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Der schwäbische Kommissar Horst »Hotte« Meyer auf Urlaub am Bodensee und das auch noch ohne Ehefrau Claudia. Das kann nicht gut gehen! Und tatsächlich: Horsts Freund aus alten Kommissar-Lehrgangstagen, Thomas Grundler, der ihn zu einem Tauchtrip an die im Bodensee versunkene »Jura« eingeladen hatte, kommt bei dem Unterwasserausflug ums Leben. Anfänglich ist die Todesursache völlig unklar, doch bald schon kommt die schreckliche Erkenntnis: Das war kein Unfall, das war ein raffiniert eingefädelter, eiskalter Mord. Kommissar Horst Meyer nimmt die Hetzjagd rund um den Bodensee auf. Und mehr als einmal wird der Jäger zum Gejagten!
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Seitenzahl: 239
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Gunter Haug
Sturmwarnung
Bodensee-Krimi
AM GRUND DES BODENSEESDer schwäbische Kommissar Horst „Hotte“ Meyer auf Urlaub am Bodensee und das auch noch ohne Ehefrau Claudia. Das kann nicht gut gehen! Und tatsächlich: Horsts Freund aus alten Kommissar-Lehrgangstagen, Thomas Grundler, der ihn zu einem Tauchtrip an die im Bodensee versunkene „Jura“ eingeladen hatte, kommt bei dem Unterwasserausflug ums Leben. Anfänglich ist die Todesursache völlig unklar, doch bald schon kommt die schreckliche Erkenntnis: Das war kein Unfall, das war ein raffiniert eingefädelter, eiskalt kalkulierter Mord.
Kommissar Horst Meyer nimmt die gnadenlose Hetzjagd rund um den Bodensee auf. Und mehr als einmal wird der Jäger zum Gejagten!
Gunter Haug, in Schwaigern bei Heilbronn lebender Autor, genießt bei Krimifans inzwischen Kultstatus. Seine Kriminalromane verbinden Spannung, Humor und Lokalkolorit auf eine faszinierende Weise, die sowohl bei Rezensenten als auch Lesern immer wieder auf begeisterte Zustimmung stößt. Seine Bücher »Niemands Tochter« und »Niemands Mutter« wurden zu Bestsellern.
Lieferbar im Gmeiner-Verlag:
Tauberschwarz (2002)
Riffhaie (1999)
Tiefenrausch (1998)
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
Neuauflage 2019 (2. Auflage)
Lektorat: Susanne Tachlinski
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Detlef / fotolia.com
Druck: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-8392-6032-6
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Dieser Roman ist das Produkt langer Überlegungen und vieler Diskussionen zwischen dem Autor, zahlreichen Freunden, Bekannten und anderen Menschen, die diesem Buch positiv gegenüberstanden.
Viele Fakten, Daten und Hintergrundgeschichten wurden seit Jahren von mir gesammelt und haben sich nun – endlich –, aus vielen Puzzlestücken zusammengefügt, in eine einheitliche Geschichte gießen lassen.
Manches von dem hier beschriebenen hat tatsächlich so oder so ähnlich stattgefunden – manches ist auch (das will ich gerne zugeben) nur der eigenen Fantasie entsprungen.
Jede Ähnlichkeit zwischen den Romanfiguren und noch lebenden oder bereits verstorbenen Personen ist natürlich rein zufällig. Und falls sich jemand dennoch wiedererkennen sollte: er/sie denke bitte an den vorangegangenen Satz!
Spekulationen und reale Tatsachen, bloße Möglichkeiten und wirklich Dagewesenes, reale Handlungsorte und fiktionale Hauptdarsteller, Meldungen aus der Vergangenheit, Fragen, die geblieben sind, Antworten, die daraus abgeleitet werden könnten: dieses gut durchmischte Konglomerat von Fakten und Vorlagen ist es, was das Verfassen eines solchen Werkes zum Vergnügen macht! Und dem Leser (hoffentlich) dergestalt auch letztendlich zugute kommt!
Und dass all diese Gedanken nicht gänzlich danebengedacht worden sind, mag die Tatsache beweisen, dass die »Sturmwarnung« nunmehr bereits in die 6. Auflage gegangen ist.
Gunter Haug
Schwaigern, im Frühjahr 2019
Dank an diejenigen, die dieses Buch befördert haben:
Heiner, für seinen Hinweis in letzter Minute;
Uli, der das mit dem Sauerstoff auch nicht wusste;
Karin, die schließlich Chemie studiert hat.
Entschuldigung an:
Frieder aus Albstadt, dessen Wohnwagen (dem Hörensagen nach) top ist;
Jürgen vom Wildenstein, dessen Wein in Wirklichkeit (längst) viel viel besser ist;
die Polizeidirektion Konstanz, in der es natürlich ganz anders zugeht.
