Star Trek – Picard 2 - James Swallow - E-Book

Star Trek – Picard 2 E-Book

James Swallow

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Beschreibung

Der Alpha-Quadrant steckt in einer Krise. Als die U.S.S. Titan in einen katastrophalen Zwischenfall an der Grenze zwischen dem Romulanischen Sternenimperium und der Föderation verwickelt wird, finden sich Captain William Riker, seine Familie und seine Besatzung plötzlich zwischen den schockierenden Geheimnissen einer mysteriösen außerirdischen Rasse und der tödlichen Agenda eines skrupellosen Tal-Shiar-Agenten wieder. Zu einer einer widerwilligen Allianz mit dem Kommandanten eines romulanischen Raumschiffs gezwungen, müssen Riker und die Besatzung der Titan die Wahrheit aufdecken, um einen verheerenden Angriff zu verhindern – doch ein falscher Zug könnte den gesamten Sektor in einen offenen Konflikt stürzen!

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Der

DUNKLE SCHLEIER

von

JAMES SWALLOW

Based onStar Trek™created by Gene RoddenberryandStar Trek™: Picardcreated byAkiva Goldsman & Michael Chabon&Kirsten Beyer & Alex Kurtzman

Ins Deutsche übertragen vonStephanie Pannen

Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – PICARD: DER DUNKLE SCHLEIERwird herausgegeben von Cross Cult, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.Herausgeber: Andreas Mergenthaler, Übersetzung: Stephanie Pannen;verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust; Korrektorat: Peter Schild;Satz: Rowan Rüster; Print-Ausgaben gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice.Printed in the Czech Republic.

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – PICARD: THE DARK VEIL

German translation copyright © 2021 by Cross Cult.

Original English language edition copyright © 2021 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

™ & © 2021 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc.All rights reserved.

This book is published by arrangement with Gallery Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

ISBN Taschenbuchausgabe: 978-3-96658-634-4ISBN limitierte Hardcoverausgabe: 978-3-96658-636-8ISBN E-Book ISBN 978-3-96658-635-1November 2021

WWW.CROSS-CULT.DE • WWW.STARTREKROMANE.DE • WWW.STARTREK.COM

Für Kirsten, denn sie ist einfach fantastisch.

Inhalt

HISTORISCHE ANMERKUNG

Kapitel 1

SECHS TAGE ZUVOR

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

DANKSAGUNGEN

HISTORISCHE ANMERKUNG

Diese Geschichte spielt 2386, sieben Jahre nach den Ereignissen von STAR TREK – NEMESIS und ein Jahr nach dem »Mars-Vorfall« und Jean-Lucs Rücktritt aus der Sternenflotte.

1

Die Romulaner hielten William Riker mehrere Stunden in der Zelle fest und ignorierten all seine Versuche, mit ihnen zu kommunizieren. Er wusste, dass er jede Sekunde dieser Zeit beobachtet und gescannt wurde, von in der Wand versteckten Sensoren oder irgendeinem Mechanismus in der einzigen Lichtquelle der Kammer.

Die leuchtende Kugel, nicht größer als ein Apfel, schwebte absichtlich gerade außerhalb seiner Reichweite auf stummen Antigravs. Sie gab schwaches gelbliches Licht von sich und folgte Riker, sobald er sich in der kleinen, schmalen Zelle bewegte.

Wenn er laut sprach, hallte Rikers Stimme von den grauen Metallwänden auf eine seltsam flache Art zurück, fast so als würde der Klang gedämpft werden. Er schnipste ein paarmal mit den Fingern und sang die ersten paar Zeilen von »Fever«, um die Akustik zu testen.

Er ließ den Klang widerhallen und lauschte seiner Form. Der Dämpfungseffekt war vollkommen konstant. Man hielt ihn in einer Sensortarnzelle gefangen und nichts – nicht einmal seine Stimme – konnte daraus entkommen.

Seinen Kommunikator hatten sie ihm nicht weggenommen und jetzt war auch klar, dass das gar nicht nötig war. Als Riker das Gerät berührte, gab es nur ein trauriges Piepsen von sich. Er war vollkommen allein. Doch das eingebaute Chronometer funktionierte noch und so ließ er es zu jeder vollen Standardstunde ein Tonsignal von sich geben.

Als klar wurde, dass die Romulaner so schnell nicht wiederkommen würden, beschäftigte er sich eine Weile damit, die Zelle zu erkunden. Wie alles Romulanische war auch sie ein Rätsel.

Es gab keine eindeutig zu erkennende Steuereinheit, um eine Pritsche oder eine »Erfrischungseinheit« zum Vorschein kommen zu lassen, nichts, um die Leuchtkugel heller oder dunkler einzustellen. Durch Herumprobieren fand Riker schließlich heraus, dass eine Art Sitz aus dem Boden kam, wenn er auf bestimmte Fugen in der Wand drückte, und dieser sich bei erneutem Drücken wieder zurückzog.

Riker setzte sich und trommelte gedankenverloren mit den Fingern auf seinem Knie. Er hatte das romulanische Verlangen nach unnötiger Verschleierung und Komplexität nie nachvollziehen können. Natürlich verstand er die Motivation, etwas vor einem potenziellen Feind verborgen zu halten, selbst wenn es sich dabei um Mitglieder des eigenen Volks handelte. Aber war es wirklich nötig, jedes kleinste Detail so verdammt kryptisch zu machen?

Als Akademiekadett hatte er einst eine Vorlesung einer bekannten Xenoethnologin über das romulanische Zivilleben besucht. Sie hatte erklärt, dass selbst etwas so Einfaches wie das Öffnen einer Tür bei den Romulanern Bilderrätsel und einen komplexen Geheimmechanismus beinhalten konnte.

Wie können sie so leben? Es war eine Frage, die noch Wochen später an ihm genagt hatte. Der junge Will Riker hatte über die Antwort gegrübelt, doch er konnte es einfach nicht verstehen. Was für ein Leben führte man, wenn die eigene Kultur auf den Dogmen von Verschleierung, Verwicklung und Täuschung basierte?

Sein alter Freund und ehemaliger Captain Jean-Luc Picard hatte ihm einmal von einem andorianischen Sprichwort über die Bewohner des Sternenimperiums erzählt: Ein Romulaner wird eher zehn Jahre lang intrigieren, damit du ihm ein Glas Wasser bringst, ehe er zugibt, dass er durstig ist.

Er verstand sie immer noch nicht, trotz zahlreicher Begegnungen mit ihnen sowohl im Kampf als auch in Gesprächen. Es war gefährlich, sie an Föderationsmaßstäben zu messen. Denn für die Romulaner war der Akt der Täuschung so selbstverständlich wie das Atmen.

»Und du hast den Preis dafür bezahlt, oder?«, sprach Riker den Rest des Gedankens laut aus, warf einen Blick auf die Leuchtkugel über sich und überlegte, was seine Beobachter wohl davon halten würden. »Am Ende kommt immer die Abrechnung für jede Lüge, die erzählt wird.«

Aber im Herzen der romulanischen Kultur lag nicht nur Falschheit. Das wäre zu einfach. Es war eine Frage von Vertrauen und in diesem Bereich hatte die Vereinigte Föderation der Planeten versagt.

Riker spürte, wie ihn eine düstere Stimmung überkam, wie schwarze Wolken an einem fernen Horizont, und er atmete tief aus, als wollte er die Wolken davonpusten.

Ein paar Momente später dematerialisierte sich eine der Zellenwände. Die Kammer hatte keine herkömmliche Tür oder eine Kraftfeldbarriere und dies war der einzige Weg herein oder hinaus.

In der Öffnung standen zwei mürrisch dreinblickende Centurions, eine Frau mit hellen Augen und olivfarbener Haut, der andere ein blasserer Mann mit ausgeprägten Stirnwülsten. Beide trugen romulanische Uniformen. Schwarze Bandeliere über ihrer Brust waren mit silbernen Details verziert, die Rang und Position anzeigten. Er hielt sie für niedrige Offiziere, die in etwa einem Ensign oder Lieutenant Junior Grade der Sternenflotte entsprachen. Keiner von beiden schien besonders glücklich über ihre Aufgabe.

Die Frau warf Riker etwas zu und er fing es auf: schwere magnetische Handschellen mit einer Verbindungskette.

»Ich trage eigentlich keinen Schmuck«, bemerkte Riker und machte keine Anstalten, die Fessel anzulegen.

Die Romulaner sagten nichts, sondern beobachteten ihn nur stumm. Der Moment zog sich unangenehm in die Länge.

Riker ließ die Handschellen zu Boden fallen. »Wenn Sie wollen, können wir diesen Starrwettbewerb den ganzen Tag durchziehen.« Er war ziemlich gut darin, musste er zugeben. Sein Rekord waren ganze zwei Minuten, ohne zu blinzeln, und zwar gegen den Laserblick seines kleinen Sohnes Thaddeus. Dieser Gedanke verzog seine Mundwinkel zu einem Lächeln.

Die Romulaner sahen einander an und eine unausgesprochene Kommunikation fand zwischen ihnen statt. Sie trat zurück und machte Riker damit Platz, um die Zelle zu verlassen.

War das eine Art Test?, fragte er sich. Habe ich ihn bestanden oder nicht?

