Summer of Love - Abby McDonald - E-Book

Summer of Love E-Book

Abby McDonald

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Beschreibung

Sadie ist verliebt – aber leider einseitig. Garrett ist ihr bester Freund und sie verstehen sich blind, wenn es um tragische russische Literatur oder 80er Indierock geht. Doch ins Sommercamp fährt er gnadenlos ohne sie. Stattdessen darf sie sich am Telefon seine neuesten Mädchengeschichten anhören. Sadie hat die Nase voll, nimmt einen Ferienjob im angesagtesten Café der Stadt an und verordnet sich eine totale Garrett-Entzugskur – inklusive peinlicher Rückfälle, neuer Freunde und einem doppelten Schuss Romantik …

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Seitenzahl: 391

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DIE AUTORIN

© Caroline Briggs

Abby McDonald, geboren 1986, hat in Oxford ihr Examen in Politik, Philosophie und Volkswirtschaft abgelegt. Nach dem Studium arbeitete sie als Musikjournalistin und hat Künstler wie LeAnn Rimes und Marilyn Manson interviewt. Seit 2009 ist sie freie Autorin und hat mit »Plötzlich Liebe« ein erfolgreiches Jugendbuch-Debüt abgeliefert.

Von Abby McDonald sind bei cbj erschienen:

»Plötzlich Liebe« (40034)

»Mein perfekter Sommer« (40136)

Abby McDonald

Summer

of Love

Aus dem Englischen

von Franka Reinhart

cbj

ist der Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. 1. Auflage

Deutsche Erstausgabe Juni 2014

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

© 2014 für die deutschsprachige Ausgabe

cbj Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Die Originalausgabe erschien 2012

unter dem Titel GETTING OVER GARRETT DELANEY bei Candlewick Press.

© 2012 by Abby McDonald

Published by Arrangement with the Author.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Aus dem Englischen von Franka Reinhart

Lektorat: Werner Wahls

Umschlagfoto: © plainpicture/Cultura

Umschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausen

MI · Herstellung: ReD

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-13905-6V002

www.cbj-verlag.de

Achtung!

Eins musst du wissen: Ich bin seit zwei Jahren hoffnungslos und unglücklich in Garrett Delaney verliebt. Angefangen hat das an diesem schicksalhaften Tag, als ich den Blick von meiner Liste mit den zehn tollsten Traumpaaren aller Zeiten hob und er exakt in diesem Moment in mein Lieblingscafé geschlendert kam.

(Und wenn ihr jetzt behaupten wollt, Vierzehnjährige hätten noch gar keine Ahnung von echter Liebe, tja also, Paar Nummer vier von meiner Liste – Romeo und Julia –, die waren auch nicht älter, und kein Mensch kommt auf die Idee, an ihrer brennenden Leidenschaft zu zweifeln.)

Aber zurück zu Garrett. Da stand er also im Eingang, lang und schlaksig, in verwaschenen Cordhosen. Die dunkelblonden Haare hingen ihm lässig in seine naturtrüben blauen Augen. Über der Schulter hatte er eine abgewetzte Ledertasche und ich wusste sofort Bescheid. Er war genau der, auf den ich immer gewartet hatte und der mir vom Himmel gesandt worden war, um mein Leben auf einen Schlag unendlich viel schöner und qualvoller zugleich zu machen.

Denn es war Schicksal – versucht mir bloß nichts anderes einzureden. Wie sollte man sich sonst erklären, dass das Totally Wired (im Normalfall überwiegend von Strebern und Cappuccino-Süchtigen besucht) ausgerechnet an diesem Tag hauptsächlich von Baby-Yoga-Müttern und ihren krakeelenden Gören bevölkert war und ich, Sadie Elisabeth Allen, direkt neben dem einzigen freien Tisch im gesamten Lokal saß?

Da meine beste Freundin Kayla sich noch mit ihrer Bratsche herumquälte, saß ich allein im Café. Aber dass Garrett und ich füreinander bestimmt waren, war mir vor allem deshalb von Anfang an klar, weil ich von meinen ganzen peinlichen und uncoolen Büchern (ich befand mich gerade in der Judith-Krantz-Ära meiner Sexualerziehung) ausgerechnet eine uralte Ausgabe mit Gedichten von Pablo Neruda dabeihatte, die mir Dad mal geschenkt hatte. Als sich Garrett neben mir niederließ, sah er zu mir herüber, und in seinem Gesicht machte sich dieses schiefe Grinsen breit, von dem mir bis heute ganz flau im Magen wird.

»Zwanzig Liebesgedichte?«,fragte er, während ich mir größte Mühe gab, mich nicht an meinem Quarkkuchen zu verschlucken. Dieser jugendliche Gott redete mit mir! »Neruda find ich genial. Ich mag besonders sein surrealistisches Werk.«

Er wartete geduldig, bis ich einen Schluck von meinem Mocca-Shake getrunken hatte. Ich brauchte eine Weile, bis ich mit dieser völlig unerwarteten Situation klarkam, dass süße Jungs tatsächlich mit mir kommunizierten, statt mich während der gesamten Biostunde mit Papierkügelchen zu bewerfen. Vielleicht hatte Kayla ja doch recht und in der Highschool würde wirklich alles anders werden.

»Wusstest du, dass er nur mit grüner Tinte geschrieben hat?«, schaffte ich es schließlich, die einzige halbwegs unterhaltsame Information anzubringen, die ich über Neruda parat hatte. Ich holte tief Luft und dankte den Göttern der Werbelüge, dass ich einen Polster-BH trug, mit dem ich hoffentlich mindestens wie sechzehn aussah. »Weil es die Farbe der Hoffnung wäre, meinte er.«

»Echt? Ist ja cool«, antwortete er bewundernd. »Ich bin übrigens Garrett und gerade erst nach Sherman gezogen.«

»Sadie«, stammelte ich. »Hallo.«

»Sadie«, wiederholte er, und plötzlich klang mein Name, der mir immer schrecklich altmodisch – so ungefähr wie Gertrude oder Ada – vorgekommen war, geradezu glamourös und exotisch. »Also, Sadie, dann erzähl doch mal, was man in dieser Stadt so anstellen kann, wenn man Spaß haben will.«

Er grinste mich verschwörerisch an, als ob wir längst Kumpels, Freunde, Partner wären. Das Traumpaar beim Abschlussball. Und in diesem traumgleichen Moment sah ich alles vor mir – genau wie in diesen romantischen Pärchenszenen aus den Liebesschnulzen, auf die Kayla und ich so stehen: Garrett und ich albern an einem uralten Spielautomaten herum, Garrett und ich eng aneinandergekuschelt in einer Hörkabine im Plattenladen, Garrett und ich ausgestreckt am Flussufer, händchenhaltend und knutschend …

Aber wenn ich nun nicht an den Spielautomaten durfte und der nächstgelegene Plattenladen schon vor Jahren zugemacht hatte? Ich sah ihn an und wusste, dass hier gerade meine eigene wahre Liebesgeschichte anfing. Also Achtung! Macht Platz, Elizabeth und Darcy (Traumpaar Nummer sechs)! Aus dem Weg, Scarlett und Rhett (Traumpaar Nummer neun) – es gibt einen neuen Eintrag auf der Liste, nämlich: Sadie und Garrett.

