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Ein aufregendes neues Crossover-Abenteuer mit den Helden aus "Star Trek: The Next Generation" und "Star Trek: Deep Space Nine", von New-York-Times-Bestseller-Autor Dayton Ward! 2369: Kurz nachdem die Sternenflotte einen Angriff der Cardassianer auf ein System der Föderation vereitelt hat, gibt die Regierung auf Cardassia den Befehl, die fünfzigjährige Besatzung des Planeten Bajor zu beenden. Die neu eingesetzte bajoranische Regierung bittet die Föderation um Hilfe. Sie soll eine Vermittlerrolle einnehmen, den Abzug regeln und klären, welche Reparationszahlungen die brutalen Unterdrücker Bajor schuldig sind. Obwohl er selbst noch immer mit seinem jüngsten Trauma, der Festnahme und Misshandlung durch einen cardassianischen Verhörspezialisten, zu ringen hat, wird Captain Jean-Luc Picard vom Sternenflottenoberkommando abgestellt, die heiklen Verhandlungen auf Terok Nor zu führen, der mächtigen cardassianischen Raumstation, die nach wie vor im Orbit von Bajor schwebt. Während diese wichtigen Friedensgespräche ihren Lauf nehmen, erhält Ensign Ro Laren einen Hilferuf von einem längst tot geglaubten Freund, der ein gefährliches Geheimnis aus dem Inneren des cardassianischen Raums zutage bringt. Picard und die Besatzung des Raumschiffs Enterprise müssen verhindern, dass ein interstellarer Zwischenfall den tödlichen Konflikt zwischen der Föderation und den Cardassianern erneut ausbrechen lässt und damit alle Hoffnung auf Gerechtigkeit für das Volk von Bajor zunichtemacht …
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Seitenzahl: 491
Veröffentlichungsjahr: 2025
Gewidmet meiner Frau und meinen Kindern
HISTORISCHE ANMERKUNG
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
EIN NEUER ANFANG
KAPITEL 37
KAPITEL 38
DANKSAGUNGEN
Die in diesem Buch geschilderten Ereignisse tragen sich im Jahr 2369 zu. Kurz zuvor ist Captain Jean-Luc Picard in cardassianische Gefangenschaft geraten und von dem Verhörspezialisten Gul Madred brutal gefoltert worden (STAR TREK – THE NEXT GENERATION»Geheime Mission auf Celtris Drei«) und wenig später wird die Sternenflotte die taktische Kontrolle über die cardassianische Raumstation Terok Nor übernehmen und eine dauerhafte Föderationspräsenz im bajoranischen Sektor etablieren (STAR TREK – DEEP SPACE NINE»Der Abgesandte«).
Eine Lüge läuft, bis sie von der Wahrheit überholt wird.
— Kubanisches Sprichwort
Als Panat Hileb mit einem riesigen Felsbrocken auf der Schulter aus dem Bergwerksstollen kam, bemerkte er den dünnen Streifen orangen Himmels, der die Sonne vom fernen Horizont trennte. Gleich müsste das Signalhorn erklingen, das den Schichtwechsel verkündete. Doch jegliches Trödeln vor diesem höchst willkommenen Geräusch würde nur eine sofortige Bestrafung nach sich ziehen. Panat hatte gesehen, wie andere diesen Fehler gemacht und dafür gelitten hatten, daher hielt er weder inne noch nahm er sich die Zeit, den atemberaubenden Anblick zu genießen.
Mit gerade genug Eifer, um die Wachen nicht zu provozieren, schlurfte er vom Stolleneingang weg und an anderen Arbeitern vorbei auf die Minenbahn zu. Dort warf er seinen Brocken auf eine der Ladeflächen, auf denen noch Platz war. Die Lore erzitterte auf ihren Antigrav-Lagern, dank denen sie knapp über dem Pfad aus gestampfter Erde schwebte, der als Transportweg diente. Da Panat wusste, dass schon der nächste Arbeiter hinter ihm wartete, drehte er sich um und begab sich zurück zum Stollen, wo noch mehr Steine auf ihn warteten. Das war die eine Konstante in seinem Arbeitstrupp: dass immer noch weitere Steine darauf warteten, aus der Mine geschleppt zu werden, damit sie zum nahe gelegenen Abraumplatz gebracht werden konnten, der kaum mehr als eine Müllgrübe war.
Und ein Friedhof, rief sich Panat in Erinnerung, auf dem die Leichen von all denen liegen, die unsere Unterdrücker nicht mehr für nützlich hielten. Das schloss auch Arbeiter ein, die es kurz vor Ende ihrer Arbeitsschicht an Eifer hatten mangeln lassen.
Abraum aus den Arbeitsbereichen der Mine zu schaffen, gehörte zu den schlimmsten Aufgaben, die die Cardassianer, die diese Gefängniskolonie leiteten, ihnen auferlegten. Im Inneren der Mine mühten sich derweil andere Bajoraner damit ab, Uridiumerz aus den Tiefen des Planeten abzubauen. Sobald das wertvolle Mineral vom umliegenden Gestein befreit worden war, wurde es in Container verladen, um zu einem Ort gebracht zu werden, der Panat und den anderen Arbeitern unbekannt war. Keiner der Bajoraner wusste, ob das Erz vor Ort verarbeitet oder auf Frachtschiffe verladen wurde, um zu Erzraffinerien auf anderen Planeten transportiert zu werden.
Das war nur eine der vielen offenen Fragen, die Panat und seine Gefährten beschäftigten, zusammen mit dem Namen dieser Welt, ihrer Lage oder ihrer strategischen Bedeutung. Befanden sie sich nah einer Grenze, die das Territorium der Cardassianer von einem ihrer interstellaren Nachbarn oder Feinde trennte? Trotz aller Bemühungen des Netzwerks, das die Bajoraner eingerichtet hatten, blieben diese Informationen gut gehütete Geheimnisse. Das ergab für Panat durchaus Sinn. Angenommen, jemand fand eine Möglichkeit, um Hilfe zu rufen, war damit nichts gewonnen, wenn man keine Ahnung hatte, wohin man seine Retter lotsen sollte.
Während Panat zum Mineneingang zurücktrottete, wechselte er Blicke mit einigen der anderen Zwangsarbeiter. Ein paar von ihnen waren seine Freunde, andere kannte er nur dem Namen nach. Es war eine Frage der Abstufung. An einem Ort wie diesem waren sie alle, die unter demselben Joch litten, Kameraden, Vertraute und – wenn die Zeit endlich reif war – Waffengefährten. Und während sie hier ihren Herren dienten, erfüllte alle Arbeiter der gleiche brennende Wunsch, sich der Cardassianer zu entledigen. Selbst jene, die wie Panat während der Besatzung geboren worden waren, sehnten sich nach Freiheit.
Eines Tages, dachte er. Eines Tages werden die Propheten unserem Volk hoffentlich helfen.
Er bemerkte die langen Schatten, die sich vor ihm auf dem Boden und den Felswänden rund um den Stolleneingang erstreckten, der während einer früher in diesem Jahr abgeschlossenen größeren Grabungsoperation in die Hügelflanke getrieben worden war. Die Schatten um diese Uhrzeit verrieten ihm, dass die Tage kürzer wurden. Schon bald würden die Temperaturen wieder fallen und selbst hier, in der gemäßigten Zone des Planeten, würden sie den Winter zu spüren bekommen.
Vorausgesetzt, du lebst so lange.
»Sieh zu, dass deine Schritte etwas zielgerichteter wirken, mein Freund.«
Die leise gesprochenen Worte erklangen links von ihm, und als er aufsah, erkannte er Ranar Ehu, der mit einem eigenen großen Felsbrocken in den Armen an ihm vorbeiging. Genau wie Panat trug Ranar zerschlissene Kleider aus Stoffresten oder anderen Materialien, die ihnen die Cardassianer in unregelmäßigen Abständen hinwarfen. Vielleicht hatte er sie auch aus nicht mehr gebrauchten Gewändern angefertigt. Sein früher dunkles langes Haar war inzwischen ergraut und dünn. Was davon noch übrig geblieben war, hatte er mit einem Stoffstreifen im Nacken zusammengebunden. Bis zu dem Tag, an dem sie gemeinsam zu dieser Welt verschifft worden waren, hatten sie sich nicht gekannt. In den vergangenen Jahren allerdings waren sie enge Freunde geworden. Sie teilten eine Menge Vorlieben aus ihrem alten Leben vor der Deportation von Bajor. So waren beide stets gern draußen in der freien Natur gewesen, sie liebten Musik und Kunst und schmiedeten unablässig Pläne, um ihre Unterdrücker zu bekämpfen.
Panat nickte ihm mit einem vorsichtigen Lächeln zu. »All meine Schritte sind zielgerichtet.« Es mochte eine unverfängliche Antwort auf einen harmlosen Tadel gewesen sein, aber für jene Bajoraner, die auf dieser Welt dem Widerstand angehörten, wie Ranar Ehu und er, war dieser Austausch von großer Bedeutung.
Panat, der während der cardassianischen Besatzung auf Bajor geboren worden war, hatte sich immer damit begnügt, nur das zu tun, was notwendig war, um selbst zu überleben und seine alt und gebrechlich werdenden Eltern am Leben zu erhalten. Es war kein perfektes Leben gewesen, aber er hatte dafür sorgen können, dass seine Eltern etwas zu essen, ein Dach über dem Kopf und ihre Medikamente hatten. Eine Zeit lang hatte das Panat genügt. Dann war in einer einzigen grauenvollen Nacht seine gesamte Welt in Flammen aufgegangen, als ein cardassianisches Sturmkommando in Panats Dorf in der Lonar-Provinz gekommen war und jeden getötet hatte, den die Cardassianer für eine Verschwendung von Ressourcen hielten. Seine Eltern hatten in einem Disruptorfeuerhagel ihr Leben verloren.
