Stolz und Vorurteil - Jane Austen - E-Book

Stolz und Vorurteil E-Book

Jane Austen.

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Beschreibung

»Es ist eine Wahrheit, über die sich alle Welt einig ist, daß ein unbeweibter Mann von einigem Vermögen unbedingt auf der Suche nach einer Lebensgefährtin sein muß.« so beginnt diese großartige Erzählung aus der Zeit des englischen Regency. Frauen sind abhängig, in jeder Beziehung. Eine eigene Meinung wird ihnen nicht zugebilligt. Ihr Leben lang bleiben sie fremdbestimmt, erst durch die Eltern, später durch den Ehepartner. In diese konservative Umgebung hinein entwirft, die selbst mit Standesdünkel und falscher Moral kämpfende Autorin Jane Austen ihre Geschichte um fünf Töchter einer Familie, die möglichst standesgemäß unter die Haube gebracht werden müssen. Die Autorin erzählt hier mehrere Liebesgeschichten, indem sie Handlungsstränge ineinander webt. Dabei hält sie ihre Protagonisten im Rahmen gesellschaftlicher Konventionen, wenngleich vor allem die zweitälteste Tochter Elizabeth das gerade noch Schickliche arg strapaziert. Es entsteht ein bunter Reigen aus Irrungen, Verwechslungen und Missverständnissen. Ein Schauspiel besondere Art, aufgezeichnet mit feiner Feder und einem frühen Gespür für aufkommende soziale Verwerfungen. Bis heute ist dieser Roman das beliebteste Werk der Autorin, deren weibliche Urheberschaft bei Ersterscheinen tatsächlich noch von einigen (männlichen) Rezensenten angezweifelt wurde. Lassen Sie sich von dem Klassiker der romantischen Literatur unterhalten. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 599

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Jane Austen

Stolz und Vorurteil

Jane Austen

Stolz und Vorurteil

(Pride and Prejudice)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Karin von Schwab 5. Auflage, ISBN 978-3-954180-15-8

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Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

Au­to­rin und Werk

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

11. KAPITEL

12. KAPITEL

13. KAPITEL

14. KAPITEL

15. KAPITEL

16. KAPITEL

17. KAPITEL

18. KAPITEL

19. KAPITEL

20. KAPITEL

21. KAPITEL

22. KAPITEL

23. KAPITEL

24. KAPITEL

25. KAPITEL

26. KAPITEL

27. KAPITEL

28. KAPITEL

29. KAPITEL

30. KAPITEL

31. KAPITEL

32. KAPITEL

33. KAPITEL

34. KAPITEL

35. KAPITEL

36. KAPITEL

37. KAPITEL

38. KAPITEL

39. KAPITEL

40. KAPITEL

41. KAPITEL

42. KAPITEL

43. KAPITEL

44. KAPITEL

45. KAPITEL

46. KAPITEL

47. KAPITEL

48. KAPITEL

49. KAPITEL

50. KAPITEL

51. KAPITEL

52. KAPITEL

53. KAPITEL

54. KAPITEL

55. KAPITEL

56. KAPITEL

57. KAPITEL

58. KAPITEL

59. KAPITEL

60. KAPITEL

61. KAPITEL

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Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

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Zum Buch

»Es ist eine Wahr­heit, über die sich alle Welt ei­nig ist, dass ein un­be­weib­ter Mann von ei­ni­gem Ver­mö­gen un­be­dingt auf der Su­che nach ei­ner Le­bens­ge­fähr­tin sein muss.« so be­ginnt die­se groß­ar­ti­ge Er­zäh­lung aus der Zeit des eng­li­schen Re­gen­cy.

Frau­en sind ab­hän­gig, in je­der Be­zie­hung. Eine ei­ge­ne Mei­nung wird ih­nen nicht zu­ge­bil­ligt. Ihr Le­ben lang blei­ben sie fremd­be­stimmt, erst durch die El­tern, spä­ter durch den Ehe­part­ner.

In die­se kon­ser­va­ti­ve Um­ge­bung hin­ein ent­wirft, die selbst mit Stan­des­dün­kel und falscher Moral kämp­fen­de Au­to­rin Jane Aus­ten ihre Ge­schich­te um fünf Töch­ter ei­ner Fa­mi­lie, die mög­lichst stan­des­ge­mäß un­ter die Hau­be ge­bracht wer­den müs­sen.

Die Au­to­rin er­zählt hier meh­re­re Lie­bes­ge­schich­ten, in­dem sie Hand­lungs­strän­ge in­ein­an­der webt. Da­bei hält sie ihre Pro­tago­nis­ten im Rah­men ge­sell­schaft­li­cher Kon­ven­tio­nen, wenn­gleich vor al­lem die zwei­t­äl­tes­te Toch­ter Eli­z­abeth das ge­ra­de noch Schick­li­che arg stra­pa­ziert.

Es ent­steht ein bun­ter Rei­gen aus Ir­run­gen, Ver­wechs­lun­gen und Miss­ver­ständ­nis­sen. Ein Schau­spiel be­son­de­re Art, auf­ge­zeich­net mit fei­ner Fe­der und ei­nem frü­hen Ge­spür für auf­kom­men­de so­zia­le Ver­wer­fun­gen.

Bis heu­te ist die­ser Ro­man das be­lieb­tes­te Werk der Au­to­rin, de­ren weib­li­che Ur­he­ber­schaft bei Ers­ter­schei­nen tat­säch­lich noch von ei­ni­gen (männ­li­chen) Re­zen­sen­ten an­ge­zwei­felt wur­de.

Las­sen Sie sich von dem Klas­si­ker der ro­man­ti­schen Li­te­ra­tur un­ter­hal­ten.

Autorin und Werk

Ste­ven­ton in Hamps­hi­re, eine gute Wo­che vor dem Weih­nachts­fest des Jah­res 1775: Fuß­stap­fen füh­ren über den ver­schnei­ten Ra­sen zum zwei­stö­cki­gen Pfarr­haus der Ort­schaft. Dort le­ben Wil­liam Ge­or­ge Aus­ten, sei­ne Frau Cas­san­dra und die sechs Kin­der. Die Brü­der wer­fen Schnee­bäl­le in die frost­glit­zern­den Baum­kro­nen vor dem Haus. Kom­men die Kin­der fröh­lich und ver­fro­ren zur Tür her­ein, emp­fängt sie der Duft des Holz­feu­ers – aber heu­te müs­sen sie still sein. Va­ter Wil­liam kann sich nicht auf sei­ne Ge­dan­ken zur Weih­nachtspre­digt kon­zen­trie­ren, denn Mut­ter Cas­san­dra liegt in den We­hen.

Be­co­ming Jane

Jane Aus­ten wird am 16. De­zem­ber 1775 ge­bo­ren, als sie­ben­tes Kind der Pfar­rers­fa­mi­lie. Sie ist das zwei­te Mäd­chen und wird ih­rer Schwes­ter Cas­san­dra le­bens­lang eng ver­bun­den sein. Lei­der ver­nich­tet Cas­san­dra die meis­ten Brie­fe ih­rer jün­ge­ren Schwes­ter nach de­ren frü­hem Tod, wes­halb über die große Dame der eng­li­schen Li­te­ra­tur nicht all­zu viel be­kannt ist.

Die El­tern le­gen viel Wert auf Bil­dung; das Haus be­her­bergt eine große Biblio­thek, die stän­dig er­wei­tert wird und den Kin­dern zu­gäng­lich ist. Jane ist be­reits recht be­le­sen, als sie im Al­ter von zwölf Jah­ren selbst zu schrei­ben be­ginnt. Die jun­ge Dame ver­fasst be­vor­zugt scharf­zün­gi­ge Kurz­ro­ma­ne und Thea­ter­stücke, lässt ei­ni­ge Ar­bei­ten je­doch un­voll­en­det oder wird sie spä­ter wie­der auf­grei­fen. The­ma­tisch ist sie von Be­ginn an ih­rer Sa­che si­cher: Das Eng­land des Re­gen­cy mit sei­nen so­zia­len Sit­ten, ins­be­son­de­re mit der ab­hän­gi­gen Stel­lung der Frau, wird von ihr sa­ti­risch kri­ti­siert.

Nach dem Um­zug nach Bath, wo die Fa­mi­lie bis 1805 lebt, ent­ste­hen we­ni­ge Wer­ke – zu­min­dest wird das an­ge­nom­men. Als der Va­ter ver­stor­ben ist, las­sen sich Mut­ter Aus­ten und die bei­den Schwes­tern in Southamp­ton nie­der, be­vor sie 1809 nach Chaw­ton zie­hen. In dem dor­ti­gen Land­haus wohnt Jane Aus­ten, ge­mein­sam mit ih­rer Schwes­ter und ei­ner Freun­din, bis zu ih­rem Tod.

Be­legt ist, dass Jane im Jahr 1802 einen Hei­rats­an­trag ab­lehnt; ob ihr wei­te­re Avan­cen ge­macht wer­den, ist un­be­kannt. Mög­li­cher­wei­se ist es ihre be­wuss­te Ent­schei­dung, un­ver­hei­ra­tet zu blei­ben. Dass sie ihre ganz ei­ge­ne Sicht­wei­se be­züg­lich die­ser Fra­ge hat, be­le­gen ihre Ro­ma­ne, in de­nen die Pro­tago­nis­tin­nen zwar letzt­end­lich die Ehe ein­ge­hen, sich den Ent­schluss je­doch nie­mals leicht ma­chen. Die Her­aus­for­de­rung ist in der Ab­hän­gig­keit be­grün­det, worin Frau­en ent­we­der durch einen Ehe­gat­ten ver­sorgt wer­den oder le­bens­lang auf wohl­mei­nen­de Ver­wand­te an­ge­wie­sen sind. Jane und ihre Schwes­ter, die eben­falls un­ver­hei­ra­tet ist, er­fah­ren das selbst, als sie nach Chaw­ton zie­hen. Ihr dor­ti­ges Wohn­haus ge­hört ei­nem ih­rer Brü­der. Für ge­ach­te­te Bür­ge­rin­nen aus wohl­ha­ben­dem Hau­se ist es zu je­ner Zeit un­denk­bar, den ei­ge­nen Le­bens­un­ter­halt zu er­ar­bei­ten – Ja­nes Exis­tenz als Schrift­stel­le­rin be­fin­det sich in ei­ner Grau­zo­ne und ist ten­den­zi­ell an­rü­chig.

By a Lady

In­so­fern nimmt es nicht Wun­der, dass ihre Ro­ma­ne un­ter dem Pseud­onym »by a Lady« (»von ei­ner Dame«) er­schei­nen, wenn­gleich mit wach­sen­der Aner­ken­nung die wah­re Iden­ti­tät der Au­to­rin be­kannt wird. Jane Aus­ten hät­te ein in­di­vi­du­el­les, viel­leicht männ­li­ches, Pseud­onym wäh­len kön­nen. Dass sie sich da­für ent­schei­det, Ge­schlecht und un­ge­fäh­re Stan­des­zu­ge­hö­rig­keit mit­zu­tei­len, darf wohl als Stel­lung­nah­me ver­stan­den wer­den, pas­send zum In­halt ih­rer Wer­ke. Ob­wohl sie sich dar­in als klar­sich­ti­ge Beo­b­ach­te­rin er­weist, mensch­li­che Schwä­chen hu­mor­voll be­leuch­tet und vor Ge­sell­schafts­kri­tik kei­nes­wegs zu­rück­schreckt, wer­den vor al­lem die spä­ten Ro­ma­ne po­si­tiv auf­ge­nom­men. Dass der all­seits ge­ach­te­te Wal­ter Scott ihr größ­te Ach­tung zollt, wird da­bei nicht ohne Wir­kung ge­blie­ben sein.

Jane Aus­tens Werk gilt als rich­tung­wei­send für die eng­li­sche Li­te­ra­tur, so­wohl sti­lis­tisch als auch in­halt­lich. Die dar­in ge­üb­te Kri­tik be­fasst sich mit der Lage le­di­ger Frau­en des ge­ho­be­nen Bür­ger­tums, in sacht-iro­ni­schem Stil. Der Lie­bes­ro­man, in des­sen Zen­trum eine un­ver­hei­ra­te­te Frau steht, dient der Au­to­rin stets als Rah­men so­zia­ler Be­trach­tun­gen. Spä­te­re Ro­ma­ne, die zum Teil aus frü­hen Ent­wür­fen ent­ste­hen, sind eben­so ge­nau be­ob­ach­tet, je­doch er­zäh­le­ri­scher ver­fasst. So be­schäf­tigt sich Jane Aus­ten 1809 mit dem be­reits 1796 ent­stan­de­nen »Eli­nor and Ma­ri­an­ne«, das schließ­lich 1811 un­ter dem Ti­tel »Sen­se and Sen­si­bi­li­ty« (Ver­stand und Ge­fühl) er­scheint. In dem­sel­ben Jahr über­ar­bei­tet sie »First Im­pres­si­ons«, das 1813 als »Pri­de and Pre­ju­di­ce« (Stolz und Vor­ur­teil) ver­öf­fent­licht wird.

