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Wir befinden uns im Mai des Jahres 1945. Ein amerikanischer Zerstörer und ein deutsches U-Boot werden von einem mysteriösen Sturm Millionen von Jahren in die Vergangenheit transportiert. Urzeitmonster bevölkern das Meer und ein angrenzendes Eiland. Im Angesicht tödlicher Dinosaurier sind die beiden verfeindeten Kapitäne gezwungen, sich gemeinsam diesem weitaus gefährlicheren Feind zu stellen. Fieberhaft suchen die Soldaten nach einem möglichen Weg zurück, doch es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn Vorräte und Munition werden knapp. Der Hölle des Zweiten Weltkrieges entkommen, sehen sich die Männer einem Grauen gegenüber, auf das nichts sie vorbereiten konnte. ★★★★★ »Auf der Suche nach mehr Seemonstern, als man sich vorstellen kann, zusammen mit einer großzügigen Portion Zeitreise? Dann sind Sie hier genau richtig! Dieses Buch hat einfach alles!« - RICK CHESLER, Autor von NEPTUNS INFERNO und HOTEL MEGALODON
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Seitenzahl: 330
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This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: PREHISTORIC WWII. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2016. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.
Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.
Deutsche Erstausgabe Originaltitel: PREHISTORIC WWII Copyright Gesamtausgabe © 2023 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Cover: Michael Schubert Übersetzung: Peter Ücker
Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2023) lektoriert.
ISBN E-Book: 978-3-95835-835-5
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
4. Mai 1945. Die USS Sutton, ein neuer Zerstörer der Cannon-Klasse der US-Marine, kreuzte auf Probefahrt in den blauen Gewässern der Bermuda-Inseln. Sobald das Schiff sich als kampffähig erwiesen haben würde, ginge es mit voller Kraft voraus, um den »Guten Krieg« in Europa zu beenden.
Captain T.W. Brazo hielt das Fernglas über seinen gepflegten Schnurrbart, während er den wogenden Nordatlantik absuchte. Da die Mittel im Krieg begrenzt waren, war das Fernglas Teil eines nationalen Programms, das die Bürger aufforderte: Würden Sie Augen für die Navy spenden? Auf einem Schildchen waren der Name und die Adresse des wohltätigen Vorbesitzers vermerkt. Die Marine war nicht befugt, Geschenke anzunehmen, also wurde ein einziger Dollar als Zeichen der Wertschätzung gezahlt. Der Präsident hatte jedoch versprochen, nach Möglichkeit alle Ferngläser nach Kriegsende zurückzugeben. Brazo hatte irgendwo gelesen, dass über fünfzigtausend Bürger dem Aufruf gefolgt waren.
Der Krieg in Europa brachte für das amerikanische Volk viele Härten mit sich. So schlimm die Depression auch war, die das Land auf einen absoluten Tiefpunkt brachte, doch die Amerikaner verloren angesichts des Aufstiegs der Achsenmächte nicht den Glauben an die Freiheit. Die Vereinigten Staaten waren schließlich nach dem Motto ›Gib mir die Freiheit oder den Tod‹ gegründet worden.Doch das waren nur Worte. Der Beweis dafür waren die Taten von Hunderttausenden Männern und Frauen, die im Streben nach Freiheit ihr Leben opferten. Nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern für alle freiheitsliebenden Menschen der Welt.
Der Wind wehte ruhig und strich über seine Wangen. Der Geruch der salzigen Gischt drang bis hinauf auf die Aussichtsplattform. Ein Besatzungsmitglied arbeitete eifrig an einer ihm zugewiesenen Aufgabe an Deck.
Brazo liebte alles am Meer. Seine früheste Erinnerung war, wie er sich in Cocoa Beach abkühlte, mit seiner Mutter an der einen und seinem Vater an der anderen Hand. Die meisten seiner Freunde hatten gern mit Spielzeug-LKWs oder Cowboys und Indianern gespielt. Er nicht. Er hatte es vorgezogen, sich als Pirat zu verkleiden und eine Geißel der sieben Weltmeere zu werden. Seine Lieblingsspielzeuge waren Miniaturschiffe und -boote gewesen. Ein langer Stock als Schwert und ein über ein Auge gebundenes Tuch verwandelten ihn in den berüchtigten Captain Black Brazo. Die Piratenflagge hing stolz über seinem Bett und drohte allen Monstern, die sich nachts in sein Zimmer schlichen, dass sie hier die Opfer sein würden.
Der Exekutivoffizier, Captain Alan Slick, der als XO bezeichnet wurde, um seinen Rang nicht mit dem des Kommandanten des Schiffes zu verwechseln, trat von der obersten Sprosse der Leiter auf das Beobachtungsdeck. »Captain«, sagte er und nahm für einen Moment Haltung an.
»Slick, sind Sie ins Krähennest, um frische Luft zu schnappen? Ich kann es Ihnen nicht verdenken. Die Bohnen, die zum Mittagessen serviert wurden, könnten Hitlers neueste Geheimwaffe sein. Stellen Sie sich vor, fast dreihundert Männer ersticken an ihren eigenen Fürzen, ohne dass ein einziger Schuss fällt.«
»Ich würde den Nazis nicht zu viel zutrauen, Sir. Aber so wie der Krieg für sie läuft, vermute ich, dass sie die Bohnen eher essen würden, um sich selbst zu erledigen.«
»Das könnten sie«, sagte Brazo und fuhr damit fort, den Horizont abzusuchen.