Panat hatte noch unter Schock gestanden, als man ihn zu einem Transportschiff geschleppt und zu dieser elenden Welt verfrachtet hatte. Vom ersten Augenblick an hatte er seine Fühler nach allen Bajoranern ausgestreckt, die Teil der Widerstandsbewegung sein mochten, die, wie er wusste, auf seinem Heimatplaneten damals an Einfluss gewann. Doch es hatte fast ein Jahr gedauert, bis Ranar auf ihn zugetreten war und ihn in ihren Kreis aufgenommen hatte. Das war der Beginn ihrer Freundschaft und ihres gemeinsamen Kampfes gewesen.
Und jetzt schuften wir bei Tage und schmieden Pläne bei Nacht.
Tatsächlich trafen sich Panat und Ranar in unregelmäßigen Abständen mit einigen anderen vertrauenswürdigen Mitgliedern des Widerstands, nachdem sie von der Arbeit ins Lager zurückgekehrt waren und bevor zur Sperrstunde geläutet wurde. Dann besprachen sie mögliche Sabotageakte. Angesichts der isolierten Lage ihres Arbeitslagers und der vergleichsweise kleinen Anzahl Bajoraner vor Ort – weniger als zweihundert nach Panats Zählung – konnten sie nicht zu viel riskieren, denn es war praktisch unmöglich, in der Menge unterzutauchen. Ihr Hang zur Übervorsicht zwang sie dazu, sich auf kleinere Akte des Widerstands zu konzentrieren, die nicht unmittelbar auf einen Aufstand hindeuteten. Werkzeug zu beschädigen etwa gehörte regelmäßig dazu, aber auch das musste mit Bedacht und zum richtigen Zeitpunkt geschehen. Das Gleiche galt, wenn es darum ging, Methoden auszutüfteln, um den allgemeinen Arbeitsablauf zu stören, ohne dadurch Misstrauen zu erregen. Zu den größten Herausforderungen zählte jedoch, eine Wache zu eliminieren.
Wenn alles nach Plan verlief, sollte genau das hier und heute geschehen.
Das Signalhorn erklang, hallte von der Hügelflanke wider und sorgte dafür, dass alle Arbeiter von ihren Aufgaben aufblickten. Diejenigen, die gerade einen Stein zur Transportbahn schleppten, marschierten weiter, erpicht darauf, diese letzte Bürde des Tages auf einer der Ladeflächen loszuwerden.
»Werdet fertig«, brummte eine der cardassianischen Wachen, Lubak, ein älterer Soldat, dessen Desinteresse an alldem hier seit Langem bekannt war. Sein Befehl war nicht unwirsch, sondern die bloße Wiederholung einer Anordnung, die jeden Tag um diese Zeit gegeben wurde. »Ladet die letzten Steine in die Loren und stellt euch dann auf.«
Im Lager ging das Gerücht um, dass Lubak so oft bei Beförderungen übergangen worden war, dass er entschieden hatte, den Rest seines Pflichtdiensts beim Militär so ruhig und ereignislos wie nur möglich hinter sich zu bringen. Dabei musste man ihm zugutehalten, dass er seinen Frust nicht an den Bajoranern ausließ und stattdessen nur das Nötigste an Zwang ausübte, um die Ordnung und Effizienz bei der Arbeit aufrechtzuerhalten. Panat und die anderen wussten, dass Lubaks Apathie ein Glücksfall für sie war. Daher verhielten sie sich so, dass es keinen Ärger gab oder sie irgendwie anders den Zorn wachsamerer und weniger gutmütiger Aufseher auf sich zogen.
Viele der anderen Wachen in ihrem Zug schienen ohnehin ähnlich wie Lubak zu denken. Es ließ sich nicht leugnen, dass dies hier ein langweiliger Job war, womöglich eine Strafe für reale oder eingebildete Vergehen. Abweichungen vom Alltagsgeschäft bestanden im Wesentlichen aus Unfällen oder einem Arbeiter, der vor Erschöpfung zusammenbrach. Ansonsten folgte jeder Tag der gleichen Routine. Wiederholung, das wusste Panat, führte zu Langeweile, was wiederum Unaufmerksamkeit beförderte. Und Sabotage war am effektivsten, wenn sie die Nachlässigkeit auf schnelle, entschiedene und vielleicht sogar gewalttätige Weise ausnutzen konnte.
Während er sich umdrehte und auf den Sammelpunkt zustrebte, wo sich die Arbeiter in Reihen aufstellten, um zum Lager zurückzumarschieren, warf Panat einen raschen Blick auf den vorderen Teil der Bahn, wo ein anderer Soldat, Locin, stand und zusah, wie das tägliche Ritual seinen Lauf nahm. Ein paar Bajoraner brachten die letzten Felsbrocken des Tages herbei, um sie in die Loren zu werfen, die noch Platz für weiteren Abraum hatten. Unterdessen zog der Cardassianer bereits ein Gerät aus einem Holster an seinem Ausrüstungsgürtel. Er drückte auf einen Knopf an dem Apparat und die internen Antriebssysteme der Bahn erwachten zum Leben. Auf Antigrav-Lagern erhob sich die gesamte, aus zwölf Loren bestehende Bahn, bis sie etwa einen Meter über dem Boden schwebte. Dabei gab sie ein niederfrequentes Brummen von sich, während sie untätig auf weitere Anweisungen wartete. Unter gewöhnlichen Umständen konnte derjenige, der die Bahn kontrollierte, diese mit einem weiteren Knopfdruck auf ihren vorprogrammierten Kurs schicken. Panat hatte das unzählige Male in den letzten Jahren gesehen.
Heute jedoch wartete die Bahn nicht auf diesen Befehl. Sie machte ohne Vorwarnung einen Satz nach vorn und statt in normaler Schrittgeschwindigkeit den ausgetretenen Pfad entlangzusummen, beschleunigte sie und steuerte direkt auf Locin zu. Dem blieb keine Zeit, um aus dem Weg zu springen. Die Stirnseite der Bahn rammte ihn auf Hüfthöhe, riss ihn von den Beinen und warf ihn zurück. Stolpernd ging er zu Boden, und erneut blieb ihm keine Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen, bevor ihn die Minenbahn ein zweites Mal traf, diesmal am Kopf, und ihn in den Staub stürzen ließ, bevor alle zwölf Wagen über ihn hinwegglitten. Locins Todesschrei hallte von den Felswänden wider, während die Antigrav-Lager Kraft nach unten ausübten, um die Bahn in der Luft zu halten, und den Cardassianer unter sich zerquetschten.
Statt jedoch anzuhalten, schoss sie weiter über den Weg und das offene Gelände, bevor sie mit einem Haufen großer Felsbrocken kollidierte. Der Zusammenprall riss die Loren auseinander und sie schossen in alle Richtungen davon, bis sie entweder gegen die Wände des Talkessels prallten oder in Mulden zu beiden Seiten des Weges landeten. Mehrere Bajoraner und selbst einige der Cardassianer starrten fassungslos auf das Geschehen vor ihnen. Sie schienen einfach nicht begreifen zu können, was sie da gerade mit angesehen hatten.
»Hilfe!«, schrie Panat auf und spielte damit seine Rolle als verstörter Bajoraner, der soeben Zeuge eines traumatischen Ereignisses geworden war. »Wachen! Hilfe!« Er wusste, dass für Locin jede Hilfe zu spät kam, aber er musste sich genauso verhalten wie all die Arbeiter, die nicht gewusst hatten, was geschehen würde. Er eilte zu den Überresten der Wache hinüber und fand seine Annahme bestätigt, dass der Mann tot war. Höchstwahrscheinlich war er schon tot gewesen, bevor die Bahn ihn überrollt hatte. Ein glücklicher Zufall hatte obendrein seine Kontrolltafel zerstört. Auch sie war von den Antigrav-Kräften der Bahn zerdrückt worden. Niemand würde sie mehr untersuchen können, um zu überprüfen, ob sich jemand daran zu schaffen gemacht hatte. Panat wusste, dass dem so war, aber selbst für den Fall einer Untersuchung hatten sie vorgesorgt.
»Was ist hier los?« Die Frage hallte wie ein Peitschenschlag durch die Stille. Sie stammte von einem anderen Cardassianer, Glinn Irvek. Der Offizier hatte den Oberbefehl über diesen Arbeitszug und die dazugehörige Wachtruppe. Er war jünger als die meisten der Soldaten um ihn herum und neigte zur Gefühllosigkeit, ja sogar Brutalität, wenn ihm gerade der Sinn danach stand. Panat und die anderen hatten sich angewöhnt, wann immer möglich einen weiten Bogen um ihn zu machen, aber selbst das genügte manchmal nicht, um dem Zorn des Glinn zu entgehen.
Irvek drängte sich an einigen Bajoranern und zwei Wachen vorbei und blieb neben Panat stehen, um die grausigen Überreste von Locin zu betrachten. »Wer hat was gesehen?« Er drehte sich um und durchbohrte Panat mit zunehmend wütendem Blick. Seine Hand legte sich auf die Pistole, die im Holster an seiner Hüfte hing. Panat hatte von dem Augenblick an, da Ranar und er den Plan geschmiedet hatten, gewusst, dass eine schnelle, drastische Strafe die mögliche Folge sein könnte, und er wappnete sich für was immer als Nächstes passieren würde. Doch eine andere Stimme ließ Irvek in der Bewegung innehalten.
