Inhaltsverzeichnis
Herzlich willkommen beim Stundenbuch der Lust!
Als das Wünschen noch geholfen hat
Der Traum von der wahren Liebe
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Herzlich willkommen beim Stundenbuch der Lust!
Sie halten das Buch in Händen und sind neugierig geworden? Die fantasievolle Zeichnung hat Sie angesprochen? Sie wundern sich über den Titel? Damit sind Sie wahrscheinlich nicht der oder die Einzige. Möglicherweise werden Sie ihn spontan mit Begriffen wie »Stundenhotel« oder »Stundenplan« in Verbindung bringen. Der Ausdruck »Stundenbuch« ist jedoch ein sehr alter Begriff aus dem christlichen Umfeld und hat mit Innigkeit, Andacht und Hingabe zu tun. Ursprünglich verstand man darunter die Stundengebete der Mönche in den Klöstern, die diese in ihren Stundenbüchern festhielten. Mit dem Stundenbuch und den entsprechenden Gebeten machten sie sich Tag für Tag das für sie Wichtige aufs Neue bewusst. Durch die Wahl des Titels für dieses Buch wollten wir keine religiösen Bräuche verhöhnen, sondern vielmehr einen Zusammenhang herstellen. Denn Innigkeit, Andacht und Hingabe sind Dinge, die wir auch in Partnerschaft und Beziehung anregen wollen. Doch darüber hinaus sind auch Liebe, Erotik und Sexualität feste Bestandteile unseres Lebens.
Im Idealfall gehört alles zusammen. Doch ein Idealfall würde nicht als solcher bezeichnet, wenn wir ihn tagtäglich zu Hause erlebten. Möglicherweise haben Sie den tollsten, attraktivsten, liebevollsten, zärtlichsten, aufmerksamsten und leidenschaftlichsten Partner der Welt - oder eben eine solche Partnerin - an Ihrer Seite. Nur leider schleicht sich hin und wieder ganz heimlich, still und leise der verflixte Alltag durch die Hintertür hinein und bietet alles Mögliche, nur keine wirklich erotischen Momente? Die Arbeit ist getan, die Kinder sind endlich im Bett, die Waschmaschine rumpelt mehr oder weniger aufgeregt vor sich hin, alle Fahrräder sind repariert, es gilt nur noch die Spülmaschine ein- oder auszuräumen - und dann fallen Sie mit einem lauten Seufzer vor den Fernseher, Füße hoch, und der Abend ist gelaufen.
Warum nicht einmal Fünfe gerade sein und alles stehen und liegen lassen, es sich zu zweit irgendwo in der Wohnung gemütlich machen - ganz egal, ob auf dem Bären- oder dem Lammfell-Imitat vor dem Kamin, auf einer Picknickdecke auf dem Küchenfußboden, in der Hängematte im Flur, auf dem Sofa oder ganz einfach im Bett? Und wie wäre es, wenn Sie sich dann eine Geschichte vorlesen? Oder, ganz verrückt, erzählen Sie sich doch einfach eine - eine frei erfundene. Und setzen Sie der Fantasie keine Grenzen. Erzählen Sie von Begebenheiten, die Sie vielleicht erlebt oder gehört haben. Schmücken Sie diese schamlos aus, flunkern Sie, was das Zeug hält, und lassen Sie aus einem simplen und vielleicht langweiligen Einkaufsbummel eine heiße, aufregende Verführungs - szene in der Umkleidekabine werden.
Es gibt unzählige Situationen, Begegnungen, Beobachtungen und Gelegenheiten, die sich lohnen, erzählt zu werden. Einige davon - nur ein kleiner Ausschnitt aus dem weiten Feld der Geschichten - werden Ihnen in diesem Buch vorgestellt.
Die Geschichten, die wir Ihnen erzählen werden, handeln zum Teil von den unaufgeregten Selbstverständlichkeiten des Alltags. Wir alle wissen, dass zu einer gut funktionierenden Partnerschaft und einem erfüllten Sexualleben auch gewisse Anstrengungen und Kompromisse gehören, dass wir »daran arbeiten müssen«, wie es so schön heißt. Und doch werden Liebe, Lust und Leidenschaft leicht als Selbst - verständlichkeiten hingenommen. Und wenn sie im Leben fehlen, neigen wir genauso dazu, das als gegeben zu akzeptieren.
