Stärker als Borderline - Debbie Corso - E-Book

Stärker als Borderline E-Book

Debbie Corso

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Beschreibung

Menschen, die an der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) erkrankt sind, erleben die Welt um ein fünffaches intensiver als andere. Entsprechend leiden sie immer wieder unter starken Gefühlsausbrüchen. Allein in Deutschland gibt es 1,6 Millionen Borderliner. Debbie Corso war eine von ihnen. Bis sie einen Weg fand, mit starken Gefühlen und negativer Selbstwahrnehmung umzugehen: Die Dialektsch-Behaviorale Therapie, kurz DBT. Dieses skills training beinhaltet die vier Module: - Achtsam leben - Effektive Bewältigung von Stress - Regulierung von Emitonen - Training der sozialen Interaktion In ihrem leicht zugänglichen Ratgeber zeigt Corso, wie sie es geaschafft hat, die Krankheit zu überwinden und macht Betroffenen Mädchen und Frauen Mut, das Gefühlschaos unter Kontrolle zu bekommen.

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Seitenzahl: 228

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Debbie Corso

Stärker als Borderline

Wie du mit DBT dein Gefühlschaos kontrollieren kannst

Deutsche Erstausgabe
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
 
Copyright © 2017 by Debbie Corso
Translated from the English: STRONGER THAN BPD
The Girl´s Guide to Taking Control of Intense Emotions, Drama, and Chaos Using DBT
First published by: Hew Harbinger Publications, Inc
 
E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, BelgernISBN (E-Book) 978-3-451-81276-7ISBN (Buch) 978-3-451-60057-9

Inhalt

Vorwort
Einleitung

Dialektisch-Behaviorale Therapie

BPS und emotionale Sensibilität

Kapitel 1Seinem Leben (ganz bewusst) mehr Aufmerksamkeit schenken

Die Kraft der Achtsamkeit

Der erste Schritt

Wie ein achtsames Leben uns hilft

Achtsamkeit im Alltag anwenden

Erfahrungen unter dem Achtsamkeitsmikroskop untersuchen

Tun, was in problematischen Situationen hilft

Gedanken bewusst umlenken

Die Realität annehmen, um Leid zu mindern

Übungsgelegenheiten erkennen

Kapitel 2Stresstoleranz oder wie wir wirksam mit Stress umgehen

Das Aushalten von Stress will geübt sein

Bewusste Ablenkung im Gegensatz zu Vermeidung

Emotionale Resilienz aufbauen

Skills statt Sabotage

Kapitel 3Emotionsregulation oder wie man seine Gefühle steuert

Zum Umgang mit emotionaler Reaktivität

Auf Gefühle hören

Emotionale Erlebnisse analysieren

Aus dem Alltagstrott herauskommen

Lächeln statt finster dreinblicken

Visualisierungsübungen

Emotional gesunde Menschen sind die besseren Freunde, Partner, Eltern und Mitarbeiter

Kapitel 4Beziehungsarbeit

Verstand geht vor Stimmung

Drei wichtige Ziele in Beziehungen

Sich die Bestätigung holen, die man braucht

Sein wahres Ich entdecken

Über Schwarz-Weiß-Denken und rote Signale

Faktenchecker werden

Beziehungen sind kompliziert

Kapitel 5Am Ende noch alles zusammenfügen

Danksagungen

Literatur

Über die Autorin

Vorwort

Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) zu praktizieren kann trügerisch einfach erscheinen. Viele Nicht-DBT-Therapeuten reden von DBT, als handele es sich dabei lediglich um eine Reihe von Fertigkeiten (Skills), die man schlicht lernen muss. Vielleicht ist das ja auch der Grund, weshalb Sie selbst von DBT begeistert sind.

Wenn Sie indes beschlossen haben, sich auf den DBT-Weg einzulassen, werden Sie rasch feststellen, dass das Erlernen der DBT-Skills nur der leichte Teil ist. Die meisten Menschen empfinden es als vergleichsweise unkompliziert: Manche Skills sind eingängiger als andere und manche vielleicht etwas verwirrender; manchen Menschen fällt die Orientierung angesichts der Vielzahl von Akronymen nicht leicht, während sie anderen helfen, sich die vielen Skills zu merken.