»Ich habe es gesehen, Glinn«, meldete sich Lubak zu Wort. Seine Stimme schallte über die Bajoraner hinweg, die aus dem Weg gingen, als er näher kam. »Soldat Locin hat die Bahn aktiviert wie jeden Tag und dann hat sie ihn überfahren.«
Irvek drehte sich so langsam zu seinem Untergebenen um, als koste es ihn körperliche Anstrengung, seinen Blick von Panat zu lösen. »Wollen Sie damit sagen, dass es seine Schuld war? Dass er sich das selbst angetan hat?«
»Ich weiß nicht, wer Schuld daran hatte, Glinn«, erwiderte Lubak mit all der Erfahrung und Weisheit eines altgedienten Soldaten. »Ich weiß nur, dass niemand auf oder in der Nähe der Bahn war, als er sie aktiviert hat.«
»Also war es Sabotage«, knurrte Irvek und warf Panat erneut einen Blick zu. »Die Arbeiter sollen sich wieder in Reih und Glied aufstellen.« Bevor sich Panat in Bewegung setzen konnte, deutete der Glinn mit dem Finger auf ihn. »Du.« Der Finger wanderte weiter zu Ranar, der in der ersten Reihe der versammelten und schweigend zusehenden Bajoraner stand. »Und du. Ihr sammelt Locins Überreste ein. Und wenn auch nur ein Tropfen Blut auf dem Boden zurückbleibt, sterbt ihr genau wie er.« Er funkelte Lubak an. »Sie passen auf.«
Sie warteten, während ein anderer Bajoraner einen Leichensack aus einem Lager neben dem Mineneingang holte. Er übergab ihn an Panat, dann befahl Lubak dem Mann, zurück in die Reihe der Arbeiter zu treten, die sich unter den wachsamen Blicken der anderen Wächter auf dem Weg aufstellten.
Wird Irvek sie alle umbringen?
Diese Frage beschäftigte Panat, voller Sorge wartete er darauf, ob der Glinn seinen Soldaten den Befehl erteilen würde, den kompletten Arbeitszug zu exekutieren. Im Lager galt die Anweisung, dass jeder Bajoraner, der eines Angriffs auf einen Cardassianer für schuldig befunden wurde, umgehend zu erschießen war. Solch drastische Maßnahmen hatte es zwar schon seit geraumer Zeit nicht mehr gegeben, aber sie waren nicht völlig unbekannt. Als Panat ins Lager gekommen war, hatten die Wachen die Bajoraner noch aus den banalsten Gründen umgebracht. Damals waren Arbeitskräfte leicht zu ersetzen gewesen und es war nicht ungewöhnlich für die Cardassianer gewesen, an einem glücklosen Arbeiter ein Exempel zu statuieren, vor allem an älteren Häftlingen oder einem anderen schwächelnden Lagerinsassen. Dabei war Panat durchaus aufgefallen, dass die Wachen niemals jemand aufs Korn genommen hatten, der noch zur Arbeit taugte. Und genauso hatte er bemerkt, dass die Neuankömmlinge im Lager mit der Zeit weniger geworden waren. Dieser Umstand ging mit einer subtilen, aber doch merklichen Veränderung im Verhalten der Wachen einher. Strafen fielen weniger drakonisch aus, mal abgesehen von den schwerwiegendsten Vergehen, zumindest nach der Definition der Cardassianer. Soweit Panat wusste, war es mittlerweile über ein Jahr her, seit neue Bajoraner auf den Planeten gebracht worden waren. Was mochte die Cardassianer wohl daran hindern, ihre Arbeitskräfte aufzustocken?
Diese Gedanken sorgten dafür, dass Panat seine schlimmsten Befürchtungen verwarf. Dennoch war keineswegs ausgeschlossen, dass Irvek einen Grund finden würde, jemanden aus dem Arbeitszug zu bestrafen. Vielleicht würde er es für notwendig erachten, ein Exempel zu statuieren, um die Arbeiter daran zu erinnern, dass Ungehorsam Strafen nach sich zog, ungeachtet der Tatsache, dass er keine Beweise für ein Fehlverhalten hatte. Wenn man die Macht über Leben und Tod besaß, waren solche Dinge zweitrangig.
Während Panat und Ranar sich daran machten, die überrollten Überreste von Locins Leiche einzusammeln, wurde es langsam dunkel. Unter Lubaks wachsamem Blick legten sie die Körperteile behutsam in den Leichensack. Sie hatten weder Handschuhe noch andere Schutzausrüstung, was die Aufgabe noch unangenehmer machte. Schon bald bedeckten Blut, Knochenfragmente, Hautfetzen und Uniformreste ihre Hände und Kleidung. Irveks Befehlen folgend, sammelten sie auch die blutbesudelten Steine und den Staub ein und räumten sie in Taschen an der Außenseite des Leichensacks. Ranar verschloss den Sack und die beiden richteten sich auf, um den Wachmann anzublicken.
»Bringt … ihn … zu Glinn Irveks Fahrzeug«, sagte Lubak. Er klang weder wütend noch ungeduldig. Stattdessen wirkte die Stimmung des Wachmanns noch gedrückter als schon vor dem Zwischenfall. Er deutete auf einen gepanzerten Gleiter, der vor dem Versorgungsbau parkte. Das Schwebefahrzeug gehörte dem Typ an, der bei den Offizieren des Arbeitslagers beliebt war.
Panat und Ranar schulterten ihre grausige Last und marschierten in die ihnen gewiesene Richtung. Unauffällig warf Panat einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass Lubak ihnen nicht folgte, sondern sich stattdessen wieder den anderen Wachen angeschlossen hatte, um die Bajoraner in Marschordnung zu bringen.
»Glaubst du, er hat darüber nachgedacht, dass es genauso gut ihn hätte treffen können?«, fragte Ranar. »Unfälle können schließlich jeden ereilen.«
Panat verlagerte das Gewicht des Leichensacks auf seiner Schulter. »Ich schätze, dass alle Wachen gerade darüber nachdenken.« Ihm war bewusst, dass Irvek und andere zudem die Möglichkeit erwogen, dass Locin keinem bedauerlichen Unfall zum Opfer gefallen war.
Womit sie natürlich recht hatten.
»Er hat bekommen, was er verdient hat«, meinte Panat leise.
Locin war schon immer dafür bekannt gewesen, sich gegenüber Älteren übermäßig grausam zu verhalten, außerdem hatte er zahlreiche Bajoranerinnen sexuell belästigt. Vor vier Monaten schließlich hatte er sein Schicksal besiegelt, indem er einen älteren Arbeiter, der beim Einladen von Werkzeug in einen Waggon gestolpert und hingefallen war, einfach so umgebracht hatte. Eins der Werkzeuge war auf Locins Fuß gelandet und obwohl er keinerlei Verletzung davongetragen hatte, war der Cardassianer über die empfundene Respektlosigkeit geradezu vor Wut explodiert. Er hatte den alten Mann bewusstlos geprügelt und ihm dabei nicht nur mehrere Rippen gebrochen, sondern auch die Schädeldecke eingeschlagen, was zu weiteren inneren Verletzungen und Blutungen geführt hatte. Selbst wenn der Lagerarzt willens gewesen wäre zu helfen, waren die Wunden des Arbeiters zu schwerwiegend und er war nach wenigen Augenblicken gestorben. Der Mord hatte viele der Bajoraner aufgewühlt und beinahe wäre es zu einem Aufstand gekommen. Es war allein den anderen Wachen zu verdanken gewesen – darunter auch ein oder zwei, die von Locins Handeln selbst angewidert waren –, dass die Lage nicht außer Kontrolle geraten war. Auch in den folgenden Tagen hatte es Spannungen gegeben, bis Locin schließlich anderen Aufgaben fern des bajoranischen Arbeitszuges zugeteilt worden war.
Vor einem Monat dann war er plötzlich wieder da gewesen. Panat hatte ihn gesehen, als er an der Mine das Eintreffen der ersten Schicht erwartet hatte. Womöglich waren die für die Zuteilung der einzelnen Garnisonsangehörigen Verantwortlichen der Meinung gewesen, dass genug Zeit verstrichen sei und die Arbeiter mittlerweile zu erschöpft wären, um irgendeine Form von Protest zu äußern. Doch sobald Panat ihn erblickte, hatte er sich geschworen, dass Locin für seine Taten büßen würde. Dieser Schwur hatte eifrige Planungen zwischen Ranar und ihm ausgelöst, denn Ranars Zorn war sogar noch größer als Panats gewesen.
Der Plan hatte die Rekrutierung einer anderen Bajoranerin, Yectu Sheeliate, erfordert, einer Technikerin, die in der Werkstatt des Lagers arbeitete, wo die Ausrüstung und die Fahrzeuge der Cardassianer gewartet und repariert wurden. Nur dank ihrer Fähigkeiten waren sie imstande gewesen, ein Virus zu programmieren, das dann in den Bordcomputer der Minenbahn übertragen worden war, als diese zur nächsten Routineüberprüfung in die Werkstatt gekommen war. Panat verstand nicht ganz, was sie getan hatte, aber irgendwie war es ihr gelungen, die Systeme der Bahn so zu modifizieren, dass diese – ihrem neuen Auftrag gemäß – auf das Funksignal von Locins Kontrollpadd zugeschossen war, ohne dabei die Padds der anderen Wachen zu beachten. Nach dem Angriff hatte das Virus dann alle Veränderungen der Software aus dem Systemspeicher gelöscht.
Yectu Sheeliate hatte ihre Sabotage bereits vor Wochen durchgeführt, allerdings hatte sie eine Verzögerung in die Software eingebaut, um so für ausreichend zeitlichen Abstand zwischen der letzten Routinewartung und dem Angriff zu sorgen. Wenn die Bahn dann einer Untersuchung unterzogen würde, um den Grund für ihre Fehlfunktion zu ermitteln, würden die Cardassianer Yectu zufolge nichts Außergewöhnliches entdecken. Es würde so aussehen, als habe Locin durch einen Bedienfehler des Kontrollpadds seinen Tod selbst herbeigeführt. Als habe er einen falschen Knopf gedrückt oder einen fehlerhaften Befehl eingegeben. Der einzig korrekte Teil dieser Einschätzung war, dass der Soldat seinen Tod selbst herbeigeführt hatte – gewissermaßen.
