Steam Master - Schwarzer Aether - Gideon Born - E-Book

Steam Master - Schwarzer Aether E-Book

Gideon Born

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Beschreibung

Es ist Weihnachten in der goldenen Stadt. Während der Adel in Prunk, Dekadenz und Orgien schwelgt, tobt im Verborgenen der Kampf zweier Geheimgesellschaften. Mittendrin: Markos Bodhmall, Student der Aetherwissenschaften, auf der Suche nach dem geheimnisvollen Johann von Kladen. Was als persönliche Auseinandersetzung begann, wird schon bald zu einem Spiel mit höherem Einsatz. Dabei muss er sich mächtigen Steam-Panzern, ebenso schönen wie unanständigen Fürstentöchtern und eifersüchtigen Kontrahenten stellen. Eines Tages jedoch rettet Markos das opiumsüchtige Mädchen Alicia aus den Fängen seiner Widersacher. Und setzt damit Ereignisse in Gang, die entweder seine Rettung oder aber seinen Untergang bedeuten. "Schwarzer Aether" spielt zeitlich vor den Geschehnissen im viktorianischen BDSM-Hotel Aethernanox, bekannt aus "Steam Master – Die Anthologie", und nimmt den Leser mit zu den Anfängen der Mission des Aetherfakte-Jägers und Masters Lucius Lokken.

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Table of Contents

Titel

Impressum

Über den Autor

Über das Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Leseprobe aus Gideon Borns "Masken"

Gideon Born

 

 

 

 

 

Steam Master

-

Schwarzer Aether

Gideon Born

Steam Master - Schwarzer Aether

ISBN Print: 978-3-946376-40-8

ISBN epub: 978-3-946376-41-5 mobi: 978-3-946376-42-2

 

© 2018 Lysandra Books Verlag (Inh. Nadine Reuter),

Overbeckstraße 39, 01139 Dresden

www.lysandrabooks.de

 

Coverdesign: © 2017 Joerg Schlonies www.dojoerch.com

Lektorat/Layout/Satz: Lysandra Books Verlag

 

Fotos von Alexander Schlesier und Artwork von Joerg Schlonies sind nur Bestandteil der Hardcover-Ausgabe, nicht der eBooks.

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Lysandra Books Verlags ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für die mechanische, fotografische, elektronische und sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung - auch auszugsweise - durch Film, Funk, Fernsehen, elektronische Medien und sonstige öffentliche Zugänglichmachung.

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Über den Autor:

 

Gideon Born wurde 1977 geboren und erkannte schon früh seine Faszination für das Übernatürlich-Fantastische. Zum Entsetzen seiner Eltern schlug er dennoch eine naturwissenschaftliche Karriere ein. Tagsüber führte er so ein unauffälliges Dasein an einem Forschungsinstitut in Deutschlands sonnigem Süden. Nachts jedoch brach sich seine Leidenschaft weiterhin Bahn und er quälte mit Vorliebe seine Rollenspielgruppen durch selbstgeschriebenen Abenteuern. Aus diesem Hobby heraus, dem Schreiben von bloßen Rahmenhandlungen und Charakterstudien, entwickelte sich die Leidenschaft für das Schreiben skurriler, phantastischer und nicht zuletzt auch erotischer Geschichten.

Über das Buch:

 

Klappentext

Es ist Weihnachten in der goldenen Stadt. Während der Adel in Prunk, Dekadenz und Orgien schwelgt, tobt im Verborgenen der Kampf zweier Geheimgesellschaften. Mittendrin: Markos Bodhmall, Student der Aetherwissenschaften, auf der Suche nach dem geheimnisvollen Johann von Kladen. Was als persönliche Auseinandersetzung begann, wird schon bald zu einem Spiel mit höherem Einsatz. Dabei muss er sich mächtigen Steam-Panzern, ebenso schönen wie unanständigen Fürstentöchtern und eifersüchtigen Kontrahenten stellen.

Eines Tages jedoch rettet Markos das opiumsüchtige Mädchen Alicia aus den Fängen seiner Widersacher. Und setzt damit Ereignisse in Gang, die entweder seine Rettung oder aber seinen Untergang bedeuten. „Schwarzer Aether“ spielt zeitlich vor den Geschehnissen im viktorianischen BDSM-Hotel Aethernanox, bekannt aus „Steam Master – Die Anthologie“, und nimmt den Leser mit zu den Anfängen der Mission des Aetherfakte-Jägers und Masters Lucius Lokken.

 

Abgerundet wird das Prequel aus dem Steam Master-Universum durch Fotografien von Alexander Schlesier - http://www.skulls-n-gears.com (nur in der Printausgabe enthalten).

 

 

Bibliografie

 

Steam Master

 

Die Anthologie – Herausgeberin Anne Amalia Herbst –

ISBN 978-3-946376-15-6 – Hardcover 17,90 EUR (2017)

 

Schwarzer Aether – Gideon Born – ISBN 978-3-946376-40-8 – Hardcover 19,90 EUR (03/2018)

 

Ammonitenherz – Tanja Schierding – ISBN 978-3-946376-46-0 – (VÖ 2. HJ 2018 geplant)

 

Alle Veröffentlichungen auch als eBooks. Dann jedoch ohne Fotografien.

 

 

Kapitel 1

Haus Truchsky

 

Anno Domini 1885

 

Welch dunkles Jahr! Eisige Kälte hielt Prag fest im Griff und die Fabriktürme verdunkelten den Himmel über der goldenen Stadt. So viel Rauch stieg von ihnen auf, dass grauer Schnee auf die Straßen herabsank.

Markos zog den Mantel enger um sich, den er von einem mitleidigen Schneider erhalten hatte. Sicher, der Wintermantel war ihm zu weit, doch von guter Qualität und für Markos’ Zwecke ideal. Er verbarg die Statur seines Trägers vor neugierigen Blicken und das Wichtigste: Er bot genügend Platz für Gerätschaften - seine Gerätschaften!

Seine Hand wanderte unwillkürlich in die große Innentasche, in der die Aetherbatterie ruhte. War deren Herstellung doch ein Geheimnis, das eifersüchtig gehütet wurde. Erst vor drei Wochen war es ihm gelungen, in den Besitz veralteter Pläne zu kommen. Damit standen ihm die höheren Kreise der Ingenieurskunst offen. Die würde er auf seinem Kreuzzug auch dringend brauchen.

Markos blies in seine Hände und ließ das Haus auf der anderen Straßenseite dabei keinen Moment aus den Augen. Hinter einem schmiedeeisernen Zaun erhob sich ein vornehmes, dreistöckiges Herrenhaus, mit einem penibel gepflegten Vorgarten und klassischen Marmorstatuen darin. Die hell erleuchteten Fenster und die Menge an Kutschen, die vor dem Brunnen standen, bestätigte seine Informationen: Die Mäuse feierten ein Fest, während die Katze auf Reisen war. In diesem Fall waren die Mäuse der dekadente Adel und die Katze der Hausherr: Graf Truchsky.

Markos war es einerlei, was die Gräfin trieb, während ihr Gatte nicht in der Stadt weilte. Ihn interessierte nur einer der illustren Gäste: Freiherr von Kladen.

Für das pikante Wissen über das Haus und seine Gäste hatte es des gesamten Mietgelds des nächsten Monats bedurft. Das würde ihrer Vermieterin nicht gefallen. Aber sein Informant in der Königsburg war sich sicher: Von Kladen würde hier erscheinen, um seinen exotischen Lastern nachzugehen. Sogar das Zimmer, das er dafür zu nutzen gedachte, war auf dem Plan eingezeichnet.

Als der Wachmann mit seiner Laterne um die Ecke verschwand, stieß sich Markos von der Wand ab. Der graue Schnee knirschte unter seinen Lederstiefeln und das Klacken seines bleibeschwerten Gehstocks, eines Shillelaghs aus Schwarzdorn, eilte ihm voraus.

Drei, vier, fünf ... Sein Atem bildete eine weiße Wolke, während er leise zählte. Die Wache würde nicht vor dreißig zurückkehren. Markos prüfte mit einem Blick, dass die Straße leer war, dann schob er den linken Ärmel zurück. Auf dem Unterarm saß eine messingbeschlagene, längliche Apparatur. Seine eigene Erfindung - eine aetherbetriebene Armbrust.

Neun, zehn, elf ... Im Gegensatz zu ihren Metall- oder Holzvettern schleuderte eine Metallfeder den Schlitten samt Bolzen nach vorne. Deshalb konnte Markos die Armbrust am Unterarm verstecken. Nur die Kraft, die nötig war, um die Feder zu spannen, war ein Problem gewesen - bis er die Aetherbatterie fertiggestellt hatte. Er zog sie aus seiner Innentasche und drehte den Zylinder mit zufriedenem Lächeln hin und her, bevor er ihn an der rechten Seite der Armbrust einklinkte. Grüne Flüssigkeit wallte wie Rauch im Inneren des winzigen Glaszylinders auf, bewegte sich hin und her, gleich einem exotischen Tier, einer Qualle nicht unähnlich. Dann war es, als würde der Aether zu einem Seil gedreht - die Feder knackte und spannte sich. Zuletzt glitt der Schlitten in seine Ruheposition und nahm einen von vier Metallbolzen aus dem Magazin auf.

