Stranger Things: Suspicious Minds - DIE OFFIZIELLE DEUTSCHE AUSGABE – ein NETFLIX-Original - Gwenda Bond - E-Book
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Stranger Things: Suspicious Minds - DIE OFFIZIELLE DEUTSCHE AUSGABE – ein NETFLIX-Original E-Book

Gwenda Bond

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Beschreibung

Exklusiv und nur im Buch: Was geschah, bevor die Serienhandlung einsetzt

Sommer 1969: Die Amerikanerin Terry Ives studiert am College, als sie von einem bedeutenden Experiment im Auftrag der Regierung hört. Sie meldet sich als Testperson, aber schon bald muss sie feststellen, dass es sich um keine normale Studie handelt: Unter dem Decknamen MKULTRA werden ihr in einem geheimen Labor bewusstseinsverändernde Substanzen verabreicht. Sie ahnt nicht, dass hinter den Mauern des Hawkins National Laboratory eine Verschwörung lauert, die größer ist, als sie sich je hätte vorstellen können. Doch es gibt jemanden, der ihr dabei helfen kann, das Böse zu besiegen: Ein Mädchen, das im Labor vor der Welt versteckt gehalten wird. Sie hat übermenschliche Kräfte – und eine Zahl anstelle eines Namens: 008 …

Ein Muss für alle Fans. Und für alle, die die Serie noch nicht kennen: Ein extrem spannender Thriller.

Wenn Sie noch tiefer in die mysteriöse Welt von STRANGER THINGS eintauchen wollen, lesen Sie gleich weiter:
>> STRANGER THINGS: Das offizielle Begleitbuch
>> STRANGER THINGS: Finsternis. Die Wahrheit über Jim Hopper

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Seitenzahl: 506

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Gwenda Bond

SUSPICIOUS MINDS

Das Geheimnis um Elfi – die Vorgeschichte zur Erfolgsserie

Aus dem amerikanischen Englisch von Melike Karamustafa

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel Suspicious Minds bei Del Rey, einem Imprint von Random House, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

PENGUIN und das Penguin Logo sind Markenzeichen

von Penguin Books Limited und werden

hier unter Lizenz benutzt.Copyright © 2019 by Netflix CPX, LLC und NETFLIX CPX International, B.V

This translation published by arrangement with Del Rey, an imprint

of Random House, a division of Penguin Random House LLC

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2019 by

Penguin Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag: www.buerosued.denach einem Entwurf von Tony Mauro und Scott Biel

Umschlagmotiv: Tony Mauro und Scott Biel

Übersetzung: Melike Karamustafa

Redaktion: Susann Harring

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-24251-0V002www.penguin-verlag.de

Für alle starken und inspirierenden Mütter, besonders meine eigene

Prolog

JULI 1969Hawkins National LaboratoryHawkins, Indiana

Der Mann lenkte den tadellos gepflegten schwarzen Wagen über die schnurgerade Straße in Indiana und drosselte das Tempo erst, als ein mit Ketten verschlossenes Tor in Sicht kam, an dem ein Schild mit der Aufschrift Sperrgebiet angebracht war. Der diensthabende Wachmann warf einen kurzen Blick durch das Seitenfenster, bevor er das Nummernschild inspizierte, dann winkte er ihn durch.

Es war offensichtlich, dass man ihn im Labor bereits erwartete. Vielleicht waren auch die Anweisungen und detaillierten Vorgaben schon umgesetzt worden, die er zur Vorbereitung seines neuen Reichs vorab geschickt hatte.

Als er das nächste Wachhäuschen erreichte, kurbelte er das Seitenfenster hinunter, um dem Soldaten, der als Sicherheitsbeamter für die Einrichtung tätig war, seinen Ausweis zu zeigen. Der Mann studierte seine Zugangslizenz, vermied es jedoch, ihm in die Augen zu sehen. Wie die meisten Menschen. Er dagegen schenkte Personen, denen er zum ersten Mal begegnete, seine volle Aufmerksamkeit. Zumindest anfangs. Eine blitzschnelle Bestandsaufnahme, mit der er sie innerhalb von Sekundenbruchteilen – schneller als ein Gedanke – katalogisierte: Geschlecht, Größe, Gewicht, Ethnie und davon ausgehend eine Einschätzung ihrer Intelligenz und, das war das Wichtigste, ihres Potenzials. So gut wie jeder Mensch erwies sich nach der Beurteilung von Letzterem als weit weniger interessant als vielleicht zuerst vermutet. Aber er gab niemals auf. Genau hinzusehen und eine Einschätzung vorzunehmen, war Teil seiner Natur, ein entscheidendes Element seiner Arbeit. Die allermeisten Menschen waren für ihn nicht von Interesse, aber diejenigen, die es doch waren … Sie waren der Grund, aus dem er hier war.

Der Wachsoldat war leicht einzuschätzen: männlich, ein Meter sechsundsiebzig, achtzig Kilo, weiß, durchschnittlich intelligent, Potenzial … ausgeschöpft, indem er mit einer seitlich getragenen Waffe, die er vermutlich noch nie benutzt hatte, in einem Wachhäuschen saß und Ausweise kontrollierte.

»Herzlich willkommen, Mr. Brenner«, sagte der Soldat schließlich, nachdem er ein paarmal abwechselnd den Mann im Wagen und die Plastikkarte in seiner Hand studiert hatte.

Es hatte beinahe etwas Komisches, dass seine ID Informationen über Eigenschaften preisgab, die sich Brenner gewünscht hätte, wenn er sich selbst betrachtete: eins sechsundachtzig, achtundachtzig Kilo, weiß. Der Rest: überdurchschnittlicher IQ, Potenzial … grenzenlos.

»Man hat uns informiert, dass Sie erwartet werden«, fügte der Soldat hinzu.

»Dr. Brenner«, korrigierte er den Mann freundlich.

Der Blick des Wachmanns aus leicht zusammengekniffenen Augen glitt an ihm vorbei zum Rücksitz, wo sich die fünfjährige Versuchsperson Acht zusammengerollt hatte. Die Hände zu schmalen Fäusten geballt und unter das Kinn geschoben, lehnte sie an der Tür und schlief. Es war ihm ein Anliegen gewesen, ihre Überstellung in die neue Einrichtung persönlich zu überwachen.

»Natürlich, Dr. Brenner«, bestätigte der Wachmann. »Wer ist das Mädchen? Ihre Tochter?«

Seine Skepsis war nicht zu überhören. Im Gegensatz zu seinem eigenen milchig-blassen Teint war Achts Hautton um einige Schattierungen dunkler, was jedoch nicht zwingend etwas zu bedeuten hatte, wie Brenner dem Mann hätte erklären können. Aber es ging den Soldaten nichts an, und abgesehen davon, hatte er recht. Brenner war niemandes Vater. Vaterfigur. Das war das höchste der Gefühle.

»Ich bin mir sicher, dass man mich drinnen bereits erwartet.« Brenner musterte den Soldaten noch einmal. Zurückgekehrt aus einem vergangenen Krieg. Einem Krieg, den sie bereits gewonnen hatten. Im Gegensatz zu Vietnam. Im Gegensatz zu der stillen Eskalation mit den Sowjets. Sie waren bereits mit dem Krieg der Zukunft beschäftigt, aber dieser Mann wusste nichts davon. Er bemühte sich um einen freundlichen Tonfall. »An Ihrer Stelle würde ich keine weiteren Fragen stellen, wenn die anderen Versuchspersonen eintreffen. Im Sinne der Vertraulichkeit.«

Der Soldat spannte sichtlich den Kiefer an, ließ es jedoch dabei bewenden. Stattdessen sagte er mit einem Blick auf den ausgedehnten Komplex mehrstöckiger Gebäude hinter ihnen: »Ja, drinnen warten sie bereits auf Sie. Parken Sie, wo Sie möchten.«

Ein weiterer überflüssiger Hinweis. Er gab Gas.

Irgendein langweiliger Teil des bundesstaatlichen Beamtenapparats hatte für den Bau und die generelle Instandhaltung der Einrichtung bezahlt, während sehr viel geheimere Arme der Regierung dafür gesorgt hatten, dass sie nach den Wünschen Brenners ausgestattet worden war. Da es sich um eine streng geheime Untersuchung handelte, konnte man natürlicherweise nirgendwo damit werben. Die Agency verstand, dass bedeutsame Forschung nicht nach den üblichen Standards ablief. Die Russen hatten keine Probleme damit, ihre Labore von der Regierung anerkennen zu lassen; aber sie waren gewillt und in der Lage, jeglichen Widerspruch im Keim zu ersticken. Irgendwo im Rest der Welt betrieben die Kommunisten genau in diesem Moment dieselben Experimente, für die der fünfstöckige Gebäudekomplex mit seinen Kellergeschossen vor ihm ausgelegt war. Sobald einer von Brenners Angestellten dies vergaß oder zu viele Fragen stellte, würde man ihn daran erinnern. Damit seine Arbeit weiterhin allerhöchste Priorität hatte.

Acht schlief noch immer, als er aus dem Wagen stieg und zur hinteren Tür ging. Vorsichtig öffnete er sie und streckte eine Hand aus, um das Mädchen zu stützen, damit es nicht herausfiel. Zu ihrer eigenen Sicherheit hatte er sie für die Fahrt ruhiggestellt. Sie war viel zu wertvoll, als dass er ihren Transport jemand anderem überlassen hätte. Die Fähigkeiten der anderen Testpersonen hatten sich dagegen als enttäuschend herausgestellt.

»Acht.« Er kniete sich neben die offene Wagentür und rüttelte sie sanft an der Schulter.

Das Mädchen schüttelte den Kopf und hielt die Augen dabei geschlossen. »Kali«, murmelte sie.

Ihr echter Name. Sie bestand auf ihn. Unter normalen Umständen ließ er ihr das nicht durchgehen, aber heute war ein besonderer Tag.

