Sternenhell (Nachtschwarz-Sternenhell, Bd. 2) - Saskia Louis - E-Book + Hörbuch

Sternenhell (Nachtschwarz-Sternenhell, Bd. 2) E-Book und Hörbuch

Saskia Louis

5,0

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Beschreibung

Das spektakuläre Finale der mitreißenden Sternen-Dilogie von Saskia Louis ist da: Was passiert, wenn wir wirklich die Sterne vom Himmel holen? Die 18-jährige Billie ist überwältigt von den Enthüllungen der letzten Zeit: Nicht nur sie hat besondere Fähigkeiten, auch ihre neuen Freunde gehören zu einem geheimen Kreis aus Sternenhütern aus dem Weltall! Aber warum funktionieren ihre Kräfte völlig anders als die der anderen, sodass sie ihnen sogar damit schadet? Und das, obwohl sie sich immer mehr zu Ash hingezogen fühlt ... Nach einem weiteren Angriff der Dunkelritter, bei dem erneut nur Billie nicht attackiert wird, beschleicht sie ein schlimmer Verdacht ... Buchumschlag mit Perlmuttglanzeffekt + Character Card in der 1. Auflage!

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Seitenzahl: 540

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Zeit:11 Std. 49 min

Sprecher:Carolin-Therese Wolff
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Die 18-jährige Billie ist überwältigt von den Enthüllungen der letzten Zeit: Nicht nur sie hat besondere Fähigkeiten, auch ihre neuen Freunde gehören zu einem geheimen Kreis aus Sternenhütern aus dem Weltall! Aber warum funktionieren ihre Kräfte völlig anders als die der anderen, sodass sie ihnen sogar damit schadet? Und das, obwohl sie sich immer mehr zu Ash hingezogen fühlt …

Nach einem weiteren Angriff der Dunkelritter, bei dem nur Billie nicht attackiert wird, beschleicht sie ein schlimmer Verdacht …

Das spektakuläre Finale der aufregenden Sternen-Dilogie von Saskia Louis!

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Epilog

Kapitel1

Herzen taten auf verschiedene Arten weh. Allein heute hatte ich drei neue kennengelernt.

Das Herz konnte aufgeregt sein. Schmerzhaft in die Kehle springen, während kleine Nadeln des Verrats sich hineingruben. So wie vor ein paar Stunden, als ich meinen Vater dabei erwischt hatte, wie er eine sehr ernste und stumme Konversation mit Ms Varquez’ Lippen geführt hatte. Meine Rektorin, von der er mir beteuert hatte, dass sie »nur eine Freundin« war.

Das Herz konnte unendlich schwer sein. Gefüllt mit Angst und Reue. Mit Sorge und Schwärze. Stillstehen. Bis man das Gefühl hatte, es könne bei einer falschen Bewegung einfach platzen. In tausend Teile zerspringen. Weil es so schrecklich zerbrechlich und bis zum Bersten gefüllt mit Furcht war. Wie vor einer Stunde, als Ash ohnmächtig auf dem Erdboden gelegen hatte. Als ich nicht gewusst hatte, ob er noch lebte oder ob ich ihn … zerstört hatte. So wie die Dutzenden entwurzelten Bäume, die um uns herumgelegen hatten. Wie die unzähligen Dunkelritter, die ich mit roher Kraft verschluckt hatte.

Und dann gab es den süßlichen Schmerz. Den erwartungsvollen Schmerz. Der aufgeregt in der Brust flatterte. Das Herz warm umschloss. Der nur unangenehm war, weil er einen so schrecklich nervös machte. Den Lungen zuflüsterte, dass sie hektischer arbeiten mussten. Den Körper in Alarmbereitschaft versetzte. Aber nicht, weil etwas Schlimmes bevorstand, sondern weil möglicherweise etwas Gutes passiert war.

Auf diese Art und Weise tat mein Herz in genau diesem Moment weh. Als ich die schmale, große Gestalt vor mir anstarrte, die ihre Finger tief in den Taschen ihrer gelben Regenjacke vergraben hatte. Lange dunkle Haare umfächerten ihr Gesicht, ein paar Sommersprossen sprenkelten ihre helle Haut und sie strahlte eine solche Ruhe aus, dass mein Herzschlag sich automatisch verlangsamte. Dass sich meine Nervosität beinahe legte, während das Wort Mom noch immer an meiner Zunge klebte.

Es war dunkel. Nur eine einzelne Laterne sowie der Mond und die Sterne spendeten der gigantischen Einfahrt des steinernen Roys-Anwesens Licht und tauchten mein Gegenüber in Halbschatten. Gaben dem Rest der Anwesenden nicht die Möglichkeit zu sehen, wie rot mein Gesicht war. Wie fremd sich das Wort Mom in meinem Mund anfühlte, weil ich es fast nie benutzte.

Ich hatte mir nie ausgemalt, wie es wohl wäre, meine Mutter zu treffen. Ich hatte nie damit gerechnet, dass ich es jemals tun würde. Doch wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre ich wohl allein mit ihr. Hätte nicht zwei Dutzend Zuschauer, die uns anstarrten, als wären wir ein Hollywoodstreifen, der gerade einen Oscar gewonnen hatte. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, hätte ich mir mehr als zehn Sekunden Vorlaufzeit gegeben. Mir die Möglichkeit gewährt, die Frau, die vor mir stand, zwanzig Minuten lang wortlos anzustarren, bevor ich mich dazu entscheiden musste, was mein erstes Wort an sie sein sollte.

Aber ich hatte keine Wahl, keine Möglichkeiten bekommen. Keine Vorwarnung, keine Zeit. Also stand ich einfach nur hier, sah mit geöffnetem Mund die Hüterin des Sternbilds Waage an und betrachtete forschend ihr Gesicht. Suchte nach Ähnlichkeiten zu mir. Suchte nach Antworten. Nach irgendetwas, das mir half zu verstehen, warum sie mich vor all den Jahren allein gelassen hatte. Warum sie …

»Oh«, sagte sie erneut und riss mich aus den Gedanken. Ihr Blick glitt an meiner Erscheinung hinab, wieder zu meinen Augen. Bevor sie die Stirn runzelte. »Mom? Sagtest du Mom? Wie … Mutter? Ich bin keine Mutter.« Irritiert blinzelte sie. »Wer genau bist du, wenn ich fragen darf?«

Mir klappte der Mund zu und instinktiv trat ich einen Schritt zurück. Moment. Was?

Die Nervosität war schlagartig dreißigfach zurück und wirbelte unruhig in meiner Brust umher. Sie war … nicht meine Mutter? Aber sie war die Hüterin des Sternbilds Waage! Waren sich hier nicht alle einig gewesen, dass sie meine Mutter sein musste? Hatten sie mir nicht alle erklärt, dass meine Fähigkeiten sie an Sonyas Fähigkeiten erinnerten? Dass meine Abstammung von der Hüterin der Waage eine Menge erklären würde?

Mein Mund wurde trocken und ich presste eine Faust auf mein wild schlagendes Herz. Denn wenn sie nicht meine Mutter war … dann fing ich bei null an. Und null war scheiße. Außer es handelte sich um null Grad und man wollte Eiswürfel machen.

»Du bist nicht Billies Mutter?«, fragte Kala laut und trat neben mich. Ich war ihr unfassbar dankbar dafür, dass sie mir die Frage abnahm. Auch wenn ich nicht dazu in der Lage war, diese Dankbarkeit auszudrücken. Ich starrte Sonya noch immer ungeniert an. So, wie ich sonst nur Ash anstarrte. Allerdings ohne die besorgniserregende Portion Sehnsucht, die sich bei ihm jedes Mal in meinen Blick stahl … was ich natürlich rigoros abstreiten würde, falls Ash mich jemals darauf ansprach.

Sonya lächelte verunsichert und sah sich um. Ihr schien erst jetzt bewusst zu werden, dass alle sie ansahen und ebenso schockiert und überrascht waren wie Kala und ich. »Ich bekomme das Gefühl, etwas sehr Wichtiges verpasst zu haben«, murmelte sie nachdenklich. »Wieso denkt dieses Mädchen, ich wäre ihre Mutter? Und warum erzählt mir noch immer niemand, was mit meinem Schutz passiert ist? Das Gleichgewicht der Stadt ist völlig durcheinander.«

Köpfe drehten sich und zwei Dutzend Blicke fanden zielsicher mich. Den Ursprung all der Fragen, die Sonya soeben gestellt hatte.

Mein Herz rutschte aus meiner Brust und landete irgendwo zu meinen Füßen. Eine vierte Art von Schmerz gesellte sich zu meinem neuen Herzschmerz-Portfolio. Ein dumpfer Schmerz der Enttäuschung, der sich kalt in meinem Magen ballte und meine Augen zum Brennen brachte.

Sie war nicht meine Mutter. Sie war nicht meine Mutter. Immer wieder wiederholte ich den Satz in meinem Kopf, während ich zitternd einatmete. Ich hatte gehofft, dass … nun, ich hatte mir gewünscht, endlich Antworten zu bekommen. Aber womöglich war das zu gierig gewesen.

Sie war nicht meine Mutter. Warum sollte sie deswegen lügen? Sie konnte mir nicht helfen. Sie konnte mir nicht erklären, was mit mir nicht stimmte. Sie beantwortete keine einzige Frage, sie warf nur neue auf.

Ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit stieg plötzlich in mir auf. Trieb einen Kloß in meinen Hals und drückte schwer auf meine Glieder. Eine Sekunde lang hatte ich geglaubt … eine wundervolle Sekunde lang war ich mir sicher gewesen …

Jemand Weiteres trat neben mich und flankierte meine andere Seite. Ich musste nicht aufsehen, um zu wissen, dass es Ash war. Spürte das Prickeln in meinem Nacken, das er jedes Mal hervorrief. Die Wärme, die er in meinem Inneren lostrat. Er legte sacht eine Hand auf meinen Rücken. Ich fühlte es kaum durch den Stoff meiner Jacke hindurch, doch sie war da. Das reichte, um mich daran zu erinnern, dass ich atmen musste. Mich beruhigen musste. Dass ich nicht allein war. Dass es okay war.

Ja, ein paar surreale Sekunden lang hatte ich geglaubt, dass es doch jemanden gab, der mir genau erklären konnte, wer ich war und was ich konnte und warum ich es tat.

Aber Sekunden verstrichen. Die Realität holte einen immer wieder ein. Denn natürlich war sie nicht meine Mutter. Meine Mutter war tot. Richtig? Doch. Dad hatte mir erzählt, dass sie bei meiner Geburt gestorben war, und er log mich nicht an. Er … Shit, er hatte mich angelogen! Wegen Ms Varquez.

Zweifel nagten an mir wie Mäuse an einem Laib Käse. Sonya mochte nicht meine Mutter sein. Aber irgendwer musste es sein. Irgendwer hatte mir ihre Fähigkeiten vererbt!

Es ist egal, Billie, versuchte ich mich zu überzeugen. Alles egal.

Ich presste die Lippen zusammen. Ich war achtzehn Jahre ohne Mutter ausgekommen – ich würde es auch den Rest meines Lebens schaffen.

»Dieses Mädchen hat einen Namen. Sie heißt Billie.« Ash sprach leise, doch seine Stimme besaß eine Schärfe, die Kala verwundert aufblicken ließ.

Sonya hob die Augenbrauen. »Billie.« Sie nickte, sah erneut an mir hinab. Diesmal jedoch langsamer. Sie untersuchte mich regelrecht. Zentimeter für Zentimeter glitt ihr Blick über meinen Körper, blieb an meinen Händen hängen, während eine steile Falte zwischen ihren Augenbrauen entstand. »Wer bist du, Billie? Deine ganze Energie … ist seltsam.«

Ich konnte nicht anders. Ich lachte trocken auf. Manchmal war Humor das Einzige, was einem noch blieb, und diese ganze Situation – sie war schlichtweg lachhaft! Alles an den letzten Wochen, Monaten, war … zum Schießen! Diese Sternenhüter waren wirklich nicht die höflichste Gruppe an Aliens.

Ich war von ihnen schon mehrfach als Störung beschimpft worden. Hatte subtrahiert werden sollen und war als gruselig bezeichnet worden. Und jetzt war ich auch noch seltsam. Ich sollte eine Liste erstellen. Nein, eine Autobiografie schreiben. Die könnte dann Die seltsame Störung heißen.

»Was Sie nicht sagen«, murmelte ich kaum hörbar. »Ja, seltsam fühle ich mich auch.«

»Du bist nicht seltsam«, meinte Kala sofort. »Du bist … besonders.«

Ich schnaubte. »Besonders ist ein schickes Synonym für seltsam, Kala! Und es ist mir ehrlich gesagt egal, wie ihr mich nennt … ihr seid hier die überfunktionalen Glühwürmchen, die mich ansehen, als würde ich das Ende der Welt herbeiführen!«

Ash lachte leise neben mir und die dunklen Töne ließen mich erschaudern. Doch das ignorierte ich geflissentlich, denn es gab Dringlicheres. All die anderen Sternenhüter zum Beispiel, die mich ihren ernsten Mienen nach zu urteilen überhaupt nicht witzig fanden.

»Sie ist eine Hüterin, Sonya. Eine Hüterin, von der wir nicht wissen, woher sie kommt«, murmelte Ashs Mutter. »Unser Schutz ist … brüchig, seit sie hier ist. Wir dachten, Billie wäre vielleicht deine Tochter, weil du die einzige Person warst, die unser Gleichgewicht je durcheinandergebracht hat. Außerdem warst du nun einmal sehr lange verschwunden …«

Die Hüterin der Waage nickte langsam und … oh Mann, sie musste wirklich aufhören, mich anzustarren! Nach zwei weiteren Minuten würde ich nämlich Geld dafür verlangen. Irgendetwas musste es mir doch schließlich bringen, so seltsam zu sein!

»Du kennst deine Mutter nicht?«, fragte Sonya leise und zog die Hände aus den Taschen. Drehte sie so, dass ihre Flächen zu mir zeigten, die vor meinen Augen anfingen zu glühen. Als würde sie mich nicht nur mit ihrem Blick untersuchen.

Ich blinzelte, irritiert von diesem Gedanken, und schüttelte den Kopf.

»Nun, ich bin es nicht«, erwiderte sie sanft und zu ihrer Verteidigung: Sie sah wirklich so aus, als täte es ihr leid, dass es nicht ihr Uterus gewesen war, den ich bewohnt hatte. »Aber ja, du störst das Gleichgewicht. So wie ich es ebenfalls könnte. Aber dennoch … deine Kraft ist anders als meine.« Sie verengte die Augen. »Was weißt du über deine Fähigkeiten, Billie?«

Ich hasste diese Frage. Ich konnte sie weder mir noch irgendwem anderes zur Zufriedenheit beantworten.

»Ich … ich …« … wusste nicht, was ich sagen sollte. Was ich erzählen sollte und was nicht. Wie ich es erzählen sollte.

Die letzten Stunden waren ein einziger Strudel aus Farbe. Aus Tiefviolett, Orange, Grün und Blau, die sich wie feine Spinnweben um meine Erinnerungen legten. In diesen Facetten war die Nacht um uns explodiert, als Ash und ich uns geküsst hatten.

Aber war ich das gewesen? Oder waren wir es? Konnte ich … Dinge zum Explodieren bringen? Oder vertrugen meine Schatten sich einfach nicht mit Ashs Sternenlicht?

Ein einziger konfuser Wust an Informationen und Ereignissen sprang wild in meinem Kopf umher. Alles, was ich wirklich über meine Kräfte wusste, war, dass sie mir Angst machten. Dass ich vor ein paar Stunden vollkommen die Kontrolle über sie verloren hatte. Dass ich Ash mit ihnen verletzt hatte. Den Hüter des Schlangenträgers möglicherweise … möglicherweise …

Ich biss so fest auf meine Unterlippe, dass es wehtat. Ich schmeckte Blut und zwang mich zurück in die Realität. Ich durfte mich nicht daran festhalten. Ich wusste nicht, was genau passiert war. Wohin die Dunkelritter verschwunden waren, als ich sie mit meiner Kraft verschluckt hatte. Wohin Bens Vater verschwunden war. Wir hatten seinen Körper nicht gefunden. Vielleicht war er weggelaufen, bevor meine Schwärze ihn erreicht hatte. Vielleicht stolperte er noch immer im Wald umher.

Ich … ich hätte es gespürt, oder? Wenn ich ihn getötet hätte? Ich hätte es sicherlich gefühlt. Doch, bestimmt.

Ich blinzelte, erwiderte Sonyas Blick und öffnete den Mund. Ich sollte wirklich endlich antworten … Doch Ash nahm mir die Aufgabe ab.

»Billie kontrolliert kein Licht«, murmelte er. »Sie kontrolliert Schatten.«

»Schatten?«, echote Sonya verblüfft und ein neuer Tumult brach los. Dutzende Stimmen riefen durcheinander, wollten wissen, was das zu bedeuten hatte, doch ich achtete gar nicht auf sie. Mich interessierte nicht, mit welchen neuen, schicken Worten sie mich beschimpften. Ob sie noch mehr Angst vor mir hatten als ohnehin schon. Mein Herz war schwer genug, ohne weiteren, fremden Ballast tragen zu müssen.

»Aber ich verstehe es nicht. Wir kennen niemanden, der Schatten anstelle von Licht beherrscht. Und wenn Billie nicht Sonyas Tochter ist … wessen Tochter ist sie dann?«, fragte Ashs Mutter scharf. »Von wem hat sie diese Fähigkeiten?«

»Es gibt noch andere, kleinere Sternenhüter, Charlotte«, murmelte Aria. »Sie könnte die Tochter von jedem sein. Wer weiß schon, wer uns noch gefolgt ist? Wer ebenfalls auf die Erde gekommen ist?«

Zustimmendes Gemurmel war die Antwort. Nur einer schwieg. Roys. Ihr Anführer und der Hüter des Sternzeichens Löwe.

Er betrachtete mich mit dunklen, misstrauischen Augen, während die Laterne über seinem Kopf lange Schatten auf sein Gesicht warf und seine Züge beunruhigend verzerrte. »Ich habe es euch gesagt«, murmelte er schließlich tonlos. »Wir hätten Billie fortschicken sollen, als wir noch die Möglichkeit hatten.«

Ich schluckte und mein Magen verkrampfte sich, während mein Blick unsicher umherhuschte. Wer dachte wohl noch so wie er?

Ich sah wie Max, sein Sohn, den Blick senkte. Wie die Zwillinge sich betreten einen Blick zuwarfen. Diana und der Rest meiner Schulkameradinnen und -kameraden die Lippen zusammenpressten. Ich hörte Kala beunruhigt schlucken. Wie Ash neben mir die Zähne übereinanderschabte. Doch niemand sprach. Alle mieden Roys’ Blick. Meinen Blick. Bevor Aria vortrat und ihren Anführer missbilligend musterte.

