Stahlwölfe 03: Indian Ghostwar - Lee C.J. Quentin - E-Book

Stahlwölfe 03: Indian Ghostwar E-Book

Lee C. J. Quentin

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Beschreibung

Das Amerika des 19. Jahrhunderts, wie wir es kennen, hat so nie existiert!Die vereinten Indianerstämme der Great Indian Nation beschwören die Geister ihrer Ahnen, um daraus eine Armee aus den größten Kriegern vergangener Tage zu formieren – für die alles entscheidende Schlacht: den Indian Ghostwar.

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STAHLWÖLFEBand 3

In dieser Reihe bisher erschienen

1501 Zombie Trail von Cico Cavca

1502 Freimaurerskalps von Wolfgang Schroeder

1503 Indian Ghostwar von Lee Quentin

Lee Quentin

INDIAN GHOSTWAR

Nach einer Idee vonJörg Kaegelmann

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag, www.blitz-verlag.de, in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt bis zu einer Höhe von 23 %.

© 2017 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannExposé: Guido GrandtTitelbild: Mark FreierUmschlaggestaltung: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenwww.BLITZ-Verlag.deISBN 978-3-95719-373-5

1. Kapitel

30. Juli 1866,

Nähe Plattsmouth, Nebraska Territory

Der Osten des Landes war verloren. Es gab dort niemanden mehr, den man retten konnte. Die Menge der Opfer war hoch und stieg täglich weiter, sodass niemand mehr Zahlen nannte. Jeder Tote schloss sich sofort der Gruppe seiner Mörder an, so absurd das auch klingen mag.

Jeder Mensch, der in der Lage gewesen war, aus den Städten zu entkommen, befand sich auf der Flucht nach Westen. Aber diese Flucht drohte ihr baldiges Ende zu finden.

Verfolgt von 30 Millionen Untoten, die nur noch eine Tagesreise entfernt waren, und bedroht von einer Million Kriegern der Great Indian Nation, die ihnen den Weg versperrte. In dieser Zwickmühle steckte der größte Treck, den die Welt jemals gesehen hatte. Drei Millionen Amerikaner befanden sich in ihm, geschützt durch das letzte Aufgebot der U.S. Army und ihrem kümmerlichen Rest an Kriegsmaschinen.

Die Pferde und Lasttiere waren völlig erschöpft und würden das Tempo ihrer Flucht nicht länger durchhalten. Der gesamte Treck verlangte eine Pause, die länger als eine Nacht dauerte. Die Menschen brauchten eine Perspektive, damit sie wussten, wofür sie sich jeden Morgen hochkämpften, den ganzen Tag vorwärtsschleppten und abends mit einer kargen Mahlzeit in den Schlaf fielen. Jedes Fünkchen Hoffnung wurde gierig aufgeschnappt, aber diese Fünkchen waren eben sehr klein und sehr selten.

Anfangs feierte man noch kleine Feste. An Abenden, an denen es keine Vorfälle gegeben hatte und sie ihren Vorsprung halten oder sogar ausbauen konnten, erklangen Gesang und Gelächter an den Feuern. Mit der Zeit wurde es immer weniger. Stattdessen gab es immer öfter Streit aus nichtigen Anlässen. Inzwischen saßen die meisten nur noch müde am Lagerfeuer und starrten trübsinnig in die Flammen.

Die Nachricht vom Erfolg der Verhandlungen mit den Indianern wurde fast teilnahmslos hingenommen. Es hätte den Menschen gleichgültig sein können, wer sie letztendlich tötete, doch im Fall der untoten ­Kainiter mussten sie damit rechnen, selbst zu einem Zombie zu werden und sich dieser Horde anzuschließen. Dann lieber ein schneller Tod durch einen Pfeil oder eine Kugel.