»Aha, es ist also dein voller Ernst! Du willst also tatsächlich so einfach da runter?! Mal schnell ganz locker, ganz cool, mir nichts, dir nichts einen kleinen Trip unternehmen?!« Es war der personifizierte Vorwurf in Gestalt von Claudia, dem sich Horst gegenübersah.
»Cool, Mann, ruhig bleiben«, appellierte der an sich und seine Nerven wie Drahtseile, während er fieberhaft überlegte, welchen Köder er seiner Angetrauten präsentieren könnte, um die Kuh vom Eis zu bekommen (wobei Horst im Zusammenhang mit seiner Frau Claudia nie und nimmer von Kuh hätte sprechen mögen, das war halt nur so eine Redensart, aber …)
»Was heißt hier: die Kuh vom Eis bringen?!« – Schon war es ihm anscheinend herausgerutscht. Vor lauter Nachdenken und überhaupt …
»Was glaubst du denn eigentlich, wen du vor dir hast?!« Claudia war ganz offensichtlich auf dem Wert 180 bei der nach oben offenen Erregungsskala angelangt – mindestens – und eine weitere Steigerung schien unmittelbar bevorzustehen. »Ich kann mich krummlegen noch und nöcher: Praxisvertretung schieben ohne Ende, kochen, putzen, mit den Kindern Hausaufgaben machen, sie zur Musikschule und zum Fußballtraining fahren, Rasen mähen, Auto in die Werkstatt bringen, Wäsche waschen, bügeln …« Die Argumente prasselten auf Horst nieder wie ein Feuerstoß aus einem Maschinengewehr, doch glücklicherweise hatte Claudia im Eifer des Gefechts vergessen zu atmen, sodass jetzt eine Zwangspause zum Luftholen anstand, bevor die nächste Salve abgefeuert werden konnte. Diese Lücke nutzte Horst geistesgegenwärtig für seine Gegenoffensive.
»Aber dafür hast du doch deine Mutter – die kannst du doch herholen und bei uns übernachten lassen, ist doch überhaupt kein Problem. Dann kannst du dich um die Praxisvertretung kümmern und deine Mutter macht den Haushalt, das hat sie ja schließlich schon oft genug angeboten …«
Leider war Claudias Atempause mittlerweile vorüber: »Und der Herr des Hauses kann dann das Geld verjubeln, das sein dummes Weibchen mühsam mit ihrer Hände Arbeit eingenommen hat! Na prima! Das ist ja wie im Mittelalter: da hat der feudale Herr jede Menge Dienstboten für sich und seine Bedürfnisse – vom Essenkochen bis zum Betthäschen!«
»Jetzt ist’s dann aber genug!« Auch Horst war nun allmählich ganz gegen seine Planung am Durchstarten. »So langsam ziehst du die Geschichte aber wirklich auf ein Niveau – ich bitte dich! Jetzt mach aber mal einen Punkt! Was tu ich denn schon Großartiges?«
Gerade diese Aussage aber ermöglichte den ultimativen Blattschuss, der keine Sekunde auf sich warten ließ: »Nichts! Das ist es ja gerade! Ich sag’s ja: Du zwitscherst ab und ich kann gucken, wo ich bleibe – so hab ich mir Partnerschaft aber nie und nimmer vorgestellt!«
Die Ehekrise war in greifbare Nähe gerückt – Zeit für einen Kompromissvorschlag, den er für den Fall der Fälle von Anfang an im argumentativen Notfallkoffer dabeigehabt hatte. »Also – dann lass ich halt die Katze aus dem Sack, es sollte zwar eine Überraschung sein, aber bevor wir uns noch richtig in die Wolle kriegen: Du sollst natürlich nicht alleine daheim bleiben, ich hab von Anfang an danach geguckt, dass wir da unten ein paar Tage zusammen sein können. Es war nämlich in Wirklichkeit so geplant, dass ich am Montag vorfahre und du dann am Freitag mit dem Zug nachkommst, das habe ich schon alles so organisiert – wie gesagt, es sollte eine Überraschung sein …« Mit allen Anzeichen der Resignation zuckte Horst die Schultern, Zerknirschung und Enttäuschung andeutend, während sich im Gesicht seines Gegenübers im selben Moment eine wundersame Verwandlung abspielte: von 30 Tagen Regenwetter zu strahlendem Sonnenschein, und das im Verlauf von nicht einmal einer Sekunde! Mit einem Schlag war anscheinend alles wieder gut!