Slick richtete seine Aufmerksamkeit auf den Ozean, hob seine Mütze und fuhr sich mit den Fingern durch sein krauses schwarzes Haar. »Glauben Sie, dass die Berichte wahr sind? Dass Hitler Selbstmord begangen hat? Das ist eine dieser Nachrichten, die ich zu gern glauben würde.«
»Schwer zu sagen«, entgegnete Brazo und blickte zu seinem XO. »Es geht das Gerücht, dass man seine Leiche einäscherte. Aber ohne handfeste Beweise können wir uns nicht sicher sein. Wir dürfen jetzt nicht unvorsichtig werden. Wir machen Fortschritte, aber wenn die Nazis diese sogenannte Atombombe vor uns bekommen, ist es egal, ob Hitler noch das Sagen hat oder nicht.«
»Wenn es einen Gott gibt, wird das nicht passieren.«
»Wenn es einen Gott gäbe, hätte es diesen verdammten Krieg nicht gegeben«, entgegnete Brazo. Sein Tonfall war erfüllt von Abscheu vor den unmenschlichen Gräueltaten, die die Nazis an unschuldigen Menschen verübt hatten. Er verstand den Krieg, auch wenn er von verrückten Diktatoren geführt wurde, die die Welt beherrschen wollten. Was er aber nicht verstand, war Völkermord oder die Folterung von Menschen, die man schlimmer als Tiere behandelte. Die Lücken in der Nazi-Propaganda hatten gezeigt, dass die Juden in den Internierungslagern nicht so behandelt wurden, wie es in den Kurzfilmen dargestellt wurde. Keine Kinderopern oder saubere, komfortable Wohnräume. Kein schmackhaftes und nahrhaftes Essen. Die Realität war viel düsterer, als man es sich hätte vorstellen können. Die Häftlinge waren tatsächlich in etwas verwandelt worden, das kaum noch als Mensch zu erkennen war. Der Hunger hatte sie zu wandelnden Skeletten gemacht. Ihre Augen starrten todesähnlich aus geschwärzten, eingesunkenen Augenhöhlen. Ihr purer Instinkt war die einzige Kraft, die das tägliche Überleben sicherte.
»Ich werde nicht schon wieder mit Ihnen über die Existenz Gottes diskutieren«, sagte Slick. »Ich weiß nur, dass ich daran glauben muss, dass eine höhere Macht am Ende auf der Seite des Guten stehen wird, wenn so viel auf dem Spiel steht.«
»Es ist eine Frage des Willens. Des menschlichen Willens. Aber zumindest stimme ich Ihnen darin zu, dass auch ich glaube, dass die Macht des Guten stärker ist als die Macht des Bösen. Der menschliche Geist ist das am schwersten zu löschende Feuer. Der Wille zu leben … frei zu sein, ist stärker als alle Götter zusammen«, sagte Brazo, der die philosophische Diskussion nicht unnötig ausweiten wollte. »Wie läuft der Probelauf? Die hinteren Motoren scheinen heute etwas ruhiger zu laufen.«
»Das tun sie. Die Elektriker haben den Zyklus einer der Dieselmotoren angepasst, um ihn mit dem elektrischen Antrieb zu synchronisieren. Die größten Probleme wurden bereits vor einer Woche behoben. So wie es jetzt aussieht, denke ich, dass wir noch vor Ende des Monats über den Ozean schippern werden.« Slick hielt einen Moment inne und fügte dann noch hinzu: »Es gibt da allerdings noch ein Problem. Es betrifft das Funkgerät … wir können darüber empfangen, aber nicht senden. Der Ausfall trat ungefähr zur gleichen Zeit auf, als diese Störungen auf dem Radarschirm auftauchten. Wahrscheinlich defekte Röhren.«
»Welche Art von Störung?«
»Ein riesiger grüner Fleck verdunkelte eine Ecke des Bildschirms.«
»Welche Richtung?«
»Südwesten.«
Brazo drehte sich um und lief zur anderen Seite der Aussichtsplattform hinüber. Der strahlend blaue Himmel wurde langsam von wogenden Wolken mit seltsamen Farben verdeckt. Er hob das Fernglas und stellte es scharf. »Hmm.«
»Was ist, Sir?«, fragte Slick, der hinter ihn trat.
»Das da draußen sind keine gewöhnlichen Wolken. Sie reichen vom Himmel bis hinunter zum Wasser und … sie sind grün.«
»Ich habe schon einmal grüne Wolken gesehen. Kurz bevor ein Tornado auf unserer Farm niederging. Aber ich muss zugeben, dass sie nicht mit denen da drüben zu vergleichen sind.«
Der Kapitän eines Schiffes weiß, dass er das Wetter respektieren muss. Selbst die mächtigsten Schiffe können von Neptuns Wutanfällen hin- und hergeworfen und zerdrückt werden. Mit Gewittern konnte er umgehen, zumal das Schiff nur zwanzig Meilen von der Basis entfernt war. Aber aus irgendeinem Grund hatte er bei dieser Wolkenformation ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Brazo hatte gelernt, seinen Instinkten zu vertrauen. Warum in den Wind spucken, wenn man es nicht muss? »Ich denke, es wäre in unserem besten Interesse, wenn wir zur Basis zurückkehren. Mir ist klar, dass die Chance, dass wir hier draußen aus der Luft angegriffen werden, gleich null ist. Aber was, wenn es nicht nur eine defekte Röhre ist, die das Radar beeinträchtigt? Es könnte sich um ein größeres elektrisches Problem handeln. Lassen Sie uns das schlechte Wetter meiden und zur Basis zurückkehren.«
»Ja, Sir. Sie sind der Kapitän«, sagte Slick. Der Mann wollte gerade gehen, als das Funkgerät der Aussichtsplattform quäkend zum Leben erwachte.
»Captain? Over«, meldete sich die Stimme von Jim Stone.
Brazo schritt heran und ergriff das Mikrofon. »Brazo. Was gibt es, over.«
»Das Radar hat ein unbekanntes Objekt zwei Meilen steuerbord geortet. Wir vermuten, dass es ein Periskop ist.«
»Sind Sie sicher? XO Slick sagte mir, dass das Radar nicht korrekt funktioniert«, hakte Brazo nach.