Ihr zu­rück­ge­zo­ge­nes Le­ben in Chaw­ton ver­bringt Jane Aus­ten schrei­bend. Wäh­rend die­ser Zeit ent­ste­hen »Mans­field Park«, »Emma« und »Per­sua­si­on«, das spä­ter in der deut­schen Über­set­zung un­ter den Ti­teln »Über­re­dung« und »Anne El­li­ot« pu­bli­ziert wird.

Im Mai 1817 be­gibt sich Jane Aus­ten, ge­mein­sam mit ih­rer Schwes­ter, zur ärzt­li­chen Be­hand­lung nach Win­che­s­ter, wo sie am 18. Juli des Jah­res stirbt. Ihre Grab­stät­te be­fin­det sich in der Ka­the­dra­le von Win­che­s­ter.

Stolz und Vor­ur­teil

Jane Aus­ten schil­dert in die­sem Ro­man ein Jahr im Le­ben der wohl­ha­ben­den eng­li­schen Fa­mi­lie Ben­net, wo­bei im Mit­tel­punkt die fünf Töch­ter ste­hen. In­ner­halb die­ser Zeit hei­ra­ten drei der jun­gen Da­men, nach­dem jede von ih­nen di­ver­se Er­kennt­nis­se und Ein­sich­ten ge­won­nen hat. Die Part­ner­wahl ist von ei­ni­ger Bri­sanz, denn ei­ner­seits steht die Fa­mi­lie un­ter Druck, weil ihr Be­sitz aus­schließ­lich in der männ­li­chen Li­nie ver­erbt wer­den kann, un­ver­hei­ra­te­te Töch­ter also mit­tel­los wä­ren. An­de­rer­seits müs­sen sie nicht nur wirt­schaft­lich ver­sorgt sein, son­dern ihre Ent­schei­dung auch hin­sicht­lich der Stan­des­zu­ge­hö­rig­keit tref­fen. Fehl­in­ter­pre­ta­tio­nen von Ver­hal­tens­wei­sen, Int­ri­gen im Freun­des­kreis so­wie die Ein­wir­kung frem­der In­ter­es­sen ge­stal­ten die Wahl ei­nes lie­bens­wer­ten Man­nes höchst ver­wi­ckelt.

Die Au­to­rin er­zählt hier meh­re­re Lie­bes­ge­schich­ten, in­dem sie Hand­lungs­strän­ge in­ein­an­der webt. Da­bei hält sie ihre Pro­tago­nis­ten im Rah­men ge­sell­schaft­li­cher Kon­ven­tio­nen, wenn­gleich vor al­lem die zwei­t­äl­tes­te Toch­ter Eli­z­abeth das ge­ra­de noch Schick­li­che arg stra­pa­ziert. Der stol­ze Dar­cy fin­det sie zu­nächst unat­trak­tiv, be­ginnt sich je­doch für sie zu er­wär­men, als sie ihm geist­reich zu­setzt. Wäh­rend Eli­z­abeth von Dar­cys De­s­in­ter­es­se über­zeugt ist, ver­ehrt er sie heim­lich und in­tri­giert im Hin­ter­grund ge­gen die Be­zie­hung ei­nes Freun­des zu Eli­z­abeths Schwes­ter, weil er meint, jene wür­de die­sen nicht lie­ben. Erst als Dar­cy und Eli­z­abeth ih­ren Stolz über­win­den, ihre ge­gen­sei­ti­gen Vor­ur­tei­le ab­le­gen und Miss­ver­ständ­nis­se be­sei­ti­gen, kom­men sich bei­de Paa­re nä­her.

Kein an­de­rer Ro­man Jane Aus­tens ist im eng­lisch­spra­chi­gen Raum be­kann­ter und be­lieb­ter. Die längst eta­blier­te Li­te­ra­tin ver­öf­fent­licht ihn 1813 nicht un­ter ih­rem üb­li­chen Pseud­onym »by a Lady«, son­dern selbst­be­wusst »by the au­t­hor of Sen­se and Sen­si­bi­li­ty«. »Pri­de and Pre­ju­di­ce« greift auf ein frü­he­res Ma­nu­skript zu­rück, auf »First Im­pres­si­on« aus dem Jahr 1796. Die ers­te Fas­sung war von ei­nem Ver­le­ger ab­ge­lehnt wor­den. Jane Aus­tens Ver­lag, der be­reits »Sen­se and Sen­si­bi­li­ty« pu­bli­ziert hat­te, pro­du­ziert 1500 Exem­pla­re der Neu­fas­sung und gibt noch im sel­ben Jahr die zwei­te Auf­la­ge her­aus. Für wie be­deu­tend das Werk bis in die Ge­gen­wart ge­hal­ten wird, be­le­gen zahl­rei­che Neu­auf­la­gen, Über­set­zun­gen und mul­ti­me­dia­le Ad­ap­tio­nen, in de­nen die Hand­lung in­ter­pre­tiert, ka­ri­kiert oder fort­ge­setzt wird.

1. KAPITEL

Es ist eine Wahr­heit, über die sich alle Welt ei­nig ist, dass ein un­be­weib­ter Mann von ei­ni­gem Ver­mö­gen un­be­dingt auf der Su­che nach ei­ner Le­bens­ge­fähr­tin sein muss.

Wel­cher Art die Ge­füh­le und Wün­sche ei­nes sol­chen Man­nes im Üb­ri­gen auch im­mer sein mö­gen, die­se Wahr­heit hat eine so un­um­stöß­li­che Gel­tung, dass er schon bei sei­nem ers­ten Auftau­chen von sämt­li­chen um­woh­nen­den Fa­mi­li­en als recht­mä­ßi­ger Be­sitz der einen oder an­de­ren ih­rer Töch­ter an­ge­se­hen wird.

»Mein lie­ber Ben­net«, sprach ei­nes Ta­ges Mrs. Ben­net zu ihm, »hast du schon ge­hört, dass Ne­ther­field Park end­lich einen Mie­ter ge­fun­den hat?«

Mr. Ben­net er­wi­der­te, er habe es noch nicht ge­hört.

»Trotz­dem ist es so, wie ich sage«, be­harr­te Mrs. Ben­net. »Mrs. Long war ge­ra­de hier und hat es mir er­zählt – Willst du denn nicht wis­sen, wer der neue Mie­ter ist?« fuhr sie mit un­ge­dul­di­ger Stim­me fort.

»Du willst es mir doch ge­ra­de er­zäh­len, und ich habe nichts da­ge­gen.«

Ei­ner deut­li­che­ren Auf­for­de­rung be­durf­te es nicht.

»Also, Mrs. Long er­zähl­te, dass Ne­ther­field von ei­nem sehr wohl­ha­ben­den jun­gen Mann aus Nor­deng­land ge­pach­tet wur­de. Er kam letz­ten Mon­tag im Vier­spän­ner an, um das Haus zu be­sich­ti­gen, und er war so ent­zückt da­von, dass er so­gleich mit Mr. Mor­ris ab­schloss. Noch vor Mi­chae­lis will er ein­zie­hen, und sei­ne Die­ner­schaft soll zum Teil schon Ende die­ser Wo­che her­kom­men.«

»Wie heißt er denn?«

»Bingley.«

»Ver­hei­ra­tet?«

»Aber nein! Un­ver­hei­ra­tet! Na­tür­lich un­ver­hei­ra­tet! Ein stein­rei­cher Jung­ge­sel­le, mit vier- oder fünf­tau­send Pfund im Jahr! Welch ein Glück für un­se­re Kin­der!«

»Wie­so? Wie­so für un­se­re Kin­der?«

»Du bist aber auch zu lang­wei­lig, mein Lie­ber. Ver­stehst du denn nicht, dass er viel­leicht eine un­se­rer Töch­ter hei­ra­ten wird?«

»Kommt er des­halb hier­her?«

»Des­halb? Was re­dest du da? Un­sinn! Aber es ist doch sehr gut mög­lich, dass er sich in eine von ih­nen ver­liebt; und da­her musst du ihm einen Be­such ma­chen, so­bald er ein­ge­zo­gen ist.«

»Wes­halb denn? Du kannst ja mit den Mäd­chen hin­über­ge­hen. Oder bes­ser noch, du schickst sie al­lein; denn da du noch eben­so gut aus­siehst wie jede von dei­nen Töch­tern, wür­de sich Mr. Bingley viel­leicht gar dich aus dem Schwarm aus­su­chen.«

»Ach, du Schmeich­ler. Ge­wiss, ich bin ein­mal recht schön ge­we­sen, aber jetzt bil­de ich mir nicht mehr ein, ir­gen­det­was Be­son­de­res vor­zu­stel­len. Wenn eine Frau fünf er­wach­se­ne Töch­ter hat, tut sie gut dar­an, alle Ge­dan­ken an ihre ei­ge­ne Schön­heit fal­len zu las­sen. Du musst aber un­be­dingt Mr. Bingley auf­su­chen, so­bald er un­ser Nach­bar ist.«

»Ich gebe dir heu­te nur die Ver­si­che­rung, dass ich es dir nicht ver­spre­chen kann.«

»Aber denk doch an dei­ne Töch­ter! Denk doch an die ge­sell­schaft­li­che Stel­lung, die es für eine von ih­nen be­deu­ten mag! So­gar Sir Wil­liam und Lady Lu­cas sind fest ent­schlos­sen, ihm nur des­halb einen Be­such zu ma­chen; du weißt, wie we­nig sie sich sonst um Neu­an­kömm­lin­ge küm­mern. Du musst un­ter al­len Um­stän­den hin­ge­hen; denn wie sol­len wir ihn be­su­chen kön­nen, wenn du es nicht zu­erst tust?«

»Du bist viel zu kor­rekt; ich bin über­zeugt, Mr. Bingley wird sich sehr freu­en, euch bei sich be­grü­ßen zu dür­fen. Ich kann dir ja ein paar Zei­len mit­ge­ben und ihm aufs herz­lichs­te mei­ne Ein­wil­li­gung zu­si­chern für den Fall, dass er sich eine von mei­nen Töch­tern aus­su­chen und sie hei­ra­ten will. Für mei­ne klei­ne Liz­zy will ich da­bei ein be­son­ders gu­tes Wort ein­le­gen.«

»Ich will sehr hof­fen, dass du nichts der­glei­chen tust. Liz­zy ist nicht einen Deut bes­ser als die an­de­ren. Im Ge­gen­teil, ich fin­de sie nicht halb so hübsch wie Jane und nicht halb so rei­zend wie Ly­dia. Aber du musst sie ja im­mer vor­zie­hen.«

»Du hast recht. Wirk­lich emp­feh­len könn­te ich kei­ne von ih­nen«, er­wi­der­te Mr. Ben­net. »Sie sind al­bern und un­wis­send wie alle jun­gen Mäd­chen; nur Liz­zy ist we­nigs­tens et­was leb­haf­ter als ihre Schwes­tern.«

»Aber hör mal, wie kannst du dei­ne ei­ge­nen Kin­der so her­ab­set­zen! Es macht dir of­fen­bar Spaß, mich zu är­gern. Du hast eben gar kein Mit­ge­fühl mit mei­nen ar­men Ner­ven!«

»Da ver­kennst du mich ganz und gar, mei­ne Lie­be. Ich hege die größ­te Ach­tung vor dei­nen Ner­ven. Seit zwan­zig Jah­ren höre ich mir nun schon das mit dei­nen Ner­ven an; sie sind mir nun gute alte Be­kann­te ge­wor­den.«

»Ach, du ahnst nicht, wie sehr ich un­ter ih­nen lei­den muss!«

»Aber ich hof­fe, du über­stehst es auch die­ses Mal und er­lebst, dass noch vie­le an­de­re jun­ge Män­ner mit vier­tau­send Pfund im Jahr sich in un­se­rer Nach­bar­schaft nie­der­las­sen.«

»Und wenn zwan­zig kämen, was nützt es uns, wenn du sie doch nicht be­su­chen willst?«

»Ver­lass dich auf mich, mei­ne Lie­be: wenn es erst zwan­zig sind, wer­de ich sie nach­ein­an­der auf­su­chen.«

Mr. Ben­net stell­te eine so ei­gen­ar­ti­ge Mi­schung von klu­gem Ver­stand und Iro­nie, von Zu­rück­hal­tung und Schalk­haf­tig­keit dar, dass eine drei­und­zwan­zig­jäh­ri­ge Er­fah­rung nicht ge­nügt hat­te, um sei­ne Frau die­sen Cha­rak­ter ver­ste­hen zu las­sen. Ihre Ge­dan­ken­gän­ge zu er­grün­den war ein­fa­cher: sie war eine un­be­deu­ten­de Frau mit ge­rin­gem Wis­sen und un­be­re­chen­ba­rer Lau­ne. War sie mit et­was un­zu­frie­den, lieb­te sie es, die Ner­vö­se zu spie­len. Ihre Le­bens­auf­ga­be be­stand dar­in, ihre Töch­ter zu ver­hei­ra­ten. Be­su­che ma­chen und Neu­ig­kei­ten aus­tau­schen war ihre Er­ho­lung.