Derrick Murphy hatte letzte Nacht in einem Anflug von Melancholie zu viel getrunken und erwachte im Morgengrauen hinten im Planwagen. Er sprach nicht oft dem Alkohol zu, weil in diesen Zeiten ein klarer Kopf überlebenswichtig war, doch es gab Momente, in denen ihn die Gedanken an eine düstere Zukunft und die Aussichtslosigkeit ihres Kampfes schier übermannten. Sie fochten Schlacht um Schlacht, und selbst, wenn sie dabei einen Teilsieg erlangen konnten, dann war es jedes Mal mit großen Verlusten verbunden.

Seine Begleiter starben wie die Fliegen um ihn herum. Es lohnte sich kaum noch, neue Bekanntschaften zu schließen, weil man diejenigen schon eine Stunde später vielleicht begraben oder noch einmal töten musste.

In diesen Zeiten war es schwierig bis unmöglich, auf eine bessere Zukunft zu hoffen, und vielen gelang es auch nicht. Offiziell wurde das Thema verschwiegen und auch untereinander sprach man nicht gerne darüber, aber die Zahl der Selbstmorde stieg immer weiter. Viele gaben jede Hoffnung auf, gingen mit einem Strick in den Wald und kehrten nicht zurück. Es hatte Fälle gegeben, in denen Eltern ihre Kinder vergifteten, um ihnen das bevorstehende Schicksal zu ersparen, und niemand machte ihnen deshalb Vorwürfe oder wäre auf die Idee gekommen, sie zu bestrafen.

Murphy brauchte diese gelegentlichen Auszeiten, um selbst weitermachen zu können. Er wollte kein Vorbild für andere sein, auch wenn er dies gewiss darstellte. Doch auch er brauchte ein Ventil, um all die Grausamkeiten, die er erlebt hatte, vergessen zu können. Natürlich vergaß er sie nicht wirklich, denn das war unmöglich, so tief, wie sie in sein Gedächtnis eingebrannt waren. Aber durch ein gelegentliches Besäufnis schaffte er es, mit den Erinnerungen zu leben.

In Chicago hatte Derrick Murphy für Allan ­Pinkerton und seine Pinkerton’s National ­Detective Agency gearbeitet. Fünf Jahre lang war er für die Detektei tätig. Sein größter Erfolg bestand 1861 in der Vereitelung eines Attentats auf Abraham Lincoln, weil er und seine Leute das Komplott rechtzeitig aufdeckten. Die Anerkennung dafür hatte er nie erhalten. Murphy forderte sie zwar nie ein, aber es störte ihn schon, dass sich sein Chef so unverhohlen damit schmückte. Als bei ein paar Gläsern zu viel darüber ein Streit zwischen ihnen entbrannte, versetzte ihn Pinkerton persönlich nach Rockford und wies ihm solange langweilige Routineaufträge zu, bis Murphy das Handtuch schmiss und seinen Job kündigte.

Murphy hielt den Kopf gesenkt, um die Kopfschmerzen einigermaßen im Zaum zu halten. Er verfolgte auf dem dahingleitenden Boden die kreisenden Schatten über ihm. Es hätten auch Geier sein können, die sich bereits auf ihre Beute freuten, doch er wusste, dass es sich nicht um die üblichen Aasfresser handelte, die dort über ihnen kreisten. Es waren fremdartige Wesen, die er vorher bereits beobachtet hatte. Sie stellten das Überwachungssystem ihres Feindes dar, dem rein gar nichts entging.

Nicht jeder besaß die Möglichkeit, diese Kreaturen so genau studieren zu können wie Murphy, obwohl er auf dieses Privileg gerne verzichtet hätte. Ein Schlangenbiss trübte vor Jahren seine Sehkraft auf dem rechten Auge. Zuerst hatte er ein Monokel getragen, dann eine Halterung für die entsprechende Linse und schließlich noch weitere Linsen hinzugefügt, die in Kombination miteinander seine Sehkraft weit über das normale Maß hinaus verstärkten. Er wusste genau, wie die Kreaturen aussahen, und er hoffte, dass niemand im Treck sie jemals aus der Nähe betrachten musste.

