Stürmische Zeiten - Sabine Büntig - E-Book

Stürmische Zeiten E-Book

Sabine Büntig

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Beschreibung

Natascha und Mark haben sich gemeinsam mit ihren Zwillingen in Südafrika ein neues Leben aufgebaut. Die Teenager fordern ihre Eltern auf ihrem steinigen und anstrengenden Weg ins Erwachsenenalter über alle Maßen. Und damit nicht genug, verschärft sich der Kampf gegen die skrupellosen Wilderer immer weiter. Die Grausamkeit ihrer Gegner trifft Natascha und Mark gnadenlos und zwingt sie, ihrem Leben eine neue Orientierung zu geben, die jedoch auch nicht ohne Herausforderungen ist. Daniel bringt sich in Lebensgefahr und zwingt seine Eltern damit zur Rückkehr nach Deutschland. Während sie um sein Leben bangen, muss sich Mark mit seiner ersten Familie auseinandersetzen. Wird es Natascha und Mark gelingen, ihre Liebe aufrechtzuerhalten und alle Herausforderungen gemeinsam zu meistern?

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Inhaltsverzeichnis

Über das Buch

Über die Autorin

Allein ist gut, gemeinsam ist perfekt

Teil 2: 1992 – 1993

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Du bist mir nah, wenn ich fern bin.

Du hörst mich, wenn ich sprachlos bin.

Du öffnest mir die Augen, wenn ich blind bin.

Du weist mir den Weg, wenn ich mich verlaufe.

Du erinnerst dich an mich, wenn ich mich vergesse.

Du glaubst an mich, wenn ich ohne Hoffnung bin.

Du kennst die Lösung, wenn ich mich verrechnet habe.

Du hältst die Richtung, wenn ich ins Schleudern komme.

Du stärkst mich, wenn mir das Wasser bis zum Hals steht.

Du bist immer da, wenn ich dich brauche.

Aber wer tröstet mich jetzt, wenn ich so traurig bin,

weil du mir so fern bist?

Buch

Natascha und Mark haben sich gemeinsam mit ihren Zwillingen in Südafrika ein neues Leben aufgebaut. Die Teenager Patricia und Daniel fordern ihre Eltern auf ihrem steinigen und anstrengenden Weg ins Erwachsenenalter über alle Maßen. Und damit nicht genug, verschärft sich der Kampf gegen die skrupellosen Wilderer immer weiter. Die Grausamkeit ihrer Gegner trifft Natascha und Mark gnadenlos und zwingt sie, ihrem Leben eine neue Orientierung zu geben, die jedoch auch nicht ohne Herausforderungen ist.

Als endlich Ruhe einzukehren scheint, bringt sich Daniel in Lebensgefahr und zwingt seine Eltern damit zur Rückkehr nach Deutschland. Während sie um sein Leben bangen, muss sich Mark mit seiner ersten Familie auseinandersetzen.

Wird es Natascha und Mark gelingen, ihre Liebe aufrechtzuerhalten und alle Herausforderungen gemeinsam zu meistern?

Bisher in der Sunny-Saga erschienen:

Teil 1 Gebrochene Herzen

Teil 3 Verschlungene Wege

Autorin

Sabine Büntig, geb. 1966, lebt mit ihrer Familie in Nordhessen. Sie erfüllt sich mit ihrem Roman einen Jugendtraum. Das Schreiben gehört schon lange zu ihrem Leben. Mehr als 1.000 Artikel von ihr sind in der Lokalredaktion der regionalen Tageszeitung sowie in weiteren Zeitschriften erschienen.

Kontakt: [email protected]

Allein ist gut, gemeinsam ist perfekt

Es lebte einmal ein junger Mann in einem fernen Land tief in den Bergen. Nur ein schmaler Weg führte zu seinem kleinen Dorf, in dem sich die Menschen gegenseitig beistanden und vertrauten. Er wohnte dort ganz alleine in seinem Häuschen.

Alle Bewohner waren mit dem zufrieden, was sie hatten und das war gut so, denn viel war es nicht. Inmitten der kargen Steine wuchs alles nur spärlich und für die Tiere gab es kaum Wiesen zum Weiden.

Mit den Jahren wurde es für die Menschen immer schwieriger. Es regnete viel zu selten und die ersten Pflanzen begannen zu vertrocknen. Menschen und Tiere litten ständig Durst und waren oft zu müde zum Arbeiten.

Der junge Mann machte sich große Sorgen und überlegte fieberhaft, wie er helfen könnte. Da erschien ihm eines Nachts im Traum ein Zauberer und wies ihn an, in der nächsten Nacht auf die Spitze des höchsten Berges zu steigen und von dort in die Tiefe zu springen. Nur so könne er sein Dorf retten. Als der junge Mann erwachte, traute er sich zunächst jedoch nicht, den Anweisungen zu folgen. Als aber der Wassermangel immer schlimmer wurde und die ersten Tiere verdursteten, blieb ihm keine andere Wahl, als es zumindest zu versuchen.

Mit klopfendem Herzen machte er sich morgens auf den Weg und erreichte erst am Abend beim Einsetzen der Dunkelheit die Spitze des Berges. Er stand lange am Abgrund und blickte in die Tiefe. Endlich nahm er all seinen Mut zusammen und stürzte sich hinunter. Im nächsten Moment begann er, sich zu verwandeln. Aus ihm wurden viele Milliarden Tropfen, die sich zu einem tosenden Wasserfall vereinigten, der den Felsen hinabströmte.

Die Menschen im Dorf hörten das ungewohnte Plätschern und liefen aus ihren Häusern, um schnell alle verfügbaren Behältnisse mit dem kostbaren Wasser zu füllen. Mit dem ersten Licht des neuen Tages versiegte der Wasserfall und die Menschen beeilten sich, ihr Vieh zu tränken und die Pflanzen zu wässern.

Der junge Mann erwachte erst Stunden später am Fuße des Berges. Er war unversehrt, aber so müde und erschöpft, dass es lange dauerte bis er sich erholt hatte. Und kaum fühlte er sich wieder besser, war es auch schon erneut an der Zeit, für Wasser zu sorgen.

So vergingen die Jahre und der junge Mann versorgte die Menschen im Dorf mit Wasser. Für weitere Dinge blieb ihm keine Zeit. Wenn sich die anderen jungen Leute trafen, um zu tanzen und zu feiern, war er selbst entweder viel zu erschöpft dafür oder auf dem Berg unterwegs.

Als er eines Tages wieder einmal alleine auf einer Bank saß und traurig über sein einsames Leben nachdachte, setzte sich eine wunderschöne junge Frau neben ihn, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Sie nahm seine Hand und lächelte ihn an. „Ich weiß, was du tust und ich möchte dir gerne dabei helfen. Nimm mich das nächste Mal mit auf den Berg.“

Wenige Tage später stiegen beide gemeinsam zur Spitze des Berges. Sie hielten sich an der Hand, sprachen den ganzen Weg über miteinander und lernten sich dabei immer besser kennen. Oben angekommen, sprangen sie Hand in Hand gemeinsam in die Tiefe.

Als der Mann erwachte, bemerkte er zunächst keinen Unterschied. Traurig wandte er sich zum Gehen, aber als er sich umdrehte, entdeckte er die junge Frau, die neben einem großen Steinbecken saß, in das der Wasserfall floss. Sie lächelte und sagte: „Ich sorge dafür, dass dein Wasser nicht sofort wieder versiegt.“

Es lief so langsam aus dem Becken heraus, dass die Menschen tagelang Zeit hatten, sich Wasser zu holen und der Vorrat reichte viel länger als bisher.

Nun fand dem Mann endlich die Zeit, um zu heiraten und eine Familie zu gründen. Es dauerte nicht lange bis die Frau Zwillinge zur Welt brachte, einen Buben und ein Mädchen, und sie waren sehr glücklich.

Irgendwann bemerkten die Kinder, dass ihre Eltern immer wieder eine ganze Nacht lang verschwanden und erst am nächsten Morgen erschöpft zurückkehrten. Ihre Fragen blieben unbeantwortet und so beschlossen sie, ihnen beim nächsten Mal heimlich zu folgen.

Natürlich dauerte der anstrengende Aufstieg mit ihren kurzen Beinchen viel zu lange und als sie es endlich geschafft hatten, war von den Eltern weit und breit nichts mehr zu sehen. Beim nächsten Mal beschlossen sie, es klüger anzugehen und schlichen sich beizeiten aus dem Haus.

Diesmal erreichten sie rechtzeitig die Bergspitze und versteckten sich. Sie beobachteten, wie sich ihre Eltern an den Händen nahmen, einen Kuss gaben und in die Tiefe sprangen. Die Kinder sahen nun zum ersten Mal den Wasserfall, der bisher morgens bei ihrem Aufwachen immer bereits versiegt war.

