Sunflower - Lea Busch - E-Book

Sunflower E-Book

Lea Busch

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Beschreibung

William ist zurück in seiner Heimatstadt. Nachdem er erfahren hat, dass Ezra ihn von Anfang an belogen hat und ihn noch dazu betrügt, ist er Hals über Kopf aus London abgehauen. Er hofft, in Doncaster seine Gefühle für Ezra zu verlieren und seine Gedanken ordnen zu können. Zurück bei seiner Familie und seinen Schulfreunden scheint die Welt für kurze Zeit wieder in Ordnung zu sein. William hat allerdings nicht damit gerechnet, dass Ezra ihm kurzerhand folgt und ihm plötzlich wieder gegenübersteht.

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Liebe Lesenden,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Daher findet sich auf der letzten Seite eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Ich wünsche euch allen ein schönes Leseerlebnis.

Love, L

E-Mail: [email protected]

Instagram: autorin.leabusch

Tiktok: autorin.leabusch

Wattpad: rainbow_rays

Für alle, die seit Jahren meine Geschichten mitgestalten

Soundtrack:

Two Ghosts – Harry Styles

Home – One Direction

Redecorate – Twenty One Pilots

What A Feeling – One Direction

People – Leoniden

Habit – Louis Tomlinson

Wonderwall – Oasis

Hellfire – Barnes Courtney

How To Save A Life– The Fray

Lonely Heart – 5 Seconds Of Summer

Flicker – Niall Horan

Stone Walls – We The Kings

Still – Niall Horan

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Epilog

Prolog

Es ist schon verrückt, wie sehr eine Kleinigkeit ein Leben verändern kann. Mal ist es ein Cupcake, dann eine Blume oder auch nur ein Stück Schokolade oder ein Zettel. Und man kann es nicht beeinflussen. Es geschieht immer dann, wenn man es am wenigsten erwartet; ja sogar, wenn es einem überhaupt nicht in den Kram passt. Ob man sich dagegen wehrt oder nicht, es hat Einfluss auf das Leben; egal, wie man es auch dreht und wendet. Es ist, als wäre man machtlos. Irgendeine Folge zieht es immer mit sich. Und ob sie gut oder schlecht ist? Das weiß man vorher nicht. Aber das wäre ja auch langweilig, oder? Wohl möglich, dass es einigen so trotzdem lieber wäre; wenn man die Folgen wüsste. Man könnte sich für die bessere Alternative, oder für das kleine Übel entscheiden. Das ist Ansichtssache. Aber dennoch sind es die kleinen Dinge im Leben, die es ausmachen. Dagegen kann man gar nichts tun. So sehr man es auch versucht. Und wenn es nur ein kurzer Augenblick ist, so bleibt er doch im Gedächtnis. Es verändert einen. Ein wenig. Vielleicht auch mehr. Das ist vermutlich jedes Mal anders. Aber was bleibt, ist die Erinnerung. An das, was passiert ist, was hätte sein können. Oder an das, was man sich wünscht. Was der junge Mann aus Doncaster sich wünscht, weiß er vermutlich selbst nicht.

Ob er es herausfinden wird? Gut möglich. Er erinnert sich an die kleinen Dinge, die sein Leben in den letzten Monaten so durcheinander geworfen haben. Es ist so viel passiert. Vielleicht war es einfach zu viel. Und es wird noch mehr passieren. Das weiß er. Wenn er zurück nach London kommt, wird es nicht mehr so sein, wie vorher. Es verändert sich. Mal wieder. Er will das nicht. Er will nicht, dass der Lockenkopf aus Middlewich sein Leben durcheinander geworfen hat. Er will sich nicht an all die noch so kleinen Augenblicke erinnern. Er möchte kein schmerzendes Herz mehr haben. Und doch kann er es in diesem Moment nicht ändern.

Die Landschaft zieht vorbei; die Felder und der Himmel bildet ein grünblaues Band. Er weint nicht. Er hat zu viele Tränen vergossen. Und das wegen all der Kleinigkeiten, an die er denkt und er einfach nicht aus seine Gedanken streichen kann.