Murphy richtete sich im Wagen auf und blickte auf die Innenseite der beschrifteten Plane: Dexter’s Zahnheilkunde – Wissenschaftliche Behandlung und schmerzfreie Extraktion, stand dort in riesigen Lettern.

„Wie lange sind wir wieder unterwegs, ­Cholores?“, rief er nach vorne.

Cholores Dexter war ein ehemaliger Prominentenzahnarzt, der auf tragische Weise sein Vermögen verloren hatte. Er lernte die Unerbittlichkeit der Oberschicht von Chicago kennen, die fast alles tolerierte, außer wenn man es sich nicht mehr leisten konnte, zu ihr zu gehören.

„Seit dem Morgengrauen. Kaum vier Stunden, nachdem wir angehalten haben“, kam die müde Stimme des Zahnarztes zurück. Er war ebenso erschöpft wie alle anderen, aber nachdem die Bedrohung durch die Indianer vorläufig beigelegt war, wollte man so viel verlorene Zeit wie möglich aufholen und den Abstand zwischen dem Treck und der Zombiehorde vergrößern.

„Es kommt mir so vor, als hätte ich erst vor einer Minute die Augen geschlossen. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, dass wir angehalten haben. Wann habe ich das letzte Mal ruhig auf der Erde gestanden?“

Das Mitgefühl des Zahnarztes hielt sich in Grenzen. „Fühlst du dich in der Lage, die Zügel zu übernehmen? Ich hätte nämlich eine Patientin zu behandeln, die schon ziemlich lange darauf wartet, dass du Platz machst.“

Murphy hob den Kopf und sah vorne eine zweite Person auf dem Kutschbock sitzen. Beide drehten sich zu ihm um und schenkten ihm ein Lächeln, aber in beiden Fällen war es nicht so gemeint. Dexters eigene Zähne waren viel zu groß für seinen Mund und der Zahnarzt lächelte nur deshalb so viel, weil er die Lippen nicht über den Zahnreihen schließen konnte. Bei Miss Polly neben ihm wirkte das Lächeln wie eine Verkrampfung des Gesichts. Die junge Lehrerin verströmte eine Reserviertheit, die alle auf die Palme brachte.

Miss Polly hatte ein verhärmtes Gesicht und war lange vor ihrer Zeit gealtert. Die Haut um ihre Augen, wo andere Menschen Lachfältchen besaßen, war vollkommen glatt. In ihrem Leben gab es anscheinend bisher nicht viel Grund zum Lachen oder auch nur zum Lächeln, und es war unwahrscheinlich, dass sich dies so bald ändern würde.

Für die meisten im Treck war sie das perfekte Abbild einer alten Jungfer, obwohl sie höchstens Mitte Zwanzig war. Ihre Gestalt war klein und zierlich, fast jungenhaft, was zwar Murphys Geschmack traf, aber nicht den der meisten Männer des Westens, die robuste und üppige Frauenkörper bevorzugten. Murphy wusste, dass ihr abweisendes Verhalten zum größten Teil auch Selbstschutz war, um zudringliche Männer auf Abstand zu halten, aber es funktionierte eben auch bei allen anderen.

Murphy und Miss Polly begegneten sich in der Mitte des Wagens. Missbilligend rümpfte sie die Nase. „Wann sind Sie das letzte Mal in die Nähe von einem Stück Seife gekommen?“

„Wie bitte?“

„Nur ungefähr. Die Jahreszahl reicht.“

Murphy brummte etwas Unverständliches und kletterte über die Rückenlehne der Kutschbank. Er mochte die junge Frau nicht besonders. Gegen sie waren die Mormonen weltoffene Hedonisten, die nur ihr Vergnügen im Sinn hatten.

Dexter reichte ihm die Zügel und kletterte dann ebenfalls nach hinten, wo seine Patientin bereits auf ihn wartete. Er nahm den Bohrer zur Hand, betätigte prüfend das Fußpedal und näherte sich ihrem geöffneten Mund. „Ich hoffe, ich gehe Ihnen damit nicht auf die Nerven“, scherzte der Zahnarzt wie bei jedem Patienten.