Die beiden wechselten einen Blick und weil sie ganz besondere Kinder waren, verstanden sie, was vor sich ging. Sie nickten sich zu, nahmen sich ebenfalls an den Händen und sprangen ebenso wie ihre Eltern in die Tiefe.

Als diese am nächsten Morgen erwachten, wussten sie zunächst überhaupt nicht, wo sie sich befanden. Anstelle des Steinbeckens lag am Fuß des Berges ein kleiner See, der bis zum Rand mit kristallklarem Wasser gefüllt war. An seinem Ufer wuchsen üppige grüne Bäume und Büsche.

Sie rieben sich erstaunt die Augen, als sie ihre Kinder erblickten, die langsam auf sie zukamen. Das Mädchen gähnte und stützte sich auf ihren Bruder, der ebenfalls so erschöpft war, dass er kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Beide strahlten jedoch so glücklich, dass den Eltern schnell klar wurde, wem sie den See und die Bäume zu verdanken hatten.

Gemeinsam sorgten sie nun für das Wohlergehen aller Menschen im Dorf. Das Wasser im See versiegte überhaupt nicht mehr und die kleine Familie musste nur noch ganz selten vom Felsen springen, um alles in Ordnung zu halten.

Keiner von ihnen hätte das Wunder alleine geschafft, es konnte ihnen nur gemeinsam gelingen - als Familie. Ihre Liebe zueinander ermöglichte es, viel mehr zu geben als zu nehmen und dabei glücklich und zufrieden zu sein.

Teil 2: 1992 – 1993

Alter

Martha (1917)

Nataschas Großtante 1938 ausgew. ∞ Bob

75

Natascha (1950)

1977 Südafrika

42

Mark (1940)

1983 Südafrika

52

Ihre Kinder

Daniel, Patricia (11.1977)

15

Bettina (1945)

erste Frau von Mark

47

Ihre Kinder

Johanna (1967)

Medizinstudentin

25

Robert (1972)

20

Bettina ∞ Uwe, Sohn Moritz (1986)

6

Freunde in Südafrika

Sydney (1953)

1976 ∞ Vincent (1950)

Ihre Kinder

Sammy (1978)

15

Eve (1982)

10

Eltern von Vincent

Esther (1930)

∞ Joseph (1935)

Anna (1930)

Naturheilerin ∞ Konrad,

62

Ihre Kinder

Jacob, Maria ∞ Gabriel, Antonia, Merle (1967)

Linda (1960)

Haushälterin

32

Jim Jansen (1945)

Arzt, Freund von Marjan

47

Paul Scott

Farmarbeiter ∞ Emma

Ihre Kinder

Theresa (1975)

Steven (1979)

Marjan van Dijk

(1952) Tierärztin

40

Ihr Sohn Nico (1974)

Freund von Patricia

18

Jeff Goldberg (1948)

Polizist ∞ Nancy

44

Bin weit gewandert, viel gereist, hab müde Füße jetzt und staubige Schuh. Hab lang gesucht, was mir gefehlt hat und dann entdeckt, das warst ja du. Denn tief in meinem Herzen, wusste ich dich immer neben mir. Und so enden alle meine Wege jetzt und immer nur bei dir.

1. Es war später Nachmittag und die Sonne stand bereits tief. Bald würde sie untergehen, aber momentan tauchte ihr warmer Schein die Umgebung in orangefarbenes Licht. Alles schien still zu stehen und den Atem anzuhalten. Es bewegte sich kein Blatt an den Bäumen und Sträuchern, die müde ihre Äste und Blätter hängen ließen. Nicht der zarteste Windhauch durchbrach die bleierne Hitze, die sich wie eine viel zu dicke Decke über allem ausbreitete.

Für August waren die Temperaturen entschieden zu hoch. Normalerweise war mit dieser Hitze frühestens in den kommenden Monaten zu rechnen. Auch die hohe Luftfeuchtigkeit hatte bereits hochsommerliche Ausmaße angenommen und passte eher zu Durban. Hier im Hinterland blieb das Klima die meiste Zeit über angenehmer – zumindest war es bisher so gewesen.

Natascha saß auf der vorderen Veranda ihres Hauses und mit einem Blick auf den Tisch, der über und über mit Unterlagen zu ihrer Hundezucht bedeckt war, fragte sie sich, wie sie dieses Chaos jemals bewältigen sollte. Die Papiere zu ordnen gehörte nicht gerade zu ihren Lieblingsaufgaben, also schob sie es so lange vor sich her, bis es kaum noch zu schaffen war.

Doch auch jetzt kam sie nicht wirklich voran und viel zu bereitwillig reagierte sie auf jede noch so kleine Ablenkung, die sich ihr bot. Ohne den Kopf zu heben, verfolgten ihre Augen ein kleines Streifenhörnchen, das anmutig über das Geländer der Veranda hüpfte. Sie fragte sich, wie sie nur früher einen Schreibtischjob befriedigend finden und sich stundenlang begeistert in ihre Arbeit hatte vertiefen können?

Sie lehnte sich zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und streckte den schmerzenden Rücken. Ihre blonden Haare ließen sich durch das Haarband kaum bändigen, obwohl sie inzwischen wesentlich kürzer waren als noch vor einigen Jahren. Genervt pustete sie die feuchten Locken aus dem Gesicht, die sich immer wieder aus dem Zopf lösten. Diese kleine Bewegung genügte bereits, um einen Schweißtropfen von ihrem Nacken zu lösen und langsam den Rücken hinunterlaufen zu lassen. Zumindest so weit, bis dessen Weg von der feucht an ihrem Körper klebenden Bluse aufgehalten wurde.

Die Arbeit im Freien hatte ihrer Haut längst eine gleichmäßige Schokoladenbräune verliehen. Kein tiefdunkles Zartbitter, wie bei Vincent und Paul. Auch keine kräftige Vollmilch, wie bei ihrem dunkelhaarigen Partner Mark. Eher Milchschokolade – mit immerhin inzwischen deutlich mehr Schokolade als Milch, wie sie zufrieden feststellte. Auch die körperliche Arbeit tat ihr gut und ihr durchtrainierter Körper dankte es ihr.

Natascha überlegte: Vielleicht sollte sie für heute aufhören? Immerhin war sie bereits seit - ein frustrierter Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass gerade mal dreißig Minuten vergangen waren, in denen sie keine nennenswerten Fortschritte gemacht hatte. Sie seufzte und versuchte, sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren, aber schon nach wenigen Minuten ließ sie den Stift erneut sinken.

Die Hitze war heute wirklich kaum auszuhalten, dabei saß sie immerhin im Schatten und bewegte sich kaum. Ihr Blick glitt über den Hof und blieb an dem grauen Pick-Up hängen, der ein Stück entfernt mit offener Motorhaube parkte. Dort waren Mark und Daniel damit beschäftigt, das Gefährt wieder in Gang zu bringen. Eigentlich war die Lebensuhr des Wagens längst abgelaufen und die immer aufwendigeren und teurer werdenden Reparaturen häuften sich. Aber Mark liebte es viel zu sehr, an dem alten Fahrzeug zu schrauben, um sich von ihm zu trennen und außerdem bot diese Arbeit eine der seltenen Gelegenheiten, gemeinsam mit seinem Sohn Zeit zu verbringen.

Beide waren über die Motorhaube gebeugt und scheinbar in eine hitzige Diskussion verstrickt. Natascha fragte sich, wie sie es bloß aushielten, bei diesen Temperaturen nicht nur zu arbeiten, sondern auch noch zu streiten?

Marks trug nichts weiter, als eine locker auf der Hüfte sitzende Jeans. Natascha liebte den Anblick seines muskulösen Körpers, an dem kein Gramm Fett zu viel war. Sein gutes Aussehen war ihm schon immer wichtig gewesen und er sorgte konsequent dafür, dass es so blieb.

Vor fast zwanzig Jahren hatte sie ihn als schicken Geschäftsmann in Anzug und Krawatte kennengelernt. Das hatte ihr sehr gut gefallen und auch heute noch freute sie sich über die seltenen Gelegenheiten, ihn im Business-Look zu sehen. Aber eigentlich war ihr vollkommen egal, was er anhatte - oder ob er überhaupt etwas trug, wie sie sich leicht verschämt eingestehen musste. Mark machte in ihren Augen immer eine gute Figur, an der sie sich nicht sattsehen konnte.

Wahrscheinlich trug die Selbstverständlichkeit dazu bei, mit der er sich bewegte. Er war sich seiner Wirkung auf Frauen durchaus bewusst und sorgte dafür, dass sein Körper vorzeigbar blieb.

Daniel war noch ein gutes Stück kleiner als sein Vater. Er hatte mittlerweile Nataschas Größe erreicht und würde in ein paar Jahren sicherlich Marks Körperbau haben. Momentan wirkte alles an ihm noch weich, schlaksig und irgendwie unfertig. Die Proportionen stimmten nicht, die Beine waren zu lang, die Arme zu dünn. Dass Natascha ihn mit ihrem mütterlichen Stolz bildhübsch fand, verwunderte sie nicht weiter. Jedoch entgingen ihr auch nicht die Blicke, die ihm junge Mädchen zuwarfen und sie fragte sich, ob das bei einem gerade mal Fünfzehnjährigen überhaupt schon angebracht sei.

