie verrückt, wenn ich ihm zu nahe kam. Und ja, wir hatten mal einen Verdächtigen verfolgt, der seinen Hund im Auto dabeihatte, und dieser Hund hatte mich heftig geifernd angegriffen. Trotzdem.

»Ich dachte echt, wir müssten dem Vieh eins mit dem Taser verpassen, um es von dir runterzubekommen.« Offensichtlich waren Dannys Gedanken in die gleiche Richtung verlaufen wie meine. »Denkst du, es liegt an dem übersinnlichen Zeug? Dass sie vielleicht spüren können, dass etwas an dir … anders ist?«

»Nein, glaube ich nicht.« Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. »Und so aggressiv wird man nicht einfach so. Der Hund hatte irgendwas intus.«

Danny öffnete schnaubend seine Tür. »Das wird’s wohl gewesen sein. Der Hund war wahrscheinlich auf LSD.«