Zwei Jahre später …

1. Kapitel

»Hallo, Geburtstagskind!«

Ich richte mich so schnell auf, dass mir ganz schwindlig wird. Alles dreht sich – der blaue Himmel über der grauen Zuschauertribüne und das üppige Gras auf dem leeren Footballfeld. Seit ein paar Tagen sind Sommerferien und kein Mensch ist hier. Außer Garrett, der mit einem wissenden Grinsen und hinter dem Rücken verborgenen Händen auf mich zukommt. Er trägt seine übliche Uniform aus verwaschenen Cordhosen und zerknittertem Hemd, diesmal über einem uralten Clash-T-Shirt, das ziemlich körperbetont sitzt, wie mir unweigerlich auffällt. Fünfzig Prozent Schnösel, zwanzig Prozent Punk, dreißig Prozent alter britischer Indie-Rock und hundert Prozent umwerfend – so musst du dir Garrett vorstellen.

»Mach mal die Augen zu.« Er bleibt ein paar Schritte vor mir stehen, wobei die hinter ihm stehende Abendsonne um seinen Kopf so was wie einen Heiligenschein produziert. »Und nicht gucken.«

»Krieg ich ’n Katzenbaby?« Begeistert klatsche ich in die Hände, dass meine Armreifen klimpern. »Oder ’n Einhorn? So ’ne Kätzchen-Einhorn-Kreuzung?«

»Ach, ein Katzenhörnchen wolltest du haben?«, witzelt Garrett. »Wieso hast du das denn nicht gleich gesagt? Die gab’s nämlich auch im Laden, aber ich dachte, wo du doch allergisch bist und dann ständig diese Flatterflügel …«

»Aber alle anderen Kinder haben eins!«, kichere ich. »Und Ponys sind ja inzwischen so was von out!«

Ich höre, wie er sich neben mir fallen lässt, und als ich die Augen aufmache, lächelt er mich an. »Sorry, ich hab’s versaut. Kannst du mir das jemals verzeihen?«

Er überreicht mir ein Päckchen.

»Na gut.« Prüfend schüttele ich es. Garretts Geschenke sind nie einfach in handelsübliches Geschenkpapier gewickelt. Diesmal hat er dafür alte, schon leicht vergilbte Buchseiten verwendet. »Ich steh drauf, älter zu werden«, sinniere ich, während ich sorgsam das Paket enthülle. »Der Tod rückt zwar ein Stück näher, aber die Geschenke sind’s wert.«

»Das sollte man auf eine Grußkarte drucken«, lacht Garrett. »Und dann in die Kategorie Konsumfreudige Glückwünsche einsortieren.

»Gibt’s denn noch andere?«, kontere ich. Die letzte Lage Papier schwebt zu Boden, und endlich halte ich meine Beute in der Hand: mehrere Ausgaben der Literaturzeitschrift TheParis Review, ganz old-school eine Mix-CD und ein zerlesenes Exemplar von Jack Kerouacs Roman Gammler, Zen und hohe Berge.

»Danke!«, strahle ich und wende das Buch hin und her. »Genial! Das wollte ich schon ewig mal lesen – seit du mir davon erzählt hast.«

Garrett lächelt mich an. »Erzähl mir hinterher, wie du es findest. Ich hab am Rand ein paar Notizen für dich gemacht. Ich kann’s kaum erwarten, bis wir endlich unseren großen Roadtrip starten«, fügt er hinzu. »Vor uns nur der Highway, bis nach Kalifornien.«

»Übernachten in ranzigen Motels an der Straße …« Ich stütze mich auf die Ellbogen und stimme in unsere vertraute Litanei ein.

»Essen vom Imbiss …«

»Abstecher zum größten Garnknäuel der Welt.«

»Vergiss es«, protestiert er. »Touristenschrott fällt aus. Wir wollen schließlich das echte Amerika sehen.« Er streckt sich neben mir aus und legt zum Schutz gegen die Sonne lässig einen Arm über die Augen.

Ich betrachte ihn einen Moment lang, Schatten fallen auf seine geradezu perfekten Wangenknochen. Ich weiß schon, eigentlich sollte ich glücklich sein mit meinen Geschenken und Garretts Träumereien von unseren Hammerplänen. Aber an diesem Bild – und allen anderen – stimmt etwas nicht.

Wir sind nicht zusammen.

Ich kapier’s ja selber nicht so ganz. Eigentlich müssten wir ein Paar sein. Ich wusste doch schon seit unserer ersten Begegnung, dass das unser Schicksal war. Aber selbst das Schicksal findet offenbar Mittel und Wege, um Träume und Hoffnungen zu zerstören und Herzen an den unbarmherzigen Klippen des Lebens zu zerschmettern – fragt ruhig mal bei den armen Wichten aus der griechischen Mythologie nach. Meine Vision von Garrett und mir vom Anfang war also doch nicht so ganz korrekt gewesen. Mal abgesehen von der Freundschaft. Denn trotz meiner Befürchtungen, dass er am ersten Schultag sofort in die ortsüblichen Verhaltensmuster verfallen und nie wieder mit einer unbedeutenden Neuntklässlerin wie mir reden würde, freundeten wir uns tatsächlich an, und zwar ziemlich eng. Alles perfekt eigentlich. Nur eins fehlt leider:

Die Liebe.

Was mich fast umbringt. Mom meint, ich übertreibe. Aber das ist echt kein Scherz. An einem gebrochenen Herz kann man wirklich sterben – das ist wissenschaftlich belegt. Und mein Herz bröckelt permanent, schon seit unserer ersten Begegnung. Ich merk es inzwischen ganz deutlich, denn tief unter meinen Rippen tut es jedes Mal total weh, wenn wir uns sehen. Dann schlägt es in einem verzweifelten Rhythmus: Lieb mich. Lieb mich. Lieb mich.

Wieder werfe ich einen verstohlenen Blick in Richtung Garrett, der neben mir im Gras liegt. Er gähnt und streckt sich dabei ein bisschen, sodass sein Hemd hochrutscht und mindestens drei Zentimeter von seinem leicht gebräunten Bauch offenbart.

Schweig still, oh du mein Herz!

Wieder mal unterdrücke ich einen sehnsuchtsvollen Seufzer. Wenn er doch wenigstens ganz real unerreichbar für mich wäre – zum Beispiel schwul oder rettungslos in eine andere verknallt. Aber leider gibt es keine tröstlichen Gründe dieser Art, weshalb es bei uns nicht funkt. Egal mit welcher Perle er gerade zusammen war (und da gab es nicht wenige), unserem Kontakt tat das keinerlei Abbruch. Oft wurde er dadurch sogar noch enger, denn schließlich bin ich ja diejenige, der er seine tiefsten, dunkelsten Ängste und Geheimnisse anvertraut und die nach einer (unvermeidlichen) Trennung mit Pizza und Cola vorbeikommt.

Seit zwei endlosen Jahren sind wir unzertrennlich. Und genauso lange warte ich verzweifelt, dass endlich mehr daraus wird.

Garrett ist ziemlich zappelig und springt immer schon nach ein paar Minuten wieder auf. So auch diesmal. »Also gut. Bist du bereit für den nächsten Geburtstagsprogrammpunkt? Wir haben ja noch ’nen ganzen Abend mit viel Spaß vor uns.«

»Aber nur wenn Zucker und Koffein dabei sind«, antworte ich unbeschwert, als ob seine herrlichen Bauchmuskeln für mich überhaupt kein Thema wären.

»Geht beides klar.«

Ich stopfe die Geschenke in meine eigene abgewetzte Ledertasche und wir schlendern zum Parkplatz. Dabei schleifen die ausgefransten Hosenbeine meiner Jeans auf der Wiese.

»Hast du deinen Stundenplan schon fertig?«, erkundigt er sich, und ich mache eine Faust, damit ich nicht so merke, dass meine Hand nicht in seiner liegt.