1. Kapitel

Ezra ruft mich ständig an. Immer wieder versucht er es. Ich hatte schon Bedenken, dass er in den Zug springt. Das hat er aber nicht getan. Zum Glück. Die Landschaft rauscht an mir vorbei. Meine Gefühle scheinen das Gleiche zu tun. Ich stehe vollkommen neben mir. Es fühlt sich nur an wie eine Leere. Als wäre ein Vakuum anstelle meines Herzens, das den Rest meines Körpers in sich hinein zieht. Ich spüre es und doch irgendwie auch nicht. Es ist kalt. Ich friere. Aber der Schauer ist innerlich. Der Himmel wird grauer. Es beginnt sicherlich bald wieder zu regnen. Ich habe keinen Regenschirm dabei. Aber so weit ist es vom Bahnhof in Doncaster ja nicht. Und wer weiß, vielleicht scheint dort ja die Sonne? Es dauert noch eine Stunde, bis ich dort ankomme. Lennox hat mich inzwischen auch angerufen. Aber auch dieses Telefonat habe ich nicht abgehoben. Ich möchte nicht mit ihm sprechen. Ich weiß nicht, was er vorhin alles mitbekommen hat und wiederholen werde ich es garantiert nicht. Keiner der Personen hier nimmt wirklich Kenntnis von mir. Sie sind alle mit ihrem Leben beschäftigt. Ich schreibe meinem Chef, dass ich Samstag nicht zur Arbeit kommen werde. Ich sage ihm, dass es einen privaten Notfall gibt. Mehr muss er nicht wissen. Jeff gebe ich nicht Bescheid, dass ich beim Training nicht erscheinen werde. Er wird es auch so merken. Vielleicht hat Damon ihm ja schon längst erzählt, was geschehen ist. Ob er begriffen hat, dass es um mich geht? Keine Ahnung. Ich habe nicht auf ihn geachtet. Ich war damit beschäftigt, mein Herz brechen zu hören und zu spüren.

Mum ruft mich an. Mein Handy liegt locker in meiner Hand. Ich sehe jeden Anruf. Ihrer ist der Erste, den ich annehme.

„Hi Großer“, sagt sie. „Hi Mum“, erwidere ich etwas leiser. „Ich schaff es leider nicht“, sagt sie und seufzt. „Ich hole gleich die Kleinen ab. Elisa wird aber am Bahnsteig sein“, sagt sie mir Bescheid.

„Okay“, antworte ich kurz angebunden. Ich will nur wieder nach Hause. Es dauert noch eine Ewigkeit, bis es so weit sein wird. „Steht die Uhrzeit noch?“, fragt sie nach. „Ja. Ich sage Elisa Bescheid, wenn der Zug doch noch länger brauchen sollte.“

„Okay gut. Wir sehen uns gleich.“

„Bye Mum.“ Das Display wird schwarz.

Ich höre leise das Rattern des Zuges. Die ersten Regentropfen fallen auf die Scheibe. Ich beobachte zwei, die sich ein Wettrennen liefern und schräg nach unten laufen. Der Wind ist schuld. Ich denke an Ezra. Ich habe ihm vertraut. Bei allem. Und er betrügt mich. Und er wettet über mich. Ich weiß nicht einmal, ob ich wissen will, warum. War ich zu schlecht für ihn? Hat er sich deswegen eine Neue gesucht? Ich möchte diese Fragen nicht zulassen.

Sie gehören nicht in meine Gedanken. Es ist schon schlimm genug, wenn ich nicht darüber nachdenke. Ich schließe die Augen. Sein Shirt liegt noch auf dem Bett in meiner Wohnung in London. Ich entsperre mein Handy und schreibe Lennox.

Me: Kannst du vielleicht in meine Wohnung gehen und das Shirt, das auf meinem Bett liegt, Ezra geben? Es ist seins und ich will nicht, dass es noch dort ist, wenn ich zurückkomme.

Lennox hat einen Ersatzschlüssel, falls mal irgendetwas sein sollte. Ich habe von ihm auch einen. Und genau jetzt bin ich froh darüber. Lennox antwortet erstaunlich schnell.