»Der Radarschirm, der nicht von der Störung betroffen ist, scheint hundertprozentig zu funktionieren. Irgendetwas ist definitiv da draußen.«
»Ein U-Boot, Sir?«, fragte Slick. »Wir haben denen in den letzten Monaten die Hölle heiß gemacht. Ich hätte nicht erwartet, hier draußen außerhalb der großen Schifffahrtsrouten noch einen Nachzügler zu finden.«
»Unseren Informationen zufolge fliehen einflussreiche Nazis wie die Ratten nach Südamerika. Es würde mich nicht überraschen, wenn einige der schlimmsten Nazi-Verbrecher, die je über die Erde marschierten, an Bord dieser Blechdose wären.« Brazo zog seine Stirn kraus. Seine Finger wurden weiß, als er das an seiner Brust hängende Fernglas fester umklammerte. »Ich kann nicht zulassen, dass meine Gefühle die Sicherheit dieses Schiffes oder die meiner Männer gefährden. Sie sind mein XO. Dieses Schiff ist nicht offiziell beauftragt, den Feind anzugreifen. Aber nennen Sie mir einen Grund, warum es nicht tun sollten.«
Slicks stoische Miene verbarg jede Emotion, als er kurz innehielt, um die Risiken abzuwägen. »Das kann nicht, Sir. Alle Waffen sind einsatzbereit.«
»Und der Sturm im Südwesten? Das U-Boot steuert direkt darauf zu.«
»Sorgen wir dafür, dass es ihre letzte Fahrt sein wird. Auf Beerdigungen regnet es immer, doch in der Hölle regnet es nie.«
Ein schwaches Grinsen zeigte sich auf Brazos Gesicht. »Dann wollen wir doch noch ein bisschen Spaß in diese Beerdigung bringen.« Er drückte den Knopf des Mikrofons. »Hier spricht Captain Brazo. Auf Gefechtsstation!«
Kapitänleutnant Christoph Neuberg presste sein Gesicht gegen den Augenschirm des U-Boot-Periskops und versuchte, den herannahenden Zerstörer im Blick zu behalten. Es ärgerte ihn sehr, dass das Alter die fein abgestimmte Maschine, die sein Körper einst war, in Mitleidenschaft gezogen hatte und ihn nun auf eine Stufe mit seinen minderwertigen Feinden zu stellen drohte. Er war erst fünfundvierzig Jahre alt, aber er spürte bereits erste Altersbeschwerden. Als er aufwuchs, hatte ihm sein Vater nie erzählt, wie sich der Körper eines Menschen im Alter veränderte. Er hätte es vielleicht noch verstanden, wenn er in seinen Sechzigern oder gar in den Siebzigern gewesen wäre. Aber mit fünfundvierzig?
Vielleicht war es der Stress. Etwas, mit dem ein Mitglied der SS sicher leben musste, es aber nie zugeben durfte. Der Arzt hatte behauptet, dass Stress die Leistungsfähigkeit der Augen beeinträchtigen konnte, und ihm eine Brille verpasst, die er nur zum Lesen benutzte – und das auch nur, wenn er allein war. Er war der Kommandant, ein Repräsentant der gefürchteten Kriegsmarine, kein Krüppel. Neuberg würde seine Männer führen, ohne dass gebogene Gläser das Feuer seiner eisblauen Augen filtern würden.
Die beiden Dieselmotoren brummten unaufhörlich, als das U-616 durch die Gewässer des Nordatlantiks glitt. Schwache Benzindämpfe durchdrangen die Luft. Allem im Inneren des U-Boots haftete ein leicht öliges Gefühl an. Rasieren und Duschen waren Annehmlichkeiten an Land, die sich eine U-Boot-Mannschaft nicht leisten konnten.
»Zerstörer … Cannon-Klasse … an Steuerbord«, sagte Neuberg.
»Allein?«, fragte Leutnant Gunter Bach. Obwohl er zehn Jahre jünger als Christoph war, ließen ihn die grauen Strähnen in seinem dunklen Bart älter aussehen.
»Ja. Auf jeden Fall allein.«
»Eine Cannon-Klasse sollte Handelsschiffe eskortieren und nicht allein auf dem Meer herumfahren.
»Wir sind nicht weit von einer Werft entfernt. Vielleicht ist das Schiff auf seiner Jungfernfahrt und wird uns keinen Schaden zufügen.« Neuberg hatte beide Handgelenke auf die Drehgriffe des Periskops gestützt. Er schwenkte es langsamen um 360° herum, während er angestrengt seinen Blick über das endlose Wasser schweifen ließ. Keine weiteren Schiffe in Sicht. »Wir steuern direkt auf einen Sturm zu.«
»Der Sturm stört unser Radar. So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte Fähnrich Otto Faulk, der an seiner Station saß.
Probleme mit dem Radar waren etwas, das sie jetzt nicht gebrauchen konnten. Sein linker Fuß trat in etwas Nasses. Sein Stiefel verschmierte einen Schmutzfleck auf dem Boden. Neuberg blickte hinüber in die Ecke des Kommandoraums. Sein Sohn Erik hielt den Kopf gesenkt und schmollte.
Ein Teil von ihm wollte den Jungen bei den Schultern packen, ihn kräftig schütteln und ihn mit den Worten »Die deutsche Jugend kämpft für den Führer und das Volk« in die Realität zurückholen. Der Krieg mit den Alliierten war sicher verloren, aber der Krieg, den die Deutschen jeden Tag ihres Lebens kämpften, um ein stolzes und überlegenes Volk zu sein, würde weitergehen. Der Erste Weltkrieg hatte das Überleben Deutschlands bedroht. Obwohl sie den Großen Krieg verloren hatten, war die arische Rasse, vor allem dank des Führers, aus der Asche wiederauferstanden und hätte beinahe die Weltherrschaft erlangt. Es braucht nur einen einzigen Menschen, um den Lauf der Geschichte zu verändern, hatte er Erik oft gesagt. Neuberg wollte nur das Beste für seinen Sohn, und das er eines Tages selbst die Eliten überragen würde.
Der andere Teil von Neuberg wollte seinen Sohn fest in die Arme nehmen und ihn wissen lassen, dass er die tiefe Trauer verstand, die dieser empfand. Die Bombenangriffe der Alliierten hatten Gerda, Eriks Mutter, nur drei Wochen zuvor getötet. Der Verlust seiner Frau war auch für Christoph schwer gewesen, aber auf eine andere Art. Auf eine ganz andere Art. Der Krieg hatte sie für Jahre getrennt. Schon vor dem Krieg war ihre Beziehung angespannt gewesen. Von ihrem Tod zu erfahren, hatte ihn mit Trauer erfüllt. Nicht so sehr wegen des Verlusts ihrer gemeinsamen Zukunft, sondern allein deswegen, weil er ein Leben verloren hatte, wie es ihm eigentlich vorbestimmt war.
Für einen fünfzehnjährigen Jungen war es viel schwerer, seine Mutter zu verlieren, als für einen Mann, der sich von seiner Frau bereits entfernt hatte.