Fünfzehn, sechszehn, siebzehn ... Markos hob den Arm und zielte. Mit einem Schnappen flog der Bolzen durch die Luft. Er war kaum in den Holzbalken des Balkons eingedrungen, als die eingebaute Winde den Metalldraht aufrollte, der Bolzen und Armbrust verband. Markos stöhnte, als er in die Höhe gerissen wurde. Die Beschleunigung war zu stark! Der Balkon kam erschreckend schnell auf ihn zu. Im letzten Moment dämpfte Markos den Aufprall mit ausgestreckter Hand und Stock.

Seine Schulter schmerzte. Stöhnend rollte er sich über das Geländer und verharrte einen Moment, bevor er den Draht zerschnitt. Die Armbrust summte zufrieden und legte bereits den nächsten Bolzen samt Draht ein. „Daran müssen wir noch Korrekturen vornehmen!“, stöhnte Markos und lehnte sich neben den Balkontüren an die kalte Mauerwand.

Dreißig, einunddreißig, zweiunddreißig, dreiunddreißig ...! Endlich kam die Wache und ging unter ihm vorbei.

 

#

 

Markos warf einen Blick durch die Glasscheibe. Dahinter lag das Arbeitszimmer. Ein schwerer, alter Schreibtisch beherrschte den Raum. An der Wand stand ein schwarzer Ofen, in dem ein paar glimmende Scheite ruhten. Das Glühen drang durch die Spalten der gusseisernen Tür und tauchte das Zimmer in eine warme Düsternis. Die Wand war mit Bücherregalen verkleidet, die aussahen, als würden sie nie benutzt. Kein Buch lag quer oder obenauf, keines war zu viel oder fehlte. Alle standen akkurat an ihrem vorgesehenen Platz im Regal.

Der Raum vor dem Schreibtisch wurde von einem kleinen Glastisch mit zwei Sesseln und einem grünem Sofa ausgefüllt. Eine hölzerne Zigarrenschachtel und eine Schale mit kalter Asche darauf zeugten von der eigentlichen Leidenschaft des Grafen. Markos rief sich den Grundriss des Hauses ins Gedächtnis. Eine Tür führte hinaus auf den Flur, wo sich Wachen und Gäste aufhalten würden, und durch eine zweite Tür, die von Bücherregalen eingerahmt wurde, gelangte man in den kleinen Salon. Durch diesen musste er hindurch, dann über die Dienstbotentür ins Whiskyzimmer. Das war der schnellste Weg. Von dort aus würde er Zugang zum roten Zimmer erhalten, in dem sich Von Kladen einfinden sollte.

Dies war seit einem Jahr die beste Gelegenheit, an den Mann heranzukommen. Mit ein wenig Glück würde es Markos gelingen, rein und wieder rauszukommen, ohne bemerkt zu werden. Der Freiherr war einflussreich und brutal - würde Markos erkannt, wären die Folgen unabsehbar. Im besten Fall würde man ihm nur das Stipendium aberkennen und ihn der Stadt verweisen. Im schlimmsten ... Nun, Markos’ Intelligenz setzte seiner Fantasie keine Grenzen. Es schüttelte ihn, wenn er daran dachte, was er über Von Kladen gehört hatte.

Ehe er es sich noch anders überlegte, hebelte Markos die Balkontür auf und betrat vorsichtig das Arbeitszimmer. Mit drei großen Schritten war er bereits auf halbem Weg zum kleinen Salon - da begann sich der Griff der Tür zu drehen. Hölle auch, dachte er. Das fängt ja gut an.

Bedauernd dachte Markos an den kalten, schmalen Balkon, dessen Sicherheit er gerade verlassen hatte, und machte einen schnellen Satz an die Wand neben den Türrahmen. Er prallte schmerzhaft gegen die Kante des Bücherregals, gerade als die Tür aufschwang und ihn verdeckte.

„Du wirst schon noch sehen! Noch ehe die Nacht beendet ist!“, schnaubte eine tiefe Männerstimme. Dann schritt deren Besitzer an Markos vorbei in die Mitte des Raumes, stützte sich am Schreibtisch ab und schüttelte den Kopf. Er war groß, größer noch als Markos, was ihn zu einem wahren Hünen machte. Zum Glück brachte er auch die etwas ungelenke, schlaksige Art mit, die den meisten so großen Menschen zu eigen war.

Markos warf einen Blick um die Tür in den kleinen Salon. Eine Frau saß dort auf einer Chaiselongue und nippte an einem Kristallglas. Erleichtert bemerkte er, dass ihre Augen verbunden waren. Feine Silberarbeiten fügten sich in das Spiel ihrer blonden Haare und der Korsage. Erst auf den zweiten Blick erkannte er, dass es sich dabei um dünne Ketten handelte. Diese fesselten sie nicht nur an die Sitzgelegenheit, sondern verbanden ihre Handgelenke mit einem goldenen Reif um ihren Hals. Sie konnte die Hände so zwar nicht weiter als bis zu ihren Brüsten senken, doch hatte sie genügend Freiheit, um sich an einem Getränk zu berauschen. Sie kicherte als Antwort auf den Ausbruch des Mannes und prostete blind in den Raum hinein.

Markos’ Entschluss war schnell gefasst. Leise schloss er die Tür im Rücken des Mannes - nahm seinen englischen Zylinder und hängte ihn über den Knauf.

Ahnungslos griff sich der Schlaksige eine Karaffe mit Brandy, deren feiner Schliff am oberen Rand deutliche Abnutzungserscheinungen zeigte, so als würde sie häufig genutzt. Doch war sie gut gefüllt. „Die Schlampe wird schon noch sehen, aus was für einem Holz ich geschnitzt bin!“, murmelte er zu sich selbst. „Sobald der Hintern ihrer Hoheit rot glüht, wird sich ihr Tonfall ändern.“ Es war das Letzte, was er an diesem Abend sagte.

Der Griff des Shillelaghs war hart und knorrig. Doch damit nicht genug, war er auch noch mit Blei gefüllt. Markos warf den Stock beim Gehen leicht nach oben und fasste das schlanke Ende. Dann schwang er ihn in einer kreisförmigen Bewegung gegen den Kopf des schlaksigen Mannes.

Es gab ein Geräusch, als würde man eine Nuss knacken. Der Mann fiel wie vom Blitz getroffen in Markos’ Arme. Die Karaffe jedoch, kaum erhoben, knallte zurück auf den Tisch, neigte sich, taumelte in enger werdenden Kreisbewegungen, bis sie über die Kante kippte.

Markos’ Augen weiteten sich. Er ließ den Mann auf den Teppich sinken, machte einen Ausfallschritt und stieß mit dem Gehstock durch den Henkel.

Die Karaffe blieb schaukelnd ein, zwei Finger über dem Boden hängen. Sie zitterte, und Markos ächzte. Er war einfach nicht dafür geschaffen, einen Spagat zu machen.

Erst als die Karaffe sicher auf dem Boden abgesetzt war, erlaubte sich Markos ein Stöhnen und rollte sich zur Seite. Vorsichtig stand er auf und zog die Hose hoch. Dann kontrollierte er die Atemzüge des Mannes - er lebte! Markos bettete ihn aufs Sofa, schüttete dem Mann einen Brandy über das Hemd und nahm selber einen Schluck. Dann setzte er seinen Zylinder wieder auf, bevor er sich in den kleinen Salon begab.

 

#

 

Die Frau saß noch immer auf der Chaiselongue. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen und wippte mit dem Fuß. Ihr Schuh hatte sich von der Ferse gelöst und Markos erwartete, dass er jeden Moment auf den Boden fallen würde. Das passende Kleid zu den Schuhen lag unbeachtet auf dem Boden, und die rotbraune Korsage, die sie trug, änderte nichts daran, dass nur wenig von ihren Reizen verdeckt blieb. Zumindest hatte sie den engen seidenen Unterrock anbehalten, der über ihren Knien endete.

Markos pfiff leise durch die Zähne. Dieser Mann war ein Glückspilz. Wenn eine Frau sich derart für einen herrichtete, konnte man sich glücklich schätzen. Nicht ablenken lassen, nicht so kurz vor dem Ziel, ermahnte er sich.

So gestählt ging Markos, den Blick stur nach vorne gerichtet, leise durch den Raum. Als er jedoch den Tisch passierte, konnte er der Verlockung nicht widerstehen und schaute ihr ins Gesicht.

Irina, schoss es ihm durch den Kopf und er blieb wie erstarrt stehen. Er kannte die kleine, wohlproportionierte Frau mit dem herzförmigen Gesicht, grünen Augen und den rotblonden Haaren. Sie war erst achtzehn, vielleicht zwanzig, und das beliebteste Ziel von Stephans Tag- und Nachtträumen. Was nicht unmittelbar etwas zu sagen hatte. Stephan, der sich mit Markos die kleine Wohnung teilte, die sie sich als Studenten der Akademie Goldener Aether leisten konnten, hatte viele Träume. Die meisten drehten sich um die jungen, hübschen Adelstöchter der Stadt. Aber Irina hatte es geschafft, sich dort seit einem Monat festzusetzen. Eine Leistung, die vor ihr noch keiner gelungen war. Markos war die Lobeshymnen mittlerweile leid und er machte sich Sorgen um seinen Mitbewohner. Stephan war kein schlechter Ingenieur, doch er hatte ein Problem mit seinen Prioritäten. Und schuld daran war nicht zuletzt diese Frau. Irina, eine Adelige aus bestem Hause, ließ Stephan hin- und herspringen, wie es ihr passte, nur um bei nächster Gelegenheit so zu tun als sei er Luft. Mit anderen Worten, sie war ein echtes Miststück!