2. KAPITEL

Mr. Ben­net ge­hör­te zu den ers­ten, die Mr. Bingley auf Ne­ther­field be­grüß­ten. Er war von vorn­her­ein ent­schlos­sen ge­we­sen, den neu­en Nach­barn auf­zu­su­chen, so sehr er sei­ner Frau auch im­mer wie­der das Ge­gen­teil ver­si­cher­te; und so wuss­te sie noch am Abend nichts von sei­nem Be­such am Mor­gen.

Mr. Ben­net mach­te sei­ner Fa­mi­lie auf fol­gen­de Wei­se Mit­tei­lung von sei­nem An­tritts­be­such: eine Wei­le sah er sei­ner zwei­ten Toch­ter Eli­sa­beth zu, wie sie an ei­nem Hut ar­bei­te­te, und sag­te dann plötz­lich:

»Hof­fent­lich wird er Mr. Bingley ge­fal­len, Liz­zy.«

»Lei­der ist es uns ja nicht mög­lich, Mr. Bingleys Ge­schmack fest­zu­stel­len«, sag­te sei­ne Frau vor­wurfs­voll, »da wir ihn nicht be­su­chen kön­nen.«

»Du ver­gisst aber, Mama«, sag­te Eli­sa­beth, »dass wir ihn auf ei­nem von den Bäl­len tref­fen wer­den. Mrs. Long hat ver­spro­chen, ihn uns vor­zu­stel­len.«

»Mrs. Long wird sich hü­ten! Sie hat ja selbst zwei Nich­ten. Mrs. Long ist eine selbst­süch­ti­ge und falsche Per­son, ich habe kei­ne gute Mei­nung von ihr.«

»Ganz recht, ich auch nicht«, sag­te Mr. Ben­net. »Ich freue mich, dass du dich nicht auf ihre Gut­mü­tig­keit ver­las­sen willst.«

Sei­ne Frau wür­dig­te ihn kei­ner Ant­wort. Aber da nichts zu sa­gen über ihre Kraft ge­gan­gen wäre, fing sie an, eine ih­rer Töch­ter zu schel­ten:

»Hör um Him­mels wil­len mit dei­nem Hus­ten auf, Kit­ty! Nimm doch ein we­nig Rück­sicht auf mei­ne Ner­ven – du zer­reißt sie mir ja ge­ra­de­zu!«

»Kit­ty hus­tet ohne je­des Takt­ge­fühl«, mein­te ihr Va­ter, »sie hus­tet in ei­nem sehr un­pas­sen­den Au­gen­blick.«

»Ich hus­te nicht zum Ver­gnü­gen«, er­wi­der­te Kit­ty stör­risch. »Wann ist denn dein nächs­ter Ball, Liz­zy?«

»Mor­gen in vier­zehn Ta­gen.«

»Rich­tig«, rief ihre Mut­ter, »und Mrs. Long kommt erst einen Tag vor­her zu­rück; sie kann ihn euch also gar nicht vor­stel­len, denn sie wird ihn selbst noch nicht ken­nen!«

»Dann wirst du, mei­ne Lie­be, ge­gen dei­ne Freun­din groß­mü­tig sein kön­nen und Mr. Bingley ihr vor­stel­len.«

»Aus­ge­schlos­sen, Ben­net, ganz aus­ge­schlos­sen! Ich ken­ne ihn ja auch nicht. Wa­rum musst du mich im­mer är­gern?«

»Dei­ne Vor­sicht macht dir alle Ehre. Eine vier­zehn­tä­gi­ge Be­kannt­schaft ge­nügt al­ler­dings kaum, um je­mand ken­nen­zu­ler­nen; man kann einen Men­schen nach so kur­z­er Zeit noch nicht be­ur­tei­len. Aber wenn wir es nicht tun, dann tut es je­mand an­ders; Mrs. Long und ihre Nich­ten müs­sen das Ri­si­ko eben auf sich neh­men. Wenn du also glaubst, es nicht ver­ant­wor­ten zu kön­nen – Mrs. Long wird das si­cher­lich als einen be­son­de­ren Be­weis dei­ner Freund­schaft an­er­ken­nen –, dann will ich es über­neh­men.«

Die Mäd­chen starr­ten ih­ren Va­ter an. Mrs. Ben­net sag­te bloß: »Un­sinn, Un­sinn!«

»Was willst du mit dei­nem ›Un­sinn‹ sa­gen?« frag­te Mr. Ben­net. »Etwa, dass die Förm­lich­keit des Vor­stel­lens und das Ge­wicht, das man die­ser Förm­lich­keit bei­misst, Un­sinn ist? In dem einen Punkt müss­te ich dann ver­schie­de­ner Mei­nung mit dir sein. Was meinst du dazu, Mary? Du denkst doch, so viel ich weiß, tief über al­les nach und liest di­cke Bü­cher und machst dir No­ti­zen und Aus­zü­ge.«

Mary hät­te für ihr Le­ben gern et­was sehr Klu­ges ge­sagt, aber ihr fiel nichts Pas­sen­des ein.

»Wäh­rend Mary ihre Ge­dan­ken ord­net«, fuhr ihr Va­ter fort, »wol­len wir zu Mr. Bingley zu­rück­keh­ren.«

»Ich kann den Na­men nicht mehr hö­ren!« rief sei­ne Frau.

»Das täte mir wirk­lich sehr leid. Aber warum sag­test du es mir nicht eher? Hät­te ich es heu­te Mor­gen schon ge­wusst, wäre mein Be­such bei ihm be­stimmt un­ter­blie­ben. Zu scha­de –, aber nun ist es ein­mal ge­sche­hen, und wir wer­den uns sei­ner Be­kannt­schaft nicht mehr ent­zie­hen kön­nen.«

Das Er­stau­nen sei­ner Fa­mi­lie war so groß und so leb­haft, wie er es sich ge­wünscht hat­te. Mrs. Ben­net über­traf auch hier­in die an­de­ren, wenn auch nur um ein we­ni­ges. Nichts­de­sto­we­ni­ger er­klär­te sie, nach­dem man sich wie­der et­was be­ru­higt hat­te, sie habe es sich schon die gan­ze Zeit ge­dacht.

»Das war ein­mal rich­tig nett von dir. Aber ich wuss­te ja, dass ich dich wür­de über­re­den kön­nen. Ich wuss­te ja, dass du dei­ne Kin­der viel zu lieb hast, als dass du eine sol­che Be­kannt­schaft ver­nach­läs­sigt hät­test. Wie ich mich freue! Und wie gut dir dein Scherz ge­lun­gen ist –, heu­te Mor­gen bist du schon bei ihm ge­we­sen, und jetzt er­zählst du uns erst da­von!«

»So, Kit­ty, jetzt kannst du hus­ten, so viel es dir Spaß macht«, mit die­sen Wor­ten ver­ließ Mr. Ben­net das Zim­mer, of­fen­sicht­lich ziem­lich mit­ge­nom­men von dem Be­geis­te­rungs­aus­bruch sei­ner Frau.

»Ihr Mäd­chen habt einen ein­zig­ar­ti­gen Va­ter«, sag­te sie, als die Tür sich ge­schlos­sen hat­te. »Ich weiß nicht, wie ihr ihm je sei­ne Güte wer­det dan­ken kön­nen – ich üb­ri­gens auch nicht. In un­se­rem Al­ter ist es kein Ver­gnü­gen, kann ich euch ver­si­chern, täg­lich neue Be­kannt­schaf­ten ma­chen zu müs­sen. Aber für euch tun wir eben al­les. Ly­dia, mein Lieb­ling, du bist zwar sehr jung, aber ich bin fest da­von über­zeugt, dass Mr. Bingley auf dem nächs­ten Ball mit dir tan­zen wird.«

»Och«, sag­te Ly­dia stolz, »ich hab’ kei­ne Angst. Ich bin wohl die Jüngs­te, aber auch die Größ­te von uns.«

Den Rest des Abends ver­brach­ten sie auf das an­ge­nehms­te da­mit, zu über­le­gen, wann wohl Mr. Bingleys Ge­gen­be­such zu er­war­ten sei und wann sie ihn dann zum Es­sen la­den könn­ten.

3. KAPITEL

So sehr sich in­des­sen Mrs. Ben­net, eif­rig von ih­ren fünf Töch­tern un­ter­stützt, dar­um be­müh­te, es war kei­ne auch nur ei­ni­ger­ma­ßen zu­frie­den­stel­len­de Be­schrei­bung des neu­en Nach­barn aus ih­rem Mann her­aus­zu­be­kom­men. Die An­grif­fe er­folg­ten von den ver­schie­dens­ten Sei­ten, ge­ra­de­wegs als Fra­gen oder un­ter Harm­lo­sig­keit ge­tarnt oder wie­der als schein­bar ganz fern-lie­gen­de An­deu­tun­gen, aber er ließ sich in kei­ne Fal­le lo­cken. Zu­letzt muss­ten sie sich mit dem zu­frie­den­ge­ben, was Lady Lu­cas ih­nen aus zwei­ter Hand be­rich­ten konn­te. Sir Wil­liam war ent­zückt ge­we­sen. Er sei noch sehr jung, un­ge­wöhn­lich gut aus­se­hend, au­ßer­or­dent­lich wohl­er­zo­gen, und, als Krö­nung des Gan­zen, er be­ab­sich­ti­ge, an dem nächs­ten Ball mit ei­ner grö­ße­ren Ge­sell­schaft teil­zu­neh­men… Wo konn­te es da noch feh­len! Zwi­schen gern tan­zen und sich ver­lie­ben war nur noch ein klei­ner, ein fast un­ver­meid­li­cher Schritt! Mr. Bingleys Herz wur­de Ge­gen­stand der leb­haf­tes­ten Er­ör­te­run­gen und Er­war­tun­gen.

»Wenn ich es er­le­ben darf, dass eine mei­ner Töch­ter als Her­rin in Ne­ther­field ein­zieht«, sag­te Mrs. Ben­net zu ih­rem Mann, »und wenn es mir ge­lin­gen soll­te, die an­de­ren eben­so gut un­ter­zu­brin­gen, dann wird mir je­der Wunsch er­füllt sein.«

Nach ei­ni­gen Ta­gen er­wi­der­te Mr. Bingley Mr. Ben­nets Be­such und blieb mit ihm etwa zehn Mi­nu­ten in der Biblio­thek. Er hat­te die lei­se Hoff­nung ge­habt, we­nigs­tens einen Blick auf die jun­gen Da­men wer­fen zu dür­fen, von de­ren Schön­heit er schon viel ge­hört hat­te; aber der Va­ter war al­les, was er zu se­hen be­kam. Die Da­men selbst wa­ren ein we­nig mehr vom Glück be­güns­tigt; ge­lang es ih­nen doch, von ei­nem Fens­ter im obe­ren Stock fest­zu­stel­len, dass er einen blau­en Man­tel trug und ein schwar­zes Pferd ritt.

Bald dar­auf wur­de auch die Ein­la­dung zum Es­sen ab­ge­schickt. Mrs. Ben­net war sich schon über alle Ge­rich­te und Gän­ge klar, mit de­nen sie haus­frau­li­che Ehre ein­zu­le­gen ge­dach­te; da kam sei­ne Ant­wort und schob all die schö­nen Plä­ne auf un­be­stimm­te Zeit auf. Mr. Bingley be­dau­er­te sehr, am fol­gen­den Tag nach Lon­don fah­ren und sich da­her des Ver­gnü­gens be­rau­ben zu müs­sen, der Ein­la­dung usw. usw. Mrs. Ben­net war ganz un­glück­lich. Sie konn­te sich gar nicht den­ken, was das für eine An­ge­le­gen­heit sein moch­te, die ihn schon so bald nach sei­ner An­kunft in Hert­fords­hi­re nach Lon­don zu­rück­rief. Der Ge­dan­ke, er kön­ne viel­leicht zu der Sor­te jun­ger Män­ner ge­hö­ren, die stän­dig von ei­nem Ort zum an­de­ren flat­tern, an­statt sich mit ei­nem fes­ten Wohn­sitz zu be­gnü­gen – in die­sem Fall Ne­ther­field –, wie es sich ge­hör­te, be­gann sie ernst­lich zu be­un­ru­hi­gen. Und sie schöpf­te erst wie­der ein we­nig Mut, als Lady Lu­cas ihr ge­gen­über die Mög­lich­keit er­wähn­te, er sei doch viel­leicht nur nach Lon­don ge­fah­ren, um sei­ne große Ball­ge­sell­schaft nach Ne­ther­field zu ho­len. Bald dar­auf ver­brei­te­te sich das aus si­che­ren Quel­len stam­men­de Gerücht, Mr. Bingley wer­de mit zwölf Da­men und sie­ben Her­ren auf dem Fest er­schei­nen. Zwölf Da­men! Die jun­gen Mäd­chen hör­ten die­se Nach­richt mit großer Be­sorg­nis. Aber auch sie fass­ten wie­der Mut, als die Zahl zwölf am Tage vor dem Ball auf sechs – fünf Schwes­tern und eine Cou­si­ne – be­rich­tigt wur­de. Die Ge­sell­schaft, die tat­säch­lich den großen Fest­saal be­trat, war dann schließ­lich nicht zahl­rei­cher als ins­ge­samt nur fünf Per­so­nen: Mr. Bingley, sei­ne bei­den Schwes­tern, der Gat­te der äl­te­ren und ein un­be­kann­ter jun­ger Mann.

