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Als Literat der Kurzform ist Christian Morgenstern bis heute den meisten für seine komische Lyrik bekannt. Das posthum veröffentlichte Werk Stufen lässt dagegen einen Blick auf seine nachdenkliche Seite zu. Der von Nietzsche und Schopenhauer inspirierte Dichter legt in seine Aphorismen all die Hoffnung, den Weltschmerz und die Fragen an die Wirklichkeit. Die Gedanken des Poeten reichen von Themen wie Literatur und Sprache über Ethik bis zu Lebensweisheiten. Morgenstern trägt damit seine Ansichten, Zweifel und Gesellschaftskritik zu Tage, die in prägnanten Aussagen und Anschauungen für all jene zugänglich bleiben, die selbst einen kritischen Blick auf das Leben und die Geschichte werfen wollen.
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Seitenzahl: 192
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Christian Morgenstern
Aphorismen und Tagebuchnotizen
Auswahl aus dem Gesamtwerkvon Margareta Morgenstern
Autobiographische Notiz
Natur
Kunst
Literatur
Sprache
Zeitkritisches
Theater
Lebensweisheit · Ethisches
In me ipsum
Erziehung · Selbsterziehung
Psychologisches
Erkennen
Weltbild: Anstieg
Weltbild: Episode Tagebuch eines Mystikers
Weltbild: Am Tor
Editorische Notiz
»Nur wer sich wandelt,bleibt mit mir verwandt.«
Christian Morgenstern
Ich wurde am 6. Mai 1871 als einziges Kind des Landschaftsmalers Carl Ernst Morgenstern (Sohnes des Landschaftsmalers Christian Morgenstern) und seiner Ehefrau Charlotte Schertel (Tochter des Landschaftsmalers Josef Schertel) in München geboren und erlebte in unserm gegen Nymphenburg zu gelegenen – aller Kunst und heiteren Geselligkeit geöffneten – Hause mit parkartigem Garten glückliche, eindrucksreiche Kindheitsjahre. Meine Eltern reisten viel, zuerst aus Lebenslust, dann aus Rücksicht auf ein beginnendes Lungenleiden meiner Mutter, und nahmen mich schon von meinem dritten oder vierten Jahre an überallhin mit. Besonders ist mir eine lange Reise durch Tirol, die Schweiz und das Elsaß in Erinnerung, die im wesentlichen in einer von zwei unermüdlichen Juckern gezogenen Kutsche zurückgelegt wurde. Dazwischen und später waren es dann die (damals noch ländlichen) bayerischen Seedörfer Kochel, Murnau, Seefeld, Herrsching, Weßling und noch später schlesische Dörfer am Zobten und im Vorland des Riesengebirges, die dem sehr viel einsamen und stillfrohen Knaben unvergeltbar Liebes erwiesen. Solch freundliches Los ward ihm zumal durch die Lebensführung des Vaters, der als freier Landschafter sowohl, wie dann, als er an die Breslauer Kunstschule berufen worden war, Sommer um Sommer ins Land hinauszog; wozu noch kam, daß er ihn, als eifriger Jäger, bisweilen in seinen Jagdgebieten und Jagdquartieren mit sich hatte.
Diese Jahre waren grundlegend für ein Verhältnis zur Natur, das ihm später die Möglichkeit gab, zeitweise völlig in ihr aufzugehen.
Sie waren aber auch nötig, denn bald nach seinem zehnten Jahre, in dem er die Mutter verlor, begann der Ansturm feindlicher Gewalten von außen wie von innen. Was sich bisher, gehegt und verwöhnt, daheim und im Freien so durchgespielt hatte – mein Spielen bildet für mich ein eigenes sonniges Kapitel – zeigte sich dem äußeren Leben, wie es vor allem in der Schule herantrat, weniger gewachsen. Es war, als wäre das Leidenserbe der Mutter, das doch erst zwölf Jahre darauf zu wirklichem Kranksein führte, schon damals übernommen worden; denn wenn auch mancher frische Aufschwung immer wieder weiter trieb, so setzten doch mehr und mehr jene dumpfen Hemmungen ein, die ihn wohl nicht hätten so zu Jahren kommen lassen, wenn nicht irgend etwas in ihm ebenso zähe für ihn gestritten und ihn über das Schlimmste immer wieder von neuem hinweggebracht hätte. Vielleicht war es dieselbe Kraft, die, nachdem sie ihn auf dem physischen Plan verlassen hatte, geistig fortan sein Leben begleitete und, was sie ihm leiblich gleichsam nicht hatte geben können, ihm nun aus geistigen Welten heraus mit einer Treue schenkte, die nicht ruhte, bis sie ihn nicht nur hoch ins Leben hinein, sondern zugleich auf Höhen des Lebens hinauf den Weg hatte finden sehen, auf denen der Tod seinen Stachel verloren und die Welt ihren göttlichen Sinn wiedergewonnen hat.