»Erik«, sagte Neuberg mit Autorität in der Stimme und wartete darauf, dass sein Sohn in seine Richtung schaute. Sein Ruf hallte wirkungslos durch den Raum. »Sohn, hol eine Werkzeugtasche aus dem Maschinenraum. Ein Flansch von einem der Ballasttanks ist undicht.«
Ein rundgesichtiger Offizier des SS-Sicherheitsdienstes mit einer fein gezeichneten Nase und einem kräftigen Kinn trat gerade an den Eingang der Schleuse in den Kommandoraum. Er zögerte, weiter einzutreten, um nicht auf sich aufmerksam zu machen. Der Offizier war entweder höflich oder er spionierte ihnen nach, und SS-Offiziere waren nicht für ihre Höflichkeit bekannt. Seine Hand schwebte neben seiner Brust, eine glühende Zigarette zwischen den Fingern.
Erik hob langsam seinen Blick. Seine Miene verbarg, ob er die Bitte nicht verstanden hatte oder ob es sich um eine Aufgabe handelte, die er nicht erledigen wollte.
Neuberg trat von dem Periskop zurück. Er nickte Bach zu, seinen Platz einzunehmen. »Wenn du in meinem Kommandoraum bist, musst du dich nützlich machen. Wir können hier keine Trotzköpfe gebrauchen, die nur Platz wegnehmen. Hol ein paar Werkzeuge und zieh den Flansch fest, oder geh und hilf dem Koch in der Kombüse. Du hast dir im Jugendlager beim Zielschießen mit einer Mauser ein Band verdient. Ich bin sicher, du bist geschickt genug, um eine Kartoffel zu schälen.« Neuberg bedauerte seine herablassenden Worte, sobald sie seine Lippen verlassen hatten. Er wollte den Jungen nicht in Verlegenheit bringen, sondern ihn nur anspornen, aber so war es ganz sicher nicht bei ihm angekommen.
Erik schüttelte langsam den Kopf, sein Blick betrübt. »Ob ich gehe oder bleibe, ist mir egal. Wohin ich auch gehe, das Leben ist dasselbe. Ich bin immer noch in einem Boot. Ich bin nicht mehr daheim im Vaterland. Meine Heimat ist verloren. Mein Führer ist tot. Meine Mutter ist tot. Mein Land hat den Krieg verloren.« Seine Unterlippe hob sich und bebte. »Mein Land ist tot.«
»Hüte deine Zunge!«, rief Neuberg. Er befand sich in einer Zwickmühle. Es war die Zeit gekommen, seinen Sohn auf einen Weg zu schicken, der ihn entweder retten oder vernichten würde. Mit hochrotem Kopf richtete Neuberg den Finger auf ihn, doch bevor er das Jüngste Gericht auf den Jungen hereinbrechen lassen konnte, wurde er von Bach unterbrochen.
»Kapitän, der Zerstörer geht auf Abfangkurs. Wir sind entdeckt worden.«
Seine Emotionen hatten Neuberg von seinen Pflichten als Kommandant abgelenkt. Ein US-Zerstörer, der speziell für den U-Boot-Krieg entwickelt worden war, bedrohte seine letzte Mission. Die wichtigste Mission seines Lebens. Das U-616 transportierte Zeichnungen, Waffen, medizinisches Material, Instrumente, Blei, Quecksilber, Koffein, Stahl, optisches Glas und Messing. Es gab auch eine geheime Fracht: Zwei Tonnen Uranoxid, die für das Atomprojekt bestimmt waren. Aber die wertvollste Fracht, der Hauptzweck dieser Mission, bestand darin, einige wenige Auserwählte aus Deutschland zu schleusen, sie den Händen der Alliierten zu entreißen und sicher nach Brasilien zu bringen.
Neuberg betrachtete den Mann am Eingang der Schleuse. Klaus Barber. Als Mitglied der Gestapo hatte er sich den Spitznamen »Der Schlächter von Lyon« erworben. Der Kommandant wusste nicht, wie viel Wahrheit in den Gerüchten über die Grausamkeit dieses Mannes steckte, aber er konnte die Kälte in seiner Anwesenheit förmlich spüren. »Herr Barber, bitte informieren Sie die anderen Gäste und unsere beiden Patienten über die Situation.«
Die Spitze von Barbers Zigarette glühte auf.
Neuberg war kein Fan von Tabak, aber er war dankbar, dass andere es waren. Der Geruch von Zigaretten war angenehmer als die Körperausdünstungen und der Geruch von Schimmelpilzen, der Batterien und Maschinen, der auf einem U-Boot immer vorhanden war.
»Erik, geh mit Herrn Barber und mach dich nützlich. Sorge dafür, dass es den Patienten gut geht«, befahl Neuberg.
Barber zerdrückte die schwindende Glut seiner Zigarette auf einer schwieligen Handfläche. Er ging, ohne ein Wort zu sagen. Und das musste er auch nicht, denn der Kommandant wusste, was auf dem Spiel stand.
»Selbst wenn wir auftauchen, können wir ihnen nicht entkommen«, sagte Neuberg. »Dies ist unsere letzte Mission. Unsere Pflicht ist es, dafür zu sorgen, dass es auch die letzte Mission dieses Zerstörers sein wird.«
»Es wendet, Sir!«, rief Jim Sone von seinem Posten aus.
Das U-Boot hatte direkt in den Störungsfleck des Radarschirms zugehalten, wo es mit Sicherheit verloren gehen würde. Ob es für die Besatzung der Sutton ein Glücksfall war, den Feind anzugreifen, würde sich noch herausstellen.
»In Ordnung, jeder auf seinen Posten«, rief Brazo aus dem Kommandoraum. »Volle Kraft voraus. Bereitet die Torpedowerfer an Deck vor und wartet, bis sie gewendet haben. Halten sie die Hedgehogs bereit und feuern sie ohne meinen Befehl, sobald wir in Reichweite sind. Kämpft, bis sie sinkt, Jungs!« Er beendete seinen Befehl mit dem Schlachtruf, den er sich von Captain James Lawrence, USN, 1813, geborgt hatte.