Lennox: Mach ich.

Lennox: Ezra ist grade bei mir, er kann dich nicht erreichen.

Ich spanne mich augenblicklich an. Wieso schreibt er mir das?

Me: Ich will nicht mit ihm sprechen.

Meine Antwort ist knapp. Was soll ich dazu jetzt auch schreiben? Was erwartet Lennox bitte von mir? Und wenn Ezra bei ihm ist, kann er ihm das Shirt doch direkt mitgeben. Dann hat er es wieder und ich bin es los. Ezra ruft mich an. Diesmal drücke ich ihn weg und ich schreibe Lennox.

Me: Sag ihm einfach, dass er mich in Ruhe lassen soll.

Lennox antwortet nicht. Dafür schreibt Ezra mir. Schon wieder.

Cupcake: Was bedeutet es, dass du mich ignorierst?

Ich atme tief ein und wieder aus. Wieso bin ich auch so blöd und lese diese Nachricht? So kindisch es vielleicht sein mag, als allererstes wähle ich seinen Kontakt aus und ändere den Namen. Jetzt steht dort nicht mehr Cupcake, sondern Ezra. Einfach Ezra. Denn mehr ist er nicht mehr. Er ist nicht mehr mein Cupcake. Ich antworte ihm nicht. Lennox ruft mich an. Ich seufze und hebe ab.

„William!“

Ich stöhne genervt. Im Hintergrund höre ich Lennox sagen, dass Ezra ihm gefälligst sein Handy wiedergeben soll.

„Nein, Ezra. Lass es gut sein.“

„Aber –“

„Nein! Was verstehst du daran nicht! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben!“, fahre ich ihn an. Warum begreift er nicht, dass er nicht mehr anrufen soll?

„Was?“, fragt er leise.

„Du hast schon verstanden“, antworte ich und lege auf.

Ich habe wirklich Schluss gemacht. Mit ihm. Jetzt so richtig. Wir waren vorhin am Bahnhof schon nicht mehr zusammen. Aber er wusste es nicht. Oder? Ich hatte es ihm ja nicht gesagt. Ich bin davon ausgegangen, dass es ihm klar gewesen ist. Ist es das denn? Ach, das soll mir egal sein. Jetzt weiß er es. Er sollte es nun wirklich begriffen haben. Er ist nicht mehr mein Freund. Ich möchte mit niemandem zusammen sein, der mich betrügt und über mich wettet.

Ich sehe aus dem Fenster. Beziehungen sind scheiße. Das habe ich von Anfang an gesagt. Aber nein, ich musste mich natürlich verlieben und eine Zeit lang auf dieser rosa-roten Regenbogenwolke schweben. Warum auch nicht. Es tut wieder weh. Es wird wieder schlimmer. Es soll aufhören! Wer hat sich diese Scheiße mit dem Liebeskummer ausgedacht?! Beziehungen ergeben keinen Sinn. Sie scheitern, machen nur Stress und verursachen Schmerzen. Und sie schränken einen ein; die ganze Zeit.

Ich hätte mich nie auf Ezra einlassen sollen. Allein die Wette zwischen uns war ein großer Fehler. Wäre ich noch hetero, wenn wir die Wette nie geschlossen hätten? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vermutlich hätte ich noch die Freundschaft-Plus mit Steph. Das war so viel einfacher. Keine Gefühle, nur Sex. Wieso hat Ezra nur alles durcheinander geworfen? Verdammter Mist. Ich hätte mich niemals verlieben dürfen.

Noch eine halbe Stunde. Dann bin ich endlich wieder in Donny. Wie sehr ich diese Stadt vermisst habe. Und wie sehr ich die Leute dort vermisst habe. Es ist viel schöner als in London; nicht so unpersönlich, kaltherzig und riesig. Und vor allem ohne Ezra. Hauptsache, er bleibt dort, in London. Donny wird er mir nicht auch noch kaputt machen. Es reicht, dass mein Herz ihm zum Opfer gefallen ist. Ich will ihn nicht wieder sehen.