»Roan«, sagte sie ernst. »Billie ist eine von uns. Wir werden sie der Königin nicht zum Fraß vorwerfen!«

»Und was gedenkst du dann zu tun?«, fragte er hochmütig und verschränkte die massigen Arme vorm Körper. »Billie hat ihre Fähigkeiten offenbar immer noch nicht unter Kontrolle, wenn Sonya es sogar auf der anderen Seite des Landes spürt. Obwohl sie bereits mehrere Wochen Zeit hatte, sich mit ihren Kräften vertraut zu machen. Sie ist eine Bürde für uns alle. Die Königin wird kommen, unsere Kinder eins nach dem anderen holen … bis niemand mehr von uns übrig ist. Entweder muss Billie gehen … oder wir müssen die Stadt räumen.«

»Räumen?«, sagte Diana mit hoher Stimme und sah ängstlich umher. »Wohin sollten wir gehen? Wo sind wir besser geschützt als hier?«

»Wir sind nicht mehr geschützt, jetzt da die Königin unser Versteck kennt«, rief jemand anderes dazwischen.

»Wir waren nie wirklich geschützt! Früher oder später musste es so kommen. Das wussten wir doch alle«, beharrte Ashs Mutter. »Wir müssen kämpfen. Und solange sie nur ein paar Dunkelritter schickt, die wir bezwingen können, ist es halb so wild.«

»Du hast gut reden«, fauchte Ms Kwan, Sternzeichen Skorpion, deren Tochter vor wenigen Wochen verschwunden war. »Dein Sohn ist ja noch hier!«

»Aber er wäre es beinahe nicht mehr!«, fuhr Charlotte sie an. »Ich kenne die Gefahr!«

»Und sie wird uns ohnehin überall finden, solange wir sie dabeihaben!«, rief ein rothaariger Mann, ziemlich sicher der Vater der Zwillinge, und deutete mit einem zitternden Zeigefinger auf mich.

Ich zog augenblicklich die Schultern höher. Als könne ich mich so vor den anschuldigenden Blicken schützen. Doch sie fraßen sich durch meine Kleidung und brannten auf meiner Haut. Er hatte recht, oder nicht?

Ich würde seine Bedenken gern ignorieren. Ihn anschreien und ihm vorwerfen, dass er nur nach einem Sündenbock suchte … aber er hatte recht! Ich war das Problem. Ich war eine Bürde.

Störung. Bürde. Seltsam. Gruselig. Meine Autobiografie wurde immer dicker.

»Wir müssen einfach den Schild stärken«, brummte ein bulliger Mann, den ich schon als Rhetts Vater identifiziert hatte. »Uns verbarrikadieren. Uns schützen. Jetzt, da Sonya wieder da ist, kann sie helfen.«

Einige nickten, murmelten zustimmende Worte. Andere rangen unwohl die Hände, während nackte Angst sich auf ihren Mienen widerspiegelte. Wieder andere riefen: »Soll die Königin doch kommen, wir kämpfen!«

»Ja!«, meinte Kala und drückte mich kurz an sich. Vielleicht, weil sie gemerkt hatte, dass ich zitterte. Dass mir die Schuldgefühle so tief in den Knochen steckten, dass sich meine Füße verselbstständigen wollten. Einfach … gehen wollten. »Wir kämpfen alle. Wenn wir zusammenhalten …«

»Es ist alles nicht so einfach, Kala«, sagte Aria sanft. »Selbst wenn wir uns auf einen Krieg mit der Königin vorbereiten, wird es immer noch fast unmöglich sein, gegen sie zu gewinnen. Ihr alle …« Sie betrachtete uns Jugendliche, einen nach dem anderen. »Ihr seid euch der Ausmaße ihrer Kraft nicht bewusst. Ihr habt keine Ahnung, wie groß die Armee an Dunkelrittern, die sie befehligt, wirklich ist. Wenn wir uns gegen sie stellen, wird sie einen Hüter nach dem anderen vernichten … und nur wenige würden überleben.«

»Aber das will sie ja offensichtlich nicht, oder?«, fragte ich zweifelnd, meine Stimme furchtbar leise. Furchtbar unsicher. Doch ich sprach trotzdem weiter. Weil ich meine Angst nicht gewinnen lassen wollte. »Ihr habt selbst gesagt, dass sie euch eher bestrafen will. Eure Posten durch eure Kinder ersetzen. Vielleicht kann man ja mit ihr … verhandeln.«

Ein allgemeines Schnauben war die Antwort. »Die Königin verhandelt nicht«, sagte Roys scharf. »Sie befiehlt. Und wir können nicht bis zur Wintersonnenwende warten, um herauszufinden, was ihr genauer Plan ist. Ob sie uns vernichten würde oder nicht. Wenn sie sich entscheidet, auf die Erde herabzukommen, und unser Schild bis dahin nicht wieder funktioniert und zumindest ihre Armee, wenn schon nicht sie selbst aufhalten kann, sind wir ohnehin alle verloren.«

Ich schluckte. Richtig. Die Wintersonnenwende. Der einzige Tag im Jahr, an dem die Nacht lang und somit stabil genug war, um ohne die Königin nicht zu zerbrechen. Der einzige Tag, an dem sie selbst auf die Erde kommen konnte. Eine Gänsehaut zog sich bei dem Gedanken daran meinen Nacken hinab.

Wenn wir uns gegen sie stellen, wird sie einen Hüter nach dem anderen vernichten … Jetzt war es Mitte November. Uns blieb nicht mehr viel Zeit.

»Wir müssen schnellstmöglich eine Entscheidung treffen!«, fuhr Roys unbeirrt fort. »Wenn wir Billie wegschicken würden …«

»Halt die Klappe, Roys«, erklang eine ruhige, dunkle Stimme direkt neben mir. Ash. Und er klang mindestens genauso freundlich wie das Wort Bürde.

Der Kopf des Anführers der Hüter fuhr ruckartig herum. »Was hast du gesagt, Hunter?«, wisperte er bedrohlich.

»Ash, komm schon«, murmelte Max bittend, doch sein bester Freund ignorierte ihn.

»Ich sagte: Halt die Klappe«, erwiderte er tonlos. »Billie wegzuschicken, wäre das Dümmste, was wir tun können.«

Der Anführer der Hüter knackte hörbar mit dem Kiefer. »Und warum genau, Ashton?«, knurrte er.

»Weil sie die stärkste Waffe ist, die wir haben. Mit ihr können wir uns auch ohne Schild gut verteidigen … sogar gegen die Königin der Nacht. Wenn Billie tatsächlich lernt, ihre Fähigkeiten zu kontrollieren.«

Roys schnaubte. »Ach ja?«, fragte er und sprach ehrlich gesagt genau meine Gedanken aus.

»Ja«, sagte Ash hart, trat vor und lächelte ein kühles Lächeln. »Sie hat soeben drei Dutzend Ritter der Nacht überwältigt. Sie hat die Fähigkeit, andere Kräfte zu manipulieren. Zu schwächen. Was, wenn sie auch die Königin schwächt? Mit ihr haben wir eine faire Chance. Weil sie stärker als wir alle ist. Sogar als du, Roys.«

Die Emotion, die als Nächstes Roys’ Miene verzerrte, als Wut zu beschreiben, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Sein Ausdruck jagte Wut Angst ein!

Die Augen des Mannes fingen so schlagartig an zu glühen, dass ich erschrocken einen Schritt zurückstolperte. Seine dunkelbraune Haut schimmerte bedrohlich, während er die riesigen Hände zu Fäusten ballte, die laut in der plötzlichen Stille knackten. »Du gehst zu weit, Ashton!«, donnerte er und seine Stimme schien Dreck aufzuwirbeln. »Du kannst von Glück reden, dass wir dir und deiner Mutter überhaupt noch Schutz bieten, und jetzt erlaubst du dir in Anwesenheit aller, die Macht deines Anführers anzuzweifeln?«

Mein Magen flatterte nervös und ich schluckte. Sah von einem zum anderen. Was meinte er damit, dass Ash und seine Mutter von Glück reden konnten, noch hier zu sein?

Doch Ash waren die Worte seines Anführers offenbar egal. Er hob nur unbeeindruckt eine Augenbraue, bevor er schlicht sagte: »Ich habe nie deine Macht angezweifelt, Roys. Mein Problem ist dein Charakter.«

Ich hörte, wie Kala neben mir schockiert die Luft einsog. Sah wie Ashs Mutter kalkweiß wurde. Wie Max stöhnend die Handballen auf die Augen presste … als sich die ersten, dünnen Lichtstrahlen aus Roys’ Haut lösten und den Staub in der Luft versengten.

Kala zerrte mich unsanft am Arm zurück, doch nicht schnell genug, um den Schwall an Energie zu verpassen, der wie spitze Pfeile aus Roys’ Richtung geschossen kam. Der Geruch nach verbrannter Erde stieg in meine Nase und meine Haut fing sofort an zu kribbeln. Ich spürte, wie meine eigene Kraft sich regte. Wie die dunklen Schatten sich in meinen Händen sammelten. Darauf warteten, dass ich ihnen den Befehl gab, anzugreifen. Jetzt, da ich meine Fähigkeiten so oft benutzt hatte, schien es auf einmal kinderleicht, sie zu finden. Zu spüren. Doch bevor ich entscheiden konnte, ob ich es war, die etwas unternehmen wollte, und nicht nur mein Instinkt, trat Sonya vor.

