Stronger Than Ever - Larissa Schira - E-Book + Hörbuch

Stronger Than Ever Hörbuch

Larissa Schira

0,0

Beschreibung

Sie will am liebsten unsichtbar sein. Er liebt das Rampenlicht. Jetzt müssen sie zusammenarbeiten …  Unwiderstehlicher New Adult Roman voller Spannung und Sehnsucht über eine scheinbar unmögliche Workplace-Romance von der erfolgreichen New-Adult-Newcomerin.  Die schüchterne Social-Media-Volontärin und der berühmte True-Crime-Podcaster könnten unterschiedlicher nicht sein. Und haben doch mehr gemeinsam als alle denken!  Ausgerechnet Josie soll die Verwaltung der Social-Media-Kanäle der Redaktion übernehmen. Dabei vermeidet sie im echten Leben meist soziale Interaktionen und ist sehr schüchtern, was ihr die Arbeit zusätzlich erschwert. Zu allem Überfluss wird ihr der True-Crime-Podcaster Ryan an die Seite gestellt, der Josie mit seiner ruhigen, aber herausfordernden Art noch nervöser macht. Als dann auch noch online ein Shitstorm losbricht, den Josie in den Kommentaren ungefiltert abbekommt, ist sie völlig überfordert. Doch mit Hilfe der Redaktionspsychologin erkennt sie, dass es Zeit für sie wird,  sich ihren offenen Themen zu stellen - und den immer stärker werdenden Gefühlen für Ryan. Die Geschichte von Josie und Ryan ist perfekt für dich, wenn du diese Tropes liebst:  - Workplace-Romance - Slow Burn - Opposites Attract

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:10 Std. 43 min

Sprecher:Marian FunkTami Fischer
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Unsere eBooks werden auf kindle paperwhite, iBooks (iPad) und tolino vision 3 HD optimiert. Auf anderen Lesegeräten bzw. in anderen Lese-Softwares und -Apps kann es zu Verschiebungen in der Darstellung von Textelementen und Tabellen kommen, die leider nicht zu vermeiden sind. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Impressum

© eBook: 2024 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2024 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung nur mit schriflicher Genehmigung des Verlages. Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.

Projektleitung: Viola Schmid

Lektorat: Bettina Lausen

Bildredaktion: Simone Hoffmann, Petra Ender

Covergestaltung: ki36 Editorial Design, München, Bettina Stickel

eBook-Herstellung: Liliana Hahn

ISBN 978-3-8338-9553-1

1. Auflage 2024

Bildnachweis

Coverabbildung: Creative Market, iStockphoto.com

Illustrationen: GU/Kombinatrotweiss/Izabe.La; Adobe Stock; The noun project

Syndication: www.seasons.agency

GuU 8-9553 10_2024_01

Unser E-Book enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Im Laufe der Zeit können die Adressen vereinzelt ungültig werden und/oder deren Inhalte sich ändern.

Die GU-Homepage finden Sie im Internet unter www.gu.de

www.facebook.com/gu.verlag

Lust auf mehr Inhalte, die dein Herz höher schlagen lassen?

Folge uns auf @gu.newadult und freue dich auf:

exklusive Einblicke in unsere Bücher,aufregende Cover-Reveals,Autoren*innen-Insights & vieles mehr!

Garantie

LIEBE LESERINNEN UND LESER,

wir wollen Ihnen mit diesem E-Book Informationen und Anregungen geben, um Ihnen das Leben zu erleichtern oder Sie zu inspirieren, Neues auszuprobieren. Wir achten bei der Erstellung unserer E-Books auf Aktualität und stellen höchste Ansprüche an Inhalt und Gestaltung. Alle Anleitungen und Rezepte werden von unseren Autoren, jeweils Experten auf ihren Gebieten, gewissenhaft erstellt und von unseren Redakteur*innen mit größter Sorgfalt ausgewählt und geprüft. Haben wir Ihre Erwartungen erfüllt? Sind Sie mit diesem E-Book und seinen Inhalten zufrieden? Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung. Und wir freuen uns, wenn Sie diesen Titel weiterempfehlen, in ihrem Freundeskreis oder bei Ihrem Online-Kauf.

KONTAKT ZUM LESERSERVICE

GRÄFE UND UNZER VERLAG Grillparzerstraße 12 81675 Münchenwww.gu.de

Ich starre auf den kleinen Tisch zwischen uns und überlege. Eigentlich ist es immer so. Egal ob in der Uni, in der Redaktion oder auf Partys. Sobald ich etwas von mir erzählen soll, ist plötzlich nichts außer Watte in meinem Kopf. Besonders schlimm, wenn Ryan mir gegenübersteht ...

»Wenn ich so drüber nachdenke, kenne ich es eigentlich gar nicht anders. Es ist immer so. Ich rede sowieso nicht besonders viel. Ich bin eher die stille Zuhörerin.«

»Und warum bezeichnen Sie das als Problem?«

Ich schaue von der Tischplatte auf und runzle die Stirn. Was ist das denn für eine doofe Frage? »Ist das nicht offensichtlich?«

Mrs White lächelt. »Vielleicht. Ich würde es aber gerne von Ihnen hören. Mich interessiert Ihre Sicht auf die Dinge.«

»Okay. Na, weil ...« Ich stocke. Ja, warum eigentlich?

So dumm war die Frage wohl doch nicht.

Die Uhr über meinem Kopf tickt leise.

Ich denke an meinen letzten Arbeitstag mit Ryan. An all die Dinge, die ich ihm gerne gesagt, ihn gerne gefragt hätte.

»Weil in meinem Kopf so viel los ist. Viel mehr, als ich normalerweise rauslasse. Aber manchmal würde ich das doch gerne mit jemandem teilen. Vor allem mit den richtigen Menschen.« Habe ich das gerade wirklich ausgesprochen? Einfach so, ohne groß darüber nachzudenken?

Für alle, deren Gedanken zu bunt sind, um ihnen mit Worten gerecht zu werden.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ich freue mich von ganzem Herzen, dass ihr mein Buch in den Händen haltet. Bevor ihr in die Geschichte von Josie und Ryan eintaucht und euch in den Straßen Londons verliert, ein wichtiger Hinweis:

Es ist möglich, dass mein Buch Themen enthält, die euch beschäftigen. Deshalb findet ihr auf > eine Liste mit den sensiblen Themen. Achtung: Diese enthält Spoiler für die gesamte Geschichte.

Die psychologischen Ratschläge in meinem Buch, die dazu dienen, meinen Charakteren das Leben zu erleichtern, wurden von meiner lieben Kollegin Pia Kabitzsch sorgfältig geprüft. Pia ist Psychologin, Speakerin und Bestseller-Autorin. Danke für deine Unterstützung, liebe Pia!

Ich wünsche euch viel Freude beim Lesen – passt gut auf euch auf!

Eure Larissa & euer GU-Team

1. KAPITEL

Josie

»Kannst du einen Handstand?«

Ich habe zwar damit gerechnet, dass man mich an meinem ersten Arbeitstag mit Fragen bombardieren wird – aber definitiv nicht mit dieser.

»Äh …«

Die platinblonde junge Frau mit den Tattoos, die ungefähr in meinem Alter sein muss, schaut mich erwartungsvoll an und runzelt die Stirn.

Hitze steigt mir in die Wangen. »Ich … Ich glaube nicht, nein.«

»Ach, Mist! Warum kann denn hier niemand einen Handstand?« Sie rollt mit den Augen. »Wer hat sich diese bescheuerten Fragen überhaupt ausgedacht?«

»Das war dann wohl ich.«

Mein Gegenüber zuckt zusammen, als Mrs Dawson hinter ihr hervortritt und sich zu uns stellt. Dem entsetzten Gesichtsausdruck der blonden Frau nach zu urteilen, ist Mrs Dawson auch ihre Vorgesetzte.

»Sie haben es sich mit Ihrer Stelle wohl nochmal anders überlegt?«, fragt Mrs Dawson und streicht sich eine dunkle Strähne zurück, die sich aus dem Haarknoten gelöst hat.

Obwohl sie nicht mich gemeint hat, schrumpfe ich ein Stück. Ich umklammere den Zettel in meiner Hand so fest, dass er am Rand knittert. Was für ein grandioser erster Tag. Erst dieser dämliche Bingo-Bogen und jetzt auch noch eine so unangenehme Situation. Ob sie bemerken, wenn ich einfach ein paar Schritte zurückmache, unauffällig aus dem Konferenzraum verschwinde und nie wieder auftauche?

Die Blonde reißt die Augen auf, beißt sich aufs Lippenpiercing und schüttelt den Kopf.