Missmutig stellte sie wieder einmal fest, dass ihre Kinder viel zu schnell groß wurden. Als sie noch klein waren, gab es für jedes Problem eine schnelle Lösung und es war ihr immer möglich gewesen zu helfen. Ein Küsschen auf das aufgeschürfte Knie, ein Eis als Tröster nach einem Streit oder eine Durchsuchung jeder Ecke des Kinderzimmers, um Monster zu vertreiben, sorgte schnell für Zufriedenheit.

Seufzend wandte sie sich wieder ihren Unterlagen zu. In alten Erinnerungen zu schwelgen brachte sie bei ihrer Arbeit kein Stück weiter. Eine Bewegung im Augenwinkel brachte sie allerdings sofort wieder von ihrem Vorhaben ab. Mark schien ihren Blick gespürt zu haben und warf ihr Kusshände zu. Natascha musste bei dem Anblick lachen. Er war sich für keine Albernheit zu schade. Besonders lustig war, wie peinlich das auf ihren Sohn wirkte, der sich verstohlen umsah in der Hoffnung, dass sie niemand beobachtete. Eben schüttelte er den Kopf. Aus der Entfernung war jedoch nicht zu verstehen, was er zu seinem Vater sagte.

Fasziniert beobachtete sie einen Moment später, wie Mark sein Werkzeug fallen ließ und mit weit ausgebreiteten Armen auf seinen Sohn zulief. Der ergriff rasend schnell die Flucht und rannte laut schreiend auf Natascha zu, dicht gefolgt von Mark, der nicht weniger laut schrie. Auch wenn beide sicherlich einen anderen Vergleich bevorzugt hätten, erinnerten sie Natascha an eine Horde wilder Affen.

„Mom ... Hilfe ... Dad will mich … küssen … bäh ... rette mich!“ Daniel stieß die Worte keuchend hervor, bevor er an der Veranda vorbeiflitzte und um die Ecke des Hauses verschwand.

Schnaufend kam Mark Sekunden später vor Natascha zum Stehen, beugte sich nach vorn und stützte die Hände auf die Oberschenkel, um wieder zu Atem zu kommen. Sein Körper war nassgeschwitzt und um den Kopf hatte er ein Tuch gebunden, um zu verhindern, dass ihm der Schweiß in die Augen lief. Als er den Kopf hob und Natascha schief angrinste, erinnerte er sie an einen verwegenen Seeräuber auf Beutezug. Ein Holzbein hätte diesen Eindruck vertieft und sie war dankbar dafür, dass es nie dazu gekommen war. Bei Marks Ankunft in Afrika vor fast zehn Jahren hätte eine Verletzung tatsächlich beinahe dazu geführt. Wieder einmal machte sie sich bewusst, wie viel Glück sie gehabt hatten.

„Na komm, wenn du unbedingt jemanden küssen möchtest, dann nimm mich.“ Auffordernd streckte sie ihm ihr Gesicht mit gespitzten Lippen entgegen. „Wäre allerdings nett, wenn du mich dabei nicht berührst – ausnahmsweise ...“

„Du wirst schon noch um meine Berührung betteln, verlass dich drauf“, Mark küsste Natascha bereitwillig und weckte in ihr den Wunsch, seine Versprechungen sofort bei ihm einzufordern.

2. Zur selben Zeit legte ihre Tochter Patricia gerade letzte Hand an ihr Make-Up. Sie saß vor ihrem Schminktisch neben dem offenen Fenster und hatte die Blödeleien ihrer Familie gehört, ohne deshalb ihre Arbeit zu unterbrechen.

Trotz des großen Aufwands, den sie betrieb, war sie nach wie vor unzufrieden mit dem Ergebnis. Sie beneidete glühend all die anderen Mädchen, die mit einem dunkleren Teint und natürlicher Schönheit gesegnet waren. Während sie eine Haarsträhne vorsichtig in die Länge zog, stellte sie sich erneut die Frage, was an blonden Haaren und Locken denn bitteschön attraktiv sein sollte? Bei ihrer Mutter passte es vielleicht recht gut, aber ihr selbst fehlte nach eigener Einschätzung einfach das gewisse Etwas.

Beide Zwillinge hatten das Aussehen ihrer Eltern geerbt - Daniel ähnelte Mark und Patricia kam nach ihrer Mutter. Und genau wie Natascha als Teenager, konnte Patricia beim besten Willen nicht akzeptieren, wie ausgesprochen hübsch sie mit ihrer kaum zu bändigenden blonden Lockenmähne war.

Das Mädchen war längst kein Kind mehr, was sich durch Rundungen an genau den richtigen Stellen zeigte. Viel lieber wäre sie allerdings spindeldürr gewesen - wie die Models in den Zeitschriften.

Komplimente ihrer Eltern und anderer Erwachsener über ihr Aussehen prallten wirkungslos an ihr ab. Stattdessen versuchte sie, sich mit aufreizenden Klamotten und üppigem Make-Up aufzuhübschen. In der Woche fiel das nicht so auf. Bei Nataschas Großtante Martha in Durban, wo Daniel und Patricia während der Schulzeit wohnten, entging sie oft einer genaueren Musterung. Zu Hause auf der Farm war das wesentlich problematischer.

„Wenn Dad dich so sieht, bist du tot.“ Daniel lehnte am Türrahmen und betrachtete seine Schwester. Er verstand nicht, warum sie solch einen Aufwand betrieb. Das Ergebnis gefiel ihm überhaupt nicht und er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendein Junge es besser finden könnte, als wenn sie sich überhaupt nicht geschminkt hätte. Er bekam jedoch oft genug zu hören, dass ihm jegliche Ahnung fehlte und er hatte sich längst abgewöhnt, etwas dazu zu sagen. Er war zu dem Ergebnis gekommen, dass sich sein Vater darum kümmern sollte. Es war schließlich nicht sein Job, seine Schwester zu erziehen.

Patricia zuckte zusammen. „Musst du mich so erschrecken? Seid ihr schon fertig?“ Fragend drehte sie sich zu ihrem Bruder um.

„Gerade aufgehört. Wenn du dich beeilst, schaffst du es vielleicht noch, zu verschwinden, solange Dad unter der Dusche ist.“ Auch wenn Daniel nicht ihrer Meinung war, versuchte er, sie vor Ärger zu bewahren. Und der würde so sicher kommen, wie der Sonnenaufgang am nächsten Morgen.

„Danke, hab dich lieb.“ Patricia drückte ihm im Vorbeihuschen ein Küsschen auf die Wange, wobei sie darauf achtete, ihn dabei auf keinen Fall zu berühren. Ölverschmiert und verschwitzt würde er ihr Outfit ruinieren, noch bevor sie das Haus verlassen hatte.

Sie lief leise die Treppe herunter und horchte angestrengt, bis sie das Prasseln des Wassers auf den Steinboden hörte. Gut, Dad war noch im Bad. Schnell durchquerte sie den Wohnraum, trat auf die Veranda und beugte sich von hinten über Natascha, um auch ihr ein Küsschen zu geben. „Mom, Theresa und ich werden gleich abgeholt. Ich bin dann weg, okay?“

Natascha drehte sich zu ihrer Tochter um und musterte sie. Sie runzelte die Stirn. Was sie sah, gefiel auch ihr nicht. Die Schminke war zu dick, der Rock zu kurz, das Top zu eng. „Wo wollt ihr denn hin und mit wem fahrt ihr?“

Patricia verdrehte genervt die Augen. „Ihr Cousin und sein Kumpel holen uns ab. In Durban gibt es eine neue Disco. Ich muss jetzt wirklich los, die warten bestimmt schon.“ Sie wandte sich zum Gehen.

„Und da darf man schon mit fünfzehn rein?“ Auch wenn Natascha von ihren Kindern mit Anfang vierzig als steinalt eingestuft wurde, hatte sie den Bezug zum wahren Leben doch noch nicht ganz verloren. In Südafrika waren die Gesetze deutlich strenger als in Deutschland und selbst dort wäre einer Fünfzehnjährigen der Besuch einer Disco verwehrt geblieben.