Ranar und er nahmen gerade ihren Platz in der Marschformation ein, als Panat auffiel, dass die zweite Schicht Bajoraner noch gar nicht eingetroffen war. Normalerweise war dieser Zug schon vor Ort und bereit, von der ersten Schicht zu übernehmen, damit möglichst wenig Arbeitszeit durch den Wechsel verloren ging. Panat blickte den Weg zum Lager hinunter, wo die zweite Truppe eigentlich hätte auftauchen sollen, aber es sah nichts. Er hörte auch keine Geräusche, die auf eine große marschierende Gruppe hinwiesen.
»Irgendetwas passiert da«, murmelte Ranar, womit er Panats Gedanken aussprach. »Oder ist passiert.«
Statt zu antworten, sah sich Panat um und zählte die Cardassianer rings um die Marschformation. Es waren neunzehn Wachen einschließlich Glinn Irvek. Mit der zwanzigsten Wache, Locin, waren das alle, die es gab. Doch statt ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Arbeitstruppe zu richten, waren mehrere der Wachen untereinander ins Gespräch vertieft, und Panat konnte sehen, dass auf mehr als nur einem Gesicht ein beunruhigter Ausdruck lag. Das nervöse, unverständliche Gemurmel wurde immer wieder durch Blicke in Richtung der Bajoraner unterbrochen. Ein paar der Wachen spielten an ihren Disruptoren und Gewehren herum. Nach einigen Augenblicken löste sich Irvek von seinen Untergebenen und gestikulierte in Richtung des Weges.
»Zurück zum Lager«, bellte er, doch in seinem grimmigen Tonfall schwang ein Anflug von etwas anderem mit. War es Sorge? Panat war sich nicht sicher.
Während die Bajoraner in Zweierreihen langsam auf den heruntergekommenen Außenposten zutrotteten, der ihr Zuhause war, brüllte der Glinn erneut und mit lauterer Stimme: »Vorwärts!«
Panat wechselte einen Blick mit Ranar. Was auch immer geschehen war, es schien unerwartet und höchst unwillkommen zu sein. Doch was bedeutete das für ihn und die anderen Bajoraner hier?
Sie würden es vermutlich sehr bald herausfinden.
Gul Havrel wusste nicht mehr, wie oft er die entschlüsselte Botschaft, die auf seinem Schreibtischterminal angezeigt wurde, bereits gelesen hatte, dennoch starrte er einmal mehr darauf. Dem Aufseher des Arbeitslagers war bewusst, dass sich die Nachricht dadurch nicht ändern würde, trotzdem konnte er die Bedeutung der Worte einfach nicht fassen.
Vom Zentralkommando: Auf Befehl des Detapa-Rats sind alle Besatzungstruppen der Cardassianischen Garde auf Bajor angewiesen, den sofortigen Rückzug einzuleiten.
Alle Ausrüstung, Waffen und alles andere Wehrmaterial ist aus allen Einrichtungen auf dem Planeten und von Terok Nor zu entfernen. Alle anderen Aktivposten inklusive der Infrastruktur müssen aufgegeben werden. Ab sofort sind die Cradis-Protokolle in Kraft.
Bajoranische Staatsangehörige stehen nicht länger unter cardassianischer Befehlsgewalt. Alle Staatsangehörigen, die sich außerhalb von Bajor aufhalten, müssen dorthin zurückgebracht werden oder die Erlaubnis erhalten, aus eigener Initiative dorthin zurückzukehren. Alle historischen und kulturellen Artefakte Bajors sind den entsprechenden Behörden zu übergeben. Jedwede Verfolgung von Widerstandszielen wird eingestellt. Aggressive Handlungen gegenüber Bajoranern und anderen Zivilisten sind nicht mehr gestattet, außer sie sind notwendig, um Personal oder Wehrmaterial zu schützen. Alle planetaren Einrichtungen werden mit sofortiger Wirkung evakuiert. Zusätzliche Transportschiffe sind unterwegs.
Terok Nor wird aufgegeben.
»Ist die Botschaft verifiziert worden?«, fragte Glinn Trina, Havrels Adjutant und stellvertretender Leiter des Lagers und seiner angeschlossenen Arbeitsstätten.
Havrel seufzte. »Ich habe es dreimal überprüft«, erwiderte er. »Die Chiffren zur Kodierung und Dekodierung sind korrekt. Es ist ein offizieller Befehl vom Rat, bestätigt durch das Zentralkommando.«
Wie der Erlass formuliert war, erschütterte Havrel bis ins Mark. Quer durch alle Abteilungen der cardassianischen Armee wurde den Führungskräften, die für irgendeinen Teilaspekt der Unterdrückung des bajoranischen Volkes verantwortlich waren, mitgeteilt, dass die Operation beendet war. Auch wenn Bajor zweifellos im Zentrum dieses außergewöhnlichen Richtungswechsels vonseiten des Rats lag, würde das Folgen für die gesamte Region haben. Auf mehr als einem Dutzend Welten innerhalb der Grenzen des cardassianischen Territoriums dienten Bajoraner als Zwangsarbeiter. Auf Befehl des Rats hin würde man sie alle nach Bajor zurückschicken müssen.
Solch ein Befehl des Detapa-Rats war ebenso erstaunlich wie präzedenzlos. Havrel konnte sich an keinen anderen Vorfall erinnern, in dem die Zivilregierung eine derartige Kontrolle über das Militär ausgeübt hätte. Obwohl durchaus in den Gesetztexten geschrieben stand, dass das Cardassianische Zentralkommando den Zivilbehörden unterstand, war die Realität doch etwas komplizierter. Was immer zu dieser gewichtigen Entscheidung geführt hatte, überlegte Havrel, würde direkte Folgen für beide Parteien haben und sie vielleicht sogar dazu zwingen, trotz der kaum verhohlenen Abneigung, die man im Allgemeinen füreinander hegte, zusammenzuarbeiten.
Aber was ist mit uns? Diese Frage quälte Havrel, während er über seine gegenwärtige Situation nachdachte. Er führte ein Arbeitslager auf einer Welt, die offiziell gar nicht existierte. Und so saß er hier im privaten Arbeitszimmer des bescheidenen Heims, das er direkt neben dem von ihm als Gul befehligten Arbeitslagers bewohnte, und zerbrach sich den Kopf sowohl über die unmittelbaren als auch die langfristigen Folgen, die sich für die Bewohner dieses abgelegenen Planeten fern des bajoranischen Sektors ergeben würden – ihn selbst eingeschlossen. Allein in diesem Raum befanden sich mehrere bajoranische Gemälde und Skulpturen, die er im Laufe seiner Karriere erworben hatte. Die Befehle des Rats bezüglich dieser Dinge gefielen ihm überhaupt nicht. Erwarteten sie wirklich von ihm, dass er sich von seiner Sammlung trennte, die er über so lange Zeit aufgebaut hatte? Und würden sie überhaupt merken, ob er der Anordnung Folge leistete oder nicht? Wie sahen die Strafen bei Nichtbeachtung aus? Nach einer derart langen Zeit schien eine solch übereilte Entscheidung einfach unfair.
»Gul?«, fragte Trina und Havrel begriff, dass er eine ganze Weile in Gedanken versunken dagesessen haben musste. Er wandte sich vom Terminal ab und seinem Adjutanten zu.
»Was haben Sie gesagt?«
Trina sah ihn besorgt an. »Verzeihen Sie mir, Gul. Ich habe gefragt, ob Sie möchten, dass ich das Abzugsprotokoll einleite. Es ist viel zu tun, wenn wir die Anlage sichern und die Arbeiter für den Transport nach Bajor vorbereiten wollen.«
»In der Tat«, sagte Havrel. Er berührte eine der Kontrollen des Terminals und rief den Zeitplan des Lagers für den heutigen Tag auf. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es bereits dunkel geworden war und der Schichtwechsel in der Uridiummine und an der Abraumhalde bereits stattgefunden hatte. Oder vielmehr hätte er stattgefunden, wenn Trina nicht bereits die Initiative ergriffen und Anweisungen an das Sicherheitspersonal geschickt hätte, das für den Wechsel der bajoranischen Arbeitszüge an den Arbeitsstätten verantwortlich war. Der Glinn hatte den Wachen befohlen, den Schichtwechsel auszusetzen und alle Arbeiter ins Lager zurückzubringen. Das konnte Havrel seinem untergebenen Offizier nicht vorwerfen. Unter gewöhnlichen Umständen wäre dieser Befehl die korrekte Vorgehensweise gewesen. Das Problem war, dass Trina nicht ahnen konnte, dass die Umstände, denen sie sich hier gegenübersahen, alles andere als gewöhnlich waren.
»Geben Sie den Wachen Bescheid, dass sie die Arbeiter mit der zweiten Schicht beginnen lassen sollen.« Trina blickte ihn verwirrt an, daher fügte Havrel hinzu: »Es wird einige Zeit dauern, bis wir bereit sind, den Planeten zu evakuieren. In der Zwischenzeit können die sich genauso gut nützlich machen. Zusätzliches Uridium schadet schließlich nie. Vorerst behalten wir den normalen Tagesablauf bei.« Diese Begründung klang selbst in seinen eigenen Ohren schwach, aber falls sein Gegenüber das Ganze für fragwürdig hielt, entschied Trina, keinen Einwand zu erheben.
»Da ist noch die Angelegenheit mit dem Unfall an der Mine, Gul«, wechselte er stattdessen das Thema.