Sie mag ihm auch den Jugend- und Lebensfreund zugeführt haben, Friedrich Kayßler, dem die Sammlung »Auf vielen Wegen« (und wieviel anderes!) mit dem Danke gehört: »War der Begriff des Echten verloren / in Dir war er wiedergeboren.«
In meinem 16. Jahre etwa wurde mir das erste Glück philosophischer Gespräche. Schopenhauer, vor allem auch schon die Lehre von der Wiederverkörperung, traten in mein Leben ein. Es folgte, Anfang der Zwanziger, Nietzsche, dessen suchende Seele mein eigentlicher Bildner und die leidenschaftliche Liebe langer Jahre wurde. Die Aufgabe, Ibsens Verswerke zu übertragen, führte mich 1898 nach Norwegen. Ich lernte Henrik Ibsens teure Person kennen und durfte in den Übersetzungen von »Brand« und »Peer Gynt« mich innerlichst mit ihm verbinden.
Das Jahr 1901 sah mich über den »Deutschen Schriften« Paul de Lagardes. Er erschien mir – Wagner war mir damals durch Nietzsche entfremdet – als der zweite maßgebende Deutsche der letzten Jahrzehnte, wozu denn auch stimmen mochte, daß sein gesamtes Volk seinen Weg ohne ihn gegangen war.
Noch sechs Jahre darauf schrieb ich in mein Taschenbuch:
Zu Niblum will ich begraben sein,
am Saum zwischen Marsch und Geest …
Zu Niblum will ich mich rasten aus
von aller Gegenwart.
Und schreibt mir dort auf mein steinern Haus
nur den Namen und: »Lest Lagarde!«
Ja, nur die zwei Dinge klein und groß:
Diese Bitte und dann meinen Namen bloß.
Nur den Namen und: »Lest Lagarde!«
Das Inselchen Mutterland dorten, nein,
das will ich nicht verschmähn.
Holt mich doch dort bald die Nordsee heim
mit steilen, stürzenden Seen –
das Muttermeer, die Mutterflut …
Oh, wie sich gut dann da drunten ruht,
tief fern von deutschem Geschehn!
Inzwischen war dem Fünfunddreißigjährigen Entscheidendes geworden: Natur und Mensch hatten sich ihm endgültig vergeistigt. Und als er eines Abends wieder einmal das Evangelium nach Johannes aufschlug, glaubte er es zum ersten Male wirklich zu verstehen.
Die nächsten Jahre – des Austragens, Ausreifens, zu Ende Denkens – überstand er so, wie er sie überstand, eigentlich nur, weil ihm Gesundheit und Mittel fehlten, sich irgendwohin zurückzuziehen, wo er in völliger Unbekanntheit seine Tage hätte vollenden dürfen. Er war doppelt geworden und in der wunderlichen Verfassung, sich, sozusagen, groß oder klein schreiben zu können. (In »Einkehr«, »Ich und Du« und einer Sammlung Aufzeichnungen findet sich Einiges aus diesem Abschnitt.) Er konnte in einem Kaffeehause sitzen und fühlen: »So von seinem Marmortischchen aus, seine Tasse vor sich, zu betrachten, die da kommen und gehen, sich setzen und sich unterhalten, und durch das mächtige Fenster die draußen hin und her treiben zu sehen, wie Fischgewimmel hinter der Glaswand eines großen Behälters – und dann und wann der Vorstellung sich hinzugeben: Das bist Du! – Und sie alle zu sehen, wie sie nicht wissen, wer sie sind, wer da, als sie, mit SICH selber redet, und wer sie aus meinen Augen als SICH erkennt und aus ihren nur als sie!« … Und doch war solches Erkennen nur erst ein Oberflächen-Erkennen und darum letzten Endes noch zur Unfruchtbarkeit verurteilt.