Der Mann ging voraus und führte ihn durch ein Labyrinth vollkommen identisch aussehender Korridore. Riker entdeckte an bestimmten Stellen Symbole an den Wänden, bei denen es sich um eine Art Beschilderung handeln mochte. Doch genauso gut waren sie vielleicht auch nur rein dekorativ. Die Farbpalette bestand aus einheitlichem Grau und Hellbraun und er bemerkte ein wiederkehrendes dreiteiliges Motiv auf Konsolen, an denen sie vorbeikamen. Jeder dritte Schirm war wahrscheinlich falsch. Ein weiterer Test, eine weitere Schicht alltäglicher Rätsel.

Riker konnte eine schwache Vibration im Boden spüren. Sie bot ihm in all dieser Fremdheit etwas Vertrautes. Jeder, der genug Zeit seines Lebens im All verbracht hatte, wusste, dass es der Puls eines Schiffs im Ruhezustand war. Also bewegte sich der Warbird, in dem er sich befand, gerade nicht, und das war doch auch schon etwas.

Oder ist das Summen womöglich nur eine Illusion? Diese Frage tauchte plötzlich in seinem Kopf auf. Täuschen die Romulaner dieses Geräusch vor, um zu verschleiern, dass sie mit Warpgeschwindigkeit fliegen? Und wenn ja, wo ist dann die Titan?

Mit einem Lächeln riss er sich aus dem Wurmloch dieser Gedankenspirale. Genau das machte die Gegenwart von Romulanern mit jemandem. Man begann zu denken wie sie und ihre tief sitzende kulturelle Paranoia zwang einen in die gleichen Gedankenprozesse, ob man wollte oder nicht.

In letzter Zeit hatte William Riker genug mit Halbwahrheiten und verborgenen Motiven zu tun gehabt. Sobald man einmal darin verstrickt worden war, fiel es schwer, sich wieder daraus zu befreien. Er vertrieb diese Gedanken so gut er konnte und konzentrierte sich auf die Gegenwart.

Schließlich endete der schmale Korridor an einer schweren Tür, die sich mit einem theatralischen Zischen zurückzog, als sich Riker und die Centurions näherten. Der Captain war zwei Schritte in die große Kammer dahinter getreten, bevor ihm auffiel, dass seine Eskorte zurückgeblieben war.

Eine weitere Leuchtkugel löste sich von der Decke, um über seinem Kopf zu schweben, während er sich umsah. Der Raum war rund und leer, so gebaut, dass sich niemand darin verstecken konnte. Rikers erster Gedanke war, dass es sich um eine Arena handelte, eine Kampfgrube, und ihm fiel ein, dass die Föderation die romulanische Kultur anfangs mit einem der ältesten Militärimperien der Erde gleichgesetzt hatte. Würde man ihn wie einen Gladiator kämpfen lassen?

Er war nicht allein. Zwei weitere Leuchtkugeln schwebten im Raum. Zu seiner Rechten befand sich eine Romulanerin mit metallisch roten Haaren und blasser Haut, deren Wunden mit Hautregeneratorpflastern versorgt worden waren. Major Helek vom Tal Shiar studierte Riker mit der gleichen Arroganz, die sie ihm schon bei ihrer ersten Begegnung entgegengebracht hatte. Vielleicht war es unter seiner Würde, doch einem Teil von Riker hätte es gefallen, sie nach allem, was sie getan hatte, besiegt und ängstlich zu sehen. Stattdessen starrte sie ihn an wie jemand, der gerade seinen Sieg erklärt hatte.

Zu seiner Linken und so weit entfernt von Helek, wie es in diesem Raum möglich war, stand Commander Medaka, der Captain des romulanischen Warbird Othrys. Sein dunkles Gesicht war wettergegerbt und grimmig und er warf Riker einen warnenden Blick zu, der dem Sternenflottenoffizier einen ersten Hinweis darauf gab, wie ernst die Situation war.

Im Schatten der Galerie über der runden Kammer, fernab des Lichts weiterer Leuchtkugeln, bewegten sich ein paar Gestalten in langen Roben. Riker hielt die Silhouetten der vier Humanoiden mit kurzen Haaren und spitzen Ohren für Medakas Leute. Ein romulanisches Tribunal, dachte er, um über uns drei zu richten.

»Ich bin Judikator Kastis.« Einer der Schatten machte eine Handbewegung und eine strenge Frauenstimme hallte durch die Kammer. »Wisset, dass ich an diesem Ort das hörende Ohr und das sehende Auge bin. Die Gesetze Romulus sprechen aus mir.«

Medaka und Helek verneigten sich bei dieser rituellen Ansprache kurz, doch Riker blieb, wo er war, und wartete auf weitere Anweisungen.

»So wie ich die Worte jetzt spreche, werden wir aus Rücksicht auf Captains Rikers Anwesenheit dieses Tribunal in Föderationsstandard abhalten«, fuhr Kastis fort. »Und im Interesse der Offenheit gegenüber der Vereinigten Föderation der Planeten.« Die Judikatorin sprach das Wort aus, als würde es bitter und fremdartig schmecken. Sie deutete auf die drei Schattengestalten neben sich. »Tribun Delos wird für Major Helek beobachten.

Tribun Nadei für Commander Medaka und den romulanischen Senat. Und unser … juristischer Besucher wird für den menschlichen Captain beobachten.«

Riker schirmte die Augen ab und versuchte, an den Lichtern der Leuchtkugeln vorbei einen Blick auf die Person zu werfen, die ihm zugeteilt worden war, doch es war unmöglich, etwas zu erkennen. Der Schatten vermittelte ihm nichts, kein Gesicht, keinen Hinweis auf das Geschlecht, nur Unsicherheit.

Er wusste nicht viel über romulanische Gerichtsbarkeit. War Rikers stummer Beobachter sein Anwalt, sein Richter? Vielleicht sogar sein Henker? Mit einer Grimasse vertrieb er diesen letzten Gedanken.

Will Riker stand fest hinter jeder seiner Entscheidungen, selbst nach allem, was in den letzten Tagen geschehen war. Was das hier und jetzt an diesem Ort bedeutete, wusste er nicht. Aber von seiner Seite aus würde es keine Täuschung geben, keine Wortklauberei oder eine Verschleierung der Wahrheit.

Und wieder einmal fiel Riker etwas ein, was Picard einst zu ihm gesagt hatte, vor Jahren auf ihrer ersten gemeinsamen Mission. Wenn man uns verdammen will, soll man uns für das verdammen, was wir wirklich sind.

»Die Ereignisse der vergangenen Zyklen in diesem Sektor sind für das romulanische Volk beunruhigend«, sagt Nadei mit klarer, tiefer Stimme. »Bewaffnete Konflikte an unserer Grenze. Unkontrollierte Aggressionen fremder Mächte. Aufruhr und Täuschungen. Diese drei sind die Urheber. Sie allein kennen die Fakten.«

Kastis nickte. »Ist vermerkt. Commander Medaka, Major Helek, Captain Riker. Sie werden an diesem Ort bleiben, bis Sie sich zu den Vorwürfen auf eine Weise geäußert haben, die das Tribunal zufriedenstellt. Anschließend werden wir über Strafe oder Freilassung richten.«

Medaka und Helek nickten und schließlich tat Riker es ihnen gleich. Er hatte zur Erhaltung der Beziehungen zwischen Föderation und Romulanern eingewilligt, an diesem Prozess teilzunehmen, und jetzt war es zu spät für einen Rückzieher.

Doch als Helek den Kopf wieder hob, starrte sie in die Galerie und bestimmte mit ihrem Eingangsplädoyer den Ton dieser Verhandlung. »Ich werde dem ehrenwerten Tribunal durch eine klare Aussage Zeit und Mühe ersparen.« Sie deutete in Rikers Richtung. »Der Mensch und seine Kohorte tragen die volle Verantwortung für das, was geschehen ist. Wie die Föderation und ihre Sternenflotte es immer getan haben, hat er versucht, unsere Leute zu ergreifen und uns zu demütigen.« Sie schüttelte den Kopf und in dieser Pause war sich Riker unsicher, ob es ihm gestattet war, zu unterbrechen. Also ließ er sie erst einmal weitersprechen. »Zu meiner Schande habe ich nicht gesehen, dass Commander Medaka durch Charakterschwäche und aktive Beeinflussung einen Faktor in dieser Verschwörung darstellte, bis es zu spät war.«

»Wenn das Deck so schräg wäre wie Ihre Ansichten, würden wir alle stolpern.« Medaka betrachtete sie argwöhnisch. »Wie es ihre Art ist, sieht Major Helek die Ereignisse durch eine Linse, durch die nur sie blicken kann. Und es ist eine ziemlich bornierte.«

»Commander Medakas Ruf, zu ungewöhnlichen Entscheidungen zu neigen, ist wohlbekannt«, beharrte Helek. »Ich bin mir sicher, das Tribunal kennt seine militärische Akte. Man muss sich nur die seltsame Besatzung ansehen, die sich unter seinem Kommando versammelt hat, um zu wissen, dass er dem romulanischen Gesetz noch nie buchstabengetreu gefolgt ist.«

»Sie habe ich auch aufgenommen«, entgegnete Medaka.

»Sie können sich gern einreden, dass das Ihre Entscheidung war, wenn Sie wünschen«, sagte Helek halblaut.