Gelangweilt blickte Murphy auf die schaukelnden Hinterteile der beiden Pferde vor sich und folgte den gebrüllten Anweisungen der Stahlwölfe.

Die Spezialtruppe der Anti-Mason-Force dirigierte zusammen mit Einheiten der Kavallerie die Formation des Trecks, was keine leichte Aufgabe war, wenn sich die Wagenschlange von Horizont zu Horizont erstreckte. Momentan war diese Aufgabe allerdings noch ein gehöriges Stück anspruchsvoller als gewöhnlich, denn es ging nicht nur darum, eine knappe Million Planwagen in die gleiche Richtung zu lenken, sondern um den Bau einer Wagenburg, die dem Ansturm von Millionen Untoter standhielt.

Es hatte lange Diskussionen darüber gegeben, ob es besser sei, weiterzureisen, oder eine Verteidigungsstellung aufzubauen. Letztere Möglichkeit hatte die Abstimmung mit knapper Mehrheit gewonnen. Wenn der Treck in offener Formation auf freiem Feld angegriffen wurde, dann waren alle darin verloren. Natürlich war es genauso von Nachteil, abzuwarten, bis die Kainiter sie einholen würden. Sie würden dem Ansturm nicht standhalten können, das war völlig aussichtslos. Den Menschen blieb nur die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Es waren die Tiere, die letztendlich die Entscheidung trafen und allen klarmachten, dass es keinen Sinn hatte, weiter zu fliehen. Die Pferde waren völlig erschöpft und hielten nicht mehr lange durch. ­Irgendwann würden sie, am Ende ihrer Kräfte, einfach stehen bleiben und dann wären die Wagen in ihrer offenen Struktur eine leichte Beute.

Murphy blickte zu den Wagen vor sich. Die Spitze des Trecks hatte schon vor einer Stunde damit begonnen, in Verteidigungsstellung zu gehen. Jetzt war auch ihr Abschnitt endlich an der Reihe, sich einzugliedern. Die Wagenlenker ließen die Zügel knallen und holten das Letzte aus ihren Pferden heraus. Stahlwölfe ritten auf ihren Hengsten herum und leiteten die Wagen in die richtigen Bahnen.

Derrick Murphy bemerkte einen jungen Rekruten namens Dorian, der ihm wegen seiner bedingungs­losen Tierliebe im Gedächtnis geblieben war. Ihm würde er es sogar zutrauen, ein krankes Pferd zu tragen. Aber den Viechern, die sie am Himmel verfolgten und beobachteten, dürfte sogar jemand wie er nur wenig Liebe entgegenbringen.

Die Flederschreckspinnen verfügten über zehn Beine und lederartige Flughäute. Ihre Heuschreckenköpfe waren mit vier Facettenaugen besetzt und darunter bewegten sich gifttriefende Fresszangen. Mit anderen Worten, Kreaturen, die nicht einmal die eigene Mutter bedingungslos lieben konnte. Bisher hatten sie sich zurückgehalten und nur die Vorgänge im Treck ausgekundschaftet, aber so friedlich würden sie nicht für immer bleiben. Murphy rumpelte über einen mittelgroßen Stein und hinter ihm stöhnte Miss Polly im Zahnarztstuhl vor Schmerz auf.

In diesem Augenblick gingen die Flederschreckspinnen zum Angriff über. Völlig unvermittelt änderten sie alle gemeinsam ihre Flugrichtung und stießen nach unten auf den Treck zu. Sie sausten über die Planwagen hinweg, schnappten sich hier und da einen Wagenlenker, der den Kopf zu weit hochreckte, aber ihr Ziel war ein anderes. Die fliegenden Monster griffen die Luftschiffe an, die den Treck begleiteten. Ihr Hauptziel war die USS America, das Flaggschiff der einstmals so stolzen Flotte.