»Wach auf, Kali«, sagte er. »Du bist zu Hause.«

Sie blinzelte, ein hoffnungsvolles Schimmern in den Augen. Sie hatte ihn missverstanden.

»Dein neues Zuhause«, fügte er hinzu.

Der Schimmer erstarb.

»Es wird dir hier gefallen.« Er half ihr, sich aufzusetzen, und streckte anschließend eine Hand aus. »Papa möchte, dass du jetzt wie ein großes Mädchen dort hineingehst. Dann darfst du weiterschlafen.«

Nach kurzem Zögern legte sie ihre schmale Hand in seine.

Während sie auf den Eingang zugingen, bemühte er sich um das freundlichste Lächeln, das er hatte. Er ging davon aus, vom stellvertretenden Leiter der Einrichtung in Empfang genommen zu werden, doch stattdessen erwarteten ihn in einer langen Reihe Männer – und eine Frau – in Laborkitteln. Seine Mitarbeiter, nahm er an. Er spürte die geballte Nervosität, die wie Wellen von ihnen ausging.

Ein gebräunter Mann mit tiefen Falten im Gesicht, der eindeutig zu viel Zeit in der Sonne verbrachte, trat vor und streckte ihm die Hand entgegen. Er warf einen kurzen Blick auf Acht, bevor er sich wieder ihm zuwandte. »Dr. Brenner, ich bin Dr. Richard Moses, stellvertretender Forschungsleiter. Wir sind hocherfreut, Sie bei uns begrüßen zu dürfen. Jemanden von Ihrem Format … Wir wollten, dass Sie gleich das ganze Team kennenlernen.« Er sah wieder Kali an. »Und das ist bestimmt …«

»Ich bin Kali«, murmelte das Mädchen verschlafen.

»Eine sehr müde junge Dame, die gern ihr neues Zimmer sehen würde«, sagte Dr. Brenner und ignorierte die ausgestreckte Hand des Mannes. »Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich um eine gesonderte Unterbringung gebeten. Und dann möchte ich einen Blick auf die anderen Versuchspersonen werfen, die sie an Bord geholt haben.«

Als Brenner die Türen am anderen Ende der Lobby entdeckte, fasste er Achts Hand fester und steuerte zielstrebig darauf zu. Einen Moment war es totenstill, und sein Lächeln verwandelte sich beinahe in ein echtes, bevor es vollends verschwand.

Dr. Moses mit den verschmierten Brillengläsern erwachte aus seiner Starre und schloss hastig zu Dr. Brenner auf, den Rest des aufgebrachten Laborpersonals hinter sich. Dienstbeflissen beeilte er sich, den Knopf an der Gegensprechanlage zu bedienen, die neben der Sicherheitstür angebracht war, und nannte seinen Namen.

Hinter ihnen verschmolzen die Unterhaltungen der Ärzte und Labormitarbeiter, die ihnen folgten, zu einem mehrstimmigen Summen.

»Die Versuchspersonen wurden natürlich noch nicht vorbereitet«, erklärte Dr. Moses, als die Doppeltür vor ihnen aufschwang, und warf einen Blick auf Kali, die mit jeder Sekunde, die sie in der ungewohnten Umgebung verbrachte, alarmierter schien. Sie mussten sie schnell hier eingewöhnen.

Auf der anderen Seite der Tür wurden sie von zwei strammstehenden Soldaten empfangen. Ein positives Zeichen, dass zumindest die Sicherheitsvorkehrungen einigermaßen gut waren.

Die beiden Männer kontrollierten Dr. Moses’ Ausweis und wandten sich dann Dr. Brenner zu, doch der stellvertretende Forschungsleiter winkte ab.

»Er hat noch keine ID erhalten.«

Als die beiden Männer daraufhin keine Anstalten machten, sie vorbeizulassen, wuchs Dr. Brenners Zufriedenheit mit den Sicherheitsmaßnahmen um ein weiteres Quäntchen. »Beim nächsten Mal habe ich meinen Ausweis dabei«, sagte er. »Außerdem besorgen wir Ihnen Kopien der Papiere der Testperson.« Er deutete mit einem diskreten Nicken auf Acht.

Einer der beiden Wachmänner deutete ein Nicken an, dann durfte die ganze Gruppe passieren.

»Ich dachte, ich hätte hinreichend deutlich gemacht, dass ich die Versuchspersonen gleich bei meiner Ankunft kennenlernen möchte«, sagte Dr. Brenner. »Mein Wunsch sollte Sie also nicht weiter überraschen.«

»Wir sind davon ausgegangen, dass Sie sie nur beobachten würden«, erklärte Dr. Moses. »Möchten Sie, dass wir sie parametrisieren? Sollen wir sie auf Ihren Besuch vorbereiten? Das könnte unsere bisherige Arbeit empfindlich stören. Durch die bewusstseinsverändernden Präparate leiden einige von ihnen unter paranoiden Störungen.«

Dr. Brenner hob seine freie Hand. »Nein, wenn ich das gewollt hätte, hätte ich es Ihnen mitgeteilt. Also, wohin gehen wir jetzt?«

Die von der Decke hängenden Lampen verströmten das furchtbar grelle Licht, das so häufig die wissenschaftlichen Erkenntnisse in dieser Schattenwelt erhellte, und zum ersten Mal an diesem Morgen hatte Dr. Brenner das Gefühl, dass dieser Ort zu seinem neuen Zuhause werden könnte.

»Hier entlang«, sagte Dr. Moses, bevor er sich an die einzige Frau in der Herde von Labormitarbeitern hinter ihnen wandte. »Dr. Parks, würden Sie einen der Pfleger bitten, dem Mädchen etwas zu essen zu bringen?«

Angesichts der Tatsache, dass man sie zu einer Aufgabe verdonnerte, die vermeintlich Frauen vorbehalten war, presste Dr. Parks die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, nickte aber.

Zu Dr. Brenners großer Erleichterung verhielt sich Acht ruhig, und kurz darauf erreichten sie einen kleinen Raum, in dem sich ein Hochbett für Kinder und ein Zeichentisch befanden. Das doppelstöckige Bett war ein spezieller Wunsch von ihm gewesen, um Acht in der Sicherheit zu wiegen, dass er tatsächlich nach einem Spielgefährten für sie suchte.

Es fiel ihr sofort auf. »Ist das für einen Freund?«

»Früher oder später, ja«, antwortete er. »Jemand bringt dir gleich etwas zu essen. Kannst du so lange allein hier warten?«

Sie nickte. Die Munterkeit, die sie durch die Aufregung bei ihrer Ankunft ergriffen hatte, war inzwischen schon fast vollständig wieder verflogen – er hatte ihr eine relativ hohe Dosis des Beruhigungsmittels verpasst –, und sie sank erschöpft auf die Bettkante.

Dr. Brenner wandte sich der Tür zu, in der die weibliche Laborangestellte mit dem Pfleger aufgetaucht war.

Dr. Moses hob fragend die Augenbrauen. »Kommt sie allein zurecht?«

»Vorerst ja«, sagte Dr. Brenner, bevor er sich an den Pfleger wandte. »Sie sieht vielleicht aus wie ein gewöhnliches Kind, aber das sollte Sie nicht dazu verleiten, die Sicherheitsbestimmungen zu vernachlässigen. Sonst könnte sie Sie überraschen.«

Der Pfleger sah zunehmend beunruhigt aus, schwieg jedoch.

»Zeigen Sie mir das erste Zimmer«, forderte Dr. Brenner. »Das Personal kann bei den jeweiligen Versuchspersonen warten. Es besteht allerdings keine Notwendigkeit, sie in irgendeiner Weise vorzubereiten.«

Als sich das versammelte Team Dr. Moses zuwandte, um seine Zustimmung zu erhalten, zuckte der ergeben mit den Schultern. »Tun Sie, was Dr. Brenner gesagt hat.«

Dienstbeflissen stürzten die Mitarbeiter in verschiedene Richtungen davon. Sie lernten schnell.

Im ersten Zimmer befand sich eine Testperson, die aufgrund ihres Klumpfußes untauglich für den Versuch war. Der Mann hatte den starren Gesichtsausdruck von jemandem, dessen erste Wahl zur Lösung von Problemen Marihuana war. Durchschnittlich in jeder Hinsicht.

»Möchten Sie, dass wir dem nächsten Patienten seine Dosis verabreichen?«, fragte Dr. Moses. Es war allzu offensichtlich, dass er Dr. Brenners Methoden nicht verstand.

»Ich lasse Sie wissen, wenn ich etwas brauche.«

Dr. Moses nickte, und sie durchquerten fünf weitere Räume.

Es war so, wie er erwartet hatte: zwei Frauen, von denen keine besonders außergewöhnlich war, und drei Männer, die absolut nicht außergewöhnlich waren, außer vielleicht hinsichtlich ihrer Durchschnittlichkeit.

»Rufen Sie alle zusammen, damit wir uns unterhalten können«, sagte Dr. Brenner.

Dr. Moses führte ihn in einen Konferenzraum, wo er ihn nach einem letzten nervösen Blick zurückließ, um die anderen Mitarbeiter zusammenzurufen.

Kurz darauf erschienen die Laborangestellten, die ihn bereits am Eingang begrüßt hatten, und setzten sich an den Tisch. Ein paar der Männer waren bemüht, lockere Konversation zu betreiben, um vorzutäuschen, dass an den Ereignissen dieses Morgens absolut nichts Ungewöhnliches war. Dr. Moses zischte ihnen zu, leise zu sein.

»Das wären alle«, erklärte er schließlich.

