Sternenpuls - Drew Williams - E-Book

Sternenpuls E-Book

Drew Williams

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Beschreibung

Vor hundert Jahren breitete sich der sogenannte »Puls«, eine mysteriöse Energiewelle, mit rasender Geschwindigkeit im Weltall aus. Manche Planeten blieben davon völlig unberührt, andere wurden ins Chaos gestürzt. Jane Kamalis Job ist es, von Planet zu Planet zu reisen und dort die begabtesten Kinder für den Wiederaufbau des Universums zu rekrutieren. Doch gerade als sie die junge Esa, einen telekinetisch begabten, miesepetrigen Teenager, aufgespürt hat, geht etwas schief, und plötzlich steckt Jane mitten in einem intergalaktischen Krieg – den sie versehentlich selbst ausgelöst hat ...

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Seitenzahl: 673

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Das Buch

Vor hundert Jahren breitete sich der so genannte »Puls«, eine mysteriöse Energiewelle, mit rasender Geschwindigkeit im Weltall aus. Manche Planeten blieben davon völlig unberührt, andere wurden ins Chaos gestürzt. Jane Kamalis Job ist es, im Auftrag des Ordens der Legitimierten von Planet zu Planet zu reisen und dort die begabtesten Kinder für den Wiederaufbau des Universums zu rekrutieren. Doch gerade als sie die junge Esa, einen telekinetisch begabten, miesepetrigen Teenager, aufgespürt hat, geht etwas schief, und plötzlich steckt Jane mitten in einem intergalaktischen Krieg – den ihr Orden versehentlich selbst ausgelöst hat ...

Der Autor

Drew Williams ist Buchhändler in Birmingham, Alabama, seit er sechzehn ist, da an dem Tag, als er gerade auf Arbeitssuche war, eine Stelle frei wurde. Abgesehen davon, dass er mit seinen Kollegen darüber streiten muss, ob »Moby Dick« brillant oder schrecklich ist, macht es ihm am meisten Spaß, als Buchhändler neue Autoren zu entdecken und sie mit seinen Kunden zu teilen. »Sternenpuls« ist sein erster Science-Fiction-Roman.

 

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DREW WILLIAMS

STERNEN PULS

ROMAN

Deutsche Übersetzung von Norbert Stöbe

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Titel der englischen Originalausgabe: THE STARS NOW UNCLAIMED Deutsche Übersetzung von Norbert Stöbe Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 03/2020 Redaktion: Lars Zwickies Copyright © 2018 by Drew Williams Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München, unter Verwendung eines Motivs von iStockphoto / Grandeduc Satz: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-22901-6V001www.diezukunft.de

Für Sara

ERSTER AKT

1

Scheherazade hatte mich auf dem höchsten Punkt einer verrosteten, halb verfallenen Raffinerie abgesetzt. Um mich herum erstreckte sich der scheinbar endlose Himmel dieser neuen Welt, ein helles, sienafarbenes Tuch, das die Sterne verbarg. Ich beobachtete, wie Schaz in den Orbit zurückflog – nun, »beobachten« ist ein starkes Wort in Anbetracht dessen, dass all ihre Stealth-Systeme auf Hochtouren liefen, aber ich bemerkte immerhin das verräterische Aufblitzen der Triebwerke –, dann schulterte ich das Gewehr und kletterte nach unten. Am stark verrosteten Metall fand ich Halt.

Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich einem diese Dinge werden: das Klettern, Springen und Balancieren, meine ich. Auf einer Welt, die nicht vom Puls betroffen war, wäre nichts davon nötig gewesen – ich wäre mit Antigravstiefeln oder einem Jetpack ausgerüstet oder einfach auf den Feldern ausgestiegen. Um von einem hundert Meter hohen Gebäude zum Boden hinunterzugelangen, hätte ich lediglich einen Knopf drücken und mich fallen lassen müssen, bis ich sanft gelandet wäre.

Ohne all diese nützlichen Errungenschaften war es körperlich deutlich anstrengender – das Klettern, Springen und Balancieren –, doch das machte mir nichts aus. Es war wie Fitnesstraining und erinnerte mich daran, dass dieser ganze Unsinn auf der Welt, zu der ich hinabkletterte, nichts bedeutete. Meine Reflexe und körperlichen Fähigkeiten würden für mein Überleben ebenso wichtig sein wie meine wenigen technischen Geräte, die der Nachpulsstrahlung widerstanden.

Als ich vom Turm hinuntergeklettert war, schwitzte ich ordentlich und hatte mich auf die harte Tour mit den physikalischen Gegebenheiten dieses Planeten vertraut gemacht. Ich wusste nun über Dinge wie die Launen der Schwerkraft und die Atmosphäre Bescheid. Die Werte der meisten Terraformwelten lagen innerhalb eines bestimmten Bereichs – doch es ist erstaunlich, wie stark sich selbst kleine Unterschiede summieren können, wenn man körperlich gefordert ist. Ein Hauch mehr Sauerstoff in der Luft als gewohnt, eine um ein Prozent höhere oder niedrigere Schwerkraft, und plötzlich werden alle Normen über den Haufen geworfen. Man muss sich neu anpassen.

Um wieder zu Atem zu kommen, setzte ich mich im Schatten des Raffinerieturms auf den Boden und überprüfte meine Ausrüstung. Nichts war beschädigt, und es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass die Strahlung schneller anstieg als angenommen. Ja, ich hatte hier einen Auftrag auszuführen, wollte aber unbedingt vermeiden, dass in einem ungünstigen Moment irgendein Gerät ausfiel und ich getötet wurde. Das hätte niemandem genützt.

Während der große Metallturm über mir im Wind ächzte, redete ich mir ein, dass ich ganze Arbeit leistete. An manchen Tagen gelang mir das besser als an anderen.

Sobald ich mich von der kleinen Kletterpartie erholt hatte, schulterte ich wieder mein Gewehr – eine solide Waffe mit Schwarzpulverpatronen, wie sie auf allen Nachpulswelten verwendet wurde, stark genug, um mit technisch fortschrittlicheren Waffen auf Welten mit noch weitgehend intakter Technik mitzuhalten, und primitiv genug, um auf rückschrittlicheren Welten wie dieser nicht unnötig aufzufallen –, dann setzte ich mich auf der mit mutiertem Gras bestandenen Ebene in Bewegung.

Diese Welt war sehr hübsch; das musste man denen, die sie entworfen hatten, lassen. Der Himmel hatte eine angenehme orange-pinkfarbene Tönung, die gegen Abend zu Indigoblau überging. Eine perfekte Ergänzung der importierten Pflanzenarten, hauptsächlich lange grüne oder violette Gräser und ein paar große Bäume, die überwiegend von Tyll stammten und dicke braune und graue Stämme hatten, auf denen azurblaue Wedel schwankten. Dort, wo kein Gras wuchs, erstreckten sich zumeist große Weizenfelder – auch der Weizen stammte von den Tyll –, was den Nachforschungen entsprach, die ich durchgeführt hatte, bevor Scheherazade mich absetzte.

Im Zuge der Recherche hatte ich zudem erfahren, dass diese Welt vor ein paar Hundert Jahren einem Terraforming unterzogen worden war, um sie landwirtschaftlich zu nutzen; von den Sektenkriegen war sie kaum in Mitleidenschaft gezogen worden, weshalb es mich ein wenig überraschte, dass der Puls den Planeten in technischer Hinsicht fast auf null zurückgeworfen hatte – auf ein Niveau vor der Entwicklung der elektrischen Beleuchtung.

Begreifen zu wollen, warum der Puls gerade diese Auswirkungen gehabt hatte, war jedoch vergeblich: Ich hatte schon Systeme besucht, in denen ein Planet verschont geblieben war, während ein anderer auf ein Level vor der Entwicklung des Weltraumflugs zurückgefallen war, wohingegen man auf dem Mond derselben Welt wieder beim Verbrennungsmotor gelandet war. Es gab keine plausible Erklärung, nicht einmal innerhalb eines einzelnen Systems – die Wirkung des Pulses war völlig zufällig, und nach einer verborgenen Absicht darin zu suchen war in etwa so, als wollte man in Wettermustern das Antlitz Gottes entdecken.

Das wusste ich, weil ich einer der Idioten war, die den Puls überhaupt erst von der Kette gelassen hatten. Deshalb war ich hier: Ich wollte versuchen, meine Fehler wiedergutzumachen. Natürlich nur im allerkleinsten Rahmen. Ich war nur eine Frau, und das Universum war sehr, sehr groß. Außerdem hatte ich viele Fehler begangen.

2

Ich marschierte weiter. Vor mir lag eine ziemlich weite Strecke.

Da der Puls diese Welt härter getroffen hatte als andere – die Atmosphäre war dermaßen mit Strahlung aufgeladen, dass alle elektrischen Systeme innerhalb von Stunden durchbrannten, sogar noch schneller, wenn man sie ausgiebig benutzte –, war das Gehen die einzig mögliche Art der Fortbewegung. Es war einer der Gründe, warum ich mich von Scheherazade – so heißt mein Raumschiff – auf dem Raffinerieturm hatte absetzen lassen: damit sie nicht landen musste. Dabei hätte sie sich schwere Schäden zugezogen, selbst in der kurzen Zeit, die ich zum Aussteigen gebraucht hätte.