So kam das Jahr 1908 –
Da traf ich Dich, in ärgster Not, den Andern!
Mit Dir vereint, gewann ich frischen Mut.
Von neuem hob ich an, mit Dir, zu wandern,
und siehe da: Das Schicksal war uns gut.
Wir fanden einen Pfad, der klar und einsam
empor sich zog, bis, wo ein Tempel stand.
Der Steig war steil, doch wagten wir’s gemeinsam.
Und heut noch helfen wir uns, Hand in Hand.
Der Andre war Sie, die mein Leben fortan teilte; der Pfad war der Weg anthroposophischer Erkenntnisse, wie sie uns heute, in einziger Weise, durch Rudolf Steiner vermittelt werden.
In dieser Persönlichkeit lebt ein großer spiritueller Forscher »ein ganz dem Dienste der Wahrheit gewidmetes Leben« vor uns und für uns dar.
Vor ihm darf auch der Unabhängigste sich von neuem besinnen und revidieren; vor ihm hat dies jedenfalls der getan, der immer am liebsten dem Worte nachleben wollte: – Vitam impendere vero.
(1913)
Wir leben ja doch alle auf dem Meeresgrund (dem Grund des Luftmeeres) – Vineta.
Die Sterne lauter ganze Noten. Der Himmel die Partitur. Der Mensch das Instrument.
Wer weiß, ob die Gedanken nicht auch einen ganz winzigen Lärm machen, der durch feinste Instrumente aufzufangen und empirisch (durch Vergleich und Experiment) zu enträtseln wäre.
Das macht uns den Sternenhimmel so unerfaßlich und fürchterlich, daß wir lauter Summen gegenüberstehen, lauter Quintessenzen. Mühelos sammeln wir das halbe All in unserm Auge. Es ist ein Gedanke, nicht auszudenken.
Warum sollte die Erde nicht innerlich durchleuchtet sein? Warum die Gold- und Silberadern nicht im geheimen von den Strahlen eines Lichtes leuchten, für das wir keine Augen haben? So wuchtet mächtigen Gesanges die Erde ihre Ätherbahn.
Wenn wir uns, nach Goethe, im Intellektuellen durch Anschauen einer immer schaffenden Natur zur geistigen Teilnahme ihres Wirkens erheben können, weil in der Natur und in uns der gleiche Geist lebendig ist, weil wir gleichsam in der Seele übergreifend sind ins Innere der Natur, so bleibt uns doch noch der Punkt zu erhellen, wieso in uns außer dem rein künstlerischen und anscheinend amoralischen, nur auf das Schöne gerichtete Schaffen noch die moralischen Forderungen unseres Wesens aufstehen.
Warum – wenn wir im Herzen der Natur leben, das Herz der Natur sind – dieses Mehr in uns?
Warum dort das vernehmbare Gesetzmäßige und in uns das unabweisbare Freiheits- und Verantwortungsgefühl?
Ist es so, daß erst die Natur als ein Ganzes moralisch beurteilt werden kann, während der Mensch als der Gipfel und die Essenz der Natur ihre Synthese, ohne weiteres schon Moralität als sein Wesen will?
Wie ich das Bröckeln und Rinnen einer in den Sand gewühlten Mulde beobachte, kommen mir einige der tragischsten Eindrücke meines Lebens ins Gedächtnis. Den einen empfing ich in den Thermen des Caracalla, und was hier nur Bild und Gleichnis, war dort melancholische Wirklichkeit. Von den mächtigen Gewölberesten rieselte fast unaufhörlich Mörtel und verwittertes Mauerwerk, und ab und zu, wenn der leichte Wind sich stärker erhob, flog wohl auch ein größerer Stein polternd in die Tiefe. Es war ein unheimliches und erschütterndes Gespräch der Vergänglichkeit, dem der gefährdete Wanderer dort beiwohnte und zugleich das Totenraunen einer Kultur, das vielleicht noch währen wird, wenn der Petersdom das seinige anheben sollte. – Den andern gaben mir die norwegischen Berge mit ihren ewigen Steinschlägen, in denen ihre Gipfel nach und nach herabzukommen scheinen.
Ich habe heute ein paar Blumen für dich nicht gepflückt, um dir ihr – Leben mitzubringen.
So schimmert ein Birkenwäldchen durch Kiefern, wie deine ferne Jugend in und durch meine Gedanken.