»Du und ich – wir beide ein verlängertes Wochenende am Bodensee? Das hast du geplant?«
Horst nickte, die Augen demütig-reuevoll auf den Boden geheftet.
»Und mich damit überraschen wollen?«
Wiederum zerknirschtes Nicken.
»Ach, Schatz – wieso sagst du mir das denn nicht gleich?« Sprach’s und stürmte auf Horst zu, um ihn innig zu umarmen und ihm einen dicken Kuss auf die Wange zu drücken. »Das ist ja Spitzenklasse!« Claudia war die Glückseligkeit in Person.
Es gab Momente in seinem Leben, in denen Horst sich seiner selbst schämte! In Wirklichkeit hatte er ja eine richtig schöne freie Woche am Bodensee für sich ganz alleine geplant gehabt und, ehrlich gesagt, gar nicht damit gerechnet, dass Claudia angesichts der beruflichen Belastung, die sie sich mit der Praxisvertretung bei verschiedenen Heilbronner Kinderärzten derzeit aufgeladen hatte, auf die Idee kommen könnte, mitzureisen. Von Claudias Ausbruch überrascht, hatte er glücklicherweise aber doch noch rechtzeitig die Notbremse gezogen und den rettenden Ausweg gefunden, der in Claudias Augen nun wie ein lange geplantes Verwöhn-Wochenende für das Ehepaar Meyer erschien. Angesichts Claudias regelrechter Glückseligkeit fühlte Horst sich einigermaßen niederträchtig – aber dennoch: der Ehefrieden war wiederhergestellt, und weshalb sollte er nun Seelenstriptease betreiben und zugeben, dass er erst im gleichen Moment, als er es ausgesprochen hatte, selbst Kenntnis von dem verlängerten Wochenende für zwei Personen am schönen Bodensee erhalten hatte.
Claudias Neugier war nun natürlich nicht mehr zu stoppen: »Und wo hast du uns eingebucht? Wie ich dich kenne, sicher am Überlinger See, im Badhotel in Überlingen oder etwa sogar im St. Leonhard oder vielleicht im Pilgerhof direkt am Wasser da bei der Birnau oder vielleicht in Seefelden?« Voller Vorfreude und in schönen Erinnerungen an vorangegangene Aufenthalte schwelgend schaute sie Horst ins Gesicht.
»Na komm, sag’s schon – raus mit der Sprache!« Freundschaftlich versetzte sie Horst einen Klaps auf die Schulter.
Oh weh! Die nächste Klippe, die umschifft werden musste! Horst schluckte trocken, bevor er die Kröte ausspuckte: »Na ja … es ist diesmal etwas ganz anderes …«
»Auch gut – mal was Neues, warum auch nicht! Klasse, toll – also komm, raus mit der Sprache: Was hast du da Neues aufgetan?« Claudia war die Spannung in Person.
»Also, neu – neu ist es eigentlich nicht direkt …«, nach wie vor suchte Horst nach den richtigen Worten, permanent bedrängt von seiner vor lauter neugieriger Vorfreude fast platzenden Angetrauten.
»Was Altes also – auch schön – so ein alter, neu renovierter Bauernhof, wie der da damals im Hinterland – wie hieß der gleich noch, da in der Nähe von Frickingen, oder halt, nein, das war glaub ich in Leustetten.« Claudia schien kurz innezuhalten und nachzudenken – Verschnaufpause für Horst. Doch die Pause war vorbei, bevor sich Horst auch nur den Beginn einer neuen Strategie zurechtlegen konnte. »Na – auch egal, aber jetzt hör auf mit dem Rumgedruckse und sag mir, was für ein Hotel es ist!«
Also dann – Augen zu und durch: Auf ins letzte Gefecht! »Hotel ist es keins und Pension auch nicht. Die Idee ist mir neulich gekommen, wo ich mit dem Frieder telefoniert habe, weißt du!«
Claudia wusste nicht. Erste Anzeichen von Ungeduld machten sich nun bemerkbar. »Ja und – was hat dir der Frieder denn empfohlen?«
»Der hat mir vorgejammert, dass er den ganzen Monat überhaupt keine Zeit dazu hat, an den See zu kommen, und mir vorgerechnet, wie teuer das alles für ihn ist, mit seinem Ganzjahresstandplatz in Nußdorf – wegen netto vielleicht vier oder fünf Wochenenden da fast 2.000 Mark im Jahr als Standgebühr abzudrücken, das sei schon ein bisschen heftig, hat er gemeint!«
Man sah es an ihren Augen: In Claudia schien ein furchtbarer Verdacht aufzusteigen. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingern auf die Platte des Esstischs. »Und was hat das alles jetzt mit unserem Wochenende zu tun?«
»Na ja – der Frieder hat mir angeboten, seinen Wohnwagen da auf dem Platz in Nußdorf zu benutzen. Besser ich sei drin, als dass er einfach so leer und nutzlos in der Gegend rumstünde, hat er gemeint. Da hab ich Ja gesagt, wo er dann noch gemeint hat, dass ich auch nichts zu bezahlen brauche. Anfang Juli ist’s ja nicht mehr so kalt in der Nacht im Wohnwagen und auch noch nicht so heiß, dass man’s nicht mehr aushält. Und außerdem: quasi Tür an Tür mit dem Martin Walser, hat er gemeint, das sei doch auch nicht ohne!«