Das U-Boot ging frontal zum Angriff über, was für ein einzelnes Schiff ein sehr aggressives Vorgehen war. Der deutsche Kapitän muss entweder verrückt oder sehr zuversichtlich sein. U-Boote waren dafür bekannt, in Gruppen anzugreifen, die man auch Wolfsrudel nannte. Sie waren bestens dafür geeignet, Marineschiffe aus dem Hinterhalt anzugreifen. Aber dies würde kein Versteckspiel werden.
Wenn die Torpedos ihr Ziel nicht finden würden, dann würden es die Hedgehogs mit Sicherheit tun. Brazo setzte volles Vertrauen in die nach vorn gerichtete U-Boot-Abwehrwaffe. Vierundzwanzig auf das U-Boot abgefeuerte Zapfenmörser würden in einem kreisförmigen Muster landen. Die schweren Geschosse würden so schnell sinken, dass sie in neun Sekunden bereits sechzig Meter tief wären. Im Gegensatz zu Wasserbomben, deren Detonation durch Druck oder Zeitschalter ausgelöst wurde und auf Schockwellen setzten, um Schaden anzurichten, verfügten die Mörsergeschosse über Kontaktzünder. Die Detonation erfolgte immer direkt gegen den Rumpf des U-Boots. Ein oder zwei direkte Treffer reichten aus, um den Feind auszuschalten.
»Es hat gewendet«, sagte Stone. »Das ist eine gute Sache. Die Radarstörung ist nun fast über uns.«
»Feuern Sie die Torpedos ab«, sagte Brazo. Die Sutton hatte vier Abschussvorrichtungen an Deck. Bei der ersten Salve würden zwei Mark-14-Torpedos starten. Die Unterwasserraketen hatten ihre Schwachstellen. Einige tauchten drei Meter als eingestellt. Der magnetische Zünder wurde oft vorzeitig ausgelöst, und der Kontaktzünder zündete oft gar nicht. Es gab Berichte darüber, dass einige Torpedos vom Kurs abgekommen waren, wendeten und zurückkehrten, um das feuernde Schiff zu treffen. Aber das war 1945 gewesen. Die hohen Tiere bei der Marine hatten ihm versichert, dass die meisten dieser Probleme behoben worden waren.
***
Robert Lucas, der Waffenoffizier der vorderen Hauptgeschütze, bellte dem Steuermann Befehle zu. Der massige Stahlkoloss, der durch das Wasser glitt, drehte sich, um den Torpedo-Rohren ungehinderten Zugang zu seinem Ziel zu ermöglichen. Zwei Besatzungsmitglieder über den Torpedorohren sichteten den Feind.
Die seltsamen grünen Wolken in der Ferne zogen schneller heran, als er es je zuvor gesehen hatte. Was für ein Sturm war das? Es war, als ob eine feinstoffliche Leere hastig das Meer und den Himmel verschlang. Sein Herz pochte schneller. Die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf. In seiner Station schien plötzlich alles wie elektrisiert.
***
»Das Sonar empfängt zwei Torpedos auf geradem Kurs«, meldete Stone. »Und …« Das Geräusch von zersplitterndem Glas und mehrere Knalle drangen aus dem Inneren seiner Konsole. Er beugte sich in seinem Sitz vor und drehte methodisch an den Knöpfen. »Sir, Radar und Sonar haben gerade aufgehört zu funktionieren.«
»Verdammt! Informieren Sie den Rudergänger. Ausweichmanöver«, befahl Brazo. Die Worte, die er sprach, verloren in seinem Kopf an Lautstärke. Elektrizität kroch an einem Rücken hinauf und hinunter. Die anderen mussten es ebenfalls gespürt haben. Alle waren an ihren Positionen wie erstarrt und blickten sich verwirrt um.
Die Oberlichter gingen aus. Das Brummen des Motors verstummte. Die Sutton lag tot im Wasser.
***
Die beiden Besatzungsmitglieder oben auf dem Torpedowerfer blickten sich neugierig an. Der grüne Nebel umgab sie völlig und schränkte die Sicht auf nur ein bis zwei Meter ein.
»Was zum Teufel ist das? Was sollen wir tun?«, fragte Pratt, der Größere der beiden.
»Ich hatte keine Zeit, die Torpedos auszurichten. Wenn wir sie jetzt abfeuern, werden sie ihr Ziel sicher verfehlen«, sagte Cummings.
»Mist! Mist! Mist!« Pratt stand auf und presste sich die Hände auf seine Matrosenkappe. »Da kommt ein U-Boot auf uns zu. Wir müssen es finden. Es ist unsere Aufgabe, es abzuschießen. Wir werden sterben. Wir werden sterben!«
»Nimm dich zusammen, Mann! Sich wie ein Muttersöhnchen aufzuführen rettet uns ganz bestimmt nicht. Beweg deinen Arsch wieder hierher. Sobald sich der Nebel lichtet, sind wir bereit. Etwas anderes können wir im Moment nicht tun. Es …« Cummings Worte blieben ihm im Hals stecken und weigerten sich, seinen Mund zu verlassen. Etwas von rötlicher Farbe tauchte aus dem grünen Nebel auf. Es war wie eine Klinge geformt und besaß die Breite von drei Männern. Saugnäpfe in der Größe von Wasserbällen trieften von salzigem Meerwasser. Eine Woge aquatischen Gestanks rollte heran und unterbrach Pratts panischen Ausbruch.
Wasser tropfte auf Pratts Schultern. Ihm blieb der Mund offen stehen, als er die Angst auf Cummings Gesicht las. Seine Oberlippe hob sich, denn es gab kein Entkommen von diesem seltsamen Geruch. Langsam drehte er den Kopf, und seine Augen weiteten sich bei dem schrecklichen Anblick.
Die Tentakel einer riesigen Krake schlossen sich um Pratts Körper. Die Angst überwältigte ihn, und ein gellender Schrei entrang sich seiner Kehle. Runde, bebende Saugnäpfe drückten sich an seine Haut wie weiches, nasses Gummi. Pratt wehrte sich, aber er war fest im Griff eines prähistorischen Kopffüßers gefangen. Der Tentakel riss ihn von der Abschussvorrichtung der Torpedos.
Der grüne Nebel lichtete sich nur langsam, und Cummings sah, wie der Tentakel mit seinem Gefangenen über das stählerne Deck glitt. »Pratt! Pratt!« Den Namen seines Kameraden zu rufen half nicht, seinen langsamen Abstieg in den sicheren Tod aufzuhalten.