Die Herausforderung beginnt, nachdem man die Skills gelernt hat – wenn man sie nämlich im Alltag und in unserer schnelllebigen Welt mit hoher Reizintensität und sofortiger Bedürfnisbefriedigung anwenden muss. Sie werden feststellen, dass Ihnen kaum Zeit bleibt, ihr Skills-Handbuch zu Rate zu ziehen, wenn Sie auf eine Textnachricht antworten oder Ihrem Chef gegenüber Grenzen oder Erwartungen kommunizieren müssen. Angesichts der Unmittelbarkeit des täglichen Lebens fällt es schwer, immer sofort zu reagieren, ohne die Nerven oder, schlimmer noch, seine Selbstachtung zu verlieren. Um Skills aufzubauen, braucht es Zeit. Der beste Weg, mit der Anwendung von Skills zu beginnen, ist das Üben – und zwar das Einüben neuer, wirksamerer Möglichkeiten, sein Leben zu leben und seine Emotionen in den Griff zu bekommen. Üben bedeutet, dass man riskiert, die Sache zu vermasseln, Fehler zu machen oder – die vielleicht erschreckendste Möglichkeit – zuzulassen, dass die eigenen Emotionen mal wieder die Oberhand gewinnen.

Das beharrliche Üben von DBT-Skills wird keinen neuen Menschen aus Ihnen machen. Vielmehr werden Sie die Fertigkeiten erwerben, die Sie benötigen, um die Teile Ihres Lebens zu bewältigen, die Sie derzeit als nicht beherrschbar empfinden. Je mehr Übung man darin hat, ineffektiv zu handeln, desto ineffektiver wird man. Glücklicherweise gilt aber auch: Je mehr man sich in Effektivität übt, umso effektiver wird man. Dieser Zusammenhang zwischen Übung und Fertigkeit gehört zu den wenigen einfachen Dingen, die sich über unsere sehr komplizierten Gehirne sagen lassen, und das ist eine gute Nachricht. Selbst ältere Gehirne können sich noch ändern und neu verschalten.

Dieses Buch ist ein wundervoller Begleiter, wenn Sie sich bei einem DBT-Therapeuten in Behandlung befinden. Ich hatte das Vergnügen, mit Debbie zu arbeiten, als sie dieses Buch geschrieben hat. Ihre eigenen Erfahrungen, ihre Leidenschaft und Hingabe an den Weg der Heilung durch die Anwendung von DBT spürt man auf jeder einzelnen Seite. In aller Bescheidenheit teilt Debbie ihre eigenen Erfahrungen, während sie uns mit den Feinheiten bekannt macht, die beim Lernen der DBT-Skills und, wichtiger noch, bei ihrer Anwendung im täglichen Leben zu beachten sind. Dieses Buch vermittelt Ihnen eine Reihe von Fertigkeiten, zeigt anhand von aus dem Leben gegriffenen Beispielen, in welchen Situationen sie funktionieren und auf welche Schwierigkeiten man stoßen kann. Dabei wird durch ein Quäntchen Humor Debbies eigenen schwierigen und manchmal auch schmerzhaften Lernerfahrungen die Schärfe genommen. Wenn Sie sich aufmachen, diese DBT-Skills zu erwerben und sich auf den Weg der Heilung begeben, dann wird Debbie Ihnen dabei zur Seite stehen.

Es ist ein Geschenk, nicht nur professionell in den DBT-Skills unterwiesen zu werden, sondern diese Reise in Gesellschaft und mit der Unterstützung eines Menschen, der das alles selbst erlebt hat, antreten zu können. Meinen eigenen Klienten sage ich oft, dass es manchmal der Unterstützung einer ganzen Gemeinschaft bedarf, um Veränderungen zu bewirken; halten Sie deshalb nach Menschen und Hilfsmitteln in Ihrem Leben Ausschau, die Sie dabei unterstützen können.

 

Eine lehrreiche und achtsame Reise wünscht

Gillian Galen (PsyD)

Program Director

3 East Adolescent Intensive Residential Program

McLean Hospital

Instructor in Psychology

Harvard Medical School Department of Psychiatry

Einleitung

Kann es etwas Schlimmeres geben, als dass einem gesagt wird, man sei eine Drama Queen oder müsse immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen und könne sich nur in Chaos und Krisen richtig entfalten? Besonders dann, wenn man vielleicht im tiefsten Innern weiß, dass etwas dran ist an diesem Vorwurf? Wieder einmal war ich mit dieser Frage konfrontiert. Mein Chef hatte kein Verständnis dafür, dass ich auf die enorme Häufung stressiger Termine in der letzten Zeit so emotional reagierte – beziehungsweise für meinen »Zusammenbruch«, wie er es, glaube ich, ausdrückte. Ein paar Tage zuvor waren wir unterwegs gewesen, um Kunden und Lieferanten zu besuchen. Ich war aufgeregt und hatte keinen Appetit, also hatte ich nichts gegessen. Die Folge war eine beängstigende Unterzuckerung: Ich fühlte mich schwach, mir war schwindelig und ich zitterte am ganzen Körper. Das wäre natürlich vermeidbar gewesen, doch damals gehörte Selbstfürsorge nicht gerade zu den Dingen, denen ich besonders viel Beachtung schenkte. Ich hatte nicht vorhergesehen oder groß darüber nachgedacht, welche Folgen das haben könnte. Ja, ich hatte noch nicht einmal damit gerechnet, dass es überhaupt Folgen haben könnte.