Geschichten zum Thema Sexualität
Nein, wir werden Ihnen kein Buch mit besonders ausgefallenen Sexualpraktiken bieten, die die Stimmung in einer angeschlagenen Beziehung garantiert auf einen nie da gewesenen Grad der Lust heben. Ebenso wenig haben Sie ein Handbuch vor sich mit psychologischen Ratschlägen oder wissenschaftlich fundierten Hintergründen zum Thema Liebe, Sex und Partnerschaft.
Vielmehr haben wir Märchen und Geschichten gesucht, gefunden, ausgewählt und zum Teil selbst entwickelt, die ganz unterschiedliche Aspekte zum Thema Sexualität beleuchten. Auch das Thema Homosexualität kommt zur Sprache, aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und - trotz oder gerade - aus unserer heterosexuellen Sicht erzählt. Die Geschichte selbst stammt allerdings von einem schwulen Paar - alles andere wäre unserer Ansicht nach vermessen gewesen. Überhaupt werden Sie in diesem Buch viele persönliche Statements finden, ohne dass einer von uns beiden einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben wollte.
Wenn es uns gelingen sollte, Ihre Gedanken anzuregen und Sie und Ihren Partner oder Ihre Partnerin - in einer vielleicht festgefahrenen Situation - zu neuer Kommunikation miteinander zu bringen, dann haben wir unser Ziel erreicht. Wenn Sie manchmal lächeln müssen - über unsere Geschichten oder über uns - dann sind wir glücklich. Und wenn Ihnen unser Buch so gut gefällt, dass Sie es einem anderen oder einer anderen schenken wollen - bitte tun Sie es. Wir freuen uns bei der Vorstellung, bei Ihnen - selbstverständlich nur in Gedanken - am Wohnzimmertisch oder auf der Bettkante zu sitzen. Bei allem Respekt, die Meinung ehrenwerter Literaturkritiker ist uns egal - Ihre Meinung aber ist uns wichtig.
In diesem Buch geht es um uns, um Leute wie Sie und mich, wie Sie und uns. Um kleinere und größere Probleme, fehlgeschlagene Kommunikation, um Träume. Vor allem geht es um den Dialog zwischen Mann und Frau: Sind wir wirklich so unterschiedlich? Findet unsere Verständigung tatsächlich auf ganz verschiedenen Ebenen statt? Dabei ist - besonders im Bett - eine Kommunikation, die vom Partner verstanden wird, von großem Vorteil. Haben wir eine Chance? Wir verraten Ihnen natürlich noch nicht, was dabei herausgekommen ist. Lesen Sie selbst. Nur eines schon: Es sind spannende Diskussionen entstanden. Obwohl wir beide uns schon seit Jahren recht gut kennen, durften wir doch immer wieder staunen über den - teilweise vollkommen - anderen Blickpunkt und die mitunter sehr kontroversen Ansichten von Frau und Mann. Zur Beruhigung: Es gab auch Übereinstimmungen.
Wir möchten Sie mit diesem Buch dazu anregen, einmal andere Wege zu gehen, Ihre Fantasie und Kreativität zu entwickeln und sich dem - leider in der Gesellschaft immer noch häufig tabuisierten - Thema »Lust« mit Hingabe und Leidenschaft und völlig stressfrei zu öffnen.
Probieren Sie es einfach aus. Lesen Sie vor. Erzählen Sie. Es ist gar nicht so schwierig. Und mit einem Gegenüber, dem Sie vertrauen, macht es noch einmal so viel Spaß - ganz gleich, ob es sich dabei um Partner, Ehefrau, Geliebte, Freund, beste Freundin oder Nachbarin handelt.
Zum Warmwerden gibt es hier schon einmal eine Geschichte vorab. Eine, die versucht zu erklären, warum Männer und Frauen gar nicht ohneeinander können.