Patricia versuchte, ihre gleichgültige Haltung zu bewahren. Sie zuckte die Schultern und antwortete im Weggehen: „Naja, eigentlich nicht, aber ihr Cousin kennt den Türsteher und wenn wir nicht kontrolliert werden ...“

Natascha überlegte. Sie war hin und her gerissen, wie sie jetzt reagieren sollte. „Patricia, ich bin damit eigentlich nicht einverstanden. Gehen wir heute ausnahmsweise davon aus, dass ich nicht gefragt habe, wohin du willst, aber das bleibt eine Ausnahme!“

Sie konnte sich sehr gut an die vielen Verbote in ihrer Jugend erinnern. Selbst als Volljährige durfte sie längst nicht tun und lassen, was sie wollte. Nur mit Schwindeleien hatte sie sich ein bisschen Freiheit erkämpft und das wollte sie sich und ihren Kindern ersparen. Aber auf Dauer würde es so auch nicht funktionieren. Patricias Freiheitsdrang war mittlerweile so groß, dass es immer schwieriger wurde, sie auch nur halbwegs in der Spur zu halten. Ihre Tochter war bisher eine gute Schülerin gewesen und das zahlte sich momentan aus. Schule rangierte seit einiger Zeit bereits unter ferner liefen und es war damit zu rechnen, dass sich das noch in diesem Schuljahr rächen würde.

Erschwerend kam hinzu, dass Patricia bereits deutlich älter als fünfzehn aussah und diesen falschen Eindruck mit ihrem Outfit verstärkte. Mit Gleichaltrigen konnte sie wenig anfangen und so zählte Paul und Emmas siebzehnjährige Tochter Theresa, die ein paar Häuser weiter wohnte und schon sehr lange nicht mehr mit Puppen spielte, zu ihren besten Freundinnen.

„Du bist die Beste, hab dich lieb.“ Schnell drehte sich Patricia um und flitzte die Treppe hinunter. Als sie gerade um die Ecke verschwinden wollte, ließ sie Marks Stimme schlagartig erstarren.

„Pat, wo willst du hin? Komm doch bitte nochmal her.“ Mark stand drohend in der Tür und wirkte wie ein Racheengel. Die dreckigen Jeans hatte er gegen Shorts getauscht, in einer Hand hielt er das nasse Handtuch, um es zum Trocknen aufzuhängen. Wassertropfen liefen über seinen Oberkörper und verdunsteten in der abendlichen Wärme. Seine Stirn war gerunzelt, die Augen zu kleinen Schlitzen verengt und die Finger der rechten Hand trommelten gegen sein Bein – ein sicheres Zeichen, dass er seinen Zorn kaum noch zügeln konnte.

Natascha warf ihm einen kurzen Blick zu und entschied sich bei seinem Anblick spontan dagegen, für ihre Tochter Partei zu ergreifen. Wenn Mark in dieser Stimmung war, hatten selbst gute Argumente keine Chance, zu ihm durchzudringen und sie hätte ohnehin gerade keine parat gehabt. Ihre Tochter war leider ein paar Minuten zu spät gestartet, da konnte sie ihr jetzt auch nicht mehr helfen.

Patricia drehte sich um und ging langsam zu ihrem Vater zurück. Als sie ihn anblickte, traten ihr Tränen in die Augen. Ihre Gefühle standen ihr deutlich ins Gesicht geschrieben: So ein Mist, fast hätte ich es geschafft.

„Wo willst du in dem Aufzug hin? Was ist das da in deinem Gesicht? Hast du dich verletzt?“ Marks Stimme war sehr leise, sehr drohend und unverkennbar zornig.

„Theresa und ich wollen nur was trinken gehen. Ich habe doch morgen frei.“ Über die beleidigende Frage nach ihrem Make-Up ging sie hinweg. Ihr Vater hatte sowieso keine Ahnung davon, was gut aussah.

Natascha registrierte beunruhigt, wie flüssig Patricia die Lüge trotz ihrer Nervosität über die Lippen kam. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, wäre es ihr gar nicht aufgefallen. Wann hatte das Kind gelernt, so gekonnt zu schwindeln?

Mark schüttelte den Kopf. Niemals würde er seiner Tochter erlauben in diesem Aufzug das Haus zu verlassen. „So gehst du nirgendwo hin. Wenn du dich abschminkst und was Vernünftiges anziehst, lasse ich vielleicht noch mal mit mir reden.“

Patricia hielt den Kopf gesenkt, um zu vermeiden, dass Mark ihre Tränen sah. Vor allem galt es, ihren Gesichtsausdruck zu verbergen, der sehr deutlich widerspiegelte, was sie von ihm und seiner Anordnung hielt.

Als sie an ihm vorbei war und sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, ließ sich Mark auf einen Stuhl sinken und nahm dankbar das Bier entgegen, das Natascha ihm vorausschauend geholt hatte. Nachdem er einen großen Schluck getrunken hatte, wischte er sich den Mund ab und seufzte. „Hättest du sie so gehen lassen? Hast du nicht gesehen, wie sie aussieht? Das ist doch eine ganz klare Aufforderung an jegliches Gesindel?“

„Sie ist fünfzehn und wird langsam erwachsen. Da muss man sich ausprobieren und die ersten Versuche gelingen selten.“ Natascha war zwar ebenso wenig mit dem Aussehen ihrer Tochter einverstanden, konnte sich aber auch nicht verkneifen, sie zu verteidigen. Mark war extrem furchteinflößend, sobald er sich ärgerte und sie hatte die Tränen in Patricias Augen gesehen. „Wie warst du in dem Alter? Wahrscheinlich gleich von Anfang an perfekt?“

Mark erinnerte sich noch sehr gut an seine ersten sexuellen Erfahrungen mit der Lehrerin seiner älteren Schwester – als er selbst ungefähr in Patricias Alter gewesen war. Natascha hatte er das sicherlich irgendwann schon einmal erzählt, aber trotzdem würde er sie jetzt ganz sicher nicht daran erinnern. Vielleicht hatte sie es ja inzwischen vergessen? Krampfhaft suchte er nach einer Geschichte, in der er unangreifbar war. Vielleicht als Chorknabe?

Da ihm auf die Schnelle nichts Geeignetes einfallen wollte, drehte er den Spieß stattdessen lieber um. „Klar, dass du sie verteidigst. Wachst du erst auf, wenn sie irgendwo vergewaltigt in der Wildnis zurückgelassen wird?“ Mark war sauer und seine Wut machte nun auch vor Natascha nicht halt. Sie sollte ihn gefälligst unterstützen – generell und vor allem, wenn er im Recht war. Stattdessen fiel sie ihm in den Rücken und stellte seine Erziehung infrage.

Bevor Natascha auf seinen Angriff antworten konnte, öffnete sich die Tür erneut. Patricia hatte sich nicht nur blitzschnell abgeschminkt, sie trug jetzt Jeans und eine weite Bluse. Die Tränen waren versiegt. Gespielt aufreizend drehte sie sich vor ihren Eltern und fragte lächelnd, ob sie nun mit ihrem Aussehen einverstanden seien.

Mark erwiderte ihr Lächeln und versicherte ihr, dass sie auch so – oder besser gesagt, genauso - das allerhübscheste Mädchen sei und wünschte ihr einen schönen Abend.

Als Patricia fröhlich summend die wenigen Verandastufen hinunter hüpfte, fiel Natascha ihre Umhängetasche auf, die nicht nur viel zu groß für einen Discobesuch war, sondern auch vor ein paar Minuten noch gar nicht zu ihrer Ausstattung gehört hatte. Einen kleinen Moment zögerte sie, aber die vorangegangenen Lügen ihrer Tochter lagen ihr zu schwer im Magen. Leise raunte sie Mark zu: „Lass dir zeigen, was sie in der Tasche hat.“

Mark reagierte sofort, ohne weiter nachzufragen. Er sprang auf und eilte hinter seiner Tochter her. „Pat, kann ich bitte mal in deine Tasche sehen?“ Eine Antwort wartete er gar nicht erst ab, sondern nahm sie ihr aus der Hand, öffnete sie und zog die Klamotten heraus, die das Mädchen kurz vorher noch getragen hatte.

Vorwurfsvoll hielt er ihr die Hand mit der Kleidung entgegen. Er atmete tief durch und es fiel ihm sichtbar schwer, jetzt nicht völlig auszuflippen. Seine Stimme blieb ruhig, war allerdings so schneidend, dass es für seine Tochter beängstigender war, als wenn er sie angeschrien hätte.

Dem Mädchen lief ein Schauer über den Rücken. In diesem Ton sprach er nur, wenn er richtig stinkig war.

„Ich denke, ich muss nichts weiter dazu sagen. Du gehst jetzt auf dein Zimmer und wir unterhalten uns morgen darüber. Heute möchte ich dich nicht mehr sehen.“

Hysterisch hob Patricia ihre Stimme und stampfte mit dem Fuß auf: „Du ruinierst mein ganzes Leben, vielen Dank! Hoffentlich bist du jetzt zufrieden.“ Aufschluchzend rannte sie ins Haus und am Geräusch des Türenknallens konnte ihr Weg genau nachvollzogen werden.

Jetzt brauchte auch Natascha ein Bier und sie brachte Mark gleich ein zweites mit. Als sie es ihm reichte, griff er nach ihrer Hand und suchte ihren Blick.