Und genauso wenig, wie meine körperliche Gesundheit bei mir an oberster Stelle stand, habe ich mich auch um meine psychische Gesundheit gekümmert. Das war offenbar genau das, was die Außenwelt als meine dramatischen Auftritte wahrnahm – das sagte man mir zumindest. Als ich ein paar Tage später in einem Krankenhausbett lag, mit einem Sauerstoffmessgerät am rechten Zeigefinger und einem Venenkatheter im linken Arm, über den ich eine Kochsalzlösung zugeführt bekam, hatte ich keinen blassen Schimmer, wieso ich wieder einmal in der Not­aufnahme war. Allzu oft schon war ich hier gelandet, wenn meine Stimmung einen Punkt erreicht hatte, an dem es sich anfühlte, als ginge es um Leben oder Tod, um einen echten Notfall also. Dieses Mal befand ich mich in der Notaufnahme, weil ich nach einer psychischen Krise dehydriert war; doch das war mir seinerzeit alles gar nicht klar.

Ich wusste nicht, warum ich so und nicht anders auf Stress und Angst reagierte, und mir war überhaupt nicht bewusst, welche Effekte oder Auswirkungen mein Verhalten auf mein Leben und auf das meiner Mitmenschen hatte. Rückblickend kann ich sagen, dass ich damals nicht über die Achtsamkeit verfügte, die mir heute zu eigen ist. Alles, woran ich damals, speziell in diesem Augenblick im Krankenhaus, aber auch ganz allgemein, denken konnte, war, dass ich jemanden brauchte, der mich rettet, und zwar ganz schnell. Vor meiner Vergangenheit. Vor meiner Gegenwart. Vor mir selbst. Vielleicht dramatisierte ich das alles etwas. Aber was gibt es Dramatischeres, als sich regelmäßig in der Notaufnahme wiederzufinden?

Falls man euch auch schon mal vorgeworfen hat, eine ­Drama Queen zu sein, dann nehmt euch das bitte nicht allzu sehr zu Herzen. Ihr seid nicht ohne Grund so – es gibt eine Erklärung dafür; und wahrscheinlich wisst ihr einfach nur noch nicht, wie ihr eure heftigen Gefühle im Zaum halten könnt.

Was ich gelernt habe und was ihr aufgrund eurer eigenen Erfahrungen vielleicht nachvollziehen könnt, ist Folgendes: Ich war verzweifelt. Ich brauchte dringend jemanden, der mich davon überzeugte, dass mit mir alles in Ordnung war und dass es auch in Zukunft so sein würde, dass ich in Sicherheit war. Ich brauchte dringend jemanden, der mich tröstete und mir versicherte, dass ich diese emotionalen Schmerzattacken durchstehen würde. Dass ich im sogenannten Leben nicht vollkommen allein dastand. Die Triebkraft hinter all meinen Entscheidungen waren meine »Zwillingsängste«: Angst vor Ablehnung und Angst vor dem Verlassenwerden. Nur hatte damals noch niemand, mich eingeschlossen, diesen Zusammenhang erkannt. Und meine Verzweiflung kam auf recht dramatische Weise zum Ausdruck. Etwa darin, dass ich immer und immer wieder in der Notaufnahme landete. Vielleicht sehen eure dramatischen Auftritte anders aus, aber es ist diese zentrale Triebkraft, die so viele Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS), mit Borderline-Zügen oder mit erhöhter emotionaler Sensibilität gemeinsam haben: Wir haben Angst davor, abgelehnt und verlassen zu werden. Und wir wollen, dass jemand anderes uns rettet. Wir trauen uns nicht zu oder vertrauen nicht unserer Kraft, uns selbst zu retten.