Mr. Bingley sah sehr gut aus und mach­te einen vor­neh­men Ein­druck. Sei­ne gan­ze Hal­tung und Art, sich zu ge­ben, wa­ren na­tür­lich und von ei­ner un­ge­zwun­ge­nen Freund­lich­keit. Die Schwes­tern wa­ren mit gu­tem, ei­ge­nem Ge­schmack nach der letz­ten Mode ge­klei­det und muss­ten zwei­fel­los zu den Schön­hei­ten der Lon­do­ner Ge­sell­schaft ge­zählt wer­den. Mr. Hurst, dem Schwa­ger Mr. Bingleys, war die gute Fa­mi­lie an­zu­se­hen; mehr al­ler­dings auch nicht. Mr. Dar­cy, der jun­ge Freund, da­ge­gen war bald mit sei­ner großen, schlan­ken Fi­gur, sei­nem an­ge­neh­men Äu­ße­ren und sei­nem vor­neh­men Auf­tre­ten Mit­tel­punkt der Auf­merk­sam­keit des gan­zen Saa­l­es. Kein Wun­der, dass in we­ni­ger als fünf Mi­nu­ten die ver­bürg­te Nach­richt ih­ren Lauf über alle Lip­pen nahm, Mr. Dar­cy ver­fü­ge über zehn­tau­send Pfund im Jahr. Die Her­ren ge­stan­den ihm sein un­ge­wöhn­lich statt­li­ches und männ­li­ches We­sen zu, die Da­men ver­si­cher­ten, er sehe noch bes­ser aus als Mr. Bingley, und die Bli­cke von je­der­mann folg­ten ihm be­wun­dernd den hal­b­en Abend lang; dann aber wan­del­te sich die an­fäng­li­che Auf­fas­sung von der Vor­nehm­heit sei­nes Auf­tre­tens voll­stän­dig in das Ge­gen­teil um, wor­auf­hin die Hoch­flut der Ach­tung, die man ihm ent­ge­gen­ge­bracht hat­te, rasch ab­zueb­ben be­gann. Denn man konn­te nicht um­hin, die Fest­stel­lung zu ma­chen, dass Mr. Dar­cy hoch­mü­tig war, auf die an­we­sen­de Ge­sell­schaft her­ab­sah und an nichts An­teil neh­men woll­te. Nichts, nicht ein­mal sein großer Grund­be­sitz in Der­by­s­hi­re, war ein Aus­gleich für sein ab­wei­sen­des und we­nig freund­li­ches Be­neh­men. Je­den­falls konn­te er in kei­ner Wei­se mit sei­nem Freund Mr. Bingley ver­gli­chen wer­den.

Mr. Bingley hat­te sich bald schon mit all den vor­nehm­lichs­ten An­we­sen­den be­kannt­ge­macht. Er tanz­te je­den Tanz, war leb­haft und auf­ge­räumt, är­ger­te sich nur dar­über, dass das Fest so früh zu Ende sein soll­te, und sprach da­von, einen Ball auf Ne­ther­field zu ge­ben. Sol­che Lie­bens­wür­dig­keit be­darf kei­ner wei­te­ren Lo­bes­wor­te. Welch ein Ge­gen­satz zwi­schen ihm und sei­nem Freund! Mr. Dar­cy tanz­te nur je ein­mal mit Mrs. Hurst und mit Miss Bingley und lehn­te es ab, ir­gend­ei­ner an­de­ren Dame vor­ge­stellt zu wer­den. Den größ­ten Teil des Abends brach­te er da­mit zu, im Saal her­um­zu­ge­hen und hin und wie­der mit dem einen oder der an­de­ren von sei­nen Be­kann­ten ein paar Wor­te zu wech­seln. Über sei­nen Cha­rak­ter brauch­te auch kein Wort mehr ver­lo­ren zu wer­den. Er war der hoch­mü­tigs­te, un­an­ge­nehms­te Mensch auf der Welt, und man konn­te nur hof­fen, dass man ihn zum letz­ten Male ge­se­hen hat­te.

Sei­ne hef­tigs­te Geg­ne­rin war Mrs. Ben­net; denn zu der all­ge­mei­nen Miss­s­tim­mung kam bei ihr ein per­sön­li­cher Grund hin­zu, der ihre Ab­nei­gung noch be­deu­tend ver­schärf­te: Mr. Dar­cy hat­te eine ih­rer Töch­ter be­lei­digt.

Da die Her­ren sehr in der Min­der­zahl wa­ren, hat­te Eli­sa­beth zwei Tän­ze aus­las­sen müs­sen; und in die­ser Zeit war Mr. Dar­cy wäh­rend sei­nes ge­lang­weil­ten Rund­gan­ges für einen kur­z­en Au­gen­blick ihr so na­he­ge­kom­men, dass sie nicht um­hin konn­te, ein Ge­spräch zwi­schen ihm und Mr. Bingley mit an­zu­hö­ren; der hat­te die Tan­zen­den ver­las­sen, um sei­nen Freund aus sei­ner In­ter­es­se­lo­sig­keit zu rei­ßen.

»Los, Dar­cy«, sag­te er, »du musst auch ein­mal tan­zen. Es wird mir zu dumm, dich in die­ser blö­den Wei­se hier al­lein her­um­ste­hen zu se­hen. Wenn du doch schon hier bist, ist es viel ver­nünf­ti­ger, du tanzt.«

»Al­les an­de­re lie­ber als das! Du weißt, wie sehr ich es ver­ab­scheue, mit je­mand zu tan­zen, den ich nicht ken­ne. Und in ei­ner Ge­sell­schaft wie die­ser hier wäre es ge­ra­de­zu un­er­träg­lich. Dei­ne Schwes­tern ha­ben bei­de einen Part­ner, und au­ßer ih­nen gibt es auch nicht ein ein­zi­ges Mäd­chen im gan­zen Saal, mit dem sich zu zei­gen nicht eine Stra­fe wäre.«

»Nicht für ein Kö­nig­reich möcht’ ich solch ein Mäk­ler sein wie du!« rie­f Bingley aus. »Auf Ehre, ich hab’ noch nie so vie­le net­te Mäd­chen auf ein­mal ken­nen­ge­lernt wie heu­te Abend; vie­le sind so­gar ganz un­ge­wöhn­lich hübsch.«

»Du tanzt ja auch mit dem ein­zi­gen Mäd­chen, das hier wirk­lich gut aus­sieht«, er­wi­der­te Dar­cy und schau­te gleich­zei­tig zu Jane hin­über.

»Ja, sie ist das wun­der­bars­te Ge­schöpf, das mir je vor Au­gen ge­kom­men ist! Aber ge­ra­de hin­ter dir sitzt eine ih­rer Schwes­tern, die sehr nett aus­sieht und wahr­schein­lich auch sehr nett ist. Ich wer­de mei­ne Dame bit­ten, dich ihr vor­zu­stel­len.«

»Wel­che meinst du?« Dar­cy dreh­te sich um und be­trach­te­te Eli­sa­beth, bis sie un­ter sei­nem Blick hoch­sah. Da­rauf­hin wand­te er sich wie­der an sei­nen Freund und mein­te gleich­gül­tig: »Er­träg­lich, aber nicht ge­nü­gend, um mich zu rei­zen. Au­ßer­dem habe ich heu­te kei­ne Lust, mich mit jun­gen Da­men ab­zu­ge­ben, die von den an­de­ren Her­ren sitz­en­ge­las­sen wor­den sind. Kehr du nur wie­der zu dei­ner Tän­ze­rin zu­rück und son­ne dich in ih­rem Lä­cheln; bei mir ver­geu­dest du doch nur dei­ne Zeit.«

Mr. Bingley folg­te sei­nem Rat, und Dar­cy nahm sei­nen Rund­gang wie­der auf. Eli­sa­beths An­sicht über ihn war nicht sehr freund­lich, aber nichts­de­sto­we­ni­ger be­rich­te­te sie ih­ren Freun­din­nen voll Hu­mor ihr klei­nes Er­leb­nis; denn da sie selbst von Na­tur lus­tig und hei­ter war, lach­te sie gern, auch wenn es auf ihre ei­ge­nen Kos­ten ging.

Im Üb­ri­gen ver­lief je­doch der Abend zur volls­ten Zufrie­den­heit der gan­zen Fa­mi­lie. Mrs. Ben­net hat­te die Freu­de ge­habt, ihre äl­tes­te Toch­ter von dem Ne­ther­field-Kreis ak­zep­tiert zu se­hen: Mr. Bingley hat­te zwei­mal mit ihr ge­tanzt, und sei­ne Schwes­tern zeich­ne­ten sie durch größ­te Zu­vor­kom­men­heit aus. Ja­nes Freu­de und Stolz hier­über wa­ren wohl nicht ge­rin­ger als die ih­rer Mut­ter, aber sie ließ es sich nicht so sehr an­mer­ken. Eli­sa­beth teil­te als gute Schwes­ter Ja­nes Freu­de. Mary hat­te sich Miss Bingley ge­gen­über als das ge­bil­dets­te jun­ge Mäd­chen aus der gan­zen Nach­bar­schaft rüh­men ge­hört. Und die bei­den Jüngs­ten, Ca­the­ri­ne und Ly­dia, konn­ten das un­wahr­schein­lichs­te Glück für sich in An­spruch neh­men, nicht einen ein­zi­gen Tanz aus­ge­las­sen zu ha­ben, und das war das ein­zi­ge, wor­auf es ih­nen vor­läu­fig bei ei­nem Ball an­kam.

Sie kehr­ten da­her alle in bes­ter Lau­ne nach Long­bourn zu­rück, dem Dorf, des­sen vor­nehms­tes Haus das ihre war. Mr. Ben­net war noch auf. In Ge­sell­schaft ei­nes gu­ten Bu­ches ver­gaß er die Zeit. Am heu­ti­gen Abend kam noch ein gut Teil Neu­gier­de hin­zu, ihn wach zu hal­ten; er woll­te doch gern wis­sen, wie das Fest ver­lau­fen war, das so vie­le Hoff­nun­gen er­weckt hat­te. Im Stil­len hat­te er wohl er­war­tet, die vor­ge­fass­te Mei­nung sei­ner Frau über den neu­en Nach­barn ent­täuscht zu se­hen; dass er sich sei­ner­seits ge­täuscht hat­te, dar­über wur­de er nicht lan­ge im Zwei­fel ge­las­sen.

»Wir ha­ben einen herr­li­chen Abend ver­bracht.« Da­mit kam sie ins Zim­mer. »Ein wun­der­vol­ler Ball! Ich wünsch­te, du wärst da­ge­we­sen. Jane wur­de be­wun­dert – es ist gar nicht zu be­schrei­ben! Alle sag­ten, wie gut sie aus­se­he; und Mr. Bingley fand sie wun­der­schön und hat zwei­mal mit ihr ge­tanzt! Stell’ dir das bit­te vor, mein Lie­ber! Zwei­mal hat er mit ihr ge­tanzt! Und sonst hat er kei­ne ein­zi­ge zum zwei­ten Mal auf­ge­for­dert! Zu­erst for­der­te er Miss Lu­cas auf. Ich hab’ mich rich­tig ge­är­gert, als er mit ihr tanz­te; doch er hat sie gar nicht ge­mocht, na ja, weißt du, das wäre wohl auch schwer mög­lich ge­we­sen. Aber schon wäh­rend des ers­ten Tan­zes schi­en ihm Jane auf­zu­fal­len; er er­kun­dig­te sich, wer sie sei, ließ sich vor­stel­len, und bat sie um den nächs­ten Tanz. Dann tanz­te er den drit­ten mit Miss King und den vier­ten mit Ma­ria Lu­cas und den fünf­ten wie­der mit Jane und den sechs­ten mit Liz­zy und dann noch ein Bou­lan­ger-Me­nuett hin­ter­her…«

»Um Got­tes wil­len, ich will nichts mehr von Mr. Bingleys Tän­ze­rin­nen hö­ren!« un­ter­brach Mr. Ben­net sie un­ge­dul­dig. »Wäre er ein we­nig rück­sichts­vol­ler ge­gen mich ge­we­sen, hät­te er nur halb so viel ge­tanzt. Scha­de, dass er sich nicht schon beim ers­ten Tanz den Fuß ver­staucht hat.«

»Aber«, fuhr Mrs. Ben­net fort, »ich bin ganz ent­zückt von ihm! Er sieht un­ge­wöhn­lich gut aus! Und sei­ne Schwes­tern sind rei­zen­de Da­men. Ihre Klei­der wa­ren das ele­gan­tes­te, was ich je ge­se­hen habe. Die Spit­zen an Mrs. Hursts Kleid ha­ben gut und ger­ne…«

Sie wur­de wie­der un­ter­bro­chen. Ihr Mann leg­te auf das ener­gischs­te Ver­wah­rung da­ge­gen ein, jetzt einen Dis­kurs über Spit­zen und Mo­den er­tra­gen zu müs­sen. Sie sah sich da­her ge­zwun­gen, das The­ma in eine an­de­re Rich­tung ab­zu­len­ken, und be­rich­te­te mit ehr­li­cher Ent­rüs­tung und ei­ni­gen Über­trei­bun­gen von dem un­glaub­li­chen Be­tra­gen des Mr. Dar­cy.