»Nein, nein, das war nicht böse gemeint, Mrs Dawson, das dürfen Sie nicht falsch verstehen, ich …«

Mrs Dawson lacht auf und wirft dabei den Kopf in den Nacken. »Ach, nimm mich doch nicht gleich so ernst! Ich hab mir nur einen kleinen Spaß erlaubt.«

Ich wechsle einen verwirrten Blick mit der jungen Frau.

»Und bitte, redet nicht so förmlich mit mir. So alt bin ich schließlich auch noch nicht.«

Ihre offene Art macht mir Mut. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich es jemals schaffen werde, meine Vorgesetzte genauso locker anzusprechen wie meine Kolleginnen und Kollegen. Vor allem, wenn sie gleichzeitig die wohl eleganteste Mittvierzigerin ist, die ich je gesehen habe. Neben ihr komme ich mir in meinem schlichten braunen Kostüm richtig underdressed vor.

Mrs Dawson sieht zwischen der anderen jungen Frau und mir hin und her. »Aber wie ich sehe, habt ihr euch schon kennengelernt?«

Ich schüttle den Kopf.

»Noch nicht ganz. Alles, was ich bisher über sie weiß, ist, dass sie keinen Handstand machen kann«, sagt meine Kollegin.

Ich höre einen kleinen Vorwurf wegen der dämlichen Fragen aus ihrer Stimme heraus. Doch Mrs Dawson scheint es entweder nicht zu bemerken oder bewusst zu ignorieren.

»Das ist Josie.« Mrs Dawson deutet auf mich.

Die Frau mit den Tattoos mustert mich neugierig.

Wird es hier drin immer wärmer oder bilde ich mir das bloß ein? Eigentlich ist der Konferenzraum trotz der breiten Fensterfront, durch die die noch kräftigen Strahlen der Septembersonne fallen, gut klimatisiert. Ich weiß nicht, wohin ich schauen soll, hebe verlegen die Hand zum Gruß und nicke knapp.

»Und das ist Alice. Ihr habt heute nicht nur beide euren ersten Tag, sondern auch genau den gleichen Zeitraum für euer Volontariat.«

Alice strahlt mich an. »Cool! Dann können wir uns ja zusammen durchschlagen.«

Ich atme auf. So werde ich immerhin nicht die Einzige sein, die in den nächsten Tagen neugierige Blicke und unzählige Fragen abbekommt – und keinen Plan hat, was sie hier überhaupt erwartet. »Klar, klingt super.«

»Dachte ich mir doch, dass ihr euch verstehen werdet.« Mrs Dawson klopft uns beiden auf die Schulter. »Ich musste euch für den Anfang leider in unterschiedliche Bereiche einteilen – aber ihr habt trotzdem ein paar Schnittpunkte, bei denen ihr super zusammenarbeiten könnt.«

»Welche Bereiche sind das denn?«, frage ich vorsichtig.

»Das verrate ich euch später.« Sie wirft einen Blick auf ihre Smartwatch. »Jetzt solltet ihr euch lieber beeilen. Die Runde läuft nur noch fünf Minuten und wenn ihr weiter hier rumsteht, gewinnen die anderen!«

Während ich es sogar begrüßen würde, nicht zu gewinnen, dreht sich Alice sofort um und läuft mit federnden Schritten zu der Gruppe drei älterer Kolleginnen, die in einen Plausch vertieft sind, statt sich um ihren Bingo-Bogen zu kümmern.

Mrs Dawson wendet sich ebenfalls ab. Unschlüssig stehe ich mitten im Konferenzraum, trete von einem Fuß auf den anderen und lasse den Blick über meine neuen Kollegen schweifen. Einige sitzen entlang des riesigen Eichenholztisches, andere stehen mit einer Kaffeetasse und ihren Bingo-Zetteln in der Hand zwischen den modernen Kunstdrucken an der Wand.

Wen von ihnen soll ich ansprechen? Mein Herz trommelt einen nervösen Takt. Die Frau im Hosenanzug, die am Fensterbrett lehnt und sich mit einem hochgewachsenen Mann unterhält, sieht nett aus.

»Hey!«

Ich zucke zusammen, als ich den glatzköpfigen Mann neben mir entdecke. »Ich bin Peter. Hast du noch offene Punkte? Dann schieß los.«

Unwillkürlich frage ich mich, ob er wohl einen Handstand hinkriegen würde. Wahrscheinlich nicht.

»Oh, hey, Peter«, erwidere ich, vermeide es aber vehement, ihm in die Augen zu sehen. Stattdessen starre ich lieber auf den Zettel in meiner Hand. »Ich bin Josie. Hast du zufällig …« Hektisch überfliege ich all die möglichen Fragen. Nein, ich werde ganz sicher keinen fremden Mann um die fünfzig ausquetschen, ob er früher gern im Sandkasten Kuchen gebacken hat oder mit seinen Ohren wackeln kann.

»Ja?«, hakt er nach und runzelt die Stirn.

Endlich entdecke ich eine unverfängliche Frage. »Hast du mehr als drei Geschwister?«

»Oh, nein, ich habe nur eine Schwester. Wohnt mit ihrer Familie in Cornwall. Da komm ich auch her, weißt du? Bin aber seit 2005 hier in London. Extra für die London Lens hergezogen. Ist einfach das beste Magazin der Welt.«

Ich zwinge mich, ihn anzusehen und lächle. »Cool!« Das ist das Einzige, was mir dazu einfällt.

Mein Gott, wenn das so weitergeht, werden mich bald alle entweder für dumm oder für unglaublich überheblich halten. Dabei stimmt das gar nicht. Small Talk befindet sich für mich gemeinsam mit Stechmücken und Oliven allerdings unter den Top 3 der Dinge, die wohl direkt aus der Hölle in unsere Welt herübergeschwappt sein müssen.

Wehmütig schaue ich zu Alice, die sich mit ausladenden Gesten mit den anderen Kolleginnen unterhält und alle zum Lachen bringt. Warum fällt ihr das so leicht?

Ich muss mich unbedingt zusammenreißen und ein bisschen lockerer werden. Einfach das tun, was sie macht. So schwer kann das doch nicht sein. Alle hier sind unglaublich nett und niemand wird mich rausmobben, selbst wenn ich herumstottere. Eigentlich kann ich nichts falsch machen. Außer wenn ich nichts tue …

»Und du? Hast du Geschwister?« Peters halbherziger Versuch, mich aus der Reserve zu locken, hilft leider nicht wirklich weiter.

»Nee, ich …«

»Bingo!«, ruft Alice plötzlich durch den Raum und reckt triumphierend die Faust in die Luft.

Ich atme auf. Peter macht einen Schritt zurück und scheint unser Gespräch ebenfalls als beendet anzusehen.

»Dann haben wir wohl unsere Gewinnerin. Herzlichen Glückwunsch, Alice!« Mrs Dawson kontrolliert ihren Bingo-Zettel, zieht dann ein Päckchen mit einer goldenen Schleife aus ihrer Aktentasche und überreicht es Alice.

Diese deutet eine Verbeugung an, öffnet es aber nicht, sondern legt es neben ihren nietenbesetzten schwarzen Rucksack auf den Boden.

»Damit wären wir mit unserer kleinen Kennenlernrunde auch schon am Ende. Ich wünsche euch allen einen erfolgreichen und stressfreien Wochenstart. Und Alice, Josie, Alex und Rachel … Ihr bleibt natürlich erst mal hier.«

Die anderen applaudieren stürmisch, als hätte Mrs Dawson verkündet, dass alle eine Gehaltserhöhung bekommen. Ich beuge mich dem Gruppenzwang und steige mit ein.

Während die meisten aus dem Raum strömen, setze ich mich neben Alice ans vordere Ende des Konferenztisches. Gegenüber von uns nehmen eine Kollegin und ein Kollege Platz, die ich auf Mitte dreißig schätze. Das dürften wohl Alex und Rachel sein. Rachels ehrliches Lächeln ist mir sofort sympathisch.

Auch wenn dieses Kennenlern-Bingo ein furchtbarer Einstieg in meinen ersten Arbeitstag war, kann ich es kaum erwarten, meinen Aufgabenbereich zugeteilt zu bekommen. Allein der Gedanke daran, dass die London Lens mich aus den unzähligen Bewerbungen aus aller Welt für eine der Volontariatsstellen ausgewählt hat, erfüllt mich mit Ehrfurcht und Stolz zugleich.

In schlaflosen Nächten habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, was sie in mir gesehen haben. Waren es nur meine guten Noten im Studium oder haben meine Artikel sie überzeugt?

Aber egal, was es war: Nun habe ich endlich die Möglichkeit, all das umzusetzen, wovon ich in den letzten Jahren geträumt habe. Nicht wie in meinen bisherigen Praktika langweilige Lifestyle-Berichte über die neueste Haarfarbe einer drittklassigen TV-Moderatorin oder einen Auffahrunfall auf der Albany Street schreiben, sondern Artikel, die etwas verändern. Recherchen, die mich herausfordern.