„Woher wusstest du, was sie in der Tasche hat?“

Natascha zuckte die Achseln. „So hätte ich es früher auch gemacht.“

„Und warum hast du es ihr dann vermasselt? Ich hatte eigentlich das Gefühl, dass sie dir leidtut.“ Mark zog Natascha an sich und gab ihr einen Kuss.

„Sie hat dich angelogen, ohne dabei rot zu werden. Das macht mir Angst und egal wie sehr sie mir vielleicht auch leidtut, meine Loyalität gehört an erster Stelle dir! Niemand - auch nicht Patricia - wird daran jemals etwas ändern. Wir müssen uns nur eine Strategie überlegen, wie wir die ganze Sache irgendwie in den Griff bekommen. Guter Bulle, böser Bulle war für den Anfang schon nicht schlecht.“ Sie erzählte Mark von dem vorangegangenen Gespräch und dem geplanten Discobesuch. Nur, wenn beide über alles Bescheid wussten, blieb ihnen eine kleine Chance, ihrer Tochter gewachsen zu sein.

Mark sparte sich weitere Vorwürfe. Er war inzwischen nicht mehr wütend, sondern vielmehr traurig darüber, wie sehr sich seine Tochter von ihm entfremdet hatte. „Bei Johanna und Robert habe ich solche Sachen überhaupt nicht mitbekommen – sie waren allerdings auch noch jünger, als ich weggegangen bin.“ Seufzend ergänzte er: „Als ich darauf bestanden habe, in der Erziehung mitzuwirken, habe ich es mir einfacher vorgestellt.“

Inzwischen waren seine beiden Kinder aus der ersten Ehe längst erwachsen. Natascha kannte sie nur von Fotos und auch Mark hatte sie nicht mehr gesehen, seit er Deutschland vor mehr als zehn Jahren verlassen hatte. Johanna studierte im letzten Semester Medizin und Robert hat das von seinem Vater geerbte Interesse für Fahrzeuge aller Art zu seinem Beruf gemacht. Nach der Ausbildung hatte er begonnen, in einer Autowerkstatt zu arbeiten, die er später übernehmen wollte. Den dazu erforderlichen Meister würde er irgendwann machen, wie er versicherte. Mark hoffte, dass es auch tatsächlich dazu kommen würde.

Er hatte zu seiner Ex-Frau Bettina gerade so viel Kontakt, um über die wichtigsten Dinge auf dem Laufenden zu bleiben. Mit den Kindern war es bisher bei einer Handvoll ebenso kurzer wie unverbindlicher Telefonate geblieben.

Beide schienen sich nicht für das Leben ihres Vaters zu interessieren und ungefragt wollte er ihnen nichts darüber erzählen. Sie hatten ihm die Trennung von ihrer Mutter ziemlich übelgenommen und ihm die ganze Schuld daran gegeben. Außerdem hatten sie sich wohl nicht ganz zu Unrecht im Stich gelassen gefühlt. Zu einem persönlichen Treffen war es seitdem noch nicht gekommen.

Mark wünschte sich auf der einen Seite, die beiden endlich wiederzusehen, war aber auf der anderen Seite schlichtweg zu feige dazu, sich einfach ins nächste Flugzeug zu setzen. Immer wieder entschuldigte er sich damit, dass er gerade unabkömmlich sei - es schien nie der richtige Zeitpunkt zu sein, um eine längere Abwesenheit zu planen.

Sein trauriger Blick richtete sich auf Natascha. „Ich will ihr doch nicht wehtun, aber so konnte ich sie auch nicht losziehen lassen.“

„Das ist das Problem. Man ist immer viel zu nahe dran. Und ich befürchte, das ist erst der Anfang. Ich bin froh, dass ich mich nicht alleine darum kümmern muss. Es ist so schon schwer genug.“ Natascha saß inzwischen auf Marks Schoß und kuschelte sich in seinen Arm.

„Vielleicht sollten wir jetzt das tun, was wir ihr noch sehr lange nicht erlauben werden?“ Ihre Hand strich über seinen Brustkorb, machte am Bauchnabel eine kurze Pause und rutschte immer weiter nach unten.

Mark stöhnte zufrieden und erhob sich, ohne Natascha dabei loszulassen. „Sunny, deine Ideen waren schon immer hervorragend. Genau das machen wir jetzt und freuen uns dabei, dass wir beiden trotz der vielen Gelegenheiten nur zwei Kinder haben. Erinnere dich aber bitte daran, dass du meine Zuwendungen ausnahmsweise nicht frei Haus bekommst, sondern zunächst ausgiebig darum betteln musst.“

Auch wenn sein Körper deutlich demonstrierte, worin sein größtes Interesse lag, stellte er Natascha zunächst noch einmal auf ihre Füße und ließ sie los. Mit resigniertem Ton sagte er: „Ich weiß, dass du erst mit ihr reden möchtest. Also geh schon, ich werde versuchen, mich so lange zu gedulden.“

Natascha drückte ihm dankbar einen Kuss auf die Wange und eilte die Treppe hinauf.

3. Vor Patricias Zimmer blieb sie kurz stehen und atmete tief durch. Noch während sie anklopfte, öffnete sie bereits die Tür. In der Hoffnung, dass ihre freundliche Stimme nicht so aufgesetzt wirkte, wie es sich für sie selbst anhörte, fragte sie: „Darf ich reinkommen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, näherte sich Natascha ihrer Tochter, die mit verweinten Augen im Bett saß und sie keines Blickes würdigte. Das Mädchen hatte ihr Kuschelkissen an sich gedrückt und versenkte das Gesicht in dem flauschigen Bezug.

„Wollen wir reden?“

Patricia fühlte sich verraten und die Enttäuschung klang aus jedem ihrer vorwurfsvollen Worte. „Warum hast du Dad gesagt, was ich vorhatte? Immer hältst du zu ihm.“ Ihre Stimme überschlug sich.

Natascha setzte sich neben sie. „Es war gar nicht nötig, ihm irgendetwas zu sagen.“ Während sie sanft über ihren Arm streichelte, erklärte sie: „Auch ich dachte in deinem Alter, meine Mutter anlügen zu können. Ich hielt mich für sehr clever und fühlte mich jedes Mal bestätigt, wenn ich mit einer meiner Geschichten durchkam. Erst sehr viel später begriff ich, dass sie längst nicht jede durchschaute Lüge auch aufgedeckt hat. In Wirklichkeit konnte ich sie wohl niemals erfolgreich täuschen und das gelingt dir bei uns auch nicht. Manchmal lässt man es durchgehen – das heißt aber nicht, dass man es nicht gemerkt hat.“

Obwohl sich Patricia um ein ausdrucksloses Gesicht bemühte, konnte sie ihr überhebliches Grinsen nicht ganz verbergen.

Natascha erkannte sehr genau, was ihrer Tochter durch den Kopf ging. „Ich weiß, was du gerade denkst. Soll ich dir jede Gelegenheit aufzählen, bei der du dachtest, ich hätte es nicht durchschaut? Als du letztes Wochenende mit Peggy gelernt und dabei die Zeit vergessen hast? Die Turnschuhe, die du unbedingt haben wolltest, waren ganz zufällig vor zwei Wochen im Angebot? Die Hausarbeit in Geschichte ist immer noch nicht bewertet worden? Soll ich weitermachen?“

Betreten schüttelte Patricia den Kopf und senkte ihren Blick. Sie wusste genau, worüber ihre Mutter sprach. Dabei war sie in jedem der angesprochenen Fälle ganz sicher gewesen, nicht durchschaut worden zu sein.

An diesem Punkt angelangt, beschloss Natascha, es zunächst dabei zu belassen - ihre Botschaft schien angekommen zu sein. „Meine Mutter war wohl der Meinung, mein Vater sei zu streng mit mir gewesen und ich hätte ein bisschen mehr Freiheit verdient. Gegen ihn hätte sie mit Argumenten niemals eine Chance gehabt. Ihre einzige Möglichkeit, mir zu helfen, bestand darin, meine Geschichten zu akzeptieren. Ich habe es jedes Mal gehasst, wenn ich sie angelogen habe.“

„Und dein Vater hat es nicht gemerkt? Dann hätte es Dad doch auch nicht von allein herausbekommen. Also hast du es ihm doch gesagt?“ Patricia runzelte die Stirn. Schlimm genug, wenn ihre Mutter scheinbar den totalen Durchblick hatte, aber alle beide? Das wollte sie so nicht hinnehmen.