Havrel brauchte einen Moment, um den Worten irgendeine Bedeutung zuzuordnen. Gleich darauf begriff er und tadelte sich innerlich selbst. Wie hatte er das vergessen können? Hatte ihn die Nachricht vom Zentralkommando so kalt erwischt, dass jeder andere Gedanke verdrängt worden war? Dabei war einer seiner Soldaten getötet worden, und das durch einen ziemlich seltsamen Ausrüstungsfehler.
»Die sterblichen Überreste werden hierhergebracht, korrekt?«, fragte er.
Trina nickte. »Ja, Präfekt. Ich habe bereits eine Untersuchung angeordnet, aber die Zeugen vor Ort haben angegeben, die Bahn hätte irgendeine Fehlfunktion gehabt. Niemand war darauf oder in der Nähe, als das Opfer sie aktiviert hat, und es haben sich bislang keine verdächtigen Hinweise ergeben.«
»Lassen Sie das Wartungsteam eine Überprüfung vornehmen. Wenn es ein mechanischer oder sonst ein Fehler war, will ich den Grund wissen. Sie sollen die Wartungsprotokolle durchgehen und prüfen, ob irgendwelche Bajoraner in letzter Zeit daran gearbeitet haben.« Er wusste, dass die Techniker, die für die Wartung der Fahrzeuge und Ausrüstung des Lagers verantwortlich waren, bajoranische Arbeiter einsetzten, die nützliche Fähigkeiten bewiesen hatten. Obwohl es schon immer Gerüchte über Widerstandströmungen unter der Arbeiterschaft gegeben hatte, waren bislang nie schlagkräftige Beweise einer solchen Aktivität entdeckt worden. Havrel wusste, dass das womöglich nur bedeutete, dass die Übeltäter sehr gut darin waren, sich bedeckt zu halten. Daher war es stets wichtig, wachsam zu bleiben. Andererseits mochte all das angesichts der jüngsten Befehle des Zentralkommandos ohnehin in Kürze hinfällig sein.
Trina entfernte sich von Havrels Schreibtisch und tippte dabei auf den Kommunikator an seinem linken Handgelenk, um einen Kanal zum dem Wachtrupp vorstehenden Offizier zu öffnen und Havrels Anweisungen weiterzuleiten. Er näherte sich gerade der Tür des Arbeitszimmers, als diese plötzlich zur Seite glitt. Dahinter wartete Ijok, eine der sechs Bajoranerinnen, die abgestellt worden waren, um Havrels Haus und den umliegenden Garten zu pflegen, seine Mahlzeiten zuzubereiten und sich auch um seine sonstigen Bedürfnisse zu kümmern. Sie und die anderen arbeiteten unter den wachsamen Blicken von Zajan und Decar, zwei älteren Cardassianerinnen, die das Hauspersonal führten und obendrein als Havrels persönliche Assistentinnen dienten. Ijok stand im Eingang und hielt ein Tablett in den Händen, auf dem eine Flasche Kanar, zwei Gläser und eine kleine abgedeckte Schale standen.
»Guten Abend, Präfekt«, sagte sie und wartete darauf, dass Havrel sie einließ. »Da Sie Ihr Büro nicht verlassen haben, um Ihr Abendessen einzunehmen, dachte ich …«
»Jaja«, unterbrach sie Havrel und winkte sie näher. »Danke.« Er deutete auf einen kleinen Tisch rechts neben seinem Schreibtisch, auf dem sie wie immer das Tablett abstellte. »Die Pflicht hat mich wieder einmal in Beschlag genommen, meine Liebe. Ich hoffe, du hast dir nicht zu viel Mühe mit dem Essen gemacht.«
Ijok nickte Trina unterwürfig zu, während sie an ihm vorbeischlich, dann ging sie auf Havrel zu. »Es macht keine Mühe«, erwiderte sie erwartungsgemäß. Sie ließ das Tablett auf dem Tisch, dann trat sie von seinem Schreibtisch zurück und legte die Hände auf den Rücken, wie es von allen Bajoranern erwartet wurde, die sich in der Nähe irgendeines Cardassianers aufhielten. »Benötigen Sie sonst noch etwas?«
Havrel bemerkte den Blick auf Trinas Gesicht, bevor er antwortete und dabei auf seinen Adjutanten deutete. »Bereite Glinn Trina auch etwas zu. Es kann sein, dass wir heute bis spät in den Abend arbeiten.«
Ijok nickte und verließ das Büro.
Er wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte, dann wandte sich Havrel dem anderen Offizier zu. »Was beschäftigt Sie?«
»Die Befehlshaber der Wache sind verwirrt über die abrupten Befehlswechsel«, sagte Trina. »Das ist zum Teil meine Schuld, Gul. Ich habe gehandelt, ohne Sie vorher zu konsultieren.«
Havrel tat das Geständnis ab, machte sich jedoch eine gedankliche Notiz, dass er sich eine Erklärung für die Zurücknahme von Trinas Befehlen würde ausdenken müssen. Vorerst würde ausreichen, dass sie weiter Uridium aus der Mine gewinnen mussten. »Das meinte ich nicht«, sagte er. »Sie scheinen wegen Ijok besorgt zu sein.«
Trina räusperte sich. »Nicht direkt ihretwegen. Zumindest nicht im Augenblick. Es geht mir um die Bajoraner im Allgemeinen. Ich weiß, dass Sie angeordnet haben, diese gut zu behandeln, aber denen, die unter ihnen dienen, scheinen Sie besonders viel Freiraum zu gewähren.«
»Das tue ich nicht leichtfertig.« Havrel erhob sich und trat um den Schreibtisch herum. Die Mahlzeit und den Kanar ignorierte er. Beides würde warten müssen, entschied er. Es gab wichtigere Dinge, um die er sich kümmern musste. Er bedeutete Trina, ihm zu folgen, und verließ das Büro und danach auch das Landhaus, das ihm als Heim diente, um sich dem Grenzzaun des Arbeitslagers und seinem persönlichen Eingang zu nähern. »Wenn Sie damit meinen, dass ich ihnen in gewisser Weise vertraue, ist das richtig«, fuhr er fort, nachdem sie das Haus hinter sich gelassen hatten. »Aber Ijok und die anderen mussten sich das Recht, unter Zajan und Decar zu arbeiten, verdienen.«
»Dennoch kommt es mir riskant vor, ihnen zu gestatten, in Ihrem unmittelbaren Umfeld tätig zu sein. Haben Sie keine Angst, dass sie versuchen könnten, Ihr Essen zu vergiften oder Sie im Schlaf umzubringen?«
Havrel lachte. »Deswegen habe ich Zajan und Decar an meiner Seite, die ich beide schon kenne, seit ich noch jünger war als Sie jetzt. Ich vertraue ihnen vorbehaltlos, dass sie ein Auge auf die Arbeiterinnen haben, denen sie vorstehen.« Sie waren weit mehr als bloße Assistentinnen oder Haushälterinnen. Beide Frauen hatten früher in der Cardassianischen Garde gedient. Sie hatten zu Havrels Stab auf seinem früheren Posten gehört und das Militär dann vor ein paar Jahren verlassen. Havrel hatte sie eingeladen, direkt unter ihm zu dienen, und sie hatten sein Angebot angenommen. Für jemanden von seinem Rang und Posten waren sie ein Luxus, aber einer, für den er gern den Preis zahlte, wenn das bedeutete, dass sich sein Heim dadurch eines Grads an Sicherheit und zivilisiertem Umgang erfreuen konnte, auf den er sonst hier am Ende der Galaxis hätte verzichten müssen.
Der Soldat in dem kleinen Wachhäuschen neben dem Eingang gab einen Code ein, um den Durchgang zu öffnen, der zwischen zwei Säulen lag, die zusammen mit Dutzenden anderen die Kraftfeldbarriere rings um das Arbeitslager erzeugten. Der Mann nickte Havrel und Trina grüßend zu, als sie ihn passierten, bevor er das Energiefeld wieder aktivierte. Im Inneren des Lagers wandte sich Havrel dem zweigeschossigen Gebäude zu, das als Hauptquartier des Außenpostens fungierte. Drei größere Bauwerke schlossen den Kommandoposten ein, eins an jeder Seite und das dritte dahinter. Sie dienten als Schlafbaracken für die einfachen Soldaten und boten zugleich einzelne Wohneinheiten für die Offiziere. In weiter abgelegenen Gebäuden befanden sich Ausrüstungs- und Versorgungslager ebenso wie Fahrzeuggaragen, Reparaturwerkstätten, Trainingsräume, Erholungsbereiche für das Wachpersonal und ein kleines Hospital. Ein breiter offener Streifen trennte diesen Teil des Lagers von den zwei großen Unterkünften für die bajoranischen Arbeiter. Wachtürme entlang der Lagergrenzen überblickten das Gelände, während sich eine Garnison aus sechzig Soldaten, aufgeteilt in Schichten, über die Basis selbst verteilte, um die Infrastruktur zu schützen und ein wachsames Auge auf die bajoranischen Gefangenen zu haben.
Havrel sah, dass die Arbeiter, die zur Tagschicht in der Uridiummine und Abraumhalde gehörten, bereits durch ein anderes Tor das Lager betreten hatten und sich nun auf dem Hof in Reih und Glied aufstellten. Dort würden sie das erste Mal durchgezählt werden, das zweite Mal erfolgte dann unmittelbar vor der Sperrstunde. Die Tage auf diesem Planeten dauerten knapp dreißig Zeitintervalle, die in zwei Schichten unterteilt waren. Jede Schicht verbrachte zwölf Intervalle mit Arbeit und zwölf unter Ausgangssperre. Die verbleibende Zeit wurde für den Transport von und zu den Arbeitsstätten sowie für die Mahlzeiten und fürs Saubermachen hier im Lager genutzt.