Dr. Brenner sah sich in der Runde seiner Mitarbeiter um. Es würde einiges an Arbeit bedeuten, aber ihre stillschweigende Aufmerksamkeit ließ ihn darauf hoffen, dass das nötige Potenzial in ihnen steckte. Angst und Autorität gingen Hand in Hand. »Alle Testpersonen, die ich heute Morgen gesehen habe, können entlassen werden.« Er winkte gelangweilt ab. »Bezahlen Sie ihnen, was auch immer ihnen versprochen wurde, und stellen Sie sicher, dass sie sich an die Vertraulichkeitserklärung erinnern, die sie unterschrieben haben.«

Einen Moment lang herrschte Stille, während das Team die Bedeutung seiner Worte zu begreifen versuchte. Dann hob einer der Männer, die sich zu Anfang noch unterhalten hatten, die Hand.

»Doktor?«

»Ja?«

»Mein Name ist Chad. Ich bin hier noch neu, aber … warum? Wie sollen wir dann unsere Experimente durchführen?«

»Die Frage nach dem ›Warum‹ ist es, die uns in der Forschung vorantreibt.« Chad der Neue nickte, bevor Dr. Brenner fortfuhr: »Auch wenn man mit der Frage seinen Vorgesetzten gegenüber vorsichtig sein sollte. Aber ich werde Ihnen trotzdem verraten, warum. Es ist wichtig, dass wir alle verstehen, wofür wir hier sind. Hat irgendjemand eine Vermutung?«

Nach der Zurechtweisung von Chad traute sich niemand, etwas zu sagen. Für einen Moment glaubte er, die Frau würde sich melden, doch sie faltete nur die Hände vor sich auf dem Tisch.

»Gut«, sagte er. »Ich mag nämlich keine Vermutungen. Wir sind hier, um die Grenzen menschlicher Fähigkeiten auszuweiten. Ich habe kein Interesse an den gewöhnlichen Hausmäusen unter den Menschen. Sie werden uns keine außerordentlichen Resultate liefern.« Er machte eine kurze Pause und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Alle hörten ihm aufmerksam zu. »Ich bin mir sicher, dass Sie von den erbärmlich gescheiterten Testreihen anderer Labore gehört haben; und die bisherige Ergebnislosigkeit Ihrer eigenen Arbeit ist der Grund dafür, dass ich hier bin. Es hat einige Peinlichkeiten gegeben, und die meisten von ihnen lassen sich auf die Auswahl inadäquater Versuchspersonen zurückführen. Wer auch immer geglaubt hat, dass uns Gefängnisinsassen und Asylsuchende die Ergebnisse liefern könnten, die wir brauchen, hat sich lächerlich gemacht. Dasselbe gilt für Arbeitsverweigerer und Kiffer. In den nächsten Tagen werden weitere junge Patienten für ein verwandtes Versuchsprogramm hier eintreffen, aber ich wünsche mir Testpersonen verschiedener Altersstufen. Es gibt berechtigte Gründe für die Annahme, dass die Kombination aus chemischen bewusstseinsverändernden Mitteln und dem richtigen Anreiz der Schlüssel ist, um zu den Geheimnissen vorzudringen, nach denen wir suchen. Denken Sie allein an die Vorteile, die es uns verschaffen würde, wenn wir unsere Feinde zum Reden bringen, wenn wir sie beeinflussen und Kontrolle über sie ausüben könnten … Aber ohne die richtigen Versuchspersonen werden wir keine Resultate erzielen. Punkt. Es ist absolut sinnlos, einen willensschwachen Verstand zu manipulieren. Wir brauchen solche mit Potenzial.«

»Aber … wo bekommen wir die her?«, fragte Chad.

Brenner machte sich in Gedanken eine Notiz, ihn am Ende des Tages zu feuern, bevor er sich vorbeugte und antwortete: »Ich werde ein neues Screening-Protokoll für die Identifizierung geeigneter Kandidaten von unseren Zuliefer-Universitäten vorlegen und anschließend selbst die Personen auswählen, mit denen wir weitermachen. Nicht mehr lange und Sie werden mit Ihrer richtigen Arbeit in diesem Labor beginnen.«

Niemand widersprach.

Ja, sie lernten tatsächlich schnell.

Kapitel eins NUR EIN TEST

JULI 1969Bloomington, Indiana

1.

Terry stieß die Fliegengittertür auf und zuckte zusammen, als sie die schwere Luft einatmete, die in dicken Schwaden durch das Apartment waberte. Innerhalb von Sekunden würde der Geruch von Diner-Fett und Kaffee, der sich in ihrer pinkfarbenen Kellnerinnenuniform mit weißer Schürze festgesetzt hatte, durch den Gestank von Gras ersetzt worden sein. In Gedanken machte sie sich eine Notiz auf ihrer To-do-Liste für den nächsten Tag: Wäsche. Immerhin gab es im Sommer davon deutlich weniger.

»Da bist du ja endlich, Baby!« Andrew winkte ihr zu, während er den Joint an die Person neben sich weiterreichte.

Seine enthusiastische Begrüßung wurde mit einem Lächeln belohnt. Sein braunes Haar war lang und zottelig geworden und rahmte seinen Kiefer ein wie ein Paar runder Klammern. Es gefiel ihr. Es ließ ihn fast ein wenig gefährlich aussehen.

»Habe ich irgendwas Gutes verpasst?«, erkundigte sie sich, während sie sich einen Weg durch die Menge bahnte. Hier und da wurde sie mit einem Hi von Leuten, die sie kannte, begrüßt. Ihre Schwester Becky saß in einem Sessel, den Blick starr auf den 19-Zoll-Schwarz-Weiß-Fernseher gerichtet, den Andrews Freund Dave von seinem alten Herrn geerbt hatte, nachdem dieser sich zu Ehren des bedeutenden Ereignisses einen Farbbildschirm geleistet hatte. Apollo 11 war an diesem Nachmittag gelandet.

»Willst du mich verarschen?«, brüllte Dave. Aus den Lautsprechern des Plattenspielers dröhnte Bad Moon Rising von CCR und mischte sich mit dem aufgeregten Gebrabbel Walter Cronkites, das aus dem Fernseher erscholl. »Alles! Unsere Männer sind inzwischen schon seit Stunden auf dem Mond. Wo bist du gewesen?«

»Arbeiten«, antwortete Andrew an ihrer Stelle und zog sie auf seinen Schoß. Zärtlich strich er ihr das schmutzig-blonde Haar zurück und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Sie arbeitet immer.«

»Einige von uns haben keine Eltern, die jeden Monat Geld für die Miete schicken«, konterte Terry. Ganz im Gegensatz zu Andrew und Dave, was der Grund dafür war, dass sie sich diese nette Bleibe leisten konnten, anstatt auf ein Zimmer im Studentenwohnheim angewiesen zu sein.

Becky sah vom Fernseher auf und begegnete einen kurzen Moment lang ihrem Blick. Sie beide wussten, wovon sie sprach.

Terry drehte den Kopf, sodass sie Andrew einen Kuss auf den Hals drücken konnte, woraufhin er anstelle einer Antwort ein zufriedenes Brummen ausstieß.

Stacey, Terrys Mitbewohnerin, kam quer durch den Raum auf sie zugewankt. Sie hatte ganz offensichtlich ein paar Bier und Joints mehr gehabt, als ihr guttaten. Der Pferdeschwanz, zu dem sie ihre schwarzen Locken zusammengebunden hatte, befand sich im Stadium der Auflösung, das T-Shirt war ihr aus der Hose gerutscht, und unter ihren Armen hatten sich große Schweißflecken ausgebreitet. Es war ihr freier Tag, und sie genoss ihn ganz offensichtlich.

»Wir müssen dich schnellstens weniger nüchtern bekommen«, erklärte Stacey und stach mit dem Zeigefinger in Terrys Richtung.

»Damit hat die Frau nicht unrecht.« Dave wollte ihr den Joint reichen, doch Stacey war schneller und nahm einen tiefen Zug.

»Hol ihr ein Bier. Terry raucht nicht.«

»Es macht sie paranoid«, warf Andrew ein, noch bevor Dave etwas einwenden konnte.

Was der Wahrheit relativ nahekam. Terrys erstes High hatte der Lexikon-Definition von ›unerfreulich‹ entsprochen. Alle anderen hatten behauptet, es handele sich nur um Halluzinationen, aber sie war sich noch immer sicher, einen Geist gesehen zu haben … oder zumindest etwas Ähnliches.

Trotzdem mochte sie es gar nicht, wenn andere Entscheidungen für sie trafen. »Heute ist ein besonderer Tag. Der Mond und alles.« Sie streckte die Hand aus und zog Stacey den Joint zwischen den Fingern weg. Nach einem kurzen Zug schaffte sie es immerhin, nicht zu husten, bevor sie Stacey die Tüte zurückgab. »Ich hole mir selbst ein Bier«, sagte sie dann und stand auf, um in die Küche zu gehen.

Eine Kiste mit Eis, das bereits zur Hälfte geschmolzen war und in dem der schwindende Biervorrat schwamm, stand in der Mitte des Raums auf dem Boden. Terry nahm eine Dose Schlitz heraus, die sie sich an die Wange hielt, während sie zurück ins Wohnzimmer ging. Gegen die drückende Sommerhitze, die durch die Menge an schwitzenden Körpern in der Wohnung noch verschlimmert wurde, war Daves und Andrews kleine Klimaanlage machtlos.

Als Terry zurück zum Sofa kam, war Stacey gerade dabei, irgendetwas zu erzählen. Sie ließ sich wieder auf Andrews Schoß nieder, um ihrer Mitbewohnerin zuzuhören, die wild mit den Armen gestikulierte. »Dann gibt mir die Laborratte also fünfzehn Mäuse …«

»Fünfzehn Dollar?« Terry war aufmerksam geworden. »Für was?«

»Dieses Psycho-Experiment, für das ich mich eingetragen habe«, erklärte Stacey und ließ sich auf dem Fußboden nieder. »Ich weiß, es hört sich ziemlich cool an, aber dann …« Sie hielt inne. Ein Schaudern ging durch ihren Körper.