Der romulanische Captain sah zu seinem menschlichen Gegenstück und gab ihm damit wortlos die Erlaubnis zu sprechen.

»Hier zeigt ja jeder mit dem Finger auf den anderen«, sagte Riker und öffnete seine Hände. »Die Emotionen kochen hoch, trotz aller zur Schau gestellten Kühle. Sie wollen, dass ich Ihnen helfe, einen Schuldigen zu finden, damit Sie die Sache als erledigt betrachten können? Das werde ich nicht tun. Aber wenn Sie die Fakten erfahren wollen? Die werde ich Ihnen, ohne zu zögern, liefern.«

Medaka nickte ihm zu. »Gute Eröffnung«, sagte er leise.

»Schöne Worte.« In Delos’ Worten lag ein kaum wahrnehmbarer Hauch von Hohn. »Aber machen wir uns keine Illusionen, wen wir da in unsere Kammer geladen haben. Einen Vertreter der sogenannten Vereinigten Föderation der Planeten. Unser gütiger Nachbar, wie man uns glauben machen will. Der uns in unserer dunkelsten Stunde eine helfende Hand anbot … nur um sie uns wieder zu entreißen, als sich seine Laune änderte.« Delos lehnte sich vor und zeigte auf Riker. »Machen Sie nicht den Fehler, zu glauben, Sie hätten hier Verbündete, Mensch. Sie sind William Thomas Riker vom Planeten Erde, ehemaliges Besatzungsmitglied der feindlichen Enterprise und neuerdings Captain des Schlachtkreuzers Titan …«

»Die Titan ist ein Forschungsschiff, kein Schlachtkreuzer«, protestierte Riker, doch Delos sprach einfach über ihn hinweg.

»Das Imperium kennt Sie gut, Riker«, sagte der Tribun. »Ein Mann der Enterprise, eines Schiffs, das einen Namen trägt, der in der romulanischen Geschichte für niederträchtige Täuschung steht!«

Delos konnte nur die Mission des berühmten Captain James T. Kirk meinen, der mit seiner Besatzung die erste intakte Tarnvorrichtung erbeutet hatte. Romulus hatte der Sternenflotte den Erfolg von Kirks Geheimmission nie vergeben. Und Delos war mit seiner Geschichtsstunde noch längst nicht am Ende. »Ein Schiff, auf dem Sie als Erster Offizier gedient haben«, fuhr er fort, »auf Missionen, die Verräter am Imperium aufnahmen und in unsere interne Politik eingriffen … und lassen Sie uns nicht Ihre direkte Teilnahme an der blutigen Revolution des heimtückischen Shinzon von Remus vergessen.«

Der bisher stumme Advokat flüsterte Kastis etwas ins Ohr. Diese hob ihre Hand. »Ich wurde daran erinnert, dass Captain Riker und seine Kollegen während Shinzons kurzer Terrorherrschaft tapfer gegen ihn gekämpft haben, statt ihm zu helfen. Das sollten wir nicht aus den Augen verlieren.«

»Aber zu welchem Zweck?« Delos gestikulierte dramatisch. »Doch nur, damit die Föderation von der Verwirrung profitieren konnte, die durch diese Abscheulichkeit verursacht wurde!«

»Wir haben für die Vernichtung Shinzons den höchsten Preis zahlen müssen«, sagte Riker, der das nicht so stehen lassen wollte. Er sah seinen Freund und Kameraden Data vor sich, dieses einzigartigste aller Wesen, der seine Existenz bereitwillig geopfert hatte, ohne auch nur einen Moment zu zögern. Hätte er das nicht getan, wäre ein Mann wie Delos jetzt vielleicht nicht einmal am Leben, um Datas edles Opfer herabzuwürdigen, und daran erinnerte ihn Riker auch zornig.

Der Kampf gegen Shinzon und seine remanischen Verbündeten mit dem tödlichen Thalaron-Emitter in ihrem Besitz hatte die Enterprise fast zerstört. Obwohl diese Ereignisse bereits sieben Jahre zurücklagen, trug Riker diese Erinnerung immer noch mit sich herum. Delos’ unbedachte Herabsetzung dieser und anderer Vorfälle wie das tragische Ende des romulanischen Admirals Alidar Jarok nach seinem Überlaufen zur Föderation und die Verschwörung einiger romulanischer Fraktionen, um Vulkan zu erobern, waren Riker gleichermaßen zuwider. Er fragte sich, ob es sich um ein bewusstes Manöver vonseiten des Tribuns handelte.

Versuchte er, eine wütende Reaktion zu provozieren, oder sahen die Romulaner diese Ereignisse von ihrer Seite der Neutralen Zone aus wirklich so? Nicht als Versuche der Föderation, unter schwierigen Umständen die richtigen Entscheidungen zu treffen, sondern als Intrigen eines Feindes, der ihren Lebensstil zerstören wollte? Diese Kompromisslosigkeit ermüdete Riker mehr, als er zugeben wollte.

Während des Aufstiegs des Dominion hatte es eine Zeit gegeben, in der die Romulaner ihre Feindseligkeit aufgegeben und sich der Föderation und den Klingonen angeschlossen hatten, um gemeinsam gegen einen größeren Feind zu kämpfen. Riker war unter jenen gewesen, die zu hoffen gewagt hatten, dass aus der Asche dieses entsetzlichen Konflikts etwas Gutes erwachsen würde. Er hatte nach ihrem gemeinsamen Kampf auf ein Bündnis gehofft. Die erste Mission seines neuen Kommandos nach seiner Beförderung zum Captain des Raumschiffs Titan hatte darin bestanden, einen Dialog mit dem romulanischen Sternenimperium zu eröffnen.

Eine Zeit lang hatten sie reden wollen. Der Vorhang zwischen den beiden Kulturen, der jahrhundertelang dicht geschlossen gewesen war, hatte sich einen Spaltbreit geöffnet. Doch nur für eine kurze Weile.

Nun schien es, als sei er wieder zugefallen, schwer und undurchdringlich wie eh und je. Riker studierte Medaka, dessen Rang und Position seinem am ähnlichsten waren. Ein Captain, der den gleichen Weg wie Riker gegangen war, nur auf der anderen Seite der Neutralen Zone. Wenn er Unterstützung erwartet hatte, war sie nicht länger vorhanden. Das Gesicht des Romulaners war verschlossen.

Einen flüchtigen Moment lang war eine Politik der Entspannung zum Greifen nah gewesen. Doch all das war nun durch eine einzige Sache zunichtegemacht worden. Der erste fallende Dominostein, der die Geopolitik des gesamten Quadranten neu formte, und zwar nicht zum Besseren.

Die Supernova.

Wie jeder andere Offizier vom Rang eines Captains und darüber hatte Riker durch eine Sternenflottennachricht höchster Priorität davon erfahren, die direkt in seinen Bereitschaftsraum übertragen worden war. Ein Hologramm von Admiral Bordson, dem obersten Befehlshaber der Flotte, hatte mit knappen Worten eine Zusammenfassung des Todesurteils einer ganzen Zivilisation geliefert.

Sie hätten erfahren, hatte Bordson erklärt, dass die romulanische Sonne im Sterben lag und die in nur wenigen Jahren daraus resultierende Nova-Explosion das Herz des romulanischen Sternenimperiums verschlingen würde. Es war eine trostlose und entsetzliche Vorstellung und Rikers emotionale Reaktion war so stark gewesen, dass ihn seine Frau Deanna nur wenige Augenblicke später über das Interkom kontaktiert hatte. Noch fünf Decks entfernt hatte die Halbbetazoidin den Schock ihres Mannes gespürt und das Schlimmste befürchtet.

Später, als ihr Sohn Thaddeus bereits im Bett gelegen hatte, hatten sie darüber geredet. Der Junge hatte unruhig geschlafen und sogar in seinen Träumen das Entsetzen seiner Eltern wahrgenommen. Also hatten sie leise gesprochen, um ihn nicht noch weiter zu stören.

Bordson hatte von der größten Katastrophe in der galaktischen Geschichte berichtet und Rikers erster Impuls war die Frage gewesen: Wie können wir helfen?

Es war für Will und Deanna nicht überraschend gekommen, als sie erfahren hatten, dass Jean-Luc Picard mit dieser Frage bereits an das Sternenflottenkommando herangetreten war. Von allen Männern, die Riker je gekannt hatte, gab es niemanden, der bereitwilliger eine so wichtige und schwierige Aufgabe übernommen hätte, und es hatte ihm Hoffnung gegeben, den Namen seines ehemaligen Captains mit diesem Unterfangen verbunden zu wissen. Wenn jemand einen Weg finden konnte, um Millionen bald heimatloser Romulaner, ehemaligen Todfeinden, Hilfe anzubieten, dann Picard.

In nur wenigen Tagen hatte Picard das Kommando über die Enterprise-E abgegeben, um die gigantischen Hilfsmaßnahmen in die Wege zu leiten. Riker hatte die Unterstützung der Titanund ihrer Besatzung angeboten und es gab genug Arbeit für alle. Genau genommen mehr, als zu schaffen war.

Ein Jahr lang hatte die Titan alles gegeben und war eingesprungen, während andere Schiffe auf Flüchtlingsrettungsmission in romulanisch kontrollierten Raum geflogen waren, und hatte mehr Missionen als je zuvor übernommen. Seine Mannschaft erfüllte ihn mit Stolz, denn jedes einzelne Mitglied hatte sich der größten Herausforderung ihrer Generation mehr als gewachsen gezeigt.