»Aber das weiß ich und das kann ich dir ver­si­chern«, schloss sie nach ei­ni­ger Zeit, »Liz­zy ver­liert nicht viel, wenn sie sei­nem Ge­schmack nicht ent­spricht; er ist ein ganz schreck­lich un­an­ge­neh­mer, scheuß­li­cher Mensch und gar nicht wert, dass man sich um ihn küm­mert. Nicht zum Aus­hal­ten war es, wie hoch­mü­tig und ein­ge­bil­det er hin- und her­ging und sich wun­der wie groß­ar­tig vor­kam! ›Er­träg­lich – aber nicht ge­nü­gend, um ihn zu rei­zen –!‹ Ich wünsch­te, du wärst da­ge­we­sen, mein Lie­ber, um ihn ein we­nig zu­recht­zu­stut­zen, du ver­stehst dich so gut dar­auf. Ich fin­de den Men­schen ab­scheu­lich!«

4. KAPITEL

Als Jane und Eli­sa­beth in ih­rem Zim­mer al­lein wa­ren, ver­trau­te die Äl­te­re, die bis da­hin kaum in die Lob­prei­sun­gen Mr. Bingleys ein­ge­stimmt hat­te, ih­rer Schwes­ter an, wie sehr sie ihn be­wun­de­re. »Er ist al­les, was ein jun­ger Mann sein soll­te«, sag­te sie, »ver­nünf­tig und doch fröh­lich und leb­haft; und sein Auf­tre­ten – ich hab’ noch nie so et­was er­lebt: gleich­zei­tig so un­ge­zwun­gen und so wohl­er­zo­gen!«

»Gut aus­se­hen tut er auch«, er­wi­der­te Eli­sa­beth, »das kann ei­nem jun­gen Mann eben­falls nicht scha­den. Also al­les in al­lem, ein idea­ler Typ!«

»Dass er mich ein zwei­tes Mal zum Tan­zen auf­for­der­te, das war doch sehr schmei­chel­haft. Das hat­te ich gar nicht er­war­tet!«

»Nicht? Ich ja. Das ist der große Un­ter­schied zwi­schen uns: dich über­rascht so et­was im­mer, mich nie. Was hät­te selbst­ver­ständ­li­cher sein kön­nen, als dass er dich noch ein­mal auf­for­der­te? Es konn­te ihm ja nicht gut ent­gan­gen sein, dass du min­des­tens fünf­mal hüb­scher warst als alle an­de­ren Mäd­chen im Saal. Nein, das war kei­ne be­son­de­re Höf­lich­keit von ihm. Aber es stimmt, er ist wirk­lich sehr nett, und mei­nen Se­gen hast du. Dir ha­ben schon ganz an­de­re Hohl­köp­fe ge­fal­len!«

»Aber Liz­zy!«

»Ich weiß – du hast eine reich­lich über­trie­be­ne Nei­gung, je­der­mann nett zu fin­den. Du ent­deckst nie­mals einen Feh­ler an Men­schen. Die gan­ze Welt ist in dei­nen Au­gen gut und schön. Ich glau­be, ich habe dich noch nie über ir­gend­wen et­was Un­freund­li­ches sa­gen hö­ren!«

»Ich möch­te na­tür­lich nicht un­über­legt und has­tig ur­tei­len; aber ich sage doch im­mer, was ich wirk­lich den­ke.«

»Eben, das weiß ich ja – das ist ja ge­ra­de das Wun­der: so ver­nünf­tig zu sein, wie du es doch bist, und da­bei so rüh­rend blind ge­gen­über den Tor­hei­ten und der Dumm­heit dei­ner Mit­menschen! Ge­spiel­te Auf­rich­tig­keit ist eine ge­wöhn­li­che Er­schei­nung – man trifft sie über­all. Aber Auf­rich­tig­keit ohne Hin­ter­ge­dan­ken oder Ne­ben­ab­sich­ten, nur das Bes­te in je­dem se­hen und das noch ver­bes­sern, wäh­rend man das Schlech­te nicht be­ach­tet, und das noch in al­ler Auf­rich­tig­keit – das kannst nur du! Sei­ne Schwes­tern moch­test du also auch? Ganz so wohl­er­zo­gen wie er sind sie ja­wohl nicht.«

»Das al­ler­dings nicht, we­nigs­tens er­scheint es zu­nächst so. Aber die bei­den sind ganz rei­zend, wenn man mit ih­nen spricht. Miss Bingley wird auch auf Ne­ther­field woh­nen blei­ben und ih­rem Bru­der das Haus füh­ren. Es soll­te mich sehr wun­dern, wenn wir in ihr nicht eine sehr an­ge­neh­me Nach­ba­rin be­kämen.«

Eli­sa­beth schwieg dazu; sie war da­von nicht so über­zeugt wie ihre Schwes­ter. Das Auf­tre­ten der bei­den Da­men aus Lon­don war nicht da­nach ge­we­sen, um ihr un­ein­ge­schränk­tes Ge­fal­len zu er­re­gen; sie be­ob­ach­te­te schär­fer und war nicht so vor­schnell in ih­rem Ur­teil, zu­mal sie sich nicht, wie ihre Schwes­ter, durch ein per­sön­li­ches In­ter­es­se ver­pflich­tet fühl­te. Zwei­fel­los, die bei­den wa­ren wirk­li­che Da­men; sehr wohl in der Lage, in bes­ter Stim­mung zu sein, so­lan­ge sie sich gut un­ter­hal­ten fühl­ten, und freund­lich, so­bald ih­nen so zu­mu­te war, aber zwei­fel­los eben­so hoch­mü­tig und ein­ge­bil­det. Sie sa­hen recht gut aus, hat­ten eine vor­treff­li­che Er­zie­hung in ei­ner der vor­nehms­ten Schu­len Lon­d­ons ge­nos­sen, konn­ten über ein Ver­mö­gen von zwan­zig­tau­send Pfund ver­fü­gen, wa­ren ge­wohnt, mehr aus­zu­ge­ben, als ih­rem Ver­mö­gen ent­sprach, und ver­kehr­ten in der bes­ten Ge­sell­schaft – kurz, sie hat­ten al­len Grund, das Bes­te von sich sel­ber und we­ni­ger gut von an­de­ren zu den­ken. Au­ßer­dem ge­hör­ten sie ei­ner an­ge­se­he­nen nor­deng­li­schen Fa­mi­lie an, eine Tat­sa­che, die ih­nen stän­dig mehr ge­gen­wär­tig zu sein schi­en als die an­de­re Tat­sa­che, dass das Fa­mi­li­en­ver­mö­gen aus Han­dels­ge­schäf­ten stamm­te.

Mr. Bingleys Va­ter, der im­mer den Wunsch ge­hegt hat­te, sich einen Land­be­sitz zu kau­fen, aber zu früh ge­stor­ben war, um sich sei­nen Wunsch er­fül­len zu kön­nen, hin­ter­ließ sei­nem Sohn ein Erbe von na­he­zu ein­hun­dert­tau­send Pfund. Mr. Bingley be­ab­sich­tig­te nun aus­zu­füh­ren, was sei­nem Va­ter ver­sagt ge­blie­ben war; bald dach­te er an die­se Ge­gend, bald an jene. Aber da er jetzt ein schö­nes Haus in Lon­don be­saß und dazu noch über Ne­ther­field ver­fü­gen konn­te, er­schi­en es al­len, die sei­ne Ge­nüg­sam­keit kann­ten, als höchst wahr­schein­lich, dass er sich nun nicht wei­ter um­se­hen, son­dern den An­kauf ei­nes Land­be­sit­zes der nächs­ten Ge­ne­ra­ti­on über­las­sen wer­de.

Sei­ne Schwes­tern wa­ren nicht so ge­nüg­sam und hät­ten es lie­ber ge­se­hen, wenn ihr Bru­der auf ei­ge­nem Grund und Bo­den säße. Das hielt aber kei­nes­wegs die jün­ge­re da­von ab, in dem nur ge­mie­te­ten Ne­ther­field dem Haus­halt vor­zu­ste­hen; und die äl­te­re Schwes­ter, Mrs. Hurst, die einen Mann in ho­her ge­sell­schaft­li­cher Stel­lung und in schlech­ten Ver­mö­gens­ver­hält­nis­sen ge­hei­ra­tet hat­te, be­trach­te­te die­ses Ne­ther­field nach Be­darf als ihr ei­ge­nes Heim.

Mr. Bingley hat­te erst zwei Jah­re die Frei­heit des Mün­dig­s­eins ge­nos­sen, als eine zu­fäl­li­ge Emp­feh­lung ihm Ne­ther­field Hou­se ver­lo­ckend schil­der­te. Er fuhr hin, sah es sich eine hal­be Stun­de lang drin­nen und drau­ßen an, fand Ge­fal­len an der Lage und den Räum­lich­kei­ten und wur­de mit dem Ei­gen­tü­mer sehr schnell ei­nig.

Zwi­schen ihm und Dar­cy be­stand, trotz der großen cha­rak­ter­li­chen Ver­schie­den­heit, eine lang­jäh­ri­ge, fes­te Freund­schaft. Dar­cy schätz­te an Bingley sein na­tür­li­ches We­sen, sei­ne Frei­mü­tig­keit und sei­ne Lenk­bar­keit – Ei­gen­schaf­ten, die in kei­nem grö­ße­ren Ge­gen­satz zu sei­nen ei­ge­nen hät­ten ste­hen kön­nen, ob­gleich er mit sei­nen ei­ge­nen gar nicht un­zu­frie­den zu sein schi­en. Und Bingley sei­ner­seits fand eine star­ke Stüt­ze in der Ach­tung, die sein Freund ihm ent­ge­gen­brach­te, und ver­trau­te fest sei­ner über­le­ge­nen Men­schen­kennt­nis und Wel­ter­fah­rung. Dar­cy war auch der In­tel­li­gen­te­re von ih­nen; nicht, dass Bingley dumm war, aber Dar­cy war eben der Über­le­ge­ne­re. Gleich­zei­tig hat­te Dar­cy aber einen Zug von Hoch­mut, Ver­schlos­sen­heit und Ver­wöhnt­heit, und sein gan­zes We­sen war, wenn auch nicht ge­ra­de un­höf­lich, so doch nicht sehr ent­ge­gen­kom­mend. In die­ser Hin­sicht lief ihm sein Freund ent­schie­den den Rang ab. Bingley war über­all gern ge­se­hen; Dar­cy eck­te stän­dig an.

Die Art, in der sie sich über den Ball in Me­ry­ton un­ter­hiel­ten, war für bei­de be­zeich­nend. Bingley glaub­te, noch nie net­te­re Leu­te und hüb­sche­re Mäd­chen ge­se­hen zu ha­ben; alle wa­ren äu­ßerst freund­lich und zu­vor­kom­mend ge­gen ihn ge­we­sen, kei­ne Spur von Förm­lich­keit oder Steif­heit, er hat­te sich gleich gut Freund mit al­len An­we­sen­den ge­fühlt; und was Jane be­traf, er hät­te sich kein en­gel­haf­te­res We­sen vor­stel­len kön­nen. Dar­cy da­ge­gen hat­te nur eine große Men­schen­men­ge ge­se­hen, die durch we­nig Schön­heit und viel Une­le­ganz auf­fiel, für die er beim bes­ten Wil­len kein In­ter­es­se hat­te auf­brin­gen kön­nen und von der er we­der Ver­gnü­gen ge­habt noch Ent­ge­gen­kom­men er­fah­ren hat­te… Miss Ben­net – ja, er gab zu, dass sie nett aus­sah, nur lä­chel­te sie zu viel. Mrs. Hurst und ihre Schwes­ter er­ho­ben hier­ge­gen wei­ter kei­nen Ein­spruch, aber sie ge­stan­den ihre Zu­nei­gung und Be­wun­de­rung für Jane ein und er­klär­ten, sie sei ein lie­bes Mäd­chen, des­sen Freund­schaft sie nicht un­gern wei­ter pfle­gen woll­ten. Da­mit war also Miss Ben­net zum »lie­ben Mäd­chen« er­nannt, und Bingley fühl­te sich durch die­se Emp­feh­lung be­rech­tigt, von ihr und über sie zu den­ken, wie es ihm be­lieb­te.