»Genug«, herrschte sie und schnitt mit den Händen durch die Luft.

Es war, als träfe mich eine Druckwelle mitten in den Magen. Warm und unnachgiebig – und Roys hörte sofort auf zu glühen. Sonya hatte offenbar ihre Fähigkeiten genutzt, um seine zu ersticken. Auszugleichen. Doch meine Kraft … sie blieb. Sie vibrierte noch immer in mir. Schwächer, aber sie war da. Ich schluckte und starrte auf meine Fingerspitzen. Vielleicht, weil Sonya es nur auf Roys abgesehen hatte. Vielleicht … vielleicht hatte sie deswegen keine so große Wirkung auf mich.

»Wir können es uns nicht leisten, untereinander zu streiten!«, fuhr sie Ash und Roys an. »Es macht uns schwach. Und niemand wird jetzt sofort eine Entscheidung fällen! Nicht, bevor ich nicht verstehe, was los ist. Bevor ich nicht weiß, wieso der Schild nicht funktioniert. Also lasst mich die Energiequelle untersuchen. Habt ihr weiter euer Licht zugefügt, so wie ich es gesagt habe?«

»Natürlich haben wir das«, knurrte Roys, der es offensichtlich überhaupt nicht haben konnte, dass jemand mehr Autorität ausstrahlte als er. Was wohl auch der Grund war, warum er Ash so hasste. »Aber es hat nichts genützt.«

»Ich will sie sehen«, beharrte die Hüterin des Bildes Waage. »Billie: Du kommst mit! Aria, du auch. Unser werter Anführer kann offenbar jemanden gebrauchen, der sein Gemüt besänftigt – denn Roys werde ich wohl nicht davon abhalten können, uns zu folgen. Alle anderen bleiben hier.«

»Nein«, spuckte Ash aus. »Ich lasse sie nicht mit ihm allein!« Er nickte ruckartig zu Roys.

»Sie wird nicht allein sein, Ash«, erinnerte Aria ihn sanft und drückte seine Schulter. »Und Roan wird sich benehmen. Richtig?« Sie warf ihrem Anführer einen warnenden Blick zu. Doch Roys ignorierte sie einfach, drehte sich abrupt um und lief die Einfahrt hinab. In Richtung der Sternwarte.

»Ich komme mit«, beharrte Ash und sein Blick huschte besorgt zu mir.

»Nein!«, sagte Sonya hart.

Ash öffnete den Mund, doch ich schüttelte den Kopf.

»Ist schon in Ordnung«, wisperte ich. »Wirklich.«

Ich sah, wie Ash schluckte, wie er die Lippen zusammenpresste. Er blickte immer wieder unruhig zwischen mir, Aria und der Hüterin der Waage hin und her. »Das gefällt mir alles nicht«, flüsterte er, sodass nur ich ihn hören konnte.

»Mir gefällt nichts an dem heutigen Tag, Ash«, erwiderte ich leise. »Na ja, bis auf …« Ich zögerte und für den Bruchteil einer Sekunde huschte mein Blick zu seinen Lippen. Dann sah ich hastig weg, denn meine Wangen warfen mal wieder den Hochofen an.

»Bis auf?«, murmelte er und ich schwor, ich hörte ein Lächeln aus seinen Worten.

Ich verdrehte die Augen. »Ist egal. Ich gehe. Es ist in Ordnung. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Das weißt du doch am besten.«

Er seufzte schwer, presste jedoch laut hervor: »Schön!«

»Wundervoll«, sagte Sonya seufzend, bevor sie an Ashs Mutter gewandt hinzufügte: »Ist das dein Sohn, Charlotte? Ich meine deinen Dickkopf und dein hitziges Gemüt in ihm zu erkennen. Bei der Königin, ich habe wirklich was verpasst.« Sie atmete tief durch. »Ist die Sternwarte leer? Weiß das jemand?«

»Ja. Heute ist … der freie Tag des Teams von Calvin, Billies Vater«, meinte Ms Varquez und mied meinen Blick. »Sie dürfte leer sein.«

»Na dann.« Im nächsten Moment folgte die Hüterin der Waage Roys. Doch bevor ich ihr zusammen mit Aria hinterherlaufen konnte, hielt Ash mich am Arm zurück.

Er berührte meine Haut nicht, nur den Stoff meiner Jacke. Doch seine Hitze war trotzdem spürbar und sein Gesicht zeichnete tiefe Unzufriedenheit. »Mach nichts Dummes, Billie«, sagte er leise. »Bitte.«

»Ich, etwas Dummes tun?«, erwiderte ich gespielt schockiert. »Wie zum Beispiel die Sternwarte in einen Krater verwandeln?«

Einer seiner Mundwinkel zuckte. »Nun … Ja.«

»Da ich mich weder zu Roys noch zu Aria oder Sonya hingezogen fühle, küsse ich heute einfach keinen anderen Hüter mehr. Ich glaube, dann sind wir safe«, murmelte ich, lächelte schwach und lief neben Aria zum Tor der Einfahrt.

Ich spürte die Blicke aller anderen in meinem Rücken. Und selbst als wir im Schatten der Bäume verschwanden, fühlte ich sie noch immer …

Kapitel2

Die Sternwarte lag keine dreihundert Meter entfernt auf dem höchsten Punkt der sanften Hügel, die Amber Lake umgaben. Sie bestand aus einem großen weißen Gebäude mit zwei Kuppeln, umgeben von einer Menge leerer Parkplätze. Ich war noch nicht hier gewesen, obwohl mein Dad in der Warte arbeitete und mir mehrfach angeboten hatte, mich mitzunehmen. Doch die letzten Wochen war ich so beschäftigt mit all dem übernatürlichen Quatsch gewesen, dass ich immer abgelehnt hatte.

Ich hatte in meinem Leben schon diverse Sternwarten gesehen. Irgendwann nach Nummer zwanzig hatte ich aufgehört zu zählen. Dad und ich hatten uns immer einen Spaß daraus gemacht, sie miteinander zu vergleichen und in unseren Köpfen gegeneinander antreten zu lassen. Unser fiktives Observatoriums Quartett. Wer gewann bei Kuppel- und Teleskopgröße? In welcher waren die größten Entdeckungen gemacht worden? Welche war die hübscheste und würde die Misswahl unter den Sternwarten gewinnen?

Das Observatorium von Amber Lake wäre die Karte, die niemand haben wollte. Es war klein, seine weiße Farbe überall abgeblättert, sodass an der Fassade braune Stellen hervorlugten, und die Kuppeln waren nicht der Rede wert.

Doch je näher wir ihm kamen, desto unruhiger wurde ich. Als würde eine Vorahnung meinen Körper überfallen. Und ich konnte noch nicht sagen, ob es eine schlimme oder gute war. Ich wusste nur, dass das Kribbeln zurück war, das ich automatisch mit Ash verband. Doch er war nicht hier, also musste das Gefühl eine andere Quelle haben. War das die Energie, von der Sonya geredet hatte? Die sie anscheinend irgendwo in dem Observatorium gespeichert hatten? Oder hatte ich heute einfach nur einen beschissenen Tag und meine nervösen Zuckungen nahmen kein Ende?

»Alles okay, Billie?«, fragte Aria leise neben mir. »Ich war vorhin so auf Ash fixiert, dass ich dich gar nicht gefragt habe, wie es dir geht. Hast du den Angriff gut überstanden?«

Aufmerksam betrachtete sie mich. So aufmerksam, dass ich automatisch das Gesicht abwandte. »Mir geht es gut«, murmelte ich und wusste nicht, ob ich log oder die Wahrheit sagte. Denn körperlich war alles in Ordnung. Ich war ein bisschen müde, aber sonst fehlte mir nichts. Doch mein Geist … Mein Geist war gefüllt mit dichtem Nebel, sodass ich das Gefühl hatte, den Himmel vor lauter Sternen nicht sehen zu können.

Aria schwieg, während wir die asphaltierte Straße weiterliefen, Roys und Sonya hinterher, die einen kleinen Vorsprung hatten. Schließlich flüsterte sie: »Es tut mir leid. Dass du mich und deinen Dad …«

»Oh Gott. Hören Sie einfach auf zu reden«, unterbrach ich sie. Unter normalen Umständen hätte ich nicht so respektlos mit meiner Rektorin geredet. Aber ich hatte das Gefühl, dass normale Umstände vor ein paar Wochen zusammen mit meinem normalen Leben aus dem Fenster gestürzt waren.

Aria lächelte beschämt. »Ich wollte es dir nur sagen. Dass ich … dass wir dich nicht verletzen wollten.«

Ich presste die Lippen zusammen. »Mhm«, machte ich nur, in der Hoffnung, dass sie das dazu animieren würde, einfach wieder in unangenehmes Schweigen zu verfallen. Das wäre mir an diesem Punkt nämlich deutlich lieber.

Doch Hüterinnen und Hüter, ebenso wie Erwachsene, schienen ein Händchen dafür zu haben, nicht zu wissen, wann es besser war, einfach die Klappe zu halten.

»Sei nicht allzu böse auf deinen Dad, Billie. Wir hatten kein Date. Wirklich. Es ist einfach so passiert. Der Kuss. Also nimm es ihm nicht übel. Gib mir die Schuld. Ich bin es, die den Kuss initiiert hat. Er hat nur … partizipiert.«

Wäre es wohl kindisch, mir die Hände fest auf die Ohren zu pressen und die amerikanische Nationalhymne zu singen?