Als er seine Beine wiederfand, kletterte Cummings von der Abschussrampe herunter und rannte auf Pratt zu. Der Tentakel schlitterte zurück und näherte sich dem Rand des Schiffes.
»Cummings!«, schrie Pratt. Sein rechter Arm war frei und er streckte seine Hand aus, um nach einem unsichtbaren Halt in der Luft zu greifen.
»Ich werde dich retten, Kumpel!« Cummings eilte herbei und griff nach Pratts rechtem Handgelenk.
Pratt klammerte sich ebenfalls an der ihm entgegengestreckten Hand fest, und der Kampf war eröffnet.
Cummings spürte, wie sich Pratts Fingernägel in seinen Unterarm gruben. Er nahm seine linke Hand zu Hilfe, um den Griff zu verdoppeln, stemmte seine Füße so fest wie möglich gegen das Deck und zog mit aller Kraft. Aber er hätte genauso gut an einem Bulldozer ziehen können.
Ein Saugnapf hielt Pratts linke Wange in seiner bösartigen Umklammerung. Er zerrte an der Haut und zog sie von seinem Schädel. Er schrie vor Schmerz auf, während der Rest seines Körpers darunter litt, als würde sein Blut durch seine Haut gesaugt werden.
Cummings wurde mitgeschleift, bis sein Körper gegen die Reling des Decks prallte. Auf diese Weise kurzzeitig zum Stillstand gekommen, legte er all seine verbleibende Kraft in einen letzten Ruck.
Der Saugnapf zerrte so stark an Pratts Gesicht, dass sein linkes Auge aus der Augenhöhle fiel. Die blutunterlaufene Kugel baumelte seltsam wie das Pendel einer Standuhr an dem Sehnerv, der mit dem Schädel verbunden war. Er verschwand er über der Reling.
Cummings, der ihn immer noch festhielt, spürte, wie seine Füße das Deck verließen.
***
Die Notbeleuchtung des Kommandoraums schaltete sich ein und spendete genug Licht, um der Besatzung zu zeigen, wie sehr sie in der Klemme steckte.
»Schaltet die Motoren wieder ein, sofort!« Brazo fühlte sich wie eine einflügelige Ente in einem von Jägern umzingelten Teich. »Waffenbericht. Wir müssen so schnell wie möglich die Torpedos abfeuern.«
»Das Funkgerät ist ausgefallen, Sir«, meldete Slick, das Mikrofon in der Hand.
»Verflucht! Dann feuere ich diese Dinger eben selbst ab.« Als Brazo sich zum Gehen wandte, erschütterte eine Explosion von unten das Schiff und warf ihn zur Seite. Bevor er sich wieder aufrichten konnte, zwang ihn die zweite Explosion in die Knie. Ein paar Sekunden später blendete ihn ein heller Blitz in der Kommandozentrale, und ein Donnerschlag ließ seine Ohren klingeln.
***
Unsichtbare Hände umklammerten Cummings' Beine, als er fast über das Deck gespült wurde. Pratt befand sich im unnachgiebigen Griff der riesigen Krake. Cummings spürte, wie ihm Pratts Arm für immer entglitt und die Wärme des Lebens, die von seinem verlorenen Kameraden ausging, durch die kühle Feuchtigkeit der Gischt ersetzt wurde.
»Oh mein Gott … seht doch«, rief eines der drei Besatzungsmitglieder, die Cummings zu Hilfe geeilt waren.
Die Stabilisierungsflosse und der Mantel der Krake ragten aus dem Wasser und glichen einem Berg, der wie das Horn des Teufels geformt war. Ihre rötliche Haut glitzerte im Sonnenlicht, nun, da sich die grünen Wolken und der Nebel rasch auflösten. Das Biest sah aus wie eine Kreatur aus einer anderen Welt. Nein, mehr als das. Wie ein Gott. Ein Wesen, das so mächtig und furchteinflößend war, dass nichts auf der Erde ihm ebenbürtig war.
Sein einziges Auge verließ die Tiefe, und dann tauchte die mächtige Kreatur so weit aus dem Wasser wie die beiden Schornsteine des Schiffes. Das Auge hatte die Macht, direkt in die Seele eines Menschen zu blicken und ihm langsam den Lebenswillen auszusaugen.
Pratt schlug lautlos um sich – entweder, weil er nicht mehr die Kraft besaß, zu schreien, oder weil er die Hoffnung aufgegeben hatte und wusste, dass sein Ende bald gekommen war.
Der Körper der Krake neigte sich nach hinten. Teile seiner acht Arme, die wie riesige Gummischläuche aussahen, trieben an die Oberfläche. Der Fütterungstentakel schlängelte sich in Richtung der papageienähnlichen, schwarzen Schnabels des Kraken, die gerade durch die Meeresoberfläche brach. Der obsidianfarbene Mechanismus schob sich durch den weißen, schleimigen Muskel und öffnete sich weit. Der Schnabel sah stark genug aus, um eine der Kanonen der Sutton mit einem einzigen Biss in zwei Hälften zu zerlegen.
Pratt verschwand mit den Füßen voran in dem klaffenden Maul. Auf halbem Weg schloss sich der Schnabel wie eine Schere und durchtrennte den unglücklichen Mann oberhalb der Taille. Mit dem Gesicht nach unten schlug er mit den Armen auf die Meeresoberfläche, in dem hoffnungslosen Versuch, noch entkommen zu können. Doch sein Leiden war nur von kurzer Dauer, denn der Schnabel öffnete sich wieder. Der Rest des Seemanns verschwand in dem festen schwarzen Käfig, um nie wieder aufzutauchen.
Der Futtertentakel zog sich leer zurück. Die Krake richtete sich auf, schien mit seiner Beute zufrieden zu sein und tastete mit dem Tentakel in Richtung Deck, auf der Suche nach noch mehr Beute.
Die Besatzungsmitglieder wichen zurück, ohne ihren Blick von der drohenden Gefahr abzuwenden.
Bevor auch nur irgendwer um sein Leben rennen konnte, hallte eine Explosion von unten herauf. Der Feind hatte zuerst angegriffen.