Mit einem Mal tat es Markos fast leid, den Schlaksigen im Arbeitszimmer vorzeitig ins Reich der Träume befördert zu haben. Ein paar gutgemeinte Hiebe hätten dieser Sirene, die ihre Stupsnase frech in die Höhe reckte, sicher gut getan. In diesem Moment drückte sie den Rücken durch und drehte den Kopf hin und her. „Alex? Bist du das? Was machst du? Du willst mich doch nicht noch länger warten lassen ... Man lässt eine Dame nicht warten! Ich hoffe, deine Mutter hat dir bessere Manieren beigebracht - oder auch nicht!“ Sie kicherte und nahm einen weiteren Schluck.

Markos riss sich vom Anblick der feinen Ketten los, die sich verführerisch um ihre Brüste schmiegten, ihren Oberkörper wie ein Netz umfingen und unter ihren Armen zurück auf den Rücken liefen. Mit heißen Ohren schlich er weiter auf sein Ziel zu: die Dienstbotentür, der Zugang zum Whiskyzimmer.

Schnell ging er vor der Tür in die Hocke und warf einen Blick durch das Schloss. Der Raum auf der anderen Seite war dunkel. Sehr gut! Die Tür hatte keine Klinke, nur einen Knauf und dass sie verschlossen war, hatte Markos erwartet.

Er holte aus der tiefen, ausgebeulten Innentasche seines Mantels den Schlosserakt hervor. Es handelte sich dabei um kein besonderes Gerät. Nichts, was ihm den Abschluss an der Akademie eingebracht hätte. Eher im Gegenteil, man würde ihn wahrscheinlich für den Bau exmatrikulieren.

Der Schlosserakt war ein kleiner Holzkasten in der Form eines Käfers, etwa so groß wie Markos’ Faust. Die Ecken und Innenteile waren aus einfachem Eisen geschmiedet, und eine Seite schob Markos nun auf. Im Inneren glänzte eine Reihe von Schlüsselrohlingen. Als Markos das Kästchen an das Schlüsselloch drückte, fuhren diese in das Schloss. Methodisch würden es die Rohlinge öffnen. Nichts, was ein guter Dieb nicht auch auf die Reihe bekam. Nur - Markos war kein Dieb. Nicht im eigentlichen Sinne. Er mochte nur hin und wieder die Besitzer nicht um ihre Schlüssel fragen, wenn er sich umsehen wollte. Deswegen war ihm die Idee zum Schlosserakt gekommen.

Das Gerät klackte, klapperte und machte in der Stille des Raumes viel zu viel Lärm. Ein klitzekleiner Nachteil! Dafür war es aber auch kleiner als ein Dieb und leichter mit sich zu führen.

„Was ist das? Alex! Bist du das? Alex, sag was ...!“ Irinas Stimme wurde höher. Klirrend setzte sie das Glas auf dem Tisch ab. Ihre Hände hoben sich zu ihrer Augenbinde.

Kann sie die etwa erreichen?Hölle, wer fesselt denn jemanden so, dass es keinen Sinn macht. Adelige! Markos stolperte überhastet auf Irina zu. Er musste sie aufhalten. Wie viele Wachen standen auf den Gängen, wie viele würden Von Kladen begleiten - zu viele! Seine Hand zuckte zum Shillelagh, doch er verzichtete. Damit würde er ihr vermutlich den Schädel einschlagen.

Wäre es ein Verlust, fragte er sich für einen Herzschlag, bevor er bei ihr anlangte und ihre Handgelenke ergriff. Sie stoppte, ihr Gesicht hob sich in seine Richtung. „Was ist? Hast du doch noch Mumm in deiner Hose gefunden? Oder lässt meine Zunge deine angebliche Manneskraft schwinden? Wurde auch Zeit, ich warte jetzt schon viel zu lange auf deine angepriesenen Fertigkeiten!“

Markos schnaubte und ignorierte ihre Frage. Die Frau war unerträglich in ihrer Selbstgefälligkeit. Musste das wirklich sein? Der Schlosserakt tickte leise vor sich hin und Markos holte tief Luft. Dieses eine Mal, dachte er. Von Kladen sollte besser da sein!

Er presste ihre Hände hinunter auf ihre Brust und raschelte dabei möglichst laut mit den Ketten. „Wer hat dir erlaubt, die Binde abzunehmen!“, schnaubte er so tief er konnte.

„Alex?“

„Wer sonst!“ Markos drehte Irina zur Seite und nahm auf der Chaiselongue Platz. Ein Hauch von Flieder stieg in seine Nase, dazu der Geruch der Lederkorsage, als sich ihre Körper berührten. Ihre dunkelroten Lippen öffneten sich erneut. Sie waren nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, und Markos musste zugeben, sie sahen tatsächlich wie die pure Verlockung aus, wie sie so halb geöffnet vor ihm schwebten.

Der Schlosserakt klackte und Markos zog Irina über seine Beine. Er musste grinsen, als er ihren erschrockenen Aufschrei vernahm. Diese Adeligen mit ihren dekadenten Spielen verdienen es, dass sie ihre eigene Medizin zu spüren bekommen. Er schlug den seidenen Unterrock hoch. Darunter kam ein einfaches weißes Höschen zum Vorschein.

Irina wand sich auf seinen Beinen und versuchte sich mit den Händen am Boden abzustützen. Doch soweit reichten die Ketten nicht. „Alex! Nein, nicht, warte!“, keuchte sie.

Markos’ Hand strich über den Stoff. „Du hättest dich benehmen sollen!“ Seine Hand schnellte auf ihren Hintern herunter.

„Ah!“, schrie sie erschrocken, ihre Füße zuckten.

Doch auch Markos schaute erstaunt auf seine Hand. Er war kein Fremder von körperlichen Auseinandersetzungen, aber er hatte immer erwartet, dass es weniger wehtat, wenn man einer Frau den Hintern versohlte. Aber warum sollte es.

Der Schlosserakt ächzte und drehte mit einem Scharren den ersten Zahn im Schloss. Markos schaute auf, auch Irina hob den Kopf ob des merkwürdigen Geräusches. Also schnellte seine Hand erneut hinunter, diesmal auf die andere Backe. Markos’ Schläge kamen nun in schneller Folge, und nach den ersten drei hörte Irina auf sich zu wehren. Es schien, als nehme sie die Strafe als unausweichlich hin. Als seine Hand zum wiederholten Male den Rand ihres Höschens streifte, zog er es kurzerhand leicht hoch, bis nur noch ein schmaler Strich zwischen ihren roten, warmen Backen zu erkennen war. Irina keuchte als Antwort, aber ließ ihren Kopf unten. Ihre Hände klammerten sich plötzlich wie Zwingen an seinen Unterschenkel. Dann spürte er ihre Nase, ihren Mund an seiner Hose entlangstreichen ... Sie wird doch nicht! Doch sie tat es: Ihre spitzen Zähne senkten sich durch die dunkle Hose des Anzuges in Markos’ Fleisch.

Sein gellender Schmerzensschrei hallte zusammen mit ihrem Gelächter durch die Flure von Haus Truchsky. Wutentbrannt griff er in das lange Haar, das sich in Locken über Irinas Kopf ergoss, und zog sie nach oben. Markos fasste nicht, dass sie dabei lachte. Er zwang ihren Kopf neben sich auf die Chaiselongue und ließ seine Rechte über ihren Hintern donnern, dass ihr schon bald die Luft zum Lachen ausblieb. Das Klatschen, ihr Keuchen und das Tacken des Schlosseraktes waren die einzigen Geräusche, die man minutenlang in dem Zimmer vernehmen konnte.

Markos hielt inne. Seine Hand war warm und schmerzte etwas, aber sicher nichts im Vergleich zu dem, wie sich Irinas Hintern anfühlen musste. Sie schluchzte! Er sah, dass die Chaiselongue neben ihrem Kopf nass war. Hatte sie geweint?

Der Schlosserakt klickte ein letztes Mal. Markos wusste, dass er die richtige Kombination gefunden hatte, jetzt würde er das Schloss öffnen. Beruhigend strich er mit der flachen Hand über Irinas Hintern und beobachtete die Tür. Das Kästchen summte und drehte sich hin und her, wie ein Käfer, der über einen zu großen Kiesel klettert.

„Was ist das ...“, fragte Irina zaghaft.

„Shhh!“, unterbrach er sie. „Alles wird gut, mein Mädchen!“ Der Knauf drehte sich, und die Tür schwang geräuschlos auf. Markos’ Mundwinkel zuckten. Er griff unter Irina, um sie zur Seite zu heben, als sie die Beine zusammenpresste und sich mit einem Stöhnen im Bezug der Chaiselongue verbiss.

Markos schaute auf den schlanken, sich windenden Rücken hinunter. Er spürte Irinas Brüste, die sich gegen sein Bein pressten, und war sich entfernt seiner Hand bewusst, die zwischen ihren Beinen über das nasse Höschen nach unten fuhr.

Sie, sie genießt das! Und ich auch! Hölle! Markos bemerkte, wie ihr Anblick ihn erregte.