Auch wenn Mrs Dawson mich sicher nicht direkt mit einem eigenen Investigativfall betraut, kann ich es kaum erwarten, meinen neuen Kollegen über die Schulter zu sehen, alle Abläufe kennenzulernen und dabei meine eigenen Techniken zu perfektionieren. Wo ich wohl als Erstes hineinschnuppern darf? Ein Skandal über einen Lokalpolitiker? Oder ein neuer Online-Scam, der auseinandergenommen wird?

Mrs Dawson setzt sich ans Kopfende, wirft einen Blick in die drei Tassen vor ihr und schlürft die Reste aus dem einzigen Cappuccino, von dem noch mehr als Milchschaum übrig ist. »Alex und Rachel werden euch durch eure ersten Wochen in der Redaktion begleiten. Sie zeigen euch die Abläufe, teilen euch eure Aufgaben zu und sind eure Ansprechpartner für alles.«

Rachel nickt. »Wenn ihr Fragen habt oder Hilfe braucht, scheut euch nicht, zu uns zu kommen. Ich weiß noch ziemlich gut, wie es sich angefühlt hat, neu zu sein. Damals dachte ich, ich muss alles auf Anhieb perfekt hinkriegen, bevor ich es jemandem zeige. Aber diesen Anspruch hat hier niemand an euch. Wir sind ein Team, okay?«

Ihre ruhige Stimme und die lieben Worte schaffen es tatsächlich, mir einen Teil meiner Anspannung zu nehmen.

Ich bezweifle zwar, dass ich es über mich bringen würde, sie oder Alex um Hilfe zu bitten, aber allein das Wissen, ich könnte es, beweist mir erneut, dass ich mit meiner Bewerbung bei der London Lens alles richtig gemacht habe.

Alice tippt unruhig mit den blauen Fingernägeln auf die Tischplatte und wendet sich Mrs Dawson zu. »Sehr cool. Aber was ist mit den Arbeitsbereichen, von denen du vorhin gesprochen hast?«

Mrs Dawson grinst. »Du kannst es wohl gar nicht erwarten loszulegen, hm?« Sie beugt sich vor und lässt den Blick zwischen Alice und mir hin- und herschweifen.

Mein Herz beschleunigt seinen Takt. Schade. So leicht lässt sich meine Nervosität wohl doch nicht verscheuchen. Aber das liegt nicht nur an mir, oder? Alice ist sicher genauso aufgeregt, endlich zu erfahren, was sie hier in den nächsten Monaten erwarten wird.

»Du hast in deinem Bewerbungsgespräch so begeistert erzählt, wie spannend du die Geschichte Londons findest und dass du erst mal diese Führung durch die Foodszene gemacht hast. Also habe ich dir eine Stelle im Kultur-Team eingerichtet. Du wirst Alex und seine Kollegen unterstützen, den neuesten Stoff zu finden und möglichst publikumswirksam aufzubereiten. Gerade sind sie an einem Skandal rund um einen Handelsring mit gefälschten Kunstwerken dran. Wäre das was für dich?«

Alice strahlt breiter als die Morgensonne, die so grell durch die Glasfront scheint, dass ich die Augen zusammenkneifen muss, wenn ich Mrs Dawson ansehe. »Mega! Ich meine … vielen Dank. Das ist genau das, was ich mir gewünscht habe.«

Ich kann es nicht mehr abwarten. Was hat sie für mich geplant? Im Kopf gehe ich das Bewerbungsgespräch durch. Abgesehen von ihren Ermutigungen, mehr von mir zu erzählen und mehr aus mir herauszukommen, erinnere ich mich an wenig. Erst recht nicht daran, über meine Interessen gesprochen zu haben.

Sofort bereue ich es. So kann sie überhaupt nicht wissen, wofür ich brenne. Allerdings scheint sie ein feines Gespür für Menschen zu haben. Alice hat sie offensichtlich auch anhand eines kurzen Bewerbungsgesprächs durchschaut. Vielleicht hat sie also trotzdem etwas gefunden, wo ich gut hineinpasse.

»Und für dich, Josie, habe ich eine ganz besondere Stelle. Deine ruhige und besonnene Art hat mir gleich gezeigt, dass du damit umzugehen weißt. Du erhältst von mir eine Aufgabe mit viel Verantwortung. Aber auch eine, bei der du die Chance hast, etwas aus dir herauszukommen und deine Persönlichkeit zu zeigen.«

Oh Gott. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Das geht in eine ganz falsche Richtung. Ob es unhöflich ist, jetzt schon abzulehnen? Und kann ich überhaupt ablehnen?

»Du wirst unser neues Social-Media-Team aufbauen und unsere Online-Auftritte bei Instagram und TikTok gestalten. Bisher haben wir kein spezialisiertes Team dafür, aber das Thema ist heutzutage ja sehr wichtig, und der Umfang wird langsam etwas zu groß, um das eine einzelne Redakteurin nebenbei machen zu lassen. Wir wollen das professionell angehen. Also wird deine Haupttätigkeit sein, dich um den Aufbau unserer Kanäle zu kümmern und Content zu erstellen. Ist das nicht eine wunderbar kreative Aufgabe?«

Der Konferenzraum schwankt vor meinen Augen, so schnell rauscht das Blut plötzlich durch meinen Kopf.

Zumindest kann ich mir nun sicher sein, dass sich im Vorfeld niemand die Mühe gemacht hat, mich zu googeln. Dann wüsste sie vermutlich, dass ich auf meinen Social-Media-Profilen noch nie etwas gepostet habe, sondern sie nur benutze, um andere zu stalken und auf dem neuesten Stand zu bleiben. Und sogar daran scheitere ich manchmal. Wie kommt sie darauf, ich wäre gut darin, Social-Media-Content zu erstellen?

Allerdings sollte ich nicht gleich so negativ an die Sache herangehen. Sicher gibt es auch dabei Aufgaben, die mir Spaß machen. Das heißt ja nicht, dass ich mich vor die Kamera stellen und vor Tausenden Zuschauern live gehen muss.

Zögerlich nicke ich. »Ich hab ehrlich gesagt keine Erfahrung mit Content-Management. Aber das ist wohl ein Bereich, den man heutzutage beherrschen sollte.«

»Ganz genau. Deswegen wird dich Rachel etwas an die Hand nehmen und dir zeigen, worauf wir bei unserer Online-Präsenz Wert legen. Sie hat bisher ab und zu unsere Social-Media-Accounts bespielt, es aber nur nebenbei gemacht. Wir brauchen jemanden, der sich mit allen Ressourcen um die Social-Media-Kanäle kümmert.«

Ich werfe einen Blick zu Alice, die einen Kugelschreiber zwischen ihren Fingern hindurchwandern lässt und gedankenverloren daraufstarrt. Sie sieht plötzlich gar nicht mehr so unbeschwert und glücklich aus.

Ich wittere eine Chance für uns beide. Außerdem will ich es mir mit ihr nicht gleich am ersten Tag verscherzen. Es wäre viel schöner, jemanden in der Redaktion zu haben, mit dem ich mich auf Augenhöhe austauschen kann, ohne Angst haben zu müssen, mich mit dummen Fragen zu blamieren.

»Ist das für dich auch okay so?«

Sie zuckt kaum merklich zusammen und reißt den Kopf herum.

Ihr Stirnrunzeln verunsichert mich sofort. Dennoch spreche ich weiter. »Ich meine, du siehst aus, als würdest du dich mit Social Media auskennen, wenn du lieber meinen Bereich übernehmen würdest, können wir sicher auch tauschen.«

»Ach, das ist total süß, dass du dir Gedanken machst, aber ich bin mit meinem Bereich sehr glücklich.«

»Und es ist ja auch nicht für immer«, erwidert Mrs Dawson. »Es sind nur die ersten drei Monate. Danach tauscht ihr durch, schnuppert auch mal in andere Teams rein. Ihr werdet alles ausprobieren können, was euch interessiert, keine Sorge.« Sie greift erneut nach einem der Cappuccinos und führt die Tasse an ihre Lippen. Allerdings fließt wohl nichts mehr heraus. Seufzend stellt sie die Tasse wieder ab.

Sie klopft mit den Händen auf die Knie. »Dann ist so weit alles klar, oder? Rachel und Alex können euch noch ein wenig herumführen.«

Abgesehen davon, dass ich bis auf ein mulmiges Gefühl im Bauch nicht viel aus diesem Gespräch mitgenommen habe, ja. Ich weiß immer noch nicht, was mich erwartet. Nur, was mich definitiv nicht erwartet: coole Recherchen, die sich nicht nur auf den Schreibtisch beschränken, spannende Artikel zu schreiben und tagelang im Sog eines aufregenden Investigativfalls zu versinken. Stattdessen fühlt es sich an, als hätte Mrs Dawson mir verkündet, in der Kantine ein Jahr lang nur die aufgewärmten Reste der anderen vorgesetzt zu bekommen.