5. KAPITEL

Nur einen kur­z­en Weg von Long­bourn ent­fernt wohn­te eine Fa­mi­lie, die zu den en­ge­ren Freun­den der Ben­nets zähl­te. Sir Wil­liam Lu­cas hat­te frü­her ein Ge­schäft in Me­ry­ton ge­führt, das ihm zu ei­nem an­nehm­ba­ren Ver­mö­gen ver­hol­fen hat­te. Eine An­spra­che an den Kö­nig wäh­rend sei­ner Bür­ger­meis­ter­zeit hat­te ihm den Ti­tel »Sir« ein­ge­bracht. Die Ehrung war ihm ein we­nig zu Kop­fe ge­stie­gen; er fass­te eine plötz­li­che Ab­nei­gung ge­gen das Ge­schäft und ge­gen sein Haus in dem klei­nen Markt­fle­cken, gab bei­des auf und be­zog mit sei­ner Fa­mi­lie et­was au­ßer­halb Me­ry­tons ein Land­haus, das von da an Lu­cas Lod­ge hieß. Hier konn­te er zu sei­nem stän­di­gen Ver­gnü­gen über sei­ne ei­ge­ne Be­deut­sam­keit Be­trach­tun­gen an­stel­len und, un­ge­hin­dert von jed­we­der Ar­beit, sich da­mit be­schäf­ti­gen, ge­gen die gan­ze Welt höf­lich zu sein. Denn wenn sein Ti­tel ihn auch er­höht hat­te, er mach­te ihn nicht hoch­fah­rend; im Ge­gen­teil, er war mehr denn je ei­nes je­den ge­hor­sa­mer Die­ner. Von Na­tur aus schon lie­bens­wür­dig, freund­lich und ge­fäl­lig, hat­te sei­ne Vor­stel­lung bei Hofe ihn nur noch höf­li­cher ge­macht.

Lady Lu­cas war eine sehr gute Frau und nicht klug ge­nug, um eine schlech­te Nach­ba­rin für Mrs. Ben­net ab­zu­ge­ben. Die äl­tes­te von den Lu­cas-Kin­dern, Char­lot­te, eine ru­hi­ge, ver­nünf­ti­ge jun­ge Dame von sie­ben­und­zwan­zig, war Eli­sa­beths bes­te Freun­din.

Es war na­tür­lich un­um­gäng­lich not­wen­dig, dass die Schwes­tern Lu­cas und die Schwes­tern Ben­net den Ball ge­mein­sam durch­spra­chen. Am Mor­gen nach dem Fest er­schie­nen jene in Long­bourn, um zu hö­ren und ge­hört zu wer­den.

»Du hast aber den Abend gut be­gon­nen, Char­lot­te«, sag­te Mrs. Ben­net mit höf­li­cher Selbst­be­herr­schung zu Miss Lu­cas. »Dich hat ja Mr. Bingley sich zu­erst aus­ge­sucht.«

»Ja, aber sei­ne zwei­te Wahl schi­en ihm bes­ser zu ge­fal­len.«

»Ach so, du meinst Jane – weil er zwei­mal mit ihr ge­tanzt hat; du hast recht, das mach­te al­ler­dings den Ein­druck, als ob er sie be­vor­zug­te. Hm, weißt du, ich glau­be, er zog sie den an­de­ren tat­säch­lich vor; ja, ja, ich hör­te so et­was, ich weiß nicht mehr ge­nau was… ir­gen­det­was von Mr. Ro­bin­son –«

»Sie mei­nen wahr­schein­lich das Ge­spräch zwi­schen ihm und Mr. Bingley, das ich zu­fäl­li­ger­wei­se mit an­hör­te; hab’ ich Ih­nen noch nicht da­von er­zählt? Mr. Ro­bin­son frag­te ihn, wie ihm un­ser Ball in Me­ry­ton ge­fal­le und ob er nicht auch der Mei­nung sei, dass eine un­ge­wöhn­lich große An­zahl schö­ner Da­men an­we­send wäre; und dann frag­te Mr. Ro­bin­son ihn noch, wel­che er denn am schöns­ten fin­de? Worauf er so­gleich er­wi­der­te: aber da gibt es doch gar kei­nen Zwei­fel, die äl­tes­te Schwes­ter Ben­net na­tür­lich!«

»Was du nicht sagst! Das ist al­ler­dings sehr deut­lich.«

»Ich hab’ we­nigs­tens et­was Net­tes zu hö­ren be­kom­men, Liz­zy, wenn auch nur über an­de­re«, sag­te Char­lot­te zu ih­rer Freun­din. »Mr. Dar­cy zu­zu­hö­ren lohnt sich nicht so sehr wie sei­nem Freund. Arme Liz­zy, nur ge­ra­de noch er­träg­lich zu sein!«

»Ich bit­te dich, Char­lot­te, ver­such nicht, Liz­zy auch noch mit sei­ner Un­höf­lich­keit zu är­gern; er ist ein so scheuß­li­cher Mensch, dass es ge­ra­de­zu ein Un­glück wäre, ihm zu ge­fal­len. Mrs. Long er­zähl­te mir, er habe eine hal­be Stun­de ne­ben ihr ge­ses­sen, ohne ein ein­zi­ges Mal den Mund auf­zu­ma­chen.«

»Hat sie das ge­sagt, Mut­ter? Hat sie sich nicht viel­leicht ge­irrt?« frag­te Jane. »Ich sah ge­nau, wie er zu ihr sprach.«

»Ja, da hat­te sie ihn ge­ra­de ge­fragt, wie ihm Ne­ther­field ge­fal­le, und dar­auf muss­te er ja­wohl oder übel et­was sa­gen; aber sie sagt, er sei rich­tig wü­tend ge­we­sen, an­ge­spro­chen zu wer­den.«

»Miss Bingley er­zähl­te mir«, sag­te Jane, »dass er nie sehr viel re­det au­ßer im engs­ten Freun­des­kreis. Dann kann er ganz un­ge­wöhn­lich sym­pa­thisch und freund­lich sein.«

»Ich glau­be nicht ein Wort da­von, mei­ne Lie­be. Wenn er das wäre, dann hät­te er mit Mrs. Long ge­spro­chen. Ich kann mir schon den­ken, was los war: alle Welt weiß, dass er vor Hoch­mut bei­na­he er­stickt, und er hat wahr­schein­lich von ir­gend­je­mand er­fah­ren, dass Mrs. Long sich kei­nen ei­ge­nen Wa­gen hal­ten kann und in ei­ner Miets­kut­sche zum Ball ge­kom­men war.«

»Dass er nicht mit Mrs. Long ge­re­det hat, stört mich nicht wei­ter«, mein­te Char­lot­te, »aber ich wünsch­te, er hät­te mit Liz­zy ge­tanzt.«

»Ein an­de­res Mal, Liz­zy«, sag­te Mrs. Ben­net, »wür­de ich nicht mit ihm tan­zen, wenn ich du wäre.«

»Ich glau­be, ich kann dir ziem­lich fest ver­spre­chen, über­haupt nie mit ihm zu tan­zen, Mut­ter.«

»Sein Hoch­mut ver­letzt mich nicht ein­mal so sehr, wie es sonst der Fall wäre«, sag­te Char­lot­te, »denn er hat doch eine Art Ent­schul­di­gung da­für. Man kann sich ei­gent­lich nicht dar­über wun­dern, dass ein so statt­li­cher jun­ger Mann von so vor­neh­mer Fa­mi­lie und so großem Ver­mö­gen sich selbst sehr hoch ein­schätzt. Ich fin­de, er hat ge­wis­ser­ma­ßen ein Recht zum Hoch­mut.«

»Ganz rich­tig«, er­wi­der­te Eli­sa­beth, »ich könn­te ihm sei­nen Hoch­mut auch leicht ver­zei­hen, wenn er nicht mei­nen Stolz ge­kränkt hät­te.«

»Stolz«, sag­te Mary, die auf die Tief­sin­nig­keit ih­rer Ge­dan­ken stolz war, »ge­hört zu den ver­brei­tets­ten un­ter al­len mensch­li­chen Schwä­chen, wenn ich mich nicht irre. Denn nach al­lem, was ich bis­her ge­le­sen habe, bin ich zu der Über­zeu­gung ge­kom­men, dass es so ist: Die mensch­li­che Na­tur neigt über­aus leicht dazu, die­sem Übel zu ver­fal­len, und es gibt nur we­ni­ge Men­schen, die frei da­von sind, aus die­sem oder je­nem, tat­säch­li­chen oder ein­ge­bil­de­ten Grun­de ein Ge­fühl von Selbst­ge­fäl­lig­keit zu ver­spü­ren. Man muss auch Stolz und Ei­tel­keit aus­ein­an­der­hal­ten, wenn die bei­den Wor­te auch oft für ein und die­sel­be Sa­che ge­braucht wer­den: man kann stolz sein, ohne ei­tel zu sein. Der Stolz be­zieht sich mehr auf un­se­re ei­ge­ne Mei­nung von uns selbst, die Ei­tel­keit je­doch auf die Mei­nung, die wir gern von an­de­ren über uns hö­ren möch­ten.«

»Wenn ich so reich wäre wie Mr. Dar­cy«, rief der jun­ge Lu­cas, der sei­ne äl­te­re Schwes­ter be­glei­tet hat­te, in die ach­tungs­vol­le Stil­le, die nach Ma­rys Al­ler­welts­weis­heit ein­ge­tre­ten war, »wenn ich so reich wäre, dann könn­te ich gar nicht stolz ge­nug sein! Ich wür­de Fuchs­jag­den rei­ten und je­den Abend eine Fla­sche Wein trin­ken.«

»Das wäre viel zu viel für dein Al­ter«, mein­te Mrs. Ben­net, »und wenn ich dich da­bei trä­fe, wür­de ich dir die Fla­sche so­fort weg­neh­men.«

Der Jun­ge trumpf­te auf, das dür­fe sie ja gar nicht; und sie be­stand dar­auf, sie wür­de es doch tun, und das Hin und Her fand erst mit dem Be­such sein Ende.

6. KAPITEL

Die Da­men von Long­bourn mach­ten bald dar­auf de­nen von Ne­ther­field ihre Auf­war­tung, und der Be­such wur­de in al­ler Form er­wi­dert. Ja­nes na­tür­li­ches und freund­li­ches We­sen ge­wann ihr schnell die Zu­nei­gung von Mrs. Hurst und de­ren Schwes­ter Ca­ro­li­ne. Die Mut­ter Ben­net war ja zwar kaum zu er­tra­gen, und zu den bei­den jün­ge­ren Mäd­chen auch nur höf­lich zu sein, lohn­te sich ei­gent­lich nicht; aber mit den bei­den äl­te­ren Freund­schaft zu schlie­ßen, er­schi­en ih­nen wün­schens­wert. Jane er­wi­der­te die­sen Wunsch vol­ler Dank­bar­keit und aus gan­zem Her­zen; aber Eli­sa­beth er­kann­te die An­ma­ßung, die al­len Äu­ße­run­gen der Da­men in Ne­ther­field zu Grun­de lag, nicht zum we­nigs­ten Jane ge­gen­über, und sie konn­te es nicht über sich brin­gen, ihr an­fäng­li­ches Miss­trau­en fal­len zu las­sen; moch­te ihre Freund­lich­keit ge­gen Jane, wenn man es schon so nen­nen woll­te, auch da­durch einen ge­wis­sen Wert an­neh­men, dass sie ih­ren Ur­sprung in der Be­wun­de­rung des Bru­ders, Mr. Bingley, hat­te.

Dass eine sol­che Be­wun­de­rung wirk­lich be­stand, war ganz un­ver­kenn­bar, so oft sie zu­sam­men­ka­men. Und für Eli­sa­beth war es eben­so un­ver­kenn­bar, dass Jane der Nei­gung, die sie von An­fang an für ihn emp­fun­den hat­te, nach­zu­ge­ben be­gann und auf dem bes­ten Wege war, sich gründ­lich zu ver­lie­ben. Der Ge­dan­ke, dass die an­de­ren die­sen Zu­stand nicht so bald wür­den ent­de­cken kön­nen, war ihr eine große Be­ru­hi­gung; denn Jane ver­band mit der Fä­hig­keit ei­nes tie­fen Ge­fühls eine Gleich­mä­ßig­keit und stän­di­ge Hei­ter­keit, die sie vor Ver­däch­ti­gun­gen und üb­len Nach­re­den bö­ser Zun­gen be­wahr­te. Sie sprach dar­über mit ih­rer Freun­din Char­lot­te.