»Präfekt«, meldete sich Trina zu Wort, als sie an den wachhabenden Soldaten vorbei das Hauptquartier des Lagers betraten. »Sollten wir den Arbeitern nicht Aufgaben zuteilen, die unsere Abreise beschleunigen?«
Das war eine gute Frage, wie Havrel sie von seinem Adjutanten erwartete. Trotzdem reizte ihn dessen Beharrlichkeit. »Ich fürchte, ganz so einfach ist das alles nicht. Tatsächlich scheint es mir überfällig, dass ich Ihnen verdeutliche, wie kompliziert unsere Situation hier in unserem kleinen Paradies ist.« Bei den letzten Worten verzogen sich seine Lippen zu einem verkniffenen Lächeln, um die Ironie dieser Beschreibung zu unterstreichen. Der Planet war in nahezu jeder Hinsicht unspektakulär. Er hatte ein gemäßigtes Klima, aber die beschaulicheren Regionen waren alle weit von ihrem Lager entfernt, dessen Lage durch die Nähe zu einem der reicheren Uridiumvorkommen auf dieser Welt bestimmt war. Statt grüner Wälder und stiller Strände war der Außenposten von einer kargen Hügellandschaft umgeben, die sich zwischen zwei niedrigen Bergketten erstreckte. Obwohl praktische Erwägungen der Hauptgrund für die Auswahl der Örtlichkeit gewesen waren, barg die Gegend auch ihr ganz eigenes Geheimnis.
Havrel begab sich in sein Büro und wartete darauf, dass Trina hereinkam. Dann schloss er die Tür. »Computer, aktiviere Sicherheitsprotokoll Vinalu Cradis eins vier.«
Als Reaktion auf seinen Befehl hörte Havrel, wie eine Reihe von Schlössern ausgelöst wurden, die sowohl die Tür als auch alle Fenster des Raums verriegelten, sodass Trina und er völlig abgeschottet in dem geschmackvoll eingerichteten Büro waren. Mit einem leisen Summen glitt am anderen Ende des Raums ein Teil der Wand beiseite und enthüllte einen kleinen Transporter für zwei Personen.
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte Trina und auf seinen Zügen zeichnete sich Verwirrung ab, während er dem Geschehen zusah. »Ein verborgener Transporter? Wofür? Zur Flucht?«
Obwohl Havrel daraufhin lachen musste, lag keinerlei Belustigung darin. »Oh, ich wünschte wirklich, es wäre so einfach.«
»Cradis.« Trina wirkte einen Moment lang nachdenklich. »Dieses Wort stand in der Botschaft des Zentralkommandos. ›Ab sofort sind die Cradis-Protokolle in Kraft.‹ Dieser Teil der Botschaft war für uns bestimmt, habe ich recht?«
»In gewisser Weise ja.« Havrel wartete, bis Trina sich ihm auf der in die Wand eingelassenen Transporterplattform anschlossen hatte, dann berührte er ein Kontrollfeld in der Seitenverkleidung der Nische. Es folgte der typische kurze Augenblick der Desorientierung, während alles hinter einem Schauer aus goldenem Licht verschwand und sich der Anblick auf das Büro jenseits der Nische auflöste. Einen Herzschlag später wurde er durch die Sicht auf eine deutlich größere Kammer abgelöst.
»Wo sind wir?«, fragte Trina.
Havrel verließ die Transporterplattform und betrat ein anderes Büro. Auch dieses war luxuriös eingerichtet. Neben einem weitläufigen Arbeitsbereich gab es hier außerdem Zimmer, in denen er wohnen konnte, wenn die Pflicht von ihm erforderte, dass er sich hier aufhielt statt im offiziellen Hauptquartier des Lagers. Er drehte sich zu Trina um, der ihm folgte. Deutliche Verwirrung stand dem jüngeren Offizier ins Gesicht geschrieben.
»Willkommen im wahren Grund für unsere Anwesenheit auf dieser Welt.«
Die Bürotür glitt zur Seite und Havrel trat nach draußen auf einen Steg, der in Höhe des ersten Stocks vor einem unscheinbaren Gebäude verlief. Von dort aus ließ er den Blick durch die gewaltige unterirdische Höhlenkammer schweifen, in der er nun stand. Die hohe Decke wölbte sich über einer Ansammlung von Häusern, die denen im Arbeitslager nicht unähnlich waren. Ein- und zweigeschossige Gebäude flankierten riesige Lagerhallen und man konnte einige Aktivität ausmachen. Cardassianer verließen oder betraten die unterschiedlichen Bauwerke. Einige trugen Militäruniformen, der deutlich überwiegende Teil aber praktische Arbeitskleidung oder Laborkittel und ein paar sogar Schutzanzüge.
»Was ist das für ein Ort?«, fragte Trina. »Er ist größer als das Lager. Wo sind wir?«
»Tief darunter«, erwiderte Havrel. Er deutete zur Decke der Höhle. »Das ist der Grund, warum das Lager genau hier errichtet wurde, nicht nur wegen der Nähe zu einem Uridiumvorkommen, sondern wegen dieser Höhle. Es gibt andere Orte innerhalb dieser Region und ringsherum, die reich an Mineralien sind und einen deutlichen besseren Standort für die Errichtung eines Arbeitslagers dargestellt hätten. Aber keiner dieser Orte konnte eine passende unterirdische Umgebung bieten, in der man diese Anlage hätte errichten können.« Er lächelte. »Der gesamte Komplex wird durch Geothermie angetrieben. Wir nutzen natürliche Quellen, die noch tiefer liegen. Hier unten sind wir vollkommen unabhängig vom Lager und nicht aufzuspüren.«
Noch immer schien Trina es kaum fassen zu können, und er machte keinen Hehl aus seiner Verwunderung. »Das alles lag die ganze Zeit unter uns?«
Erneut musste Havrel lächeln. »Diese Anlage ist für Cardassia das einzig Interessante an diesem Planeten. Das Uridium, das wir abbauen, hätte in anderen Systemen, die näher an der Heimatwelt liegen, gewonnen werden können, aber das Lager bietet einen plausiblen Grund für unsere Anwesenheit, nur für den Fall, dass uns ein Feind jemals hier entdecken sollte.«
Langsam löste Skepsis die Verwunderung in Trinas Gesicht ab. »Ich dachte, dass die Lage des Planeten geheim sei.«
»Mehr noch als das, mein Freund«, sagte Havrel. »Sie wissen bereits, dass diese Welt keinen Namen hat. Sie hat nur eine Nummer in unseren Datenbanken. Sollte eine feindliche Macht je Zugriff auf unsere stellarkartografischen Unterlagen und Daten bekommen, ist sie als unbewohnt und lebensfeindlich gelistet.« Er lächelte erneut. »Tatsächlich war es so, dass auf dem Marschbefehl, den Sie und jeder andere erhalten hat, der diesem Lager zugeteilt wurde, ein völlig anderer Planet stand. Was also alle offiziellen Aufzeichnungen betrifft, existiert diese Welt nicht.«
Einen Moment lang schwieg Trina und starrte nur auf die Szenerie vor sich. Er würde viele Fragen haben, das wusste Havrel, die meisten hatte auch er selbst gestellt, als er auf dieser Welt eingetroffen war. Anfangs hatte er noch gedacht, er sei für irgendein ihm unbekanntes Vergehen bestraft worden, das einen vorgesetzten Offizier verärgert hatte, der daraufhin Havrels Karriere im Cardassianischen Zentralkommando beendet und ihn auf einen fernen, unwirtlichen Felsen verbannt hatte, damit er dort ein elendes Arbeitslager führte. Erst als er den Offizier traf, den er ablösen sollte, erfuhr er die ganze Wahrheit. Er war keineswegs bestraft worden, ganz im Gegenteil, man hatte ihm eine besondere Aufgabe anvertraut.
»Es gibt viele geheime Einrichtungen auf zahlreichen Welten«, sagte Trina. »Selbst auf Cardassia Prima. Warum wurde hier so ein Aufwand betrieben?«
»Es stimmt, das alles hier ist keineswegs einzigartig«, erwiderte Havrel. »Es gibt auch anderswo derartige Einrichtungen und weder Sie noch ich werden sie wohl jemals zu Gesicht bekommen. Der Erfolg und Wohlstand des cardassianischen Volkes hängt davon ab, wie gut jene von uns ihre Arbeit erledigen, die ihr Leben dem Schutz dieses Volkes verschrieben haben. Um diesen Schutz zu erreichen und aufrechterhalten zu können, müssen wir manchmal Dinge tun, die andere für extrem oder abscheulich halten würden.« Er deutete auf die geschäftige unterirdische Siedlung vor ihnen. »Solche Arbeiten werden hier verrichtet, und wir müssen sie unter allen Umständen schützen.« Er legte eine Hand auf die Schulter des jüngeren Offiziers. »Kommen Sie. Ich werde Ihnen zeigen, was ich meine, damit Sie verstehen, wie wichtig das ist, was hier unter einem dicken, warmen Deckmantel aus Geheimniskrämerei vor sich geht.«
Einmal mehr ging ihm durch den Kopf, wie unterschiedlich er und sein Adjutant doch waren. Trina war jung und dem Beginn seiner Laufbahn deutlich näher als dem Ende. Entsprechend war er noch voller Optimismus, so wie es von jungen Offizieren erwartet wurde, die noch nicht wiederholt mit den grimmigeren Aspekten des Diensts am cardassianischen Volk in Berührung gekommen waren. Zweifellos war sein Kopf noch voll der Plattitüden, die man ihm während seiner Ausbildung an der Militärakademie eingetrichtert hatte, wo junge Männer und Frauen zu Werkzeugen des Cardassianischen Zentralkommandos geschmiedet wurden, die es einsetzen, ausbeuten und wegwerfen würde, wie es ihm gerade gefiel.