An diesem einen Tag – und in vielen Jahren meines Lebens – fühlte ich mich nur im Krankenhaus sicher. Dort war ich von Göttern und Göttinnen (auch bekannt als Ärzte und Krankenschwestern) umgeben, die sich um mich kümmerten und über mich wachten. Ich verehrte die Mitglieder meines Betreuungsteams und sah in ihnen meine Clique. Meine Freunde. Meine Familie. Und in der Tat waren sie viele Jahre lang meine hauptsächliche Stütze. Weder traute ich mir zu, eine emotionale Krise aus eigener Kraft durchzustehen, noch hielt ich das überhaupt für möglich. Meine Art von Selbstfürsorge sah so aus, dass ich nach jemand anderem Ausschau hielt, der die Dinge für mich wieder in Ordnung brachte. Ich war abhängig und bedürftig. Obwohl ich das im tiefsten Innern wusste, mich hilflos fühlte und keine Hoffnung hatte, dass sich jemals etwas ändern würde, führten allein schon die Worte »abhängig« und »bedürftig« oder – Gott bewahre! – der Vorwurf, genau das zu sein, dazu, dass ich zusammenzuckte und um mich schlug. Wenn euch das irgendwie bekannt vorkommt, dann zeigt bitte Mitgefühl mit euch selbst, hier und jetzt, in diesem Augenblick eures sich ständig weiterentwickelnden Lebens. Wir sind in erlernten Mustern gefangen. Manchmal verheddern wir uns darin. Wir müssen neue Methoden erlernen, um besser auf uns aufzupassen. Egal wie stark wir auch sind, manchmal brauchen wir dennoch Hilfe. Ich bin da keine Ausnahme.

Hier war ich also wieder: dehydriert, nachdem ich mich emotional so aufgeregt hatte, dass ich nichts bei mir behalten konnte. Wieder einmal hatte mein Nervensystem Alarmstufe Rot gemeldet. Ihr kennt das sicherlich. Sich selbst so in Angst und Aufregung hineinzusteigern, dass man sich am Ende auch körperlich krank fühlt. Das wiederum beflügelt die Angst nur noch mehr und führt dazu, dass man sich untröstlich fühlt. An diesem Punkt war ich nun. Unwissentlich erlebte ich zum x-ten ­Male ein Trauma aus meiner Vergangenheit – Ereignisse, die wahrscheinlich sehr viel dazu beigetragen haben, den Boden für meine Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) zu bereiten. Ein Trauma, das eine so große Einsamkeit mit sich bringt, wie niemand sie jemals erleben sollte, vor allem kein Kind. Vollkommen im Stich gelassen. Völlig verängstigt. Jedes Mal, wenn Erinnerungen oder Flashbacks des alten Traumas im Hier und Jetzt, also im Erwachsenenalter, wieder aufflammten, konnte ich meine Emotionen unbegreiflicherweise nicht mehr steuern. Jahrelang konnte ich auch den Zusammenhang zwischen dem »Trauma-Drama«, das ich als Erwachsene erlebte, und dem auslösenden, tief verwurzelten traumatischen Erlebnis in der Vergangenheit nicht herstellen.

Vielleicht nickt ihr genau jetzt zustimmend mit dem Kopf, weil ihr das selbst schon viele Male ganz ähnlich erlebt habt. Wenn ihr an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, an Borderline-Zügen oder einer erhöhten emotionalen Sensibilität leidet, habt ihr, wie ich, vielleicht auch eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung (K-PTBS). Dabei kommt es zu Situationen, in denen es sich so anfühlt, als würde man das traumatische Erlebnis aus der Vergangenheit im Hier und Jetzt von Neuem erleben, wenn man nicht über die Fertigkeiten (Skills) verfügt, diese Episoden wirkungsvoll zu bewältigen. Das kostet sehr viel Kraft und ist, gelinde gesagt, nur schwer zu ertragen. Sowohl für uns, die Betroffenen, als auch für diejenigen, die uns lieben und sich um uns sorgen. Unserem Umfeld fällt es mitunter schwer zu verstehen, warum wir während einer solchen Episode so verstört sind. Man bekommt vielleicht Sätze zu hören wie: »Im Moment passiert doch gar nichts Schlimmes!« oder »Das war doch vor mehr als 20 Jahren. Lass das doch endlich einfach hinter dir!« Solche Äußerungen können einen noch weiter in die Spirale aus Angst und Verzweiflung treiben, stimmt’s? An dem Punkt der Hilflosigkeit, an dem man sich nur noch verzweifelt danach sehnt, dass jemand die Schwere der Qualen wirklich versteht, einen tröstet und die Erlebnisse nicht als Aufmerksamkeitsheischen oder melodramatisches In-Szene-Setzen abtut. Dabei meinen die anderen es nur gut mit dir. Unsere Lieben möchten helfen. Sie wollen uns aus der mentalen Negativspirale, in der wir stecken, herausholen, damit wir uns nicht noch mehr Schaden zufügen. Wenn das doch nur so einfach wäre!