Doch das alles war innerhalb eines Tages bedeutungslos geworden.

Riker war mitten im Nachtzyklus des Schiffs erwacht, weil seine Frau mit Tränen in den Augen vor ihm gestanden hatte. Es ist etwas Schreckliches auf dem Mars passiert, hatte sie gesagt. Es heißt, es sei ein Terroranschlag einer Gruppe fehlerhafter Androiden. Geordi war da … niemand weiß, ob er es rausgeschafft hat.

Er hatte sie eine Weile in seinen Armen gehalten, dann hatten sie ihre Ängste beiseitegeschoben wie wahre Sternenflottenoffiziere und waren an die Arbeit gegangen. Rikers Enterprise-Kamerad Geordi La Forge fand sich später unter den wenigen Glücklichen, die der Zerstörung der Utopia-Planitia-Flottenwerft entkommen waren, während die Atmosphäre des Mars brannte, doch diese gute Nachricht war nur allzu schnell von weiteren Ereignissen überschattet worden.

Nach der Zerstörung der neuen Flotte durch den Anschlag war die Rettungsinitiative hoffnungslos überlastet gewesen, einige Mitgliedswelten der Föderation waren in Aufruhr gewesen und das Unvermeidliche war geschehen. Die Sternenflotte hatte ihre Hilfe eingestellt und die Romulaner waren sich selbst überlassen worden. Picard, der sich angesichts eines solchen Befehls außerstande gesehen hatte, weiterzumachen, hatte seinen Rücktritt eingereicht.

Jean-Luc war natürlich nicht der Einzige gewesen, der kündigen wollte. Will hatte einen Brief an Bordson geschrieben, mit dem er seinem ehemaligen Kommandanten gefolgt wäre, hatte es jedoch nicht über sich gebracht, ihn abzuschicken. Solange er ein Schiff so gut wie die Titan und eine Mannschaft so gut wie seine hatte, bestand immer noch die Chance, das Richtige zu tun.

Daran muss ich glauben.

Tribun Nadeis dröhnende Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Um uns Klarheit zu verschaffen, müssen wir als Erstes die Absicht des Menschen hier feststellen. Welche Mission hat sein Schiff so nah an unsere Grenzen gebracht? Wollten sie das Imperium ausspionieren? Zweifellos. Aber was noch?«

»Wir sind nicht hier, um zu spionieren.« Riker stritt es automatisch ab und bereute seine schroffe Erwiderung sofort. Es war eine Lüge. Jede Sternenflottenmission innerhalb weniger Parsecs der Neutralen Zone beinhaltete das Scannen über die Grenze hinweg nach Schiffsbewegungen und das Abfangen von Kommunikationen der anderen Seite, und das wussten die Romulaner genau. Er relativierte seine Antwort. »Wir bleiben wachsam, aber das ist alles. Sie tun das Gleiche.« Und mehr, wollte er hinzufügen, doch das wäre eine unnötige Provokation gewesen.

Riker war sich des Gewichts der Worte, die er in diesem Raum äußerte, durchaus bewusst, und ihm war klar, dass er sie mit Bedacht wählen musste. Die Beziehungen zwischen seiner Regierung und der von Romulus hingen am seidenen Faden und die Spannungen waren fast so schlimm wie während des ersten interstellaren Kriegs zwischen ihnen in der zweiten Hälfte des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts. Im schlimmsten Fall könnte das, was bei dieser Anhörung passierte, negative Auswirkungen auf den gesamten Sektor haben.

Dabei war Riker doch hergekommen, um genau das zu verhindern. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, seine Frau mit ihrem endlosen Quell an Empathie an seiner Seite zu haben, um ihm durch diese schwierigen Gewässer zu helfen.

»Unsere Mission in diesem Sektor war eine des Friedens«, fuhr Riker fort. »Mein Schiff hat im Grunde genommen etwas ganz Einfaches getan. Wir haben jemanden nach Hause gebracht.«

SECHS TAGE ZUVOR

2

Deanna Trois kleiner Trödler ging absichtlich so langsam, dass sie sich praktisch rückwärts bewegten, und an jedem Aussichtsfenster der Titan verweilten sie auf ihrem Weg an der Backbordseite des Schiffs entlang. Durch die Überlichtgeschwindigkeit des Warpreisens verzerrte Sterne zogen an ihnen vorbei. Nicht nur deshalb kam es ihr so vor, als würde sie sich gegen einen unsichtbaren Wind stemmen müssen.

»Thaddeus …«, zog sie seinen Namen warnend in die Länge, um ihm klarzumachen, dass ihre Geduld am Ende war. »Hör auf zu trödeln.«

»Ich trödle nicht.« Eine schlechte Flunkerei. Trois Sohn war gerade der Inbegriff von Trödeln, so langsam, wie er seiner Mutter folgte. Es hatte eine Ewigkeit gedauert, ihn anzuziehen, eine weitere Ewigkeit, ihn aus dem Quartier zu locken, und nun begann sie sich zu fragen, ob es der Junge noch vor dem Wärmetod des Universums zu seinem Unterricht schaffen würde. »Ich will nur nicht so schnell gehen«, fügte er hinzu.

»Ach ja?« Sie bewegte ihre Hand in Richtung Kommunikator. »Ich kann dich zur Schule beamen lassen, weißt du? Ich bin ein Commander, ich darf das.«

»Nein!« Thaddeus bewegte demonstrativ seine Füße, dabei gelang es ihm jedoch irgendwie, nicht viel weiterzukommen. »Ich geh ja schon.« Er seufzte demonstrativ, als würde es sich um die größte Zumutung seines noch jungen Lebens handeln.

Troi verkniff sich ein Grinsen und bewunderte seine Darbietung. Vielleicht wird er ja mal Schauspieler, dachte sie. Er muss nur noch ein bisschen an den Nuancen arbeiten.

Ihre Mutter war sehr amüsiert gewesen, als Deanna während ihrer letzten Holo-Kommunikation Thaddeus’ theatralische Anwandlungen erwähnt hatte. Lwaxana Troi hatte ihr sichtlich erfreut erzählt, dass sich Deanna in seinem Alter genauso verhalten hatte. Natürlich hatte sich Troi geweigert, das zu akzeptieren. Nun bot sie dem Jungen ihre Hand an.

Er beäugte sie, als wäre sie giftig, und nahm sie nicht. »Muss ich heute zur Schule gehen?«

»Heute ist ein Schultag«, erwiderte sie. »Was denkst du?«

»Urlak sek farah.« Trotzig murmelte er die Worte in seine Brust.

Troi sah den Jungen an. »Auf Standard, bitte.« Seit er drei war, verfeinerte Thaddeus die von ihm erfundene Sprache, die er Kelu nannte, und manchmal verfiel er in sie, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Zuerst hatten seine Eltern gedacht, es sei nur eine Phase, die das kluge Kind durchmachte, doch als er älter wurde, fügte er immer mehr hinzu und machte sich Notizen darüber, statt Hausaufgaben zu machen.

Andere Kinder bauen Modellraumschiffe oder gärtnern, hatte Will lächelnd festgestellt. Unseres entwickelt seine eigene Sprache.

Was ja gut und schön war, nur hatte Troi vor Kurzem erfahren, dass ein paar der Jungoffiziere Kelu-Wörter als eine Art informellen Schiffsslang benutzten, und sie war sich nicht sicher, ob sie das gut oder beunruhigend finden sollte.

»Okay, meinetwegen.« Ihr Sohn machte ein Gesicht wie ein mürrischer Lurianer und passte sich endlich ihrem Tempo an. Er gab sich geschlagen, war aber immer noch fest entschlossen, es ihr nicht leicht zu machen. Also murrte er bei jedem Schritt, den er machte.

Troi nickte ein paar Lieutenants aus der Astrometrik zu, die ihnen entgegenkamen. Sie fragte sich, ob es ihrem Ruf als Senior-Counselor des Schiffs schaden würde, als Mutter eines so bockigen Kindes gesehen zu werden.

Sie seufzte, blieb stehen und kniete sich hin, sodass sie auf Augenhöhe mit ihm war. »Ist irgendwas in der Schule? Willst du deshalb heute nicht hin?« Troi strich Thad über den Kopf und glättete seine Haare.

»Es ist nur … mein Projekt … Jetzt wird es langweilig.«

»Aber du magst doch Sprachen.« Troi war sehr beeindruckt von der Fähigkeit ihres Sohnes, Dialekte aller Art aufzuschnappen. Neben seinem Kelu-Projekt verstand er bereits genug Französisch, um Der kleine Prinz zu lesen, das Buch, das ihm Jean-Luc Picard zum Geburtstag geschenkt hatte. Und erst vor ein paar Tagen hatte er das gesamte klingonische Alphabet gerülpst und Will damit Lachtränen in die Augen getrieben.

Plötzlich öffneten sich die Schleusentore und ihr Sohn begann, wie ein Wasserfall zu reden. Thad erklärte, dass er etwas besonders Cleveres hatte machen wollen, um seine Lehrer in der Vorschule der Titan zu beeindrucken. Er hatte die Aufgabe bekommen, eine intelligente Spezies auszuwählen und alles über sie zu lernen – und kühn hatte er die Jazari als Thema gewählt.