Aber ich darf den Kopf nicht schon am ersten Tag in den Sand stecken. Wenn ich erst mal gute Arbeit geleistet habe, kann ich es vielleicht wagen, um eine Versetzung in ein anderes Team zu bitten.

»Wir werden schon irgendwie reinkommen«, antwortet Alice.

Mrs Dawson steht auf und nickt uns noch mal aufmunternd zu.

»Das werdet ihr, da bin ich mir sicher. Und damit noch mal herzlich willkommen bei London Lens.«

2. KAPITEL

Ryan

Der Fahrer öffnet mir die Tür. Instinktiv kneife ich die Augen zusammen, als das Blitzlichtgewitter über mich hereinbricht. Verdammt, ist das hell! Ich zwinge mich, die Lider wieder aufzureißen, setze das Zahnpastalächeln auf, das Harold mir beigebracht hat, und springe aus dem weißen Jaguar.

Sofort wird es dunkler. Nicht dass meine Augen sich so schnell an die Blitze gewöhnt hätten. Die Reporter haben nur aufgehört zu fotografieren. Sie scheinen bemerkt zu haben, wen sie vor sich haben. Oder eher das Gegenteil davon – dass sie keinen blassen Schimmer haben, wer dieser herausgeputzte Kerl im königsblauen Smoking ist.

Ihren enttäuschten Gesichtern nach zu urteilen, tippen die meisten wohl auf ein verwöhntes Millionärssöhnchen. So leicht lasse ich mich aber nicht beirren. Ich setze ihrer Enttäuschung ein freundliches Nicken entgegen, warte, bis Nick hinter mir vom Rücksitz gerobbt ist, und wünsche den Fotografen einen guten Abend, während ich langsam den roten Teppich entlangschreite.

So unangenehm. Was hat Harold sich nur dabei gedacht, nicht nur für diese Premiere, sondern auch für den anschließenden Empfang zuzusagen, ohne mich vorher zu fragen? Ich hätte ihm gleich verraten können, wie das enden wird.

Zwei einzelne Kameras blitzen auf.

»Ryan! Mr Morley, hier drüben! Würden Sie mir eine Frage beantworten?«

Halleluja. Ich muss mich beherrschen, mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. So wird dieser Auftritt immerhin kein kompletter Reinfall werden.

Ich bleibe vor der Reporterin im schicken weißen Kleid stehen. Das plüschige Mikrofon, das sie in der Hand hält, erinnert mich an einen Staubwedel.

»Natürlich! Wie kann ich Ihnen helfen?«, frage ich so charmant wie möglich.

»Wie haben Sie den Film erlebt?«

Optimal. Darüber könnte ich stundenlang reden. »Ich fand die Umsetzung wirklich gelungen. Im Vorfeld hab ich mich schon über Wochen intensiv mit dem Fall befasst. Deswegen kann ich sagen, dass sich sowohl die Darstellung des Täters als auch der Opfer sehr nahe an den realen Personen hält. Dadurch war die Atmosphäre so dicht, erschreckend und gleichzeitig faszinierend, dass ich zwischendurch sogar vergessen habe, dass ich hier einen inszenierten Film ansehe und nicht das echte Geschehen mitverfolge.«

»Also würden Sie den Film Ihren Fans weiterempfehlen?«

»Definitiv. Ich werde in den nächsten Tagen eine ausführliche Filmreview hochladen.«

Ich suche ihre Kleidung und ihr Mikro nach einem Hinweis auf ihren Arbeitgeber ab, kann aber nichts entdecken. Egal. Hoffentlich sendet sie das einfach und erreicht wenigstens ein paar Leute damit.

»Und stimmt es, was man sich erzählt?«

Diese Frage kann nichts Gutes bedeuten. Aber ich weiß nicht genau, worauf sie anspielt. »Was erzählt man sich denn?«, frage ich so höflich, wie es nur möglich ist.

»Dass Sie und Katie ein Paar sind?«

Was … Ich brauche einen Moment zu lange, um auf diese absolut bescheuerte Frage zu reagieren.

»Ich … nein … natürlich nicht!«, rufe ich eine Spur zu laut und versuche, es mit einem Lachen zu überspielen, das jedoch so künstlich klingt, dass ich sofort verstumme.

Sie starrt mich mit großen Augen an. Hoffentlich interpretiert sie mein Gestotter nicht falsch.

Während meine Wangen zu glühen beginnen, füge ich hinzu: »Ich bin Katie vor ein paar Wochen zum ersten und einzigen Mal bei einer Gala begegnet. Wir haben ungefähr fünf Sätze miteinander ausgetauscht.« Wie kommt die Reporterin überhaupt auf die Idee, dass wir ein Paar sein könnten?

»Ach so.« Sie lässt das Mikrofon sinken. »Das war ’s auch schon. Danke für Ihre Zeit!«

Ich wende mich ab und laufe weiter, um die Hitze in meinen Wangen zurückzudrängen.

»Alter, was war das denn?«, zischt Nick von hinten.

»Diese Frage? Ach, du weißt doch, wie das läuft. Jeder will die neueste Schlagzeile entdecken.«

»Aber was soll so was denn? Versuchen die wirklich, dir mit jeder Person, mit der du mal zufällig auf einem Foto zu sehen bist, eine Lovestory anzudichten?«

Ich zucke mit den Schultern. »Vermutlich. Laut Inside London bin ich ja sogar mit Katie verlobt.«

»Welche Katie überhaupt? Katie Benson? Dieses Model?«

Ein groß gewachsener Reporter schiebt sich zwischen den anderen nach vorn und hält mir sein kleines Diktiergerät unter die Nase. So ein Ding habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen. »Ich hätte auch noch eine Frage. Woher kennt man Sie denn?«

Enttäuschung flutet meine Adern. Die einzige Frage, von der ich gehofft habe, sie heute nicht gestellt zu bekommen. Ich hätte lieber zu Hause bleiben, mich mit Chips und Cola ins Studio verziehen und für den neuen Fall weiter recherchieren sollen.

»Mein True-Crime-Podcast Secrets in the Silence wird auf der ganzen Welt gestreamt. Deswegen bin ich kurz davor, die Eine-Million-Follower-Marke bei Instagram zu knacken.«

»Also schon wieder einer von diesen Influencern«, murmelt der Reporter und drückt einen Knopf an seinem Diktiergerät.

Er kann nicht wissen, dass er damit einen wunden Punkt trifft. Ich atme tief durch und versuche, die Worte, die mir auf der Zunge liegen, hinunterzuschlucken.

Als hätte ich das jemals hingekriegt.

»Definiert sich ein Influencer nicht eher dadurch, dass er vor allem durch seine auffallende Persönlichkeit bekannt ist und nichts weiter macht, als Social-Media-Content zu produzieren?«, entgegne ich.

Der Reporter blinzelt und richtet seine altmodische Krawatte. »Also genau das, was Sie mir gerade erzählt haben.«

Ich lächle und schüttle den Kopf. »Das wird leider oft verwechselt. Aber nein. Die Leute folgen mir in den sozialen Medien, weil sie meinen Podcast mögen. Und in diesem Podcast steckt richtig viel Arbeit. Ich recherchiere teilweise wochenlang, bereite die Fälle akribisch auf und dann …«

»Ist gut, Junge. Hab schon verstanden.«

Bevor ich noch etwas erwidern kann, dreht er sich wieder um und verschwindet zwischen den anderen Journalisten. Voller Verständnislosigkeit und Frust sehe ich ihm hinterher.

Nick zieht mich sanft am Arm. »Komm, lass den einfach. Hilft doch nix.« Wie recht er damit hat.

Niemand möchte uns noch Fragen stellen, während wir den Rest des roten Teppichs überqueren und in die große Galahalle treten.

Lautes Stimmengewirr empfängt uns. Unschlüssig bleibe ich stehen und sehe mich um. Obwohl ich nicht genau weiß, wo ich hingehen soll, erkenne ich sofort, dass es sich gelohnt hat, hierherzukommen.

Die prunkvollen Kronleuchter an der hohen Decke, die jemand mit einem Kran hochgehoben haben muss, bilden einen beeindruckenden Kontrast zum modern gestalteten Empfangsbereich. Ich entscheide mich für einen der äußeren Stehtische, der mit einem weißen Tuch umspannt ist. Von dort aus kann ich gut beobachten, wer sich hier noch so herumtreibt, ohne selbst auf dem Präsentierteller zu sitzen. Erst jetzt fällt mir die seichte Klaviermusik auf, die die unzähligen Gespräche leise untermalt.

Vorsichtig ziehe ich mein Handy ein Stück weit aus der Anzugtasche. Kein verpasster Anruf, keine neue Nachricht. Trotzdem nehme ich es heraus und schieße ein paar Fotos für meine Instagram-Story, bevor ich es wieder verschwinden lasse.