»Noch nicht«, gebe ich zu. »›Short Story‹ klingt ganz spannend …«

»Ist es auch, wird dir bestimmt gefallen«, versichert mir Garrett ganz euphorisch. »Und deine Kurzprosa wird wirklich immer besser; du hast im letzten Jahr ’ne Menge dazugelernt.«

»Danke.« So ein Lob von Garrett war schon etwas Besonderes. »Dann schreib ich mich dafür ein!«

Wieder muss ich an den herrlichen Sommer denken, der vor uns liegt. Sechs Wochen zusammen bei einem Intensivkurs für junge Autoren, irgendwo in der Pampa von New Hampshire – was kann es Romantischeres geben? Okay, acht Stunden Seminar am Tag, aber die werden wie im Flug vergehen. Am meisten freue ich mich ja auf die Abende. Wenn wir am Lagerfeuer dicht beieinandersitzen, im Mondschein am See spazieren gehen … Auf eine solche Gelegenheit warte ich schon lange, definitiv. Uns fehlt zwar noch die Anmeldebestätigung, aber Garrett kennt durch seine Eltern einen von den Dozenten und meint, das würde auf jeden Fall klargehen.

Wir kommen bei seiner alten Vespa an, die mitten auf dem betonierten Parkplatz abgestellt ist. »Hi, Vera«, säusele ich und streiche über die Verkleidung. »Na, wie bist du drauf?«

»Bisschen launisch, wie immer.« Garrett reicht mir den kirschroten Beifahrerhelm.

»Ach, die will sich nur ein bisschen wichtigmachen.« Ich klopfe zur Sicherheit dreimal gegen die Verkleidung, ehe wir aufsteigen. Das ist zwar albern, hab ich mir aber nun mal so angewöhnt. Ein einziges Mal hatte ich es vergessen, woraufhin Vera einen mechanischen Vollausraster gekriegt hat und irgendwo zwischen der letzten Tankstelle und dem gruseligen leer stehenden Gewerbegebiet am äußersten Stadtrand den Geist aufgab. Daraufhin mussten wir im strömenden Regen bibbernd auf meine Mutter warten, die uns mit einem vorwurfsvollen »Hab ich euch doch gesagt« begrüßte und umgehend einen Vortrag über Verkehrssicherheit und Organspende hielt.

»Ob sie noch mal ’n ganzes Jahr durchhält?«, frage ich ihn und stopfe meine Haare unter den Helm.

Garrett tut entrüstet. »Also hör mal, Vera wird man mir dereinst aus meinen todesstarren Händen reißen müssen!«

»Diese Metapher solltest du lieber noch mal überdenken, wenn ich an die Verkehrsstatistiken erinnern darf, die meine Mutter immer parat hat«, lache ich.

»Jetzt reicht’s aber«, tadelt er mich und steigt auf. »Wo bleibt denn dein Sinn fürs Abenteuer?«

»Ich bin die Abenteuerlust in Person!«, protestiere ich, steige ebenfalls auf und schlinge meine Arme um seinen Körper. Abenteuer hin oder her, das hier mag ich am liebsten – wenn ich einen Vorwand habe, mich während der Fahrt an ihm festzuhalten. »Hast du vergessen, wen du ständig in diese ganzen ausländischen Filme schleifst?«

»Das willst du doch auch.« Garrett startet den Motor und langsam fahren wir los. »Leugnen ist zwecklos!«, ruft er mir noch zu.

Will ich auch gar nicht. Denn ich mag sie wirklich gerne.

Und ihn sowieso.

Im Totally Wired ist es ziemlich voll. Die nachmittäglichen Stammgäste rangeln sich um die besten Plätze mit den Teilnehmern der Sommerakademie, die über ihren Büchern brüten. Wir steuern direkt unseren Stammplatz ganz hinten an der Wand mit den alten Rockplakaten an. »Wie immer?«, erkundigt sich Garrett.

»Jep!« Ich mache es mir auf der rissigen Lederbank gemütlich. »Hier, ich hab noch …«

Garrett weigert sich, meine zerknitterten Geldscheine anzunehmen. »Willst du mich beleidigen? Wir feiern heute den Tag deiner Geburt! «

Er geht an die Theke, während ich mich zurücklehne und meinen Blick schweifen lasse. Dieses Lokal ist das einzige in ganz Sherman, Massachusetts, das ansatzweise als hip durchgehen würde – eine einsame Bastion inmitten austauschbarer Konsumtempel, Fast-Food-Läden und nichtssagender Klamottengeschäfte. Eins ist nämlich sicher: Ich wohne inmitten einer kulturellen Einöde. Nach jahrelangen Gebeten zu den Kulturgöttern musste ich einsehen, dass in dieser Stadt echt Hopfen und Malz verloren sind. Als in einem mickerigen Einkaufszentrum vor den Toren der Stadt irgendwann ein – Wahnsinn! – Chipotle Mexican Grill eröffnet hat, war das mindestens eine Woche lang das Schulgespräch schlechthin. Nee, wenn wir Kultur wollen, müssen wir schon ins Auto steigen und vierzig Meilen zur nächsten mit einem College gesegneten Stadt oder ein paar Stunden gen Osten nach Boston fahren. Dort können Garrett und ich dann gar nicht genug kriegen von indischem Essen, Programmkino und dem leicht muffigen Geruch von Antiquariaten.

Trotzdem muss ich zugeben, dass das Totally Wired für eine einsame Bastion schon ziemlich super ist. Mit seinen rohen Ziegelwänden, Stahlstützen und verrückten Kunstwerken würde es eher nach Brooklyn oder Chicago passen und außerdem läuft auch immer sehr gediegene Musik. Wenn man bei den Baristas nachfragt, erfährt man die Band, das Album und dass deren neuere Sachen längst nicht mehr so gut sind wie vor ein paar Jahren, als sie noch ’nen anderen Bassisten hatten und der Sänger noch kein Verräter war.

»Hallo, Kleine.« LuAnn räumt kaugummikauend den Nachbartisch ab. Zumindest glaube ich, dass sie LuAnn heißt, denn das steht auf ihrem altmodischen Namensschild. Aber ich traue mich nie, sie zu fragen, ob der echt ist, weil ich viel zu viel Respekt vor ihr habe. »Coole Schuhe.«

»Oh danke«, murmele ich. »Sind nur aus’m Discounter.«

»Gehen trotzdem in Ordnung.« Sie zwinkert mir zu und stolziert mit ihren pinkfarbenen Retro-Sandalen von dannen, die ganz wunderbar zu ihrem leichten Sommerkleid mit dem Blumenmuster passen. Nicht ohne Stolz schaue ich zu meinen roten Turnschuhen hinunter. Modische Komplimente von Seiten der lokalen Stilkönigin sind natürlich besonders schmeichelhaft. LuAnn kleidet sich immer sehr extravagant und frisiert ihre langen roten Haare zu Korkenzieherlöckchen oder einer eleganten Wasserwelle. Sie dürfte kaum älter sein als ich, allerhöchstens zwanzig, strahlt aber eine Selbstsicherheit aus, von der ich nur träumen kann. Und nicht mal das würde ich wagen.

»Wünsch dir was.« Garrett taucht wieder auf, stellt ein Tablett mit unseren Getränken auf dem Tisch ab und überreicht mir ein Törtchen, in dem eine einzelne Kerze steckt.

»Aber das ist doch nicht nötig!«, protestiere ich, obwohl ich mich in Wirklichkeit riesig freue. Roter Samtkuchen – meine Lieblingsschlemmerei.

