Streitpunkt E. - René Bote - E-Book

Streitpunkt E. E-Book

René Bote

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Beschreibung

Wenn Jette und Vivian aufeinandertreffen, genügt ein winziger Funke, damit es direkt zu einem großen Streit kommt. Warum? Das wissen sie selbst nicht ganz sicher. Trotzdem will Jette den Schritt zur Versöhnung wagen - nicht ahnend, was sie damit lostritt. Plötzlich wird aus dem Streit sogar ein Fall für die Polizei!

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Seitenzahl: 86

Veröffentlichungsjahr: 2025

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An die Tür zum Klassenzimmer der 8c hätte an diesem Morgen mal wieder ein Warnschild gehört: Vorsicht, Hochspannung! Lebensgefahr! Drinnen wurde heftig diskutiert, mit hitzigen Wortgefechten, die mitunter auch persönlich wurden.

Das Thema, um das es ging, sah gar nicht so kontrovers aus. Die Schule hatte nach den Weihnachtsferien gerade wieder begonnen, und der Klassenlehrer hatte um Vorschläge für einen Ausflug gegen Ende des Schuljahres gebeten. Den Rahmen steckte der Lehrplan ab, ein Tagesausflug, dessen Ziel sich irgendwie mit den Unterrichtsinhalten in Verbindung bringen ließ. Herr Albrecht wollte diesen Ausflug jedoch so gestalten, dass auch der Spaß nicht zu kurz kam und die Freude nicht nur daher rührte, dass dafür der reguläre Unterricht ausfiel.

Dass dabei auch unbrauchbare Vorschläge kommen würden, war Herrn Albrecht klar gewesen. Manches ließ sich beim besten Willen nicht mit dem pädagogischen Auftrag vereinbaren, anderes war schlicht zu weit weg für einen Tagesausflug oder kaum mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar; einen Bus zu mieten, saß bei der geringen Summe Geld, die die Schule bereitstellte, nicht drin.

Die Vorschläge, die unmöglich durchzuführen waren, wurden aussortiert, bei anderen zeichnete sich deutlich ab, dass sie in der Klasse keine Mehrheit finden würden. So blieben am Ende zwei Vorschläge übrig, zwischen denen eine Entscheidung fallen musste: das Römer-Museum in Xanten und ein Museum in Altena, das sich mit der Drahtherstellung in Westfalen befasste.

Das Römer-Museum kannte Herr Albrecht, beim Drahtmuseum musste er sich weitestgehend auf die Beschreibung verlassen. Er sah aber keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Vivian, die den Vorschlag gemacht hatte, mit ihrer Einschätzung, was den Weg betraf, richtig lag. Auch ein Bogen zum Unterricht ließ sich von dort aus schlagen, das galt auch fürs Römer-Museum. Das waren zwar beides keine aktuellen Unterrichtsthemen, aber so eng brauchte man das auch nicht zu sehen.

Was die Diskussion so hochkochen ließ, war die Tatsache, dass der zweite Vorschlag von Anisa gekommen war, die wiederum gut mit Henriette befreundet war. Henriette, von den meisten Jette genannt, trat deshalb natürlich für das Römer-Museum ein, und das konnte nicht gutgehen, wenn Vivian die Gegenposition vertrat. Herr Albrecht musste als Lehrer beide neutral behandeln, aber er hatte natürlich trotzdem einen persönlichen Eindruck von ihnen. So, wie er es sah, waren beide sehr in Ordnung, aber miteinander konnten sie irgendwie nicht. Warum, wusste er nicht, es war schon so gewesen, als er die Klasse zu Beginn des Schuljahres als Klassenlehrer übernommen hatte. Entweder stimmte einfach die Chemie nicht zwischen Jette und Vivian, das gab es ja manchmal, oder es war vor seiner Zeit als ihr Klassenlehrer etwas vorgefallen.

***

Die Diskussion hätte noch lange weitergehen können, aber Herr Albrecht wollte eine Entscheidung haben. Der Ausflug musste schließlich auch vorbereitet werden, und er wollte nicht in Stress kommen, weil er zu spät damit anfing. Fünf Minuten vor dem Klingeln unterbrach er daher die Debatte und ließ abstimmen, ob es nach Xanten oder Altena gehen sollte.