»Dann was?« Terry lehnte sich gebannt vor, öffnete ihr Bier und nahm einen Schluck. Andrew schlang einen Arm um ihre Taille, damit sie nicht vornüberfiel.

»Dann wurde es irgendwie seltsam«, sagte Stacey. Sie griff nach ihrem Pferdeschwanz, um das Haargummi hochzuschieben, doch stattdessen löste sich ihre Frisur endgültig in Wohlgefallen auf. Im Schein des flackernden Schwarz-Weiß-Fernsehers und mit den schwarzen Locken, die ihr wild um den Kopf standen, sah sie auf einmal aus, als wäre sie besessen. »Er hat mich in diesen dunklen Raum geführt. Da stand eine Liege, auf die ich mich legen musste.«

»Oh, oh, ich glaube, jetzt weiß ich, wofür die fünfzehn Mäuse waren«, sagte Dave.

Stacey und Terry warfen ihm gleichzeitig einen giftigen Blick zu, doch Andrew lachte. Jungs eben. Sie hielten sich für wahnsinnig komisch.

Terry verdrehte die Augen. »Erzähl weiter«, forderte sie Stacey auf.

»Er hat meine Werte gemessen – Puls, Herzschlag – und alles in sein riesiges Notizbuch geschrieben. Und dann …« Stacey schüttelte den Kopf. »Das hört sich jetzt echt verrückt an, aber er hat mir eine Injektion gegeben und anschließend ein kleines Blättchen auf meine Zunge gelegt, das sich ziemlich schnell aufgelöst hat. Nach einer Weile hat er dann angefangen, mir all diese komischen Fragen zu stellen …«

»Was für Fragen?« Terry hing wie gebannt an Staceys Lippen. Warum um alles in der Welt sollte einem irgendjemand fünfzehn Dollar für so was geben? In einem Labor.

»Ich kann mich nicht erinnern. Nur daran, dass ich sie beantwortet habe. Alles andere ist verschwommen. Was auch immer der Typ mir gegeben hat, es hat sich angefühlt wie der heftigste Acid-Trip aller Zeiten. Danach habe ich mich irgendwie nicht … richtig gefühlt.«

»Und das war am Freitag?«, fragte Terry. »Warum hast du uns nicht eher davon erzählt?«

Stacey drehte den Kopf in Richtung Fernseher und beobachtete einen Moment lang Walter Cronkite, bevor sie sich wieder ihrer Mitbewohnerin zuwandte. »Wahrscheinlich habe ich einfach ein paar Tage gebraucht, um das Ganze zu verarbeiten.« Sie zuckte mit den Schultern. »Auf jeden Fall gehe ich da nicht noch mal hin.«

»Moment mal.« Andrew beugte sich nun ebenfalls vor und stützte das Kinn auf Terrys Schulter. »Die wollten, dass du noch mal zurückkommst?«

»Fünfzehn Dollar pro Sitzung. Aber das ist es nicht wert.«

»Und worum geht es bei der ganzen Sache?«, erkundigte sich Terry.

»Das haben sie nicht gesagt. Und ich habe nicht vor, es herauszufinden.«

Andrew war angefixt. »Ich mache es. Für das Geld nehme ich eine Portion schlechtes Acid gern in Kauf. Davon könnten wir eine ganze Monatsmiete bezahlen. Hört sich ziemlich einfach an.«

Stacey verzog das Gesicht. »Erstens, deine Eltern bezahlen für deinen Teil der Miete. Und zweitens, die wollen nur Frauen.«

»Ich habe euch doch eben erklärt, wofür die fünfzehn Dollar sind«, warf Dave ein.

Stacey hob ein Kissen vom Boden auf und warf es nach ihm, doch er duckte sich darunter hinweg.

»Ich mache es«, sagte Terry.

»Oh, oh.« Andrew lachte. »Das-Mädchen-das-die-Welt-verändern-wird meldet sich zum Dienst.«

»Darum geht es nicht.« Terry sah ihn herausfordernd an. »Ich bin nur neugierig.«

Der Spruch aus dem Jahrbuch würde ihr noch ewig nachhängen. Genauso wie ihr Hang, zu allem Möglichen mindestens eine Million Nachfragen zu stellen. Ihr Dad hatte ihr beigebracht, immer aufmerksam zu sein – und sie wollte die Chance, endlich an etwas mit Bedeutung beteiligt zu sein, nicht einfach so an sich vorbeiziehen lassen. Es war frustrierend genug, so weit von San Francisco und Berkeley entfernt zu leben, wo die wahren kulturellen Veränderungen ihren Ausgang nahmen. Wo es zum alltäglichen Leben gehörte, die Regierung hinsichtlich der Kriege, die sie führte, zu kritisieren und zu provozieren. Und sich nicht wie hier für seine politischen Meinungsäußerungen seltsame Seitenblicke einzufangen, auch wenn einem die meisten Leute insgeheim zustimmten. Was, wenn keine ihrer Fragen jemals zu irgendetwas führte? Aber diesmal war es vielleicht anders. Außerdem würde sie fünfzehn Dollar bekommen. Bei der Bezahlung würde selbst Becky nicht protestieren.

»Was?« Stacey blinzelte irritiert.

»Ich gehe an deiner Stelle hin und mache die Experimente mit. Wenn du wirklich nicht mehr willst.«

»Wirklich nicht«, bestätigte Stacey und zuckte mit den Schultern. »Wenn du allerdings schon von Gras paranoid wirst, dann …«

»Ist mir egal. Wir können das Geld gut gebrauchen. Darum mache ich es.« Und auch wann das eine Lüge war, was war schon dabei?

Becky nickte ihr zustimmend zu, genau wie Terry es vorausgesehen hatte.

»Alle leise!«, brüllte Dave in diesem Moment. »Musik aus! Irgendwas passiert da gerade.«

Jemand drehte den Plattenspieler leiser.

»Bist du dir sicher, dass du zu diesem Laborratten-Typen gehen willst?«, fragte Andrew, den Mund dicht an Terrys Ohr. »Ich weiß, dass du gern auf alles eine Antwort finden möchtest, aber …«

»Du bist nur neidisch, weil du nicht mitmachen darfst«, unterbrach sie ihn und hob die Bierdose, um einen weiteren Schluck zu trinken.

»Wie wahr, Baby, wie wahr.«

Dave stellte den Fernseher lauter, und alle sahen gebannt zu, wie Neil Armstrong aus der Raumkapsel trat und Schritt für Schritt die Leiter hinunterstieg.

Dave warf einen Blick über die Schulter. »Wir können einen Mann auf den Mond schicken, und gleichzeitig haben sie keine Ahnung, wie sie aus Vietnam rauskommen sollen.«

Andrew nickte. »Du sagst es.«

Weiteres zustimmendes Gemurmel erhob sich aus der Runde, bis Dave sie mit einer Geste zum Schweigen brachte – dabei war er derjenige gewesen, der das Thema aufgebracht hatte.

Für einen Moment schien der Fernsehbildschirm eingefroren, dann hörte man Neil Armstrong sagen: »Okay. Ich werde jetzt vom LEM steigen.«

Alle hielten den Atem an. Im Apartment war es so leise wie vermutlich sonst nur im Weltraum. Eine Stille, in der man beinahe meinte, die nervöse Hoffnung mit Händen greifen zu können.

Und dann tat er es. Der Astronaut in dem Raumanzug, der dafür konstruiert worden war, ihn vor der Atmosphäre einer anderen Welt und seltsamen Keimen zu schützen, setzte seine Füße auf die kahle und wunderschöne Oberfläche des Mondes. »Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein riesiger Sprung für die Menschheit.«

Dave sprang auf und ab, und alle begannen zu jubeln. Andrew drehte Terry im Kreis. Ein Moment voller Freude und Verwunderung über das, was möglich war. Walter Cronkite sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen, und Terry ging es nicht anders. Ihre Augen brannten.

Nachdem sich alle wieder etwas beruhigt hatten, setzten sie sich, um zuzusehen, wie die Astronauten eine amerikanische Flagge hissten, während sie auf der Oberfläche dieses wunderbaren Himmelskörpers hin und her schwebten, auf den sie mithilfe einer erstaunlichen, von Menschenhand konstruierten Maschine gelangt waren. Sie waren durch das Universum geflogen. Sie hatten überlebt. Und nun wandelten sie auf dem Mond. Was für eine großartige Errungenschaft, die sie miterleben durften. Gab es jetzt noch etwas, was nicht vorstellbar war?

Terry holte sich ein weiteres Bier und stellte sich vor, wie es wohl werden würde, Staceys Laborratte zu treffen.

2.

Terry hatte die Psychologie-Fakultät noch nie betreten. Sie fand das Gebäude in einer abgelegenen Ecke des Campus: drei Etagen hoch, von Bäumen umstanden, deren Äste sich in den Scheiben spiegelten. Die Markisen bewegten sich im Wind unter einem grauen Himmel, der Regen prophezeite. Ein auf Hochglanz polierter Mercedes und zwei große schwarze Vans parkten am Bordstein, der vor dem Gebäude verlief – obwohl es jetzt im Sommer auf dem Parkplatz genug freie Stellplätze gab.

Mörder-Vans, dachte Terry. Was für eine Ironie. Vielleicht bin ich endlich an was dran.

Bei Tage betrachtet erschien ihr die Vorstellung, dass an diesem Ort irgendwelche wichtigen Experimente stattfinden sollten, sehr viel … unwahrscheinlicher. Egal, jetzt war sie hier. Als sie Stacey darüber ausgefragt hatte, was sie alles wissen musste, hatte diese Terry erklärt, dass sie einfach in einen bestimmten Raum auf der obersten Etage gehen sollte. Anschließend hatte sie ihr noch ein paar beruhigende Abschiedsworte mit auf den Weg gegeben: »Das wird deine ganz persönliche abgefahrene Acid-Test-Erfahrung.«

Terry zog die gläserne Eingangstür auf und sah sich im nächsten Moment einer Frau im Laborkittel und mit einem Klemmbrett in der Hand gegenüber. Sie hatte kastanienbraune Locken, eine hohe Stirn und wirkte überaus sachlich.