Leutnant Bach spähte durch das Angriffsperiskop und gab dem Steuermann und dem Waffenoffizier die Koordinaten durch.
Neuberg stand mit geschlossenen Augen und steifem Rücken da. Vor seinem geistigen Auge zeichnete sich die Schlachtszene ab, bevor sie stattfand. Das U-Boot würde den Zerstörer mit zwei G7e-Torpedos anvisieren und den ersten Schlag ausführen. Die Torpedos würden so heimlich und ungehindert ihrem Ziel entgegeneilen wie jedes andere Meereslebewesen, das in Milliarden von Jahren der Evolution entstanden war. Sollten die Amerikaner Zeit haben, mit einem eigenen Angriff zu reagieren, würde er sich in den tiefen Gewässern des Atlantiks auf die Lauer legen können. Geduld, den Feind kennen, denken wie der Feind, der darauf trainiert war, ihn so anzugreifen, wie sie dachten, dass er denken würde. Neuberg wusste, wie dieses Spiel gespielt wurde. Er war kein Kommandant, der sich in ein Klischee pressen ließ. Gib dem Feind, was er sucht, und dann verwandle seine Torheit in seine völlige Vernichtung. Neunzehn Patrouillenfahrten hatte er in diesem Krieg unternommen, und Hunderttausende von Tonnen Handelsschiffe und ihre Ladung waren durch seine Hand zu Zufluchtsorten für die Meeresbewohner geworden. Auch die britische und amerikanische Kriegsmaschinerie hatte sich seinem Verstand ergeben müssen. Wie viele Seeleute hatten durch ihn ihre letzte Ruhestätte auf dem Grund des Ozeans gefunden? Neuberg wusste es nicht, und er versuchte, nicht daran zu denken. Seine Befehle lauteten nur, seine Ziele zu finden und sie zu versenken, nicht das Leben anderer zu nehmen. Das eine ging nicht ohne das andere, aber auch das war eine Tatsache, mit der er sich nicht weiter beschäftigte.
»In Reichweite und Position«, meldete Bach in einem knappen, bestätigenden Tonfall. »Feuere Torpedos ab«, verkündete der Waffenoffizier.
Neuberg öffnete die Augen und sah zu Bach hinüber. Der Leutnant hielt sich an den Griffen des Periskops fest, sein Körper so starr wie ein Fels. In Situationen wie dieser konnten Sekunden zu Stunden werden. Es war, als ob der menschliche Geist einen gewissen Einfluss auf zukünftige Ereignisse hatte. Das Wünschen, das Sehnen, das Beten zu Gott, dem Teufel, oder das Universum … es spielte keine Rolle. Der Sieg war das einzige Ziel, und zwar um jeden Preis.
»Torpedos abgefeuert«, rief der Waffenoffizier.
»Gute Reise«, sagte Neuberg mit Zuversicht in der Stimme.
Die Stille im Kommandoraum war beinahe greifbar.
Faulk blickte von seinem Sonarschirm auf. »Kommandant, ein unbekanntes Objekt nähert sich direkt von achtern.«
Aus seiner Konzentration gerissen drehte sich Neuberg zu ihm, kniff die Augen zusammen und fragte: »Wie weit entfernt?«
»Beinahe über uns«, sagte Faulk.
»Wie ist das …?« Neubergs Worte verstummten, als aus der Sonarstation kleine Knallgeräusche und das Klirren von splitterndem Glas zu hören waren. Die Lichter verlöschten und pulsierten, und die batteriebetriebenen Motoren des U-Boots ächzten.
Sowohl der Radar- als auch der Sonarschirm fielen sofort aus. Faulk blickte mit weit aufgerissenen Augen und herunterhängendem Kiefer auf. »Der Sturm, er ist über uns. Er hat den Bildschirm umschlossen und das Radar blockiert, kurz bevor wir es verloren haben. Er beeinträchtigt unsere elektrischen Systeme.«
Ohne das Unbekannte zu vergessen, das sich ihnen näherte, befahl Neuberg: »Bereitmachen zum Tauchen, dann tauchen.«
Bach stand immer noch hinter dem Angriffsperiskop. Neuberg hielt geradewegs auf ihn zu und schob ihn zur Seite. Er drehte sich um 180° und senkte das Periskop ab. Das U-Boot war noch nahe genug an der Oberfläche, um eine von noch genügend Licht erhellte große Kreatur zu erblicken, die sich ihnen näherte. Es schwamm nicht sonderlich schnell, und er fragte sich, wie etwas so Großes, wahrscheinlich ein Wal, so nahe herangekommen war, bevor es vom Sonar erfasst wurde.
»Die Steuerungen reagieren nicht. Wir können die Trimmtanks nicht fluten«, meldete der Steuermann.
Neuberg riss seinen Blick von dem Sichtfeld des Periskops los und sagte: »Dann sollen die Männer es manuell machen.« Das Bild des Meerestieres ging ihm nicht aus dem Kopf. Irgendetwas daran kam ihm merkwürdig vor. Eine Kreatur dieser Größe konnte nur ein Wal sein. Doch während das, was sein Verstand ihm sagte, durchaus logisch war, hatten ihm seine Augen etwas anderes gezeigt.
»Das Funkgerät ist nicht funktionsfähig, Kommandant«, sagte der Steuermann.
»Die Batterieleistung nimmt schnell ab. Ich weiß nicht, was sie so schnell entleert«, rief Faulk in einem panischen Tonfall.
»Geben Sie Befehle an den Maschinenraum. Wir müssen tauchen!«, sagte Neuberg.
»Ohne Batterien können wir die Trimmtanks nicht abpumpen und auftauchen. Außerdem brauchen wir Strom, um Sauerstoff zu erzeugen.« Bachs Einwand kam beinahe der Befehlsverweigerung gleich.
Aber der Leutnant hatte recht. Neuberg hatte die Nerven verloren und Entscheidungen getroffen, ohne alles zu durchdenken. Vielleicht forderte der Stress eines U-Boot-Kommandanten tatsächlich seinen Tribut. »Bringen Sie uns hoch genug, damit der Schnorchel Luft holen kann. Starten Sie die Dieselmotoren und kehren Sie auf unseren bisherigen Kurs nach Südamerika zurück. Wenn wir die Amerikaner in dem Sturm nicht sehen können, dann können sie uns auch nicht sehen.«
Schnell richtete er seinen Blick wieder durch das Periskop. Die Kreatur war nun viel näher und viel deutlicher zu erkennen, und was er sah, konnte er kaum glauben.