Ich entschied mich dazu, einen anderen, sehr viel erwachseneren Weg einzuschlagen. »Sollten Sie es als Jungfrau nicht besser wissen, als Küsse zu initiieren? Ich meine, müssen Sie nicht Ihren Keuschheitsgürtel polieren und ein paar arglose Prinzen anlocken?«

Aria lachte. Sehr laut. So laut, dass Roys und Sonya sich verwirrt umdrehten. Doch die Hüterin winkte nur ab, bevor sie zu mir gewandt flüsterte: »Ich bin wirklich nicht diese Art von Jungfrau.«

Das hatte ich befürchtet. Ich seufzte schwer. »Hören Sie, Aria. Mir ist wirklich egal, was Sie mit Ihrem Mund machen. Und ich bin auch nicht wütend auf Sie. Sie konnten nicht wissen, dass Dad und ich uns über Sie unterhalten haben und er mir versprochen hat, nichts mit Ihnen anzufangen.«

»Ah, verstehe.« Sie nickte langsam, bevor sie die Stirn runzelte. »Und … warum hast du ihm ein derartiges Versprechen abgenommen, wenn ich fragen darf?«

Ich seufzte. »Es ist nichts Persönliches. Ich finde Sie sehr sympathisch, aber … mein Dad hatte offensichtlich schon einmal eine Hüterin als Freundin, Ms Varquez«, wisperte ich. »Er hatte schon einmal eine Beziehung mit jemandem, der ihn von vorn bis hinten belogen hat. Uns beide. Auch wenn ich damals noch nicht existiert habe. Wäre es bei Ihnen anders? Würden Sie ihm die Wahrheit sagen?«

Sie öffnete den Mund … sagte jedoch nichts.

»Eben. Es wäre dasselbe. Und er hat etwas Besseres verdient, als eine Frau, die ihm nur ihr halbes Ich preisgeben kann. Also … lassen Sie ihn in Ruhe. Bitte. Ist es nicht schon kompliziert genug?«

Sie senkte den Blick und schwieg. Wirkte nachdenklich, vielleicht auch etwas vor den Kopf gestoßen. Ich wusste es nicht, da ich seit ein paar Wochen das Gefühl hatte, mit meiner bloßen Existenz eine Menge Hüter vor den Kopf zu stoßen.

»Beziehungen sind immer kompliziert«, flüsterte sie schließlich. »Für uns Hüter noch mehr als für andere.«

»Vermutlich«, gab ich zu und dachte automatisch an Ash. Ash, der nicht datete. Ash, der mich trotzdem geküsst hatte.

Ms Varquez schmunzelte auf einmal. »Weißt du, es ist nicht verboten, eine Beziehung mit einem anderen Hüter einzugehen«, meinte sie. »Die meisten tun es nur nicht, weil wir so unendlich viel Zeit miteinander verbracht haben und wie Geschwister aufgewachsen sind.«

Perplex sah ich auf. Hatte sie meine Gedanken gelesen? »Warum erzählen Sie mir das?«

Sie lächelte matt. »Nur so.«

Ich glaubte ihr kein Wort. »Sie können Gefühle manipulieren, oder?«, fragte ich misstrauisch. »Können Sie Gefühle auch … spüren?« Beunruhigt strich ich über meine Jeans. Meine Handflächen waren auf einmal feucht.

»Nur die besonders starken«, erklärte sie und lächelte freundlich. »Aber keine Sorge. Gefühle sind bei mir sehr gut aufgehoben. Egal, ob sie mir oder … jemand völlig anderen gelten.«

Im nächsten Moment beschleunigte sie ihren Schritt und schloss zu den anderen auf, die vor der elektrischen Tür des Observatoriums auf uns warteten.

Roys Miene war so düster wie der Nachthimmel und dämpfte sofort das aufgeregte Gefühl in meiner Brust, das der Gedanke hervorgerufen hatte, Ms Varquez könne spüren, wie viel ich für Ash empfand. Was ich für Ash empfand. Ich war kurz davor, sie zu bitten, mir meine Emotion doch zu erklären. Denn mich verwirrten sie größtenteils. Aber ich hatte das Gefühl, dass dies weder die Zeit noch der richtige Ort für ein derartiges Gespräch waren. Also sagte ich nichts. Im Gegensatz zu Hütern und Erwachsenen wusste ich nämlich, wann es besser war, den Mund zu halten.

»Wieso genau war es wichtig, dass Billie mitkommt?«, wollte Roys schroff wissen.

Ach, er war einfach so ein süßer Teddybär!

»Weil ich sie nicht vor allen anderen darum bitten wollte, mir ihre Fähigkeiten zu demonstrieren«, murmelte Sonya und hob einen Mundwinkel. »Dabei würde ich sie sehr gerne sehen, Billie. Wenn es für dich okay ist.«

»Oh«, stieß ich aus und meine Finger verkrampften sich. »Ich … weiß nicht.« Nervös zog ich die Schultern hoch. Es war keine Stunde her, dass ich die Kontrolle über meine Kraft verloren und einen Krater in den Wald gerissen hatte. Ich war nicht sonderlich scharf drauf, das schnellstmöglich zu wiederholen.

»Du weißt nicht«, sagte Mr Roys verächtlich. »Die Einzige, die deine Kräfte besser verstehen und dir vielleicht helfen kann, sie zu kontrollieren, ist unsere Hüterin der Waage … aber du weißt nicht, ob du sie ihr zeigen willst?«

Ich presste die Lippen zusammen und warf ihm einen wütenden Blick zu. Warum nur mochte Ash den Kerl nicht? Es war mir schleierhaft!

»Er hat recht, Billie«, flüsterte Aria entschuldigend. »Sonya kann möglicherweise erfühlen, wieso deine Kräfte unsere durcheinanderbringen.«

Ich seufzte leise. Klasse. Aber vielleicht war es mit den eigenen Fähigkeiten wie mit dem Reiten. Wenn etwas schiefging, musste man schleunigst wieder aufs Pferd, damit man sich nicht den Rest seines Lebens vor Huftieren fürchtete. In meinem Fall vor Kuss-Explosionen. Moment. Hieß das dann auch, dass ich Ash so schnell wie möglich noch mal küssen sollte?

Meine Wangen wurden heiß und hastig senkte ich den Blick. Ich sollte wirklich lernen, mich aufs Wesentliche zu konzentrieren.

»Also gut«, murmelte ich, strich mir fahrig die Haare hinter die Ohren und trat ein paar Schritte zurück. Dann sah ich mich um und konzentrierte mich schließlich auf ein paar Kiesel zu meinen Füßen. Nur eine einzelne Lampe hing über der Tür zur Sternwarte, die mir direkt vor die verdreckten Turnschuhe schien. Sie spendete genug Licht, sodass die Schatten gut zu sehen waren, die ein paar Sekunden später blitzschnell unter meinen Füßen hervorschossen und die Steine wegkickten – direkt gegen Mr Roys’ Schienenbein, ein absolutes Versehen natürlich!

Es war nur ein Zucken meiner Macht. Ein Tropfen im Meer. Trotzdem flatterte mein Herz nervös auf. Weil mir klar war, wie zerstörerisch die Kraft sein konnte. Ich sein konnte. Der Wald vor meinem Haus wusste, wovon ich sprach. Doch ich verspürte nur ein kaum merkliches Kribbeln in meinen Zehen und die Schwärze zog sich sofort wieder zurück. Das Aufregendste, was passierte, war, dass Roys’ Kinnlade herunterklappte.

»Was zur Hölle …?«, entfuhr es ihm und ich unterdrückte ein Lächeln. Genau das hatte Ash auch gesagt. Ob es ihm gefiel, dass er etwas mit dem heiligen Anführer der Hüter gemein hatte?

Aria weitete die Augen, blinzelte mehrfach. Als sei sie nicht sicher, ob sie sich meine Fähigkeiten nur eingebildet hatte. Doch ich war auf Sonya konzentriert. Die Waage hatte lediglich die Augenbrauen zusammengezogen. Sie sah weder beeindruckt noch beunruhigt aus.

»Noch einmal«, wisperte sie und wandte ihre Handflächen erneut so, dass sie zu mir zeigten. »Gern etwas länger.«

Ich schluckte, nickte jedoch, bevor ich die Hände hob, um mich besser zu konzentrieren. Ich gab der Dunkelheit in mir den stummen Befehl, diesmal nur nach den Kieselsteinen zu tasten. Möglicherweise einen hochzuheben. Den großen weißen, keine zwanzig Zentimeter vor meinen Füßen zum Beispiel.

Meine Fingerspitzen wurden kalt und die Luft um mich herum passte sich scheinbar meiner Körpertemperatur an. Sie war plötzlich so kühl, dass weiße Wölkchen vor meinem Mund hängen blieben, bevor die Schwärze, die aus meinen Fingern kroch und langsam zu Boden glitt, sie aufwirbelte.

Ich war nicht gut darin, meine Kraft sonderlich lang zu halten. Die Schwärze war Schall und Rauch. Verschwand so schnell, wie sie kam. Als habe sie Angst, gesehen zu werden. Als sei sie schüchtern. Als habe sie … einen eigenen Kopf.