Nick steht mir gegenüber, zieht die lächerlich kleine Fliege an seinem Kragen zurecht und streicht sich eine blonde Strähne aus der Stirn. »Puh, ich könnte langsam echt was zu futtern vertragen.«

Wie auf Kommando taucht ein junger Mann in einem schwarzen Anzug neben ihm auf und hält ein Tablett zwischen uns. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, er hätte sich gerade erst neben uns materialisiert.

»Canapés?«, fragt er.

Ich muss nicht lange überlegen. Beim Anblick der kleinen Häppchen zieht sich mein Magen sehnsüchtig zusammen.

Nick greift nach etwas, das wie ein Mini-Yorkshire-Pudding aussieht, und einem Garnelenspieß. Der Kellner stoppt ihn jedoch und drückt ihm zuerst ein Tuch in die Hand.

Ich lasse mir ebenfalls eines reichen, um bei den Roastbeef-Röllchen und den Gläschen mit Minilöffel und einer seltsamen, rosafarbenen Creme zuzuschlagen – die Avocadostückchen darauf wirken zu verlockend.

In weiser Vorausahnung platziere ich mein Tuch auf dem Tisch und lege die Köstlichkeiten dort ab. Nick dagegen hat den Mund voller Garnelen, als eine weitere Kellnerin herbeieilt und uns eine Auswahl an Drinks von ihrem Tablett anbietet.

Während Nick sich für Champagner entscheidet, wähle ich das alkoholfreie Getränk. Irgendwas mit Minze und Limette. Heute ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren.

»Hast du schon jemanden entdeckt?«, flüstere ich, als die Bedienungen sich zum nächsten Tisch aufgemacht haben.

»Ich? Wie denn? Alles, was ich sehe, ist dieses seltsame Gemälde hinter dir – und natürlich das wunderbarste Kunstwerk überhaupt – dein zauberhaftes Antlitz.«

Ich überlege kurz, eine Avocadospalte nach ihm zu werfen, erinnere mich aber rechtzeitig daran, wo wir gerade sind. Außerdem wäre es viel zu schade, diese perfekt gereifte Avocado wegen ihm zu verschwenden.

Wozu habe ich ihn eigentlich gecoacht?

»Hätte ja sein können, dass du beim Reingehen nicht nur Frauen auf den Hintern geguckt hast«, erwidere ich grinsend.

»Sorry, da muss ich dich leider enttäuschen. Aber es war jedenfalls kein Hintern dabei, den ich kenne.« Er grinst.

Ich lasse den Blick durch die Halle schweifen. Prominente tummeln sich hier viele, nur die berühmtesten Gäste sind offensichtlich noch nicht eingetroffen. Ich entdecke die Schauspielerin, die im Film eben noch auf brutalste Weise ermordet wurde, einen Lokalpolitiker und zwei alternde Popstars. Aber niemanden, der mir helfen könnte. Und erst recht nicht Mr Reid. Ganz toll.

»Zieh doch nicht so ein Gesicht«, sagt Nick und schneidet eine Grimasse.

»Das sagst du so leicht«, murmele ich und stochere mit dem Löffel in der rosa Pampe herum. »Du bist nicht derjenige, der bald auf der Straße sitzt.«

»Übertreib nicht.«

Ich seufze. Nein, das würde wohl nicht passieren. Dennoch ist mein Appetit verpufft. »Hab ich aber leider schon.« Und das nicht gerade wenig.

Um genau zu sein, könnte dieses blöde Penthouse-Apartment die dümmste Entscheidung meines Lebens gewesen sein. Und außer meinem Dad, der grundsätzlich gegen alles ist, was ich tue, und damit schon lange seine Glaubwürdigkeit verspielt hat, hat nicht mal jemand versucht, mich aufzuhalten.

Mein ganzes Vermögen steckt in dieser Bude. Wenn es so weitergeht und nicht bald neue Werbedeals reinkommen, kann ich sie nicht mal mehr halten. Alles umsonst. Die wochenlange Arbeit beim Einrichten und Umziehen, all die Hoffnungen und Träume, das schöne neue Studio, in dem ich so viel entspannter arbeiten kann als zuvor in meinem WG-Zimmer … alles weg. Denn meinen Dad um Geld anzubetteln, kommt auf keinen Fall infrage. Diese Blöße werde ich mir garantiert nie mehr geben.

Nervös ziehe ich mein Smartphone aus der Anzugtasche und checke erst meine Nachrichten, dann meinen Instagram-Account. Einige Verlinkungen sind in der letzten Stunde neu dazugekommen.

»Leg das doch mal weg. Wenigstens hier!«, sagt Nick und seufzt.

»Gleich. Ich muss nur noch kurz was checken.«

Doch bevor ich mir die Verlinkungen ansehen kann, verpasst mir Nick unter dem Tisch einen Tritt. »Reid auf vier Uhr!«

Ich lasse das Handy sinken und schaue auf. »Da hinten?« Ich deute mit dem Daumen über die Schulter zur Mauer. »Er sieht zwar schon aus wie ein Geist, aber durch Wände gehen kann er, soweit ich weiß, trotzdem noch n…« Ich verstumme schlagartig, als Mr Reid tatsächlich in meinen Augenwinkeln auftaucht. Allerdings aus der anderen Richtung. Eilig lasse ich das Smartphone zurück in die Tasche gleiten.

»Mein vier Uhr, dein zehn Uhr, du Vollidiot!«, presst Nick leise zwischen den Zähnen hervor, während er schon ein unverfängliches Lächeln aufgesetzt hat.

Immerhin scheint Mr Reid nicht gehört zu haben, was ich über ihn gesagt habe. Er bleibt zwischen Nick und mir stehen und ergreift meine Hand sofort, als ich sie ihm entgegenstrecke. So muss sich der Händedruck eines Skeletts anfühlen. Wenn es so weitergeht, kann er bald vielleicht doch durch Wände laufen. Auf seinem mit Altersflecken bedeckten Kopf befinden sich nur noch ein paar Haare, die er von einer Seite zur anderen gekämmt hat.

»Guten Abend, Mr Reid. Wie schön, Sie hier zu treffen!«

»Mr Morley, darf ich Ihnen meine Frau vorstellen?«

Er streckt die ledrige Hand nach hinten und zieht eine Dame in einem rosa Kostüm an seine Seite. Zu meiner Überraschung ist sie mindestens genauso alt wie er und nicht dreißig bis fünfzig Jahre jünger. Ihre blonden Locken stehen von ihrem Kopf ab, als wäre sie unter der Föhnhaube eingeschlafen.

Ich lächle ihr freundlich zu. »Schön, Sie kennenzulernen, Ma’am!«

Sie mustert mich mit unverwandter Miene. »Ja«, sagt sie nur.

Wahrscheinlich hat das nichts zu bedeuten. Vielleicht ist sie nur ein bisschen wortkarg. Trotzdem werden meine Handflächen sofort feucht. Gibt es ein Problem? Weiß sie mehr als ich?

Ich will gerade Nick vorstellen, als Mr Reid sich an ihn wendet. »Würden Sie uns einen Moment allein lassen?«

»Oh, er gehört zu mir. Das ist mein bester Freund, er kann ruhig hierbleiben«, sage ich schnell, doch Mr Reid sieht mich an, als hätte ich gerade darauf bestanden, für den nächsten Werbedeal mit Kamelen statt mit Pfund bezahlt zu werden.

»Passt schon, ich hol mir einfach noch ein paar Häppchen«, sagt Nick, presst die Lippen aufeinander und ist verschwunden, bevor ich etwas erwidern kann.

Mr Reid tritt an seine Stelle, legt die Unterarme auf dem Stehtisch ab und faltet die Hände. Mein Magen grummelt – aber nicht vor Hunger. Irgendwas liegt hier in der Luft.

»Wie geht es Ihnen, Mr Morley? Haben Sie die Premiere genossen?«

Am liebsten würde ich seine Frage ignorieren und ihn direkt fragen, was los ist. Aber das wäre verdammt unhöflich. »Ja, ich fand die Umsetzung wirk…«

»Schön, schön. Hören Sie …« Mr Reid zieht sich mit fahrigen Bewegungen die weißen Hemdsärmel, die unter seinem Jackett hervorblitzen, zurecht. »Ich habe in den letzten Tagen immer wieder darüber nachgedacht, Sie telefonisch zu kontaktieren. Allerdings gibt es gewisse Punkte, die man lieber von Angesicht zu Angesicht besprechen sollte. Deswegen habe ich gehofft, Sie heute hier anzutreffen.«

Mist. »Wenn es um die Kampagne für die neuen Uhren geht … Ich weiß, es war vielleicht nicht die eleganteste Idee, sie zu bewerben, indem man die Robustheit testet und mit dem Auto drüberfährt, aber das Feedback der Zuschauer wa…«

»Darum geht es nicht, Mr Morley.« Er sieht mich über den dünnen Rand seiner Brille hinweg streng an.