Ich muss. Er ist Lennox’ bester Freund. Ich werde ihn auf jeden Fall in der Uni sehen. Aber ich werde nicht mit ihm sprechen. Er kann sich zu Mabel verpissen und sie um den Finger wickeln. Aber nicht mich. Vielleicht geht er auch wieder zu Aaron zurück. Er ist immerhin genauso ein Schleimscheißer, wie der Lockenkopf. Nein, das ist Ezra nicht. Ich seufze. Ich weiß es nicht. Ezra kann mir noch dutzende Dinge verschwiegen haben. Wie soll ich es wissen, wenn es so ist? Ich habe das Gefühl, ich weiß gar nichts. Als wäre ich ein dummer Schuljunge. Naiv.

Ich mag dieses Wort nicht. Aber was war ich denn anderes? Ich bin davon ausgegangen, dass Ezra mich versteht, Rücksicht nimmt und immer die Wahrheit sagt, dass ich ihm vertrauen kann und er mich wirklich aufrichtig liebt; so wie in den Disney-Filmen. Aber nun wurde ich in die Realität zurückgeschleudert. Jemand hat eine Nadel genommen und die Blase platzen lassen, die meine Sinne vernebelt hat. Die Liebe ist weg. Nein, das ist sie nicht. Wenn sie weg wäre, würde ich mich nicht so erbärmlich fühlen.

Aber was kann ich tun? Es ertragen. Das scheint die einzige Lösung für mich zu sein. Ich lerne damit zu leben und dann vergeht es irgendwann doch. Noch zwanzig Minuten. Noch eine Station bis Doncaster. Dann bin ich endlich angekommen. Elisa hat mir geschrieben.

Eli: Ich bin in 15 Minuten am Bahnhof :)

Me: Ich erst in 20.

Die Zeit schleicht vor sich hin. Der ganze Tag ist unerträglich lang. Und noch nicht zu Ende. Ich will lediglich, dass es Abend wird. Und dass es morgen besser ist. Noch zehn Minuten. Die Felder verschwinden und es erscheinen mehr Häuser. Ich stecke mein Handy weg, nehme meine Reisetasche und stelle mich an die Tür. Mir ist immer noch kalt. Innerlich. Körperlich. Ob es wirklich kalt ist oder ob es das Vakuum in mir verursacht, weiß ich nicht genau. Die Kälte ist in meine Knochen gekrochen. Sie verschwindet nicht.

Noch fünf Minuten. Ich erkenne Straßen und Häuser. Bald bin ich zuhause. Und vielleicht verspüre ich ein Hauch von Glück. Überschattet und eingebettet in Schmerz. Aber es ist da. Minuten, Sekunden, sie verstreichen, wie der Anblick vor mir. Der Zug wird langsamer. Es dauert noch etwas.

Dann fährt er in den Bahnhof ein. Ich bin angekommen, endlich. Ich halte Ausschau nach meiner Schwester. Es dauert etwas, aber dann erblicke ich sie. Der Zug fährt noch ein Stück weiter. Sie hat mich auch gesehen. Die Türen öffnen sich und ich trete heraus an die frische Luft. Elisa läuft auf mich zu. Sie lächelt. Ich weiß nicht, ob ich es auch tue. Ich lasse meine Tasche neben mir fallen und ziehe sie in eine enge Umarmung.

„Hey William“, sagt sie erfreut. „Hey Eli“, antworte ich ihr leise und ich weiß, dass sie etwas in meinem Tonfall bemerkt.

„Was verschlägt dich so spontan nach Doncaster?“, fragt sie mich, als wir loslaufen. Ich zucke mit den Schultern. „Kann ich nicht einfach mal so herkommen?“

Sie sieht mich skeptisch an. „Dein Ernst? Du bist vollkommen pleite und kommst spontan hier her?“ Elisa kann ich nichts vormachen. Das war mir schon vorher klar, aber gegen einen Versuch sprach nichts.

Wir laufen die Treppen herunter und gehen durch den Bahnhof. Im Vergleich zu London ist er klein. Und genau so kommt er mir gerade vor. Er hat schließlich auch nur neun Bahnsteige. Das ist wirklich nicht so viel.