Das war Schwachsinn, das wusste ich. Es war meine Unsicherheit, die sie widerspiegelte. Mein Unterbewusstsein, dem sie Ausdruck verlieh. Je mehr ich etwas wollte, desto leichter konnte ich sie kontrollieren. Es war dennoch absolut merkwürdig, die dunklen Schwaden dabei zu beobachten, wie sie scheinbar suchend über die Kiesel glitten, bevor sie den weißen ummantelten, den ich mir ausgesucht hatte. Ihn grau färbten. In die Luft hoben, sodass er getragen von Dunkelheit und purem Willen höher glitt und schließlich auf meiner Handfläche landete.

Ich fing den Stein auf und öffnete verblüfft den Mund. Das hatte ich heute Nachmittag noch nicht geschafft. Vor wenigen Stunden noch war es mir unmöglich erschienen, meine Kraft so gezielt einzusetzen. Aber seit dem Ausbruch vorhin … pulsierte die Kraft unaufhörlich durch meine Adern. Sie war ein ständiger Begleiter. So viel präsenter. Als hätte ich mit dem Kuss etwas losgetreten – und ich wusste nicht, ob es gut oder schlecht war. Der Wald würde schlecht sagen, Billie.

»Faszinierend«, wisperte Sonya, als die Dunkelheit sich in meine Finger zurückzog, und starrte auf ihre eigenen Handflächen, von denen Funken stoben, die augenblicklich in der kalten Luft verglühten. »Deine Fähigkeiten sind … anders als alles, was ich je gespürt habe. Du bist definitiv kein Mensch. Auf jeden Fall eine Hüterin. Aber welche …?« Sie neigte nachdenklich den Kopf, betrachtete mich noch ein paar weitere, mehr als unangenehme Sekunden lang, bevor sie seufzte und die Schultern hob. »Ich werde darüber nachdenken. Und ja, ich hatte ein Störgefühl, als du deine Kraft benutzt hast, aber … es ist nicht stark genug. Du könntest, den Schutzwall, der um die Stadt liegt, nicht allein brechen. Dafür müsstest du die ganze Zeit deine Kraft benutzen. Ohne Pause. Du dürftest nicht schlafen, keine Ruhe finden. Es muss noch etwas anderes geben, das ihn stört.«

Ich schluckte. Noch etwas anderes? Ich war also nicht das einzige Problem? Das war … schlecht, oder? Oder war es gut? Weil ich doch nicht zur Gänze die Schuld am Ungleichgewicht der Stadt trug?

Nachdenklich betrachtete Sonya mich, als stelle sie sich gerade dieselbe Frage, bevor sie laut aufseufzte und abwinkte. »Gehen wir rein, ich will die Energiequelle sehen«, murmelte sie und lief durch die sich öffnende elektrische Tür. Aria war ihr auf den Fersen und ich wollte ihr gerade folgen, als ein massiger Arm vorschnellte und mir den Weg versperrte. Erschrocken zuckte ich zusammen und blickte auf. Roys stand groß und unnachgiebig direkt vor mir. Wie ein verdammter Baum. Wenn er nur wüsste, wie viele Bäume ich heute schon ausgerissen hatte …

»Du warst es«, sagte er schneidend und spannte den Kiefer an. »Du bist schuld, dass Ash ohnmächtig war.«

Es war keine Frage. Es war eine Feststellung. Also antwortete ich nicht. Erwiderte nur stur seinen feindseligen Blick.

»Klug von Hunter, das nicht laut auszusprechen«, fuhr er dunkel fort. »Damit die anderen eher Mitleid als Angst vor dir haben. Aber ich habe es gerade selbst gespürt, als du den Stein bewegt hast. Das Flackern meiner Kraft. Was hast du getan? Hast du Ashton angegriffen?«

Ich presste die Lippen aufeinander und sagte nichts. Sah ihn nur weiter an. Gab ihm nicht die Genugtuung, demütig den Blick zu senken. So wie es sonst alle um ihn herum taten.

»Hast du ihn nicht von den Rittern der Nacht unterscheiden können?«, drängte er weiter. »Ihn versucht zu töten, wie du anscheinend die Handlanger der Königin getötet hast?«

Mein Gesichtsausdruck war noch immer regungslos. Doch mein Inneres war es nicht. Sosehr ich Roys auch verabscheute … ich konnte seine Anschuldigungen nicht verneinen. Nicht mit Sicherheit sagen, dass das, was er mir vorwarf, nicht stimmte. Denn ich hatte irgendetwas getan. Irgendetwas, das dazu geführt hatte, dass Ash leblos auf dem feuchten Waldboden gelegen hatte.

Roys trat langsam einen Schritt auf mich zu, sodass ich den Kopf in den Nacken legen musste, um ihn weiter anzusehen. »Weißt du, mir ist egal, was Sonya sagt. Ob du stark genug bist, den Schild zu stören oder nicht. Du bist dennoch eine Gefahr. Für uns alle. Aber am meisten wohl für Hunter, wenn ich meinem Sohn glauben kann. Bei ihm scheinst du andauernd deine Nerven zu verlieren. Ist es nicht so?«

Ich schluckte, während mein Herz nervös in meiner Brust flatterte. Das hatte Max ihm erzählt? Und scheiße … es war wahr, oder? In Ashs Gegenwart passierten mir andauernd dumme Dinge. Glühbirnen platzten. Sein Licht erstickte. Basketballbretter lösten sich aus ihrer Verankerung. Er lag bleich und leblos auf dem Boden …

Ich blinzelte mir die Bilder aus dem Kopf und straffte die Schultern. Atmete tief durch. »Ich will niemandem hier wehtun«, flüsterte ich scharf. »Niemandem.« Auch wenn der Mann vor mir eine Ohrfeige oder zwei verdient hatte.

»Ich glaube dir«, erwiderte er trocken. »Dass du es nicht willst. Noch nicht. Aber du wirst auf den Geschmack kommen, Billie. So wie wir alle. Auf den Geschmack der eigenen Macht …« Seine Augen waren nun nur noch zwei dunkle Schlitze. »Glaubst du, was Ash gesagt hat? Dass du stärker bist als wir alle?«

»Nein«, wisperte ich und schüttelte den Kopf. Das war meiner Meinung nach wirklich Blödsinn.

Roys lächelte spöttisch. »Ach, wirklich nicht? Warum behauptet Hunter es dann?« Seine Zähne knirschten. »Was hat er dir erzählt? Dass er stärker ist als ich und wenn du dazu in der Lage bist, ihn zu besiegen, auch gegen mich bestehen kannst?«

Ich schluckte und trat einen Schritt zurück. »Nein. Er war ohnmächtig. Er hatte nicht wirklich Zeit zu reden. Und ich will sie nicht. Meine Macht.« Das wiederum war die Wahrheit.

»Natürlich nicht«, knurrte Roys und ich las ihm vom Gesicht ab, dass er mir nicht glaubte. »Aber weißt du, es ist äußerst gefährlich, zu viel Macht zu besitzen, Billie, und dann nicht einmal zu wissen, was man mit ihr anfängt. Du tätest besser daran, das nicht zu vergessen.« Im nächsten Moment wandte er sich ruckartig um und lief ins Observatorium. Mit trockenem Mund sah ich ihm nach, während die Schatten auf meiner Haut knisterten. Wieso hatte ich nur das Gefühl, dass die Königin der Nacht nicht die einzige Gefahr war?

Einige Sekunden lang schloss ich die Augen. In was für einem schlechten Film war ich hier bloß gelandet? Schließlich riss ich mich zusammen und lief der Gruppe an Hüterinnen und Hütern hinterher. Sie waren nicht nach rechts gebogen, wo sich laut Schildern der Teleskopraum befand, in dem mein Dad vermutlich die meiste Zeit verbrachte. Stattdessen liefen wir nach links zu einem kleinen Anbau, zu dem die zweite Kuppel des Gebäudes gehörte – zum Planetarium.

Eine Menge blaue, samtene Sessel standen in zwei Halbkreisen angeordnet um ein kleines, rundes Podium herum. In dessen Mitte befand sich ein großer weißer Ball, der mit seinen vielen dunklen Kratern an den Mond erinnerte. Die Krater waren Linsen, die die Bilder an die gewölbte Decke warfen, das wusste ich. Es gab auch ein weiteres, viereckiges Podest, auf dem ein Mikrofonständer zu finden war. Aber wo war diese Energiequelle, die Sonya unbedingt hatte sehen wollen?

»Ich wusste nicht, dass Amber Lake ein Planetarium hat«, murmelte ich verblüfft und drehte mich einmal um die eigene Achse. In einer derartig kleinen Stadt, in der es nicht einmal ein McDonalds gab, sollte man meinen, dass sich eine solche Attraktion herumsprach, oder nicht?

»Nun, es ist seit dreißig Jahren geschlossen«, erwiderte Aria lächelnd.

»Warum?«

Sonya und sie wechselten einen amüsierten Blick. »Sagen wir, aufgrund technischer Schwierigkeiten«, meinte meine Rektorin leichthin, während Roys nur irgendetwas Unverständliches brummte, an ihnen vorbei auf das Podium zulief und einen großen goldenen Schlüssel aus der Innentasche seines schweren Mantels zog.

Er glitzerte in dem flackernden Neonlicht, das von zwei Lampen an den Wänden herrührte, als Roys in einer geschmeidigen Bewegung zur weißen Kugel auf das Podium stieg. Kaum merklich beugte er sich hinunter, betastete einige Augenblicke lang die raue Oberfläche, bevor er den Schlüssel zwischen zwei der Krater steckte … und plötzlich ein hohes Quietschen die Stille zerschnitt, wie ein Lichtblitz die Nacht.