*

Derrick Murphy war nach hinten in den Wagen gekrochen, hatte die aufgesprungene Miss Polly zur Seite gestoßen und kramte in der kleinen Truhe, in der sich sein gesamter weltlicher Besitz befand. Sie beobachtete mit großen Augen, wie er einen Gürtel mit zwei Holstern anlegte und seine Remington-Revolver hineinschob. Dann streifte er eine Weste über, die auf jeder Seite fünf Schlaufen hatte, in denen waagerecht Dynamitstangen steckten. Zuletzt nahm er einen Gegenstand aus der Truhe, der wie ein kleiner Regenschirm aussah, befestigte ihn an seinem Gürtel und schloss den Deckel.

Dexter war inzwischen auf dem Kutschbock und versuchte, seinen ausscherenden Wagen wieder in die Schlange der anderen einzureihen.

„Wollen Sie etwa dort hinaus?“, fragte Miss Polly und in ihren üblichen missbilligenden Tonfall mischte sich Unglauben.

„Das war in der Tat meine Absicht“, antwortete Murphy, „und an Ihrer Stelle würde ich dem Schutz, den diese Plane zu liefern vermag, nicht zu viel Vertrauen schenken. Am besten legen Sie sich flach auf den Wagenboden und suchen sich etwas Stabiles, mit dem Sie sich zudecken können.“

Miss Polly öffnete den Mund für eine empörte Erwiderung, überlegte es sich dann aber anders und musterte den Wagenboden. Zufrieden und auch mit ein klein wenig Genugtuung sah Murphy zu, wie sie sich hinlegte und einige von Dexters Koffern und Kisten dichter an sich heranzog. Dann machte er sich auf den Weg.

Als er hinten aus dem Wagen sprang, sah er ­Dorian, der im Sattel mit einer Flederschreckspinne rang. Der Junge schlug auf die Augen der Kreatur ein. Das musste man ihm lassen, Dorian kannte sich mit Tieren aus, auch mit ihren Schwachstellen. ­Murphy ließ den Remington aufbellen und der Kopf der Flederschreckspinne verschwand in einem blutroten Nebel. Während Dorian die Reste der Kreatur von seinem Pferd herunterstieß, blickte Murphy zur USS America.

Das Flaggschiff versuchte, sich von seiner mobilen Andockstation zu lösen. Es wollte aufsteigen, um sich in eine bessere Kampfposition zu bringen. Doch die Kreaturen stürzten sich auf das Bodenpersonal und verhinderten so die Abkopplung. Unter grässlichen Schreien fanden die Männer dort den Tod und diese Geräusche hielten andere davon ab, ihnen zur Hilfe zu eilen. Ein paar besonders Beherzte nahmen die Flederschreckspinnen unter Beschuss, aber die Biester waren einfach zu schnell und zu viele. Die meisten Schützen wurden selbst angegriffen, andere suchten ihr Heil in der Flucht.

Murphy sah die Flederschreckspinnen, die die Hülle der hilflosen USS America attackierten. Sie flogen gegen die metallisch glänzende Hülle und begannen, sie mit ihren Klauen zu bearbeiten. Andere gingen noch weniger subtil vor und rasten mit voller Geschwindigkeit gegen die Hülle des Luftschiffs und einigen gelang es sogar, sie auf diese Art zu durchstoßen.

Die USS America drehte sich gegen den Uhrzeigersinn an dem Mast, an dem ihr Bug befestigt war. Wenn es den Kreaturen gelang, das Luftschiff zu besiegen, vor den Augen von drei Millionen Amerikanern, die ohnehin kaum noch Hoffnung besaßen, dann wäre dies ein deutliches Symbol für den drohenden Untergang.

Murphy sprang auf ein reiterloses Pferd und trieb es Richtung Andockstation.