Es gab noch einen zweiten Grund, weshalb ich mich so weit vom Zielgebiet entfernt hatte absetzen lassen. Ich wollte verhindern, dass wir beim Anflug bemerkt wurden. Es war vermutlich einige Generationen her, dass diese Welt Besuch aus der fernen Galaxis bekommen hatte; sie gehörte zu einem fast vergessenen Sternsystem in einem fast vergessenen Winkel eines herrenlosen, weitgehend unbeachteten Raumbereichs. Ich wollte nicht, dass die Einheimischen mich als Erlöser betrachteten, der gekommen war, um ihre pulsverseuchte Welt zu retten und sie in eine friedvolle Zeit zurückzuführen, die es nie gegeben hatte. Zudem war es weit wahrscheinlicher, dass man mich für einen Dämon halten würde, der zu Ende bringen wollte, was der Puls begonnen hatte. Man weiß nie, was einen auf den Welten, die so weit zurückgeworfen wurden, erwartet; deshalb geht man besser kein Risiko ein.

Welten wie diese – auch die, die für einen bestimmten Zweck entworfen wurden, wie zum Beispiel die Landwirtschaft – waren für Fahrzeuge wie Hochgeschwindigkeitsbahnen und Unterlicht-Orbitalshuttles optimiert, nicht für Fußgänger. Das bedeutete, dass eine längere Wanderung vor mir lag. Da ich einen weiten Flug im Hyperraum hinter mir hatte und dementsprechend lange in Scheherazades Innerem eingesperrt gewesen war, machte es mir nichts aus, mir die Beine zu vertreten.

Da ich meine Wanderung hier draußen in der Provinz begann, würde ich Gelegenheit bekommen, die einheimische Bevölkerung kennenzulernen, bevor sie auf mich aufmerksam wurde. Und diesmal begann alles mit einem Schrei. Aus irgendeinem Grund war das oft der Fall.

Der Schrei durchschnitt die Stille über den offenen Feldern. Schrill, durchdringend, ein Ausdruck von Angst, Schmerz und Verwirrung. Ein Kind.

Ich rannte los. Nach all den Jahren passiert das noch immer ganz automatisch. Man sollte eigentlich meinen, dass man gegen anderer Leute Hilferufe immun wäre, wenn man ohnmächtig zuschauen musste, wie der Puls das Universum auffraß. Aber das stimmt nicht. Was man im Großen ignorieren kann – den Tod von Milliarden Menschen –, indem man sich einredet, das ist zu mächtig und man kann nichts dagegen tun, lässt sich im Kleinen, wenn es um eine einzelne Person geht, der man tatsächlich helfen kann, nicht so leicht übersehen.

Die gleiche Logik hatte man vorgeschoben, als der Puls entwickelt wurde. Nur weil die Sache schiefging, hieß das nicht, dass das Argument unvernünftig gewesen wäre.

Auf einer Anhöhe wurde ich langsamer und teilte das Gras mit dem Gewehr, das ich von der Schulter genommen hatte, als ich den Schrei hörte. Am Fuß der Anhöhe war ein primitiver Wagen – vermutlich auf dem technologischen Stand dieser Welt, zusammengezimmert aus Holz und Nägeln, die Räder mit Eisenbändern verstärkt – zum Stehen gekommen, vor allem deshalb, weil jemand die Zugtiere erschossen hatte.

Ich kannte diese Spezies nicht, wenngleich Körperbau und Größe darauf hindeuteten, dass ihre Vorbilder von Wulf stammten. Aber darauf kam es auch nicht an – es hatte zu dem Zeitpunkt, da der Puls aufgetreten war, offenbar ausreichend viele davon auf diesem Planeten gegeben, um Viehzucht damit zu betreiben. Wichtiger waren im Moment die Familie, die vorne auf dem Wagen saß, und die bewaffneten Männer, die sie umzingelt hatten.

Auf allen Welten gibt es Männer mit Waffen. Daran konnte nicht einmal der Puls etwas ändern.

3

Von der Anhöhe aus – verborgen im hohen violetten Gras – zählte ich die Angreifer. Drei Menschen, zwei Wulfer – interessant, dass die Zusammenarbeit zwischen den Spezies nach dem Puls zumindest unter Banditen florierte. Fünf insgesamt. Nicht zu viele, um sie aus dem Hinterhalt zu erledigen.

Noch vor einigen Jahren, bevor alles zum Teufel ging, hätte ich an diesem Punkt eine Güterabwägung vorgenommen. War der Schutz von drei Menschenleben, nämlich der Familie auf dem Wagen, es wert, fünf anderen das Leben zu nehmen? Ich verfügte hier über keine juristischen oder moralischen Befugnisse – es stand mir nicht zu, mich in die Angelegenheiten dieser Leute einzumischen. Im Universum gab es Billionen und Aberbillionen intelligente Wesen; weshalb sollte ich mich auf acht von ihnen einlassen? Ständig wurden Leute geboren und starben, viele davon eines gewaltsamen Todes; für mich zählte eigentlich nur, ob diese Leute hier die Erfüllung meines Auftrags beeinflussen würden.

Ich schlug mir diesen ganzen Unsinn aus dem Kopf; in dem Moment, als das Kind geschrien hatte, wusste ich, was ich tun musste. Die Fragen, die ich mir nun stellte, waren anderer Natur – welcher der Männer würde als Erster schießen oder schneller reagieren als die anderen? Von welcher Waffe ging die größte Gefahr für mich aus, welcher Mann würde auf die Familie schießen, wenn er unter Feuer genommen wurde, und wer würde in Panik geraten, sich ducken oder flüchten? Kurz gesagt: Wer würde als Erster sterben und wer als Letzter?

Mittels Gedankenbefehl schaltete ich mein Head-up-Display ein – ein weiteres passives Gerät, das mir einen Vorteil verschaffte – und markierte alle fünf Angreifer mit einem roten Halo um den Kopf. Selbst wenn sie versuchen sollten, in Deckung zu gehen – dort unten lagen ein paar größere Felsbrocken, die sie vermutlich ansteuern würden –, könnten mir die Halos weiterhin ihre Position verraten. Ich legte mich langsam auf den Bauch und schaute durchs Visier.

Ich war zu weit entfernt, um zu verstehen, was geredet wurde. Doch es waren bereits Schüsse gefallen, die Waffen angelegt, die Zugtiere tot. Es interessierte mich nicht, ob die Männer vorhatten, die Familie am Leben zu lassen, wenn alles nach Plan verlief; sie hatten ihr Schicksal in dem Moment besiegelt, als sie ihre Waffe auf ein Kind richteten.

Ich eröffnete das Feuer.

Die erste Kugel traf den Anführer in die Schläfe. Ein Mann weniger. Die zweite traf einen der Wulfer direkt in die Schnauze; tödlich war die Verletzung vermutlich nicht, doch starker Schmerz macht einen Wulfer zum Berserker, ein physiologisches Relikt aus der Zeit, als sie noch Alpharaubtiere auf einer Welt mit vielen anderen Alpharaubtieren waren. Nützlich im Zweikampf, nicht aber bei einem Feuergefecht.

Die dritte Kugel traf einen Menschen in den Rücken, der mit dem Gewehr auf die Familie gezielt hatte. Drei von ihnen ausgeschaltet in weniger als drei Sekunden. Ich verfügte durchaus über gewisse Talente.

Der vierte und der fünfte Angreifer – die beiden Letzten – versteckten sich hinter den Felsen und versuchten herauszubekommen, wer zum Teufel da auf sie schoss. Doch der Mann und die Frau auf dem Wagen hielten inzwischen Waffen in ihren Händen, sodass die beiden Strauchdiebe nun von allen Seiten unter Feuer genommen wurden. Ich zielte weiterhin auf ihre Position, während der Mann vom Wagen abstieg, gemächlich zum Versteck des ersten Angreifers ging und zweimal seine Pistole abfeuerte – einen alten Revolver, der noch größer war als der, den ich an der Hüfte trug. Der rote Halo, der die Position des Banditen markierte, erlosch. Dem fünften Angreifer erging es ebenso, obwohl er sein Gewehr wegwarf und sich zu ergeben versuchte.

Als wir uns den Puls ausgedacht hatten, waren wir keinen Moment lang davon ausgegangen, dass er alle Gewalt aus dem Universum ausmerzen würde – wir hofften lediglich, er werde sie reduzieren. In gewisser Hinsicht hatte es funktioniert. Aber die Gewalt ist uns allen eingeschrieben, sie ist tief in uns verwurzelt. Versetzt man Menschen einen Schubs – indem man zum Beispiel ihre Familie bedroht –, werden sie sogar sich selbst schaden, nur um einen zur Rechenschaft zu ziehen. Machte ich dem Familienvater dort unten einen Vorwurf daraus, dass er den Mann tötete, der kaltblütig sein Kind mit der Waffe bedroht hatte? Das tat ich nicht. Ich hatte selbst schon Schlimmeres getan.

Da wir gerade davon sprechen: Der verletzte Wulfer kroch immer noch über den Boden und versuchte sich davonzumachen, sein dichter Pelz war von dem Blut durchtränkt, das aus seiner zerfetzten Schnauze strömte. Allein das Adrenalin hielt ihn in Bewegung. Der Farmer lud nach; ich jagte dem Wulfer eigenhändig eine Kugel in den Schädel, direkt zwischen seine blutunterlaufenen Augen. Kaltblütig, mag sein, aber auch praktisch – mit seiner Verletzung hätte er in Anbetracht des Stands der medizinischen Versorgung auf dieser Welt ohnehin nicht lange überlebt.

Fünf tot. Erledigt.

Der Farmer beschirmte die Augen mit der Hand und schaute die Anhöhe hoch, ungefähr in meine Richtung. Ich richtete mich langsam aus dem wogenden Gras auf. Das Gewehr hielt ich weit vor mich, mit einer universellen Geste, die bedeutete: Ich werde nicht auf dich schießen. Der Mann nickte, winkte mich mit der freien sechsfingrigen Hand zu sich und schob den Revolver ins Holster.

