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Nur wenige Intellektuelle in Deutschland haben nach dem 11. September 2001 so besonnen und eindringlich wie Navid Kermani dafür plädiert, den Terror zu bekämpfen, ohne sich mit diesem gemein zu machen. Die Einwürfe und Analysen des Schriftstellers und promovierten Orientalisten, zumeist im Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" erschienen, gehören zu den wichtigsten und meistbeachteten Beiträgen in der Diskussion um den Nahen Osten, den Islam und die Politik des Westens. In der Zusammenschau lassen sie erkennen, wie nach dem 11. September Chance um Chance vertan worden ist, dem Extremismus den Boden zu entziehen. Beide Seiten der Terrorfront, das machen Navid Kermanis Kommentare deutlich, verfolgen eine Strategie der Eskalation. Aber auch Europas ausweichende, allein auf Eindämmung bedachte Position erfährt Kritik. Der Begriff Befreiung, daran erinnert Kermani immer wieder, hat nichts Ehrenrühriges. Statt die Vereinigten Staaten dafür anzuklagen, daß sie gegen Diktaturen zu Felde ziehen, sollte Europa lieber darüber nachdenken, wie Diktatoren zu Fall gebracht werden können, ohne daß deren Land in den Abgrund stürzt.
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Seitenzahl: 130
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Göttinger Sudelblätter
Herausgegeben von
Heinz Ludwig Arnold
Navid Kermani
Strategie der Eskalation
Der Nahe Ostenund die Politik des Westens
Vorwort
Wer ist der Feind? – Die Muslime nach dem 11. September
Sympathie für den Satan – Wie eine kluge Politik des Westens aussehen könnte
Lachen und Weinen – Afghanistan vor dem Sturm
Schönheit und Terror – Nach Kriegsbeginn
Ein richtiger Krieg? – Nach dem Ende der Taliban
Die Welt als Hinterhof – Der Irak im Visier der Vereinigten Staaten
Bibel, Bush und Berlusconi – Der Islam wird schuld
Schwarze, die nicht weiß werden dürfen – Europa und der Nahe Osten
Ohne Alternative – Vor dem Krieg im Irak
Befreiung ist nicht ehrenrührig – Nach dem Sturz Saddam Husseins
Feindliche Übernahme – Offener Brief an Stefan Aust
Leider recht behalten – Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Istanbul
Richtung Europa – Nach dem Anschlag in Madrid
Befreiung von den Befreiern? – Eine neue Regierung für den Irak
Strategie der Eskalation – Nach der Geiselnahme in Beslan
Rechtfertigungszwang – Nach dem Mord an Pim Fortuyn
Gut, daß Ihr mich erzieht – Eine Verwirrung
Nächste Ausfahrt Iran – Lernen wir aus unseren Fehlern?
Verzweiflungsdruck und Enthusiasmus – Nach Frankreichs Referendum zur Europäischen Verfassung
Quellen
Impressum
Für das vorliegende Buch habe ich die Artikel zusammengestellt, in denen ich mich seit dem 11. September 2001 zum Nahen Osten und der Politik des Westens geäußert habe, vor allem in der Süddeutschen Zeitung. Meistens sind sie auf Anfragen entstanden, allzu oft nach einem konkreten Ereignis, dem Beginn oder Ende eines Krieges oder einem großen Terroranschlag. So ergeben sie ein politisches Tagebuch der vergangenen vier Jahre. Beim Wiederlesen habe ich mich selbst über den Automatismus aus Aktion, Reaktion und Gegenreaktion erschrocken, dem die Weltpolitik mitsamt unserer Wahrnehmung in dieser Zeit gefolgt zu sein scheint. Ich habe an den Artikeln inhaltlich nichts geändert, auch keine relevanten Beiträge ausgelassen, weil mir ihr dokumentarischer Charakter wichtiger schien, als gelegentliche Fehleinschätzungen nachträglich zu korrigieren. Der Leser wird, so vermute ich, feststellen, daß es nicht besonders viele Fehler waren. Wie viele andere Beobachter hätte auch ich mir gewünscht, mit meinen Prognosen öfter falsch gelegen zu haben. Aber im Verhältnis des Westens zum Nahen Osten scheint sich die negative Dialektik zu bestätigen, daß nur recht behält, wer ausreichend pessimistisch war.
Geändert habe ich allerdings die Überschriften, da sie nicht von mir stammten und in der Regel an das Format angepaßt waren, in dem der Artikel erschien. Gelegentlich habe ich einzelne Sätze, die aus Platzgründen gestrichen werden mußten, wieder eingefügt oder Formulierungen, die im Redigat verändert worden waren, in ihre ursprüngliche Form gebracht. Einige Absätze dieses Buches hatte ich bereits in frühere Bücher eingewoben, in den »Schönen neuen Orient« und »Dynamit des Geistes«. Deren Leser mögen das entschuldigen. Es sind nicht viele Passagen, und hätte ich sie in diesem Buch gestrichen, hätte dem Gedankengang der eine oder andere Schritt gefehlt. Als ich die Artikel schrieb, habe ich nicht daran gedacht, sie zu einem Buch zu versammeln. Erst im nachhinein habe ich gemerkt, wie deutlich die einzelnen Texte aneinander anknüpfen und daß sie, in der Abfolge gelesen, anschaulicher und verständlicher machen, was seit dem 11. September geschehen ist.
Köln, im Juni 2005
Navid Kermani
13. September 2001
Zu den wiederkehrenden Bildern des Dienstags, die sich tief ins Bewußtsein der globalen Fernsehöffentlichkeit eingraben werden, gehört jenes der feiernden Palästinenser. Es gibt über eine Milliarde Muslime. Beinah alle sind ebenso erschrocken und empört wie beinah alle übrigen Menschen auf der Welt. In manchen Regionen der islamischen Welt gibt es Verbitterte, die den Anschlag als Folge der amerikanischen Außenpolitik zwar nicht gutheißen, aber erklären. Unter ihnen gibt es Verblendete, die sich freuen. Unter den wenigen, die sich freuen, gibt es einige hundert Palästinenser in Flüchtlingslagern des libanesischen Südens oder in den Besetzten Gebieten, die am Dienstag auf staubigen Gassen gefeiert haben. Aber was als Reaktion der Muslime auf die Anschläge in den Vereinigten Staaten im Gedächtnis bleiben wird, sind jene stämmige Frau im schwarzen Samtkleid und mit dem hinten zusammengebundenen Kopftuch, die die Hände zum orientalischen Tanz erhebt, und jener acht- oder neunjährige Junge, dessen Lachen ansteckend wäre, wüßte man nicht, daß er über Tausende von Mordopfern lacht.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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