»Ah.« Troi nickte wissend. Einem Kind musste das wie eine hervorragende Idee vorgekommen sein. Doch es war zum Scheitern verurteilt.

Die derzeitige Mission der Titan bestand darin, ein Schiff in das Jazari-Sternsystem in der Nähe der romulanischen Neutralen Zone zu bringen, und eine paar Jazari-Diplomaten waren auf Deck acht ihre Gäste. Ein Mitglied dieser Spezies diente sogar als aktives Besatzungsmitglied in der Krankenstation, ein junger Lieutenant namens Zade, eine der wenigen Jazari in der Sternenflotte. Sie gehörten nicht zur Vereinigten Föderation der Planeten, doch sie hatten einen Partnerstatus, ein Mittelding zwischen nicht angegliederter Unabhängigkeit und einem formellen Antrag auf VFP-Mitgliedschaft.

Dabei hatte Trois Sohn übersehen, dass die Jazari strenge Regeln hatten, was ihre Privatsphäre anging. Sie zurückgezogen zu nennen war, wie Tellariten als stur zu bezeichnen: technisch korrekt, aber gleichzeitig eine gewaltige Untertreibung.

Die Jazari hatten außer Hinweisen auf ihre komplexen persönlichen Verhaltensregeln praktisch nichts von ihrer Kultur mit der Föderation geteilt. Ihr Heimatplanet war für Besucher tabu, genau wie ihre Quartiere an Bord des Schiffs. Sie sprachen ausschließlich Föderationsstandard und sie hatten äußerst spezielle Richtlinien über medizinische Angelegenheiten und Bestattungsrituale.

Sie waren ein Rätsel, wenn auch ein höfliches. Im Austausch für den bescheidenen Handel mit dem Mineral Ryetalyn – einem wichtigen Bestandteil bestimmter Impfstoffe – kam die Föderation dem Wunsch der Jazari nach, mehr von der Galaxis zu sehen, und hielt dabei unauffällig die Tür zu einer Freundschaft auf. Man hatte gehofft, dass sie ihr Misstrauen aufgeben und sich der Föderation anschließen würden.

Doch das war bisher nicht passiert, nicht in dem Jahrhundert seit dem Erstkontakt ihrer Schiffe, nicht nach dem Beginn diplomatischer Missionen und nicht einmal nach der Aufnahme einer Handvoll ihrer Leute in die Sternenflotte. Die vorherrschende Meinung war, dass die Jazari einlenken würden, wenn es ihnen passte, und keinen Tag früher.

»Ich dachte, es wär bestimmt klasse, wenn ich ein paar Jazari-Wörter lernen könnte«, schloss Thad mürrisch. »Ich hab Lieutenant Zade gefragt und er war nett, hat aber gesagt, dass er mir nicht helfen kann.« Nachdenklich sah er zu seiner Mutter auf. »Du könntest ihm befehlen, es zu tun. Du bist ein Commander, du darfst das. Oder Dad? Er ist der Captain und …«

»Tut mir leid, Kleiner, aber so funktioniert das nicht. Wenn die Jazari ein paar Dinge nicht mit anderen teilen wollen, müssen wir das respektieren. Du willst doch auch nicht, dass jeder jedes kleine Detail über dich weiß, oder?«

»Nein«, gab er zu und griff im Gehen schließlich doch nach ihrer Hand. »Aber wir wissen überhaupt nichts über sie!« Thad setzte seine Denkermiene auf. »Vielleicht haben sie ja gar keine eigene Sprache.«

Es gab in der Tat einige solcher Theorien über die Jazari, die spekulierten, dass sie wie die Cairn oder Aenar telepathisch miteinander kommunizierten. Doch Troi hatte nie auch nur den Hauch einer psionischen Aura bei Zade oder anderen seiner Art gespürt.

»Es ist ein Rätsel«, sagte sie. »Aber denk dran, was dein Vater gesagt hat. Genau darum sind wir hier draußen im All, um Dinge zu lernen. Gerade lernen wir vielleicht nicht viel von den Jazari, aber ein bisschen lernen wir immer.« Sie lächelte ihn an. »Für die Besatzung der Titan ist jeder Tag ein Schultag. Du hast Glück und bekommst wenigstens die Wochenenden frei.«

»Vielleicht.« Thad seufzte erneut theatralisch, als sie sich dem Kindergarten näherten, wo sich der Rest seiner Gruppe vor Beginn des Unterrichts versammelt hatte.

Troi fiel eine Mutter mit einem ähnlich trotzigen Kind auf. Es war eine El-Aurianerin, die auf der Titan als diplomatische Offizierin arbeitete. Die beiden Mütter tauschten einen mitleidigen Blick aus.

»Wie wäre es denn damit?«, sagte sie spontan. »Das da drüben ist Lieutenant Phosia. Sie ist El-Aurianerin und die haben eine sehr interessante Sprachstruktur. Ich könnte sie fragen, ob sie dir bei deinem Projekt helfen würde.«

Die Augen ihres Sohnes leuchteten auf. »Okay! Das wär cool!« Sofort löste sich seine schlechte Laune in Luft auf und er strahlte übers ganze Gesicht.

Sein ansteckendes Grinsen ließ Troi das Herz übergehen. Doch als sie ihn umarmte, wehrte er sich. »Mo-o-om«, stöhnte er genervt. »Lass mich los.«

Sie drückte ihn absichtlich noch etwas länger, dann richtete sie sich wieder auf. »Ich bin ein Commander, ich darf das.«

Während die Kinder in ihr Klassenzimmer strömten, fing Troi Phosia ab und stellte ihr die Frage. Die andere Frau war gertenschlank, mit großen Augen, einem lila Bob und immer einem freundlichen Lächeln auf den Lippen.

»Dann sollten wir tauschen«, sagte sie und deutete auf das kleine Mädchen, das sie abgegeben hatte. »Meine Tochter Hanee würde für ihr Projekt gern Betazoiden studieren. Sie ist von der Vorstellung besessen, dass Ihr Volk die ganze Zeit nackt herumläuft.«

»Nicht die ganze Zeit«, erwiderte Troi und als sie sprach, nahm sie eine leichte Frustration bei der anderen Frau wahr. Das war für eine so gutmütige Spezies ungewöhnlich. »Wie geht es Ihnen denn sonst so?«

Phosia zuckte mit den Schultern. »Ist das nicht offensichtlich?« Ihr Team war für das Wohlergehen ihrer Jazari-Gäste verantwortlich, doch sie erklärte, dass diese sie nicht hereinlassen würden, so sehr sie es auch versuchte. »Jeden Tag ist es das Gleiche. Ich gehe zu den mir zugewiesenen Quartieren und werde von jemandem im Vorraum empfangen. Ich frage, ob sie etwas benötigen, sie sagen mir, dass sie alles hätten, was sie brauchen. Ich frage, ob alles in Ordnung ist, sie sagen, dass wäre es. Ich biete ihnen eine Führung durchs Schiff, Zeit auf dem Holodeck oder ein Abendessen mit dem Kommandostab an und sie sagen: ›Danke, aber nein, danke.‹ Und dann geht es wieder von vorn los.«

»Sie sind noch kein einziges Mal herausgekommen, seit wir sie im Vega-System abgeholt haben«, bemerkte Troi. »Vielleicht haben die Jazari eine sehr hohe Toleranzschwelle für Langeweile.«

»Sie essen nicht mal«, sagte Phosia. »Oder zumindest nicht unser Essen. Keiner der Replikatoren in ihren Quartieren wurde aktiviert. Ich denke, sie haben ihren eigenen Proviant mitgebracht.«

»Vielleicht betrachten sie die Sterne.«

»Ich glaube, sie lesen. Wir spionieren ihnen nicht hinterher, haben aber gesehen, dass Datenbankinformationen im Computersystem aufgerufen wurden. Jedoch nichts, was nicht auch über das öffentliche interstellare Netz zugänglich wäre. Abgesehen davon …« Phosia machte eine vage Handbewegung. »Commander, ich habe bereits mit dem Gedanken gespielt, Captain Riker zu fragen, ob ich ihnen eine Runde in seinem Sessel anbieten darf. Egal was, Hauptsache, sie kommen mal raus.«

»Nehmen Sie es nicht persönlich. Sie hatten nur eine Woche. Föderationsbotschafter versuchen schon seit Jahrzehnten, sie dazu zu bringen, sich zu öffnen.«

»Sie sind so distanziert, aber so angenehm dabei«, sagte Phosia. »Sie sind wie Vulkanier, wenn man die Philosophie der Logik mit Höflichkeit vertauscht.« Sie seufzte genervt. »Spielt wohl keine Rolle mehr. Am Ende des Tages werden sie das Schiff verlassen und damit hat es sich dann. Es gibt wirklich schlimmere Probleme, wenn man an gewisse andere diplomatische Missionen denkt, mit denen wir zu tun hatten.«

Troi seufzte ebenfalls. »So schnell wird den Besuch der Pakled-Delegation wohl niemand vergessen.«

»Ja.« Phosia runzelte die Stirn. »Ich gebe zu, dass es mir ein Rätsel ist, wie eine raumfahrende Spezies die Grundlagen der Abfallentsorgung nicht begreift.«

Ein Tonsignal unterbrach ihr Gespräch. »Commander Troi, bitte kommen Sie in den Bereitschaftsraum des Captains.« Es war die Stimme von Christine Vale, dem Ersten Offizier der Titan. »Commander Troi bitte in den Bereitschaftsraum.«

»Die Pflicht ruft«, sagte Troi und berührte ihren Kommunikator, um zu bestätigen, dass sie unterwegs war. Auf dem Weg zum nächsten Turbolift kam ihr ein Gedanke. Sie drehte sich zu Phosia um. »Vielleicht versuchen Sie mal, den Jazari die Schokoladendesserts in der Lounge anzubieten. Wer könnte dazu schon Nein sagen?«

Phosia lachte. »Wenn das nicht funktioniert, unterscheiden sie sich wirklich von allen Spezies, denen wir bis jetzt begegnet sind.«

Riker strich sich gedankenverloren über den Bart. Entgegen den Vorschriften ließ er ihn gerade ein bisschen länger wachsen. Teilweise, weil ihm gefiel, wie er sein Gesicht einrahmte, und teilweise, weil es ihm etwas zu tun gab, während er nachdachte.