Natascha lachte. „Zwischen den beiden besteht ein großer Unterschied. Mein Vater hat mich sicherlich auch auf seine Art geliebt, aber niemals so sehr, wie Dad euch. Er war nie wirklich nah bei mir, hat nie versucht, mich zu verstehen. Mark ist da ganz anders. Er interessiert sich für euch und euer Leben. Er möchte ein wichtiger Teil davon sein, genauso wie ihr es in seinem Leben seid.“ Während ihr unzählige Beispiele dafür durch den Kopf schossen, fuhr sie fort: „Du hast dir außerdem den Falschen für deine Geschichten ausgesucht. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich schwören, dass er einen eingebauten Lügendetektor hat. Mich hat vom ersten Tag an fasziniert, wie sicher er andere Menschen einschätzen konnte. Er hat ein untrügliches Gespür dafür, die Wahrheit zu erkennen.“

Patricia beobachtete ihre Mutter sehr aufmerksam. Die Reaktion auf ihre nächste Frage war von größter Bedeutung für sie. „Nehmen wir einmal an, das wäre nicht so. Hättest du ihm dann trotzdem die Wahrheit gesagt, obwohl du es mir doch erlaubt hattest? Auf wessen Seite bist du? Auf seiner oder meiner?“

Natascha zog ihre Tochter enger an sich und nahm sie fest in den Arm. Ihre Antwort würde dem Mädchen nicht gefallen. „Es gibt bei Dad und mir keine Seiten, tut mir leid. Wir belügen uns nicht - niemals. Nicht nur deshalb, weil wir es sicherlich gegenseitig merken würden. Es wäre irgendwie so, als würde ich mich selbst belügen ...“

Patricia versuchte, sie mit einem abschätzigen Stöhnen zu unterbrechen, aber Natascha ließ sich davon nicht beirren.

„Das funktioniert tatsächlich, du brauchst gar nicht so zu schnaufen. Allerdings ist es nicht besonders befriedigend. Früher oder später lässt man es meistens ganz von selbst wieder sein, weil man sich einfach nur mies fühlt.“

Natascha überlegte, ob sie das Gespräch vielleicht besser beenden sollte. Aber auch, wenn sie sich auf dünnem Eis bewegte, war es wichtig, dass ihre Tochter sie verstand. Dagegen sprach allerdings, dass Patricia momentan sehr empfindlich reagierte und schnell dazu neigte, alles in den falschen Hals zu bekommen.

Mit einem entschuldigenden Blick, beschloss sie dennoch fortzufahren. „Versteh mich bitte nicht falsch, das bedeutet nicht, dass wir immer von vornherein einer Meinung sind oder ich mich kritiklos unterordne. Es heißt nur, dass wir ehrlich miteinander umgehen, respektvoll eben. Dadurch wird manches schwieriger, aber nur so funktioniert es für uns.“

„Ist das immer so, wenn man mit jemandem zusammen ist?“ Patricia war hin- und hergerissen und konnte sich nicht entscheiden, ob sie das gut oder schlecht finden sollte. Es hörte sich anstrengend an, auf der anderen Seite betrachtete sie die Beziehung ihrer Eltern als etwas Besonderes. Obwohl in ihren Augen längst über das Alter hinaus, suchten die beiden ständig Körperkontakt, nahmen sich in den Arm, küssten sich und schienen sich nur miteinander wohlzufühlen.

Ihre Mutter schüttelte verneinend den Kopf. „Nein, ganz sicher nicht. Ich glaube, was uns verbindet, ist wirklich etwas Spezielles. Wir gehören einfach zusammen. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch ein passendes Gegenstück hat, aber nur in ganz seltenen Fällen finden sich die beiden. Und dann muss es auch noch erkannt und akzeptiert werden. Oftmals hat man sich längst anders entschieden und traut sich nicht, das alles wegzuwerfen.“ Sie erinnerte sich daran, wie viel Zeit bei ihr und Mark vergehen musste, bis sie endgültig begriffen hatten, dass sie zusammengehörten.

„War es bei Dad und dir auch so?“ Patricia wusste wenig über das frühere Leben ihrer Eltern in Deutschland. Es hatte sie nie wirklich interessiert und beide sprachen nicht oft darüber. Vielleicht sollte sie da doch nochmal genauer nachhaken?

Natascha nickte. „Oh ja, wir waren beide mit jemand anderem verheiratet und auch gar nicht so unzufrieden damit. Es hat ziemlich lange gedauert, dorthin zu kommen, wo wir heute sind. Aber ich wusste vom ersten Tag an, dass unsere Liebe etwas Einzigartiges ist und bin dankbar dafür, deinen Vater an meiner Seite zu haben.“

„Habe ich auch so ein Gegenstück? Woran merkt man denn, dass es der Richtige ist?“ Patricia konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte.

Mit einem aufmunternden Lächeln bestätigte Natascha: „Ich glaube ganz fest daran, dass auch du ein Gegenstück hast. Und wenn du ihm - oder ihr – eines Tages begegnest, wirst du es wissen. Aber so leid es mir tut - man muss im Leben viele Frösche küssen, bis man seinen Prinzen findet. Es ist und bleibt Glückssache und eher die Ausnahme. Nimm es als Geschenk, wenn es so kommt, aber verschwende nicht dein Leben mit der Suche danach. Man kann auch ohne sein Gegenstück zufrieden sein.“ Natascha sah an Patricias nachdenklicher Miene, dass ihre Worte Vorstellungen geweckt hatten, die sich vielleicht nie erfüllen ließen.

„Zufrieden vielleicht - aber nicht glücklich – so wie ihr. Mom, tut mir leid, dass ich dich verleiten wollte, Dad anzulügen. Das war unfair. Danke, dass du mir so viel erzählt hast. Ich hatte es nicht als so etwas Besonderes angesehen, auch wenn ich bei den Eltern meiner Freunde nie den Eindruck habe, dass sie sich so nahestehen wie ihr. Es ist wohl tatsächlich nicht normal, vor allem, weil ihr schon so alt seid ...“

Natascha lachte. „Naja, als unnormal würde ich uns nun auch nicht bezeichnen. Ich wollte dir nur erklären, warum dein Vater für mich so wichtig ist. Das bedeutet aber nicht, dass ihr uns egal seid. Und damit sind wir wieder beim Ursprung unseres Gesprächs ...“

Inzwischen war das Lächeln aus ihrem Gesicht gewichen. „Bitte lüg uns nicht an! Es tut mir jedes Mal weh, wenn ich es merke und ich hoffe, du hast begriffen, dass du uns nicht täuschen kannst. Wir machen uns Sorgen um euch und auch, wenn du das jetzt ganz sicher nicht hören willst - manche Dinge können wir einfach besser beurteilen. Es wäre schön, wenn du den Mut hast, für deine Interessen einzustehen und nicht den scheinbar einfachsten Weg wählst. Weder Dad noch ich verbieten dir etwas ohne Grund. Rede mit uns und wir werden einen Weg finden, mit dem wir alle leben können.“

Patricia kuschelte sich in Nataschas Arme. „Das hört sich alles ziemlich kompliziert und anstrengend an.“

„Wer hat denn behauptet, das Leben sei einfach? Aber schön ist es, zumindest wenn man eine Familie wie euch hat. Ich hab dich lieb, mein Schatz und Dad auch, vergiss das bitte nie.“ Natascha drückte ihre Tochter noch einmal fest an sich, bevor sie ihr Zimmer verließ und die Tür leise hinter sich schloss.

Als sie ihr Schlafzimmer betrat, kam ihr Mark entgegen und zog sie in seine Arme. Die offenen Fenster waren inzwischen geschlossen, hatten ihm jedoch erlaubt, den größten Teil des Gesprächs mitzuhören.

„Ich liebe dich mehr, als du es dir vorstellen kannst. Ich würde es Pat ja wirklich wünschen, aber so glücklich wie wir beiden, kann sie unmöglich werden.“ Mark küsste Natascha, während er begann, sie langsam auszuziehen.

Er war so voller Gefühle, dass er sie hautnah spüren musste. Während er die Knöpfe ihrer Bluse einen nach dem anderen öffnete, bemerkte er: „Ich gehöre doch hoffentlich nicht zu den Fröschen, die du küssen musstest? War eklig oder? So glitschig.“

Natascha lachte. „Naja, manchmal bist du auch glitschig, aber eklig eigentlich nie. Wobei ...“ Sie schien ernsthaft zu überlegen und zog dabei die Unterlippe zwischen ihre Zähne. Während sie ihrerseits damit beschäftigt war, ihm die inzwischen geöffneten Shorts herunterzustreifen, blickte sie verschmitzt zu ihm auf.

Diesem Blick hatte er noch nie widerstehen können und sein Körper protestierte ganz energisch gegen das gemächliche Tempo, das beide an den Tag legten. Er sank langsam auf die Knie und sein Mund berührte jeden Zentimeter Haut, an dem er entlangglitt. Am Bauchnabel machte er kurz Halt, pustete hinein und blickte nun seinerseits zu seiner lachenden Gefährtin auf.

Natascha hoffte, dass er sein Vorhaben, sie zunächst betteln zu lassen, inzwischen vergessen hatte.

Mark kannte jede Stelle ihres Körpers, jeden einzelnen Punkt, der sie dazu brachte, wie eine Katze zu schnurren. Jede erogene Zone, bei deren Berührung sie vibrierte und beide sich noch näher waren, als sie es jemals für möglich gehalten hatten und das unwiderstehliche Verlangen, das damit verbunden war.