So was merkt er sich.

»Doch, das ist nötig. Heute ist ein bedeutsamer Tag. Du bist jetzt siebzehn. Du kannst jetzt … also, überhaupt nichts, was du nicht schon vorher durftest.« Garrett verzieht das Gesicht und bricht in Gelächter aus. »Aber trotzdem müssen wir feiern. Immerhin bist du schon ziemlich erwachsen!«

Ich muss grinsen. »Solange es nix mit Singen zu tun hat«, warne ich ihn und puste dann die Kerze aus. »Ansonsten kriegen wir hier lebenslänglich Hausverbot.«

»Willst du damit sagen, dass ich nicht singen kann?«

»Ich will damit sagen, dass bei deinem letzten Versuch, ’nen Radiohead-Refrain mitzusingen, in der Nachbarschaft sämtliche Katzen durchgedreht sind.« Mit dem Finger koste ich schon mal von der Cremeschicht auf dem Törtchen. Die ist schließlich das Beste daran.

»Hm, lecker.« Garrett streckt seine tintenbekleckste Hand aus und nascht ebenfalls, ehe ich ihm auf die Finger klopfen kann. »Aua!«

Er streckt seine Zunge heraus, die mit Zuckerstreuseln garniert ist. »Und? Was hast du dir gewünscht?«

Ich zucke die Schultern. »Das Übliche halt: Weltfrieden, Nobelpreis … ein Treffen mit Justin Timberlake …«, füge ich lachend hinzu.

»Ambitioniert. Gefällt mir.«

»Träumen wird ja wohl erlaubt sein.« Geschäftig widme ich mich dem Törtchen, damit er nicht mitbekommt, dass ich ihn belüge. Denn in Wirklichkeit habe ich mir natürlich dasselbe gewünscht wie immer, wenn ein Wunsch ansteht.

Nämlich ihn.

Eine Gruppe Girlies kommt laut und aufgeregt schwatzend an uns vorbei. Sie sind so um die vierzehn, fünfzehn Jahre alt und wollen zur Toilette. »Ohmeingott, den Film müssen wir unbedingt sehen!«

»Ja, auf jeden Fall – ich finde ihn ja so was von süß.«

»Ob der das mit dem Fliegen selber war oder ein Stuntman?«

»Garantiert nicht. So was würde er niemals machen!«

Garrett und ich verdrehen die Augen. »Auweia, die müsste man mal irgendwo einsperren und ihnen was über richtige Kultur beibringen«, murmelt Garrett verschwörerisch. Ich muss kichern. »Na, ist doch wahr«, erklärt er finster. »Eine komplette Generation wächst mit Popstars aus der Retorte und Filmen mit zwanghaftem Happy End auf.«

»Weltliteratur kann man ihnen nur im Disney-Format zum Mitsingen nahebringen«, setze ich noch eins drauf. »Anna Karenina: Der Tanzwettbewerb.«

Er prustet in seinen Kaffee und ich bin stolz auf meine witzige Bemerkung. Die Girlies gehen weiter.

»Was schenkt dir eigentlich deine Mutter?«, fragt Garrett und lehnt sich zurück.

»Keine Ahnung.« Ich kippe fast den kompletten Inhalt des Zuckerspenders in meinen Kaffee, da ich ihn so schwarz und stark nur auf diese Weise hinunterbekomme. Garrett meint, diese mit Sirup und Eis versetzten Kaffeespezialitäten wären auf hip getrimmter Süßkram und somit nur was für Kinder. Deshalb bin ich nach unserem Kennenlernen umgehend auf die harte Droge umgeschwenkt. »Sie hat was von ’ner Überraschung gesagt, die mich heute Abend zu Hause erwartet.«

»Vielleicht hat sie sich ja endlich zu ’nem Auto breitschlagen lassen?«, mutmaßt er. »Die Liste mit den Gebrauchtwagen hattest du doch gut sichtbar irgendwo hingelegt, nicht wahr?«

Skeptisch sehe ich ihn an. »Reden wir hier von ein und derselben Frau? Eher klein, zwanghaft durchorganisiert, extrem gluckenhaft?«

»Okay, wahrscheinlich doch nicht«, pflichtet er mir bei. »Aber irgendwann muss sie sich doch mal entspannen, oder? Du bist jetzt immerhin in der Elften. Ewig kann sie dich nicht mehr mit dem Bus rumfahren lassen.«

Ich verziehe das Gesicht. »Erinnere mich bloß nicht daran.« Falls ihr es bis jetzt noch nicht mitgekriegt habt, ich bin noch nicht in der Zwölften. Das ist ein ganz wunder Punkt bei mir und stresst total in den ganzen Diskussionen mit meiner Mutter: Obwohl ich heute siebzehn geworden bin, startet nach den Ferien erst mein vorletztes Highschool-Jahr. Das ist das Schicksal derjenigen, die wie ich um den Stichtag herum geboren sind. Klar, Mom hat natürlich massenhaft Psychostudien parat, aus denen sie laufend zitiert, dass es unglaublich viel toller ist, wenn man zu den Schlauesten und Ältesten in seinem Umfeld gehört, statt eine Klassenstufe darüber krassen Lernstress zu schieben und immer der schmalbrüstigste Wicht von allen zu sein. Aber mal ehrlich – so ein paar lächerliche Busenkomplexe würde ich doch locker wegstecken, wenn ich mich dafür nicht dauernd so fehl am Platz und uralt fühlen müsste.

»Wie ich sie kenne, hat sie uns wahrscheinlich schon wieder bei so ’nem Mutter-Tochter-Kuschelseminar angemeldet«, seufze ich. »Ein Kurs, bei dem wir unser vollstes Potenzial oder sonstigen Kram aus der Hölle erschließen sollen.« So ist das, wenn man eine Lebensberaterin live und in Farbe als Mutter hat. Beim letzten Mal hat sie mich mit »In sieben Schritten die innere Großartigkeit erkennen« beglückt, wobei leider weder Zimmerservice noch Kabelfernsehen vorgesehen waren. Tolle Selbsterfahrung.

Garrett schenkt mir sein berühmtes schiefes Grinsen, das aber diesmal nicht so ganz überzeugend wirkt. Er spielt mit dem Henkel seines Kaffeebechers, und jetzt, wo ich ihm direkt gegenübersitze, merke ich, dass irgendwas nicht stimmt. Ich habe superfeine Antennen für seine Stimmungslage und im Moment kann keine Rede sein von Friede, Freude, Eierkuchen.

»Was ist denn?«, frage ich ihn. »Irgendwas los?«

»Nee, nee, alles prima. Sag mal, hast du eigentlich diese Doku über Warhol und die Factory-Szene gesehen?« Garrett trinkt einen Schluck Kaffee und wirkt eigentlich locker wie immer, aber ich kenne ihn.

»Nö. So leicht lass ich mich nicht ablenken. Komm, schieß los«, fordere ich ihn auf, stütze die Ellbogen auf den Tisch und fixiere ihn. »Na los. Spuck’s schon aus.«

Er atmet hörbar aus. »Ach, nichts. Ich meine, du hast schließlich Geburtstag, da will ich dich nicht mit so was nerven.«

»Garrett!« Ich fange an, mir Sorgen zu machen. »Was ist denn los? Du weißt doch, dass du mir alles erzählen kannst.«

Einen Moment lang herrscht Schweigen, und dann spricht er das aus, worauf ich schon so lange gewartet habe und was auf meiner Wunschliste direkt nach »Ich liebe dich« und »Ohne dich kann ich nicht leben« kommt.