Damals in der Notaufnahme hatte ich Freunde und Familie um mich, die es gut mit mir meinten. Aber wenn es um meine schwere mentale Dysregulation ging, die sich einstellte, wenn ich mitten in der BPS- und K-PTBS-Symptomatik steckte, dann war das einfach nicht genug. In diesem Fall waren Maßnahmen von ganz anderem Kaliber vonnöten. Wieder einmal war ich in diese Krisensituation geraten, weil ich nicht wusste, wie ich meine Gefühle in den Griff bekommen sollte. Dieser Mangel an Emotionskontrolle führte dazu, dass ich meine Gefühle auf eine Art und Weise auslebte, die ich danach oft bereut habe und durch die ich den Zustand der emotionalen Dysregulation weiter aufrechterhielt. Ich verfiel in selbstzerstörerische Verhaltensweisen, wodurch ich andere Menschen letztlich von mir fortstieß und dadurch das genaue Gegenteil von dem bewirkte, wonach ich mich eigentlich sehnte. So erhielten meine tief verwurzelten Ängste, die ich aufgrund alter Verletzungen in Bezug auf Ablehnung und Verlassenwerden hegte, neue Nahrung. Wegen dieser selbstzerstörerischen Handlungen fiel es mir außerdem schwer, Schule, Beruf oder wichtige zwischenmenschliche Beziehungen über längere Zeit weiterzuverfolgen. Kurzfristig schien ich meine Sache recht gut zu machen, nur um mich dann erneut im Krisenüberlebens- und »Rette mich«-Modus wiederzufinden. Im Wesentlichen ist damit eine instabile Persönlichkeit beschrieben.

Wir können nur mit den Werkzeugen und Kenntnissen arbeiten, die uns zur Verfügung stehen. Also tun wir das, was zu funktionieren scheint, so lange, bis es nicht mehr funktioniert. Und genau an diesem Punkt war ich seinerzeit angekommen. Erst da fand ich genügend Motivation, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Zum Glück war das Leben bereit, mich dort abzuholen, wo ich mich gerade befand. Es war genau dieser Aufenthalt in der Notaufnahme, der schließlich dazu geführt hat, dass ich zu einer Behandlung überwiesen wurde, die man Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) nennt. Es ist erst ein paar Jahre her, dass ich mit meinen neu erworbenen DBT-Skills in der Tasche die Bewältigung meines alten Traumas frontal angehen konnte.

Wie ich bereits erwähnt habe, bewegten sich meine Erkenntnisse bezüglich meiner Erfahrungen mit Gefühlen, Verhaltensweisen und Konsequenzen bis zu jenem Zeitpunkt irgendwo zwischen nicht vorhanden und stark eingeschränkt. Heute weiß ich, dass die fundierte Kenntnis und das konsequente Einüben von DBT-Skills den Umgang mit meinem alten Trauma überhaupt erst möglich gemacht haben. Bevor ich die Skills erlernt habe, probierte ich eine Traumatherapie in der Gruppe aus, hielt sie jedoch nicht durch. Das Ausmaß und die Stärke meiner Gefühle haben mich einfach überfordert; ich konnte damit weder angemessen umgehen noch mir selbst Trost spenden. Ich musste erst lernen, mich nicht von emotionalem Schmerz und Leid im Hier und Jetzt zerstören zu lassen, bevor ich meiner Vergangenheit tapfer entgegentreten, Heilung finden und schließlich damit abschließen konnte. Willkommen in der Welt der DBT!

Dialektisch-Behaviorale Therapie

Als Dialektisch-Behaviorale Therapie bezeichnet man eine Reihe von oftmals hochwirksamen Fertigkeiten oder auch Skills, die ursprünglich von Marsha Linehan (1993a, 1993b, 2014a, 2014b) entwickelt wurden, um chronisch suizidale Patienten mit der Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung zu behandeln. Man lehrte sie, ihre Gefühle besser in den Griff zu bekommen. Inzwischen findet DBT zunehmend auch in anderen Bereichen Anwendung, um Menschen zu helfen, die als emotional empfindsam oder als anderweitig emotional dysreguliert gelten. Bevor ich Zugang zu diesen Fertigkeiten erhielt, die ein Geschenk des Himmels sind, habe ich versucht, nicht über mein altes Trauma nachzudenken. Stattdessen habe ich es unterdrückt. Aber wie jeder, der in der Vergangenheit ein Trauma erlebt hat, letztendlich feststellen wird, verschwindet das traumatische Ereignis nicht einfach, indem man versucht, es auszumerzen, einzustampfen, zu leugnen oder totzuschweigen. Man kann es dadurch nicht ungeschehen machen. Es hilft nicht dabei, die traumatischen Erfahrungen erfolgreich zu bewältigen.