Anscheinend hatte ich einen neuen Freund gewonnen.

4

Ich stieg den Hang hinunter und teilte das Gras mit dem Gewehr in meiner Hand, aber ohne auf jemanden zu zielen. Der freundliche Einheimische war ein Tyll, was nicht verwunderlich war, da siebzig Prozent der Anhänger dieser Sekte, die den Planeten vor dem Puls kontrolliert hatte, Tyll gewesen waren.

Für menschliche Augen wirkten Tyll reptilisch; sie waren hochgewachsen und hatten grünliche Schuppen, standen aber der terranischen Flora in genetischer Hinsicht näher als der Fauna. Wie bei den meisten Tyll verlieh das hohlwangige Gesicht des Farmers ihm einen mürrischen Ausdruck, wozu auch die breiten, schwarzen Pupillen beitrugen, die das Auge weitgehend ausfüllten. Dabei sind die Tyll gar nicht mürrisch veranlagt; doch bisweilen zieht man eben falsche Schlüsse, wenn man versucht, in dem Gesicht eines Nichtmenschen einen »menschlichen« Ausdruck zu lesen. Tatsächlich sind Tyll eher fröhliche Wesen, jedenfalls in kultureller Hinsicht.

Dieser spezielle Tyll hatte jedoch keinen Grund für gute Laune. Er begrüßte mich mit einem höflichen, wenn auch zurückhaltenden Kopfnicken, dann legte er die Hand auf die harte Platte, die seinen Kopf anstelle von Haar bedeckte. »Danke für deine Unterstützung«, sagte er tonlos. Falls es ihn erstaunte, dass ihm eine Frau zu Hilfe gekommen war, so ließ er es sich nicht anmerken. Das bedeutete, dass meine Verkleidung – eine ausgewaschene Fliegerjacke und graue Militärkleidung einer Sekte, die fernab dieser Raumregion beheimatet war, alles aus der Zeit vor dem Puls – überzeugend wirkte und dass meine körperliche Erscheinung – kupferfarbene Haut, pechschwarzes Haar – nicht untypisch für die Menschen dieses Planeten war.

Er spuckte Schleim ins Gras neben seinen toten Lasttieren. »Die Siedlungsverwaltung behauptet, man hätte alle Banditen aus diesem Gebiet vertrieben. Du siehst ja, was deren Aussage wert ist.«

»Kommt ihr drei allein zurecht?«, fragte ich. Ich hätte es besser unterlassen sollen, denn ich hatte keine Ahnung, was ich erwidern würde, wenn er mich bitten sollte, ihm zu helfen. Doch ich gefiel mir in der Rolle einer Person, die anderen half und Gutes tat. Das war ich nicht immer gewesen, doch ich bemühte mich.

Er nickte verdrießlich. »Bis zu unserer Farm ist es nicht weit«, entgegnete er. »Wir wollten gerade … wollten etwas ausliefern …« Er trat neben dem Rad des Wagens, den seine Tiere nicht mehr ziehen konnten, gegen den Boden. Vermutlich war in den Holzfächern auf der Ladefläche der Ernteüberschuss eines Jahres verstaut, und jetzt würde er es nicht mehr schaffen, ihn rechtzeitig zum Markt zu schaffen, bevor alles verdarb.

»Wo geht es zur Siedlung?«, fragte ich. Er zeigte über den Hügel hinweg, ungefähr in die Richtung, in die der Wagen unterwegs gewesen war. Ich nickte, beschirmte die Augen mit der Hand und blickte zum Horizont. Der Wald wurde dort dichter, die schweren blauen Wedel verschmolzen zu einem Baumkronendach. Mehr konnte ich nicht erkennen.

»Ich suche nach irgendeiner Art von Zivilisation«, sagte ich in beiläufigem Ton. Auf Welten wie dieser gab es viele Herumtreiber, die ihren Lebensunterhalt mit der Waffe bestritten; ich hatte mich absichtlich so gekleidet, dass ich in diese Kategorie passte. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, ein bestimmtes Ziel zu haben. »Wenn ich dort ankomme, soll ich dann jemandem Bescheid geben, dass er nach dir sieht oder dir ein paar Zugtiere bringt?«

Seine gespaltene Zunge schnellte hervor – die Tyll-Version aufgerissener Augen. »Das ist ein sehr großzügiges Angebot«, sagte er. »Eigentlich kann ich dich nicht darum bitten – du hast uns bereits das Leben gerettet.«

Ich grinste und achtete darauf, meine Zähne zu zeigen. »So großzügig ist es gar nicht, denn ich beanspruche dafür einen Teil deines Erlöses«, erwiderte ich. Ich hatte keine Ahnung, welche Währung hier galt – vermutlich gestampfte Kronkorken oder etwas anderes, das überall sonst vollkommen wertlos war –, doch viele Leute werden misstrauisch, wenn man für eine Gefälligkeit keine Gegenleistung einfordert.

Aus seiner Brust kam ein Grollen; er überlegte. »Ich glaube, wir bekommen kein besseres Angebot«, sagte er und nickte. »Danke.« Er reichte mir die Hand.

Es war eine interessante Geste – das Händeschütteln war eine Eigenart der Menschen, jedoch während des sogenannten goldenen Zeitalters der kulturellen Übertragung und der Durchmischung von anderen Völkern übernommen worden. In den nachfolgenden schlechten Jahren hatten viele Sekten sich auf ihre »Identität« besonnen und versucht, den Makel volksfremder Interaktionen aus ihrer Gesellschaft auszumerzen.

Die Daten, die ich an Bord von Scheherazade studiert hatte, deuteten darauf hin, dass die Tyll auf diesem Planeten vor dem Puls einer solchen Sekte angehört hatten. Offenbar hatten die ungefähr hundert Jahre, die sie zusammen mit Menschen und ein paar anderen Spezies auf einer Welt des Schwarzpulverzeitalters gefangen gewesen waren, eine ideologische Neuorientierung herbeigeführt, und das Händeschütteln war erneut üblich geworden. Nichts ist beständiger als der Wandel.

Jedenfalls schüttelte ich ihm die Hand. »Gibt es jemand Bestimmten im Dorf, mit dem ich sprechen soll?«, fragte ich.

»Ja – frag nach Marza.« Er nickte. Das Kopfnicken stellt übrigens keine kulturelle Übernahme dar, sondern ist bei zweibeinigen Spezies recht weit verbreitet. Das gilt erstaunlicherweise auch für das Lächeln und das Lachen. Die meisten Zweifüßer kommunizieren Zustimmung auf die gleiche Weise. Für Meinungsverschiedenheiten gilt das Gleiche – sie gehen für gewöhnlich mit Gewalt einher. »Er wird mir Tiere schicken, zu seinem … Preis.« Die Aussicht, dass sein Gewinn geschmälert werden würde, bedrückte den Farmer offenbar, aber, hey – es war immer noch besser als tot zu sein.

»Marza. Merk ich mir. Also dann – bleib schön im Schatten.« Ich nickte. »Ich sage deinem Freund Bescheid.«

»Noch einmal – wir stehen in deiner Schuld.«

»Ich tue nur meine Pflicht.«

Er legte den Kopf in den Nacken, typisch für einen Tyll. »Pflicht?«, wiederholte er.

Ich zuckte mit den Schultern. »Nur so eine Redewendung.«

Solche Fehler musste ich in Zukunft vermeiden.

5

Als ich durchs hohe Gras in die Richtung des Waldes am Rand der Weizenfelder marschierte, wie der Farmer es mir geraten hatte, ging ich in Gedanken meine Optionen durch. Ich wusste, dass ich mich in dem Gebiet aufhielt, in dem sich das Gesuchte befand, forschte aber immer noch nach der Nadel im Heuhaufen. Mein HUD würde das Ziel anzeigen, sobald es in Sichtweite war – es hatte eine spezielle Signatur –, doch das war auch schon alles. Ich war vor allem auf mein Gespür angewiesen, das leider nicht gerade zu meinen hervorstechendsten Eigenschaften zählte.

Nachdem ich etwa eine Stunde lang durch den Tyll-Wald marschiert war, lichteten sich die Bäume und gaben die Sicht auf den Zielort im Tal frei. Wie es typisch für Welten wie diese war, hatte man die Siedlung rund um eine alte Militäranlage errichtet. Ärmliche Holzhütten und imposantere Steinhäuser umgaben die funktionsunfähigen Luftabwehrbatterien, eine riesige Antiorbitalkanone und die umliegenden Lagerhäuser.

Je weiter eine Welt in technologischer Hinsicht zurückgeworfen wurde, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass deren Bevölkerungszentren in der Nähe der Relikte aus der Vergangenheit lagen. Dafür gibt es verschiedene Gründe, vor allem psychologische und militärische, doch in diesem Fall waren die meisten praktischer Natur: Das Gebiet lag in Küstennähe und wurde Scheherazades Analyse der hiesigen Wettermuster zufolge während der zwei alljährlichen Monsunzeiten überschwemmt. Das war zweifellos ein Segen für die Landwirtschaft, doch da fortschrittliche Bautechniken nach dem Puls in Vergessenheit geraten waren, taten die Einheimischen gut daran, das zu nutzen, was noch erhalten war. Die Geschützbatterien waren in der Lage, einem Bombardement mit Megatonnen Sprengkraft zu widerstehen, und boten einen besseren Schutz vor den sintflutartigen Regengüssen als alles, was die Einheimischen zu bauen imstande waren.