Ich zuckte zusammen und hielt den Atem an, als Roys zurück zu Boden sprang, und die weiße metallische Verkleidung kreischend zu allen Seiten wegklappte. Als wäre die Kugel eine Blüte, die sich öffnete.

Licht flutete plötzlich den Raum. Hitze schlug wie tausend Hände auf meiner Haut auf. Stahl mir die Luft geradewegs aus den Lungen. Ich riss die Hand vors Gesicht. Ermahnte meine Schatten zur Ruhe, die sofort wieder auf meiner Haut prickelten. Bereit, mich zu schützen.

Mit wild klopfendem Herzen und verengten Augen blickte ich durch meine Finger … und öffnete sprachlos den Mund. Ich wurde noch immer geblendet. Sah nur verschwommen. Doch das, was ich erkannte, war atemberaubend. Schöner als … Ash, wenn er leuchtete.

Die weiße Kugel war nicht mit Kabeln, Kameras und anderer Technik gefüllt. Nein. Sie hielt scheinbar das gesamte Licht des Sternenhimmels in einer Sonne aus weißgoldenen Strahlen fest. Tausend Facetten aus Gold und Gelb erleuchteten den Raum. Bildeten Stränge, die der Kugel ihre Form gaben. Die sich glitzernd umspielten, immer wieder versuchten, aus ihrer Bahn auszubrechen, bevor sie von einer unsichtbaren Kraft an Ort und Stelle gezerrt wurden. Als wäre sie ein Wollknäuel aus zuckendem Licht. Licht, das ich deutlich spürte.

Es war seltsam. Je länger ich den Lichtkörper betrachtete, desto stärker überkam mich ein Gefühl, das ich so noch nicht kannte. Eine tiefe unendliche Sehnsucht, die mir vor Freude die Kehle zuschnürte … gepaart mit kalter Angst, die meinen Magen zu einem schwarzen Ball formte. Es war, als klaffte ein Riss in meinen Emotionen. Teilte mich in zwei.

Ich wollte näher treten. Wollte meine Hand in das Licht tauchen. Wollte spüren, wie die Wärme über mich wusch, mich bis in die letzte Pore vereinnahmte und all meine Sorgen davonspülte. Und gleichzeitig wollte ich umdrehen und weglaufen. So weit wie möglich fort von diesem Ort und nie mehr zurücksehen.

Ich fragte mich, ob es nur mir so ging. Oder ob Roys, Sonya und Aria genauso empfanden. Doch als ich mich ihnen zuwandte, entdeckte ich nichts als seichte Zufriedenheit auf ihren Mienen. Keinen Hinweis darauf, dass sie das Licht ebenso aufwühlte.

Aria bemerkte meinen Blick und lächelte warm. »Es ist unsere Kraft«, beantwortete sie meine ungestellte Frage. »Die Kraft, die wir früher den Sternen gegeben haben, um ihr Leben zu verlängern, damit sie nicht in einer Supernova explodieren oder einfach erlöschen. Hier benutzen wir sie seit dreißig Jahren, um das Leben des Schutzschildes zu verlängern, den Sonya für uns gespannt hat.«

Ich nickte. Hob die andere Hand, weil meine rechte müde wurde und das Licht noch immer zu grell war, während Sonya vortrat und die Augen schloss. Augenblicklich beruhigte sich die Kugel. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Die vereinzelten Strahlen, die vor einer Sekunde noch aus ihrer Form hatten ausbrechen wollen, gliederten sich folgsam ein, sodass die Sonne aus Sternenlicht nun aussah, als wäre sie ein Fluss aus Gold, der sich im Kreis drehte … und keinerlei Wellen schlug.

»Die Energie ist etwas unruhig, aber … ich verstehe es nicht.« Kopfschüttelnd besah sich Sonya die leuchtende Kraft. Als würde sie ihr nicht im Mindesten die Augen aus den Höhlen brennen. »Ansonsten sieht sie vollkommen normal aus. Sie sollte genügen, um den Schild aufrechtzuerhalten. Und uns zu schützen.« Stirnrunzelnd wandte sie sich um. Blickte von mir zu der Kugel und zurück. »Du kannst die Hände herunternehmen, Billie. Deine Augen gewöhnen sich schnell daran«, murmelte sie abwesend, bevor sie wieder die Lider schloss und ihre Handflächen anfingen zu glühen. Als hätte sie sie zu lange auf einen Grill gelegt. »Trotzdem hat der Schutz Löcher …«, wisperte sie, während ich ihrer Anweisung folgte und die Hände sinken ließ. Sie hatte recht. Meine Augen gewöhnten sich schnell an das helle Licht, sodass es mich nur noch mehrfach blinzeln ließ, mir aber nicht mehr das Gefühl gab, Ikarus zu sein und zu nah an die Sonne zu fliegen.

Sekunden verstrichen, während wir alle Sonya anstarrten, bevor sie laut seufzte, die Hände fallen ließ und die Augen öffnete. »Es ist vorerst unwichtig. Darüber werde ich mir später Gedanken machen. Als Erstes müssen wir das Gleichgewicht wiederherstellen, um weitere Dunkelritter davon abzuhalten, in Amber Lake einzufallen. Wir brauchen mehr Energie. Wir sollten die anderen holen und unserem Schutz mehr Sternenlicht hinzufügen. Irgendetwas scheint es zu dämpfen …« Ihr Blick flackerte zu mir. »Deine Fähigkeiten sind wirklich … außerordentlich, Billie. So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich vermute fast, dass Charlottes Sohn recht hat. Du könntest unfassbar stark sein. Mich wundert es zumindest nicht, dass die Königin so viele ihrer Diener geschickt hat, um dich zu holen.«

Ich schluckte und schüttelte hastig den Kopf. »Es waren nicht meinetwegen so viele. Sie waren wegen Ash da, sie …«

Ich verstummte, denn ein Lächeln zog an Sonyas Mundwinkeln, das mich furchtbar irritierte. »Bist du sicher, Billie? Dass sie wegen Ash da waren?«

»Na ja …« Nein. Aber sie hatten zuerst ihn angegriffen. Sie hatten mich in Frieden gelassen, bevor ich sie angeschrien hatte! Oder nicht?

Roys presste die Lippen aufeinander, doch in Arias Miene drängte sich ernste Sorge. »Dann sollten wir Billie erst recht schützen. Wenn die Königin weiß, dass sie eine echte Gefahr darstellt, wird sie es auf sie abgesehen haben.«

Sonya nickte. »Ich stimme dir zu.«

Ich nicht. Ich brauchte keinen Schutz. Offensichtlich konnte ich mich gut verteidigen. Mir wäre es lieber, wenn sie sich um alle anderen kümmern würden. Ich öffnete den Mund, um genau das zu sagen, wurde jedoch von Sonya unterbrochen.

»Könntest du die anderen holen, Aria? Damit wir unseren Schutz so schnell wie möglich stärken? Und Roys, würdest du auch noch die letzten Hüter herbestellen? Es sind nicht alle bei eurem Anwesen gewesen.«

Beide nickten und liefen im nächsten Moment ohne ein weiteres Wort zum Ausgang.

Ich bekam kein Mitspracherecht. Ob ich geschützt oder in Ruhe gelassen werden wollte. Es war, als wäre ich … unsichtbar. Als wären meine Fähigkeiten wertvoll, aber meine Meinung war es nicht.

Wenn sie sich entscheidet, auf die Erde hinabzukommen, und unser Schild bis dahin nicht wieder funktioniert, sind wir ohnehin alle verloren.

Was brachte es ihnen schon, den Schild kurzzeitig zu reparieren, wenn ich ihn ja doch nur wieder zerstörte?

»Mach dir keine Sorgen, Billie«, erklang eine hohe, melodische Stimme. Es war Sonyas, die als Einzige noch mit mir zurückgeblieben war und nun auf mich zuschlenderte. »Wie ich schon sagte: Du bringst den Schutz durcheinander. Aber es muss noch etwas anderes geben, was das Gleichgewicht stört. Etwas, das kontinuierlich Kraft ausstrahlt. Wir werden es finden – und uns alle vor der Armee der Königin schützen. Und wenn sie tatsächlich beschließt, selbst auf die Erde hinabzukommen – was sie meiner Erfahrung nach gar nicht möchte, weil ihr der Aufwand schlichtweg zu groß ist – werden wir kämpfen. Zusammen gegen sie allein, ohne ihre Ritter, haben wir eine reelle Chance. So oder so: Dir wird nichts passieren.«

Ich schluckte und nickte einfach. Wollte ihr nicht sagen, dass ich wusste, dass mir nichts passieren würde. Dass ich keine Angst davor hatte, dass einer der Dunkelritter mich in die Finger bekam. Es waren alle anderen, um die ich mich sorgte. Zwei Kinder waren schon verschwunden – und ich hatte es jedes Mal geschafft, zu entkommen. Wegen dieser ominösen Fähigkeiten, die mich schützten. Aber die anderen? Die anderen hatten nicht denselben Luxus und wenn noch irgendwem meinetwegen etwas zustieß …

Eine eisige Faust zurrte sich um mein Herz und drückte zu. Ich wusste nicht, wo Ben und Lisa waren. Ob sie in irgendeinem Verlies verrotteten oder tot waren. Ich wusste nicht, wo Bens Vater hinverschwunden war. Ob meine Schwärze ihn verschluckt hatte, ob er schlichtweg weggelaufen war oder die Dunkelritter ihn mitgenommen hatten.