Wir sind alle nichts weiter als Werkzeuge, rief sich Havrel in Erinnerung.
Neben ihm schüttelte Trina den Kopf. »Präfekt, wenn Heimlichkeit dermaßen wichtig für das ist, was auch immer Sie mir zeigen werden, warum ist man dann das Risiko eingegangen und hat Bajoraner hergebracht?«
»Sie wissen nicht, dass dieser Ort existiert.« Das hatte Havrel erfahren, als er hier das Kommando übernommen hatte. Das Arbeitslager an der Oberfläche war eine nahezu perfekte Tarnung für die Aktivitäten, die tief unter ihren Füßen vonstattengingen. Soweit sie wussten, waren sie schlicht Gefangene auf einem der vielen Planeten, auf denen zum Wohle des cardassianischen Volkes Rohstoffe abgebaut wurden. »Das Cradis-Protokoll ist ein Befehl des Obsidianischen Ordens. Es verlangt von mir, für die Verlegung dieser Einrichtung zu sorgen, ohne dass ihre Existenz zu irgendeinem Zeitpunkt preisgegeben wird. Ebenso wenig dürfen wir Spuren zurücklassen, die verraten, dass sie jemals hier gewesen ist. Keiner der Bajoraner wird jemals davon erfahren. Sie alle werden hier sterben.«
Captain Jean-Luc Picard betrat den Transporterraum und nickte dem einsamen Ensign zu, der dort hinter der Bedienkonsole stand. Die junge Frau versteifte sich bei seinem Eintreffen und er bemerkte, dass sie Mühe hatte, ihre Aufregung zu verbergen. Er wusste, dass sie erst kürzlich auf die Enterprise versetzt worden war, aber er konnte sich nicht an ihren Namen erinnern.
»Ensign …?«, setzte er an.
Der Frau gelang es irgendwie, noch kerzengerader zu stehen. »Ensign Lindsey Bridges, Sir. Ich bin vor zwei Wochen an Bord gekommen.«
Der Captain nickte. Jetzt erinnerte er sich an ihren Namen ebenso wie an die Auszüge aus ihrer verständlicherweise noch dünnen Personalakte, die er gelesen hatte, während er sich einen Überblick über die Neuzugänge verschafft hatte. »Wenn ich mich recht an unsere erste Begegnung erinnere, haben Sie sich um diesen Posten beworben.«
Bridges lächelte. Sie war offensichtlich stolz, dass er sich an sie erinnerte. »Ja, Sir. Die Enterprise ist hart umkämpft, aber das wissen Sie sicher.«
»In der Tat. Wissen Sie, Sie sind zu einem recht interessanten Zeitpunkt zu uns gestoßen.«
Picard musste zugeben, dass seine Worte angesichts der Aufregung, die es um die jüngste Mission der Enterprisegegeben hatte, noch einer Untertreibung gleichkamen. Er selbst war nicht an Bord gewesen und das Schiff hatte unter dem vorübergehenden Kommando von Captain Edward Jellico gestanden. Doch bevor diese Erinnerungen Gestalt annehmen konnten, schob er sie rasch beiseite und gönnte sich stattdessen einen Augenblick, um dieses Gefühl von Normalität zu genießen, das ihn überkam, wenn er mit einem Mitglied seiner Besatzung sprach. Er verstand die Erwartungen und die unterschwellige Anspannung, die eine junge Offizierin verspüren mochte, wenn sie im Rahmen ihrer Pflichten mit ihrem befehlshabenden Offizier zu tun hatte. Bei der Besatzungsgröße der Enterprise war es für einen jungen Ensign zudem keineswegs ungewöhnlich, den Captain nach dem ersten kurzen Willkommensgruß für Wochen, Monate oder sogar länger nicht mehr zu Gesicht zu bekommen.
»Ich hoffe, Sie haben sich gut eingelebt.«
»Ja, Sir«, antwortete Bridges nickend. »Danke.« Als sie erneut lächelte, musste sich Picard regelrecht zusammenreißen, um es nicht zu erwidern. »Sie haben das wahrscheinlich schon hundertmal gehört, aber ich bin so froh, hier sein zu dürfen. Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen.« Sie begriff, dass sie womöglich haarscharf an einem Verstoß gegen die Etikette entlangschrammte, räusperte sich schnell und wurde wieder ernst. »Verzeihung, Sir.«
Trotz seiner Belustigung über die offensichtliche Nervosität des Ensigns bemühte sich der Captain um eine neutrale Miene. Dennoch war er ihr dankbar, denn ihr Unbehagen ließ ihn das seine kurzzeitig vergessen. Ein solcher Anflug von Unsicherheit war eine Seltenheit, aber die Umstände dieser speziellen Begegnung waren auch alles andere als gewöhnlich. Er hatte gedacht, er wäre bereit für diesen Besuch, aber nun merkte er, dass sich doch ein ungutes Gefühl in ihm breitmachte.
Lindsey Bridges half ihm dagegen. Bei allem, was er in den letzten Wochen durchgemacht hatte, entspannte Picard dieses gewöhnliche, ja geradezu banale Aufeinandertreffen mit einem Ensign, jemandem, der am Beginn seiner Karriere stand und dem die gesamte Galaxis offenstand. Es erinnerte ihn daran, dass er selbst einst ein nervöser junger Ensign gewesen war, getrieben von dem Wunsch, seine Aufgaben bestmöglich zu erfüllen und dabei gleichzeitig jeden peinlichen Lapsus im Beisein seines Kommandanten zu vermeiden.
Ist das wirklich schon so lange her?
Schließlich gestattete sich Picard doch ein Lächeln. »Sie müssen sich nicht entschuldigen, Ensign«, sagte er. »Wir sind froh, Sie an Bord zu haben.«
Das schien Bridges zu beruhigen und sie nickte ihm zu, bevor ein Signal an der Transporterkonsole ihre Aufmerksamkeit verlangte. Sie überprüfte die Anzeigen, dann meldete sie ganz geschäftsmäßig: »Wir werden von der Gorkon gerufen, Sir. Sie sind bereit zum Transport.«
»Sehr gut, Ensign. Energie.«
Picard hatte gerade genug Zeit, um seine Uniformjacke zurechtzuziehen, da erschien auch schon ein Energieschauer auf der Transporterplattform, der binnen Sekunden die Gestalt von Vice Admiral Alynna Nechayev annahm und sich verfestigte.
»Admiral«, grüßte Picard und nahm Haltung an. »Willkommen zurück auf der Enterprise.«
Nechayev war eine schlanke, geradezu zierliche Frau und ein paar Jahre jünger als er. Ihr schmales, ebenmäßiges Gesicht verlieh ihrer Erscheinung etwas Raubvogelartiges – ein Eindruck, der sich noch verstärkte, als sie Picard mit ihren stechenden Augen ansah, denen nichts entging. Trotz ihrer einschüchternden Erscheinung, die sie bei Bedarf – oder wenn es ihr gerade passte – zu ihrem Vorteil einzusetzen wusste, wurde ihre Miene bei Picards Anblick sanfter.
»Hallo, Jean-Luc«, sagte sie, trat von der Plattform und streckte die Hand aus. »Schön, Sie zu sehen.« Während sie sich die Hände schüttelten, legte Nechayev ihre andere Hand auf seine und er spürte den fürsorglichen Druck, als sie ihn musterte. »Wie geht es Ihnen?«
Die Geste erwischte ihn unvorbereitet, doch Picard begriff, was sie wirklich fragen wollte. »Es geht mir gut, Admiral. Danke der Nachfrage.« Dieser fast persönliche Austausch in Anwesenheit von Ensign Bridges war ihm unangenehm und er deutete auf den Ausgang. »Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, sich persönlich mit mir zu treffen.« Mit einem letzten Nicken in Bridges’ Richtung schloss er sich Nechayev an und sie verließen den Transporterraum.
»In Anbetracht des Ernsts der Lage und der anderen Faktoren hielt ich ein persönliches Treffen für das Beste für alle Beteiligten«, erwiderte der Admiral.
Sie erreichten einen Turbolift, stiegen ein und Picard sagte: »Aussichtslounge.« Während sie durch die oberen Decks des Schiffs aufstiegen, wandte er sich wieder an Nechayev: »Wie war Ihre Reise von Sternenbasis 375?«
»Ich würde gern sagen, sie war ereignislos, aber das wäre eine Lüge.« Zum ersten Mal seit Picard sie kannte, beobachtete er, wie sie resigniert seufzte. »Ich habe in den letzten dreizehn Stunden mehr Statusberichte gelesen als während meines letzten Monats als Raumschiffcaptain. In der vergangenen Woche sah es nicht viel besser aus. Der Abzug der Cardassianer von Bajor bereitet dem Sternenflottenkommando eine Menge Kopfzerbrechen. Und ich dachte, wir hätten das Schlimmste hinter uns, als wir sie zurückdrängen konnten, nachdem sie einen Großteil ihrer Kräfte aus diesem Sektor abgezogen hatten, um das Minos-Korva-System zu übernehmen. Wir bemühen uns, jedes erdenkliche Folgeszenario durchzuspielen, nicht nur im Hinblick auf die Frage, was ihr Rückzug aus dem bajoranischen Sektor für diesen und die umliegende Region bedeutet, sondern auch, wie wir von nun an mit ihnen umgehen sollen.«
Picard nickte. »Ich habe die Berichte gelesen. Zu sagen, dass es eine verzwickte Situation ist, wäre wohl eine Untertreibung.«
Der Turbolift hielt an und Picard ließ Nechayev den Vortritt, bevor er im Korridor wieder zu ihr aufschloss. Sie verloren kein weiteres Wort, während sie die kurze Strecke zur Aussichtslounge unmittelbar hinter der Brücke der Enterprise zurücklegten. Picard bestellte ihnen am einzigen Replikator des Raums zwei Earl-Grey-Tees und bot dem Admiral einen an. Sie hatte sich in einem der Sessel am Ende des geschwungenen, polierten Konferenztischs niedergelassen, ihm fiel aber auf, dass sie den Platz am Kopfende des Tischs für ihn frei gelassen hatte.