»Das Gebäude ist heute für Besucher geschlossen«, erklärte sie. »Außer Sie stehen auf der Liste.«

Terry fragte sich, ob die Frau bereits ihren Doktor hatte oder sich in ihrem Abschlussjahr befand. Bisher hatte sie noch keine weiblichen Doktoren kennengelernt, auch wenn sie wusste, dass es sie gab.

»Liste?«

Eine weitere Person stürmte hinter Terry durch die Eingangstür und wäre beinahe in sie hineingerannt.

Terry wandte sich um und sah ein Mädchen in einem Overall – in einem dreckigen Overall –, das sie angesichts ihres kritischen Blicks angrinste.

»Sorry«, sagte das Mädchen mit einem Schulterzucken. »Ich dachte, ich komme zu spät.«

»Kein Problem.« Terry musste automatisch zurücklächeln.

Die beiden jungen Frauen hätten nicht unterschiedlicher sein können. Terry trug ein ordentliches Outfit aus Rock und Bluse. Ihre Haare hatte sie in der vergangenen Nacht auf breite Wickler gedreht, sodass sie ihr jetzt in sanften Wellen über den Rücken fielen. Das Mädchen in dem Overall dagegen hatte Dreck unter den Nägeln, seine Haare waren bestenfalls gekämmt worden und seine Wangen von Sommersprossen gesprenkelt. Ein Wildfang. Noch vor ein paar Jahren wäre es ihr nicht erlaubt gewesen, in einer Hose den Campus zu betreten.

»Ihre Namen«, sagte die Frau mit dem Klemmbrett. »Ich muss nachsehen, ob Sie erwartet werden.«

»Alice Johnson«, antwortete das Mädchen, bevor Terry auch nur die geringste Chance hatte, einen Ton herauszubringen. »Ich geh hier nicht zur Uni. Ich bin aus der Stadt.«

Die Frau nickte. »Sie stehen auf der Liste.«

Die Liste war eine Überraschung. Terry stand definitiv nicht darauf. Und soweit sie wusste, tat es Stacey ebenso wenig.

Die Frau und Alice starrten Terry erwartungsvoll an, und auf einmal war es an ihr zu beweisen, dass sie hier sein sollte.

»Und Sie?«, hakte die Frau nach.

»Stacey Sullivan«, log Terry und fragte sich gleichzeitig, ob sie vielleicht am falschen Ort gelandet war.

Die Frau blickte abwechselnd zwischen ihrem Klemmbrett und Terry hin und her.

Terry hörte ihr Blut in den Ohren rauschen.

»Ah, da sind Sie ja«, sagte die Frau und setzte ein Häkchen auf ihrer Liste. »Perfekt. Sie waren schon einmal hier, richtig? Gehen Sie in den dritten Stock und melden Sie sich dort bei meinen Kollegen.«

»Was soll das alles?« Terry hielt einen Moment inne, bevor sie hinzufügte: »Ich … äh … Ich erinnere mich nicht, beim letzten Mal ein ähnliches Prozedere durchlaufen zu haben.«

»Unser neuer Rekrutierungsprozess«, erklärte die Frau. »Oben wird man Ihnen alles Weitere erklären.«

Während sie gemeinsam auf das Treppenhaus zugingen, wandte sich Alice an Terry: »Gut, dass sie oben noch mal alles erklären. Ich bin zum ersten Mal hier.«

Terry kämpfte gegen das Bedürfnis an, Alice zu fragen, ob sie mehr über die ganze Sache wusste. Stattdessen versuchte sie sich darauf zu konzentrieren, den richtigen Weg zu finden. Neben dem Treppenaufgang blieb sie stehen. »Wollen wir einfach die Treppe nehmen? Die Fahrstühle in diesen alten Gebäuden sind oft so langsam.«

»Nein!«, rief Alice aufgeregt. »Ich liebe es, Fahrstuhl zu fahren.«

»Oh … Okay.« Was hätte sie auch sonst sagen sollen?

Alice strahlte über das ganze Gesicht.

Sie gingen ein paar Meter weiter bis zu der Bank vor der Fahrstuhlkabine und warteten dort, bis die Kabine endlich heruntergerumpelt kam und die Türen sich quietschend Zentimeter um Zentimeter öffneten.

»Der ist wirklich alt«, sagte Alice aufgeregt und gleichzeitig bewundernd, während sie mit der Hand über den metallenen Handgriff im Inneren der Kabine fuhr.

Terry verkniff sich den Kommentar, dass die meisten Menschen angesichts des Alters eines Aufzugs weit weniger enthusiastisch reagieren würden. Alice war ein komischer Vogel. Kein Wunder, dass sie an einem Psycho-Experiment teilnahm. Trotzdem mochte Terry sie.

»Du hast gesagt, du kommst hier aus der Stadt?«, fragte sie. »Ich bin etwa eine Stunde entfernt von hier aufgewachsen. In Larrabee.«

»Arbeiterfamilie. Ich bin bei meinem Onkel in der Werkstatt angestellt, spezialisiert auf die Reparatur von schweren Maschinen.«

»Ich wünschte, ich wäre Mechanikerin.«

Alice zuckte mit den Schultern. »Wir sind alle Mechaniker. Ein Körper ist nur eine andere Art Maschine.«

Womit sie nicht ganz unrecht hat.

»Dann haben wir gar kein Herz?«, zog Terry sie auf.

»Doch, klar. Das Herz ist die Pumpe, die uns am Laufen hält.«

Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich zum Flur auf der dritten Etage – was ebenso viel Zeit in Anspruch nahm wie im Erdgeschoss.

»Mit den richtigen Ersatzteilen könnte ich ihn reparieren«, sagte Alice nachdenklich. »Er ist nicht richtig kaputt, sondern hat nur ein wenig von seiner ursprünglichen Pracht eingebüßt.«

So viel dazu, dass Terry sie nach dem Dreck auf ihrem Overall beurteilt hatte. Die ursprüngliche Pracht eines Universitätsaufzugs …

»Und hoffentlich wird er auch nicht kaputtgehen«, sagte Terry.

Alice grinste. »Hoffentlich.«

»Du warst also noch nie hier?«, erkundigte sich Terry.

»Nein. Mein Onkel hat letzte Woche die Anzeige in der Zeitung gelesen. Dass sie Frauen im Collegealter mit herausragenden Fähigkeiten suchen. Darauf habe ich mich gemeldet, und sie haben mir einen Brief geschickt, dass ich heute herkommen soll.«

Die Frau am Eingang hatte von einem neuen Rekrutierungsprozess gesprochen. Wie sollte Terry es schaffen, in das Programm aufgenommen zu werden? Sie fragte sich, was das Labor unter »herausragenden Fähigkeiten« verstand.

Alice gab dem Fahrstuhl einen liebevollen Klaps, bevor sie auf einen kahlen Flur hinaustraten, der von mehreren Türen und Anzeigetafeln gesäumt war, auf denen verschiedene Experimente angekündigt wurden. Nur eine einzige Tür stand offen, was Terry darauf schließen ließ, dass sie dort erwartet wurden.

Zum Glück war der Türrahmen breit genug, dass sie nebeneinander hindurchpassten, da Alice sich weigerte, sowohl vor Terry als auch hinter ihr zu gehen. Wie alles, was ihr bereits an Alice aufgefallen war, hatte auch diese Eigenschaft etwas Charmantes an sich, fand Terry.

Im Inneren erwartete sie eine weitere Person im Laborkittel. Der Mann hatte eine Nachrichtensprecher-Frisur und trug eine Brille. Er reichte jeder von ihnen einen ganzen Stapel Formulare und einen Stift. »Vertraulichkeitserklärung. Füllen Sie die aus, bis wir Sie wieder hereinrufen.«

Vielen Dank auch für die freundliche Begrüßung.

Er bedeutete ihnen, in einer Art Wartebereich Platz zu nehmen, in dem mehrere Stühle standen. Sechs Frauen im College-Alter (wenn auch nicht alle von ihnen Studentinnen, sofern Alice recht hatte) und ein Mann saßen bereits dort. Letzterer war ebenfalls in ihrem Alter, hatte lange braune Haare, einen Jesus-Bart und trug eine Schlaghose.

Terry und Alice mussten sich trennen, da die einzigen verbliebenen freien Plätze einander gegenüberlagen.

Alice setzte sich neben eine junge schwarze Frau, die in einem dicken Lehrbuch las und Terry im Vergleich geradezu schlampig gekleidet wirken ließ. Von Alice einmal ganz abgesehen. Sie trug einen gepflegten violetten Hosenanzug. Der letzte Schrei, dezent und gleichzeitig wahnsinnig extravagant.

»Kommst du auch von hier?«, fragte Alice sie.

Die Frau hob den Kopf und zeigte ein gleichermaßen aufmerksames wie hübsches Gesicht. »Ich bin hier aufgewachsen. Gloria Flowers.«

»Die Flowers?«

»Ja, die Flowers.«

Alice riss die Augen auf und raunte Terry zu: »Ihrer Familie gehören ein riesiger Laden und ein Blumengeschäft. Flowers’ Flowers.«

»Ich kann dich hören«, sagte Gloria. Dann fügte sie hinzu: »Er heißt Flowers’ Flowers and Gifts.«

»Hast du auch die Anzeige in der Zeitung gesehen?«

»Nein, ich studiere hier. Biologie.«

»Ich wollte dich nicht beleidigen.« Alice’ Wangen waren rot angelaufen. »Wirklich nicht. Ich rede manchmal schneller, als ich denke.«

»Du hättest hören sollen, wie sie den Fahrstuhl bewundert hat«, mischte sich Terry ein, was ihr einen dankbaren Blick von Alice eintrug, bevor sie sich vorbeugte und Gloria die Hand hinhielt.