Die Sonne erhob sich gerade über dem wogenden Gras, und die Militäranlage, welche die umliegende Siedlung winzig erscheinen ließ, bot einen imposanten Anblick. Ich schätzte die Einwohnerzahl auf etwa zwanzigtausend, und von meiner Position auf der Hügelkette aus gewann ich den Eindruck, dass die Bevölkerung einen repräsentativen Querschnitt der auf dieser Welt vertretenen Spezies darstellte. Das bedeutete, dass zumindest die Bewohner dieses Gebiets die Sektiererei der Kriegszeit überwunden hatten.

Frieden durch zwangsweise Entwaffnung. Das war ursprünglich das Ziel des Pulses gewesen. Leider hatte er nur in seltenen Fällen die gewünschte Wirkung gehabt.

Ich ging den Hang hinunter. Das Gewehr hatte ich geschultert und ließ die Hände herunter hängen. Die Siedlung machte zwar einen friedlichen Eindruck, doch wenn hier Straßenräuber eine Gefahr darstellten, gab es bestimmt Wachposten, die nicht zögern würden, eine Fremde zu erschießen, die sich mit schussbereiter Waffe näherte.

Niemand hielt mich auf, als ich den Basar am Rand der Siedlung erreichte. Die Einheimischen verhökerten hier ihre Waren, und der arme Tyll-Farmer, dem ich begegnet war, hatte vermutlich das Gleiche vorgehabt. Bei einer Verkäuferin – einer Tyll, die dicken, blättrigen Eintopf feilbot – erkundigte ich mich nach Marza. Sie schickte mich zu einer Kneipe, die in einem ehemaligen Lagerschuppen untergebracht war. Selbst wenn die Leute auf ein technisches Niveau vor der Erfindung der Elektrizität zurückgeworfen wurden, fanden sie doch immer einen Weg, Alkohol zu destillieren.

In der schummrigen Bar wurden verschiedene Getränke serviert, die in Kreideschrift an der Wand aufgelistet waren. Die Karte war nach Spezies unterteilt. Ein Mensch und ein Tyll konnten in etwa das Gleiche trinken, erzielten damit eine ähnliche Wirkung und hatten aufgrund ihrer unterschiedlichen Geschmacksknospen lediglich unterschiedliche Vorlieben, vertrugen aber keine Getränke, die ein Wulfer bevorzugte. Die Getränke anderer Spezies – beispielsweise die der Reint oder der Vyriat – waren hingegen für sie tödlich. Die meisten der siebzehn Spezies, aus denen die galaktische Bevölkerung zusammengesetzt war, wiesen gewisse biologische Gemeinsamkeiten auf. Dazu zählten eine Biologie auf Kohlenstoffbasis und ein bestimmter benötigter Sauerstoffgehalt der Luft. Doch es war dennoch wichtig, die Unterschiede im Auge zu behalten.

Bei der Barfrau, einer zotteligen, hundeartigen Wulferin, erkundigte ich mich nach Marza; sie schaute kaum vom Glas hoch, das sie gerade spülte, und blickte zu einem Mann, der an einem Tisch in der Ecke saß und mit anderen Gästen plauderte. Ich ging zu ihm und berichtete ihm vom Missgeschick seines Freundes, worauf er mir dankte und mir als Lohn für meine Dienste ein paar quadratische Metallstücke reichte – vermutlich die hiesige Währung. Ich ging wieder zurück auf die Straße.

Wie soll man ein einzelnes Menschenkind in einer Siedlung mit Hunderten von Kindern finden? Zumal in einer Siedlung mit kaum vorhandenen Speziesschranken? Verstehen Sie mich nicht falsch, ich war hocherfreut darüber, dass es hier so friedlich und gesittet zuging, doch es erschwerte meinen Job – hätte es ein Menschenviertel gegeben, hätte ich die Suche einengen können.

Die Abwesenheit von Rassenschranken bedeutete, dass ich für meine Suche zwei Ansatzpunkte hatte. Ich könnte herausfinden, welche Religion sich in den vergangenen hundert Jahren entwickelt hatte, denn solange man seine Fragen entsprechend formulierte, stellten Priester wertvolle Informationsquellen dar. Und wenn mich das nicht weiterbrachte, könnte ich nach einem Waisenhaus suchen. Dies war nicht das erste Kind, das ich rekrutiert hatte, und aus irgendeinem Grund setzten die Gaben, über die sie verfügten und die bestätigten, dass sie das waren, wofür wir sie hielten, anscheinend einen tragischen oder traumatischen Hintergrund voraus.

Ein Mann, der die merkwürdigen Lasttiere vermietete, die ich bereits in totem Zustand gesehen hatte, verwies mich auf einen Tempel. Dort also würde ich mit der Suche beginnen.

Religion war auch schon vor dem Puls eine seltsame Sache gewesen. Die Vermischung von siebzehn unterschiedlichen Spezies sowie die nachfolgenden sektiererischen Aufspaltungen hatten unterschiedliche Vorstellungen auf manchmal merkwürdige und unerwartete Weise aufeinanderprallen lassen und zur Entstehung neuer Religionen geführt, die sich wiederum aufspalteten. In der Folge des Pulses – ein aus Sicht der Leute beispielloses und vollkommen unerklärliches kosmologisches Ereignis, das über sie kam wie ein Gottesurteil – waren alle möglichen bizarren Sekten und Glaubensrichtungen entstanden. Viele davon waren apokalyptischer Natur, und auch hier war es ganz ähnlich.

Die »Kirche«, sofern es sich um eine handelte, war unter einer längst verstummten Anti-Raumschiff-Kanone errichtet worden. Die Waffe diente als Dach, was bedeutete, dass während der Messe vermutlich Wasser vom nackten Metall auf die Köpfe der Betenden tröpfelte, doch vermutlich gehörte die Läuterung durch das Abwasser des Krieges zu ihrem Glaubenssystem. Ich schaute mir die Mittagsmesse vom Eingang aus an und überlegte, wie sie den Puls wohl in ihren Glauben integriert haben mochten.

Die Priesterin war eine Barische. Damit hatte ich nicht gerechnet. Zum einen hatte es auf dieser Welt nicht viele Angehörige dieser Maschinenrasse gegeben; zum anderen neigten die Barischen mehr als andere Spezies dazu, unter sich zu bleiben, eine Folge der grundlegenden physiologischen Unterschiede zwischen ihnen und den biologischen Spezies und der ziemlich abscheulichen Art und Weise, wie man sie vor dem Puls behandelt hatte.

Barische waren speziell. Sie waren alles, was noch von einer Vorläuferrasse übrig geblieben war, die einst den Kosmos dominiert hatte – noch bevor die Vertreter aller anderen Spezies, die sich inzwischen über das All ausgebreitet hatten, überhaupt das Feuer entdeckten. Wer auch immer diese Wesen gewesen sein mochten, man bezeichnete sie im Allgemeinen als »die Vorläufer«, sie waren verschwunden. Überdauert hatten nur ihre Helfer, herrenlos gewordene KI-Wesen: die Barischen. Man hatte sogar die kollektiven Datenbanken der Spezies gelöscht und alle Spuren und Hinweise darauf, wer ihre Schöpfer gewesen waren und weshalb sie die Barischen erschaffen hatten, getilgt.

All das war für mich im Moment nicht wichtig. Doch der Puls hatte die Systeme der Barischen intakt gelassen, was bedeutete, dass die Priesterin nicht nur wesentlich älter war als ich, sondern auch über schärfere Sinne und empfindlichere Sensoren verfügte als die meisten Einheimischen, denen ich begegnen würde. Wenn jemand erkennen würde, dass ich von einem anderen Planeten stammte, dann sie.

Ich sage »sie«, weil ich es so gewohnt bin; Barische sind eingeschlechtlich.

Die Barische beendete ihre Predigt – das übliche apokalyptische Gerede, »dies ist das Ende aller Zeiten, und bald wird der Puls wiederkehren und über unsere Taten urteilen«, das ich bereits auf Dutzenden Welten gehört hatte; was sie falsch aufgefasst hatte und wie sie zu diesen Schlussfolgerungen gelangt war, war beinahe ebenso aufschlussreich wie das, was sie richtig verstanden hatte. Als die Gläubigen herauskamen, machte ich ihnen Platz. Ich überlegte kurz, mich ihnen anzuschließen, denn eine Unterhaltung mit einer Barischen barg ein hohes Risiko. Doch ich brauchte dringend Informationen, und die Kirche war ein guter Start, deshalb verdrängte ich den Impuls. Es wurde Zeit, mir eine Dosis Religion abzuholen.

6

Die Priesterin musterte mich, als ich mich ihr näherte. Auf ihrer Metallhaut spiegelte sich das Licht der im Tempel verteilten Kerzen. Wie die meisten Barischen war sie groß und kantig und stand unglaublich reglos vor dem Altar – im Unterschied zu organischen Spezies verlagerten Barische nicht ständig ihr Gewicht, bewegten nicht die Schultern, lehnten sich nicht irgendwo an und nestelten auch nicht mit den Fingern. Und wie bei den meisten Barischen war ihre »Haut«, die metallische Verkleidung des Chassis, an manchen Stellen mit gröberen Materialien geflickt, und man hatte die komplexen Originallegierungen mit Legierungen von Kupfer und Messing verschweißt. Zwar hatten die Barischen den Puls intakt und funktionstüchtig überstanden, doch das galt nicht für ihre Wartungseinrichtungen. Und wenn ihre Komponenten beschädigt wurden, mussten sie sie mit dem ersetzen, was verfügbar war.

»Eine Außenweltlerin«, sagte sie ohne jegliche Betonung. »Interessant.«

Na gut. So viel zur Geheimhaltung.