»So, hat er gemeint! Ich wusste gar nicht, dass der weiß, wer der Martin Walser ist. Bisher habe ich den maximal die Programmzeitschrift vom Fernsehen lesen sehen, aber dass der jemals ein Buch von Martin Walser in der Hand gehabt hat, das glaubst du wohl selber nicht!«
»Jetzt sei aber nicht ungerecht, komm! Wieso soll einer, der Bäcker ist, denn nicht Walser lesen? Im Übrigen: Gerade Bäcker sind auf dem Gebiet belesener als so mancher Doktor. Und wie viel Bäcker mischen in der Kommunal- oder Landespolitik mit? Mehr als so mancher Bildungsbürger, der zwar diese ganzen ›Pflichtbücher‹ zu Hause im Regal stehen hat, aber wahrscheinlich noch keinen einzigen Blick hineingeworfen hat! Ich für meinen Teil hab immerhin schon im Gymnasium die ›Blechtrommel‹ gelesen!«, setzte Horst mit einem triumphierenden Blick auf Claudia hinzu. Dieser dezente Hinweis auf Claudias ausbildungsmäßige Ochsentour, die erst über Hauptschule, Wirtschaftsgymnasium und Fachabitur zum Medizinstudium geführt und damit wenig Raum für humanistisch-germanistisches Bildungsgut gelassen hatte, sollte einen kleinen Fußtritt für die gerade erlebten und durchlittenen Szenen einer Ehe darstellen. Doch Pustekuchen! Wie gewonnen, so zerronnen!
»Die ›Blechtrommel‹ hat ja der Walser schließlich auch nicht geschrieben, sondern der Grass. Walser, von dem sind ›Das Einhorn‹ oder ›Ein fliehendes Pferd‹ oder …«
»Genug, genug!«, unterbrach Horst den Wortschwall und hob als Eingeständnis seiner Niederlage beide Hände in Brusthöhe vor sich. »Du hast gewonnen – ich gebe mich geschlagen!«
Claudia fixierte ihn misstrauisch. »So – und du hast also gemeint, ich soll mit dir da in der verrosteten alten Konservendose namens Wohnwagen übernachten – auf einem Campingplatz!! Wo wir doch beide schon vor Jahren geschworen haben, dass wir auf keinen Campingplatz mehr gehen – auf gar keinen Fall! Und dann ausgerechnet in die alte Affenschaukel von deinem Freund Frieder! Also wirklich!«
»Das ist kein Campingplatz – das ist nur ein Standplatz in Nußdorf, auf dem Gelände von einem Bauernhof – hundert Meter vom See weg. Und im Umkreis von 20, 30 Metern steht da kein anderer Wohnwagen, garantiert. Ich hab’s doch selber vor zwei Jahren gesehen, als ich den Frieder damals besucht habe! Ehrenwort!« Horst versuchte es nun auf die romantische Tour, machte einen Schritt auf Claudia zu, nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. »Und außerdem – so ein schnuckeliges kleines Wohnwägelchen, nur für uns zwei beide, ganz allein, ganz romantisch. Mit gegrillten Würstchen und Steaks, eine schöne Flasche Lemberger (oder zwei) im Freien vor dem Wagen sitzend, keine Menschenseele weit und breit, das wär doch mal wieder was für uns, oder?« Er streichelte ihre Wange. »Na, komm schon – das ist doch mal was ganz anderes, das hat mit dem üblichen seelenlosen Hoteltrott nichts zu tun. Ist doch auch mal wieder schön – so ganz einfach und so ganz für uns alleine!« Er gab ihr einen leichten Klaps aufs Hinterteil und schlug anschließend unternehmungslustig die Hände zusammen: »Also – sag schon Ja, komm. Das wird irre gemütlich!«
Claudias Widerstand zerbröselte widerstrebend, aber sichtbar. »Das mit dem ›irre‹ glaube ich dir sofort. Aber gut, wenn du meinst, also: Ja! Aber nur unter einer Bedingung …«
Horst wusste, er hatte gewonnen. »Und die wäre?«
»Wenn die alte Schüssel sich dann doch als muffig und verwanzt herausstellen sollte, dann gehen wir ins Hotel – und zwar ohne Wenn und Aber! Okay?«
»Einverstanden – aber ich sag dir jetzt schon: Es wird dir gefallen auf dem Platz, da wette ich um eine Kiste Lemberger trocken, Kabinett. Da – schlag ein!«
Claudia winkte lachend ab: »Von wegen! Schlaumeier! Selbst wenn du die Wette verlieren solltest, bist du ja der eigentliche Gewinner, denn wer trinkt bei uns den meisten Lemberger? Du natürlich!«
Auch Horst musste schmunzeln. »Na gut. Auf jeden Fall ist ja jetzt alles geritzt. Also – am Montag früh starte ich und vorher besorge ich dir noch die Fahrkarte, damit du dich gleich am Freitagnachmittag in den Zug setzen kannst. Ich hol dich dann am Bahnhof in Überlingen ab. Und deine Mutter rufe ich auch an, dass sie wieder drei Tage mit ihren heißgeliebten Enkeln verbringen darf – nicht dass sie jetzt noch was mit ihren Freundinnen ausmacht!«, fügte er mit leichtem Stirnrunzeln hinzu.