Irina schüttelte sich, zuckte und trommelte mit den Füßen auf den Boden. Seine Hand wurde dabei fast zerquetscht. Schließlich lag sie still und atmete tief und ruhig.

Markos hob sie vorsichtig von seinem Schoß und stand auf. Sie streckte sich seitlich aus, ein feines Lächeln lag auf ihren Zügen. Er löste ihre Hände aus seinen und legte sie auf ihre Brust. Irina klammerte sich an die Ketten, die dort entlang liefen. Es sah fast so aus, als würde sie einschlafen wollen. Nur um sicherzugehen, neigte sich Markos zu ihr hinunter.

„Ruh dich aus, schlaf!“ Und aus einer spontanen Eingebung heraus fügte er hinzu. „Das nächste Mal trägst du etwas Schwarzes darunter, passend zu deiner Seele, oder du wirst es bereuen!“

Irina hielt den Atem an. „Ja ... Herr!“

Markos starrte zur Tür, dann auf sie herunter und wunderte sich. Über Irina und über sich selbst. Was ist los mit dir! Du verachtest diese Adeligen mit ihren Spielchen! Das war ein einmaliger Fehler! Du musstest das machen, sonst hätte sie dich verraten.

Doch eine leise Stimme in seinem Kopf sagte ihm, dass er auch einen anderen Weg gefunden hätte, sie zum Schweigen zu bringen. Markos ging zur Tür und richtete dabei seine Hose. Dann nahm er seinen Stock, steckte den Schlosserakt ein und betrat das dunkle Whiskyzimmer.

 

#

 

Die Hand auf dem Türknauf wartete Markos, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Er nutzte die Zeit, um durchzuatmen und sich zu sammeln. Der Whiskyraum war ein kleiner, quadratischer Raum ohne Fenster. Ein versteckter Rückzugsort, wie es ihn in vielen Herrenhäusern der Oberschicht gab. Vier Türen führten hinein, bis auf die Tür zum kleinen Salon lauter Tapetentüren. Markos hoffte, dass man vergessen würde, eine Wache abzustellen, wenn sich Von Kladen in das rote Zimmer begab.

Als sich seine Augen auf die Dunkelheit eingestellt hatten, ging Markos vorsichtig weiter in den Raum hinein. Schwere Sessel standen in einem lockeren Kreis um zwei kleine runde Tische. Der Raum hatte seinen Namen nicht von ungefähr. Der Geruch nach Zigarren und Whisky stand in der Luft. An den Wänden hingen die ausgestopften Köpfe von Wildschweinen und Hirschen. Sie mufften ein wenig. Markos verstand nicht, warum jemand sich tote Tiere an die Wand hängte. Aber er verstand viele Dinge nicht, die in der Oberschicht der Stadt gang und gäbe waren.

Er kontrollierte die anderen Türen, sie waren ohne Rahmen eingepasst. Laut seinem Informanten würden sie sich mit einem Knopf oberhalb der Tür öffnen lassen. Markos vergewisserte sich, dass die Knöpfe alle an den beschriebenen Stellen waren, bevor er den Spion an der Tür zum roten Zimmer öffnete.

Der Raum dahinter war hell erleuchtet. So hell, dass Markos blinzeln musste. Elektrisches Licht, dachte er. Faszinierend! Diese Errungenschaft breitet sich wirklich schnell aus. Abgesehen von einem Dienstmädchen in einem viel zu kurzen Kleid, das das Bett machte, war noch niemand da.

Markos nahm den Hut ab, zog den Mantel aus und legte alles sorgsam über den nächsten Sessel. Er kontrollierte seine Ausrüstung. Die Armbrust war gespannt, Bolzen und Draht saßen richtig. Zufrieden schob er den Ärmel wieder nach unten und stellte einen handtellergroßen quadratischen Würfel auf den Tisch. Als er diesen auseinander zog, begann der Kasten zu summen, und ein dunkelgrünes Licht breitete sich im Raum aus. Anzeichen dafür, dass Aether hier ausreichend vorhanden war. Seine Aetherlaterne war, genau wie der Schlosserakt, nicht auf Batterien angewiesen - sie nutzte den Aether, der ständig um sie herum vorhanden war. So verhielt es sich mit den meisten der einfachen Gegenstände, die die Aetheringenieure herstellten. Die Laterne diente Markos dabei als einfacher Hinweis, wie stark der Aether um ihn herum war. Ein nützlicher kleiner Gegenstand. Man musste nur vorsichtig sein, dass es nicht zu einer Entzündung kam.

Markos stellte seinen Shillelagh neben sich und kontrollierte den Sitz des Kampfmessers unter seiner linken Achsel, dann den der kleinen klappbaren Klinge an seinem Gürtel. Die beiden Messer waren die einzigen offensichtlichen Waffen, die er bei sich trug. Die Armbrust betrachtete Markos nicht als Waffe, sondern als Transportmittel. Außerdem erschienen ihm Pistolen und Gewehre so ... unzuverlässig. Der Besitz hätte auch schnell zu viele Fragen aufgeworfen, ein Messer und ein Stock dagegen waren jedem Gentleman zu gestatten.

Nach und nach verstaute Markos jedes Teil wieder an seinem Platz. Zuletzt griff er in seinen Zylinder, löste ein glänzendes Kästchen daraus und hielt es an seine Stirn. Matte Stahlscheiben glitten auf Knopfdruck wie ein Fächer über seine Stirn, die Nase sowie um die Augen und verjüngten sich dann zu zwei dünnen Schnüren, die sich an seinem Hinterkopf ineinander hakten. Etwas theatralisch, aber die Maske erfüllte ihren Zweck. Niemand würde ihn so erkennen. Andererseits konnte er jetzt auch nicht mehr so tun, als wäre er ein einfacher Gast, der sich verirrt hatte.

Als er in seinen Mantel schlüpfte, hörte er Schritte. Eine Tür, die auf- und zuging. Gedämpftes Lachen. Etwas knallte auf einen Tisch, der sich dabei verschob.

Aber all das kam von der gegenüberliegenden Seite. Markos spitzte die Lippen. Ablenkung konnte er jetzt gar nicht gebrauchen. Er setzte den Zylinder auf, ging mit dem Stock in der Hand hinüber und öffnete den Spion.

Das Zimmer dahinter sah merkwürdig aus. Markos fühlte sich zuerst an ein Ankleidezimmer der Dienstboten erinnert, denn an den langen Seiten der Wände standen mehrere schwer behangene Holzständer. Doch der Tisch und das Bett auf der rechten Seite zeichneten ein anderes Bild. Schwerer Samt breitete sich auf ihnen aus, und Markos musste genau hinschauen, um die ledernen Schlaufen und das goldene Aufblitzen der Messingschnallen im Kerzenlicht zu sehen. Diese befanden sich in ausreichender Menge sowohl an dem Tisch als auch an den Pfosten des großen Bettes. Sein Blick schweifte zurück, und nun sah er auch die Peitschen, Stöcke und Ketten zwischen den Kleidern hängen.

Die drei Männer, die um den Tisch herumstanden, waren offensichtlich keine Dienstboten. Die Männer an den Tischseiten - einer blond, der andere hatte gar keine Haare - trugen die Kleidung von Kammerdienern. Sie hielten eine junge Frau fest, die wild um sich schlug, während der Dritte seinen Frack auszog und über einen klobigen Stuhl hängte. Aus seiner Nase tropfte Blut in den stutzerhaften Schnurrbart, und unter dem rechten Auge prangte ein waagerechter Schnitt. Die spärlichen Haare standen ihm wirr nach allen Seiten ab, und dunkle Schweißflecken hatten sich unter seinen Achseln gebildet. „Haltet das Biest fest! Sie hat einen festen Schlag!“ Die Augen des Mannes funkelten böse und er knöpfte seine Hose auf. „Ich habe gehört, diese ist was Besonderes. Keine andere hält so viel Schmerzen aus. Sie hat es verdient, dass ich dies erprobe!“

Nur ein weiteres der frivolen Spiele, die jeden Abend in diesem Haus veranstaltet werden. Markos wollte sich schon abwenden. Da schlug die Frau dem Blonden ihr Knie gegen die Schläfe. Es musste ein tüchtiger Hieb gewesen sein, denn seine Hände glitten von ihr ab und er torkelte wie ein Betrunkener gegen einen der Kleiderständer. Sie wand sich aus dem Griff des Glatzköpfigen, rollte sich nach links vom Tisch und rannte auf Markos zu.

Ein Mädchen? Und sie weiß von der Tür! Sie war dreizehn, höchstens vierzehn Jahre alt und hatte die dunkelsten Augen, die Markos je gesehen hatte. Ihre schwarzen Haare schlugen wirr und verfilzt in unterschiedlich langen Zöpfen um ihren Kopf, als sie, so schnell sie ihre dürren Beine trugen, auf die Tapetentür zueilte. Ihr braunes Kleid war mehrfach geflickt und es sah aus, als wäre sie ihm schon vor längerem entwachsen, es war viel zu kurz und zu mädchenhaft. Dennoch schlotterte es an ihrem dünnen Körper. Und es wurde ihr zum Verhängnis!

Der Diener stützte sich am Kleiderständer ab und angelte mit ausgestreckter Hand nach ihrem Arm. Sie zuckte zur Seite und rannte weiter, doch er bekam stattdessen ihren Rocksaum zu fassen. Es gab einen hässlichen Ruck und das Mädchen stürzte, der Mann verlor ebenfalls das Gleichgewicht und fiel mitsamt der Garderobe neben sie.