»Chris, was sehen wir da?« Er deutete auf das holografische Panel, das wie ein freischwebendes Fenster im dunklen Himmel über dem Schreibtisch seines Bereitschaftsraums hing.

»Sie kennen die Antwort auf die Frage schon, Sir.« Sein Erster Offizier stand mit verschränkten Armen neben dem Schreibtisch. Der angriffslustige Blick in Christine Vales Augen verlieh ihr etwas Ernstes. Genau dieser strenge Blick musste ihr während ihrer ursprünglichen Karriere bei der Polizei gute Dienste geleistet haben.

Vale war im Eiltempo aufgestiegen und von der Sicherheit in die Kommandolaufbahn gewechselt. Riker hatte sie kurz nach seiner eigenen Ernennung zum Captain für den Posten des Ersten Offiziers der Titan ausgesucht. Er hatte sie regelrecht überreden müssen, den Job anzunehmen, eine Tatsache, die ihn nur noch mehr davon überzeugt hatte, dass sie die Richtige für den Job war. Eines Tages würde Val selbst einen hervorragenden Captain abgeben, doch sie war entschlossen, es sich zu verdienen. Das war Riker nur recht. Einen Offizier, der etwas geschenkt haben wollte, wollte er ohnehin nicht auf seiner Brücke.

»Ich hätte gern, dass Sie es aussprechen«, erwiderte Riker. »Tun Sie mir den Gefallen, Nummer Eins.«

Vale streckte die Hand aus und berührte das Hologramm. Das Bild zoomte auf einen metallisch grünen Fleck in der Ecke. Der Fleck wurde schärfer, bis eine sichelähnliche Kurve sichtbar wurde.

»Romulanisch«, sagte Vale geradeheraus. »Ein Warbird der Mogai-Klasse. Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster und sage, es ist ein Typ 1.«

»Eindeutig«, pflichtete Riker ihr bei. »Mehr oder weniger. Und das ist an sich schon ungewöhnlich.«

»Langstreckensensoren haben ihn zwanzig Lichtminuten von ihrer Grenze der Neutralen Zone entfernt entdeckt. Er ist zwar nah, aber nicht ungewöhnlich nah.« Vale rief eine taktische Grafik des Sektors auf, zusammen mit einem digitalen Modell des romulanischen Schiffs. Es handelte sich um einen ebenso schlanken wie tödlichen Raubvogel, der es von der Masse her leicht mit der Titan aufnehmen konnte.

»Nichts Ungewöhnliches an einem romulanischen Schiff in romulanischem Raum, das romulanische Dinge tut«, sagte Riker. »Aber es uns von dieser Seite des Zauns aus sehen zu lassen? Das ist in der Tat ungewöhnlich.« Ein Tonsignal erklang und er rief: »Herein.«

Die Tür öffnete sich mit einem Zischen und seine Frau betrat den Raum. Vale nickte ihr zu und fuhr mit ihrem Gedankengang fort: »Dieser Warbird hat seine Tarnung deaktiviert, als wir schon deutlich innerhalb der Erkennungsreichweite waren. Er hat eine Sublichtkurskorrektur um einen Braunen Zwerg durchgeführt und dann haben wir ihn verloren.«

»Sie haben sich wieder getarnt«, folgerte Troi. »Aber wir sollten wissen, dass sie da sind.«

»Sind wir uns sicher, dass es keinen anderen Grund geben könnte?«, fragte Riker. »Eine Systemfehlfunktion? Eine Störung durch den Braunen Zwerg?«

»Solche Fehler machen Romulaner nicht.« Vale suchte Bestätigung von Troi.

Rikers Frau kannte die Romulaner besser als jeder andere in diesem Raum. Sie hatte für kurze Zeit sogar als eine von ihnen gelebt, als sie während einer geheimen Mission hinter feindlichen Linien die Identität einer Agentin des Tal Shiar übernommen hatte. »Sie haben eine Botschaft geschickt: Wir beobachten euch.«

»Sie beobachten uns dabei, wie wir sie beobachten, wie sie uns beobachten …« Der Captain runzelte die Stirn. »Alles wie gehabt.«

»Bei allem Respekt, Captain, aber das stimmt nicht.« Vale holte tief Luft. »Die Romulaner hatten immer zehn Agenden auf einmal, doch nun geht es meistens nur um eines. Die Supernova. Ihre tickende Zeitbombe.«

»Sie haben recht«, bemerkte Riker. »Es ist gefährlich leicht, in alte Denkmuster zu verfallen. Vor fünf Jahren hätte dieser Warbird hier draußen die Grenze patrouilliert und die romulanische Flagge gezeigt. Jetzt könnte es sich genauso gut um eine Aufklärungsmission handeln, bei der sie nach Welten suchen, auf die sie ihre Bevölkerung bringen können, bevor ihr Stern explodiert.

Die drei betrachteten einen Moment schweigend die taktische Karte, doch jeder von ihnen war beunruhigt.

Vor einem Jahr hatte die Entscheidung der Sternenflotte, sich aus der romulanischen Rettungsinitiative zurückzuziehen, eine bereits komplexe und fragile Beziehung zum Schlechteren gewandelt. Jede Hoffnung auf eine Wiederannäherung schien momentan unmöglich, doch auf den Kernwelten der Föderation war diese Angelegenheit unwichtiger als alles andere, was gerade vor sich ging.

Denn ebenfalls vor einem Jahr hatte ein brutaler und immer noch ungeklärter Anschlag durch fehlerhafte Arbeiterandroiden auf den orbitalen Flottenwerftkomplex des Mars dessen Atmosphäre in Brand gesetzt. Dutzende eigens für die Rettungsmission gedachte Schiffe waren in ihren Docks zerstört worden und mit ihnen viele Personen aus dem gesamten Quadranten, die dort an ihnen gearbeitet hatten.

Die Schockwelle des Anschlags hatte in der ganzen Föderation nachgehallt, gefolgt von dem fast sofortigen Produktionsbann allen synthetischen Lebens innerhalb ihrer Grenzen. Jegliche praktische Forschung an künstlicher Intelligenz und Androidenentwicklung war eingestellt worden. Nur die Theorie war noch erlaubt, eine Entscheidung, die jene von vor ein paar Jahrhunderten spiegelte, als die Lehre genetischer Manipulation plötzlich verpönt gewesen war.

Föderation und Sternenflotte hatten ihren Blick nach innen gerichtet. Interne politische Grabenkämpfe erschütterten die Stabilität der VFP. Viele davon hervorgerufen durch die, wie es einigen schien, ungeteilten Bemühungen für das Wohlergehen eines alten Todfeinds. Nach dem Anschlag war Romulus plötzlich wieder auf sich gestellt und hier draußen in den Randzonen war bereits das Zerbrechen der alten Ordnung zu erkennen. Die kleineren interstellaren Mächte, die kriminellen Fraktionen und andere Bedrohungen begannen allmählich zu erkennen, dass die Präsenz der Sternenflotte nicht länger groß genug war, um ihre eigenen Ambitionen zu beeinträchtigen.

Was die fehlerhaften Androiden dazu getrieben hatte, eine solche Abscheulichkeit zu begehen, war immer noch unbekannt. Es gab kein Bekennerschreiben, kein Manifest und auch keine Androhung eines weiteren Anschlags. Alle Arbeiterandroiden der Utopia-Planitia-Flottenwerft waren in dem durch sie verursachten Flammenmeer ausgelöscht worden.

Zuerst hatten einige in der Sternenflotte den Anschlag für den Auftakt einer neuen Invasion gehalten, eine List der gestaltwandlerischen Gründer des Dominion, als Vergeltung für ihre erzwungene Kapitulation, andere hatten das Borg-Kollektiv als möglichen Aggressor gesehen. Doch ihre Vorhersagen waren nicht eingetroffen und niemand hatte der Föderation den Krieg erklärt.

Einige glaubten, dass der Anschlag direkt auf die Romulaner gerichtet war, um ihnen angesichts der unmittelbar bevorstehenden Naturkatastrophe jegliche Hilfe zu versagen. Beschuldigt wurden das Klingonische Reich, die Cardassianische Union und sogar geheime Organisationen innerhalb der Föderation selbst.

Oder vielleicht hatten die Androiden auch einfach nur ihre Schöpfer bestrafen wollen. Doch es fiel Riker schwer, eine ganze Lebensform für die Taten einiger weniger zu verdammen, so entsetzlich sie auch gewesen sein mochten.