»Ach wo«, beruhigte ihn Claudia. »Das geht auf jeden Fall klar, sie hat mir schon angedeutet, dass sie in der nächsten Woche eh nichts vorhat, das müssten wir hinbekommen!«
»Also, auf. Dann rufe ich jetzt den Frieder an und sag ihm Bescheid, dass ich sein Angebot annehme und dass er mir erzählt, wo er den Schlüssel für den Wohnwagen deponiert hat.« Das alles hatte er zwar schon längst geregelt, aber weshalb aufs Neue schlafende Schäferhunde wecken, wenn sich die Sache mit dem Urlaub von zu Hause so leicht doch noch hatte hinbiegen lassen? »Und dem Thomas sage ich dann auch Bescheid, dass ich komme. Du, der freut sich riesig darauf, hat er mir neulich am Telefon gesagt, wo wir das ausgemacht haben.«
Ein schneller Blick, in dem sich neu aufkeimendes Misstrauen widerspiegelte, ließ ihn blitzschnell die Kurve kriegen. »Na, du weißt doch – ich hab mit dem Thomas letzte Woche telefoniert, wegen so einer Umweltgeschichte da, die einen Menschen aus Konstanz betrifft. Und da haben wir dann ausgemacht, dass es ganz schön wäre, wenn wir uns bald mal wiedersehen könnten. Schließlich haben wir das beim Kommissarlehrgang in Wertheim schon im Januar verabredet gehabt und dann wieder aus den Augen verloren – wie immer halt. Und wenn wir jetzt nicht einen Knopf dranmachen, dann wird’s in diesem Jahr wieder nichts mit einem Treffen. Vor allem, wo’s doch jetzt warm ist da unten und der See auch schon 19 Grad haben soll, sagt der Thomas. Und außerdem: Ich hab irgendwie den Eindruck gehabt, der braucht grade mal jemanden zum Reden. Da scheint’s im Dienst nicht so besonders gut zu laufen und im Privaten gleich zweimal nicht. Der Thomas und die Susanne, die scheinen richtig Stress momentan miteinander zu haben. Er hat’s angedeutet: Er muss sich das alles mal von der Seele reden! Und wozu sind Freunde schließlich da?«
Claudia faltete die Hände vor der Brust, drehte die Augen in gespielter Frömmigkeit zum Himmel und vermerkte mit leicht spöttischem Unterton: »Mein Mann, der barmherzige Samariter! Die Polizei – dein Freund und Helfer! Hauptkommissar Horst Meyer – dein Kummerkasten in jeder Lebenslage!«
»Na – jetzt übertreib mal nicht! Aber wie auch immer: ich freue mich auf den See!«
»Klar – verstehe ich ja. Aber tu bloß nicht so, als würdest du nur aus reiner Nächstenliebe dort runterfahren – ganz so naiv bin ich dann doch nicht. Oder willst du dein Tauchzeug etwa nicht einpacken?«
»Natürlich will ich – na und?!«
»Nichts na und. Ich wollte es nur geklärt haben, ich gönne es dir ja auch. Obwohl – ich lass meine Sachen ganz sicher zu Hause. Mich bringst du im Leben nicht zum Tauchen im Bodensee – nein danke!« In gespieltem Entsetzen schüttelte sich Claudia und rieb die Oberarme mit ihren Händen, als fröstele sie. »Da warte ich lieber wieder ein Jahr, bis wir genug Geld für die Malediven oder die Karibik zusammenhaben. Da sind die Fische bunt, das Meer ist warm und vor allem: Man sieht weiter als zwei Meter fünfzig!«
»Hast ja recht«, Horst nickte eifrig – sie hatten das Thema schon oft diskutiert und sich nach einigem Widerstreben auch schon zu ein paar wenigen Tauchgängen in deutschen Baggerseen überreden lassen. Jedes Mal hatten sie anschließend den Kopf geschüttelt und sich versichert, lieber ein halbes Jahr länger auf den nächsten Urlaub zu warten, als noch einmal wie ein Moderlieschen in kalten schlammigen Baggerseen herumzupaddeln. »Aber der Thomas ist ja auch Taucher und der hat mich so weit gekriegt, dass ich Ja gesagt habe. Er kennt den See wie seine Westentasche und will mir unbedingt mal das Wrack der ›Jura‹ zeigen. Das sei ein echtes Erlebnis, da runterzutauchen!«
»Wenn der meint – von mir aus! Ich auf jeden Fall lasse mir dann von euch erzählen, was ihr alles nicht gesehen habt und wie kalt es da unten gewesen ist. Hauptsache, die Geschichte ist nicht gefährlich, oder?« Forschend blickte Claudia ihrem Mann ins Gesicht.