„Haltet sie doch fest, ihr Bauern! Und passt auf ihre Beine auf!“, schniefte der Mann mit der blutigen Nase. Seine beiden Diener stürzten sich erneut auf das Mädchen, das nur aus Armen, Beinen und dunklen Haaren zu bestehen schien. Sie zogen sie unter sich, die beiden erwachsenen Männer ächzten unter der Anstrengung, alle Gliedmaßen des Mädchens festzuhalten. Sie wollte einfach nicht aufgeben!

„Hier, ich habe etwas für dich, meine Teure!“ Der Herr zog ein Glasfläschchen aus seiner Tasche und entkorkte es. „Hmmm!“ Er atmete genießerisch darüber ein und kniete sich dann auf den Rücken des Mädchens. „Das willst du doch, nicht wahr? Na komm!“ Er zog ihren Kopf hoch und führte das Fläschchen vor ihren Mund. Sie schüttelte sich, doch es war vergeblich. Zu fest hielten die beiden Männer sie. Sie hob den Blick zu der Tür und es war Markos, als würde sie ihm direkt in die Seele blicken. Unmöglich, das kann sie nicht! Es ist zu dunkel hier! Das grüne Flackern der Laterne strafte seine Gedanken im gleichen Moment Lügen.

Die Lippen des Mädchens formten Worte, halb verborgen von der Flasche, aber er wusste auch so, was sie sagte. Es waren die gleichen Worte, die auch Emilias Lippen geformt hatten. Hilfe! Hilf mir! Bitte! ... Bitte!

Markos schloss die Augen und lehnte sich gegen die Tür. Seine Stirn berührte das kalte Metall um die Linse des Spions, aber in Gedanken war er weit weg. Bei jenem Tag, als sie Emilia mitgenommen hatten. Als Von Kladen und seine Freunde den Frieden und das Glück ihrer Familie zerstörten. Emilia hatten die Worte nichts genutzt. Und deswegen muss ich stark bleiben. Von Kladen ist mein Ziel! Ich habe geschworen, ihn zu finden und seinem Treiben Einhalt zu gebieten. Es tut mir Leid, kleines Mädchen, ich kann dir nicht helfen!

Markos hörte schwache Geräusche von der anderen Seite. Der offene Spion des Konferenzzimmers erhellte sich. Von Kladen musste endlich eingetroffen sein. Der Zeitpunkt war gekommen. Er straffte sich, trat von der Tür zurück und seine Knöchel verkrampften sich um den vertrauten Knauf des Gehstocks. Mit der anderen Hand tastete Markos nach seinem Messer. Er machte zwei Schritte, blieb bei der Laterne stehen und warf einen Blick zurück.

Drei Männer gegen ein kleines Mädchen und niemand da, der ihr helfen kann. Wird es immer so sein?

 

#

 

Zur Hölle mit Von Kladen! Wir sehen uns ... bald!

Markos riss die Tür auf und spazierte in das Spielzimmer. Sein offener Mantel strich noch am Rahmen entlang, während sein Zylinder durch ein Nicken in seine Hand fiel. Mit einer schnappenden Bewegung des Handgelenkes schleuderte er dem linken Mann seine Kopfbedeckung ins Gesicht.

„Verzeihung!“, murmelte Markos, machte einen Ausfallschritt zur Seite und zog dem Mann zur Rechten die Stockspitze quer über den Mund. Blut spritzte auf. Der Mann schrie und wälzte sich vor Schmerzen nach hinten.

„Ich kann einfach nicht daneben stehen ...“ Über den Kopf des Mädchens hinweg trat er nach dem Schädel des Blonden. Zum Glück nahm der gerade den aufgefangenen Zylinder herunter. Markos’ Fußspitze machte somit explosive Bekanntschaft mit dessen spitzem Kinn. „Und zusehen, wie solche Ratten wie ihr ungeschoren durchs Leben kommt.“ Es knackte hässlich und der Kopf ruckte nach oben. Etwas, das ein Zahn sein konnte, prallte von der Decke gegen Markos’ Revers. Der ehemalige Besitzer fiel wie ein Sack in sich zusammen.

„Wer ... wer seid Ihr?“, stammelte der Anführer mit der blutigen Nase. Er rutschte von dem Mädchen herunter und stolperte nach hinten. Dabei suchte seine Hand hektisch in den Taschen seiner Hose.

Markos sprang über das Mädchen hinweg, das nicht im Mindesten reagierte. Sein Gegenüber zuckte zurück und rief: „Räuber, Hilfe! Man helfe mir!“ Markos hätte beinahe gelacht ob der verdrehten Parallele. Als er auf den Mann zuschnellte, um weiteren Lärm zu verhindern, kippte dieser einen der Kleiderständer zwischen sie und floh zur Tür. Markos sprang, doch sein Fuß verfing sich in etwas, das aussah wie ein Pferdegeschirr - was das hier machte, entzog sich seiner Vorstellungskraft - und er krachte der Länge nach gegen das Tischbein. Autsch!

Der Fliehende hörte den Sturz. Er drehte sich in sicherem Abstand an der Tür um. Aus der Tasche zog er eine zweischüssige Taschenpistole. Erleichterung machte sich auf seinem Gesicht breit. Er atmete schwer aus. „So, damit ist dieses Intermezzo beendet!“

Markos schaute zurück. Das Mädchen regte sich noch immer nicht. Der Mann mit dem gebrochenen Kiefer war bewusstlos. Der andere kam mit blutigem Mund und stieren Augen auf ihn zu. Seine Lippe war gespalten und sein Gang nicht ganz sicher, aber sein Blick war unverwandt auf Markos gerichtet.

„Ja, ist es wohl!“, sagte Markos. Er hob den Arm und löste die Armbrust aus. Der Metallbolzen durchschlug die Schulter des Anführers und heftete ihn an die Tür. Die Pistole fiel auf den Boden, und ein Schuss löste sich laut, aber harmlos aus der Waffe. Einen Lidschlag später begann die Winde zu summen.

Oh nein, dachte Markos und griff nach seinem Messer - zu spät. Diesmal war der Ruck nicht ganz so schlimm. Oder seine Schulter konnte nicht mehr schmerzen, als sie es sowieso schon tat. Markos wurde nach vorne gerissen, direkt auf den festgenagelten Mann zu, der ihm mit schreckgeweiteten Augen entgegenblickte. Dann knallten sie zusammen und gegen den Türrahmen, dass sogar der Putz von der Wand rieselte. Markos schnitt mit einer schnellen Bewegung den Draht durch.

Der Mann sackte zusammen und hielt sich seine Schulter, aus der das kurze Ende des Drahtes wie ein blutiger Wurm herausrutschte. „Nein, nein, oh Gott! Tut das weh!“, wimmerte er.

Markos wirbelte herum, keinen Augenblick zu früh! Der Glatzkopf stürzte sich mit vorgestreckten Armen auf ihn und schloss seine groben Hände um Markos’ Hals. Blut tropfte von der gespaltenen Lippe, die den Blick auf drei abgebrochene Schneidezähne freigab. „Ich bring dich um, du Hundsfott!“ Feine Tropfen besprühten Markos’ Wange.

Er versuchte, Atem zu holen. Doch es rasselte nur etwas und er merkte wie seine Halsschlagadern unter dem Griff des Mannes anschwollen. Also rammte er das Messer von unten in dessen linken Oberarm. Augenblicklich ließ der Druck nach. Der Mann schrie so laut, dass es in Markos’ Ohren klingelte. Er packte zu und schleuderte den Angreifer, Gesicht voran, gegen die Wand.

Endlich hörte das Schreien auf, oder besser gesagt, wurde abgelöst von dem sanfteren Wimmern des Anführers. Markos beugte sich zu ihm herunter, und der Mann zuckte verschreckt mit den Armen. Doch Markos zog nur vorsichtig das Seidentuch aus dessen Brusttasche und wischte sich damit die Blutspucke des Dieners vom Gesicht.

Vor der Tür waren Schritte und Rufe zu vernehmen.

Zeit zu verschwinden!

Markos ließ sein Messer, wo es war, nahm jedoch seinen Stock auf und schaute nach dem Mädchen. Es lag noch immer, wo es zu Fall gekommen war. Er drehte sie um und strich ihr die Strähnen aus dem Gesicht. Die verfilzten Haare ergossen sich wie eine dunkle Flut von Tentakeln über seine Hände. Ihre dunklen Augen waren weit aufgerissen, doch sie bewegten sich nur langsam und schienen einen Punkt in weiter Ferne zu fixieren. Es sah aus, als würde sie schlafen. „Verdammte Adelige!“, brummte er und legte sich das Mädchen über die linke Schulter. Es kam ihm nicht schwerer vor, als würde er eine Katze auf der Schulter tragen. Markos setzte seinen Zylinder auf und gemeinsam verließen sie das Zimmer.

 

#

 

Als er die Tür zum Whiskyzimmer durchschritt, empfing ihn das grüne Licht der kleinen Laterne. Markos zögerte. Es war unwahrscheinlich, aber er musste sich zumindest vergewissern. Also ging er zur anderen Seite und spähte durch den Spion.