»Wenn du mich fragst, ob ich eine Botschaft der Götter überbringe …« Ich schüttelte den Kopf. »Dann muss ich sagen, das ist nicht mein Ding.«

»Nein, das hatte ich nicht vor.« Sie legte den Kopf schief, und das Licht in ihren Augen veränderte sich, als sie andere Sensoren einschaltete. Ich hatte keine Ahnung, was sie da scannte. Eine Unterhaltung mit einer Barischen verläuft bisweilen etwas … invasiv, da sie mehr Informationen aufnehmen als organische Wesen und sie so mühelos und unbewusst verarbeiten, wie wir atmen. Doch was immer sie tat, sie gab ein klickendes Geräusch von sich, als sie damit fertig war. Die barische Version eines menschlichen »Hm«. »Rechthaber«, sagte sie.

Für eine Barische war das ein Gedankensprung. Es war ein korrekter Sprung, aber trotzdem. Sie sagte damit nicht, dass sie sich beurteilt fühlte oder dass ich sie beurteilen würde; »Rechthaber« war die umgangssprachliche Bezeichnung für meine spezielle Sekte – vielmehr war sie das vor dem Puls gewesen. Wir waren damals nicht sehr bekannt gewesen, und so war es uns auch recht. War es noch immer.

Schließlich waren wir für die größte Katastrophe verantwortlich, die das Universum jemals heimgesucht hatte. Wenn man ein solches Geheimnis verbirgt, lädt man andere nicht zum genauen Hinschauen ein. Und ja – ich bin mir bewusst, dass die Bezeichnung nach dieser speziellen Tat nicht einer gewissen Ironie entbehrt.

Der volle Name der Sekte lautete übrigens »Die Legitimierten und Bußfertigen«. Klingt das nicht besser? Ich finde schon.

»Du wirkst nicht überrascht«, sagte ich.

»Noch während des Krieges hat deine Sekte ständig ihre Nasen – und ihre Schnauzen, Mäuler und Rüssel – in Dinge gesteckt, die sie nichts angingen«, erwiderte sie. »Wie sollte es mich da wundern, dass ihr das nach dem Puls immer noch fertigbringt? Nein. Ich bin nicht überrascht.«

»Du bist keine Einheimische«, erklärte ich mit Nachdruck. Sie hatte mich bereits verwirrt, denn dass sie mich als Rechthaber identifiziert hatte, bedeutete, dass sie zumindest vor dem Puls gut informiert gewesen sein musste. Also konnte ich nicht davon ausgehen, dass sie – wie die meisten Leute auf Welten wie dieser – glauben würde, dass der Puls alle Planeten der Galaxis auf die gleiche technologische Stufe zurückgeworfen hatte. Wie viel sie tatsächlich wusste oder was sie hier machte – auf diese Fragen gab es keine einfache Antwort, und deshalb würde ich mein Blatt noch sorgfältiger verdeckt halten müssen als üblich.

Gleichwohl wollte ich auch nicht den Eindruck erwecken, ich würde ihr ausweichen – das hätte sie womöglich verärgert, und das wollte ich unbedingt vermeiden. Wenn es ihnen in den Kram passt, tun die Barischen zwar gerne so, als ginge es bei ihnen immerzu logisch und vernünftig zu, aber ganz ehrlich, sie können richtig sauer werden, und wenn das passiert, sollte man auf Abstand gehen. In ihrem Zorn bauen sie gottverdammte Ferienhäuser, die sie immer dann aufsuchen, wenn sie nostalgisch werden. Barische sind nachtragend wie kaum jemand anders, und da sie aufgrund ihrer Bauweise doppelt so kräftig sind wie der stärkste Mensch, der je das Licht der Welt erblickt hat, kann ihr Groll üble Folgen haben.

»Kennst du den Grund?«, stellte sie die beinahe rituelle Frage. »Weißt du, was den Puls verursacht hat?«

Die Frage sollte mich überrumpeln, und das wäre ihr beinahe auch gelungen. Ich musste gut aufpassen – in Anbetracht all der Sensordaten, die sie sammelte, konnte sie möglicherweise erkennen, wann ich log. Vielleicht aber auch nicht: Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung gibt es so etwas wie einen universellen Lügendetektor nicht. Selbst innerhalb ein und derselben Spezies gibt es große Unterschiede bei den Anzeichen und physiologischen Veränderungen, die mit einer Lüge einhergehen.

Die Barische aber sah mit ihren Sensoren, Scannern und sonstigen Gerätschaften mehr als die meisten; sie sammelte haufenweise physiologische Daten, weshalb sie besser als andere Spezies beurteilen konnte, ob ich aufrichtig war oder nicht.

Deshalb entschied ich mich für Option B: eine Ausflucht. »Die Ursache des Pulses interessiert mich nicht«, sagte ich. »Ich will dazu beitragen, dass dergleichen nicht noch einmal passiert.« Das stimmte in gewisser Weise, so wie es der Wahrheit entspricht, zu sagen »Ich habe das letzte Brötchen auf dem Tisch nicht gegessen«, wenn man es sich in die Tasche gesteckt hat. Außerdem passte es prima zu dem Pech und dem Schwefel, die sie gerade eben gepredigt hatte: Auf vorgefasste Meinungen einzugehen ist stets nützlich, wenn man jemandem etwas weismachen möchte.

»Und das macht den Besuch eines Ortes der Andacht nötig?«, fragte sie.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin hier, weil man an Orten der Andacht leicht an Informationen herankommt«, entgegnete ich wahrheitsgemäß. »Ich suche jemanden, und du kannst mir vielleicht bei der Suche helfen.«

Sie legte den Kopf schief, und das Licht in ihren Augen veränderte sich erneut. »Wen?«, fragte sie.

Ich nickte. »Ein Menschenkind«, sagte ich. »Ein vierzehnjähriges Mädchen.«

»Also gezeugt beim Erscheinen der Meteoriten …«

Ich nickte erneut. Ich wollte nicht darüber reden; es hätte uns näher an Themen herangeführt, über die ich nicht mit ihr sprechen wollte. Außerdem war ich mit dem Mädchen, nach dem ich suchte, nicht verwandt – es gab zwar eine Beziehung zwischen uns, doch sie war nicht kausaler Natur. »Sie dürfte durch ihre besonders Tüchtigkeit aufgefallen sein. Durch spezielle Fähigkeiten.«

Die Barische musterte mich mit schmalen Augen, was mit einem leisen Surren der Gesichtsservos einherging. Sie überlegte einen Moment – in Anbetracht der hohen Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit der Barischen bedeutete dies, dass sie sich für die Antwort eine Ewigkeit Zeit nahm. »Ich glaube, ich kenne die gesuchte Person«, sagte sie.

7

Die Barische geleitete mich durch die Stadt, fort von den großen Geschützen und dem Markt, in Richtung der Randbezirke. Sie sagte mir, sie heiße Alexi54328, aber ich könne sie »Predigerin« nennen. Ich hatte keine Ahnung, weshalb sie mir ihren Namen nannte, wenn sie nicht wollte, dass ich ihn verwendete. Barische waren seltsame Geschöpfe.

Die Bewohner dieser Siedlung, wie immer sie auch heißen mochte, grüßten sie freundlich, was mich eigentlich nicht überraschte. Da sie alt genug war, um sich an die Zeit vor dem Puls zu erinnern, wäre sie als Barische auch dann Gegenstand von Verehrung gewesen, wenn sie kein religiöses Amt ausgeübt hätte.

»Wohin gehen wir?«, fragte ich. Wir befanden uns in einem stark heruntergekommenen Viertel: mehr natürliches Holz, geborsten und verblasst, weniger stabile Steingebäude. Den meisten Häusern mangelte es an den bunten Farben, von denen die besseren Viertel geprägt waren.

»Zum Waisenhaus«, antwortete sie, womit sie meine Vermutung bestätigte. Aus irgendeinem Grund waren die Kinder, die ich ausfindig machen sollte, stets Waisen. Vielleicht wurden ihre Fähigkeiten durch Stress und Traumata aktiviert, oder aber das Universum hatte einen Sinn für schwarzen Humor. Oder die für Geschichtenerzähler typische Vorliebe für Pathos. Ich hatte mir nie viel aus Religion gemacht – meine Erziehung hatte mich dem Konzept des Glaubens dauerhaft entfremdet –, doch bisweilen sah ich im Lauf der Ereignisse etwas anderes wirken als die Hand des Zufalls, selbst wenn diese Hand eine obszöne Geste in meine Richtung machte.

»Ihre Eltern?«, fragte ich.

»Sind vor Jahren bei einem Raubüberfall ums Leben gekommen. Kurz nach ihrer Geburt.« Vor Jahren – das passte nicht zu meiner Theorie von einem aktivierenden Trauma. Ich hatte das Mädchen erst seit einigen Monaten auf dem Radar – seit ihre Fähigkeiten sich manifestiert hatten. Es musste einen anderen Auslöser geben …

Mein Gedankengang geriet ins Stocken, als plötzlich der Boden schwankte, so als setzte gerade ein Erdbeben ein. Das aber war ausgeschlossen. Ich hatte mir die Scans angesehen; der ganze Planet war tektonisch stabil, ein weiteres Überbleibsel der Terraforming-Technologie, die vor dem Puls weit verbreitet gewesen war. Und doch war es mein erster Gedanke.

Mein zweiter Gedanke war, dass ein Raumschiff in den Orbit eingetreten war, groß und schnell genug, um massive Turbulenzen auszulösen. Diese Erklärung aber verwarf ich ebenso schnell wie die Erdbeben-Theorie, denn wer wäre schon so verrückt gewesen, mit einem Schiff in eine von der Pulsstrahlung verseuchte Atmosphäre einzudringen?