»Wo denkst du hin«, schüttelte der energisch den Kopf. Dass die »Jura« auf rund 38 Metern stockdunkler Tiefe im Schlick des Bodensees lag, musste man ihr ja nicht unbedingt auf die Nase binden. Das konnte warten, bis er wieder glücklich aufgetaucht war und mit stolz geschwellter Brust von seinen Heldentaten unter Wasser erzählen konnte. »Der Thomas ist ja auch vorsichtig und der hat Erfahrung ohne Ende – mit über 500 Tauchgängen. Da passiert garantiert nichts – im Leben nicht!«
Wie leichtfertig man im alltäglich Sprachgebrauch so manche Formulierung in den Mund nimmt – aber an dieses Gespräch erinnerte sich Horst erst viel später wieder, erst dann, als es bereits zu spät war …
Es war ein strahlend schöner Montagmorgen, als Horst, der erst noch die Kinder zur Schule gefahren hatte, mit seinem Wagen bei der Anschlussstelle Heilbronn-Untergruppenbach auf die A 81 einbog. Nichts, aber auch gar nichts konnte ihm jetzt noch seine Urlaubslaune verderben. Was gab es Schöneres, als einen Teil seiner respektablen Überstunden, die sich innerhalb des letzten Jahres bei der Arbeit in der Polizeidirektion Heilbronn angesammelt hatten, bei herrlichem Sommerwetter am Bodensee abzufeiern? Tauchen, grillen, einen guten Freund wiedersehen, ordentlich einen draufmachen, ganz Mensch – und nicht in tausend Zwängen steckender Polizist – sein dürfen: einfach herrlich!
Den Kollegen, oder vielmehr: den Freund Thomas Grundler kannte er schon seit Urzeiten. Damals, als sie beide gemeinsam auf der Polizeifachhochschule in Villingen-Schwenningen die ersten Stufen zur Kommissarausbildung absolviert hatten – du meine Güte: Das war nun auch schon wieder gut und gerne 15 Jahre her! Und seitdem hatten sie sich immer wieder getroffen und den Kontakt gehalten, obwohl der eine von ihnen, Horst, von Sigmaringen über Tübingen und Ulm schließlich in Heilbronn gelandet war, und es Thomas endlich geschafft hatte, in den äußersten Süden, in seine Heimat am Bodensee nach Konstanz versetzt zu werden. Der wohnte in Meersburg, wo er auch aufgewachsen war, und fuhr jeden Tag mit der Autofähre über den See nach Konstanz in die Direktion. »So fängt jeder Tag eigentlich schon an wie ein richtiger Urlaubstag – besser kann man es gar nicht erwischen –, und bis ich wieder zu Hause bin, habe ich durch die Rückfahrt mit der Fähre schon längst alles abgestreift und komme heim: dorthin, wo andere Urlaub machen! Nein, keine zehn Pferde und keine noch so verlockende Polizeikarriere bringen mich jemals wieder vom See weg – lieber bleibe ich das, was ich bin, und ärgere mich jeden Tag über unsere Karrierehengste, als diese Mühle auf mich zu nehmen«, hatte Thomas mehr als einmal ein eindeutiges Bekenntnis zum Bodensee und seinem Wohnort Meersburg abgegeben und Horst hatte jedesmal eigentlich nur zustimmend nicken können.