»Ich, ähm … Es ist wegen Beth. Wir haben uns getrennt.«

2. Kapitel

»Ihr habt was?«, keuche ich. Das nenn ich doch mal ein Geburtstagswunder! Da habe ich meinen Wunsch dem Universum offenbart und er geht tatsächlich in Erfüllung! Okay, Garrett hat mich nun nicht gerade leidenschaftlich umarmt und mir ewige Liebe geschworen, aber das ist immerhin schon mal ein Anfang.

»Wann denn?«, frage ich und kann nur mühsam meine Begeisterung verbergen.

Er sieht mitgenommen aus. »Erst gestern Abend. Ich meine, wir hatten schon seit ’ner Weile Stress, aber … Ach, ich weiß doch auch nicht. Ich wollte dir wirklich nicht den Geburtstag versauen …« Er spielt immer noch mit seiner Tasse und ist ziemlich verlegen.

»Garrett! Was ist denn passiert? Hat sie dich betrogen? Hat’s dich genervt, dass sie nichts anderes als die Cosmopolitan liest? Ist sie einmal zu viel ausgerastet?« Garrett steht auf Rothaarige, die meistens noch dazu einen Hang zum Drama haben. Ich war schon mal kurz davor, mir die Haare zu färben und bei der Schultheatergruppe vorzusprechen, aber das allein würde es wahrscheinlich auch nicht bringen. »Ach Mist, das tut mir so leid«, sage ich dann, als mir einfällt, dass ich mich erst mal verständnisvoll zeigen sollte, ehe ich mich in froher Erwartung sonne. »Die wichtigste Frage ist ja erst mal, ob es dir einigermaßen gut geht.«

Zögernd nickt er, aber als ich sehe, wie er seine Fingerspitzen in die Zuckerkrümel auf dem Tisch presst, werde ich sofort wieder in die Realität katapultiert. Die Sache macht ihm wirklich schwer zu schaffen, was mir natürlich trotz meiner Euphorie total leidtut für ihn. »Ich schätze mal, da war nichts zu machen«, sagt er. »Ich meine, sie ist jetzt fertig mit der Schule. Und in den letzten Monaten lief’s eh nicht so super.«

»Du meinst wohl, dass sie ’nen ziemlichen Knall hat«, werfe ich ein.

»Nein! Beth ist nur … bisschen schwierig halt. Und anspruchsvoll …«

»Sie hat ’nen Knall«, wiederhole ich kopfschüttelnd, »tickt am laufenden Band aus.«

Bestimmt denkt ihr jetzt, dass ich nicht so hundert Pro neutral bin, was Garretts Freundinnen angeht. Aber keine Sorge, von Eifersucht und unerfüllter Liebe lasse ich mich nicht gleich irremachen. Nach zahllosen Kinoabenden und Treffen nach der Schule als fünftes Rad am Wagen kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass Beth Chambers eine überspannte und launische Zicke ist. Und jetzt darf ich es ja aussprechen. Endlich!

»Sei doch froh, dass die Sache endlich vorbei ist«, rede ich ihm gut zu. »Ich weiß gar nicht, wieso du eigentlich was mit ihr angefangen hast.«

Gar nicht zu reden von den fünf Monaten, die sie zusammen waren. Fünf Monate litt ich Höllenqualen, wenn er sie angehimmelt hat. Jeder Kuss der beiden war wie ein Stich ins Herz.

»Weil sie so wunderschön ist«, seufzt er wehmütig. »Und so unberechenbar. Als ich mit ihr zusammen war, hat mich das zu fantastischen Gedichten inspiriert …«

Ich beiße mir auf die Lippe. Okay, das mit den Stichen ins Herz ist also doch noch nicht ganz vorbei. »Aber es hat nicht funktioniert, oder? Du hast dich ja nicht ohne Grund von ihr getrennt«, gebe ich zu bedenken.

Er nickt resigniert. »Sie wollte es ganz verbindlich haben. Dass wir als festes Paar ans College gehen. Sie hat mir dann so ’ne Art Ultimatum gestellt: Wenn ich ihr das nicht versprechen könnte, dann sollten wir es lieber gleich lassen, hat sie gesagt.« Garretts Stimme klingt belegt, und obwohl ich auf diese Nachricht inständig gehofft hatte – und zwar seitdem die beiden auf Lexie Monroes Party geradezu aufeinander geflogen waren –, tut es mir jetzt trotzdem leid für ihn.

»Du hast das total richtig gemacht«, rede ich ihm gut zu. »Echt jetzt, du wirst das bestimmt nicht bereuen.«

Aber Garrett ist sich da nicht so sicher. »Ach, ich weiß doch auch nicht. Ich hab sie wirklich gern gemocht«, sagt er leise. »Und ich mag sie immer noch. Klar, sie ist manchmal bisschen … schwierig. Aber wenn wir zusammen sind, nur wir beide, dann ist es schon genial.«

»Aber sie hat dir dieses alberne Ultimatum gestellt«, erinnere ich ihn. »Wer kann so was denn schon garantieren?«

Er zwingt sich zu lächeln. »Du hast ja recht. Ich komm da bestimmt bald drüber weg. Hoff ich zumindest. Siehst du?« Er verdreht die Augen. »Deshalb wollte ich dir das lieber nicht erzählen, damit ich dich nicht mit meinem Beziehungsstress belästige. Zumindest nicht heute.«

»Aber wozu sind denn Freunde da?«, kontere ich. »Und jetzt mal Kopf hoch. Before Sunrise wartet auf dich.«

»Bist du dir da sicher?«, fragt er nach kurzem Schweigen.

»Hm, vielleicht muss ich doch noch mal drüber nachdenken.« Ich mime heftiges Grübeln. »Ein Abend mit Pizza und Ethan Hawke. Wunderbar tragisch!«

Noch dazu verbunden damit, ganz dicht neben Garrett auf dem Sofa zu lümmeln, das praktischerweise ziemlich schmal ist.

Irgendwann macht sich auf Garretts Gesicht dann doch ein Grinsen breit, das diesmal echt wirkt. »Wir lassen voll die Sau raus, weil is ja dein Geburtstag«, rappt er ziemlich schräg und legt mir auf dem Weg zum Ausgang den Arm um die Schultern.

»Uah, nee, bloß nicht!« Ich boxe ihn.

»Wir labern über Descartes, weil is ja dein Geburtstag.«

»Ich glaub, wir kennen uns gar nicht«, mokiere ich mich und gehe auf Abstand. Aber Garrett singt daraufhin nur noch lauter.

»Wir trinken ganz viel Limo, weil is ja dein Geburtstag.«

Im Vorbeigehen fange ich LuAnns Blick auf. Sie grinst mich an und ich werde rot. »Voll peinlich mit dem in der Öffentlichkeit«, raune ich ihr zu, während er alberne Ghettogesten macht.

»Wir hängen bis nach elf draußen rum, weil is ja dein Geburtstag!«

»Und du willst ein Poet sein?«

Bis Garrett mich nach unserem Filmmarathon – inklusive Erdnuss-Massaker – nach Hause bringt, habe ich ihn allmählich davon überzeugt, dass die Trennung von Beth das Beste ist, was ihm passieren konnte. Für mich ist es auf jeden Fall nicht zu toppen. Endlich, endlich sind die Götter der unerwiderten Liebe mal auf meiner Seite: Garrett ist solo. Und zwar rechtzeitig, bevor wir zusammen zum Literatur-Sommerkurs fahren. Ich sehe alles schon vor mir: Tagsüber animieren wir uns zu literarischen Höchstleistungen und abends treffen wir uns heimlich unterm Sternenhimmel.