Gloria zögerte einen Moment, ergriff sie dann aber. Bei der Bewegung fiel etwas aus dem Buch, das sie an die Brust gedrückt hielt. Ein Comic. Beschämt senkte Gloria den Blick.

Terry bückte sich, um das Heft aufzuheben. X-Men stand auf dem bunten Cover. »Früher habe ich Archie’s Girls Betty and Veronica geliebt«, sagte sie und reichte Gloria den Comic.

»Das hier ist ein bisschen anders.« Gloria lächelte verhalten.

»Es ist nett, eine andere Studentin kennenzulernen.« Terry hielt inne. Eigentlich hatte sie sich vorstellen wollen, aber in diesem Moment ging ihr auf, dass sie Gloria unmöglich ihren richtigen Namen nennen konnte. Zumindest noch nicht.

»Damit wäre ich dann also nur Abschaum«, bemerkte Alice. »Macht euch um mich bloß keine Gedanken.«

Der einzige Mann in der Runde wandte sich zu Alice um und nickte ihr zu. »Dafür bist du garantiert die Cleverste hier«, bemerkte er vielsagend. »Ich bin Ken.«

»Ich dachte, die wollen nur Ladys«, entgegnete Alice, offensichtlich immun gegen jegliche Art von Schmeichelei.

»Ich bin Hellseher. Ein Medium«, flüsterte er.

»Wirklich?«, fragte Terry.

Er lehnte sich zurück. »Natürlich bin ich das. Darum wusste ich ja, wann ich hier sein muss.«

»Natürlich ist er das«, echote Alice, und Terry fiel es schwer zu beurteilen, ob sie es ernst meinte oder ihn nur aufziehen wollte.

Die übrigen Frauen in der Runde versuchten ganz offensichtlich zu ignorieren, was um sie herum geschah. Terry dagegen beschloss, dass sie Spaß hatte. Und nachdem sie einen Blick mit Alice, dem vermeintlich hellseherischen Ken und Gloria gewechselt hatte, stellte sie fest, dass es ihnen ähnlich ging.

In diesem Moment öffnete ein Mann in einem Laborkittel eine Tür am anderen Ende des Raums. »Gloria Flowers.«

Mit einem Zwinkern in die Runde schob Gloria den Comic zurück zwischen die Seiten des Lehrbuchs und folgte dem Mann auf den Flur.

Terry mochte sie wirklich gern. Genau wie die anderen beiden Mitstreiter, die sie bereits kennengelernt hatte.

Stunden waren vergangen, und inzwischen waren nur noch zwei von ihnen übrig. Terry und Ken.

Die Vertraulichkeitserklärung hatte es in sich, und sie strotzte nur so vor Fremdwörtern, die Terry ein flaues Gefühl im Magen bereiteten. Sie hatte recht gehabt, dieses Experiment war eine große Sache. Die Formulare stammten nicht von der Universität, sondern von der Regierung der Vereinigten Staaten. Genauer gesagt einer Behörde, die sich Office of Scientific Intelligence nannte. Die angedrohten Strafen für jegliche Form von Vertragsbruch waren drakonisch und reichten bis hin zu Gefängnisstrafen für jegliche Art der Offenlegung jedweder Aktivitäten, in welche die Teilnehmer der Experimente involviert waren. Was im Umkehrschluss bedeutete, in diesem Labor wurden Untersuchungen vorgenommen, die absoluter Geheimhaltung unterlagen.

Terrys und Beckys Dad hatte im Zweiten Weltkrieg gedient, wo er grausame Dinge gesehen hatte. Vor seinen Töchtern hatte er nie darüber gesprochen, aber in einer Nacht hatte Terry gehört, wie er mit einem Schrei aufgewacht war. Sie hatte sich aus dem Bett geschlichen, um nachzusehen, was los war. Nur im Nachthemd hatte sie vor der Schlafzimmertür ihrer Eltern gekauert und gelauscht. Ihr Vater hatte ihrer Mutter erzählt, wie sie am Ende geholfen hatten, Leute aus einem Camp zu holen. »Ihre eigenen Leute, zusammengepfercht wie Sardinen, nur noch Haut und Knochen … und das waren diejenigen, die es überlebt haben.« Er habe Träume, hatte er zu ihrer Mom gesagt, Träume, in denen er im Camp arbeite und nichts tue, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten.

»Du würdest so etwas niemals tun«, hatte ihre Mom ihm versichert. »Diese Seite steckt nicht in dir.«

»Das wünsche ich mir auch. Aber ich glaube, dass viele der Männer, die in den Camps gearbeitet haben, vor dem Krieg dasselbe von sich behauptet hätten. Genauso wie ihre Frauen. Dasselbe könnte hier passieren. Das ist der Grund, aus dem ich nicht schlafen kann.«

»Nein, so etwas kann hier nicht passieren.«

»Es freut mich, dass du so denkst, Liebling.«

»Ich weiß nicht, wie ich das Leben aushalten sollte, wenn ich es nicht täte. Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie schwer es für dich sein muss, Bill.«

In diesem Moment hatte Terry noch mehr Liebe für sie empfunden als jemals zuvor. Für ihren Dad, der Zeuge all dieser schrecklichen Dinge geworden war, die ihn sogar an sich selbst zweifeln ließen. Und ihre Mom, die selbst dann noch an ihn glaubte, wenn er es selbst nicht mehr tat.

Jeden Abend hatte ihr Vater sich die Nachrichten angesehen und seinen Kindern erklärt, wie wichtig es war, sich einzumischen. Was für ein Geschenk es war, wählen gehen zu dürfen. Dass sie stets wachsam sein sollten, da man nie wissen konnte, wann man selbst an der Reihe war, für den Frieden einzutreten. Terry hatte seine Worte ernst genommen – zu ernst in den Augen von Becky und ihrer Mom. Aber ihr Vater war immer stolz auf sie gewesen.

Und hier saß sie nun, aufgeregt und zum Zerspringen nervös, während sie weiter in dem Vertrag las. Als sie am Ende angekommen war, zögerte sie einen Moment, dann unterschrieb sie mit ihrem richtigen Namen. Stacey wollte mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben, also würde Terry als sie selbst auftreten. Irgendwie.

»Stacey Sullivan?«, rief der Mann, der plötzlich im Türrahmen stand.

Na ja, zumindest nach diesem letzten Moment, in dem sie sich als ihre Mitbewohnerin ausgab.

Ken sah sie an. »Bist du das?«

Interessant, dass er den Satz als Frage formulierte.

»Äh, ja«, beeilte sich Terry zu sagen und sprang auf. Erst jetzt bemerkte sie, dass der Mann, der sie aufgerufen hatte, ein anderer war als der zuvor. Er war schlank und gut aussehend, mit einem Schopf ordentlich frisierter brauner Haare und einem beinahe faltenfreien Gesicht. Doch als er sie musterte, hatte sie das Gefühl, ihre Körpertemperatur würde um einige Grad sinken.

Er lächelte, wobei sich kleine Fältchen in seinen Augenwinkeln bildeten. »Miss Sullivan?«

Du bist nur nervös.

Terry sprang auf und ließ dabei beinahe die Papiere in ihrer Hand fallen. Wie hätte es auch anders sein können? Dann griff sie nach ihrer Handtasche und hängte sie sich über den Arm, während sie das Formular fest an ihre Brust drückte. »Anwesend.«

Der Mann bedeutete ihr, an ihm vorbei in den Flur zu treten. »Am Ende des Gangs. Die letzte Tür auf der rechten Seite.«

Die Tür stand offen. Dahinter lag ein großer, unordentlicher Raum. In der Mitte stand ein Tisch, der denen ähnelte, an denen sie in der Uni ihre Prüfungen schrieben. Terry blieb daneben stehen und sah sich um.

Der Raum wirkte wie ein Restpostenlager für Psychologen: zwei Liegen, Poster mit Diagrammen und merkwürdiges Equipment mit Kabeln und Röhren. Weitere Tische und Stapel von Notizbüchern. Ein Mikroskop, das, scheinbar ungenutzt, in eine Ecke geschoben worden war. Das Modell eines Gehirns, unterteilt in mehrere rosafarbene Sektionen, die man herausnehmen und wieder einsetzen konnte.

»Setzen Sie sich«, sagte der Mann und deutete auf den Tisch vor ihr. Sein Tonfall hatte etwas Autoritäres, als wäre er es gewohnt, Befehle zu erteilen.

Terry zögerte einen Moment, bevor sie sich auf der äußersten Kante des Tisches niederließ. Ihre Füße baumelten in der Luft, eine Erinnerung daran, dass sie sich auf unbekanntem Territorium bewegte.

Der Mann stand vor ihr und starrte sie an. Erst als das Schweigen zwischen ihnen merkwürdig wurde, fragte er schließlich: »Und Sie sind?« Bevor sie sich zu einer Antwort durchringen konnte, fuhr er bereits fort. »Stacey Sullivan jedenfalls nicht.«

Verdammt. Das hatte er schnell rausgefunden.

»Woher?« Die Frage war ihr einfach so herausgerutscht.

»Den Notizen des Universitätsangestellten nach, der mir ihren Namen gegeben hat, hat Stacey Sullivan lockige schwarze Haare, braune Augen, ist ein Meter zweiundsechzig und von durchschnittlicher Intelligenz.«

Terry beschloss, an Staceys Stelle empört zu sein, was die letzten beiden Worte seiner Beschreibung anging.