Er duckte sich tief in den Sattel, um den Klauen der Flederschreckspinnen kein leichtes Ziel zu ­bieten. Fest presste Murphy seine Oberschenkel gegen die Flanken des Mustangs, um die Hände freizuhaben. Als die nächste Flederschreckspinne über ihn hinwegsauste, jagte er ihr drei Kugeln aus jedem seiner Revolver hinterher, die alle ihr Ziel fanden. Die ­Kreatur trudelte dem Boden entgegen und schlug ungebremst auf.

Ein Schatten verdeckte hinter ihm die Sonne. Murphy wartete bis zum allerletzten Moment, bevor er sich tief an die Flanke des Tieres duckte. Die geflügelte Kreatur sauste vorüber und Murphy blieb unverletzt, aber es gab ein reißendes Geräusch und dann fühlte er plötzlich Nässe auf sich. Es war zweifellos Blut. Er hob seinen Kopf und sah, dass das Pferd keinen mehr hatte.

Das Tier brach im vollen Lauf in die Knie und Murphy wurde im hohen Bogen durch die Luft geschleudert.

Hundert Fuß von der Andockstation entfernt prallte er hart auf den Boden. Am liebsten wäre er einfach liegen geblieben und hätte sich dem Schmerz ergeben, doch das Geräusch von Flügeln, die die Luft zerteilten, weckte seinen Überlebensinstinkt. Er rollte sich auf den Rücken, hob die beiden Remington und feuerte auf die Kreatur, die mir vorgestreckten Klauen auf ihn zuraste.

Die Geschosse zerpflückten das Wesen in der Luft und ließen die Überreste auf ihn prallen. ­Murphy ­verzog angewidert das Gesicht und stemmte die tote Flederschreckspinne von sich herab. Dann stand er auf und wischte rasch ihre ausgetretenen Körperflüssigkeiten von seiner Kleidung. So widerlich das ­klebrige Zeug auch war, es gab Wichtigeres zu tun. Er rannte weiter zur Andockstation.

Die USS America hatte inzwischen einige schwere Treffer einstecken müssen und die Hülle flatterte an mehreren Stellen im Wind. Wenn Murphy sich nicht beeilte, dann würde das Flaggschiff sich überhaupt nicht mehr erheben.

Aus dem Augenwinkel nahm er einen Schatten wahr und warf sich sofort vorwärts. Die Klauen sausten über ihn hinweg, zupften kurz an seinem Hemd, dann waren sie verschwunden. Murphy machte eine Rolle vorwärts und kam wieder auf die Beine. Sein alter Körper vollbrachte gerade Höchstleistungen, die selbst Murphy ihm nie zugetraut hätte. Der Stolz ­darüber währte nicht lange, denn als nächstes musste er sich rasch vorbeugen, die Hände auf die Oberschenkel stützen und die Gifte der letzten Nacht zwischen seine Stiefel erbrechen. Danach ging es ihm überraschend gut.

Im Laufen zog er mit jeder Hand eine Dynamitstange aus seiner Weste. Er hatte sie so präpariert, dass er keine Zündschnur brauchte, sondern wie ein Streichholz an seiner Weste anreißen konnte. ­Murphy blieb stehen, warf die beiden Funken sprühenden Stangen über Kreuz unter die mobile Andockstation und rannte in die entgegengesetzte Richtung.

Er kam zwei Schritte weit, bevor der Wagen hinter ihm zerrissen wurde und die Druckwelle ihn mit Macht auf den Boden schleuderte. Über ihm erhob sich die USS America mit den Überresten des Andockmastes im Schlepptau in den Himmel und steuerte der dunklen Wolke aus Flederschreckspinnen entgegen.

2. Kapitel

30. Juli 1866,

Scotts Bluff, North Platte River, Nebraska Territory

Andrew Johnson, ehemaliger Präsident der Vereinig­ten Staaten und Großmeister der Freimaurer, blieb auf seinen Knien und hielt den Blick gesenkt, bis graue, langgliedrige Finger seine Schulter berührten.