Warum Mann und Frau nicht ohneeinander können
Wer erschuf unsere Welt? Gottvater natürlich. Wie aber schuf er Mann und Frau, und warum lieben sie sich, schlafen miteinander und heiraten? Die Seele tief im Innern der Menschen weiß es, doch sie ist schüchtern, sie schweigt. Erfahrt also die Wahrheit.
Das erste Lebewesen, das Gott schuf, besaß einen Körper und zwei Gesichter. Es war stark, es war weise und verstand es, Himmel und Erde mit Herz und Seele zu genießen. Es wusste, dass man das reine Licht nur mit geschlossenen Augen sehen kann, es wusste, was die Toten wissen und was auch das Kind weiß, bevor es noch im Leib der Mutter ist. Es wusste alles im Himmel und alles auf Erden. Und es hatte keinen anderen Wunsch, als das Leben zu führen, das ihm geschenkt worden war.
Nun, Gott liebte die Freuden des Lebens. An einem heiteren Sommertag entdeckte er einen berauschenden Palmwein. Er nippte daran, schnalzte mit der Zunge, seine Augen glänzten, seine Nase rötete sich, sein Verstand verließ ihn. Er lachte los ohne jeden Grund, klatschte in die Hände, begann zu tanzen und wurde so ausgelassen, dass er sich in die Sterne verwickelte und die Treppe herunterkugelte. Er donnerte herab wie ein Blitzschlag. Wohin aber fiel er? Genau auf das zweigesichtige Wesen, das an einem Bergbach den Einbruch der Nacht beobachtete. Der Aufprall spaltete es mitten entzwei.
Das Gesicht der einen Hälfte war zum Himmel gekehrt, das der anderen zur Erde. Aber sie erhoben sich und wollten wieder eins werden. Da spürte das eine Wesen, wie ihm zwischen den erregten Schenkeln ein männliches Glied wuchs, das andere stöhnte, wölbte seinen Leib, um dieses Gebilde aus Fleisch und Blut aufzunehmen, sein eigen Fleisch, sein eigen Leben. Das Entzücken über ihre erneute Vereinigung währte einen Lustschrei lang. Und sie trennten sich erneut, wie sie von Gott geteilt worden waren. Seit dieser Zeit vereinigen sich Mann und Frau, umarmen und verlassen sich, suchen sich aber immer wieder von neuem. Sie leiden an dieser Spaltung und leben nur dafür, sie zu überwinden. Sie lieben, als wäre es ein Gebet. Sie genießen. Ihre Körper wissen, dass sie im Geiste nur ein Wesen sind.
In diesem Sinne: Viel Vergnügen beim Lesen!
Als das Wünschen noch geholfen hat
Der Traum von der wahren Liebe
Liebesbande frei nach einem japanischen Volksmärchenmotiv
Es waren einmal zwei Freunde sich in unverbrüchlicher Liebe und Harmonie zugetan. Nichts konnte sie trennen, und man hätte meinen können, es handelte sich um Zwillinge. Stets sah man sie gemeinsam, entweder beim Tee in der Stube oder beim Würfelspiel vor dem Haus. Wenn sie sich begegneten, hatten sie einander so viel zu berichten, dass man glauben konnte, sie hätten sich Jahre nicht gesehen - dabei mochte das letzte Zusammentreffen nur wenige Stunden zuvor gewesen sein. Sicherlich hätten sie, ohne zu zögern, ihr Leben für den anderen gegeben. Sogar ihre Gedanken ähnelten sich, und was der eine dachte, sprach der andere aus. Gemeinsam suchten sie nach Antworten auf ernste Fragen, und sie lachten über genau die gleichen Dinge. Wen wundert es, dass sie sich zur gleichen Zeit verliebten und den Tag ihrer Eheschließung mit einer Doppelhochzeit begingen?
Am Abend dieses Tages hielten sie sich an der Hand, und ein jeder schwor feierlich: »Wenn es Gottes Wille ist, dass du einen Sohn bekommst und ich eine Tochter, dann kann sie nichts trennen, und wir werden sie miteinander verloben.« Nach diesem Schwur wandten sie sich ihren Frauen zu.