»Sie«, fuhr der Mann fort, »sind eins siebenundsiebzig, haben dunkelblonde Haare und blaue Augen. Meine Einschätzung Ihrer Intelligenz hängt davon ab, warum Sie behaupten, Miss Sullivan zu sein, aber meiner Vermutung nach liegt sie über dem Durchschnitt. Also, wer sind Sie?« Sein Tonfall ließ keine Verärgerung erkennen.

Auch wenn Terry nicht genau sagen konnte, was sie erwartet hatte, was passieren würde. Aber das hier war es garantiert nicht.

»Ich bin vielleicht nicht Stacey, aber genauso wenig sind Sie ihre Laborratte«, sagte Terry und wurde sich der Wahrheit ihrer Worte selbst erst in diesem Moment bewusst. Nicht nur, dass die gesamte Szenerie ganz anders wirkte als in Staceys Beschreibung, darüber hinaus hätte niemand diesen Mann als Laborratte beschrieben. »Der Typ, der ihr letzte Woche die Drogen verabreicht hat, nach denen sie sich so komisch gefühlt hat. Der Grund, aus dem sie nicht wiedergekommen ist. Also, wer sind Sie?« Terry sah ihn herausfordernd an und fragte sich, ob er ihr antworten würde.

Als er den Kopf schüttelte, wirkte er beinahe amüsiert. »Ich bin Dr. Martin Brenner. Und die sogenannte Laborratte ist ein Universitätspsychologe mit einem Untervertrag. Diese Art Leute haben einen Hang zum Verpfuschen. Darum übernehmen wir jetzt die Arbeit.« Er machte eine kurze Pause. »Sie sind dran.«

Ich vermute mal, das ist nur fair.

»Ich bin Terry Ives, Staceys Mitbewohnerin.«

»Was bedeutet, dass ich keine Ahnung habe, ob die für das Experiment ausgeschriebenen Kriterien auf Sie zutreffen.«

»Ich habe mich im Wartezimmer mit ein paar der anderen unterhalten. Sie haben sich auf eine Zeitungsanzeige hin gemeldet. Wie streng können die Kriterien also sein?«

Er verharrte vollkommen ruhig und musterte sie abermals mit diesem nachdenklichen Blick.

Ermutigt davon, bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht rausgeworfen worden zu sein, entschied Terry weiterzumachen. Sie stand auf, um mit Dr. Brenner auf Augenhöhe zu sein. »Ich bin für Stacey eingesprungen, weil ich … weil ich das Gefühl hatte, dass es sich hierbei um etwas Wichtiges handelt. Andernfalls wäre das alles zu merkwürdig. Labore rufen nicht einfach irgendwelche Frauen im Collegealter zu Experimenten auf, bei denen sie Drogen verabreicht bekommen. Nicht nur dafür zumindest.«

»Und um was, glauben Sie, geht es dann?«, fragte Dr. Brenner.

Terry zuckte mit den Schultern. »Ich habe die Vertraulichkeitserklärung gelesen. Alles, was ich sagen kann, ist, dass es sich um etwas … Großes handeln muss. Und ich möchte ein Teil davon sein.«

»Hm.« Er klang skeptisch.

»Welche Eigenschaften muss ich mitbringen, um mich zu qualifizieren? Sagen Sie es mir.«

»Sind Sie Single?«

Für einen kurzen Moment blitzte Andrews Bild in ihrem Kopf auf. »Ich bin unverheiratet.«

»Gesund?«

»In dem Diner, in dem ich arbeite, habe ich noch keine einzige Schicht verpasst.«

Er nickte wohlwollend. »Hatten Sie jemals Geschlechtsverkehr?«

Sie erstarrte. Das war keine Unterhaltung, die eine Frau mit einem fremden Mann führte. Fremde Doktoren, die für die Regierung arbeiteten, schienen sogar noch unangebrachter.

»Ich fürchte, ich muss vollkommene Offenheit von unseren Teilnehmern erwarten«, fügte er in entschuldigendem Tonfall hinzu.

»Ja«, antwortete Terry, ohne ins Detail zu gehen.

Ein weiteres Nicken. »Haben Sie jemals ein Kind geboren?«

»Nein.«

»Haben Sie einen starken Willen?«

Terry überlegte kurz. »Ich bin hier, oder nicht?«

»Ich vermute, dass Sie die grundlegenden Kriterien erfüllen, aber …« Er ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen und musterte sie.

Er schien noch nicht vollständig überzeugt zu sein. Terry durchforstete ihre Erinnerung danach, was Alice über die Zeitungsanzeige gesagt hatte. Sie war sich ziemlich sicher, dass Dr. Brenner nur wenig Interesse an den Eigenschaften zeigen würde, die sie unter herausragende Fähigkeiten für sich verbuchte: sechs bis acht Tische gleichzeitig bedienen, ohne auch nur eine Bestellung zu vergessen (was schwieriger war, als es sich anhörte), niemals koffeinfreien und normalen Kaffee zu verwechseln, Hausaufgaben in der letzten Minute zu erledigen und trotzdem ordentliche Noten zu bekommen, Andrew zum Lachen zu bringen, wenn er eigentlich nicht in der Stimmung für Scherze war, ab und zu Becky aufzumuntern …

»Und außerdem bin ich bemerkenswert.«

»In Ordnung«, sagte er, als hätte ihre Bemerkung das Pendel zu ihren Gunsten ausschlagen lassen. Vielleicht ließ er sie aber auch einfach nur damit durchkommen. »Ich vermute mal, dass Sie das wirklich sind. Und jetzt setzen Sie sich.«

Terry hasste es, wenn man ihr sagte, was sie zu tun hatte. Doch wie schon ein paar Minuten zuvor gehorchte sie.

3.

Andrew hatte seinen smaragdgrünen Plymouth Barracuda, den er mindestens einmal pro Woche hingebungsvoll wusch und polierte, hinter den Vans geparkt, die vor dem Gebäude der Psychologie-Fakultät standen. Nach allem, was Stacey ihnen über ihren Besuch im Labor berichtet hatte, hatte er darauf bestanden, Terry nach ihrem Termin dort abzuholen. Das ganze Prozedere hatte länger gedauert, als sie angenommen hatte. Andrew wartete bereits seit einer ganzen Weile auf sie.

Terry winkte ihm zu, als sie über den Rasen auf seinen Wagen zusteuerte, und überlegte gleichzeitig, wie viel von dem, was dort drinnen geschehen war, sie ihm erzählen sollte. Er war schon vorher wegen ihres Entschlusses, sich für das Experiment zur Verfügung zu stellen, skeptisch gewesen, auch wenn er nicht versucht hatte, sie davon abzubringen.

Sie öffnete die Wagentür zum Beifahrersitz und stieg ein. »Ich bin am Verhungern«, sagte sie anstelle einer Begrüßung, um sich mehr Zeit zu erkaufen. »Hast du Lust, irgendwo was essen zu gehen? Ich lade dich ein.«

»Dann gehe ich mal davon aus, dass du die fünfzehn Dollar bekommen hast«, sagte Andrew, während er sie von oben bis unten musterte, als wollte er sicherstellen, dass sie das Labor tatsächlich in einem Stück wieder verlassen hatte. »In dem Fall gern. Worauf auch immer du Lust hast.«

»Lass uns ins Starlight gehen«, schlug Terry vor. Es war Freitagabend, und ihre nächste Schicht im Diner stand erst für neun Uhr am nächsten Morgen an. Aufgrund der Sommerhitze fühlten sich die Abende draußen an, als würde man in einem warmen Backofen sitzen. Mit anderen Worten: perfektes Wetter fürs Autokino. Die Filme würden erst in ein paar Stunden starten, aber wenn sie jetzt losfuhren, konnten sie sich einen erstklassigen Stellplatz sichern, und das kleine Café würde bereits geöffnet haben. »Du wolltest doch gern The Wild Bunch sehen. Ich glaube, der läuft noch.«

»Wie du magst …« Andrew legte den ersten Gang ein und manövrierte den Wagen vom Campus, auf dem um diese Zeit kaum noch Menschen unterwegs waren. »Ich war kurz davor, das Gebäude zu stürmen, um nachzusehen, ob sie dich gekidnappt haben. Wie war es? Hattest du mit deiner Vermutung recht?«

»Ich glaube schon.« Terry faltete ihre Hände im Schoß.

»Wirklich?«

»Ja.«

Zu ihrer Erleichterung stellte Andrew ihre Vermutung nicht weiter infrage. »Was ist passiert?«

»Bisher hat mir der Arzt nur wahnsinnig viele Fragen gestellt. Aber er lässt mich am Programm teilnehmen.«

»Keine mysteriösen Injektionen?«, fragte Andrew und warf ihr einen Seitenblick zu.

»Keine mysteriösen Injektionen«, bestätigte sie. Es war die Wahrheit. »Aber es war auch ein anderer Typ als bei Stacey. Wer weiß, was beim nächsten Termin passiert. Es … es fühlt sich so an, als würde es um etwas ziemlich Wichtiges gehen.«

Der Radiomoderator gab die neuesten Gefallenenzahlen der letzten Schlacht aus Vietnam durch, und Andrew drehte die Lautstärke auf. »Noch ein Kumpel von Dave von der Highschool ist drüben gestorben.«

Sie alle kannten Leute, die drüben gestorben waren. Terry konnte ihre Gesichter im Geist vor sich sehen. Immer wenn einer der Jungs von ihrer alten Highschool fiel, sah sie sein Foto aus dem Jahrbuch vor sich. Kein Lächeln, schwarz und weiß, gefangen.

Andrew war bisher nur deswegen noch nicht eingezogen worden, weil man ihm aufgrund seines Studiums einen Aufschub gewährte, aber Terry wusste, dass er sich Sorgen wegen seines Collegeabschlusses im kommenden Frühling machte. Bei der einzigen Gelegenheit, zu der sie über das Thema gesprochen hatten, hatte er durchscheinen lassen, dass er sich für die Uni einschreiben und so lange wie nötig weiterstudieren würde.