Einen Moment lang fühle ich mich an meine Schulzeit zurückerinnert, als mein Physiklehrer mir vor der ganzen Klasse gesagt hat, ich sei begriffsstutziger als ein Stück Toast. Nur weil ich nie zugehört und lieber heimlich unter dem Tisch Krimis gelesen habe, statt Geschwindigkeiten und Energie zu berechnen.

Ich erschaudere, versuche aber, weiterhin positiv zu wirken. »Worum denn dann?«

»Die Statistiken unserer letzten drei gemeinsamen Kampagnen haben gezeigt, dass die Konversionsrate um achtzig Prozent zurückgegangen ist.«

»Das heißt, es kaufen achtzig Prozent weniger Leute den Schmuck, nachdem sie meine Werbung gesehen haben, als früher?«

»Genau. Sie bringen viele Menschen auf unsere Website. Aber Geld ausgeben will dort keiner.«

Ich schlucke. Das ist ganz und gar nicht gut.

Werbung ist noch nie mein Ding gewesen. Ich will meine Zuschauer unterhalten, nicht ausnehmen. Deswegen würde ich es nie übers Herz bringen, für etwas zu werben, hinter dem ich nicht zu hundert Prozent stehe.

Mr Reid ist mit seinem Unternehmen mein Hauptsponsor. Ich bin nicht der größte Schmuckfan, aber sogar ich muss zugeben, dass er schöne und hochwertige Teile in seinen Kollektionen hat, die ich ohne schlechtes Gewissen weiterempfehlen kann. Im Gegensatz zu den Produkten der meisten anderen Unternehmen, die Kooperationen bei mir anfragen. Wenn meine Einnahmen über ihn jetzt auch noch sinken, kann ich mir gefühlt gleich einen Schlafplatz unter einer Brücke suchen. Oder ich muss wohl oder übel mal meinen Dad anrufen … Nein, so weit wird es nicht kommen.

»Woher könnte das kommen? Was kann ich verbessern, damit die Zahlen wieder nach oben gehen?«

Mr Reid wechselt einen Blick mit seiner Frau. Sie nickt.

Ich muss gegen das Pochen in meiner Magengegend ankämpfen.

»Das kann vielfältige Ursachen haben. Übersättigung der Zielgruppe zum Beispiel. Wir müssen aber auch in Betracht ziehen, dass wir mit Ihnen vielleicht einfach an der Zielgruppe vorbeiwerben. Ihr Publikum ist größtenteils noch sehr jung. Vielleicht funktionieren diese sozialen Medien für uns überhaupt nicht.«

Ärger braut sich in mir zusammen. Woher will er das wissen? Ich bin der Einzige, der die genauen Statistiken meiner Kanäle kennt.

»Vielleicht liegt es auch einfach an der Art, wie Sie die Produkte bewerben. So oder so …« Er kratzt sich an der Nase und starrt einen Moment auf das Champagnerglas vor sich, bevor er mir wieder in die Augen sieht. »… es ist eine Veränderung notwendig. Und die einzig logische Konsequenz ist für uns leider, dass wir uns von Ihnen als Werbepartner trennen und die Kooperation beenden.«

Ich suche in seiner Miene etwas, das mir verraten könnte, dass er nur einen Scherz gemacht hat. Doch da ist nichts. Kein Zucken, kein verstecktes Grinsen. Nur diese Härte, die seine Mundwinkel umspielt.

»Jetzt sofort? Einfach so?«, frage ich leise, weil das alles ist, was mir einfällt.

»Nun, einfach so kann man das wirklich nicht nennen. Aber ja, ab sofort.«

Langsam sickert die Bedeutung seiner Worte in mein Bewusstsein. Verdammter Mist! Mein Kopf rattert auf Hochtouren. Es muss einen Weg geben, das zu verhindern. Ihn umzustimmen.

All die Jahre Arbeit umsonst. Ich will nicht schon wieder umziehen. Kein Equipment verkaufen. Mir keinen Nine-to-five-Job suchen, in dem mein Hirnschmalz jeden Tag ein bisschen mehr eintrocknet, bis ich nicht mehr kreativ sein kann, nichts mehr spüre.

»Es tut mir leid. Ich hoffe, Sie verstehen unsere Entscheidung.«

Mr Reid sieht kein bisschen so aus, als würde es ihm leidtun. Dafür sieht er so aus, als wäre das Gespräch für ihn beendet.

Und plötzlich verspüre ich keinen Drang mehr, mich dagegen zu wehren. Wenn er mich nicht mehr will, werde ich ihm nicht hinterherlaufen. Die Reichweite, die ich mir aufgebaut habe, hat dafür gesorgt, dass er auf mich zugekommen ist.

Warum sollte so was also nicht noch mal passieren? Dafür muss ich nicht meine Würde begraben und ihm in den Arsch kriechen.

Es hat mich schon lange nicht mehr so viel Kraft gekostet zu lächeln. »Nur bedingt. Aber ich akzeptiere sie.« Ich fasse an mein Handgelenk und löse den Verschluss der goldenen Designeruhr.

Mr Reid schüttelt energisch den Kopf. »Nein, nicht doch. Die können Sie behalten.«

Unschlüssig starre ich auf mein Handgelenk. Ich habe diese Uhr geliebt. Noch vor einer Minute. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich sie überhaupt noch haben will.

Allerdings könnte ich sie im Notfall verkaufen. Das würde mich ein, zwei Monate über Wasser halten.

Langsam drücke ich den Verschluss wieder zu. Dann nicke ich. »Ich denke, die Formalia zum Auflösungsvertrag klären Sie besser mit Harold … Ich meine Mr Holden. Vielen Dank, Mr Reid. Schönen Abend Ihnen beiden noch.«

Mit einem gekünstelten Lächeln hakt sich seine Frau bei ihm unter und zieht ihn vom Tisch weg.

Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich weinen, schreien oder seinem Rücken den Mittelfinger zeigen soll. Aber ich reiße mich zusammen.

Ich werde einen neuen Sponsor finden und meine Finanzlücke füllen. Hoffentlich.

3. KAPITEL

Josie

Ein Flüstern in der Morgenstunde,Gedanken ziehen Kreise,Gefühle, zart und ungesehen,für mich laut und die anderen so leise.Im Alltag tobt ein leises Rauschen,Nervosität, sie pocht im Takt,Herzen klopfen, Hände zittern,als wäre Mut in Schatten gepackt.Ein Schritt nach vorn,ein Blick ins Weite,die Sorgen fliegen wie die Blätter,egal, wie sehr ich alles meide.

Ich klappe das Notizbuch zu und streiche über den goldenen Einband. Die Vorstellung, einfach hier sitzen zu bleiben und den ganzen Tag lang meine Gedanken fließen zu lassen, ist verlockender als die Aussicht auf den anstehenden Arbeitstag. Noch letzte Woche konnte ich es kaum erwarten, endlich mein Volontariat anzutreten – und jetzt werden meine Hände nach dem ersten Tag schon schwitzig, wenn ich nur daran denke, was mir heute bevorsteht.

Ein rhythmisches Klopfen an der Wohnungstür lässt mich zusammenfahren. Obwohl ich noch mein Nachthemd trage, schlurfe ich an der kleinen Küchenzeile vorbei in den engen Flur, werfe einen schnellen Blick durch den Spion und öffne die Tür.

Dad streckt mir eine strahlend weiße Tüte entgegen, mit einem ebenso strahlenden Grinsen auf den Lippen. In der anderen Hand hält er einen Getränketräger mit zwei Bechern, die sofort einen unwiderstehlichen Duft nach Kaffee verbreiten.

In mir kämpfen zwei Seiten. Ich unterdrücke die, die ihn am liebsten anpampen würde, weil er schon wieder unangemeldet vor der Tür steht, gebe aber der anderen nach, nehme ihm die Tüte ab und umarme ihn.

Sein Duft vermischt sich mit dem des Kaffees, und ich schließe einen Moment die Augen, bevor ich Dad wieder loslasse. Sofort beruhigt sich mein nervöser Herzschlag.

»Du bist unmöglich«, sage ich schmunzelnd und trete zur Seite, um ihn reinzulassen.

»Ich konnte es nicht lassen. Du frühstückst sonst ja wieder nichts. Dabei ist es gerade an den ersten Arbeitstagen wichtig, dass du genug Energie hast. Außerdem gab es heute die Donuts mit deiner Lieblingsfüllung.«

Ich will widersprechen, erinnere mich dann aber wieder daran, dass ich vorhin beim Blick in den Kühlschrank neben den Getränken nichts außer einem einsamen Salatkopf und einem halben Stück Cheddar gefunden habe.