Wie so oft, wenn es um dieses Thema ging, dachte er an seinen Freund Data und dessen fehlgeleiteten Bruder Lore. Die beiden Androiden waren so etwas wie die zwei Seiten der gleichen Münze, der eine auf der Suche nach Selbsterkenntnis, der andere verzehrt von düsteren Motivationen.

Was würde Data sagen, wenn er jetzt hier wäre?, überlegte Riker. Er stellte sich vor, der Android wäre bei ihnen im Bereitschaftsraum und würde seinen Kopf auf diese typische Weise schief halten, während sein positronischer Verstand das Problem analysierte. Datas Rat wäre ihm jetzt sehr willkommen.

Die Tage nach dem Anschlag waren von überwältigenden Emotionen geprägt gewesen, doch Riker am eindringlichsten in Erinnerung geblieben war das Gespräch, das seine Frau und er mit Thaddeus geführt hatten, um zu versuchen, dem Jungen das alles zu erklären. Er hatte die schreckliche Realität so gut wie eben möglich abgemildert, doch beiden Eltern war klar gewesen, dass sie es nicht einfach ignorieren konnten. Thads Freunde und Lehrer sprachen von dem Vorfall und er war für sein Alter sehr scharfsinnig. Riker hasste, dass er seinem Jungen viel zu früh ein wenig seiner Unschuld hatte nehmen müssen, doch ihn anzulügen war nie eine Option gewesen.

In jener Nacht hatten sie zu dritt im Dunkeln gelegen und einander gehalten, doch Riker hatte nicht schlafen können. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er wirklich Angst um die Zukunft gehabt, in der sein Sohn aufwachsen würde.

»Vielleicht gehen wir die Sache falsch an.« Die melodische Stimme seiner Frau holte ihn in die Gegenwart zurück. »Sehen wir es als Einladung. Wir könnten sie rufen und Hilfe anbieten, falls sie welche bei ihrer Mission benötigen.«

Vale gab ein seltsames Geräusch von sich, als hätte sie etwas im Hals, und Troi sah sie stirnrunzelnd an. »Lachen Sie nicht, Commander. Ich meine es ernst.«

»Wow, das tun Sie wirklich.« Vale wirkte erstaunt. »Na dann, viel Glück damit. Lassen Sie mich wissen, wie es läuft.« Ihr Ton machte mehr als deutlich, wie viel Vertrauen der Erste Offizier in die Bereitschaft der Romulaner hatte, mit ihnen zu kommunizieren.

Riker drückte einen Knopf auf seinem Schreibtisch und das Hologramm verschwand. »Praktisch gesprochen, wird das Auswirkungen auf unsere Mission haben?«

»Negativ, Captain«, sagte Vale. »Aber nur um sicherzugehen, habe ich Lieutenant Keru angewiesen, die Sensordurchläufe zu erhöhen und ein höheres Operationstempo zu halten.« Der unvereinigte Trill war der leitende taktische Offizier der Titan und Riker betrachtete ihn inzwischen als eines der besten Mannschaftsmitglieder. »Wenn drei Sektoren entfernt ein Kosmozoan auch nur zu husten wagt, werden wir es erfahren«, fügte der Erste Offizier hinzu.

»Deanna«, wandte sich Riker an seine Frau. »Lass uns den Kreis klein halten. Wir müssen die Jazari nicht informieren, solange es nicht zu einem Problem wird.«

»Sehe ich auch so. Sie haben sich die ganze Reise über zurückgezogen und ich glaube, wir sollten ihnen keinen weiteren Grund geben, sich unterm Bett zu verstecken.«

Vale blinzelte. »Das tun sie nicht wirklich, oder?«

»Keine Ahnung, Commander«, sagte Troi. »Aber was auch immer sie in ihren Quartieren treiben, sie sind ruhig.«

»Das ist verdächtig.« Vale kniff die Augen zusammen. »Das ist jetzt bestimmt wieder meine alte Ausbildung, die sich meldet, aber jemand, der so lange keinen Mucks von sich gibt, muss etwas vorhaben.«

»Wir können sie ja auf dem Weg zum Shuttlehangar fragen.« Riker sah zu seiner Frau. »Meiner Schätzung nach wird die Titan in etwa fünf Minuten an den geplanten Koordinaten aus dem Warp gehen. Ist alles bereit?«

Troi nickte. Neben ihrer Arbeit als leitender Schiffscounselor hatte sie außerdem den Posten der leitenden Diplomatin inne, aber durch die Umstrukturierung der Mission der Sternenflotte spielte sie diese Rolle immer seltener und überließ die meisten Aufgaben Lieutenant Commander Phosia, bei der sie sie in fähigen Händen wusste. »Im Haupthangar stehen zwei Shuttles bereit, die Coltrane und die Holiday. Der Maschinenraum hat sie so umgebaut, dass sie von der Brücke aus gesteuert werden können und nur die grundlegendsten Sensoren benutzen.«

»Viel Arbeit für einen Taxiflug«, kommentierte Vale.

»Wir können sie ja nicht mit unseren Transportern schicken. Sie haben die Akte doch gelesen«, erwiderte Riker.

»Ja, Sir, habe ich«, sagte der Erste Offizier. »Alle zwei Abschnitte.«

In den Verschwiegenheitsregeln der Jazari ging es auch um die Nutzung von Materietransportsystemen. Sie behaupteten, diese wären verhängnisvoll für ihre Physiologie. Außerdem wollten sie nicht, dass eines ihrer Shuttles auf einem Schiff wie der Titan landete.

»Sehen wir es positiv«, meinte Riker, während er sich aus seinem Sessel erhob. »Wenn wir hier fertig sind, können wir dem Sternenflottenkommando Berichte schicken, in denen steht: Heute ist nichts Interessantes passiert.«

Die Worte hatten kaum seinen Mund verlassen, als sich das Interkom meldete. Erneut tippte er auf seine Schreibtischkonsole.

»Riker hier.«

»Captain? Guten Tag.«

Riker runzelte die Stirn. »Botschafter Veyen?« Die letzte Stimme, die er zu hören erwartet hatte, war die des obersten Diplomaten der Jazari-Delegation. »Hallo, ja. Ihnen auch einen guten Tag.«

An seiner Seite grinste Troi. »Wenn man vom Teufel spricht …«, flüsterte sie.

»Ihr Computersystem hat meine Anfrage direkt an Sie weitergeleitet. Ich hoffe, ich störe nicht.«

Riker ignorierte die Bemerkung seiner Frau. »Keineswegs, Sir. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich wollte Sie darüber informieren, dass wir einen Repräsentanten entsandt haben, um mit Ihnen direkt über den Transit und dergleichen zu sprechen. Bitte betrachten Sie ihn als meinen Stellvertreter. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie so freundlich wären, seinen Anliegen die gleiche Autorität wie meinen zuzusprechen.«

»Wie Sie wünschen«, sagte Riker nach einem Moment. »Dürfte ich fragen, warum …?«

Erneut erklang das Türsignal des Bereitschaftsraums und Veyen meinte nur noch: »Das wird er sein. Leben Sie wohl«, bevor er den Interkom-Kanal schloss.

»Also dann …« Der Captain richtete seine Uniform und tauschte mit seinen Offizieren einen Blick aus, dann rief er: »Herein.«

Die Tür ging zischend auf und ein Humanoider in einer blauen Sternenflottenuniform betrat den Raum. Wie die meisten Jazari war Lieutenant Zade von durchschnittlicher Größe, jedoch waren seine Arme und Beine recht dünn, was ihn fast ausgemergelt wirken ließ.

Seine Spezies war reptilienartig, mit hell- bis dunkelgrüner, schuppenbedeckter Haut und zartem Flaum, wo Menschen Haare hatten. Dazu prangten kleine, hornähnliche Auswüchse entlang der Augenbrauen und dem Hals. Riker erinnerte sich, dass sein Sicherheitschef sie einmal als »sanftmütige Jem’Hadar« bezeichnet hatte. Und ja, eine oberflächliche Ähnlichkeit war durchaus vorhanden, auch wenn der Charakter der beiden Spezies nicht unterschiedlicher hätte sein können.

Zade sah Riker mit seinen großen gelben Augen an und ging in Habachtstellung. »Captain. Melde mich wie befohlen.« In einer Hand hielt er ein Padd fest an seine Seite gepresst.

»Ich habe nichts dergleichen befohlen, Lieutenant«, sagte Riker.

»Nicht Sie, Sir. Mein Volk.« Zades Stimme klang leicht nasal.

Vale sah aus dem Fenster des Bereitschaftsraums. »Wir gehen wie geplant aus dem Warp.«

Riker spürte die Veränderung im allgegenwärtigen Summen seines Schiffs, während die verzerrten Sterne wieder normal wurden.

»Botschafter Veyen hat mich gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen«, fuhr Zade fort. »Da ich schon länger an Bord der Titan diene und Sie daher am besten kenne, fand man, dass ich es sein sollte, der Ihnen die Umstände erklärt.«

»Welche Umstände?«, fragte Vale.