»Es mag schon nütz­lich sein«, mein­te die­se, »in sol­chen Fäl­len der Um­welt et­was vor­ma­chen zu kön­nen; aber es kann ei­nem auch scha­den, wenn man zu be­herrscht ist. Wenn eine Frau dem Ge­gen­stand ih­rer Nei­gung ihre Ge­füh­le eben­so ge­schickt ver­birgt, wird sie sich leicht um die Ge­le­gen­heit brin­gen, die­se Ge­füh­le ei­nes Ta­ges aus­drücken zu dür­fen; und der Trost, dass die Welt ja nichts da­von er­fah­ren hat, scheint mir sehr schwach zu sein. In fast je­der Lie­be steckt ein klei­ner Kern von Ei­tel­keit oder Dank­bar­keit, und den soll­te man nicht sich selbst über­las­sen. Wir ma­chen alle den ers­ten Schritt ganz un­be­fan­gen – dass man einen Men­schen ei­nem an­de­ren vor­zieht, ist meist selbst­ver­ständ­lich; aber nur die we­nigs­ten von uns ha­ben ein Herz, das groß ge­nug ist, um ohne Er­mun­te­rung und Nach­hil­fe zu lie­ben. In neun von zehn Fäl­len ist es rat­sam für eine Frau, eher mehr zu zei­gen, als sie fühlt. Bingley mag dei­ne Schwes­ter ganz ohne Zwei­fel; doch wenn sie ihm nicht wei­ter­hilft, wird er viel­leicht nie et­was an­de­res tun, als sie nur mö­gen.«

»Aber sie tut ja schon so viel, wie ihre Na­tur es ihr er­laubt. Wenn ich ihre Zu­nei­gung ent­de­cken kann, dann muss er schon sehr dumm sein, wenn er nicht das­sel­be ent­deckt.«

»Ver­giss nicht, Liz­zy, dass er Ja­nes Art nicht so gut kennt wie du.«

»Wenn eine Frau einen Mann be­wun­dert und ihre Be­wun­de­rung nicht be­wusst ver­birgt, dann muss er es schon selbst mer­ken.«

»Vi­el­leicht ja, wenn er sie oft ge­nug zu se­hen be­kommt. Bingley und Jane kom­men ja recht häu­fig zu­sam­men, aber ers­tens nie­mals sehr lan­ge auf ein­mal und dann auch nur auf großen Ge­sell­schaf­ten, und da kannst du nicht ver­lan­gen, dass sie je­den Au­gen­blick nur mit­ein­an­der re­den. Jane soll­te da­her jede Vier­tel­stun­de aus­nut­zen, in der sie ein we­nig un­ge­stört sind. Ist sie sei­ner erst si­cher, dann ist im­mer noch Zeit ge­nug, um sich gründ­lich zu ver­lie­ben.«

»Der Plan ist nicht schlecht«, er­wi­der­te Eli­sa­beth, »aber nur für den Fall ei­ner Hei­rat um je­den Preis; han­del­te es sich bloß dar­um, einen rei­chen Mann oder über­haupt einen Mann zu be­kom­men, dann wür­de ich wahr­schein­lich auch nicht an­ders vor­ge­hen. Aber so et­was steckt nicht hin­ter Ja­nes Ge­füh­len; sie ver­folgt kei­nen Zweck und kei­ne Ab­sicht. Bis jetzt weiß sie selbst wahr­schein­lich nicht, wie weit ihre Nei­gung geht, und noch we­ni­ger hat sie über Ver­nunft oder Un­ver­nunft nach­ge­dacht. Sie kennt ihn erst seit zwei Wo­chen; sie hat vier­mal mit ihm in Me­ry­ton ge­tanzt; sie war ein­mal bei ihm zu Hau­se und hat auf vier Abend­ge­sell­schaf­ten mit ihm an ei­nem Tisch ge­ses­sen. Das dürf­te kaum ge­nü­gen, um ihn nä­her ken­nen­zu­ler­nen.«

»Nein; we­nigs­tens nicht, wenn es sich so ver­hiel­te, wie du eben sag­test. Hät­te sie nur mit ihm zu­sam­men ge­ges­sen, dann könn­te sie heu­te bes­ten­falls et­was über sei­nen Ap­pe­tit er­fah­ren ha­ben; aber sie ha­ben ja vier gan­ze Aben­de mit­ein­an­der in Ge­sell­schaft ver­bracht – und vier lan­ge Aben­de kön­nen man­ches zu­we­ge brin­gen!«

»Si­cher; die vier Aben­de ha­ben ih­nen Ge­le­gen­heit ge­ge­ben, ihre ge­gen­sei­ti­ge Vor­lie­be für ein be­stimm­tes Kar­ten­spiel fest­zu­stel­len. Aber was ihre sons­ti­gen Cha­rak­ter­merk­ma­le an­langt, glau­be ich nicht, dass sich sehr viel ge­klärt hat.«

»Nun, ei­ner­lei«, mein­te Char­lot­te, »ich wün­sche Jane von gan­zem Her­zen Er­folg; und ich glau­be nicht, dass sie eine ge­rin­ge­re Aus­sicht hat, glück­lich zu wer­den, wenn sie ihn mor­gen hei­ra­ten soll­te, als wenn sie sei­nen Cha­rak­ter erst ein Jahr lang stu­die­ren woll­te. Glück in der Ehe ist so­wie­so nur von Zu­fäl­lig­kei­ten ab­hän­gig. Zwei Leu­te kön­nen sich noch so gut ge­kannt ha­ben, kön­nen noch so viel mit­ein­an­der ge­mein ge­habt ha­ben, auf das Glück­lich­wer­den hat das nicht den ge­rings­ten Ein­fluss. Der eine oder an­de­re von ih­nen wird sich im­mer ge­nü­gend ver­än­dern, um bei­den ihr Teil Kum­mer und Är­ger zu si­chern; und da zie­he ich es doch vor, von vorn­her­ein mög­lichst we­nig über die schlech­ten Ei­gen­schaf­ten des Man­nes zu er­fah­ren, mit dem ich mein gan­zes Le­ben ver­brin­gen muss.«

»Das ist ein gu­ter Scherz, Char­lot­te; aber ernst kann ich das nicht neh­men. Du kannst das doch sel­ber nicht, und du weißt, dass du nie nach sol­chen Grund­sät­zen han­deln wür­dest.«

Eli­sa­beth war so eif­rig da­mit be­schäf­tigt, Mr. Bingley’s Auf­merk­sam­kei­ten ge­gen Jane zu be­ob­ach­ten, dass ihr das In­ter­es­se voll­kom­men ent­ging, das sein Freund für sie zu emp­fin­den be­gann. An­fangs woll­te Dar­cy sie nicht ein­mal als hübsch gel­ten las­sen; auf dem Ball hat­te er sie voll Gleich­gül­tig­keit an­ge­schaut; und als sie sich da­nach wie­der tra­fen, hat­ten sei­ne Au­gen sie höchs­tens kri­tisch ge­streift. Aber kaum war er sich dar­über im Kla­ren – und hat­te er es sei­nen Freun­den klar­ge­macht –, dass sie ein fast völ­lig un­in­ter­essan­tes Ge­sicht be­saß, als er ent­deck­te, dass die­ses Ge­sicht un­ge­wöhn­lich in­tel­li­gen­te Züge trug, die von dem wun­der­ba­ren Aus­druck der dunklen Au­gen noch un­ter­stri­chen wur­den. Die­ser Ent­de­ckung folg­ten an­de­re, ähn­lich ver­drieß­li­che. Ob­gleich sein kri­ti­sches Auge mehr als ein Merk­mal ver­misst zu ha­ben glaub­te, das für eine voll­kom­me­ne Kör­per­har­mo­nie un­er­läss­lich war, muss­te er sich jetzt ein­ge­ste­hen, dass ihre Fi­gur schlank und an­spre­chend war; und wo er frü­her ihr un­ge­wand­tes Auf­tre­ten be­tont hat­te, wur­de er jetzt durch die na­tür­li­che Hei­ter­keit ih­res We­sens an­ge­zo­gen. Aber hier­von wuss­te sie nichts; für sie war er ein Mann, der sich über­all un­be­liebt mach­te und der sie nicht für hübsch ge­nug er­ach­tet hat­te, um mit ihr zu tan­zen.

Er ver­spür­te den Wunsch, sie nä­her ken­nen­zu­ler­nen, und gleich­sam als Vor­stu­fe zu ei­ner ei­ge­nen Un­ter­hal­tung mit ihr, fing er an, ih­ren Ge­sprä­chen mit an­de­ren zu­zu­hö­ren. Erst da­durch wur­de ihre Auf­merk­sam­keit wach.

Das war auf ei­ner großen Ge­sell­schaft bei Sir Wil­liam Lu­cas. »Was denkt sich denn die­ser Mr. Dar­cy«, frag­te Eli­sa­beth ihre Freun­din, »dass er sich her­stellt und mei­ner Un­ter­hal­tung mit Oberst Fors­ter zu­hört?«

»Auf die­se Fra­ge wird dir wohl nur Mr. Dar­cy selbst ant­wor­ten kön­nen.«

»Wenn er es wie­der tun soll­te, dann wer­de ich ihm zei­gen, dass ich weiß, wo­für ich ihn zu hal­ten habe. Er hat einen schreck­lich zy­ni­schen Aus­druck in den Au­gen, und wenn ich ihm nicht selbst zu­erst mei­ne Mei­nung sage, be­kom­me ich noch Angst vor ihm.«

Als er sich ih­nen bald dar­auf nä­her­te, ohne an­schei­nend je­doch et­was sa­gen zu wol­len, for­der­te Char­lot­te ihre Freun­din her­aus, ihr Wort zu hal­ten, und es be­durf­te nur die­ser Er­mun­te­rung, dass Eli­sa­beth sich an ihn wand­te und sag­te:

»Fan­den Sie nicht auch, Mr. Dar­cy, dass ich mich so­eben recht ge­schickt aus­ge­drückt habe, als ich Co­lo­nel Fors­ter da­mit neck­te, er müs­se doch einen Ball bei sich ver­an­stal­ten?«

»Nun, min­des­tens sehr deut­lich – aber bei dem The­ma wer­den Da­men ja im­mer sehr deut­lich.«

»Sie sind sehr bos­haft ge­gen uns.«

»Jetzt bist du an der Rei­he, gen­eckt zu wer­den«, un­ter­brach ihre Freun­din. »Ich wer­de das Kla­vier auf­ma­chen, und du weißt, was du dann zu tun hast.«

»Für eine Freun­din bist du ein ko­mi­sches Ge­schöpf – im­mer willst du, dass ich vor al­len Leu­ten und bei je­der Ge­le­gen­heit sin­ge und spie­le! Wenn mei­ne Ei­tel­keit mu­si­ka­lisch wäre, könn­te ich ohne dich nicht aus­kom­men; aber da sie es nun ein­mal nicht ist, wür­de ich mich wirk­lich viel lie­ber nicht vor eine Ge­sell­schaft hin­stel­len, die nur den bes­ten Künst­lern zu lau­schen ge­wohnt ist.« Da aber Char­lot­te dar­auf be­stand, füg­te sie hin­zu: »Nun gut, wenn es sein muss, dann muss es wohl sein.« Und in­dem sie Dar­cy ernst­haft an­sah: »Es gibt ein schö­nes al­tes Sprich­wort, das Sie si­cher­lich gut ken­nen: Spar dei­nen Atem, um dei­ne Sup­pe zu küh­len – ich muss mei­nen jetzt lei­der auf Ge­sang ver­schwen­den.«

Ihre Kunst war an­nehm­bar, aber kei­nes­wegs über­ra­gend. Nach ein, zwei Lie­dern und be­vor sie den Bit­ten ih­rer Zu­hö­rer um eine Zu­ga­be nach­kom­men konn­te, lös­te ihre Schwes­ter Mary sie et­was vor­ei­lig am Kla­vier ab.

Mary, die ein­zi­ge von den Schwes­tern, die nicht gut aus­sah, hat­te sich als Ge­gen­ge­wicht hier­für ein ge­wis­ses Kön­nen und Wis­sen sau­er er­ar­bei­tet und war nun stets eif­rig dar­auf be­dacht, ihre Er­run­gen­schaf­ten zur Schau zu stel­len. Lei­der be­saß sie we­der Ta­lent noch Ge­schmack; und ob­gleich Ei­tel­keit und Ehr­geiz ihr zu ei­ner nicht ge­rin­gen Fer­tig­keit ver­hol­fen hat­ten, spra­chen die­se bei­den Ei­gen­schaf­ten so stark aus ih­rer schul­meis­ter­li­chen Mie­ne und ih­rem ein­ge­bil­de­ten Ge­ba­ren, dass selbst ein weit hö­he­rer Grad von Kön­nen, als sie ihn er­reicht hat­te, ihre Feh­ler nicht auf­ge­wo­gen hät­te. Dem an­spruchs­lo­sen, un­ge­küns­tel­ten Spiel Eli­sa­beths hat­te man mit viel mehr Ver­gnü­gen zu­ge­hört als dem sehr viel bes­se­ren Ma­rys. Sie konn­te zu­frie­den sein, dass sie nach ei­nem lan­gen, schwie­ri­gen Kla­vier­kon­zert doch noch Lob und Dank­bar­keit mit ei­ni­gen schot­ti­schen und iri­schen Wei­sen ern­ten durf­te, die ihre jün­ge­ren Schwes­tern und ein paar tanz­lus­ti­ge Of­fi­zie­re von ihr er­ba­ten und dann auch eif­rig am einen Ende des Saa­l­es aus­nutz­ten.