Natascha nahm seinen Kopf in ihre Hände und drückte ihn an sich. Zufrieden entwich ihr ein Stöhnen. Sie würde nie genug von ihm bekommen. Sie wusste, dass immer wieder Stress und Probleme auftreten würden, aber sie wäre damit nicht allein und gemeinsam konnten sie alles schaffen, da war sie ganz sicher.

Die körperliche Seite ihrer Beziehung hatte für beide vom ersten Tag an eine große Rolle gespielt. Manchmal hatte Natascha den Eindruck, dass Mark den Gedanken an Sex nie völlig aufgab. Er schien jederzeit abrufbar in einer Ecke seines Verstandes herumzugeistern. Das war vielleicht nicht gänzlich außergewöhnlich, aber seine Fähigkeit, auch immer wieder dazu in der Lage zu sein, war es ganz sicher.

Sie erinnerte sich noch gut an ihre erste Nacht und wie sehr sie genau das irritiert hatte. Da es Mark nach wie vor jederzeit problemlos gelang, ihre Leidenschaft zu wecken, genoss sie das Zusammensein mit ihm in vollen Zügen. Er hatte ihr immer wieder erklärt, dass die Zufriedenheit seiner Partnerin für ihn an erster Stelle stand und daran hielt er sich bis heute ganz wunderbar. Es war überflüssig, zu erwähnen, dass auch er dabei auf seine Kosten kam.

Längst waren sie so aufeinander eingespielt, dass beide ganz genau wussten, was der andere gerade brauchte und das gaben sie sich gegenseitig mit einer Hingabe, die keinerlei Wünsche offenließ.

Zu Beginn ihrer Beziehung waren die Treffen immer nur heimlich und viel zu selten gewesen. In gestohlenen Stunden versuchten sie, alles Verpasste nachzuholen. Da sie damals außerdem zwanzig Jahre jünger als heute waren, hatte Natascha die gegenseitige Anziehungskraft nie erstaunt. Nachdem Mark sie in Afrika wiedergefunden hatte, lebten sie Seite an Seite und verbrachten nicht nur jede Nacht, sondern auch einen Großteil der Tage miteinander.

Sie war davon ausgegangen, dass ihr Verlangen unweigerlich irgendwann einmal nachlassen würde. Bisher schien allerdings eher das Gegenteil der Fall zu sein. Mark begegnete Natascha selten, ohne die Gelegenheit zu nutzen, sie dabei zu berühren. Ganz so, als wolle er sich versichern, dass sie tatsächlich ein Mensch aus Fleisch und Blut war. Lästig war er ihr damit noch nie gewesen und sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich daran jemals etwas ändern würde.

Natascha genoss ihr Zusammensein ebenso wie Mark und sie hatte längst aufgehört, darüber nachzudenken, ob ihre Beziehung normal sei. Sie liebte Mark und er gab ihr das Gefühl, einzigartig, attraktiv und begehrenswert zu sein – was wollte sie mehr?

Eine ganze Zeit später hielt Mark Natascha immer noch eng umschlungen, obwohl sie längst tief und fest schlief. Während sein Blick über ihren Körper glitt, wurde ihm wieder einmal klar, wie sehr er es liebte, sie nach dem Sex anzusehen. Den leichten Schweißglanz auf ihrer Haut, den erschöpften, erlösten Körper, den verschleierten Blick, bevor sich ihre Augen schlossen. Sie sah wunderschön aus.

So sehr er all dies auch brauchte, wusste er dennoch eines sehr genau: Sex war Sex, aber seine Liebe zu ihr war so viel mehr. Dann waren Körper und Seele, Herz und Verstand im Einklang. Er hoffte von ganzem Herzen, dass es immer so bliebe.

Du fehlst mir soMorgens fehlt dein sanfter Kuss, der meinen Tag willkommen heißt. Mittags fehlt ein liebes Wort, mit dem du mich ermunterst. Abends fehlt das zarte Streicheln, das mir deine Liebe zeigt. Nachts da fehlt dein ruhiger Atem, der mich sicher schlafen lässt.

Im Gegensatz zu den Nächten waren die Tage mit ernsthafter Arbeit ausgefüllt. Selten blieb ihnen dabei Zeit für Ruhepausen und wenn sie das bereits Geschaffte mit dem verglichen, was noch dringend zu erledigen war, gab es nie ein ausgewogenes Gleichgewicht.

Von Anfang an gehörte neben der Bewirtschaftung der Farm die Rettung der Wildtiere zu ihren wichtigsten Aufgaben. Häufig blieben Tierbabys nach dem Tod ihrer Mütter sich selbst überlassen und ihre Chancen, in der freien Wildbahn zu überleben, sanken gegen Null. Es sei denn, sie wurden früh genug gefunden und so lange beschützt, bis sie in der Lage waren, alleine klarzukommen. Im Laufe der Jahre kamen Tiere aller Art zu ihnen auf die Farm, wurden dort verarztet, aufgepäppelt und nach Möglichkeit später wieder ausgewildert. Manchmal gelang das jedoch nicht, sodass sich die Farm zum interessantesten und vielseitigsten Tierheim entwickelt hatte, welches man sich nur vorstellen konnte.

Die Gründe für den Tod der Tiermütter waren ebenso vielseitig wie ihr Nachwuchs. Sie erkrankten, verletzten sich oder starben im Kampf mit anderen Tieren. Der schlimmste Feind blieb allerdings der Mensch in Form von Großwildjägern oder Wilderern. Der Markt für Elfenbein, Geweihe oder Felle wuchs unaufhaltsam und es wurden Beträge gezahlt, die weit über allen moralischen Bedenken lagen. Für einen Stoßzahn erhielt ein Mann weit mehr Geld, als in einem ganzen Jahr mit ehrlicher Arbeit zu verdienen war.

Wenn daraus gefertigte Dekoartikel erschienen, fand das Natascha schon geschmacklos, allerdings übertraf eine andere Einsatzmöglichkeit ihren Ekel noch deutlich: Vor allem im asiatischen Raum galt das pulverisierte Horn der Nashörner als außerordentlich wirksames Potenzmittel. Dabei hätte man problemlos die eigenen Fingernägel verwenden können. Deren Zusammensetzung war identisch und sie wuchsen immerhin nach.

Was Natascha, Mark und ihr Team jeden Tag vollbrachten, war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Trotzdem bemühten sie sich immer wieder aufs Neue und jedes gerettete Tier bestätigte sie in ihrer Arbeit.

In letzter Zeit stießen sie auf immer mehr getötete oder verstümmelte Elefanten und Nashörner. Die betroffenen Tiere wurden immer jünger, es schien keine Rolle mehr zu spielen, welche Größe der Stoßzahn oder das Horn noch hätte erreichen können.

Vermutlich handelte es sich um eine neue Gruppe von Wilderern, die sich in der Umgebung der Farm angesiedelt hatten. Oft waren die aufgefundenen Tiere noch warm und sie konnten die Wilderer nur knapp verpasst haben. Eine Begegnung schien unausweichlich. Alle befanden sich in höchster Alarmbereitschaft. Sie waren nur im Team und bewaffnet unterwegs und darauf vorbereitet, diese Verbrecher endlich zu stellen.

Wie gefährlich dies allmählich für sie selbst wurde, war weder Natascha noch Mark bewusst. Beide waren nicht in Südafrika aufgewachsen und hatten zwar von der Skrupellosigkeit der Gesetzlosen gehört, es jedoch nie am eigenen Leib erfahren. Wahrscheinlich hätten sie trotzdem nicht damit aufgehört, sich für die gefährdeten Tiere einzusetzen, aber vielleicht wären sie etwas vorsichtiger gewesen. Stattdessen steuerten sie unaufhaltsam einer Katastrophe entgegen.

Die Wilderer waren nicht bereit, auf ihre lukrativen Einkünfte zu verzichten und hatten keinerlei Skrupel, alles dafür zu tun, um ihr Geschäft am Laufen zu halten. Die Bande beobachtete die Farmbewohner inzwischen sehr genau und stellte dabei fest, dass sich die Schlinge um sie immer enger zusammenzog. Sie hatten nicht vor, sich kampflos zu ergeben, geschweige denn, diese ertragreiche Gegend zu verlassen.

4. Inzwischen war der August dem September gewichen. Die Temperaturen stiegen beinahe täglich und auch die regelmäßigen Regengüsse brachten keine spürbare Abkühlung, sondern trugen lediglich dazu bei, die Luftfeuchtigkeit immer unerträglicher werden zu lassen.

Bis zum südafrikanischen Hochsommer würden noch einige Wochen vergehen und sollte die Hitze weiterhin so rasant steigen, wäre mit einer großen Dürre zu rechnen.