Das rote Zimmer war leer. Nichts. Niemand war mehr dort, nicht einmal das Dienstmädchen. Einzelne Blätter lagen auf dem Tisch und auf dem Boden verstreut, das Bett war zerwühlt, wie bei einem gehetzten Aufbruch. In einem Aschenbecher aus Jade rauchte eine Meerschaumpfeife einsam vor sich hin.

Markos schlug mit der flachen Hand gegen den Rahmen der Tür. Der Schmerz half ihm, sich wieder auf das Wichtige zu konzentrieren. Wir müssen hier raus, und zwar schnell. Ob Irina noch wartet?

Schon öffnete sich die Tür zum kleinen Salon. Zwei Pistolenläufe richteten sich auf Markos. Diese gehörten zu Wachen des Hauses, die sich nun Zutritt zum Whiskyzimmer verschafften. Sie waren leicht zu erkennen an dem blauen Revers.

„Bewegt Euch nicht!“, erschallte es aus dem Salon, und Markos erblickte einen stämmigen Sergeant mit einer weiteren Wache, die neben Irina standen. Die Adlige hatte ihr Oberkleid wieder angelegt und ihre Frisur gerichtet. Von den Ketten fehlte jede Spur.

Als ihre Blicke aufeinandertrafen, bildeten sich kleine Grübchen auf Irinas Wangen. „Oh ja, Sergeant! Das ist der Mann! Dieser Vermummte hat mich bedroht. Legt ihn in Ketten!“ Das Wort Ketten schnurrte sie fast, als sich ihre lackierten Fingernägel anklagend in Markos’ Richtung ausstreckten. Die Wachen kamen daraufhin von beiden Seiten um den Tisch auf ihn zu.

„Seid nicht zimperlich mit dem Mann! Gewalt ist ihm nicht fremd!“, fügte Irina immer noch lächelnd hinzu. „Danach schickt ihr ihn gut verpackt zu unserem Anwesen!“ Sie lächelte frech in seine Richtung, als wolle sie sich an diesem Spaß ergötzen.

Markos war gerade nicht nach spaßen zumute. Es sah so aus, als wären die Wachen auf Irinas Befehl hier. Aber sobald die Männer im Spielzimmer gefunden wurden, würde er sicher nicht mit ein paar Ketten und einer unbequemen Kutschfahrt davonkommen. Und das konnte jeden Moment so weit sein.

Der Sergeant verbeugte sich beflissen vor Irina und klappte sein Dienstbuch zu, in dem er etwas notiert hatte.

„Hände hoch und legt den Stock auf den Tisch!“, befahl die linke Wache.

„Was denn nun? Beides gleichzeitig geht nicht!“

„Sehr vorwitzig! Und lasst die Frau runter. Was habt Ihr mit ihr gemacht? Wenn sie Schaden erlitten hat, steckt Ihr in großen Schwierigkeiten!“

„Es geht ihr gut! Aber auch nur, weil sie jetzt bei mir ist!“ Markos streckte die Hände beschwichtigend nach vorne und legte den Stock langsam auf dem Tisch vor sich ab. Die beiden Wachen nahmen ihn in die Mitte. Der Rechte beugte sich nach hinten, um sich das Mädchen genauer anzusehen.

Jetzt! Markos wischte die Laterne mit dem Stock vom Tisch. Es klirrte und eine grüne Stichflamme rannte wie ein Derwisch über den Tisch, bevor sie sich mit einem lauten Knall im ganzen Raum ausbreitete. Markos rammte der linken Wache seine Schulter in die Brust. Dessen Pistole glitt an Markos’ Oberarm entlang, als der Hahn knackte. Ein Schuss löste sich, doch er ging unter im Geschrei und der grünen Explosionswolke, die durch den Raum und aus der offenen Tür herauswallte. Eine Aetherverpuffung!

Markos stolperte über die stürzende Wache und hetzte in Richtung Salon. Immer hinter der grünen Welle her. Alle anderen warfen sich in Panik auf den Boden.

Eine Aetherverpuffung sah spektakulär aus, aber sie war so gut wie harmlos, wenn man wusste, worauf man achten musste. Markos war sich da zwar nicht sicher, aber bereit das Risiko einzugehen. Er stieß der Wache an der Tür den Shillelagh in den Bauch und taumelte in den kleinen Salon, vorbei am Sergeant, der sich schützend über Irina wälzte. Es sah schmerzhaft aus, wie der schwere Mann auf ihren Rücken robbte.

Sie steht ja auf sowas. Markos’ Mundwinkel zuckten. Er rückte das Mädchen auf seiner Schulter zurecht, nahm das kleine Messer in die Linke und duckte sich durch die angrenzende Tür ins Arbeitszimmer.

„Haltet den Mann auf. Steht nicht so rum!“, schrie der Sergeant seinen Männern zu.

Aber es war schon zu spät. Markos eilte auf den Balkon und hatte genug Zeit, um genau zu zielen. Der Bolzen schlug im Giebel des gegenüberliegenden Hauses ein. Er sprang! Die Winde begann zu summen und zog sie in einem Bogen vom Haus weg, raus auf die Straße. Aber diesmal war er bereit. Er löste den Draht mit dem kleinen Messer und sie fielen nur einen Meter tief auf die Pflastersteine. Dennoch, der Schwung riss ihn von den Beinen. Zwei Schüsse schlugen funkensprühend neben ihnen auf dem Pflaster ein. Er warf das reglose Mädchen hektisch über seine Schulter und rannte in die Dunkelheit, so schnell ihn seine Beine trugen.

Wohin mit ihr?

Kapitel 2

Mitbewohner

 

Die Federn der grün geblümten Couch quietschten erbärmlich, als Markos das Mädchen vorsichtig ablegte. Erschöpft streckte er den Rücken durch. Sie bestand nur aus Haut und Knochen, trotzdem hatte er das Gefühl, als hätte er den ganzen Tag auf dem Feld Kartoffeln gepflanzt. Er zog den Mantel aus und warf ihn über die hölzerne Lehne der Couch. Der Shillelagh landete daneben.

Was jetzt? Das Mädchen schien nicht mehr so benommen wie zu Beginn, doch sie sagte noch immer nichts.Nur ihre Augen folgten ihm. Er verzichtete auf die großen Laternen und entzündete den Docht einer einzigen Kerze, die auf dem Hals einer leeren Weinflasche thronte. Er stellte die Flasche auf den Dachbalken über der Couch und ein flackernder Kreis aus Licht breitete sich um sie aus.

Markos ließ seinen Blick durch den Werkraum wandern, den er sich mit Stephan teilte. Es war der Dachboden eines ehemaligen Kontors und der vergangene Duft der Handelsgüter, hauptsächlich Gewürze und Rum, die hier gelagert worden waren, hing noch immer im Gebälk und den ausgetretenen Dielen. Vor den durch das Mondlicht erhellten Fenstern stand Stephans Werkbank rechts, seine eigene links. Schwere hölzerne Tische mit genügend Zwingen und Löchern, das man damit zwei Schreinerstuben hätte ausrüsten können. Rings um die Werkbänke herum hingen Werkzeuge, die den Eindruck machten, man sei in den Traum eines verrückten Uhrmachers geraten.

Markos schlängelte sich durch das Gewirr von Metallplatten, Schrauben, Glaskugeln und anderen Geräten bis zu seiner Werkbank. Er schnallte die Armbrust ab und legte sie vorsichtig auf eine längliche Halterung mit zwei Klammern, die sich auf den Druck hin schlossen, den Markos auf die Armbrust ausübte. Ein Schnippen und schon fiel die kleine Aetherbatterie aus ihrer Halterung. Markos fing sie auf und schloss die Faust darum.

Versagt! Er hatte erneut versagt. Wann würde sich wieder eine Gelegenheit bieten, Von Kladen so nahe zu kommen? Ein Stich durchfuhr seinen Kopf, als er an das leergefegte rote Zimmer dachte. An die noch rauchende Pfeife. Der Druck, der seine Brust umklammerte, nahm zu. Er wurde fast unerträglich. Markos keuchte. Er rang um Kontrolle und spürte doch das Feuer der Frustration in seinen Adern fließen. Seine Hand zitterte, die Knöchel seiner Faust wurden weiß.

Nein! Nicht jetzt! Nicht hier!

Markos griff hilfesuchend nach seinem Anhänger. In Gedanken begann er die Verse seines Großvaters zu rezitieren. Seine Fingerspitzen fuhren den Rillen auf der kleinen silbernen Scheibe nach. Sie stimmten mit denen auf seinen Schultern überein und halfen ihm, sich darauf zu konzentrieren ...

Doch es war bereits zu spät. Seine Sicht verengte sich und es war, als würde sich ein roter Schleier über seine Umgebung legen. Mit einem Schrei trat er gegen den Stock. Er fuhr durch eine Reihe aufgehängter Glasphiolen, deren Inhalt sich beim Zersplittern in einem Sprühnebel auf die rote Regalwand dahinter ergoss. Seine Füße traten links und rechts gegen Kisten und Schalen. Seine Faust hämmerte in zerstörerischer Wut gegen den Stützbalken, dass die Kerze schwankte. Irre schreiend eilte Markos durch den Raum, unaufhaltsam auf seinem Vernichtungsfeldzug.