Wie sich herausstellte, hätte ich die Idee nicht so schnell verwerfen sollen. Es gibt immer jemanden, der leichtsinnig genug ist, zu glauben, er könne dem Puls die Stirn bieten. Sie irren sich immer, aber trotzdem.

Es war ein Raumschiff.

Ein großes Schiff.

Es dröhnte durch die obere Atmosphäre, rüttelnd und bebend, als stünde es unter schwerem Beschuss. Es war nicht nur groß, es war gewaltig, doppelt so groß wie die Siedlung: ein Schlachtschiff, kantig, mit Geschütztürmen und klotzigen Vorsprüngen, so groß, dass es die Mittagssonne verdunkelte und die ganze Siedlung in Schatten hüllte, während die Stadt vom Ächzen und Heulen der überlasteten Schiffsmaschinerie widerhallte. Ein solches Schiff hätte niemals in eine Gravitationssenke eintreten dürfen, von einer pulsgeschädigten Atmosphäre ganz zu schweigen.

Die Menschen auf der Straße blickten nach oben, mit offenem Mund oder schreiend. Abgesehen von langlebigen Spezies wie den Barischen, waren für die meisten seit dem Puls Generationen vergangen. Ein Schlachtschiff aus dem Orbit herabstürzen zu sehen, war für sie in etwa so, als würden sich die Götter ihrer Großeltern – an die sie nur halb glaubten – auf einmal unmittelbar vor ihnen manifestieren. Zwar müsste dies im Grunde ein Moment der Klarheit und Ekstase sein, doch in Wahrheit macht man sich wohl eher vor Angst in die Hose. Das war jedenfalls die vorherrschende Reaktion um mich herum, und ich konnte es den Leuten nicht verdenken. Das Schwanken des Bodens machte es auch nicht besser.

Ich selbst war auch nicht wirklich angetan, doch das hatte weniger mit dem Auftauchen des Raumschiffs zu tun – ich hatte gewusst, dass es möglich war, wenn auch nicht wahrscheinlich –, sondern eher mit dem großen Emblem, das an der Seite des Schiffs unter den Erschütterungen, die sich durch den Rumpf fortpflanzten, erzitterte: eine vierfingrige Faust, halb geschlossen um einen stilisierten Stern.

Die Pax. Die verfluchten Pax.

An der Unterseite des Raumschiffs öffneten sich Schlitze; Betäubungsdrohnen fielen heraus wie Insektenschwärme, bereit, sich auf alles mit einer Wärmesignatur zu stürzen und Stromschläge und milde Neurotoxine auszuteilen. Sie würden in der gepulsten Atmosphäre nicht lange durchhalten, doch das war auch nicht nötig – es gab viele Einheimische in der Nähe, viele Wärmesignaturen, die sie sich vorknöpfen konnten.

Wir strahlten ebenfalls Wärme ab. Ich schaltete meinen Intentionsschirm ein, packte die Predigerin um die Hüfte und zog sie so dicht an mich, dass sie ebenfalls vom Schutzschirm erfasst wurde. Gerade noch rechtzeitig: eine schlanke Drohne hielt direkt auf uns zu. Sie flog dicht über den Boden hinweg wie eine Libelle, von unserer Wärme angezogen wie eine Motte vom Feuer.

Eine Motte, die auf einmal explodierte. Mein Schutzschirm hielt den Stromschlag und die Toxine ab, nicht aber die Druckwelle; sie verteilte sich nicht über den ganzen Körper, sondern hob mich und die Predigerin von den Beinen und schleuderte uns gegen eine Hüttenwand. Als wir uns aus den Holztrümmern aufrappelten, herrschte Chaos.

Es rührte nur teilweise von den Betäubungsdrohnen her. Die Pax hatten es ebenfalls auf das Mädchen abgesehen – diesem Ziel hatten sie ihre Taktik untergeordnet. Sonst hätten sie keine Betäubungsdrohnen eingesetzt, sondern mit Energiekanonen alles in Schutt und Asche gelegt. Als ich meinte, sie seien leichtsinnig gewesen, war das nicht nur so dahingesagt – offenbar hatten sie sich nicht überlegt, was passieren würde, wenn sie ein der Pulsstrahlung ausgesetztes Schlachtschiff unmittelbar über besiedeltem Gebiet parkten.

Metallplatten und Trümmerteile wurden vom Schiffsrumpf abgerissen, dem die Strahlung mit aller Macht zusetzte. Wie ich bereits sagte, je fortschrittlicher und je aktiver die Technologie, desto stärker die Wirkung der Strahlung – und das galt umso mehr für ein Stück Technik von dieser Größe. Scheherazade hätte es in großer Höhe etwa eine Stunde lang ohne schwere Schäden in der Atmosphäre aushalten können, doch sie war klein, auch nach für Personenraumschiffe geltenden Maßstäben. Das Schlachtschiff aber war so groß wie eine gottverdammte Stadt und bereits tiefer gesunken als Schaz an dem Punkt, wo sie mich auf dem Raffinerieturm abgesetzt hatte. Das Ding hielt sich erst seit ein paar Minuten in der Atmosphäre auf, wäre jedoch selbst dann verloren gewesen, wenn es sich unverzüglich entfernt hätte.

Den Pax war das offensichtlich egal. Ich meine, es hätte ihnen nicht egal sein sollen – Schlachtschiffe waren scheißteuer. Für den Preis eines solchen Schiffes konnte man einen ganzen terrageformten Mond kaufen, wenn einem dessen Zustand nichts ausmachte – das Desinteresse der Pax für den materiellen Zustand des Schiffes war jedoch unübersehbar, denn wie gesagt: Sie hatten es tief in einegepulste Atmosphäre hineingeflogen.

Ihre Soldaten sprangen bereits aus den Hangars und seilten sich entweder ab oder schwebten mit ihrer Antigravausrüstung herunter, wobei sie sich stillschweigend darauf verließen, dass die Technik lange genug durchhalten würde, um sie unbeschadet aufsetzen zu lassen. Es funktionierte nicht bei allen – einige stürzten ab und prallten auf den Boden –, doch es klappte bei genug Kämpfern, dass die Einheimischen, die nicht den Betäubungsdrohnen zum Opfer gefallen waren, voller Panik flohen.

Währenddessen richteten die vom Schiff abfallenden Trümmer – von den herabstürzenden Soldaten ganz zu schweigen – Verwüstungen in der Siedlung an. Es würde den Pax nicht gelingen, das Mädchen lebend zu ergreifen, wenn sie es unter ein paar Tonnen Trümmern begruben oder wenn es bei der Explosion einer Gasleitung verbrannte; auf dieser Welt gab es zwar keine Elektrizität, doch sie war auch keine technologische Wüste, und an manchen Stellen war es aufgrund der herabstürzenden Trümmer bereits zu Explosionen und Bränden gekommen. Aber wie ich schon sagte – die Pax waren nicht besonders schlau.

Ausgerechnet die Sekte der Pax war vom Puls verschont worden. Vor dem Puls waren sie eine von Hunderten anderen Gruppierungen gewesen. Sie hatten die Herrschaft über die gesamte Galaxis angestrebt, waren ihrem Ziel jedoch nicht näher gekommen als Dutzende anderer Sekten auch. Die Galaxis war groß; sie erobern zu wollen, war lachhaft unpraktisch, aber manche Durchgeknallte versuchten es trotzdem.

Jetzt aber, nur weil sie das unverschämte Glück gehabt hatten, dass die Mehrheit ihrer eroberten Welten vom Puls verschont worden war, waren sie so ziemlich der einzige Akteur, der willens war, alles, was ihm in die Quere kam, gewaltsam zu erobern – zum Teufel mit der Pulsstrahlung. Die meisten anderen, die das Gleiche vor dem Puls versucht hatten – und die Expansion der Pax auf diese Weise eingedämmt hatten – verfügten entweder nicht über die erforderlichen Mittel oder waren zu sehr vom Überlebenskampf in Anspruch genommen, um sich darum zu scheren, was anderswo geschah.

Wie hatten die Pax das Mädchen überhaupt ausfindig gemacht? Wie hatten sie von ihr erfahren? Unsere Informationen beruhten nicht auf Hörensagen, sondern stammten aus einer sicheren Quelle, und es war ausgeschlossen, dass sie kompromittiert worden war.

Eine Frage für später. Ich zog die Predigerin auf die Beine. Wir mussten uns auf die Socken machen.

8

In der kleinen Stadt herrschte verständlicherweise Chaos. Für die meisten Bewohner waren Wesen von anderen Welten bloß eine große Erzählung, und jetzt fielen diese halb mythischen Kreaturen auf einmal in Kampfanzügen und mit Schockern und großen beschissenen Gewehren vom Himmel, eine Invasionstruppe aus dem Nichts. Selbst ihr baufälliges Raumschiff war ein Statement: diesem Gegner war der Rückweg versperrt. Diesen Kampf konnten die Einheimischen nicht gewinnen – weil sie keine geeigneten Waffen hatten, aber auch aus psychologischen Gründen. Sie waren es gewohnt, kleine Gruppen von Räubern abzuwehren. Die Pax mochten zwar leichtsinnig sein, doch ihre Sturmtruppen befolgten Befehle; das war Teil ihrer Kultur.