Die Natur ist die große Ruhe gegenüber unserer Beweglichkeit. Darum wird sie der Mensch immer mehr lieben, je feiner und beweglicher er werden wird. Sie gibt ihm die großen Züge, die weiten Perspektiven und zugleich das Bild einer bei aller unermüdlichen Entwickelung erhabenen Gelassenheit.
Es ist ein seltsames Gefühl, senkrecht in die Erde zu unseren Füßen hineinzudenken. Man kommt nicht weit, die Phantasie erstickt buchstäblich.
Gebell eines »Achtung«-Hundes:
Nervosität durch Geschrei von Kindern
Argwohn, es könne auf ihn gemünzt sein (monoman)
Gefahr! (Furcht, Wut, Anspannung)
Beschimpfung (da nichts erfolgt)
Selbstgerechter Ärger (mehr monologisch)
Mitteilungsgefühl (Klatschbedürfnis)
(er teilt die Sache der Außenwelt mit)
Quittungen über vieles
Grundloser Unwille
Katzenjammer, der sich zu betäuben sucht.
Worauf beruht z. B. der Zauber des Waldes, die tiefe Beruhigung, die er dem Menschen gibt? Darauf wohl zumeist, daß uns in ihm eine unübersehbare Anzahl pflanzlicher Individuen einer bestimmten Art entgegentritt, die Lebensfrieden und Lebensmacht zugleich mit äußerster Zweckmäßigkeit vereinen. Der Stamm einer Bergfichte ist das Urbild ruhiger in sich gefestigter Kraft; ein gewaltiger Lebenswille, den so bald nichts zu stören oder gar zu brechen vermag, offenbart sich in ihm. Ihre Äste, Zweige und Nadeln aber strahlen mit solch äußerster Zweckmäßigkeit rings von ihm aus, stellen im Verein mit dem Stamm und den Wurzeln einen so weise der Außen- und Umwelt eingepaßten Körper dar, daß man begreift: hier liegt die Lösung eines Problems vor, an der vielleicht unermeßliche Zeiten gearbeitet haben.
In der Katze hast du Mißtrauen, Wollust und Egoismus, die drei Tugenden des Renaissance-Menschen nach Stendhal und anderen. Damit ist sie, ich möchte sagen, das konzentrierteste Tier. Der Hund ist dagegen gläubig, selbstlos und erotisch kulturlos. Unsere heutige Zivilisation nähert sich mehr der Stufe des Hundes. Das Christentum ist vornehmlich gegen die Katze gerichtet. Man darf nach dem allen in einigen Jahrhunderten den Menschen erwarten.
Eine der größten Unverfrorenheiten des Menschen ist, dies oder jenes Tier mit Emphase falsch zu nennen, als ob es ein annoch falscheres Wesen gäbe in seinem Verhältnis zu den andern Wesen als der Mensch!
Warum erfüllen uns Gräser, eine Wiese, eine Tanne, mit so reiner Lust? Weil wir da Lebendiges vor uns sehen, das nur von außen her zerstört werden kann, nicht durch sich selbst. Der Baum wird nie an gebrochenem Herzen sterben und das Gras nie seinen Verstand verlieren. Von außen droht ihnen jede mögliche Gefahr, von innen her aber sind sie gefeit. Sie fallen sich nicht selbst in den Rücken wie der Mensch mit seinem Geist und ersparen uns damit das wiederholte Schauspiel unseres eigenen zweideutigen Lebens.
Weshalb sollte man sich nicht damit abfinden, in einer gemäßigten, sehr gemäßigten Landschaft zu leben, da man doch nur den Blick zu erheben braucht, um ins völlig Ungemäßigte zu stürzen, und nur die Gedanken, um zu fühlen, wie wenig es verschlägt, im wilden Ozean des ewig Ungewissen auf einem gehobelten Brett oder einem entwurzelten Baumstamm zu treiben.
Den Wolken wird vielleicht einstmals eine besondere Verehrung gezollt werden; als der einzigen sichtbaren Schranke, die den Menschen vom unendlichen Raum trennt, als der gnädige Vorhang vor der offenen vierten Wand unserer Erdenbühne.
Ich kenne keine »getrennten Gebiete«. –
Die hohen Tannen sprechen: Wir sind nicht traurig und nicht fröhlich, wir sind fest.
So ein Spinnentüchlein voll Regentropfen – wer macht das nach?