Tatsächlich wird sich das Trauma im verzweifelten Versuch, Gehör zu finden und geheilt zu werden, auf verschiedene Weise immer wieder Bahn brechen, manchmal auch in Form von Suiziddrohungen und wiederholten Selbstschädigungen. Dies ist ein weiteres gemeinsames Merkmal von Menschen mit BPS: häufige Selbstmordandrohungen, gelegentliche suizidale Handlungen und selbstzerstörerisches Verhalten, ob nun durch körperliche Schädigung oder durch Selbstsabotage. Es gab Zeiten, da wollte ich wegen der emotionalen Schmerzen sterben. Nachdem ich mich aber von diesen Episoden schwerer emotionaler Dysregulation erholt hatte, stellte ich fest, dass ich mein Leben gar nicht wirklich beenden wollte. Lediglich den Schmerzen wollte ich ein Ende setzen: Meine Drohungen waren ein Hilferuf. Die Aufenthalte in der Notaufnahme waren ein solcher Hilfeschrei, der in einem tiefen, nicht verheilten, traumabedingten Schmerz wurzelte. Wenn es mir gut ging, habe ich das Leben geliebt. An dieser Wahrheit hielt ich auch in Augenblicken tiefster Verzweiflung fest, schließlich suchte ich Hilfe.

Auch wenn ich persönlich mich entschlossen habe, meine neu erlernten Skills im Rahmen einer Traumatherapie-Gruppe anzuwenden, geht es bei der DBT nicht unbedingt darum, in die Vergangenheit zu reisen, um alte Wunden zu heilen. Vielmehr ist das Ziel, Probleme in der Gegenwart effektiv zu bewältigen und Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln, die es einem erlauben, das Leben so zu leben, wie man es sich als emotional sensibler Mensch vorstellt. Und egal, ob man nun ein früheres Trauma zu verarbeiten hat oder nicht, sehr wahrscheinlich hat man genug damit zu tun, seine gegenwärtigen Probleme zu erkennen, sie anzugehen und zu bewältigen. Und genau hierbei können die DBT-Skills von besonderem Nutzen sein. Bevor wir diese nicht in unserem Werkzeugkoffer haben, fühlen wir uns schlecht gerüstet, um unvorhersehbare Lebensereignisse im Hier und Jetzt zu meistern.

Bevor ich auf die DBT gestoßen bin, war ich an meinem emotionalen Tiefpunkt angekommen. Wieder einmal hatte ich einen Job geschmissen, und die beiden einzigen Menschen, die ich noch nicht völlig abgeschreckt hatte, stellten mir ein knallhartes Ultimatum: »Hör endlich auf, dir das anzutun, sonst kann ich nicht mehr für dich da sein.« Einerseits hat mich diese Drohung erschreckt, andererseits diente sie aber auch als Weckruf. Ich musste Kontrolle über mein Leben gewinnen. Ich musste die Art und Weise ändern, wie ich mein Leben bewältigte (beziehungsweise eher nicht bewältigte), wenn ich in Stress geriet – und Stress erschien mir schon in geringer Dosis als etwas völlig Unbeherrschbares. Das alternative Szenario, nämlich die letzten Menschen, die mir in meinem Leben noch geblieben waren, zu verlieren, als Dauerarbeitslose zu enden oder mich von Job zu Job hangeln zu müssen, war einfach unerträglich und inakzeptabel. Ich brauchte Hilfe – und das war etwas, was ich nicht länger leugnen konnte.

Aber wie sollte ich es anstellen? Wie sollte ich mich jemals aus den ständigen Dramen, dem Chaos und den Krisen befreien können, die mein Leben ausmachten? Wenn ich mit Anfang 30 noch immer keinen Weg gefunden hatte, mich zu ändern, welches Wunder musste geschehen, um den Verlauf meines Lebens zu wandeln? Diese Fragen geisterten mir in dem Moment durch den Kopf, als der diensthabende Psychiater an meinem Bett in der Notaufnahme auftauchte und meinte, ich bräuchte seiner Meinung nach ein ambulantes Intensivbehandlungsprogramm. Dabei handelte es sich im Wesentlichen um Tagesaufenthalte in einem psychiatrischen Krankenhaus, wo man abends und an den Wochenenden nach Hause gehen konnte. Zwar war er nicht der Auffassung, dass ich stationär behandelt werden müsste, aber er wusste, dass ich eine Intensivtherapie benötigte. Dem konnte ich nur zustimmen.