Nach zwei durchlittenen Jahren ist mir das Schicksal endlich hold!

»Und denk dran, auf keinen Fall in Selbstmitleid verfallen und in ihren alten Liebesbriefen rumlesen oder so«, ordne ich an, steige von der Vespa und verstaue den Helm unterm Sitz.

»Zu Befehl«, lacht er.

»Sehen wir uns morgen?«, erkundige ich mich. »Wir könnten den ganzen Tag am Fluss liegen und lesen.«

»Klingt gut.« Garrett lässt den Motor kurz aufheulen. »Ruf früh einfach kurz an, okay?«

Beseelt sehe ich ihm nach, wie er auf der stotternden Vera davonfährt und die hohen Eichen und grünen Vorgärten kurzzeitig in rotes Licht taucht. Ich wohne mit Mom im älteren Teil der Stadt, großzügige Häuser im Kolonialstil und üppige Gärten. Garretts Familie lebt ganz am anderen Ende der Stadt in einer neueren Siedlung beim See. Dort stehen hauptsächlich auf Tudor gemachte Häuser, die allesamt mit cremefarbenen Plüschteppichen ausgelegt sind, die schon vom Hinsehen fleckig werden.

»Hallo, Sadie.«

Die Stimme von der anderen Straßenseite. Als ich mich umdrehe, sehe ich Kayla auf ihrer Eingangstreppe sitzen. Sie hat eine hübsch bedruckte Bluse und abgeschnittene Jeans an und winkt mir zu. »Alles Gute zum Geburtstag«, ruft sie. »Ist doch heute, oder?«

»Jo, danke!«, antworte ich, aber keine von uns beiden überquert die Straße. Obwohl wir unsere ganze Kindheit über zusammen gespielt und auch oft wechselseitig übernachtet haben, ist unsere Freundschaft seit der Highschool irgendwie abgekühlt. Wir verstehen uns zwar immer noch, wissen aber genau, dass wir sehr verschieden sind. Seit ich Garrett kenne, habe ich viel mit Leuten zu tun, die selber schreiben, während sich Kayla zu einem von diesen immer gut gelaunten Girlies gemausert hat mit bunten Haargummis im blonden Zopf und unbändigem Interesse an Klatsch und Tratsch aus der Promiwelt. Seit einem Jahr ist sie jetzt mit einem Typen namens Blake aus der Basketball-Schulauswahl zusammen. Manchmal, wenn Garrett mich spätabends zu Hause absetzt, sehen wir ein paar Straßen weiter im Vorbeifahren Blakes blauen Pick-up mit beschlagenen Scheiben stehen.

Ich überlege gerade, ob ich zu ihr rübergehen soll, da biegt genau dieses Auto um die Ecke. Aus den offenen Fenstern dröhnt laute Musik. Kayla springt auf. »Na, dann viel Spaß noch!«, ruft sie mir lächelnd zu und rennt in Richtung Pick-up. Blake beugt sich hinüber und öffnet die Beifahrertür, Kayla steigt ein und gibt ihm einen langen Kuss. Dann legt er seinen Arm um ihre Schulter und fährt los.

Während ich ihnen nachschaue, überkommt mich ein seltsamer Anflug von Eifersucht. Nicht dass ich ein heimliches Faible für maulfaule Sportskanonen hätte – ich würde mich wahrscheinlich schon nach einer Stunde mit Blake zu Tode langweilen. Ein paar Mal hatte ich flüchtig mit ihm zu tun, und natürlich ist er ganz süß (also vor allem haar- und bräunetechnisch gesehen), aber der Typ ist ja so was von wortkarg, das ist echt nicht zu fassen. Der sagt wirklich gar nichts. Mit Garrett kann ich ja stundenlang über Gott und die Welt reden: Politik, Philosophie, Religion. Er fordert mich heraus, ganz neu über die Welt nachzudenken. Das ist wahre Liebe: Wenn man intellektuell auf Augenhöhe ist. Wie Ted Hughes und Sylvia Plath.

Nur ohne die Sache mit dem Herd und dem Gashahn.

Ich habe kaum die Eingangstür hinter mir zugeklappt, als Mom auch schon aus der Küche geschossen kommt. Sie trägt eine türkisfarbene Yogahose samt passendem Oberteil und sieht wie immer perfekt aus. Sie ist die einzige Frau im gesamten Universum, die sogar ihre Freizeitkleidung bügelt.

»Hallo!«, begrüßt sie mich strahlend. »Ich hab schon auf dich gewartet! Bist du bereit für deine Überraschung?«

»Klar«, antworte ich. »Ich geh mich nur schnell umziehen und …«

»Gar nicht nötig! Dein Geschenk ist oben.«

Ich gehe hinter ihr die Treppe hoch. Alle sagen, dass wir uns total ähnlich sehen mit unserem dunklen Teint und den schwarzen Möchtegern-Locken. Aber sie ist die zierliche und elegante Version, während ich eher den Körperbau von meinem Vater habe: viel zu groß und knochig – auf ewig verdammt zu den Übergrößen-Abteilungen der Kaufhäuser und den überzogenen Erwartungen sämtlicher Sportlehrer.

»Mach mal die Augen zu«, werde ich heute schon zum zweiten Mal aufgefordert. Geduldig warte ich, bis Mom meine Zimmertür geöffnet hat. »Tadaa!«

Ich mache die Augen wieder auf und sofort entfährt mir ein Aufschrei der Verzweiflung.

»Was ist das denn?«

Verschwunden sind meine wilden Fotocollagen – sämtliche Bilder stecken jetzt ordentlich aufgereiht an einer Pinnwand in der Ecke. Auf meinem chaotischen, aber sehr individuell organisierten Schreibtisch stehen jetzt farblich sortierte, glänzende Aufbewahrungs- und Ablageboxen. Meine ganzen alten, zerlesenen Bücher sind weg, und die Klamotten, die ich sorgsam und geradezu liebevoll auf Nachttisch, Fußboden und Kommode verstreut hatte …

»Na, was sagst du?« Stolz wie ein Model aus dem Katalog dreht sich Mom einmal um die eigene Achse. »Ich hab auch den Schrank umgeräumt. Siehst du? Alles ist farblich sortiert, unterteilt und in Kästen verstaut. Und dein Schreibtisch wirkt jetzt viel funktionaler, mit einem richtigen System dahinter und …«

»Mom!«, unterbreche ich sie und starre entsetzt die penible Ordnung an, die sie in mein perfektes Chaos gebracht hat. »Wir hatten doch ausgemacht, dass mein Leben tabu ist für deine Beratung!«

Sie lässt sich nicht beirren. »Du wirst das schon noch zu schätzen wissen. So kannst du viel effektiver arbeiten. Du weißt doch, was ich immer sage: In einer ordentlichen Umgebung sortiert sich auch das Innenleben!«

»Und weißt du auch, was Nietzsche gesagt hat?«, kontere ich. »›Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können‹!«

Mom wird blass. »Gebären?«

»Mann, das ist ’ne Metapher!«, stöhne ich. »Und wo sind eigentlich meine ganzen Bücher hin?«

»Hier.« Mom zeigt mir das Regal mit lauter säuberlich sortierten Bänden. Nagelneue, glänzende Ausgaben. »Die anderen waren so alt und zerfleddert. Ich hab sie durch die neuesten Auflagen ersetzt.«

»Aber …« Mir fehlen die Worte. Und wir sollen verwandt sein? »Genau das ist es ja! Sie waren alt und sind schon durch viele Hände gegangen. Da standen Notizen drin! Die hatten eine Geschichte und bedeuten mir was und …«