Es dauerte nicht lang, da wurde dem einen ein Mädchen geboren, dem anderen ein Junge. Wer nun große Freude vermutet, wird leider enttäuscht, denn die innige Freundschaft in den Herzen der Unzertrennlichen war zerbrochen. Waren es zu Beginn nur erste Risse in den festen Mauern ihrer brüderlichen Liebe gewesen, so schienen sich Zwietracht und Missgunst zwischen ihnen immer weiter auszubreiten. Wenn sie sich begegneten, grüßten sie einander kaum noch. Ihre Frauen hatten ihre Giftpfeile abgeschossen und Neid und Argwohn zwischen ihnen gesät.
Die Frauen hassten einander. »Weißt du, was mir die hinterhältige Ziege deines Freundes neulich angetan hat?«, fragte etwa die eine. Und die andere stichelte mit scharfer Zunge: »Freund nennst du ihn? Dass ich nicht lache! Er nutzt dich aus, er belügt dich. Muss ich dir wirklich alles sagen? Nun gut, mein Lieber, er hat neulich - verzeih, denn ich schäme mich, es laut zu sagen - meinen Arm getätschelt.«
Als die Kinder zur Welt kamen, begegneten sich die Freunde eines Morgens vor der Moschee.
»Meine Frau hat einen Sohn geboren«, sagte der eine.
»Meine auch«, erwiderte der andere. »Leb wohl.«
»Alles Gute.«
Das war alles.
Einer der beiden hatte gelogen. Doch es war besser, die Welt an der Nase herumzuführen, als eines Tages seine Tochter dem Wolf zum Fraß vorwerfen zu müssen.
Das Mädchen wuchs also als Junge auf und ging auch entsprechend gekleidet zur Schule. Und wer griff im Hof nach seiner Hand? Der Sohn von seines Vaters Freund. Sie glaubten, sie seien beide Jungen. Selbstverständlich wussten sie nichts von dem Schwur ihrer Väter, der sie verband. Doch beide hatten das Gefühl, sich schon seit jeher zu kennen.
Da die beiden Kinder im Unterricht nebeneinander saßen, bemerkte der Lehrer eines Tages, dass sie unter dem Tisch die Hände ineinander verschlungen hielten und sich die Oberschenkel streichelten. Er war entsetzt. Zwei Jungen! Der Lehrer schlug sie, doch das hielt die beiden nicht weiter ab. Während alle anderen lernten und Verse rezitierten, saßen sie in einer Ecke und küssten sich auf den Mund. Der überforderte Lehrer zog die Kinder hinter sich her und zerrte sie zu ihren Eltern. Unterwegs traf er die Väter, die ihm schon entgegeneilten, und rief empört: »Entweder handelt es sich um Dämonen oder aber es ist ihre Bestimmung, zusammen zu leben. Diese Liebe zwischen ihnen ist unglaublich stark, am Ende sind es gar nicht zwei Jungen.«
Keiner der beiden Väter sagte ein Wort.
So wurden die verliebten Kinder getrennt und in verschiedene Klassen geschickt. Doch niemand unterschätze den Einfallsreichtum eines Liebenden! Gelangweilt durch den Unterricht und getrieben von der Sehnsucht nach dem anderen, begannen sie, im Schatten der Palmen ein Loch durch die Wand zu bohren, durch das sich ihre Zungen berühren konnten.
Lange Zeit küssten sie einander auf diese Art und Weise, bis sie den Spalt immer weiter öffneten, so dass sie sich nach einer Weile an den Händen fassen konnten. Während alle um sie herum dem Vortrag des Lehrers lauschten, tauschten die beiden Kinder allerlei Zärtlichkeiten aus, streichelten sich über ihre Gesichter, küssten ihre Münder und waren dabei so vorsichtig und behutsam, dass sie lange nicht entdeckt wurden.
Sie wuchsen heran, und die Öffnung in der Mauer wurde größer und größer. Mittlerweile konnte der Junge seinen Kopf hindurchstecken,
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Illustrationen: Beate Brömse, München
Projektleitung: Birte Schrader
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