Dad folgt mir in das einzige Zimmer meines winzigen Apartments. Während er die Becher auf dem Küchentisch abstellt, hole ich zwei Teller.

»Lass dir doch nicht immer alles aus der Nase ziehen – wie war dein erster Arbeitstag?«

Ich setze mich ihm gegenüber, schnappe mir meinen Kaffee und öffne die Tüte. »Die Redaktion ist der absolute Wahnsinn und die Kollegen unglaublich nett. Nur leider haben sie mir die Aufgabe gegeben, eine Social-Media-Abteilung zu starten.« Der Anblick der mit Schokoglasur und roten Streifen überzogenen Donuts lässt meinen Magen knurren.

»Aber das ist doch genau das Richtige für so junge Leute wie dich. Da kennst du dich aus.«

Dads unerschütterlicher Optimismus lässt mich grinsen. »Nur weil man auf Social Media unterwegs ist, heißt das nicht, dass man auch gleich guten Content produziert. Da steckt viel mehr dahinter, als man auf den ersten Blick sieht. Vor allem, wenn man keine Lust hat, sich als Clown vor die Kamera zu stellen.«

»Das ist doch ein seriöses Magazin. Warum solltest du dich dabei lächerlich machen?«

Ich seufze und starre auf den Donut auf meinem Teller. Mit jedem Satz, den ich zu dem Thema verliere, schrumpft mein Appetit. »Weil es das ist, was auf Social Media funktioniert. Nichts wird so viel geklickt wie richtig dämliche und peinliche Videos.«

»Für mich sind das zwei verschiedene Bereiche. Die London Lens will die Leute vor allem informieren und nicht nur unterhalten. Und dass du eine tolle Journalistin bist, hast du schon öfter unter Beweis gestellt.«

Er deutet auf meine Pinnwand, an der ich all meine Artikel aus Praktika und Studium gesammelt habe.

Seine Zuversicht lässt mein Herz wieder leichter werden. »Danke, Dad. Vielleicht sollte ich mich wirklich weniger stressen und einfach mal abwarten und ausprobieren.«

Ich beiße in den Donut. Die Blaubeerfüllung quillt mir entgegen, hinterlässt eine kleine Geschmacksexplosion auf meiner Zunge und weckt Erinnerungen an gemütliche Frühstücke auf Dads Balkon in meinem Kopf.

Zum Glück deutet er meine Antwort richtig und genießt seinen Donut ebenfalls schweigend, statt noch weiter nachzubohren. Ich will die letzten Minuten in der Sicherheit meiner eigenen vier Wände und Dads Nähe voll auskosten.

Dad verschlingt seinen Donut jedoch im Rekordtempo. Während ich gerade mal den dritten Bissen im Mund habe, fischt er schon eine Serviette aus der Tüte und wischt sich die Hände ab.

»Hilfst du eigentlich bei Mums Umzug am Wochenende?« Wahrscheinlich sollte das locker und beiläufig klingen – doch die Falten, die sich immer tiefer in seine Stirn graben, sprechen eine andere Sprache.

»Sag bloß, du hast vor hinzugehen?«

Er rückt seine Brille zurecht und starrt auf seinen Kaffeebecher. »Ich habe ihr abgesagt. Aber wenn du hingehst, würde ich vielleicht …«

»Nein«, rufe ich lauter als beabsichtigt. »Ich meine … Ich geh auch nicht hin. Ich musste nicht mal absagen. Sie hat mich nicht gefragt.« Die fruchtige Note der Füllung wird plötzlich bitter. Ich nehme einen Schluck von meinem Kaffee, um den Geschmack hinunterzuspülen, doch es wird nur noch schlimmer.

»Du sagst das, als wäre es etwas Schlechtes«, antwortet Dad, »dabei will sie dich bestimmt nur nicht damit belasten. Sie weiß ja, dass du diese Woche andere Sorgen hast.«

Wie gern würde ich mir einreden, dass er recht hat. Dass sie mich nur deswegen nicht um Hilfe gebeten hat. Aber ich kann die Stimme in meinem Kopf nicht abstellen, die mir zuflüstert, dass sie sich vermutlich nicht mal gemerkt hat, dass mein Volontariat gestern begonnen hat. Dass sie die Gesellschaft von Christopher, den Katzen und ihrer aufgekratzten Tennisfreundinnen der ihrer langweiligen Tochter vorzieht.

Trotzdem steckt etwas Wahres in Dads Worten. Ich sollte mich darüber freuen. Denn wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, genieße ich ihre Gesellschaft mittlerweile genauso wenig.

»Ich finde es jedenfalls gut, dass du auch nicht hingehst«, sage ich und nicke Dad zu. »Du darfst dich nicht jedes Mal wieder ausnutzen lassen.«

»Sie meint es nicht so. Ihr fehlt da nur etwas Feingefühl.«

»Wie viel Feingefühl braucht man, um zu verstehen, dass es nicht in Ordnung ist, andere für sich arbeiten zu lassen, wenn man noch nie etwas zurückgegeben hat? Und nicht mal einen Funken Dankbarkeit zeigt?«

»Ach Josie, rede doch nicht so schlecht über sie. Sie ist immer noch deine Mutter. Außerdem stimmt das nicht. Sie hat mir schon viel in ihrem Leben gegeben.«

»Echt? Was denn?«, frage ich. Wahrscheinlich wird er mir gleich erzählen, dass sie im Juni 2009 mal den Müll runtergebracht, die Fenster geputzt oder uns ab und zu etwas Essen warm gemacht hat.

»Die wundervollste Tochter, die ich mir hätte wünschen können, zum Beispiel.«

Seine Worte treffen mich unerwartet tief. Eine Welle warmer Zuneigung breitet sich in mir aus.

Was würde ich ohne Dad nur tun? Und was soll ich darauf antworten, ohne ihm zu offenbaren, wie emotional mich seine Worte machen? Ich beschließe zu schweigen. Stattdessen strecke ich die Hand aus, greife nach seiner und drücke sie sanft.

Knapp zwei Stunden später sitze ich am Tisch im Contentstudio und tippe im schnellen Rhythmus mit der Rückseite meines Stifts auf die Ausgabe der letzten London Lens. Das Studio unterscheidet sich von den anderen Büros in der Redaktion. Es ist nicht nur größer, sondern auch so eingerichtet, dass alles für einen Dreh vorhanden ist. Während die eine Wand in Ziegel-Optik tapeziert ist, hängen an einer anderen ausziehbare Leinwände, die von Softboxen und Reflektoren umgeben sind. Die kleine Couch auf der einen Seite wirkt so einladend, dass ich kurz überlege, mich zum Warten dorthin zu setzen. Aber das könnte seltsam rüberkommen, während der Arbeitszeit darauf herumzulungern. Also warte ich lieber am langen Schreibtisch.

Rachel ist mittlerweile über eine halbe Stunde zu spät. Hat sie vergessen, dass wir um acht beginnen wollten? Obwohl sie mir gestern schon das Nötigste gezeigt und erklärt hat, komme ich mir allein im Studio verloren vor. Es ist immerhin erst mein zweiter Tag. Ich kann nicht einfach anfangen, etwas auszuarbeiten. Dazu kenne ich mich zu wenig aus.

Schritte nähern sich auf dem Flur. Doch es sind nur zwei fremde Kolleginnen, die mir freundlich zuwinken und mir einen guten Morgen wünschen. Um kein Risiko einzugehen, stehe ich auf und gehe zur Tür, um sie zu schließen. Nicht dass jemand noch auf die Idee kommt, stehen zu bleiben und Small Talk mit mir zu halten. Doch bevor ich dort angekommen bin, steht plötzlich Mrs Dawson vor mir.

»Josie, wie gut, dass du schon hier bist.«

Ich verkneife mir ein Schmunzeln. Schon. Aber sogar nach so kurzer Zeit ist mir bereits aufgefallen, dass die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen ihre Gleitzeit wohl dafür nutzen, auszuschlafen und nicht vor zehn im Büro aufzuschlagen.

Mrs Dawson schließt die Tür hinter sich und lässt sich mit einem Seufzen auf der Tischkante nieder.

»Guten Morgen«, sage ich, doch sie scheint es nicht mal wahrzunehmen.

»Wir haben leider ein kleines Problem.« Das ist nicht unbedingt das, was ich zum Start in diesen Arbeitstag hören wollte. Sofort breitet sich ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend aus. »Rachel ist ab heute im Mutterschutz und nicht mehr arbeitsfähig. Das kommt für uns alle überraschend, weil wir noch gar nichts von einer Schwangerschaft wussten. Aber es gibt wohl leider ein paar Komplikationen, und der Arzt hat ihr Bettruhe verordnet.«

»Eigentlich ein schöner Anlass, aber dass es ihr nicht so gut geht, tut mir echt leid«, erwidere ich. Beim Gedanken an die Ängste, die ihr dabei durch den Kopf gehen müssen, wird mir beinahe schwindelig. Erst danach dämmert mir langsam, was das für mich bedeutet.