Zade deutete zur Tür. »Würden Sie mich alle auf die Brücke begleiten? Dort wird alles klarer werden.«

Troi runzelte die Stirn. »Sie haben mit dem Botschafter gesprochen? Ich war mir gar nicht bewusst, dass die Delegation Besuch empfangen hat.«

»Er hat mir seine Absichten kommuniziert«, erwiderte Zade, beließ es aber dabei. »Wenn Sie dann jetzt bitte mitkommen würden?«

Unsicher folgten Riker, Troi und Vale dem Jazari auf das Kommandodeck. Zade ging zum Hauptschirm, vorbei an den Steuer- und den Ops-Konsolen, von denen ihn die Pilotin und der Navigator fragend ansahen.

»Verdächtig«, wiederholte Vale leise zu Riker.

»Commander, Seien Sie versichert, dass kein Grund zur Sorge besteht.« Zade befand sich auf der anderen Seite der Brücke, doch er richtete sich an Vale, als hätte sie direkt mit ihm gesprochen.

»Gutes Gehör«, bemerkte Troi.

»Ja, es ist außergewöhnlich«, sagte Zade.

Ranul Keru erhob sich von seinem temporären Platz im Kommandosessel. »Captain, ich wollte Sie gerade rufen.« Er deutete auf den Schirm. »Die passiven Sensoren haben etwas Seltsames entdeckt.«

»Nichts, worüber man besorgt sein müsste«, versicherte Zade.

»Das möchte ich lieber selbst beurteilen.« Riker gefiel das Gefühl ganz und gar nicht, dass sie der Jazari an der Nase herumführte. Er sah zu Keru. »Bericht.«

»Die Scans des lokalen Planetenkörpers, sie … passen einfach nicht, Sir.« Keru deutete auf den Schirm. »Sehen Sie selbst, dann wissen Sie, was ich meine.«

Riker stellte sich in die Mitte der Brücke und studierte die Aussicht. Erhellt vom Leuchten eines entfernten gelben Sterns, erfüllte ein Gasriese der J-Klasse mit blassroten und orangen Streifen einen Großteil des Schirms und in seinem Orbit befand sich die fleckige Kugel der Jazari-Heimatwelt. Auf den wenigen Bildern, die er aus den Akten der Sternenflotte kannte, war der Mond so rostrot wie Mars oder Vulkan, oder war es zumindest gewesen, als diese Bilder aufgenommen worden waren. Nun war er aschgrau und voller dunkler Umrisse.

»Vergrößern«, befahl er. »Liegt es an mir oder wirkt er … kleiner?«

»Es liegt nicht an Ihnen«, sagte Keru. »Die optischen Messungen bestätigen eine Reduktion der Planetenmasse um fast zehn Prozent.«

Die farblose Welt kam näher heran und jetzt sah Riker auch, dass die dunklen Umrisse viele Kilometer tiefe Gräben in ihrer Oberfläche waren. Jemand hatte Landmassen so groß wie Kontinente herausgeschnitten und klaffende Löcher zurückgelassen, die bis in den äußeren Mantel des Planeten reichten. Die Atmosphäre schien dünn und lebensfeindlich. Zudem war dort, wo die Sternenflottenakten die leuchtenden Türme der arkologischen Jazari-Städte angezeigt hatten, nichts als nackter Fels. Die Sichel der sichtbaren Nachtseite des Mondes war vollkommen schwarz und zeigte keine Lichter irgendwelcher Art. Der ganze Planet wirkte, als ob man ihn in Säure getaucht hätte.

»Da unten gibt es keine Lebenszeichen«, bemerkte Keru. »Keine Energiemessungen. Er ist verlassen.«

»Was ist da passiert?«, sagte Vale, entsetzt über die Verwandlung. »Wer hat Ihnen das angetan?«

Zade legte den Kopf schief. »Ich glaube, Sie missverstehen, Commander. Die Umbildung meines Planeten geschah nicht durch fremde Mächte. Wir haben das getan. Die Jazari.«

»Warum?«, fragte Riker entsetzt. Eine perfekte bewohnbare Welt war offensichtlich aufgeschnitten und ausgeweidet worden. Warum eine intelligente Spezies ihrer Heimat so etwas antun sollte, war ihm ein Rätsel.

»Um die Arbeit zu vollenden.« Zade deutete auf den Schirm. »Wir sollten nun in Erfassungsreichweite sein.«

Vale war an ihrer Station und überprüfte eine Konsole. »Captain, da ist ein riesiges Objekt etwa null Komma vier Lichtminuten von unserer derzeitigen Position entfernt, entlang der Ekliptikebene. Es handelt sich um ein künstliches Konstrukt, Sir.«

»Eine Raumstation?«

»Ein Schiff«, korrigierte Zade. »Die Jazari haben alles aufgegeben, um es zu bauen. Unsere Schiffe, unsere Städte, unsere Welt.«

»Sehen wir es uns mal an …« Riker nickte dem Steuer zu und die Sichtschirme der Titan veränderten ihre Darstellung.

Es war unmöglich, das Schiff zu übersehen. Im All war es auf den ersten Blick schwer, die Größe des Dings einzuschätzen, doch als sie näher kamen, wurde der Maßstab deutlicher.

Es handelte sich um eine lange, zylindrische Hülle, so groß wie ein Gebirge, die sich über viele Kilometer erstreckte, bis sie sich in zwei kürzere Elemente teilte, die dem ganzen gigantischen Konstrukt das Aussehen einer Stimmgabel verliehen. Zwischen den beiden »Zinken« befand sich ein eiförmiges Modul, das von innen heraus leuchtete. Das Schiff ließ selbst die größten Kreuzer der Sternenflotte wie Zwerge wirken. Sein Durchmesser war groß genug, um die große Spindel des Raumdocks von Sternenbasis 1 zu verschlucken. Gegen dieses Objekt wirkte die Titan wie ein Putzerfisch neben einem Wal.

In enger Formation um das große Schiff befanden sich frei schwebende Plattformen, einige erhellt durch das Aufblitzen von Lasern. Riker konnte die freigelegten Hüllen von kleineren Jazari-Raumschiffen erkennen, die genau wie der Planet auseinandergenommen wurden.

»Dies sind die letzten Dekonstruktionsarbeiten«, erklärte Zade, als er Rikers neugierigen Blick bemerkte. »Sie wurden in ihre Bestandteile zerlegt, um eingelagert oder verbaut zu werden.«

Ein beständiger Strom Hunderter kleinerer Schiffe flog durch eine offene Luke in die Flanke des großen Schiffs. Je näher sie kamen, desto genauer erkannte Riker Biosphärenkuppeln an der Seite des Giganten. In einigen waren dunkle Wüstendünen zu sehen, in anderen üppiges Grün.

»Wofür ist das alles?« Es fiel ihm schwer, sich von dem unglaublichen Anblick loszureißen.

»Für den Aufbruch«, erläuterte der Lieutenant. »Das große Schiff ist in den letzten Vorbereitungsphasen des Exodus. Alle Jazari haben sich versammelt, um die Arbeit zu vollenden, und Sie haben die letzten meiner Art nach Hause gebracht, Captain.« Er verbeugte sich vor Riker. »Ich möchte Ihnen persönlich danken, Sir. Ihnen und der ganzen Mannschaft. Sie waren sehr gut zu mir.«

Zade reichte Troi das Padd, das er bis jetzt gehalten hatte. Sie nahm es entgegen. »Was ist das?«

»Eine Botschaft der Jazari-Regierungssepte für den Föderationsrat, die erklärt, was passieren wird«, sagte er. »Wenn Sie sie bitte übermitteln könnten, wären wir sehr dankbar.« Zade entfernte den Kommunikator und die Rangknöpfe von seiner Uniform. »Außerdem werden Sie darauf mein Kündigungsschreiben finden, wirksam ab sofort.« Vorsichtig legte er die Sachen auf die Steuerkonsole. Er war einen Moment lang still, während die Brückenbesatzung auf sich wirken ließ, was er gesagt hatte. Dann fuhr er fort und sein Auftreten wurde etwas weniger formal. »Sir, es war mir eine Ehre, an Bord dieses Schiffes dienen zu dürfen. Die bewundernswerte Haltung seiner Besatzung ist der Grund, warum gerade Sie ausgewählt wurden, um die letzten unseres Volkes nach Hause zu bringen.«

Ein Signal ertönte und Keru warf einen Blick auf seine Konsole. »Eine Nachricht aus Shuttlehangar eins«, meldete er. »Die Jazari-Delegation hat sich versammelt und ist bereit zum Aufbruch.«

»Und ich werde mich ihnen anschließen«, sagte Zade. »Mit Ihrer Erlaubnis, Captain.«

Riker war vorübergehend sprachlos. Es lag in seiner Befugnis, die Kündigung des Lieutenants abzulehnen, doch welchem Zweck sollte das dienen?

»Exodus.« Troi wiederholte das Wort. »Dieser Begriff hat Gewicht, Mister Zade. Er spricht von der Migration einer ganzen Bevölkerung. Ist es das, was wir sehen?«

Zade blickte zu Boden. »Ist es.«

»Aber warum tun Sie das?« Vale runzelte die Stirn. Sie schien das Ausmaß nicht begreifen zu können. »Wo wollen Sie denn hin?«

»Seien Sie unbesorgt, Commander.« Zade ging zum Turbolift. »Dieser Quadrant, diese Sterne … sie sind kein Ort mehr, an dem sich mein Volk willkommen fühlt.«