Auf der Farm begannen alle nach Möglichkeit bereits bei Sonnenaufgang mit ihrer Arbeit. Wenn es um 6.00 Uhr hell wurde, ließen sich die Temperaturen noch halbwegs ertragen und es dauerte - zumindest im Vergleich zur Mittagszeit - etwas länger, bis man zum ersten Mal schweißgebadet war. Wobei mit länger höchstens ein paar Minuten gemeint waren. Der Feierabend lag frühestens kurz vor Sonnenuntergang und die Tage waren entsprechend lang.

Mark gähnte ausgiebig, während er sich auf den Heimweg machte. Den ganzen Tag über hatte er gemeinsam mit Vincent Zäune kontrolliert und zahlreiche Beschädigungen beseitigt. Es würde bald dunkel werden. Grund genug für ihn, um sich zu beeilen und den direkten Weg zur Farm zu wählen.

Er kannte die mit einem Aufenthalt in der Dunkelheit verbundenen Risiken und hätte etwas Derartiges weder bei Natascha noch bei den Kindern toleriert. Trotzdem zügelte er sein Pferd und lenkte es auf einen kleineren Seitenpfad. Der Heimweg wurde dadurch zwar etwas länger, aber auch interessanter.

Inzwischen liebte er das Reiten mindestens genauso sehr wie früher das Motorradfahren – wenn nicht noch mehr, denn ein Lebewesen unter sich zu spüren im Gegensatz zu einer toten Maschine hatte seinen ganz besonderen Reiz. Allerdings dachte er dabei natürlich nicht an irgendein lahmes Schaukelpferd. Sein Hengst Attila war rassig, lebhaft und eigensinnig und entsprach in seinen Charaktereigenschaften damit genau denen seines Herrn.

Mark hatte lange auf dieses Tier gewartet. Nachdem er in Südafrika Fuß gefasst hatte, musste er zunächst einmal reiten lernen. Erst nachdem die Stürze seltener geworden und er nach Stunden im Sattel nicht mehr obeinig durch die Gegend gewatschelt war, traute er sich, mit einem selbstbewussten Pferd umzugehen. Beiden musste jederzeit klar sein, wer der Chef war und das durfte niemals das Tier sein.

Pferde waren intelligente Wesen und ihren Respekt musste man sich verdienen. Mit Gewalt ließ sich das nicht erzwingen. Es erforderte Fachkenntnis, Ausdauer und Charakterstärke. Mark hatte das Glück, in Paul einen guten Lehrer zu haben, der ihm immer wieder geduldig erklärte und zeigte, worauf es ankam.

Paul lebte seit vielen Jahren auf der Farm und nahm Marks Idee einer eigenen Pferdezucht sofort begeistert in seine fachkundigen Hände.

So wie die Hundezucht Nataschas Baby war, hing Marks Herz an den Pferden. In der Anfangszeit waren Misserfolge und Rückschläge an der Tagesordnung gewesen und er hatte mehr als einmal kurz davorgestanden, alles hinzuwerfen. In solchen Situationen lernte er endgültig das sanfte Gemüt der Schwarzen zu schätzen. Paul ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen und sein Leitspruch Los noch mal, beim nächsten Mal klappt es! verlieh ihm immer wieder die nötige Kraft zum Durchhalten.

Paul behielt recht und nachdem die eigenen Leute auf der Farm mit erstklassigen Pferden ausgestattet waren, wurden inzwischen immer mehr Tiere verkauft – zu unglaublich hohen Preisen. Wenn Mark einen Scheck in den Händen hielt, der die Finanzierung der Farm für mehrere Monate sicherstellte, freute er sich jedes Mal, endlich auch etwas zu ihrem Lebensunterhalt beitragen zu können.

Er hatte Attila auf die Welt geholfen und bereits als Fohlen an sich gewöhnt. Auch wenn Mark in der Regel dazu neigte, sich selbst zu überschätzen, war er in diesem Fall klug genug gewesen, die anspruchsvolle Erziehung in Pauls Hände zu geben. Das mittlerweile vierjährige Tier strotzte vor Kraft und ließ sich von niemandem außer Mark und Paul gefahrlos reiten.

Obwohl sie in letzter Zeit zunehmend Probleme mit Wilderern gehabt hatten, war Mark an diesem Abend ausnahmsweise alleine unterwegs. Normalerweise versuchten die Männer dies zu vermeiden, aber manchmal gelang es ihnen nicht. Vincent hatte ihn bereits früher verlassen müssen, um einem Notruf nachzugehen und beide hatten nicht daran gedacht, einen Ersatzbegleiter zu organisieren.

Vor allem der Elfenbeinhandel blühte und immer wieder stießen sie auf tote Tiere mit abgesägten oder herausgerissenen Stoßzähnen. Diese waren qualvoll verendet und häufig entweder über Stunden verblutet oder an den unvorstellbaren Schmerzen gestorben. Die erlösende Kugel hätte den Wilderern nur unnötige Kosten verursacht.

Auch wenn Natascha sicherlich schon auf ihn wartete, übte die Freiheit, die diese Ausritte für ihn bedeuteten, einen unwiderstehlichen Reiz auf Mark aus. Das hatte nichts mit seinen Gefühlen zu tun. Er liebte seine Frau und die Kinder mit Leib und Seele und auch nach fast zehn Jahren Seite an Seite schlug sein Herz jedes Mal höher, wenn er Natascha sah. Sein Körper reagierte zuverlässig wie ein Uhrwerk auf sie und er hatte absolut kein Interesse mehr an anderen Frauen.

Trotzdem sehnte sich Mark zwischendurch nach ein wenig ungestörter Zeit für sich selbst - Natascha war ihm so nah, dass ihre Nähe keinerlei Rückzugsmöglichkeiten bot. Ein Blick genügte ihr in aller Regel bereits, um sehr genau einzuschätzen, was er dachte und fühlte. Manchmal war ihm selbst nicht mehr klar, an welcher Stelle seine Gedanken aufhörten und ihre begannen. Das gab ihm auf der einen Seite Sicherheit und bestätigte immer wieder, dass sie seine Seelenverwandte war. Auf der anderen Seite empfand er es aber auch in manchen Situationen als ziemlich anstrengend.

Er war Zeit seines Lebens eher der einsame Wolf gewesen, der sich Frauen nur dann näherte, wenn er dazu bereit war und das hatte zumeist mit seinen körperlichen Bedürfnissen zu tun. Die spielten auch bei Natascha nach wie vor eine wichtige Rolle. Sobald sie in seiner Nähe war, musste er sie berühren und Außenstehende konnten sich kaum vorstellen, dass sie bereits so viele Jahre gemeinsam verbracht hatten.

Natürlich verlief ihre Beziehung nicht generell stressfrei und oft genug flogen heftig die Fetzen, wenn sie sich in irgendeiner Sache nicht einig waren. Allerdings achteten beide sorgfältig darauf, dabei keine Grenze zu überschreiten und den gegenseitigen Respekt zu wahren. Sie wussten, wie wertvoll und einzigartig ihre Beziehung war. Insgeheim lauerte bei beiden die Angst, wieder voneinander getrennt zu werden und das bewahrte sie bislang davor, ihr Zusammensein als Selbstverständlichkeit hinzunehmen oder einen Konflikt eskalieren zu lassen.

Bisher hatten sie immer einen Kompromiss gefunden, mit dem beide leben konnten. Im Stillen fürchtete sich Mark davor, dass sich das eines Tages ändern könnte. Er wollte Natascha auf keinen Fall verlieren, wusste aber mit der gleichen Gewissheit, dass weder er noch seine Gefährtin deshalb bereit sein würden, gegen die eigene Überzeugung und nur des lieben Friedens willen nachzugeben.

Der Umgang mit der Wilderei beinhaltete keinerlei Streitpotential und beide waren sich vom ersten Tag an darin absolut einig: Die Tiere brauchten ihren Schutz. Allerdings vertrat Mark zunehmend die Ansicht, dass sich Natascha dabei mehr im Hintergrund halten sollte.

Wenn er die getöteten Tiere sah, erkannte er in ihnen die Grausamkeit der Wilderer und der Gedanke daran, dass Natascha in ihre Nähe geraten könnte, verursachte bei ihm eine Gänsehaut. Überzeugen konnte er sie allerdings nicht davon. Seine Argumente prallten wirkungslos an ihr ab und um die Sache zu beenden, wies sie ihn gerne darauf hin, dass auch sie sich Sorgen um ihn machte.

Als ob das vergleichbar sei, überlegte er, während er missmutig den Kopf schüttelte und sich zum hundertsten Mal fest vornahm, das Thema bei nächster Gelegenheit wieder auf den Tisch zu bringen.

Seine Gedanken wurden von einem Fahrzeug unterbrochen, das ein paar hundert Meter vor ihm mitten auf dem Weg stand. Die meisten Wagen hätte er selbst auf diese Entfernung zuverlässig erkannt, aber diesen sah er zum ersten Mal. Mark zog das Gewehr aus der Satteltasche und legte es sich auf den Schoß.