»Das ist wirklich kein gutes Timing. Nicht nur, dass sie jetzt lange ausfällt – wir sind gerade auch an einem sehr wichtigen Fall dran. Deswegen kann ich aus den anderen Abteilungen nur schwer jemanden abziehen. Wir brauchen dort im Moment jede Redakteurin und jeden Redakteur. Tut mir leid, dass es ausgerechnet jetzt so chaotisch läuft, wo du dein Volontariat beginnst. Das ist gerade ein absoluter Ausnahmezustand.«

Ich bin mir nicht sicher, ob es angemessen ist, meine Gedanken auszusprechen. Ihre Ansage macht mir jedoch Angst, und ich bin mir nicht sicher, ob ich sie richtig interpretiere. »Also soll ich allein den Social-Media-Content für das ganze Magazin produzieren? Ich hab so was noch nie gemacht«, erwidere ich deswegen.

»Oh nein, das geht auch nicht. Das würde ich nie von dir verlangen.«

Sofort entspanne ich mich ein wenig. Vielleicht will sie mich in eine andere Abteilung versetzen und den Aufbau des Social-Media-Teams verschieben.

»Ich hab mir Folgendes überlegt …« Sie steht wieder auf und läuft vor mir auf und ab. »Du sammelst tagsüber ein paar Ideen, bereitest ein Konzept vor. Und abends setzen wir beide uns zusammen. Wir gehen es gemeinsam durch und sehen uns an, was davon wir umsetzen wollen. Damit liegt die Verantwortung nicht bei dir, sondern bei mir. Du musst dir also keine Sorgen machen. Wenn du Videos drehen willst oder noch jemanden brauchst, um dich bei der Produktion zu unterstützen, kann ich dir auch mal stundenweise jemanden zur Hilfe rüberschicken. Außerdem hat Rachel dir gestern Abend noch schnell ein kleines Übernahmeprotokoll mit den wichtigsten Punkten vorbereitet. Denkst du, das kriegst du hin?«

Mein Herz beschleunigt seinen Takt. Ich würde gern Nein sagen, aber ich traue mich nicht. Ich kann sie nicht hängen lassen. »Ich kann es versuchen«, antworte ich vorsichtig. Es klingt mehr wie eine Frage, doch Mrs Dawson geht nicht darauf ein.

»Es ist auch nur für ein paar Tage. Versprochen. Ich werde mir etwas einfallen lassen.« Sie bleibt vor mir stehen und lächelt mich an. »Und mach dir bitte nicht zu viel Stress. Ich weiß, dass es unglaublich viel ist, was ich da gerade von dir verlange. Sei einfach ein bisschen kreativ. Du kannst nichts falsch machen.«

Vermutlich denkt sie, mir damit etwas Druck nehmen zu können – doch mein Brustkorb wird immer enger, als hätte sie eine Schlinge darumgelegt. Ich fühle mich mit jedem ihrer Worte nur noch mehr gestresst. Wie soll ich das schaffen?

Als sie wieder verschwunden ist, klappe ich den Firmenlaptop auf und gehe das Übergabeprotokoll durch.

Eigentlich hatte ich die Hoffnung, es würde mich beruhigen. Doch je mehr ich davon lese, desto mehr bin ich aufgeschmissen. Das Protokoll ist nicht nur ein einziges Durcheinander, sondern auch der Inhalt wenig hilfreich. Das meiste davon, zum Beispiel mit einer Hook zu arbeiten und alle Social-Media-Beiträge so übersichtlich wie möglich zu gestalten, erschließt sich eigentlich von selbst. Die Guidelines für den Videodreh ignoriere ich. Ich werde garantiert keines drehen und irgendwas einsprechen.

Also schließe ich das Protokoll wieder und gehe die Mails durch. Die Artikel, die eine Kollegin rübergeschickt hat, sind spannend, und ich schaffe es trotz der bedrückenden Stille, die im Studio herrscht, ein paar Minuten darin zu versinken. Weil mir nichts Besseres einfällt, beginne ich, den Inhalt in hübschen Grafiken zusammenzufassen und packende Überschriften zu suchen.

Als ich gerade einen Schluck von meinem Kaffee nehme, schwingt plötzlich die Tür auf, und ich zucke so sehr zusammen, dass ich ihn beinahe wieder ausspucke.

»Oh, sorry, hab ich dich erschreckt?« Alice verpasst der Tür hinter sich einen kleinen Stoß, der jedoch nicht ausreicht, um sie zu schließen. Mit federnden Schritten und einem strahlenden Lächeln kommt sie zu mir, schnappt sich einen Stuhl und setzt sich falsch herum darauf.

»Wie läufts bei dir? Wahrscheinlich genauso chaotisch wie bei mir?«

»Kann man so sagen. Ich bin jetzt quasi allein für Social Media verantwortlich. Aber was wäre so ein neuer Job schon ohne Herausforderungen?« Ich lache, obwohl mein Puls sich bei dem Gedanken schon wieder beschleunigt. »Und bei dir?«

»Ich wurde spontan in eine andere Abteilung versetzt. Ich war erst ein bisschen enttäuscht. Der Kulturbereich war echt genau das, wo ich hinwollte. Aber ich darf an einem richtig krassen Fall mitarbeiten – und der ist sogar noch spannender. Bin schon richtig darauf gespannt, mich reinzulesen.« Sie redet so schnell, dass ich kaum hinterherkomme. Doch ihre Euphorie springt sofort auf mich über.

»Worum gehts denn, darfst du drüber reden?«

»Keine Ahnung, aber ich tus einfach.« Sie lacht. »Du kennst doch sicher Pure Plates, diesen coolen Hersteller von veganen Fertiggerichten?«

Ich nicke. Der Hype ist wohl an niemandem vorbeigegangen. Seit Monaten bekomme ich überall Werbung und begeisterte Empfehlungen für Pure-Plates-Burger und Bowls angezeigt. Das Logo, eine quietschgrüne Erbse mit Gesicht, strahlt mir von fast jeder Werbefläche in der U-Bahn entgegen.

»Wir haben einen Tipp von einem ehemaligen Mitarbeiter bekommen. Der behauptet, es läuft da einiges schief. Die packen da Zeug rein, das gesundheitsschädlich sein könnte, und schmuggeln es durch die Lebensmittelkontrollen. Frag mich nicht, was genau, so tief bin ich noch nicht drin. Aber ich halte dich gern auf dem Laufenden. Heute geht ein Auftrag an ein Labor raus, um ein paar Proben zu checken und zu prüfen, was wirklich im Essen steckt. Aber stell dir das mal vor …«, ihre blauen Augen werden noch runder, und sie macht eine ausladende Geste, »… wie krass das wäre. Das würde landesweit überall durch die Medien gehen. Und unsere Namen könnten mit drunter stehen.«

»Das wäre wirklich krass. Aber mein Name wird wohl nirgendwo auftauchen.«

Alice scheint den traurigen Unterton in meiner Stimme zu bemerken. »Nee, noch viel besser. Du dürftest die Sensation auf Social Media teilen, mit deinem Gesicht, das die Leute dann kennen. Deine Videos würden tausendfach geteilt werden.«

Ich erschaudere bei dem Gedanken, etwas vor Tausenden, vielleicht sogar Millionen Menschen erzählen zu müssen.

Wahrscheinlich würde ich es nicht mal hinbekommen, wenn ich mir einen ganzen Tag dafür Zeit nehmen würde. Kameras sind meine persönlichen Blitzdings-Geräte. Sobald eine auf mein Gesicht gerichtet ist, fange ich an zu stottern und vergesse alles, was ich eigentlich sagen wollte. Schlimmer ist es nur noch, wenn mir ein Publikum zuhört. Beides in Kombination wäre tödlich.

»Mal sehen. Ich freu mich jedenfalls auf deine Updates. Klingt wirklich spannend.« Ihre positive Energie, die sie wie ein teures Parfüm umgibt, macht es leicht, mit ihr zu reden. »Ich glaube, ich hab sogar noch was von Pure Plates eingefroren.«

»Ich auch. Bei uns in der WG gibt es bestimmt zweimal in der Woche was von Pure Plates. Wenn da was dran ist, leuchte ich wahrscheinlich schon von innen«, antwortet Alice.

Ich steige in ihr Lachen mit ein.

»Na, ihr habt euch ja offensichtlich gut eingearbeitet. Habt ihr Spaß, Mädels?«

Alice und ich drehen uns um. Peter steckt den Kopf durch den Türspalt und scheint unsere Blicke als Einladung zu deuten, zu uns zu kommen.