Die Soldaten suchten nach einem Menschenmädchen, deshalb bekam jeder, der dieser Beschreibung nur halbwegs nahe kam, das unfreundliche Ende eines Lähmstocks zu spüren. Alle anderen machten mit dem noch unfreundlicheren Ende eines Gewehrs Bekanntschaft. Immer mehr ihrer Energiewaffen verweigerten den Dienst, auch wenn sie dem Einfluss der Pulsstrahlung etwas langsamer erlagen als das Schiff, doch die meisten Soldaten hatten außerdem Seitenwaffen dabei, die eher dem Stand der hiesigen Technik entsprachen.

Trotzdem wehrten sich die Einheimischen oder versuchten es wenigstens; dieser Planet war schließlich kein Paradies, und die meisten trugen ständig Waffen bei sich. Es fielen jede Menge Schüsse. Die Pax unterschieden sich deutlich von den Einheimischen, zum einen wegen ihrer technisch fortschrittlichen Ausrüstung, aber vor allem aufgrund ihrer voluminösen Kampfanzüge, die es unmöglich machten, zu erkennen, welche Spezies darunter verborgen war. Das gehörte zur Philosophie der Pax, die sich mit dem Slogan »Pax zuerst, alle anderen nie« zusammenfassen ließ. Beide Seiten erlitten schwere Verluste, es war ein regelrechtes Blutbad. Doch die Pax ließen nicht locker, obwohl das Raumschiff über ihren Köpfen auseinanderfiel. Wenn es in der oberen Atmosphäre keine Shuttles für die Abholung der Überlebenden gab, mussten sie hierbleiben, egal, ob sie das Mädchen fanden oder nicht.

Ich achtete darauf, dass die Predigerin innerhalb meines Intentionsschirms blieb – ihr Chassis oder vielmehr die noch vorhandenen Originalteile kamen mit dem Beschuss durch kleinkalibrige Waffen zwar besser zurecht als meine matschigen Organe, doch ein Treffer mit einem Energiegewehr hätte ihr Ende bedeutet. So praktisch Intentionsschirme auch sein mögen, ihre größte Schwäche lässt sich direkt aus ihrem Namen ableiten: Sie decken nur etwa ein Viertel der Körperfläche ab, deshalb muss man wissen, woher der Schuss kommt, bevor man ihn abblocken kann. Die Steuerung ist unmittelbar mit dem Gehirnstamm des Benutzers verbunden.

Beim Kampf Mann gegen Mann oder bei Auseinandersetzungen mit kleineren Gruppen war das eine gute Sache, doch bei einem solchen Riesendurcheinander konnte man ebenso leicht von einem Querschläger am Hinterkopf getroffen werden wie von jemandem, der bewusst auf einen zielte. Ich verwendete den Intentionsschirm, weil die Steuerung die meiste Zeit über inaktiv war und er deshalb von der Pulsstrahlung kaum in Mitleidenschaft gezogen wurde, doch er hatte eindeutig seine Schwächen.

Der Angriff der Pax hatte die Predigerin nicht aus der Fassung gebracht. Oder vielleicht doch, und möglicherweise hatte sie sich in einem Bruchteil der üblichen Zeit von dem Schock erholt. Barische verarbeiteten Informationen ausgesprochen schnell. Jedenfalls geleitete sie mich durch Nebengassen und durch verfallene Gebäude, um den Kampfhandlungen auszuweichen. Wo das nicht möglich war, setzte ich das Gewehr ein. Es machte mir nichts aus; ich fand es irgendwie tröstlich, Pax zu töten. Zum Teufel mit denen.

Indem wir uns durch das heruntergekommene Viertel schlichen, das sich allmählich in eine Trümmerlandschaft verwandelte, gelangten wir zum Waisenhaus. Das heißt, zu dem, was vom Waisenhaus übrig war. Man konnte erkennen, dass jemand – entweder mitfühlende Siedlungsbewohner oder wahrscheinlich eher die Kinder – versucht hatte, das Gebäude in Schuss zu halten; es war sauberer als die umliegenden Häuser, und es gab sogar freundlich wirkende Wandmalereien, die Kinder verschiedener Spezies bei der gemeinschaftlichen Hausarbeit und anderen Tätigkeiten zeigten. Doch das war Vergangenheit.

Jetzt lag es in Trümmern, denn ein Lasergeschützturm des über uns schwebenden Schlachtschiffs hatte es unter sich begraben. Das obere Stockwerk war gefährlich geneigt, und der obere Teil des Gebäudes – das, was davon übrig war –, drohte über dem unteren Teil, in dem irgendwo ein Feuer ausgebrochen war, einzustürzen. Vielleicht war eine undichte Gasleitung der Grund, oder es war einfach nur Pech, denn in Zeiten wie diesen kam es immer zu Bränden.

Im Gebäude hörten wir Kinder schreien. Unabhängig davon, ob sich das Mädchen darin aufhielt – oder ob sie überhaupt noch am Leben war –, musste man darauf einfach reagieren. Zusammen mit der Predigerin suchte ich in den Trümmern nach einem Eingang, wobei wir darauf achteten, dem Feuer nicht zu nahe zu kommen – auch Barische konnten schmelzen. Schließlich kletterten wir durch ein Fenster im Erdgeschoss.

Alle Kinder drängten sich in einem großen Raum zusammen, der möglicherweise als Speisesaal gedient hatte. Das erste Stockwerk drohte über ihnen einzustürzen. Oder vielmehr war es bereits eingestürzt, und irgendetwas hielt es zurück – eine unsichtbare Kraft, so als wäre ein Netz über den Köpfen der Kinder gespannt, das mehrere Tonnen Baumaterialien und Schutt von ihnen abhielt.

Unmittelbar unter dem Netz stand eine junge Frau, vor Anstrengung zitternd und schwitzend, mit erhobenen Händen, so als stemme sie den ganzen Schutt allein mit ihrer Körperkraft. Ihr dunkelhäutiges Gesicht war von Blut und Dreck verschmiert, doch ihre Augen blitzten, als wäre sie entschlossen, ewig in dieser Haltung zu verharren, wenn es sein musste, um zu verhindern, dass die Kinder unter Tonnen von Schutt begraben wurden.

Telekinese. Eine der Gaben, nach der ich Ausschau hielt – eine der selteneren, um genau zu sein. Mein HUD markierte ihre Gestalt und bestätigte meine Vermutung: Ich hatte das Mädchen gefunden.

9

Die Predigerin und ich machten uns daran, die Kinder nach draußen zu bringen.

Wir liefen geduckt zu ihnen, schnappten sie und schleppten sie auf die Straße. Das Mädchen nahm uns kaum wahr, denn sie war voll und ganz damit beschäftigt zu verhindern, dass uns das Gebäude auf den Kopf fiel. Als wir mindestens die Hälfte der Kinder nach draußen gebracht hatten, fiel mir auf, dass sie von der Straße verschwanden. Man sollte eigentlich erwarten, dass Kinder nach einem solchen Ereignis wie angewurzelt stehen blieben und heulend darauf warteten, dass jemand ihnen sagte, was sie tun sollten. Doch diese Kinder stürmten einfach los, ohne abzuwarten, dass ein Erwachsener auftauchte und ihnen half.

Ich hatte keine Ahnung, wohin die Kinder gingen, aber solange sie nicht von herabfallenden Trümmern zerschmettert wurden, war es vermutlich ein besserer Ort als der alte, deshalb machte ich einfach weiter. Als wir das letzte Kind ins Freie gebracht hatten, folgte uns das Mädchen. Sie bewegte sich langsam, den Kopf abgewendet, noch immer darauf konzentriert, die Trümmer allein mit ihrer Geisteskraft in der Schwebe zu halten.

Als das Gebäude endlich hinter ihr lang, wäre sie beinahe zusammengebrochen. Ich schirmte sie instinktiv mit meinem Körper ab. Die Trümmer stürzten herab und prallten vom Intentionsschirm ab, der meinen Rücken schützte. Als der Staub sich legte, sah ich, dass die Predigerin das Gleiche getan hatte – sie hatte sich auf ein Knie niedergelassen, und die Trümmer waren um sie herum gestürzt. Ein Metallkörper hatte eindeutig seine Vorteile.

Das Mädchen löste sich von mir und musterte mich von oben bis unten, was in Anbetracht der Tatsache, dass ich sie soeben aus einem einstürzenden Gebäude gerettet hatte, nicht unbedingt ein Vertrauensbeweis war. »Komm mit«, sagte sie schließlich und wischte sich das Blut ab, das aus einem Nasenloch rann – eine Nachwirkung der Überanstrengung. »Da geht’s lang.«

Sie rannte in die Mündung der gegenüberliegenden Gasse und verschwand.

Ich folgte ihr fluchend. Das war das Problem beim Kinderhüten: Man wusste nie, was sie im nächsten Moment tun würden. Ein Erwachsener, der während eines Angriffs vom Himmel ein Gebäude mittels Telekinese am Einsturz gehindert hatte, hätte vielleicht eine Erklärung verlangt. Sie rannte einfach los.

Im halb verschütteten Metallbelag der Gasse war ein Rost hochgeklappt – eine Konstruktion aus der Zeit vor dem Puls. Ich ließ mich hinunter fallen, die Predigerin folgte meinem Beispiel. Unten war es stockdunkel, allein durch den Rost drang ein wenig Licht herein.

Ich erhöhte die Empfindlichkeit meines HUD, worauf das Schwarz zu Grau wurde. Ja – ein Wartungstunnel. In der Anfangszeit der Besiedlung war er anscheinend als Lager benutzt worden und dann in Vergessenheit geraten. Das Mädchen lief schnell und leise den Gang entlang. Ich folgte ihr.

»Wir müssen aus der Stadt verschwinden«, sagte ich und zog wegen der Deckenrohre den Kopf ein.