Die Luftschiffahrt wird dem religiösen Genie der Menschheit neue Nahrung geben. Zu den großen Beförderern kosmischer Stimmungen: Wald, Meer und Wüste wird nun noch der Luftraum kommen.
Wir versuchen uns an dem äußeren Bilde andrer bewohnter Gestirne wohl selten über ein gewisses Maß von Kraft und Erfolg hinaus. Und doch – Landschaft, ins Unendliche variiert! Welch eine Vorstellung!
Jede Landschaft hat ihre eigene besondere Seele, wie ein Mensch, dem du gegenüberlebst. Dies wirst du am deutlichsten empfinden, wenn du den Eindruck einer gegenwärtigen mit dem wiederbeschworenen vergleichst, den eine andere, frühere, deiner Seele eingeprägt hat. Etwa, wenn du einen Ausschnitt der gegenwärtigen betrachtest, der recht gut auch jener vergangenen angehören könnte, – so daß dir eine Weile so unheimlich zumute wird, als glaubtest du die Hand eines Abwesenden oder gar Verstorbenen zu halten, während es doch, wie du weißt, die des dir Gegenüberstehenden ist.
Darum ist die Natur so tieftröstlich, weil sie schlafende Welt, traumlos schlafende Welt ist. Sie fühlt nicht Freude, nicht Schmerz, und doch lebt sie vor uns und für uns ein Leben voll Weisheit, Schönheit und Güte. So schliefen auch wir einst und solchem Zustand kehren auch wir einst wieder zurück, nur mit dem Unterschiede, daß dann dies ganze Über-Glück, Über-Leid uns bewußt sein wird und daß wir dann auch keine Träume mehr brauchen, weil wir die Himmel selbst offen sehen.
Der Pilz ist der Parvenu der Pflanzen.
Dir sind die Alpen nicht hoch, nicht geheimnisvoll genug, du träumst von den Anden, vom Kaukasus, vom Himalaja. Und doch gilt es eben hier die Seele ganz zu weiten und schon hier letzte Erhabenheit zu empfinden. Sind nicht alle diese Berge gleiche Klippen der großen blauen, strahlenden Geister- und Gottes-See, auf die immer wieder hinzublicken, ja, die früher oder später mannhaft zu befahren unsere edelste Bestimmung und Freiheit ist?
Der Mensch hat noch immer sehr wenig Sinn für Wirklichkeit. Man erwäge nur etwa den gewöhnlichen Standpunkt der Sonne gegenüber. Heißt das Wirklichkeitsempfinden, von einem solchen Phänomen ein Leben lang nicht anders berührt zu werden, wie es gemeinhin zu geschehen pflegt? Oder schauen nicht vielmehr die Menschen die Sonne noch gar nicht?
Auch der Baum, auch die Blume warten nicht bloß auf unsere Erkenntnis. Sie werben mit ihrer Schönheit und Weisheit aller Enden um unser Verständnis.
Hast du noch nie empfunden: es muß anders werden! Wenn du z. B. im Wald saßest und die lieben Bäume und Gräser um dich herum sahest, von denen dich doch so ein Weltabgrund der Nichterkenntnis schied! Was waren sie eigentlich, wo war ihre Seele, wo war der Punkt, in dem ihr euch brüderlich treffen konntet, nicht nur in dumpfer Liebe von deiner Seite, sondern euch gleichsam ins gottgeschwisterliche Auge schauend? Wäre es nicht unsinnig, wenn es in einer Welt, so weit und verschwenderisch angelegt, immer so bliebe, nie anders würde? Muß es nicht anders werden? Und löst diese Not und Notwendigkeit nicht etwas in dir, das sagt: Ja, es muß besser werden, und ich will Tag um Tag dem Geist und den Geistern der Dinge entgegengehen, sind sie doch gewiß auch schon längst auf dem Wege zu mir.
Es ist etwas Jämmerliches um einen Lyriker ohne Liebe. Was helfen da Mai und Nachtigallen und Mondscheinnächte. Trauriger Zustand.
Ihr fürchtet, daß die Umsturzepoche, vor der wir zu stehen glauben, alle Kunst und Poesie, alles Schöne und Wertvolle im Leben vernichte?