»Es ist furchtbar«, sagte Terry, angeekelt von der Untertreibung, die selbst dieser Beschreibung des Horrors in Vietnam noch innewohnte. Manche Dinge auf dieser Welt waren so schrecklich, dass es schier unmöglich schien, sie in Worte zu fassen.

Andrew nickte und lauschte weiter dem Nachrichtensprecher.

In Gedanken ging Terry noch einmal die letzten Minuten ihres Gesprächs mit Dr. Brenner durch. Irgendwie hatte sie es zu guter Letzt geschafft, ihn zu überzeugen, sie als »High Potential« einzustufen, auch wenn sie nicht ganz verstand, wie es dazu gekommen war. Das eigentliche Experiment würde dann außerhalb des Campus in einem speziell zu diesem Zweck eingerichteten Regierungslabor durchgeführt werden. Immerhin hatte er eingeräumt, dass es sich um eine Forschungsreihe von höchster Priorität handelte. Was genau das zu bedeuten hatte, war Terry allerdings noch immer schleierhaft. Sie sollte sich in drei Wochen wieder im Psychologie-Gebäude melden. Von dort würden sie dann jede Woche einmal zu der Einrichtung außerhalb des Campus fahren.

Solange keine der Sitzungen mit meinem Stundenplan in Konflikt gerät war alles, was sie dazu gesagt hatte. Doch innerlich hatte sie vor Stolz geglüht.

Becky gegenüber durfte sie die Sache nicht wieder erwähnen. Im Gegensatz zu ihr hatten die Worte ihres Vaters bei ihrer Schwester nicht verfangen. Wenn Terry in Briefen an ihren Kongressabgeordneten den Krieg angeprangert hatte, war Beckys Kommentar dazu gewesen, dass es besser wäre zu wissen, dass die Leute dort hart für ihr Überleben kämpfen müssten, als zu glauben, man könnte die Welt mit dem Kauf einer einzelnen Briefmarke verändern. Vielleicht würde Becky niemals verstehen, was Terry tat oder woran sie glaubte.

»Es ist nur … Ich frage mich, wie wir der Regierung jemals wieder vertrauen sollen«, brach Andrew das Schweigen. »Ihre Aufgabe sollte es sein, für uns – das Volk – zu arbeiten.«

»Ich weiß, das musst du mir nicht erzählen.« Sie streckte die Hand aus, um die Lautstärke des Radios herunterzudrehen. »Andererseits sind sie auch auf den Mond geflogen.«

»Das haben wir der Wissenschaft zu verdanken. JFK hat ihnen nur gesagt, dass sie es tun sollen. Alles, was sie jetzt noch machen, ist, mehr von uns zum Sterben wegzuschicken.«

Terry beschloss, Andrew vorerst zu verschweigen, wer genau die Forschungsreihe, an der sie teilnehmen würde, leiten würde: Wissenschaftler im Auftrag der Regierung. Mit dem Wissen darum hätte er einen Grund mehr gehabt, ihre Teilnahme an dem Experiment infrage zu stellen, und sie wollte sich deswegen nicht mit ihm streiten. Sie hatte sich bereits entschieden.

»Ich will Popcorn und einen Hotdog«, sagte Terry. »Und vielleicht auch noch einen Slushie.«

Andrew drehte den Kopf in ihre Richtung und zwinkerte ihr zu. »Jetzt kommen wir langsam ins Gespräch, Big Spender.«

Kapitel zwei ALLES ANDERE ALS EIN WUNDERLAND

AUGUST 1969Bloomington, Indiana

1.

»Sie tun so, als ob ich nur deswegen nicht hingehen würde, weil ich einen auf Moralapostel mache«, sagte Terry. »Aber darum geht es nicht.«

Andrew schlang die Arme um sie und zog sie zurück zu sich auf das unordentliche Bett mit den zerknitterten Laken, das in der Ecke seines noch unordentlicheren Zimmers stand. »Du musst leiser sprechen, sonst hören sie dich. Du könntest mitkommen … wenn du dir nicht zu fein dafür wärst zu schwänzen.«

Terry boxte ihn gegen den Arm. »Du könntest bei mir bleiben und meinen tugendhaften Begleiter spielen.«

»Aber ich darf bei deinem verrückten Wissenschaftsprojekt sowieso nicht mitmachen«, sagte Andrew und grinste.

»In der Zeit finden Vorlesungen statt. Becky hat schon die Studiengebühr bezahlt. Machst du dir keine Sorgen, wenn du deine schwänzt?«

Das kurze Herbst-Zwischensemester stand kurz bevor, und sie hatten sich beide für zweiwöchige Seminare angemeldet. Terrys Kurs würde sich um verschiedene Pädagogikkonzepte drehen, und Andrew hatte sich für eine Philosophievorlesung eingeschrieben.

»Ich mache mir viel größere Sorgen, dass das Leben an mir vorbeiziehen könnte.«

»Aha.«

Terry konnte einfach nicht ausblenden, dass jeglicher Mist, den sie baute, auch Becky beträfe, die sich für sie verantwortlich fühlte. Andrew dagegen war sehr viel spontaner und außerdem ein wenig verwöhnt – er hatte bisher noch in keinem Schlamassel gesteckt, aus dem ihm nicht irgendwer wieder herausgeholfen hatte. Aber sie glaubten an dieselben Dinge, und auch wenn sie unterschiedlich an sie herangingen, zählte diese Gemeinsamkeit mehr als alle Unterschiede, die sie trennten.

»Ich habe diese Woche den nächsten Termin für das Experiment«, sagte sie. »Deswegen kann ich nicht.«

»Bist du dir wirklich sicher, dass es eine gute Idee ist, da mitzumachen?«

»Ja. Ich muss es tun.«

»Baby.« Er nahm ihre Hände in seine. »Alle fahren hin. Du darfst das auf keinen Fall verpassen.«

»Ich habe es gerade so geschafft, Dr. Brenner davon zu überzeugen, mich in die Untersuchungsreihe aufzunehmen. Ich kann auf keinen Fall das Risiko eingehen, rausgeschmissen zu werden, bevor es überhaupt richtig angefangen hat.«

»Okay.« Er berührte ihre Wange. »Trotzdem würde ich mir wünschen, dass du mitkommst. Ich werde dich vermissen.«

»Beeilt euch, in einer Viertelstunde geht’s los«, rief eine männliche Stimme von nebenan. Sie gehörte einem Typen namens Rick mit fettiger Haut, bei dessen Anblick sich Terry die Nackenhaare aufstellten. Ihm gehörte der Van, mit dem die fünf zu irgendeiner Stadt im Norden New Yorks fahren wollten, von der noch nie jemand gehört hatte. Woodstock. Das klang, als hätte es sich jemand ausgedacht.

Terry verdrehte die Augen. »Versprich mir einfach, vorsichtig zu sein. Du wirst tagelang mit irgendwelchen Fremden aus Kalifornien in einem Van hocken. Und das nach diesen Mordfällen. Ich wette, die Killer hatten auch einen Van.«

Auch wenn sie sich Mühe gab, nicht allzu ernst zu klingen, meinte sie es so. Immer wieder wachte sie nachts schweißgebadet auf und sah die Bilder vor ihrem inneren Auge. Sie hatte jeden Artikel über die brutalen Morde gelesen. Die Worte Pig und Helter Skelter waren mit Blut an die Wand geschmiert worden. Und diese arme Schauspielerin, Sharon Tate, war im achten Monat niedergemetzelt worden. Was für Monster mussten das sein, die eine Schwangere umbrachten?

»Wir fahren ans andere Ende des Landes«, sagte er. »Du machst dir doch nicht wirklich wegen irgendwelcher Mörder in Vans Sorgen?«

»Nein«, sagte sie und dachte: doch. Deswegen und wegen all der anderen Dinge, die passieren könnten. Die Welt ist verrückt geworden.

»Außerdem sind es keine Fremden. Rick und Dave sind zusammen aufgewachsen.«

Was allerdings nicht auf Ricks Freunde zutraf. Einen weiteren dubiosen Typen, der den Spitznamen Woog trug, und ein Mädchen namens Rosalee, die Terry Blicke zuwarfen, als sei sie eine Art Witz in Menschengestalt. Ganz abgesehen davon, dass sich Menschen änderten. Soweit Terry das einschätzen konnte, hatten sie Dave nur eingeladen, um auf dem weiten Weg von Berkeley quer durchs Land einen Zwischenstopp einlegen zu können und seine Dusche zu benutzen.

»Okay, vielleicht mache ich mir ein wenig Sorgen. Ich weiß, dass es vollkommen irrational ist«, gab Terry zu. Was eine Lüge war. Für sie war es absolut rational. »Ich habe einfach das Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren wird. Ich kann es nicht erklären.«

»Und vermutlich hast du damit nicht einmal unrecht, nur dass es hoffentlich weder etwas mit dir noch mit mir zu tun haben wird.« Andrew lächelte und kuschelte sich von hinten an sie, die Lippen an ihrem Ohr. »Vorsichtshalber sollten wir uns vielleicht trotzdem ordentlich voneinander verabschieden.«

»Ich kann einfach nicht glauben, dass du ohne mich auf ein Konzert von Janis Joplin gehst. Du bist wirklich ein schlechter Freund.«

»Ich habe ja gesagt: Komm mit!«

Die Vorstellung war verlockend. Und sie wurde noch verlockender, wenn er auf diese Weise seine Lippen in ihren Nacken drückte.

Doch fünfzehn Minuten später verließ Andrew das Apartment, um nach Woodstock zu fahren, und Terry, um in ihr Wohnheimzimmer zurückzukehren. Sie hatte sich für diesen Weg entschieden. Und sie hatte vor, ihn weiterzugehen.

2.