Ich wusste nur, dass es allen wundervoll gegangen war, bevor ich aufgetaucht war. Dreißig Jahre lang hatten sie ihre wohlverdiente Ruhe genossen und dann war ich in ihr Leben gestolpert und hatte alles umgeworfen. Es war so typisch. Ich hatte das erste Mal in meinem Leben einen Ort gefunden, den ich zaghaft Zuhause nennen würde … und der Ort wollte mich nicht. Amber Lake hatte mir bereits hunderttausend Zeichen dafür gegeben, dass ich nicht hierhergehörte!

»Ich muss mal kurz telefonieren«, murmelte die Hüterin. »Ich habe einige Verpflichtungen zurückgelassen, um so schnell wie möglich herzukommen, um die ich mich mal kümmern sollte.«

Wieder nickte ich nur und eine Minute später war ich allein. Allein mit dem großen leuchtenden Ball auf dem Podest und der glühenden heißen Kohle in meinem Magen. Mein Blick huschte über die geballte Sammlung an Energie vor mir und ich trat einen Schritt vor.

Es war geradezu hypnotisierend. Wie das Licht Stränge zog. Einer Strömung gleich immer wieder den Ball umrundete.

War es wirklich Sternenlicht? Könnte dieser Ball einem Stern nahe seinem Lebensende weitere Jahrhunderte schenken?

Ich biss auf meine Unterlippe und hatte das plötzliche Verlangen, laut zu lachen. Vor zwei Monaten noch hatte mir die Frage, was ich zur Schule anziehen sollte, Schweißperlen auf die Stirn getrieben. Jetzt stand ich in einem Planetarium und sinnierte über den Ball aus Sternenlicht vor mir, während meine Knochen noch immer von der Explosion schmerzten, die ich losgetreten hatte. Was zur Hölle war passiert? Wie hatte mein Leben so … in Schieflage geraten können? Wie ein Bild, gegen das jemand gestoßen hatte.

Es hatte die letzten achtzehn Jahre nur zwei Konstanten in meinem Leben gegeben: Meinen Dad und … mich.

Ich hatte mich auf ihn und darauf verlassen können, dass ich mich kannte. Dass ich immer versuchte, das Richtige zu tun. Dass ich mich von all den dämlichen High-School-Kids, die es lustig fanden, Die Neue zu schikanieren, nicht beeindrucken oder gar verändern ließ. Ich hatte nie gewusst, wie mein Leben in einer neuen Stadt aussehen würde – aber ich hatte gewusst, wer ich war, und das war so viel wichtiger. Doch jetzt?

Ich biss die Zähne aufeinander und mein Kiefer spannte sich an, während ich versuchte mit dem Blick einem bestimmten, goldorangenem Strang in der Energiekugel zu folgen.

Es gab kein Schwarz oder Weiß mehr. Ash hatte recht behalten. Es gab nur Grau. Und er mochte es gut finden. Mochte jedes Extrem hassen. Aber mir war Grau nicht gut genug. Nicht, wenn es um mich ging. Ich wollte wieder … gut sein. Nicht feindselig angestarrt, nicht von ominösen Hüter-Anführern bedroht, nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass alles schiefging. Ich wollte Ash nie wieder wehtun. Wollte keine Mutter mehr zum Weinen bringen, weil ihr Kind entführt worden war. Wollte endlich wieder normal sein. Wollte endlich wieder fühlen können, ohne Angst zu haben, eine Glühbirne damit zum Platzen zu bringen. Ich wollte das alles nicht! Wollte mir mein Leben nicht länger von meinen bescheuerten Fähigkeiten wegnehmen lassen! Ich presste die Lippen zusammen, ballte die Hände zu Fäusten – und ein lautes Knacken hallte durch den Raum.

Erschrocken riss ich die Augen auf … und erstarrte. Die makellos leuchtende Kugel vor mir war nicht mehr makellos. Ein dicker, schwarzer, klaffender Riss zog sich durch ihre Mitte. Weitete sich mit jeder verstreichenden Sekunde aus. Verschluckte einzelne Lichtstrahlen, die ihre Bahnen verließen und den perfekten Kreis zerstörten. Wie eine Herde Antilopen, aufgescheucht von einer Löwin.

Panik breitete sich kalt und hektisch in meiner Brust aus und ich stürzte nach vorn. »Nein, hör auf«, flüsterte ich und hob die Hände, wollte den Riss schließen, wusste nicht, wie … ein weiteres Knacken verzerrte die gespenstische Stille – und der schwarze Strang fächerte sich auf. Meine Augen brannten, während ich hilflos dabei zusah, wie dunkle Adern, dem Geäst eines knorrigen Baums gleich, sich durch das Licht zogen. Eine Mistel, die ungefragt in seinen Lebensraum eindrang und alles durcheinanderbrachte. Ein Parasit.

So wie ich.

Ich blickte auf meine zitternden Hände, doch keine Schatten drangen aus meinen Fingern. Ich benutzte meine Fähigkeiten nicht. Nicht offensiv zumindest. Und trotzdem hallte das Knacken laut in meinen Ohren wider. Trotzdem musste ich es sein, die es verursachte!

Du bist dennoch eine Gefahr. Für uns alle. Aber am meisten wohl für Hunter.

Meine Kehle schnürte sich zu und meine Augen brannten erbarmungslos. Roys hatte recht. Was tat ich noch hier?

Zitternd stopfte ich meine Fäuste in die Jackentaschen, warf einen letzten Blick auf die Lichtkugel, bevor ich in die entgegengesetzte Richtung davonrannte.

Das musste aufhören.

Kapitel3

Sonya war nirgendwo zu entdecken, als ich mit panisch klopfendem Herzen aus der Sternwarte stolperte und mich in den Wald zu meiner Rechten schlug. Weg von dem Anwesen der Roys. Weg von den anderen Hütern. Weg von … allem.

Ich konnte nicht bleiben. Es wäre unverantwortlich von mir. Ich würde allen Menschen wehtun, die mich in den letzten Wochen mit offenen Armen aufgenommen hatten. Die mir das erste Mal das Gefühl gegeben hatten dazuzugehören. Ich wollte wieder gut sein und das war die einzige Chance.

Roys’ Worte hallten immer noch in meinem Kopf nach, schnürten mir die Kehle zu und stachen mir wie all die spitzen Äste, durch die ich lief, in mein Fleisch. Meine Füße sanken in das feuchte Laub, das die Erde bedeckte, während ich den Berg herunterschlitterte und mir wünschte, dass ich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit laufen könnte, so wie die anderen. Damit ich Amber Lake so schnell wie möglich verlassen konnte. Doch bisher war ich nicht einmal in Glühlampen-Tempo unterwegs. Stattdessen stolperte ich weiter durch die Dunkelheit, immer den Hang hinab, in Richtung Stadtgrenze.

Meine Lippen zitterten, als ich über eine asphaltierte Straße eilte, bevor ich mich wieder ins Dickicht schlug. Aber nicht aus Angst. Sondern aus Wut. Auf mich. Auf diese verdammte Situation. Irgendwie auch auf Ash! Weil er der Grund war, dass ich nicht auf der Straße laufen konnte. Er würde mich suchen und aufhalten, wenn er wüsste, dass ich gerade weglief. Da war ich mir sicher. Genauso sicher, wie dass ich gehen musste. Aber er konnte mir über die Stadtgrenze von Amber Lake hinweg nicht folgen. Ich musste es nur über diese unsichtbare Linie schaffen. Dann wäre alles gut.

Der kühle Wind fuhr unter meine Kleider, ließ mich erschaudern, während trockene Äste an meinen Ärmeln, meinen Hosenbeinen zerrten und der Mond über meinem Kopf mir den Weg beleuchtete. Mit jedem meiner Schritte wühlte ich den Boden weiter auf und wirbelte Blätter umher, während ich ständig mit den Fußspitzen an Wurzeln hängen blieb, die sich den Weg aus der Erde geschlagen hatten. Wenn meine Beine nur so schnell laufen könnten, wie mein Herz schlug.

Ich wischte mir über die feuchten Wangen, die meine Augen freundlicherweise gesprenkelt hatten, als wollten sie Gras darauf wachsen lassen, und brach ein weiteres Mal zu einer breiten Straße durch. Das Mondlicht spiegelte sich auf dem glatten grauen Asphalt wider und erhellte die doppelte gelbe Linie, die die Fahrbahnen unterteilte … und das dunkelgrüne Ortsausgangsschild von Amber Lake, keine fünfzig Meter zu meiner Rechten.

Erleichtert atmete ich aus und presste beide Hände auf meine Brust. Gott sei Dank war Amber Lake so klein! Ich straffte die Schultern und reckte das Kinn, sah von links nach rechts auf die autoleere Straße, bevor ich dem Schild entgegenlief. Ich hatte keine Angst im Dunkeln. Selbst jetzt nicht, da Dutzende Dunkelritter herumstreunen könnten. Die Dunkelheit war immer meine Freundin gewesen. Hatte mir Ruhe und Raum geschenkt, wann immer ich sie am nötigsten hatte. Und ich würde den Teufel tun, mir von der Königin der Nacht einen weiteren meiner Freunde nehmen zu lassen. Ich hatte nichts zu befürchten. Ich konnte mich verteidigen. Offenbar konnte die Königin mich nicht finden, sonst hätte sie mich schon vor Jahren zu sich geholt. Ich war sicher. Allein. Und die anderen würden es auch sein. Ohne mich.