Am Ende setzten sich die, die für das Drahtmuseum waren, knapp durch. Das Römer-Museum kannten einige in der Klasse schon, gut möglich, dass ein paar davon lieber etwas Neues entdecken wollten. Andere spekulierten garantiert darauf, dass der Klassenlehrer keinen langen Vortrag halten konnte, wenn er das Museum selbst noch nicht kannte. Damit konnte Herr Albrecht leben, er hatte ohnehin vor, die Jungen und Mädchen das Museum weitestgehend auf eigene Faust erkunden zu lassen. Dass sie das auch taten und hinterher bei der Nachbesprechung des Ausflugs etwas zu sagen hatten, setzte er voraus, das wussten die Jugendlichen.

Die meisten in der Klasse schienen mit dem Ausgang der Abstimmung einigermaßen gut leben zu können. Ausflug war Ausflug, das sahen auch die so, die für Xanten gestimmt hatten. Deshalb gab es auch kein großes Gemecker, zumal ja auch ausgiebig diskutiert worden war.

Einzig Jette sandte Vivian einen Blick zu, der schärfer war als eine Damaszener-Klinge. „Toll gemacht!“, zischte sie ihrer Kontrahentin zu. Verstehen konnte die das garantiert nicht, die beiden Mädchen saßen so weit voneinander entfernt, wie es das Klassenzimmer hergab. Aber Vivian sah die Mundbewegungen und konnte sich leicht ausrechnen, dass es alles andere als eine Freundlichkeit war. Warum konnte die nicht einfach mal was akzeptieren, ohne nachzutreten? Sie hatten beide erklärt, was für ihren Vorschlag sprach, die Klasse hatte entschieden, das konnte man doch einfach mal hinnehmen! Aber das war offensichtlich zu viel verlangt von Jette, und Vivians Vorfreude auf den Ausflug war schon wieder dahin.

***

Jette hatte sich selbst am Nachmittag noch nicht wieder beruhigt. Sie war sauer auf Vivian, sauer auf die Klassenkameraden, die für deren Vorschlag gestimmt hatten, sauer auf Altena, weil es existierte und Xanten Konkurrenz machte.

Doch je länger sie darüber nachdachte, desto mehr wurde ihr bewusst, dass es nicht die verlorene Abstimmung war, die ihr nachhing. Es war vielmehr das Verhältnis zu Vivian als Ganzes, das ihr aufs Gemüt schlug. Wann immer sie miteinander zu tun hatten, gab es Streit, selbst um Nichtigkeiten. Beide hatten deswegen sogar schon Einträge ins Klassenbuch bekommen.

Wann hatte das eigentlich angefangen? Als sie sich kennengelernt hatten, am Anfang der Fünften, war es noch nicht so gewesen, da war Jette sicher. Viel zusammen gemacht hatten sie schon damals nicht – Jette kannte Anisa schon seit dem Kindergarten und hatte sich schnell mit Rieke angefreundet, Vivian war bald ziemlich eng mit Nina und Frieda gewesen. Aber sie waren miteinander ausgekommen und hatten vernünftig miteinander geredet.

Sie versuchte, den Zeitpunkt einzukreisen, einen Auslöser zu finden. Es musste am Anfang der Siebten gewesen sein, gab es da etwas? Was war damals los gewesen in der Klasse? Am Anfang des Schuljahres hatten sie einen Neuen bekommen, Jannis, der die Versetzung nicht geschafft hatte; er hatte nicht viel darüber gesprochen, warum, aber es war wohl so, dass seine Mutter schwer krank gewesen war, und er hatte in dieser Zeit so viel Unterricht verpasst, dass er den Rückstand nicht rechtzeitig hatte aufholen können. Aber Jette hatte mit ihm nie viel zu tun gehabt, und Vivian nach allem, was sie wusste, auch nicht. Er hatte sich mit ein paar von den Jungen angefreundet, Alexandra, die weder mit Jette noch mit Vivian besonders eng war, hatte ein paar Wochen erfolglos für ihn geschwärmt, mehr war da nicht.

Aber irgendwas mit einem Jungen … Der Gedanke ließ etwas klingeln bei Jette, aber sie brauchte einen Moment, bis sie es wirklich zu fassen bekam. Die Klassenfahrt! Elia!

Im Herbst des Vorjahres war die Klasse, damals noch als 7c, für eine Woche ins Münsterland gefahren. Alle 7. Klassen waren irgendwann in der Zeit auf Klassenfahrt gewesen, das war an ihrer Schule die Regel. In der Jugendherberge, in der Jette und ihre Klassenkameraden damals gewesen waren, war zu der Zeit auch noch eine andere Klasse gewesen, ebenfalls eine 7., die von irgendwo am Niederrhein kam. Kontakte hatten sich kaum vermeiden lassen: Beim Frühstück und Abendessen hatten sie im selben Raum gesessen, und auch die Duschräume, die Wiese vor dem Haus, die Tischtennisplatte und den Bolzplatz hatten sie sich mit der anderen Klasse geteilt.