Auch er genoss seit Jahren immer wieder die Stimmung am See, wobei er die alte Reichsstadt Überlingen als Standort favorisierte, die sich gerade in den letzten Jahren mächtig nach vorne entwickelt hatte. Und so war zwischen den beiden mehr als einmal ein freundschaftlich-deftiger Disput über die Frage ausgebrochen, welche Stadt am See denn nun die schönere und liebenswertere sei: Meersburg mit der alten Burg, den romantischen engen und steilen Gassen und dem großen Hafen oder Überlingen mit der größten Promenade am See und seiner verwinkelten Altstadt mit den vielen Lokalen und wunderschönen Strandbädern. Ein solcher verbaler Schlagabtausch würde mit Sicherheit auch dieses Mal zwischen den beiden geführt werden, darin war sich Horst jetzt schon sicher. Doch wie auch immer: Auch Horst hatte – sehr zur Verwunderung seines Kollegen – mittlerweile seine ideale Heimat gefunden. Dass dies ausgerechnet Heilbronn sein sollte, die zweitgrößte Stadt von Württemberg, hatte Thomas anfangs mit schallendem Gelächter quittiert – später dann, nach einigen Besuchen und manchem Glas Lemberger auf der jährlich im September stattfindenden Präsentation der Unterländer Weingüter in der Heilbronner Innenstadt (Slogan: »Deutschlands schönstes Weindorf«) oder in einer der vielen Besenwirtschaften im Umland, war die Ironie einem anerkennenden Gesichtsausdruck gewichen – zumindest, wenn man auf das Thema Unterländer Wein zu sprechen kam.
Logisch, dass Horst seinem Beinamen »Lemberger trocken«, den Thomas ihm bei einem der Heilbronner Weindorf-Besuche nach dem sechsten Viertele verpasst hatte, auch dieses Mal alle Ehre angedeihen ließ: Einen ganzen Karton Lemberger Kabinett trocken hatte er in den Kofferraum gepackt – und zwar was »Gescheites«, einen 1996er Heilbronner Staufenberg! Dazu noch eine Flasche aus seinem Geheimfach, von dessen Existenz nicht einmal Claudia den Schimmer einer Ahnung besaß: einen 97er Lemberger Spätlese trocken aus dem Holzfass vom Grafen Neipperg aus Schwaigern! In dessen Kellerei hatte er sich vor einigen Wochen in einem Anflug von Wahnwitz (so zumindest würde es Claudia mit Sicherheit formulieren, hätte sie Kenntnis von dem »Vorfall«) einen 6er-Karton besorgt, die (einzelne!) Flasche um den stolzen Preis von 30 Mark. Für Claudias 40. Geburtstag im nächsten Sommer waren die paar Fläschchen eigentlich bestimmt, als Extra-Überraschung sozusagen, streng tabu bis dahin: andererseits … man sollte schon mal vorher eine Flasche probiert haben, ob der Inhalt den Erwartungen auch tatsächlich entsprechen würde, hatte er insgeheim für sich beschlossen und so eine Flasche mit auf die Reise an den Bodensee genommen. Hoffentlich hielt der Wein seinen Erwartungen stand, denn sonst konnte er sich den Kommentar seines Freundes jetzt schon lebhaft vorstellen, der in etwa lauten würde, dass man um diesen Preis beim Aldi gleich einen ganzen Karton bekommen könne und dass der – ehrlich gesagt – auch nicht unbedingt um 150 Mark schlechter schmecken würde … Nein – gleich bei seiner Ankunft würde er ihn an einem schönen Plätzchen lagern, frühestens nach drei Tagen öffnen und ihm dann noch einen ganzen weiteren Tag Zeit geben, sein Aroma zu entfalten. Ach ja, die Vorfreude war doch wieder mal die schönste Freude …
Auf dem Spätzleshighway zwischen Böblingen und Herrenberg war wieder mal die Hölle los – glücklicherweise aber in Richtung Stuttgart, und nicht auf der Strecke ans Schwäbische Meer (Horst freute sich schon darauf – da würde der Thomas als eingefleischter Badener wieder toben, wenn man seinen Bodensee zum Schwäbischen Meer umfunktionierte!).
In der Nähe von Bad Dürrheim klingelte Horsts Handy. Er nahm den Fuß vom Gaspedal, drückte die grüne Taste und meldete sich, wie immer mit schlechtem Gewissen, denn das telefonieren während der Fahrt war ja eigentlich gerade für ihn als Polizeibeamten tabu – außerdem ärgerte er sich immer wieder über die Idioten mit ihrem fast unkalkulierbaren Fahrstil, wenn sie mit einer Hand am Handy und mit der anderen am Steuer klebten.