»Was du nicht sagst!«, entgegnete sie. »Die Gänge führen unter den Kanonen durch bis zur anderen Seite der Siedlung. Sie sind nicht mehr in Gebrauch.«

»Wie zum Teufel kannst du hier sehen?«, sagte ich. Ohne das HUD wäre ich so blind wie eine Fledermaus gewesen.

»Ich brauche nichts zu sehen«, erwiderte sie mit kühler Herablassung. »Ich kenne den Weg.«

Die anderen Kinder hatten vermutlich denselben Weg genommen; gedämpftes Fußgetrappel war zu hören, irgendwo vor uns im Labyrinth der Gänge. Sie waren nicht so leise wie das Mädchen, vielleicht lag es auch an ihrer Panik.

Immer wieder knallte es dumpf, wenn ein Trümmerteil vom Raumschiff der Pax herabfiel. Dann regnete Staub von der Decke und tanzte durchs HUD. Die Schüsse wurden von den Stahlwänden zunächst gedämpft, dann wurden sie lauter, bis sie auf einmal von vorne kamen.

»Warte«, zischte ich dem Mädchen zu. Ich wusste nicht, ob sie auf mich hörte oder ob sie die Schüsse ebenfalls wahrgenommen hatte – den scharfen Knall ballistischer Waffen, nicht das laute Summen eines Energiegewehrs –, jedenfalls blieb sie stehen.

Unmittelbar vor uns lag eine Tür; dahinter wurde gekämpft. Offenbar hatten auch ein paar Pax-Soldaten den Weg hierher gefunden. Ich wusste nicht, ob sie irgendwelche Geräte hatten, mit denen sie das Mädchen orten konnten, oder ob ihre Suche sie hierhergeführt hatte. Jedenfalls mussten wir an ihnen vorbei – das Mädchen hatte die Tür zielstrebig angesteuert.

Schlechte Bedingungen, zu wenig Platz für mein Gewehr. Ich fuhr mit Daumen und Zeigefinger an meiner rechten Hand und am Arm hoch, als würde ich mir einen unsichtbaren Handschuh überstreifen, dann klopfte ich in schnellem Rhythmus auf meine Knöchel; das Gleiche wiederholte ich in einem anderen Rhythmus an der linken Hand, wodurch ich meine Implantate aktivierte. »Bleib hinter mir«, flüsterte ich dem Mädchen zu. Sie grinste mich an – ich bezweifelte, dass dies Zustimmung signalisierte.

Ich legte das Ohr an die Tür und hörte die Stimmen der Pax, die leicht zu identifizieren waren, da sie aufgrund der Filtermasken alle den gleichen elektronisch verzerrten Tonfall hatten. Das Gewehrfeuer hatte aufgehört: Sie verhörten jemanden. Vermutlich eins der Kinder. Mist.

Ich riss die Tür auf und stürmte durch die Öffnung.

Drei Pax-Soldaten, einer von ihnen hielt ein Kind beim Arm. Ihn nahm ich mir als Erstes vor und versetzte ihm mit den Knöcheln der rechten Hand drei schnelle, kräftige Hiebe auf den unteren Brustkasten. Ich brauchte nicht fest zuzuschlagen, denn die Implantate vervielfachten die ausgeübte Kraft, sodass der Körperpanzer der Zielperson und die darunterliegenden Rippen sich in Mus verwandelten. Er ließ das Kind los, und ich nahm mir den nächsten Soldaten vor, der sich auf mich stürzen wollte; seine Seitenwaffe steckte im Holster. Ich wich seitlich aus und versetzte ihm mit der Linken einen Haken gegen den Kiefer. Zwischen meinen Knöcheln und seinem Kinn sprühten Funken, dann plumpste er wie ein Mehlsack auf den Boden.

Der dritte Soldat griff mich ebenfalls an. Er war gut ausgebildet und hatte schnelle Reflexe, und vielleicht hätten ich die Attacke parieren können, vielleicht auch nicht, doch das alles zählte auf einmal nicht mehr: Die Vorwärtsbewegung des Pax-Angreifers kehrte sich so schnell um, wie sie eingesetzt hatte. Einen Moment lang verharrte er regungslos und wehrte sich gegen die unsichtbare Kraft, die ihn ergriffen hatte, dann wurde er rückwärts geschleudert und dellte die Stahlwald so stark ein, dass nur noch seine zuckenden Füße zu sehen waren.

Ich wandte mich um und musterte das Mädchen. Sie grinste erneut und senkte die Hand. Die wenigen telekinetisch begabten Kinder, die ich getroffen hatte, wären trotz ihrer Ausbildung nach dem, was sie heute geleistet hatte, völlig platt gewesen. Dieses Mädchen aber war noch immer topfit, von dem schwachen Nasenbluten einmal abgesehen. »Du kannst kämpfen«, sagte sie, als hätte ich das nicht gewusst.

»Trotzdem danke für die Unterstützung«, erwiderte ich.

»Und du bist nicht von hier.«

»Nein, ist sie nicht«, sagte die Predigerin, die uns in den Lagerraum gefolgt war. Vermutlich fiel ihr die Orientierung im Dunkeln ebenso leicht wie mir – die Barischen verfügten über Nachtsichtimplantate, die ganz ähnlich funktionierten wie die, die mir bei fünf zweistündigen Operationen eingepflanzt worden waren. »Du musst sie begleiten, Kind«, sagte sie zu dem Mädchen.

Das Mädchen zog eine Schnute. Sie war vierzehn und wünschte jeden, der ihr Vorschriften machen wollte, zum Teufel. Die Barischen mochten klug sein, aber von Psychologie hatten sie keinen Schimmer.

Ich kniete vor dem Mädchen nieder, bevor sie etwas sagen konnte. »Hör zu«, sagte ich. »Ich kann von hier verschwinden. Nicht nur aus der Stadt – von dieser Welt. Ich bringe dich zu einem besseren Ort, wo die Technik noch funktioniert und wo der Puls nicht alles zerstört hat. Dieser Ort wartet auf dich, du brauchst nur mit mir zu kommen. Wenn du hierbleibst«, ich wies mit dem Kinn zur bebenden Decke, »wird es bald nicht mehr genug geben, wofür es sich zu bleiben lohnt.«

Sie schaute in die Richtung, in die das andere Mädchen verschwunden war, vermutlich nicht wegen des Kindes, sondern um meinem Blick auszuweichen. Sie guckte angestrengt, erwog offenbar, diesem Weg zu folgen – einem Weg, der nirgendwohin führte und den sie würde allein beschreiten müssen –, dann nickte sie langsam. »Ja«, sagte sie. »Diese Welt geht sowieso zum Teufel.«

Damit war das geregelt.

10

Der Pax, dessen Rippen ich in Mus verwandelt hatte, lag leise stöhnend am Boden. Die Priesterin ging zu dem sich krümmenden Soldaten hinüber, setzte ihm den Fuß auf den Hals und presste ihn mit ihrem ganzen beträchtlichen Gewicht gegen die Wirbelsäule.

Der Grundsatz »Leben ist heilig« galt anscheinend nicht für ihre Kirche.

»Brutal«, sagte das Mädchen, zwischen Bewunderung und Abscheu schwankend.

»Es hat gelitten«, erwiderte die Predigerin in einem Ton, der selbst für eine Barische als gefühllos gelten musste. »Außerdem war es ein Pax.«

»Es – er – war unser Gegner. Hat er es deshalb verdient, dass man ihm den Hals bricht? Obwohl er bereits kampfunfähig war?«

»So darfst du das nicht sehen. Hätten seine Kameraden ihn gefunden, hätten sie ihn mitgenommen und irgendwann, wenn sie gerade Zeit gehabt hätten, zu Tode geprügelt. Zum Vergnügen. Nur deshalb, weil er schwach genug gewesen ist, um sich so schwer verletzen zu lassen. Die Pax geben niemandem eine zweite Chance.«

Ich musterte die Predigerin erneut. Mein HUD verwandelte den Schimmer in ihren Augen in gleißendes Licht. Sie war älter als der Puls – das wusste ich bereits. Doch auch schon davor hatte es Tausende Sekten gegeben, vielleicht sogar Hunderttausende, und Religionen, Unternehmen und Regierungen hatten sich um die Vorherrschaft in der Galaxis gestritten. Manche hatten um ganze Sektoren gekämpft, andere um Städte oder Kontinente auf einsamen Welten. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass die Predigerin sich mit den Sitten und Gebräuchen ausgerechnet dieser Sekte auskannte, die zu dem Zeitpunkt, als der Puls aktiv geworden war, nur eine mittlere bis kleinere Rolle gespielt hatte?

Das Mädchen jedenfalls hatte die kleine Ansprache der Predigerin nicht besonders gut aufgenommen. »Das ist … total krank«, sagte sie erschüttert. Das aus dem Nichts aufgetauchte Schlachtschiff hatte sie nicht aus der Fassung gebracht, ebenso wenig das über ihrem Kopf einstürzende Gebäude oder die kleine Auseinandersetzung in der Dunkelheit des Tunnels. Doch das Barbarentum der Pax ließ ihre Stimme beben. Hm.

»Wie kommen wir zum nächsten Ausgang?«, lenkte ich das Gespräch in eine weniger morbide Richtung.

Sie hielt an, orientierte sich in dem dunklen Raum – die unweigerliche Folge eines jeden Kampfes. Dann zeigte sie in eine Richtung. »Dort lang«, sagte sie und überließ der Frau mit der Waffe endlich die Führung.

Ich duckte mich unter herabhängenden Kabeln hindurch, die sich durch die heutigen Erschütterungen oder schon vor Jahren gelöst hatten, und betrat den Gang, auf den sie gezeigt hatte. Dem Kompass meines HUD