Mr. Dar­cy hat­te sich in der Nähe der Tan­zen­den auf­ge­stellt und schau­te ih­nen vol­ler Ge­ring­schät­zung zu. Wie tö­richt, dach­te er, den Abend in ei­ner Wei­se zu ver­brin­gen, die von vorn­her­ein jede Mög­lich­keit ei­ner ver­nünf­ti­gen Un­ter­hal­tung aus­schließt. Er war so sehr in sei­ne är­ger­li­che Be­trach­tung ver­tieft, dass er es nicht be­merk­te, wie Sir Wil­liam Lu­cas zu ihm ge­tre­ten war, bis die­ser ihn an­sprach.

»Eine ent­zücken­de und harm­lo­se Be­schäf­ti­gung für jun­ge Leu­te, fin­den Sie nicht auch, Mr. Dar­cy? Es geht doch nichts übers Tan­zen; ich be­trach­te es im­mer als eine der vor­nehms­ten Er­run­gen­schaf­ten ei­nes wirk­lich kul­ti­vier­ten Vol­kes.«

»Ge­wiss, Sir Wil­liam – und au­ßer­dem hat es noch den Vor­zug, auch bei we­ni­ger kul­ti­vier­ten Völ­ker­schaf­ten äu­ßerst be­liebt zu sein. Je­der Wil­de kann tan­zen.«

Sir Wil­liam lä­chel­te nur hier­zu. »Ihr Freund ist ein ganz her­vor­ra­gen­der Tän­zer«, fuhr er nach ei­ner Wei­le fort, als er sah, dass Bingley sich un­ter die Tan­zen­den be­ge­ben hat­te, »und ich irre mich wohl nicht, wenn ich in Ih­nen eben­falls einen Meis­ter die­ser Kunst ver­mu­te, Mr. Dar­cy?«

»Sie ha­ben mich ja in Me­ry­ton tan­zen se­hen, Sir Wil­liam.« »Das habe ich, und der An­blick hat mir nicht ge­rin­ges Ver­gnü­gen be­rei­tet. Tan­zen Sie häu­fig bei Hofe?«

»Nie.«

»Wäre das nicht eine pas­sen­de Ehrung für den ho­hen Ort?« »Es ist eine Ehrung, die ich kei­nem Ort er­wei­se, wenn ich es ir­gend ver­mei­den kann.«

»Ich neh­me an, Sie be­sit­zen ein Haus in Lon­don?«

Dar­cy nick­te be­ja­hend.

»Ich trug mich sei­ner­zeit selbst mit dem Ge­dan­ken, mei­nen Wohn­sitz in Lon­don auf­zu­schla­gen, denn ich schät­ze den Um­gang mit der gu­ten Ge­sell­schaft sehr. Aber ich konn­te dann doch nicht mei­ne Zwei­fel un­ter­drücken, ob die Lon­do­ner Luft auch mei­ner Frau be­kom­men wür­de.«

Er sah sei­nen Gast er­war­tungs­voll an; aber Dar­cy schi­en nicht die Ab­sicht zu ha­ben, das Ge­spräch fort­zu­set­zen. Wäh­rend Sir Wil­liam noch über eine neue An­knüp­fung nach­grü­bel­te, ent­deck­te er Eli­sa­beth nicht weit von ih­nen ent­fernt, und er zö­ger­te nicht einen Au­gen­blick, sich als über­le­ge­nen Welt­mann zu zei­gen.

»Mei­ne lie­be Eli­sa­beth«, rief er hin­über, »warum sehe ich Sie nicht un­ter den Tan­zen­den? Mr. Dar­cy, Sie müs­sen mir er­lau­ben, Sie mit ei­ner ganz rei­zen­den Dame be­kanntz­u­ma­chen. Selbst Sie wer­den sich mit so viel Schön­heit vor Au­gen nicht mehr sträu­ben kön­nen zu tan­zen.«

Und da­mit er­griff er Eli­sa­beths Hand, um sie Dar­cy zu­zu­füh­ren, der zwar et­was er­staunt über den plötz­li­chen Über­fall war, aber durch­aus nicht ab­ge­neigt schi­en. Eli­sa­beth je­doch mach­te sich hef­tig frei und sag­te in ei­ni­gem Un­wil­len zu Sir Wil­liam: »Ich bit­te Sie, ich habe nicht die ge­rings­te Lust zu tan­zen. Sie mein­ten doch hof­fent­lich nicht, ich sei auf dem Wege, um einen Tän­zer zu su­chen?«

Mr. Dar­cy bat sie in al­ler Form und mit größ­ter Höf­lich­keit, ihm einen Tanz zu ge­wäh­ren, aber um­sonst, Eli­sa­beth ließ sich nicht be­we­gen; auch Sir Wil­liams Ver­su­che, sie doch noch zu über­re­den, blie­ben er­folg­los.

»Sie wer­den doch nicht so grau­sam sein, Eli­sa­beth, mich um den Ge­nuss zu brin­gen, Sie tan­zen zu se­hen; und wenn Mr. Dar­cy auch im All­ge­mei­nen die­ses Ver­gnü­gen nicht sehr schätzt, er wird uns jetzt be­stimmt nicht den Ge­fal­len ver­sa­gen kön­nen.«

»Mr. Dar­cy ist ein Vor­bild der Höf­lich­keit«, sag­te Eli­sa­beth lä­chelnd.

»Das ist er wohl; aber wer wäre es nicht bei ei­ner sol­chen Ver­an­las­sung?«

Eli­sa­beth sah Dar­cy spöt­tisch an und wand­te sich zum Ge­hen. Ihr Wi­der­stand hat­te ihn je­doch in kei­ner Wei­se zu krän­ken ver­mocht, und er er­tapp­te sich da­bei, dass der Ge­dan­ke an sie ihm eine ge­wis­se Freu­de mach­te, als er sich plötz­lich von Miss Bingley an­ge­re­det fand.

»Ich kann den Grund Ih­rer Nach­denk­lich­keit er­ra­ten.«

»Das möch­te ich be­zwei­feln.«

»Sie ha­ben sich eben über­legt, wie un­er­träg­lich es sein müss­te, noch vie­le Aben­de auf die­se Wei­se zu ver­brin­gen – in sol­cher Ge­sell­schaft! Ich muss ge­ste­hen, Sie ha­ben recht. Ich habe mich noch nie so ge­lang­weilt: die­se Flach­heit bei all dem Lärm, die­se Hohl­heit der Leu­te bei all ih­rer Wich­tig­tue­rei! Ich gäbe was drum, Ihre Mei­nung hö­ren zu dür­fen.«

»Ihre An­nah­me ist durch­aus ir­rig, kann ich Ih­nen ver­si­chern. Mei­ne Ge­dan­ken wa­ren sehr viel an­ge­neh­mer be­schäf­tigt. Ich dach­te ge­ra­de dar­über nach, wie viel Ver­gnü­gen ei­nem ein paar dunkle Au­gen in ei­nem schö­nen Frau­en­ant­litz be­rei­ten kön­nen.«

Miss Bingley sah ihn mit ei­nem for­schen­den Blick an und woll­te wis­sen, wel­che Dame sich rüh­men dür­fe, sol­che Ge­dan­ken er­weckt zu ha­ben.

Dar­cy er­wi­der­te ge­ra­de­her­aus:

»Miss Eli­sa­beth Ben­net.«

»Eli­sa­beth Ben­net?« wie­der­hol­te Miss Bingley. »Ich stau­ne. Seit wann da­tiert die­se Vor­lie­be? Darf ich viel­leicht schon bald Glück wün­schen?«

»Die Fra­ge hat­te ich er­war­tet. Die Fan­ta­sie ei­ner Frau kennt kei­ne Hin­der­nis­se: aus Be­wun­de­rung macht sie Lie­be und aus Lie­be gleich Ehe. Ich wuss­te, dass Sie mich be­glück­wün­schen woll­ten!«

»Aha, Sie ver­ste­hen schon kei­nen Spaß mehr; dann ist es ja so gut wie ab­ge­macht. Sie wer­den eine ent­zücken­de Schwie­ger­mut­ter mit in die Ehe be­kom­men, und ich bin über­zeugt, Sie wer­den sich nicht dar­über zu be­kla­gen brau­chen, dass Sie sie zu sel­ten se­hen.«

Er hör­te ihr in völ­li­ger Gleich­gül­tig­keit zu, wäh­rend sie sich noch des län­ge­ren und höchst geist­reich über die­ses The­ma ver­brei­te­te; und da sein Ver­hal­ten ihr die Ver­si­che­rung gab, dass al­les in Ord­nung war, ließ sie ih­ren Geist im­mer wit­zi­ger sprü­hen.

7. KAPITEL

Mr. Ben­nets ge­sam­tes Ver­mö­gen be­stand fast aus­schließ­lich aus ei­nem Land­gut, das zwei­tau­send Pfund im Jah­re ab­warf. Da die Er­b­ord­nung nur männ­li­che Er­ben be­rück­sich­tig­te, fiel ein­mal der Be­sitz nicht an sei­ne Töch­ter, son­dern an einen ent­fern­ten Ver­wand­ten. Und das Ver­mö­gen sei­ner Frau war, wenn auch an sich nicht klein, doch nicht groß ge­nug, um die­sen Ver­lust aus­zu­glei­chen. Mrs. Ben­nets Va­ter war An­walt in Me­ry­ton ge­we­sen und hat­te ihr vier­tau­send Pfund ver­macht.

Ihre ein­zi­ge Schwes­ter war mit ei­nem Mr. Phi­lips ver­hei­ra­tet, der Rechts­bei­stand ih­res Va­ters ge­we­sen war und nach sei­nem Tode die Pra­xis über­nahm. Und ihr ein­zi­ger Bru­der leb­te in Lon­don als ver­mö­gen­der Kauf­mann.

Long­bourn lag nur eine Mei­le von Me­ry­ton ent­fernt; eine sehr be­que­me Ent­fer­nung für die jun­gen Mäd­chen, die we­nigs­tens drei- bis vier­mal in der Wo­che un­be­dingt hin­über muss­ten, um ihre Tan­te zu be­su­chen oder die Schnei­de­rin; die schräg ge­gen­über wohn­te. Die bei­den jüngs­ten, Ca­the­ri­ne und Ly­dia, emp­fan­den be­son­ders häu­fig das Be­dürf­nis zu ei­nem sol­chen Be­such; ihre Köp­fe hat­ten noch we­ni­ger Raum für Ge­dan­ken als die ih­rer Schwes­tern, und wenn sich nichts Bes­se­res fin­den ließ, bot im­mer der Spa­zier­gang nach Me­ry­ton einen Zeit­ver­treib für den Vor­mit­tag und ein Ge­sprächsthe­ma für den Abend; es moch­te noch so we­nig Er­wäh­nens­wer­tes in der en­ge­ren oder wei­te­ren Nach­bar­schaft vor­ge­kom­men sein, sie brach­ten es doch fer­tig, ir­gend­ei­ne Neu­ig­keit von ih­rer Tan­te mit nach Hau­se zu brin­gen. Und ge­gen­wär­tig bot sich eine be­son­ders rei­che Ern­te an Neu­ig­kei­ten al­ler Art und an Jung­mäd­chen-Glück­se­lig­keit dar; denn ein gan­zes Re­gi­ment war vor kur­z­em in die Nach­bar­schaft ge­legt wor­den, und Me­ry­ton be­her­berg­te das Haupt­quar­tier und da­mit die Of­fi­zie­re.

Die Be­su­che bei Mrs. Phi­lips wur­den jetzt zu ei­nem Quell stän­dig wech­seln­der und im­mer gleich­blei­bend span­nen­der Mit­tei­lun­gen. Kein Tag ver­ging, der ih­rem Wis­sen nicht einen neu­en Na­men, eine neue Wich­tig­keit aus dem Of­fi­ziers­korps hin­zu­ge­fügt hat­te. Wer bei wem wohn­te, blieb ih­nen nicht lan­ge ver­bor­gen, und bald lern­ten sie die Of­fi­zie­re auch selbst ken­nen. Mr. Phi­lips mach­te bei al­len einen Be­such, und dies er­öff­ne­te sei­nen Nich­ten Mög­lich­kei­ten, wie sie sie nie auch nur er­träumt hat­ten. »Of­fi­zier« wur­de ihr zwei­tes Wort. Mr. Bingleys großer Reich­tum, der ihre Mut­ter so sehr be­geis­tern konn­te, er­schi­en ih­nen im Ver­gleich mit ei­nem bun­ten Rock völ­lig un­be­deu­tend.