Der Gesprächsteilnehmer am anderen Ende war so gut wie überhaupt nicht zu verstehen, aus dem Hörer kam Horst eine Salve von zerhackten Wortfetzen, metallischen Sphärenklängen und verrauschten Orkanböen entgegen. Er zog sein Fahrzeug deshalb, nachdem er einen LKW überholt hatte, auf die rechte Fahrspur herüber und drosselte weiter das Tempo. »Moment noch«, rief er ins Mikrofon. »Bei mir ist noch der Zerhacker an, wird gleich besser, einen Augenblick bitte.«
Allmählich wurde das Kauderwelsch verständlicher, die verzerrte metallische Stimme entpuppte sich als die des Kollegen und Freundes Michael Protnik, der offensichtlich aus Leibeskräften in den Hörer hineinbrüllte: »Hallo, hallo! Hotte – verstehst du mich? Hotte, hallo, Hotte!«
Typisch Protnik; wenn schon, dann immer gleich hoch zehn! Horst schmunzelte in sich hinein: Eigentlich brauchte der gar kein Telefon, der hätte – bei dieser Lautstärke – seine Nachricht auch mit dem Wind herüberbrüllen können!
»Sputnik, hallo, Sputnik! Halt mal ganz kurz die Luft an! Ich versteh dich ja jetzt! Hallo – Sputnik, hier ist der Horst, was gibt’s denn?«
»Na endlich! Diese Scheißdinger! Den ganzen Tag klingeln sie und terrorisieren einen, und wenn man sie dann selber mal braucht, dann versteht man nix! Hallo, Horst!« Die Lautstärke von Protnik hätte noch immer mühelos dafür ausgereicht, auch ohne Mikrofon einen Wettbewerb gegen die Rolling Stones überlegen zu gewinnen.
»Hallo, Michael! Na – was gibt’s denn?« Da vorne war ein Parkplatz. Am besten er hielt dort kurz an und telefonierte von hier aus in aller Ruhe mit Protnik, bevor die Verbindung wieder schlechter wurde und der Kollege sich von Neuem genötigt fühlte, seine Phonstärke ins nicht mehr Messbare zu steigern. Schließlich saß Horst ja kein Termin im Nacken, das war ja gerade das Schöne an diesen paar freien Tagen.
»Ich bin jetzt da, das hab ich dir bloß sagen wollen – grade angekommen«, ganz allmählich reduzierte sich Protniks Lautstärke nun auf einigermaßen verzerrungsfreien Normalstandard. Dennoch verstand Horst nicht die Bohne!
»Wie angekommen, wo angekommen?« Typisch Protnik! Der Kerl schaffte es einfach nicht, sich klar und eindeutig auszudrücken! Jedes Mal dasselbe, wenn man mit dem telefonierte: ein einziges Versteckspiel Marke »Rate-mal-wo-ich-bin-ich-weiß-es-schon-aber-du-nicht«! Das war dem Freund und Kollegen bei der Ulmer Kripo selbst in hundert Jahren anscheinend nicht abzugewöhnen!
»Weißt du doch! Du hast mir doch selber den Tipp gegeben da im Januar!« Ein leichter Vorwurf schien durch das Handy an Horsts Ohr zu dringen. Mimose!
»Protnik! Januar ist vor gut und gerne einem halben Jahr gewesen! Jetzt haben wir Juli! Was hab ich dir denn damals empfohlen?«
»Na, den Wildenstein natürlich! Deine Lieblingsburg im Donautal! Schon wieder vergessen, Herr Alzheimer?«
Ach so! Ja, natürlich! Den Tipp hatte er seinem alten Kollegen vor einiger Zeit gegeben. Wenn er mal ein paar Tage Zeit hätte, dann solle er sein Fahrrad aufs Auto schnallen und einen Abstecher ins Donautal zwischen Tuttlingen und Sigmaringen machen und dort dann auf Horsts Lieblingsburg, der imposanten Festung Wildenstein, hoch über dem Donautal in der dort eingerichteten Jugendherberge übernachten. Das war es, was Protnik jetzt also offenbar auch umgesetzt hatte. »Du bist jetzt also auf dem Wildenstein? Heißt das, du hast grade ein paar Tage Urlaub?«
»Ja, was glaubst du denn? Wie ist das bei euch in Heilbronn: Kann man da etwa während der Dienstzeit einen Trip ins Grüne machen, oder wie? Klar – eine ganze Woche hab ich mittlerweile freie Tage und die feiere ich jetzt hier im Donautal ab!«
»Ist ja prima!« Horst hatte sich dafür entschieden, die Spitze in der Antwort seines Kollegen schlichtweg zu überhören. »Da können wir uns ja mal treffen, oder? Ich hab nämlich auch gerade ein paar Tage frei! Was meinst du?«