Die Augen des Mädchens blinzelten. Zögernd, als müsste sie erst die Kontrolle über ihre Gliedmaßen erlangen, hob sie die bestrumpften Füße außer Reichweite der hin und her schlitternden Metallplatten und zog sie unter sich auf die Couch. Schrauben, Muttern, Holzpaneele flogen durch die Luft. Glassplitter knirschten unter den Absätzen von Markos’ Stiefeln, während er Verwünschungen ausstieß. Schließlich kam er schwer atmend zu stehen. Gestützt auf seine leer gefegte Werkbank.

Er keuchte und sah an der Kante vorbei die Armbrust am Boden liegen. Die vordere Klammer war aufgegangen und der Holzschaft gesplittert. Die Feder musste beim Aufprall aus der Fassung gesprungen sein, ihre Kraft hatte den Schaft zerrissen. Schon wallte erneut dieses Gefühl in Markos auf.

„Bei den sieben grünen Höllen!“, stöhnte er und schob das Gefühl zur Seite, sperrte es in eine Zelle seines Geistes. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem es erneut genug Kraft gesammelt haben würde, um die Fesseln zu brechen. Markos’ Finger fuhren über den Anhänger.

 

#

 

„Toll Markos! Das war eine ausgezeichnete Leistung von dir!“ Das betont langsame Händeklatschen kam von der hölzernen Wendeltreppe, die hinunter in die Wohnung führte. Markos teilte sich auch die vier kleinen Zimmer dort mit Stephan. Genau wie den Arbeitsraum hier oben.

Markos strich sich die Haare aus der Stirn, setzte sich auf seinen Arbeitsstuhl und schaute der unweigerlichen und gerechtfertigten Standpauke entgegen.

Stephan kam die Treppe herauf. Er war wütend, seine Zähne bearbeiteten ausgiebig seine Unterlippe, während er das Ausmaß der Verwüstung überblickte. Sein strohblondes Haar schaute wüst unter der weißen Nachtmütze hervor. Dazu trug er einen blauen, zerknitterten Pyjama, was Markos sagte, dass Stephan nicht auf dem Ball unterwegs gewesen war.

„Amüsierst du dich gut dabei, unsere Werkstatt zu zerstören, mein Lieber?“

„Habe ich dich geweckt? Ich dachte, du warst auf dem Schwarzauer Eisfest?“, lenkte Markos ab.

„Das Eisfest?“, Stephans blaue Augen schauten nachdenklich nach oben und er stemmte die Hände in die Hüfte. „Das habe ich vorzeitig beendet“, gab er dann zu. „Es war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte! Nichts Besonderes!“

„Aber du hast die ganze letzte Woche ...“

„Hör auf!“, unterbrach Stephan ihn. „Was soll das hier! Bist du vom Teufel besessen? Das ist unser Arbeitsplatz, den du hier zerstörst. All unser Geld steckt in den Materialien, die sich in diesem Raum befinden. Wie sollen wir unsere Abschlussarbeiten fertig stellen, wenn du die Aetherfänger oder die Kupferleitungsmaschine beschädigst! Hast du dir darüber überhaupt Gedanken gemacht? Wenigstens steht das Regal mit den Versuchsprojekten noch. Was ist nur mit dir los?“, fauchte er Markos an. „Wenn du Dampf ablassen musst, dann gehe in eine Wirtsstube am Fluss oder suche dir eine Prostituierte!“

Stephan kam ganz nach oben, schritt in die Mitte des Raumes und drehte sich vorwurfsvoll um sich selbst. Dabei fiel sein Blick zum ersten Mal auf das Mädchen, das auf der Couch saß, und er stockte in seinem Redefluss.

„Was? ... Wer ist das?“ Er besann sich und trat näher an sie heran. „Verzeihung, ich meine, ich wollte natürlich sagen: Wer seid Ihr? Darf ich Euren Namen erfahren, Fräulein?“

Markos massierte seine schmerzende Schläfe und seufzte. „Sie ist noch ein Mädchen, kein Fräulein, und sie spricht nicht!“

„Oh!“, sagte Stephan nur. „Und ich dachte schon, du hättest meinen Rat beherzigt.“

Das Mädchen schaute unter der wirren Flut ihrer verfilzten Haare zu Stephan auf und versuchte, ihr zu kurzes Kleid über die angezogenen Knie zu ziehen.

Markos stand auf und ging zu ihr hinüber. Die Bewegung deutete darauf hin, dass sie wieder zu sich kam. Er ging in die Hocke und betrachtete sie genauer. Sie war ziemlich verdreckt. Ein rauer Schnitt unter ihrem Auge zauberte eine rote Linie über die sanft geschwungenen Wangenknochen. Zwei dunkle Augen unter langen Wimpern fixierten ihn mit dem Blick, der ihn schon in der Villa bis in die Seele getroffen hatte. Die vollen Lippen waren fest zusammengepresst, als wollte sie sicher gehen, dass ihr auch ja kein Laut entfloh. Eine kleine Schönheit unter dem ganzen Schmutz. Sie wird Herzen brechen, wenn sie erblüht - falls sie so lange lebt!

Laut sagte er: „Sie braucht etwas zu essen und ein paar saubere Sachen. Können wir danach weiter streiten?“

Stephan brauchte einen Moment, dann nickte er zum Einverständnis. Er betrachtete das Mädchen, beugte sich vor und schnupperte in ihre Richtung, bevor er Markos mit zusammengezogenen Augenbrauen anstarrte. „Ich habe noch ein paar Kleider und Unterwäsche, die ihr passen könnten. Ich lege es auf die Treppe, ich erwarte dich dann am Ofen!“

„Du hast Frauenkleider?“, fragte Markos spöttisch.

„Ja!“ Stephan drehte sich noch einmal um und warf die Hände in die Höhe. „Ob du es glaubst oder nicht, ich kenne einige Frauen und manchmal übernachten sie sogar hier!“ Damit verschwand er nach unten.

Markos nahm ein feuchtes Tuch und wischte vorsichtig über das Gesicht des Mädchens. Sie schaute ihn dabei nur an. Schließlich legte er ihr das Tuch in die Hand und ging nach unten, um ihr etwas zu essen zu holen. Er stellte die Suppe vom Vortag auf den Herd, warf drei Scheite auf die Glut und schnitt einige Scheiben Brot.

Anschließend verschlang sie die Suppe und das Brot wie ein Wolf, aber immer noch schwieg sie. Die Kleider, die Stephan auf die Treppe gelegt hatte, würden ihr alle zu groß sein, doch besser als das geflickte, braune Ding, das sie trug.

Er legte dem Mädchen die Kleider zusammen mit einer Decke auf die Couch. „Schlaf! Ruh dich aus! Wir überlegen morgen, was wir mit dir machen! Vielleicht hast du dann ja auch deine Stimme wiedergefunden.“ Er drehte sich, blies die Kerze aus, als er ein Rucken an seinem Hosenbein spürte. Sie war an den Rand der Couch gerutscht und hatte ihre Hand an der Naht seiner Hose verkrampft. Die andere stopfte sich gerade die dritte Scheibe Brot in den Mund.

Markos bückte sich und löste die Hand von seiner Hose. „Keine Angst! Hier wird dir nichts passieren! Es gibt nur den Aufgang durch die Treppe und ich bin direkt ein Stockwerk tiefer!“ Sie sah ihn an, als verstünde sie nicht, was er sagte, aber sie blieb sitzen, als er hinunter ging.

 

#

 

Stephan erwartete ihn in dem kleinen Zimmer, das sie scherzhaft das Herrenzimmer nannten, auch wenn es nichts anderes als der Flur war, den sie sowohl als Küche als auch als Aufenthaltsraum nutzten. Immerhin stand hier der große Ofen, zwei Sessel, ein wackelnder Esstisch und auf Regalen, die sie unter die Decke genagelt hatten, drei Dutzend Bücher. Mehr passte auch nicht hinein.

Stephan hatte es sich auf dem guten braunen Sessel bequem gemacht, so dass Markos gezwungen war, sich an ihm vorbeizupressen, um in dessen dunkelgrauem Pendant Platz zu nehmen. Eine Feder hatte sich durch das Sitzpolster gebohrt und wenn man nicht aufpasste, konnte sie einen übel verletzen. Im besten Fall saß man unbequem auf die Polsterhälfte gequetscht, die noch in Ordnung war.

Auf dem Ofen standen zwei Tassen neben einer alten, grünen Metallkanne. Ihre Farbe blätterte an den Beulen, die sie durch zahlreiche Stürze erhalten hatte, ab. Man konnte erahnen, dass dies nicht ihr erster Anstrich war, vielleicht nicht mal ihr zweiter. Sie hatte bereits auf dem Ofen gestanden, als Markos und Stephan hier eingezogen waren.

Markos nahm sich eine der Tassen und setzte sich vorsichtig.

„Also, was sollte das? Und wer ist das Mädchen?“, begann Stephan. In der Hand hielt er ein beschriebenes Stück Papier. Gerade jetzt faltete er es wieder zusammen und tippte sich damit abwartend auf das Knie. Ein Rest von rotem Wachs klebte noch an der Rolle und bröckelte bei jedem Tippen ein wenig ab.