Ich fürchte das nicht. Denn mag jeder Tempel zertrümmert, jedes Kunstwerk verbrannt, jedes Saitenspiel zerschmettert werden, – das unantastbare Saitenspiel, das Menschenherz, wird nie aufhören, von den ewigen Melodien zu tönen, die der Geist der Welten ihm zuhaucht.
Konzentration
Möge der Stern uns Vorbild wahrer Kunst sein. Eine Welt zu einem leuchtenden Strahlenpunkt verdichtet, der dir Leib und Seele durchbrennt. So denke dir den langsamen Pfeil der Schönheit: als den Lichtkegel einer Sternenwelt, von dem allein die Spitze Menschenaugen sichtbar.
Alle wahrhaft großen Dichtungen sind Variationen zum Schicksalsliede, seien es Maestosi, Allegri oder Scherzi.
Ich betrachte als eine Aufgabe kommender Dichtergeschlechter, neue Mythen zu schaffen, und wir wollen ihnen schon vorarbeiten.
Dichten ist immer die Wiedergabe von Erinnerung. Die Erinnerung aber ist selbst etwas Dichtendes, künstlerisch Zusammenfassendes und Auswählendes.
Ein Dichter muß 77mal als Mensch gestorben sein, ehe er als Dichter etwas wert ist.
Der reimlose Jambus hat ein so formelles Pathos, ein so großrednerisches Moment in sich, daß er uns Modernen meistens geradezu unmöglich wird, da wir in tiefster Seele von dem Willen durchdrungen sind, wahr zu sein, redlich vor allem in der Wiedergabe unserer Stimmungen und inneren Erlebnisse.
Höchste Empfindungen, Phantasie im Gewande intimster Natur – – – eine Durchgeistigung der Realität auf allen Punkten, künstlerischer Polytheismus (im Sinne der Kunst), das meine ich, muß das Programm der Zukunft, unserer Zukunft sein. Der Sieg des menschlichen Geistes über die Außenwelt muß vollkommen werden.
Je einheitlicher ein Volk einen Stil aus sich herausentwickelt, um so mehr ist es bei sich selbst daheim. Daher der Zauber des mittelalterlichen Stils, daher heute unsere Heimatlosigkeit.
Wenn wir einen nationalen Baustil haben wollten, müßten wir eine einheitliche Weltanschauung haben.
Wenn ich so die kleinen Dampfer die riesigen Kähne vorüberschleppen sehe, muß ich immer an den Dichter und das Publikum denken.
Schönheit ist empfundener Rhythmus. Rhythmus der Wellen, durch die uns alles Außen vermittelt wird. Oder auch: Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Je mehr jemand die Welt liebt, desto schöner wird er sie finden.
Das naturalistische Drama hat nur dann Wert, wenn es den Menschen, so wie er heute ist, sich selbst unerträglich macht. Ibsen. Hauptmann.
Kritik oder Beispiel – naturalistische oder idealistische Kunst. Der Naturalismus eine rein historische Kunstanschauung. Der Naturalismus nur ein Stadium, kein Ziel.
Den Ästhetikern:
Zeigt Wege der Zukunft, aber beschwört nicht ewig die Toten gegen uns.
Man sollte lieber mit feiner Kunst ehrenvoll sterben wollen, als mit grober siegen.
Als ein wesentliches Merkmal der Menschen möchte ich ihre ethische und ästhetische Anspruchslosigkeit bezeichnen.
Es ist eigentlich eine Ungerechtigkeit, daß der Dichter nicht – gleich dem Musiker – den Teilen seiner Werke hinzufügen darf, in welchem Tempo er sie genommen wissen will.
Was soll uns Tragödie heißen und als tiefste Erregung von der Bühne herab gelten? Die Darstellung des wahrhaft bedeutenden Menschen, der immer eine tragische Erscheinung ist, weil in allem menschlich Großen neben der großen Freude auch der große Schmerz wohnt, weil in jedem ungemeinen Schicksal das Ja und das Nein allen Lebens wie aus zwei Posaunen erklingt, weil der große Mensch eine Abbreviatur des ganzen Weltgeheimnisses ist. Die Tragödie ist der tiefe Gesang vom Wesen der Welt, und ihm von Zeit zu Zeit erschüttert zu lauschen unser Ewigkeitsdienst in all dem uns überbrausenden Alltag.
Es gibt vielleicht keine glücklichere Manier, als alle Dinge vom Standpunkt des Malers aus zu betrachten.