Dieses Ungetüm war kein Wal.
Es war ein Hai, erkennbar an seiner stumpfen Schnauze und den Reihen scharfer Zähne. Ein Hai, halb so groß wie das U-616 und einem Drittel seiner Länge! Wie konnte ein solches Monster existieren?
Der Megalodon schob sich wie eine schleichende Lokomotive an dem U-Boot vorbei. Neuberg betrachtete fasziniert die meterlangen Zähne, die aus einem Maul ragten, das breit genug war, um zehn Männer auf einmal zu verschlingen. Die leeren schwarzen Augen erinnerten ihn an den Blick eines Seemanns, der nach dem Tod auf den unbekannten Horizont starrt. Die Kiemen öffneten und schlossen sich in einem konstanten Rhythmus, während der Schwanz ihn sanft durch den Ozean und an dem U-616 vorbei trieb.
Neuberg hat in seinem Leben schon viele Haie gesehen. Mehr als die Kälte fürchtete ein Seemann nur dieses Raubtier aus dem Meer, wenn er gezwungen war, das Schiff zu verlassen. Eines ist sicher, etwas so Großes hätte sich kaum an sie heranschleichen können, was die Frage aufwarf, warum das Sonar es nicht früher geortet hatte. Es schien, als wäre der Riesenhai direkt neben ihnen ins Wasser gesetzt worden, kurz bevor der Sturm sie erreichte.
Die Dieselmotoren ratterten träge vor sich hin, und die Lichter im Kommandoraum wurden immer schwächer. Entweder waren die Batterien zu schwach, um sie zu starten, oder irgendetwas in dem mysteriösen Sturm hatte ihre Elektronik beeinträchtigt.
»Es nützt nichts«, sagte der Steuermann.
»Mist«, sagte Neuberg und trat von dem Periskop weg.
»Haben Sie da draußen nichts gesehen?«, fragte Bach.
»Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste. Wir haben größere Probleme als Meereslebewesen. Es war ein Hai. Ein sehr großer Hai – so groß wie ein Wal. Er zog an uns vorbei, wahrscheinlich auf der Suche nach tieferen Gewässern, um etwas zu Fressen zu finden.«
»Wie lauten Ihre Befehle, Kommandant?«, fragte Bach, ein loyaler Seemann, der darauf wartete, die Befehle seines Kapitäns zu befolgen.
Am Ende kam es immer auf die Entscheidung eines einzelnen Mannes an. Ein Mann, der über das Schicksal von zweiundfünfzig Passagieren in einem Unterseeboot entschied, das von einem Sturm geblendet war und sekündlich an Energie verlor.
Ein dumpfer Schlag und das Ächzen von hohlem Metall verrieten ihnen, dass das U-616 gegen etwas gestoßen war. Das Boot neigte sich ein paar Grad zur Seite.
Neuberg und Bach tauschten einen kurzen Blick aus, dann eilte der Kommandant zu dem Periskop hinüber.
Der riesige Hai war zurückgekehrt und befand sich direkt vor ihnen. Zum Teufel auch! Neuberg vermutete, dass die stotternden Dieselmotoren seine Aufmerksamkeit erregt hatten, und seine ursprüngliche Neugier ließ ihn die potenzielle Beute auf die einzige Art und Weise untersuchen, die er kannte: mit seinen Zähnen.
Ein auf dem Vorderdeck montiertes SK-C/35-Marinegeschütz fungierte wie ein Angelköder. Der Megalodon stieß mit seiner Schnauze dagegen und biss, immer noch unschlüssig, ob es sich dabei um etwas Essbares handelte oder nicht, immer wieder hinein.
Metall knarzte, und das U-Boot, das sich kaum noch bewegt hatte, wurde so verlangsamt, dass die Matrosen im Kommandoraum ihr Gleichgewicht halten mussten.
»Der verdammte Hai ist wieder da. Er greift die Waffe an«, sagte Neuberg.
»Ein Hai?«, fragte der Steuermann.
»Ich sagte doch, er ist groß«, antwortete Neuberg.
Das U-Boot neigte sich weiter zur Seite und ließ die Besatzung in eine Richtung taumeln. Zu diesem Zeitpunkt gab es kaum noch Optionen. Neuberg befahl: »An die Oberfläche, sofort! Benutzten Sie das letzte bisschen Druckluft, um die Trimmtanks zu entleeren. Wir müssen dieses Ding abschütteln.«
Ein Mannschaftsmitglied, das in der Ecke wartete, machte sich sofort auf den Weg, um den Befehl auszuführen.
Es war eine Schande, dass die Kanone nicht ferngesteuert war. Die 8,8-cm-Granaten, in den Bauch des Ungetüms gefeuert, hätten trotz seiner Größe sein Ende bedeutet. Aber es brauchte drei Männer, um die Waffe zu laden und einmal abzufeuern. Wenn sie den Hai schon nicht erschießen konnten, konnten sie wenigstens versuchen, ihm ein kleineres Ziel zu bieten.
Das U-Boot hob sich langsam, aber es kippte jetzt so stark, dass alle gegen die Wand rutschten. Der hintere Teil des U-Boots begann nach oben zu treiben, während der vordere Teil gegen das Gewicht des Megalodons ankämpfte. Ihr Unglück hatte sich gerade noch verschlimmert.
Wieder ächzte das Metall. Was faszinierte diesen Hai so sehr an Stahl? Er konnte ihn doch nicht fressen. Dann erkannte Neuberg den Grund. Wut. Der Hai sah das U-Boot als Bedrohung in seinem Revier an.
Schließlich stieg das Heck des Bootes nicht weiter auf. Es hatte die Oberfläche erreicht. Abrupt schnellte das vordere Ende nach oben, als das Gewicht des Megalodons es nicht mehr in Schach hielt. Er hatte den Kampf aufgegeben, zumindest vorerst.
Als sich das U-Boot stabilisierte, rückte Neuberg seine Hose zurecht und richtete seinen Kragen. »Sie haben das Kommando, Bach. Ich werfe einen Blick nach draußen.«
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