»Ich nehme an, dass Sie nicht den ganzen Weg von Sternenbasis 375 hierher auf sich genommen haben, nur um mich über die Lage auf Bajor zu unterrichten«, sagte er, während er neben Nechayev Platz nahm.
Wie so oft schenkte ihm der Admiral ein verkniffenes Lächeln, das andeutete, dass sie weit mehr wusste, als sie laut aussprechen würde. Sie nahm einen Schluck Tee und stellte die Tasse zurück auf die Untertasse, bevor sie antwortete: »Diese Einschätzung ist richtig, Captain. Sie haben die Berichte gelesen, Sie wissen also, dass die Lage auf Bajor gelinde gesagt unsicher ist. Die Widerstandsbewegung, die an Aufschwung gewonnen hat, seit ein Großteil der cardassianischen Streitkräfte an die Grenze verlegt worden ist, interne Streitigkeiten auf Cardassia Prime und die Zugeständnisse, die wir ihnen nach der Minos-Korva-Sache abringen konnten, haben dafür gesorgt, dass die Cardassianer die Operation zur Unterwerfung der Bajoraner komplett eingestellt haben.« Sie seufzte. »Wir müssen der Zivilregierung dafür danken. Diesmal hat sie es dem Zentralkommando des Militärs wirklich gezeigt.«
»Interne Streitigkeiten«, wiederholte Picard. »Normalerweise hat die cardassianische Zivilregierung nicht sehr viel Befehlsgewalt über die Streitkräfte.«
»Das scheint sich zu ändern, zumindest auf kurze Sicht«, sagte Nechayev. »Was für weitere Kopfschmerzen bei der Sternenflotte sorgt, während wir versuchen, alles im Blick zu behalten, was sich im Rahmen dieses Umbruchs tut. Aber es bietet uns auch eine Gelegenheit. Wir können den Bajoranern helfen, die gerade damit ringen, diese tiefgreifenden Veränderungen zu verarbeiten, denen sich ihre Gesellschaft plötzlich ausgesetzt sieht. Und das berücksichtigt noch nicht einmal den Abzug der Cardassianer. Die verschwinden zwar so schnell, wie die Schiffe sie abholen können, aber sie gehen alles andere als still und leise.«
»Auch diese Berichte habe ich gelesen.« Picard verzog das Gesicht, als er an die zahllosen beunruhigenden Zwischenfälle dachte, die diese Berichte enthielten. »Umweltschäden, eine Eskalation der Gewalt gegen das bajoranische Volk und weitere Sabotageakte sowohl auf der Planetenoberfläche als auch auf der cardassianischen Minenstation im Orbit.«
»Wenn sie etwas nicht mitnehmen können, tun die Cardassianer alles, um dafür zu sorgen, dass es zerstört oder anderweitig für die Bajoraner nutzlos gemacht wird. In einigen extremen Fällen haben sie sogar wissentlich schädliche und gar tödliche Fallen hinterlassen.« Allein darüber zu sprechen schien den Admiral in Rage zu versetzen, aber sie beherrschte sich. »Eine ganze Reihe davon wurden entdeckt und unschädlich gemacht, und natürlich machen offizielle Stellen auf Cardassia ›abtrünnige Elemente‹ für diese Aktivitäten verantwortlich, die die Befehle des Zentralkommandos missachten. Auf die bajoranische Regierung reagiert man dort bislang kaum, aber immerhin antworten sie auf die Aufforderungen der Sternenflotte, ihre Leute unter Kontrolle zu halten. Deswegen haben die Bajoraner auch widerstrebend um unsere Hilfe gebeten, um im weiteren Verlauf als Vermittler zu fungieren.«
»Eine Sternenflottenpräsenz im bajoranischen Sektor?« Picard gelang es nicht, seine Überraschung zu verbergen. »Das wird die Cardassianer aber richtig begeistern.«
»Ich bin mir sicher, dass es eine Vielzahl widerstreitender Gefühle auslösen wird, wenn sie erfahren, dass ich vorhabe, Sie zu schicken, um das Ganze im Blick zu behalten.«
Picard hatte gerade seine Tasse anheben wollen und hielt nun erstaunt inne. »Mich?«
»Ich gebe zu, dass ich zunächst gezögert habe, diese Option in Betracht zu ziehen – angesichts Ihrer jüngsten … Erfahrungen … mit den Cardassianern«, erwiderte Nechayev. Ihre Miene wurde sanfter. »Aber ein Offizier von Ihrem Rang und Ihrer diplomatischen Erfahrung ist genau das, was nötig ist, um der bajoranischen Regierung in dieser schwierigen Zeit beratend zur Seite zu stehen.«
»Angesichts seiner eigenen jüngsten Erfolge gegen die Cardassianer scheint mir Captain Jellico die logischere Wahl zu sein«, hielt Picard dagegen.
Er versuchte, nicht daran zu denken, dass Jellico während der schwierigen Mission, die ihm so viel des wohl verdienten Lobes aus dem Hauptquartier eingebracht hatte, die Enterprise befehligt hatte. Nechayev hatte Jellico Picards Schiff übergeben, nachdem sie diesen gemeinsam mit Doktor Beverly Crusher und Lieutenant Wort ausgewählt hatte, um eine geheime Mission auf Celtris III durchzuführen – einem Planeten, der sich knapp jenseits der Grenze zwischen der Föderation und dem cardassianischen Raum befand. Zuvor hatte der Geheimdienst Hinweise entdeckt, dass dort eine metagenetische Waffe in der Entwicklung sein könnte. Tatsächlich hatten die Cardassianer nur eine falsche Fährte gelegt, weil sie erfahren hatten, dass Picard als Autorität auf diesem Gebiet galt. Sie hatten ihn damit zu sich locken wollen, um ihn gefangen nehmen und über die Verteidigungsstrategie der Sternenflotte im Minos-Korva-System ausfragen zu können.
»Captain Jellico ist einer der besten Taktiker, die ich kenne«, sagte Nechayev. »Er war der richtige Mann für die Lage an der Grenze und um die Cardassianer zu zwingen, unseren Forderungen nachzugeben, aber auf Bajor ist ein geschickteres Vorgehen nötig. Die Bajoraner verlangen Reparationszahlungen von den Cardassianern, während viele in den oberen Rängen des Zentralkommandos schon jetzt versuchen, ihr Handeln – ihre Verbrechen genauer gesagt – während der Besatzung herunterzuspielen.«
Picard verzog das Gesicht. Er erinnerte sich an nüchterne Formulierungen wie »angebliche Befugnisüberschreitungen« und »nicht genehmigte Aktivitäten« in den Berichten, begangen von Einzelpersonen, die sich außerhalb der gesetzlichen Ordnung bewegten. Als wären solche Dinge nicht das tägliche Joch der Bajoraner während der letzten fünfzig Jahre gewesen. »Die Geschichte wird nicht gnädig mit den Cardassianern sein, so viel steht fest. Oder mit uns.«
Nechayev trank ihre Tasse aus. »Ich weiß, dass Sie die Ansicht vertreten, die Föderation hätte zu wenig getan, um Bajor während der Besatzung zur Seite zu stehen. Ich habe Verständnis dafür, aber uns waren durch die Gebote der Obersten Direktive die Hände gebunden.«
Einmal mehr spürte Picard, wie die Emotionen in ihm hochkochten, aber erneut unterdrückte er sie und ließ sich nichts anmerken. »Wir haben uns militärisch mit den Cardassianern beschäftigt, aber gleichzeitig zahlreiche ihrer bewiesenen wie unbewiesenen Kriegsverbrechen ignoriert.« Er hielt inne und räusperte sich. »Verzeihen Sie, Admiral. Es ist nur so, dass ich letztes Jahr das erste Mal mit eigenen Augen gesehen habe, wie sehr das bajoranische Volk leiden musste – selbst jene, die das Glück hatten, ihrer Heimatwelt zu entkommen und anderswo eine sichere Zuflucht zu finden.« Gemeinsam mit Ensign Ro Laren hatte er ein bajoranisches Flüchtlingslager im Valo-System besucht. »Hätten wir eine aktivere Rolle in der Unterstützung Bajors und anderer Welten, die von den Cardassianern während des Krieges unterdrückt wurden, eingenommen, wäre es ihnen vielleicht nicht so ergangen.«
»Sie haben recht«, sagte Nechayev. »Und jetzt haben wir die Gelegenheit, einiges von dem, was auf Bajor falsch gelaufen ist, wiedergutzumachen. Damit das funktioniert, müssen die Cardassianer sich an die Auflagen halten, denen sie zugestimmt haben. Ich spreche von einem friedlichen Abzug aus dem bajoranischen Sektor und dem Respekt vor bajoranischem Kulturerbe und Eigentum. Zudem geht es um die Freilassung aller bajoranischer Gefangener und Arbeiter, ganz gleich wo sie festgehalten werden. Die Cardassianer dazu zu bringen, sich an diese Abmachungen zu halten, wird eine Herausforderung werden, das steht außer Frage, aber ich weiß, dass Sie der richtige Mann mit der richtigen Einstellung sind, um diese Mission zu einem Erfolg zu führen.«
Der Admiral beugte sich vor und stützte die Arme auf den Konferenztisch, um Picard einen Augenblick lang ernst anzusehen. »Wegen all der Dinge, die Sie in letzter Zeit durchgemacht haben, Captain, bitte ich Sie nur ungern darum. Ich würde es auch nicht tun, wenn ich nicht glauben würde, dass es absolut notwendig ist. So oder so bitte