An jenem Abend beschloss ich also, dass es so nicht weitergehen konnte. Wie ich mein Leben ändern sollte, wusste ich nicht, aber dass ich es tun musste, war mir klar. In diesem ambulanten Programm wollte ich alle Karten auf den Tisch legen: meine Gedanken (so verdreht und verrückt sich einige davon auch anfühlen und anderen vorkommen mochten), meine Erfahrungen mit der Angst vor dem Gedanken, auch nur für kurze Zeit allein zu sein, und – was vielleicht am beunruhigendsten war – die Tatsache, dass ich kein klares Bild von mir selbst hatte, sondern mir wie ein gestaltwandlerisches Chamäleon vorkam. Dies wird, so lernte ich später, als Identitätsstörung bezeichnet und zählt zu den Diagnosekriterien einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.

In meinem Fall war es, als sei ich ein Teenager, der dem Stadium der Identitätsfindung durch Experimentieren mit verschiedenen Peergruppen nie entwachsen war. Ich war dermaßen beeinflussbar und wandlungsfähig, dass ich mich in dem einem Moment hundertprozentig mit der Meinung meiner hartgesottenen republikanischen Freunde identifizieren konnte, nur um mich wenig später komplett in eine eingefleischte Linksliberale zu verwandeln. Ich wurde wie die Menschen in meiner Umgebung, passte mich ihren Verhaltensweisen an und wurde zu dem Menschen, den sie meiner Meinung nach in mir sehen wollten. All das nur, um gemocht, akzeptiert und nicht abgelehnt zu werden. Musikrichtungen, Freizeitaktivitäten, religiöse Überzeugungen, sexuelle Präferenzen – für mein sich ständig veränderndes Selbstgefühl gab es keine Tabus.

Die Vorstellung, mit all den Leuten, die ich kannte, im selben Raum zu sein, machte mir Angst. Wer hätte ich sein, wie mich verhalten sollen? Schließlich kannte jeder von ihnen mich als eine andere Person; als eine, die ihm selbst ähnlich war. Ich war nicht sicher, ob ich diesen speziellen Aspekt der BPS jemals würde überwinden können; doch es ist mir gelungen. Durch zielgerichtetes Lernen und konsequentes, sorgfältiges Einüben der DBT-Skills wurde es mir und vielen anderen möglich, diese scheinbar unüberwindlichen Probleme zu bewältigen.

An dieser Stelle fragt ihr euch vielleicht, ob ich es geschafft habe, mein gesamtes Leben mithilfe von DBT in den Griff zu bekommen, und ob DBT vielleicht auch die Lösung all eurer Probleme sein könnte. Die Antwort darauf lautet: nein. Und ganz ehrlich: Ich bin mir nicht sicher, ob all das, womit wir uns herumschlagen und was wir unserer Meinung nach ändern müssten, auch wirklich unbedingt geändert werden muss. In vielerlei Hinsicht habe ich gelernt, die problematischen Anteile meiner Persönlichkeit anzunehmen und die Vorteile zu genießen, die meine Veränderung mit sich gebracht hat. Die Veränderung von einem Menschen, der keinerlei Kontrolle mehr über sich hatte und seinen Gefühlen ausgeliefert war, hin zu einer Person, die immer noch emotional empfindsam ist, die ihre Gefühle immer noch intensiv erlebt, inzwischen aber über das nötige Werkzeug verfügt, um kompetent damit umzugehen. In einer Weise, dass sie nicht mehr als schwach und labil gebrandmarkt wird – von mir selbst, von meinen Therapeuten, Kollegen und mir nahestehenden Menschen. Ich war immer ein emotional empfindsamer Mensch, und das wird sich auch nicht ändern. Ohne die Fertigkeiten, die es braucht, um mit dieser Intensität zurechtzukommen, befand ich mich in einem Zustand des Chaos. Meine Gefühle waren derart heftig, dass ich von ihnen überwältigt wurde. Üblicherweise fühlte ich mich emotional dysreguliert und unfähig, mit normalem Stress oder mittelschweren bis schweren Belastungen klarzukommen. Heute kann ich meine Emotionen wahrnehmen, ohne dass sie mich aus der Bahn werfen oder zerstören. Das Ziel ist nicht, nicht zu fühlen. Das Ziel ist es, zu fühlen, zu funktionieren und sich dabei wohlzufühlen.