»Okay, ist ja gut!« Mom begreift offenbar, dass sie mit ihrem Angriff auf meine Bibliothek einen Schritt zu weit gegangen ist. Beruhigend legt sie mir eine Hand auf die Schulter und tritt den Rückzug an. »Die Bücherkisten stehen noch in der Garage. Wir können sie wieder auspacken.«

»Na, ein Glück«, antworte ich erleichtert. »Und, ähm, danke«, füge ich hinzu, weil ich nicht undankbar erscheinen will. »Für das alles. Ist ’ne … nette Idee.«

Sie lächelt mich an. »In ein paar Tagen hast du dich an das neue System gewöhnt und wirst mir recht geben. Das ist immer das Erste, was ich bei meinen Klienten mache. Und guck mal da, ich hab dir sogar eine Tafel vorbereitet, wo du deine persönlichen Ziele und Erfolge eintragen kannst!«

Ich seufze. »Danke, Mom.«

Das war zu erwarten gewesen. Schon seit Jahren hat sie versucht, mich beratungsmäßig endlich in die Finger zu kriegen und in einen ihrer fügsamen Klone zu verwandeln, der ihre Checklisten und Stufenprogramme befolgt, die sie immer austeilt wie eine Grundschullehrerin ihre Malen-nach-Zahlen-Blätter. Irgendwann früher war sie mal ziemlich cool – künstlerisch, kreativ und leicht chaotisch. Damals hat sie aus Keramik abgefahrene abstrakte Skulpturen gemacht. Manchmal war sie derart in ihre Arbeit versunken, dass sie darüber völlig die Zeit vergaß. Da gab’s dann immer nur Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade zum Abendessen und an den Tagen, wo groß Wäsche gewaschen wurde, sind wir den ganzen Tag im Schlafanzug rumgelaufen.

Das war schon krass.

Aber als Dad uns dann irgendwann verlassen hat, weil er als Saxofonist mit seiner Band auf Tour gehen wollte, ist aus ihr praktisch über Nacht eine Fremde geworden. Sie verschlang massenhaft Ratgeberliteratur und fuhr auf Wochenendseminare, wo ihr jegliche Spontaneität geraubt und sie in eine Göttin der Leistungsbereitschaft und des »positiven Denkens« verwandelt wurde. Sie hat eine Ausbildung zur Lebensberaterin gemacht und inzwischen mehr als genug Klienten, die ihr Unsummen dafür bezahlen, dass sie von ihr einer Gehirnwäsche unterzogen werden – na ja, okay, ein bisschen was lernen sie bei ihr wahrscheinlich auch.

Aber ich bin da raus.

Garrett und ich sind nämlich fest davon überzeugt, dass Struktur und Ordnung die Erzfeinde der Kreativität sind. Ich meine, hat Emily Dickinson vielleicht ihre Ziele in einem übersichtlichen Plan festgehalten? Hatte Shakespeare einen Abreißkalender mit inspirierenden Zitaten, oder was?

Garantiert nicht.

Mom dreht sich zur Tür und ich lasse mich auf mein – picobello gemachtes – Bett fallen. »Moment mal«, rufe ich ihr nach. »Ist Post gekommen? Irgendwas vom Sommerkurs?«

»Wirf doch mal ’nen Blick in deine Posteingangsbox.« Mom zwinkert mir zu und ich springe auf.

Dort liegt er: Ein einzelner weißer Briefumschlag. »Wieso hast du das denn nicht gleich gesagt?«, schreie ich und reiße ihn so heftig auf, dass ich gleich den Brief mit erwische.

»Immer mit der Ruhe«, lacht Mom, aber ich überfliege schon hektisch das sehr klein gedruckte Schreiben.

Sehr geehrte Ms Allen,

vielen Dank für Ihre Bewerbung zu unserem Sommerkurs. Wir müssen Ihnen jedoch mitteilen, dass wir uns aufgrund der Vielzahl von geeigneten Kandidaten dazu entschlossen haben, in diesem Jahr nur Bewerber anzunehmen, die mindestens die 11. Klasse der Highschool abgeschlossen haben …

Ich höre auf zu lesen. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Doch. Da steht es, deutlich lesbar in Times New Roman, dieser hässlichsten Schriftart von allen.

Leider müssen wir Ihnen mitteilen …

Wie betäubt lasse ich den Brief sinken. »Ich bin nicht angenommen.«

»Was?« Mom nimmt mir den Brief aus der Hand und überfliegt ihn. »Oje, das tut mir wirklich leid. Aber lies mal, hier steht: ›Ihre Bewerbung war sehr vielversprechend, daher fordern wir Sie auf, sich im nächsten Sommer erneut zu bewerben.‹ Siehst du? Es ging ihnen nur ums Alter.«

»Nicht ums Alter«, fauche ich mit zusammengebissenen Zähnen, »sondern um die Klassenstufe.«

Aber sie denkt gar nicht daran, mich schuldbewusst anzusehen. »Vielleicht ist es ja ganz gut so. Als Jüngste hinzufahren und überall hinterherzuhinken ist bestimmt nicht so toll.«

Ich versuche gar nicht erst, ihr zu erklären, dass ich nirgends hinterherhinke, sondern ganz im Gegenteil den anderen öfter sogar voraus bin. Stattdessen stehe ich nur da, lese den Brief immer wieder und merke, wie mein letztes Fünkchen Hoffnung verglimmt und sich schließlich in nichts auflöst.

Kein Literaturkurs. Kein Sommer mit Garrett und Poesie unterm Sternenzelt. Aus der Traum.

Ich bin ganz allein.

3. Kapitel

Garrett ist natürlich angenommen worden. Logisch. Er hat ja schon (zweimal!) Texte in irgendwelchen obskuren Literaturzeitschriften veröffentlicht und einen landesweiten Wettbewerb für das beste von Walt Whitman inspirierte Gedicht gewonnen. Es hätte mich auch nicht gewundert, wenn sie ihn als Helfer oder sogar Kursleiter angeheuert hätten. Ich sehe ihn schon förmlich vor mir, wie er in tiefschürfende Gespräche vertieft mit einer bildschönen Wunderkind-Dozentin am Ufer eines Sees entlangschlendert. (Denn garantiert gibt es dort eine charmante Nachwuchsdozentin, die maximal vierundzwanzig ist, schon mehrere Kurzgeschichtenbände veröffentlich hat und total auf eifrige Jungautoren steht.)

Mühsam schleppe ich mich durch den Rest der Woche und versuche es tapfer zu ertragen, wenn Garrett mich mit immer neuen euphorischen Meldungen über seinen Stundenplan oder die Unterkunft beim Kurs beglückt. Er denkt, dass ich so verzweifelt bin, weil mir diesen Sommer keine intellektuellen und kreativen Höhenflüge zuteilwerden, und das stimmt ja auch zum Teil. Aber in erster Linie habe ich schwer damit zu kämpfen, dass es kein Sommer mit Garrett wird.