Zeige mir, wie Du baust, und ich sage Dir, wer Du bist.
An unsere jungen Dichter: Geht ins Volk, mischt euch unter die gewöhnlichen Leute, sucht ihre Freundschaft zu gewinnen, sucht so reden zu lernen, daß sie euch verstehen wie ihresgleichen. Geht zu den verschiedensten Handwerkern, auf die Werften, in die Fabriken, in die Bergwerke; lernt vom Volk und für das Volk; seht zu, daß, was und wie ihr dann schreibt, jedem verständlich sein könne, der den guten Willen für euer Verständnis mitbringt. Laßt euch Jahre eures Lebens in einsamen Dörfern nieder, im deutschen Gebirge, an den Küsten, auf Inseln. Laßt euch vom glatten charakterlosen Großstädter nicht das Bild des Menschen fälschen, obwohl man auch bei ihm leicht unter die Schale dringen kann. Denkt an Luther, wie er herumging in allen Werkstätten, um sich die Sprache für seine Bibelübersetzung zu bilden; wandert, soviel ihr könnt, werdet lieber Handwerksburschen als hoffnungsvolle Literaten, die von Gesellschaft zu Gesellschaft eilen, die sich ihre Ziele aus Theatern und Zeitschriften holen, die sich ästhetisch anregen lassen, statt immer wieder auf den Grund des Lebens zu gehen.
Neue Dichter seh ich kommen, nach innen den Blick gerichtet – – –
Eine Karikatur ist bloß immer einen Augenblick wahr.
Es ist so plump von Künstlern und Dichtern, sich geradezu ans Geschlecht zu wenden. Als ob man sich ans Geschlecht erst wenden müßte.
Kunst ist nicht ein Stück Welt im Spiegel eines Temperaments, sondern – ein (Stück) Temperament im Spiegel des Bewußtseins.
Das Leben zeugt Blumen und Bienen. Blumen, das sind die schöpferischen Geister, und Bienen die andern, die daraus Honig sammeln.
In jedem Kunstwerk ist der Künstler selbst gegenwärtig. Wir spielen und hören in Wahrheit Beethoven, sehen Lionardo, lesen Goethe.
Musik – gesanggewordener Mensch und somit seine für uns vielleicht höchste Erscheinungsform. – Ein altes Bild: Der Gesang der Engel vor Gott; umgedeutet: Menschen vor Gott (der überall) zu Lied, zu Gesang geworden. Beethoven, ein Engel Gottes (der in unser aller) und zu Gottes (der in unser aller) Preis unaufhörlich tönend. – Beethoven, ein Gesang Gottes vor sich selbst.
In einem großen Geiste bricht jahrhundertelanges im Verborgenen schaffendes Keimen der Naturkräfte zur strahlenden Blüte auf.
Nirgends kann das Leben so roh wirken, wie konfrontiert mit edler Musik.
Die moderne Landschaftsmalerei (und Liebe zur Landschaft, Natur) – ein weiterer Schritt der Erde zur Erkenntnis und Liebe ihrer selbst.
Ein rechter Künstler schildert nie, um zu gefallen, sondern um zu – zeigen.
Jeder Künstler tötet zehn folgende (Dilettanten).
Ich kann mir in etwa 200 Jahren ein Drama denken, dessen Vorwurf der Kampf zwischen der Newtonschen und der Goetheschen Farbenlehre bildet. Die Farben treten auf und suchen umsonst das weiße Tageslicht in gemeinsamer Aktion zusammen hervorzubringen. Schließlich erscheint das eine weiße ungeteilte und unteilbare Sonnenlicht in Gestalt eines weißgekleideten Weibes und entlarvt dieses ganze anmaßende Unterfangen als Betrug und Selbstbetrug.
Wenn mich nicht alles trügt, so stehen wir dicht vor Künstlergenerationen, die sich des ganzen irdischen Lebensstoffes noch ganz anders bemächtigen werden als die bisherigen.
Habt das Leben bis in seine unscheinbarsten Äußerungen hinab lieb und ihr werdet bis in eure unscheinbarsten Bewegungen hinab unbewußt von ihm zeugen.
Allzuviel Lyrik frißt die gesunde Natur des Dramas an und nimmt ihm, in einem ganz hohen Sinne, seine natürliche Sittlichkeit.
Schönheit »an sich«? Nein, Schönheit, die über sich hinausweist.