Während des ambulanten Intensivprogramms habe ich gelernt, dass ich tatsächlich an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leide. Endlich hatte ich eine präzise Diagnose und dadurch auch eine Therapiemöglichkeit (nämlich DBT). Diese Verhaltenstherapie wurde speziell entwickelt, um Menschen wie mir zu helfen. Mit nichts anderem habe ich mich je so sehr identifiziert wie mit der Dialektisch-Behavioralen Therapie. Ich wollte, dass sie funktioniert, und brauchte den Erfolg unbedingt. DBT war bei anderen erfolgreich, und ich war überzeugt davon, dass sie auch bei mir funktionieren würde, wenn ich mich nur genügend in dieses Programm einbrachte, mir die Lehren der DBT vollständig zu eigen machte und das Gelernte auf mein Leben anwendete. Es musste einfach klappen. Das war meine letzte Hoffnung. Und die gute Nachricht ist: Es hat geklappt!

DBT hat mein Leben verändert und mich gerettet. Ich habe mich ganz auf das Erlernen der Skills und ihre Anwendung konzentriert. Außerdem habe ich es zu meiner Leidenschaft gemacht, meine Erfahrungen mit anderen zu teilen, die ebenfalls diese enorme Veränderung wagen und aus Drama, Chaos und Krise ausbrechen wollen, um ein Leben als emotional empfindsame Menschen anzunehmen. Ich habe DBT Path gegründet, ein ausschließlich online zugängliches, DBT-orientiertes, psychoedukatives Angebot, das international genutzt wird. Hier bin ich in der Peer-Arbeit als Dozentin tätig, also als Expertin mit eigener Erfahrung. Jede Woche betreue ich, zusammen mit einem zugelassenen Therapeuten, Gruppen und ermutige andere emotional empfindsame Menschen, ihr Leben zu ändern, und unterstütze sie dabei, Dinge zu bewältigen, die sie vorher nicht für möglich gehalten hätten.

Ihr seid dabei, euch auf ein Buch einzulassen, das euer Leben wirklich verändern könnte. Darin beschreibe ich, wie man DBT-Skills in vielen Situationen anwenden kann, mit denen wir als Menschen, die leicht von ihren Emotionen überwältigt werden, typischerweise konfrontiert sind. In erster Linie führe ich persönliche Beispiele an, greife aber auch auf Geschichten zurück, die ich in meinen Kursen im Rahmen von DBT Path (mein Online-Kursangebot) sowie im Kontakt mit den Leserinnen meines Blogs erfahren habe. Viele dieser Geschichten werdet ihr vielleicht auf einer tieferen Ebene nachempfinden können. Ich hoffe, dass sie euch inspirieren und Zuversicht geben, damit ihr die Verantwortung für euer Leben übernehmen, die Opfermentalität hinter euch lassen und euren ganz eigenen, persönlichen Weg der Heilung beschreiten könnt.

In den folgenden Kapiteln werden wir uns näher mit den Hauptmodulen der DBT-Skills befassen:

 

1. Dem eigenen Leben (ganz bewusst) mehr Beachtung schenken2. Besser mit Stress umgehen lernen (von »Ich werde damit nicht fertig!« hin zu »Ich komme damit klar!«)3. Gefühle steuern lernen 4. An wichtigen zwischenmenschlichen Beziehungen arbeiten

 

All diese Fertigkeiten, die sich aus den Arbeiten von Marsha Linehan (1993a, 1993b, 2014a, 2014b) ableiten, können euch dabei helfen, Situationen zu bewältigen, die euch andernfalls aus der Bahn werfen würden. Dabei werden wir richtig in die Tiefe gehen! Da ich Peer-Arbeit mache und keine Psychologin oder Ärztin bin, versteht sich dieses Buch nicht als Ersatz für eine psychiatrische oder ärztliche Behandlung. Vielmehr soll es euch dazu inspirieren, euch auf euren Weg der Heilung zu begeben. Falls ihr bereits zu einem Therapeuten geht, könnt ihr mit ihm besprechen, wie ihr die verschiedenen Übungsaufgaben in diesem Buch dazu nutzen könnt, euch weiterzuentwickeln und euer Leben zu verändern.

BPS und emotionale Sensibilität

In diesem Buch beziehe ich mich sowohl auf die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) als auch auf emotionale Sensibilität. Bei mir selbst ist eine BPS diagnostiziert worden, und noch immer treffen einige der Diagnosekriterien auf mich zu, allerdings nicht mehr in einem Maße, das die Diagnose weiterhin rechtfertigt. Ich befinde mich also auf dem Weg der Besserung beziehungsweise in Remission. Da ich selbst jedoch über zehn Jahre an BPS litt, bevor die Diagnose offiziell gestellt wurde, und auch weiterhin mit Borderline-Zügen lebe, kann ich wahrhaftig nachempfinden, wie es Betroffenen ergeht. Ich hoffe, dieses Buch bestärkt euch darin, dass ihr nicht allein seid und dass es auch für euch echte Hoffnung gibt.