»Hey, du schaffst das schon«, versichert mir Garrett zum x-ten Mal. Vom Sabbat-Essen habe ich mich beizeiten verabschiedet, weil eine Party angesagt ist. Jemand von den Schulabsolventen will ganz groß feiern. Garrett kontrolliert, ob seine Vespa richtig angeschlossen ist, und redet dann weiter auf mich ein: »Ich mail dir meine ganzen Mitschriften – dann kannst du direkt mit mir mitlernen. Das ist dann so was wie Fernunterricht.«

»Super.« Ich versuche ihm vorzumachen, dass es mir bei der ganzen Sache tatsächlich nur ums Schreiben geht. »Und wenn du wiederkommst, hab ich den ganz großen Roman schon im Kasten.«

»Na, mach mal halblang«, lacht er. »Versuch’s erst mal mit ’nem ganz passablen Roman.«

Langsam gehen wir in Richtung Haus. »Tja …«, sage ich und verstumme wieder, während ich im Kopf durchrechne, wie wenig kostbare Zeit uns noch zusammen bleibt. »Das ist also unsere letzte Party zusammen.«

Garrett grinst mich an. »Das klingt ja, als ob’s für immer wäre und nicht nur für sechs Wochen.« Er legt den Arm um mich und zieht mich zu sich heran. »Wir machen einfach was ganz Tolles draus, okay?«

Da ich meiner Stimme nicht so ganz über den Weg traue, nicke ich nur und folge ihm zur Tür, vorbei an den davor aufgereihten glänzenden Angeberautos. Typisch. Paul wohnt nur ein paar Straßen entfernt von Garrett. Das Grundstück ist zwar nicht eingezäunt, aber da es eine Sackgasse ist, fahren hier nur Leute mit Einladung vor.

»Hey, Garrett! Cool, dass du hier aufschlägst!« Kaum sind wir durch das eindrucksvolle Säulenportal getreten, als er auch schon von einer Gruppe Absolventen umringt wird. Obwohl Garrett von den Literatur- und Theaterfans der Sherman Highschool schon ein bisschen umschwärmt wird, stand er nie ganz oben auf der Liste der beliebtesten Schüler und war auch ganz bestimmt kein Cliquenchef. Aber heute Abend wird er mit Schulterklopfen und Ghettofäusten begrüßt, als ob er schon sein ganzes Leben lang dazugehören würde und es keinerlei Status- oder Klassenunterschiede gäbe. Wirklich ein komisches Phänomen, das ich schon öfter bei Absolventen im Sommer nach ihrem Schulabschluss beobachtet hatte: Sämtliche Hierarchien und Feindschaften waren auf einen Schlag vom Tisch. Mädchen, die sich jahrelang Zickenkriege geliefert hatten, lagen sich plötzlich heulend in den Armen und machten auf beste Freundin. Und Jungs, die sich ihre Freistunden bisher damit vertrieben hatten, Außenseiter in Klokabinen einzusperren, scherzten mit ihren Ex-Opfern darüber – alles nur alberne Streiche, Schwamm drüber!

Dieser Sog ist so stark, dass selbst eine unbedeutende Zehntklässlerin wie ich vorübergehend mit hineingezogen wird. Während ich blöd in der Gegend herumstehe und auf Garrett warte, fällt mir auf einmal Julie Powers um den Hals und schluchzt mir die Ohren voll.

»Unglaublich, dass jetzt alles vorbei ist!«, heult sie und krallt sich an mir fest. Ihre geröteten Wangen sind mit Wimperntusche-Klecksen gesprenkelt. Ich bin also heute nicht das erste Opfer ihres Nostalgieanfalls.

»Mm-hmm«, murmele ich und warte darauf, dass sie mich endlich wieder loslässt.

»Da fragt man sich, was wohl danach kommt. Und wer wir eigentlich sind.«

»Die ultimative existenzielle Frage.«

Sie weicht ein Stück zurück und runzelt die Stirn. »Was?«

»Ach nichts«, lächele ich unbeschwert. »Ich wünsch dir ’nen tollen Sommer!«

Ich lasse sie stehen und mische mich unters Partyvolk. Da unsere Highschool eher von der kleineren Sorte ist, kenne ich so ziemlich alle, zumindest vom Sehen. Rund um das Bierfass hat sich die übliche Meute der Sportskanonen versammelt, im Wohnzimmer hängen die Skater rum und spielen am Breitbildfernseher Xbox. Am anderen Ende des Raumes tanzen ein paar Girlies und nippen dabei an ihren Plastikbechern mit grellbunten Getränken.

Ich ziehe mich erst mal in die Küche zurück und verschaffe mir einen Überblick über das kulinarische Angebot: Chips und Dips so weit das Auge reicht, außerdem Pizza und bergeweise Kekse …

»Buh«, raunt mir Garrett direkt ins Ohr.

Ich schreie auf. »Ach du bist das!« Ich verpasse ihm einen Boxhieb. »Mann, hast du mich vielleicht erschreckt. Wieso machst du das denn immer?«

»Weil du dann immer so lustige Schreie ausstößt«, lacht er und reicht mir einen von den knallroten Bechern. Ich zögere. »Cola light«, beruhigt er mich. »Nie im Leben würde ich dich vom Pfad der Tugend abbringen, wo du doch noch so jung und beeinflussbar bist.«

Ich trinke einen Schluck »Ha, kannst es ja mal versuchen.«

Garrett lässt seinen Blick schweifen. »Also, Tische sind da – aber ich seh dich nicht drauf tanzen.«

»Ich warte noch bisschen mit meinem großen Auftritt«, lasse ich ihn wissen. »Bis die Einheizerinnen durch sind.« Ich nicke in Richtung der zappelnden Mädels, deren Bewegungen immer lasziver werden.

»Ah ja.« Garrett blinzelt und wirkt leicht geblendet von Jaycee Carters Verrenkungen. »Da musst du dich nachher aber ganz schön ins Zeug legen.«

Belustigt beobachten wir die Show eine Weile, bis ich einen gedämpften Warnruf absetze. »Oh-oh. Durchgeknallte Ex von rechts im Anmarsch. Nee, nicht hingucken!« Ich ziehe ihn zurück. »Mit der Dramanummer bist du durch, schon vergessen?«

»Bleib mal locker.« Garrett sieht interessiert zu Beth hinüber, die mit ein paar Freundinnen plaudert. Sie trägt ihre roten Locken heute offen, und selbst ich muss zugeben, dass sie ziemlich umwerfend aussieht. Zumindest für eine eifersüchtige Hysterikerin. »Ich werd schon nicht gleich hinrennen und mich ihr an den Hals werfen.«

Ich mustere ihn skeptisch.

»Das war doch nur ein einziges Mal!«, rechtfertigt er sich. »Ja, ich geb’s ja zu. Ein Liebesgedicht ganz groß ins Literaturmagazin zu setzen war jetzt nicht gerade ’ne Spitzenidee, aber musst du da ständig drauf rumreiten?«

»Ich hab doch gar nix gesagt.« Diese spezielle Maßnahme war für Julie Sanders bestimmt gewesen, eine Topläuferin, die voriges Jahr sage und schreibe zwei Wochen mit Garrett liiert war, ehe sie ihm das Herz gebrochen hat. Die öffentliche Liebeserklärung hat sie allerdings wenig beeindruckt.

Wieder wandert Garretts Blick zu Beth.

»Garrett …«, sage ich warnend. Bei ihm muss man wirklich höllisch aufpassen – kaum lässt man ihn mal zu lange seine Ex anstarren, schwups, hat er schon wieder ein Gedicht halb fertig.

»Nee, nee, keine Gefahr – versprochen.« Er kehrt ihr den Rücken zu und schenkt mir wieder seine ungeteilte Aufmerksamkeit. »Und vielen Dank übrigens.«

»Wofür denn?«

»Ach, einfach … dass du so bist, wie du bist.« Er lächelt mich an. »Du hast nach Trennungskisten immer die richtigen Tipps für mich.«

Ich zucke die Schultern. »Das würdest du für mich doch genauso machen.« Na ja, falls ich überhaupt jemals mit irgendwem liiert sein sollte.