Markos beschloss, in die Offensive zu gehen. „Ich weiß nicht, wer das Mädchen ist. Aber sie brauchte Hilfe. Ich war zufällig da. Du hättest das Gleiche getan.“

„Zufällig da? Wo, frage ich mich, warst du? Und ob ich das Gleiche getan hätte, wage ich zu bezweifeln, mein lieber Ingenieurskollege! Ich wäre nämlich nicht so rücksichtslos und würde eine Opiumsüchtige in unser Haus bringen, ohne dich zu fragen!“

„Opiumsüchtig.“ Markos überlegte. Ja, das könnte durchaus Sinn machen. Etwas haben sie ihr gegeben. Aber war es eine einmalige Sache, oder ist sie wirklich eine Süchtige? Der Zorn breitete sich erneut in ihm aus: Was diese Leute - Adelige natürlich - dem Mädchen antun wollten, bereits angetan hatten!

„Natürlich opiumsüchtig!“, sagte Stephan. „Hast du nicht bemerkt, wie sie riecht? Und dann dieser Blick! Und du bringst so eine hierher! Lass sie keinen Moment aus den Augen, hörst du! Ich sage dir, bei erster Gelegenheit wird sie dir die Börse klauen und verschwinden. Sage nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, mein Lieber!“ Er machte eine Pause und nahm sich die zweite Tasse vom Ofen.

Markos schaute in seine eigene und schwenkte den Inhalt. Rum, heißer Rum mit etwas Wasser und Honig.

„Sie kann nichts dafür!“, hörte er sich sagen.

„Das ist vollkommen unerheblich. Sie ist, was sie ist. Ich rate dir, sie so schnell wie möglich loszuwerden!“ Stephan hob die Hand mit dem gefalteten Zettel. „Wir haben Wichtigeres zu erledigen! Den Grund, warum ich das Eisfest verlassen habe, halte ich hier in meiner Hand: Wir wurden auserwählt als potenzielle Mitglieder der Silbernen Schwingen! Die Anweisungen für die Aufnahmeprüfung stehen hier.“

Markos winkte ab. „Interessiert mich nicht! Ich habe dir gesagt, ich will nichts mit Politik zu tun haben. Mich interessiert nur Von Kladen!“

„Von Kladen! Von Kladen!“ Stephan stand auf, öffnete den Ofen und stocherte aufgeregt mit dem Schürhaken darin herum. „Wann begreifst du endlich, dass du nicht an Von Kladen herankommst! Der sitzt auf der Burg oder fährt auf Bälle nach Wien!“

„Er ist mir entwischt! Ich hatte ihn schon fast. Er hat eine dieser dekadenten Feiern besucht, hätte ich ihn erwischt, er hätte seine gerechte Strafe erhalten.“

Stephan ließ den Haken fallen und fuhr zu ihm herum. „Du hast ihm aufgelauert? Bist du von Sinnen? Von Kladen ist der oberste Ritter des Metallordens. Sie bauen ihm gerade einen Kriegszeppelin. Er trägt die besten Waffen und Rüstungen, die man für Geld kaufen kann, und genießt die Gunst des Fürsten. Sei froh, dass du ihm nicht begegnet bist. Er hätte dich lebendig gehäutet und zum Trocknen aufgehängt, bevor du deine Forderung vorgetragen hättest.“

Stephan holte Atem und trat an Markos’ Sessel heran, die Hand mit dem Zettel erhoben. „Verstehst du nicht! Von Kladen ist unantastbar für dich. Er ist ein Adeliger und Ritter! Er ist in keiner Weise verpflichtet, auf deine Ehrenhändel einzugehen. Aber die Silbernen Schwingen könnten dein Sprungbrett in höhere gesellschaftliche Kreise sein. Und sie bieten uns neues Wissen. Aetherwissen jenseits dessen, was an der Akademie gelehrt wird! Damit hättest du vielleicht eine Chance. Nicht dass ich es unterstützen würde, dass mein bester Freund in einem Duell umgebracht wird.“

„Von Kladen ist ein Schurke. Ein niederträchtiges Monster, das man zur Strecke bringen muss! Ich habe gesehen, zu was er fähig ist. Ich weiß, wie er wirklich ist! Und ich werde nicht eher ruhen, bis der Ehre Genüge getan ist!“ Markos streckte Stephan sein Kinn entgegen. Sollte sein Freund doch denken, es ginge um einen Streit, um ein einfaches Duell. Wenn er nicht mehr wusste, konnte er auch nicht mehr verraten.

„Oh, bei den Geistern der Dampfmaschine!“, sagte Stephan. Er richtete sich auf und schüttelte den Kopf. „Dann ist er eben ein Monster, aber du bist kein griechischer Held, Markos Bodhmall! Du bist ein einfacher Student an der Akademie, dem man eine Chance anbietet. Eine Chance, Großes zu erreichen, und dumm, wenn du nicht danach greifst! Verstehst du nicht, als Mitglied der Schwingen ist es dir vielleicht möglich, ihn zum Duell zu fordern. Obwohl es bei deinen Künsten mit der Pistole besser wäre, er würde ablehnen.“

Markos musterte Stephan - die aufgeregt glänzenden Augen, den Zettel, den er wie ein Fanal in die Höhe reckte. Neues Wissen könnte mir wirklich hilfreich sein. Die Aetherbatterie funktioniert immer noch nicht, wie sie soll. Es kann ja wohl nicht schlimmer werden durch den Versuch. Dass er keineswegs ein einfacher Student war, musste er Stephan nicht noch auf die Nase binden. Sein Freund vermutete schon genug, und dieses Wissen gefährdete ihn genauso sehr wie Markos.

„Was sagen die Anweisungen denn?“, fragte er stattdessen.

Stephan ließ sich erleichtert in seinen Sessel fallen. „Da wird es erst richtig gut! Wir haben etwas bei den Jagellons zu erledigen.“ Er schwenkte zwei violette Einladungskarten. „Für die Einladungen zu ihrem Ball wurde gesorgt. Es wird erwartet, dass wir unsere Eignung unter Beweis stellen. Genaue Anweisungen folgen vor Ort.“

„Jagellon, Jagellon wie Irina Jagellon?“

„Genauso, mein Lieber! Ich sagte dir doch, ihre Eltern gehören zum hiesigen Adel. Irina wird sich wundern.“

Stephan schien sehr zufrieden mit sich, und Markos ertränkte seine Bedenken in einem weiteren Schluck Rum, während er sich sein Bein rieb. Die Stelle, an der ein Biss seinen Abdruck hinterlassen hatte.

Kapitel 3

Rat der Masken

 

Der geheime Ratssaal war ein Wunderwerk moderner Baukunst: Kreisrund und nach allen Seiten offen bot er einen atemberaubenden Blick über die goldene Stadt. Die bleigefassten Glasscheiben wurden nur von massiven, nach außen gebogenen Stahlträgern unterbrochen. An ihren Rändern wuchsen zarte Eisblumen, es sah aus wie in einem Märchen.

Doch Lucius Lokken II. hatte keinen Sinn für die zarte Schönheit, die die Aussicht auf die schneebedeckten Dächer und Türme bot. Er musterte die Ratsmitglieder der Masken. War einer von ihnen ein Verräter? Fast unvorstellbar, kannte er die meisten doch seit Jahren und war mit ihn fast so vertraut wie mit Calida, seiner Assistentin.

Jeder von ihnen trug eine Maske, ein handwerkliches Meisterstück, welches ihre Identität schützte. Daher auch der Name des Zirkels: Masken.

Die Träger wurden nach den Farben ihrer Masken benannt: Rot, Blau, Gelb, Schwarz, Weiß, Silber und Gold. Lucius’ eigene Maske hatte keine Hauptfarbe. Sie war auch mehr als einfacher Schmuck. Lucius Lokken I. hatte sie geschaffen und an ihn weitergegeben. Sie enthielt einen Schatz größer als Berge von Gold und Edelsteinen: Zugriff auf das Wissen seines verstorbenen Vorgängers. Lucius seufzte und wünschte nicht zum ersten Mal, dass sein Lehrmeister noch leben würde. Unter ihm wäre es sicher nicht zu solch einer Situation gekommen.

Lucius Lokken I. war ein Genie gewesen, seine Entwicklungen bahnbrechend. Neben ihm kam sich Lucius nur wie ein Verwalter vor. Und wie es aussah, hatte er schlecht verwaltet. Die Masken waren in einem Krieg, und sie verloren ihn. Ausgerechnet jetzt, wo er die Last des Alters zu spüren begann. Aber das Schicksal nahm keine Rücksicht auf seine Befindlichkeiten. Er konzentrierte sich auf die Diskussion, die am Tisch hin und her ging. Seine Kollegen erwogen tatsächlich, mit ihren Traditionen zu brechen.

Rot führte gerade das Wort: „Wir müssen uns ändern, wollen wir kein Anachronismus werden! Die technischen und gesellschaftlichen Umwälzungen schreiten immer schneller voran. Aetherfakte sind in das Auge der Öffentlichkeit gerückt und gelten schon längst nicht mehr als Hinterzimmer-Tricks. Warum sollten wir mit unserem Wissen nicht ebenfalls in die Öffentlichkeit treten? Warum nicht davon profitieren? Früher oder später wird es jemand tun. Wir haben kein Monopol auf das Wissen um die Konstruktion von Aetherfakten. London, Berlin, Paris, Wien, New York - überall lassen sich Aetheringenieure für ihre Erfindungen feiern und sie leben gut davon. Wie Helden. Warum nicht wir? Haben wir etwa weniger geleistet?“