Und dann war da eben Elia gewesen, einer der Jungen aus der anderen Klasse. Jette hatte ihn schon fast wieder vergessen, sein Interesse an ihr war damals eine komplett einseitige Sache gewesen. Er war wohl ganz okay gewesen, soweit Jette das nach der flüchtigen Begegnung sagen konnte, mehr aber auch nicht. Sie hatte schnell gemerkt, dass er versuchte, ihr näherzukommen, war aber nicht darauf eingegangen. Dass er sich im Essraum einen Platz in ihrer Nähe gesucht hatte, hatte sie nicht weiter gestört, genauso wenig wie sein Bemühen, sich beim Rundlauf an der Tischtennisplatte vor oder hinter ihr einzureihen.

Im Nachhinein wurde ihr klar, dass er bei Vivian bessere Chancen gehabt hätte. Wie ernst deren Interesse gewesen war, konnte Jette nicht beurteilen, aber zumindest war es da gewesen. War das der Auslöser, den sie suchte? Dass Vivian was von Elia gewollt, der aber auf sie, Jette, gestanden hatte?

Wenn es so war, dann hatte Jette sich objektiv nichts vorzuwerfen. Dafür, dass Elia sich für sie interessiert hatte, konnte sie nichts, sie hatte auf jeden Fall nichts getan, um sich für ihn interessant zu machen. Aber hatte das für Vivian vielleicht anders ausgesehen? Weil sie nicht mitbekommen hatte, wie wenig sie, Jette, auf Elias Interesse reagiert hatte? Vielleicht auch, weil ihre Gefühle ihr etwas eingeredet hatten, was gar nicht gewesen war, und glaubte, Elia wäre ihr „weggeschnappt“ worden? Das war natürlich Unsinn, und selbst wenn Jette nicht da gewesen wäre, war zweifelhaft, ob Elia sich dann für Vivian interessiert hätte. Aber danach fragten Gefühle wohl nicht.

Wenn Jette recht hatte, war der Streit zwischen ihr und Vivian wohl auch das Einzige, was ihnen beiden von Elia noch geblieben war. Jette glaubte nicht, dass Vivian Elia noch nachtrauerte, nur die Wut auf die Klassenkameradin war geblieben. Sie überlegte, ob es besser gewesen wäre, wenn sie Elia gesagt hätte, dass er sie in Ruhe lassen sollte. Allein, er hatte ihr eigentlich keinen Grund dazu gegeben, er war nicht aufdringlich gewesen, auch wenn er ihre Nähe gesucht hatte. Vielleicht wäre es für Vivian ein bisschen einfacher gewesen, auch wenn es ihre eigenen Chancen wahrscheinlich kein Stück verbessert hätte. Und es konnte auch sein, dass sie es eigentlich gewusst hatte, dass sie sich aber etwas anderes eingeredet hatte, um ihre Enttäuschung zu kanalisieren. So oder so: An der Sache damals würde Jette nichts mehr ändern können, aber es wurde höchste Zeit, sie aus der Welt zu schaffen.

***

Auch wenn es schwerfiel, versuchte Jette, schnell den ersten Schritt zu machen. Ihr war klar, dass es nicht leichter werden würde, wenn sie es vor sich herschob; ganz im Gegenteil.

Am nächsten Morgen blieb sie am Eingang des Schulhofs stehen und wartete auf Vivian. Die kam immer mit demselben Einsatzwagen, so war es nicht schwer, sie abzupassen. Ein paar Minuten blieben Jette noch, nach Fahrplan hätte der Bus zwar gerade kommen müssen, aber sie konnte sich nicht entsinnen, dass er mal nicht fünf oder sechs Minuten Verspätung gehabt hätte.

Dann war auch diese Schonfrist vorbei. Der Bus erreichte die Haltestelle, und gleich darauf strömte ein Pulk Schüler aller Jahrgangsstufen auf den Schulhof. Vivian war mittendrin, zusammen mit Frieda, die ein paar Haltestellen vor ihr einstieg.

Jette atmete tief durch und stürzte sich dann ins Getümmel. Schräg zur Laufrichtung der Masse bahnte sie sich den Weg zu ihren Klassenkameradinnen.