„Ich musste raus aus London“, gebe ich zu. „Ist was passiert?“, fragt sie mich verwundert. Wir gehen einige Meter und stellen uns an die Bushaltestelle. Ich seufze. „Es ist einfach zu viel. Uni. Freunde. Alles“, rede ich drumherum. Ich sehe zur Seite. Mein Handy klingelt schon wieder.

„Willst du nicht dran gehen?“, fragt Elisa verwundert. Ich schüttle den Kopf.

„Du weißt doch nicht einmal, wer das ist.“

Ich nehme es heraus und schaue auf das Display. Es ist Nevan. Aber ich bin nicht schnell genug, um ranzugehen. Ich öffne unseren Chat. Ich habe vergessen, ihm zu schreiben, dass ich angekommen bin. Und da der Zug sich noch ein bisschen mehr Verspätung eingefahren hat, dachte er bestimmt, ich wäre schon da. Schnell schreibe ich ihm, dass ich gut angekommen bin und stecke mein Handy wieder weg. Ich ignoriere die Nachrichten von Ezra. Ich will gar nicht erst wissen, was er noch geschrieben hat.

Immerhin hat er nicht noch einmal angerufen.

Unser Bus kommt und wir finden zwei freie Plätze. Erst kurz danach bemerke ich, dass wir gar nicht in die Richtung fahren, die ich erwartet habe. „Was hast du vor? Wo fahren wir hin?“ Elisa sieht mich verwundert an und fängt an zu lachen. „Du hast es nicht mitbekommen?“

Ich schüttle irritiert und fragend den Kopf. „Was meinst du?“

„Wir sind in einen anderen Bus gestiegen“, meint sie belustigt. „Wir fahren jetzt Benji und Mia abholen.“

„Aber das macht Mum doch.“

Sie nickt. „Sie ist mit dem Auto dort. Wir treffen uns mit ihr.“ Ich lächle ein wenig. Ich habe die Kleinen schon so lange nicht mehr gesehen.

Eli mustert mich. „Wieso hast du geweint?“ Meine Augen werden groß und ich sehe sie an. „Was? Nein, habe ich nicht!“, widerspreche ich ihr sofort. „Wem willst du das erzählen, William?“ Ich schlucke. Verdammter Mist! Ich dachte wirklich, dass meine Augen nicht mehr aussehen, wie aufgequollene Tomaten. Das kann doch nicht wahr sein! „Ich – es ist unwichtig. Stress und so“, weiche ich aus. „Du weißt, du kannst mit mir reden, wenn etwas ist, oder?“ Ich nicke schnell. „Ja. Alles gut.“

„Okay…“ sie lehnt sich an den Sitz. „Hast du inzwischen endlich mal eine Freundin?“ Ich weiß, sie versucht, das Thema zu wechseln. Und ich weiß natürlich auch, dass sie sich nicht bewusst ist, dass sie gerade genau ins Schwarze trifft, aber es tut weh. Ich spanne mich an. „Nein.“

„Gibt es denn eine Frau, die du gut findest?“, fragt sie lächelnd weiter. „Nein. Ich will keine Beziehung. Sie sind eh alle für’n Arsch“, murre ich und klinge abwertender, als ich es wollte. Elisa ist etwas perplex. „Okay, du Einsiedler, schon gut.“

Ich seufze. „Sorry, Eli.“ Sie winkt ab. Wir müssen aussteigen. Ich nehme meine Reisetasche und folge ihr. Wir sind nur eine Straße von der Grundschule meiner kleinsten Geschwister entfernt. „Sie haben heute einen Werktag gehabt, deswegen holt Mum sie ab“, erzählt Elisa noch kurz. Wir kommen an. Mum steht mit Benji und Mia am Schultor. Sie halten beide kleine Vogelhäuschen in den Händen.

„Hey, ihr Monster!“, rufe ich rüber. Ich bin nur noch zehn, vielleicht 15 Meter entfernt. Benji sieht als erster zu mir. Er drückt Mum das kleine Gebilde in die Hand und sprintet auf mich zu. „Will!“ Sein Rucksack lässt er auf der Hälfte der Strecke fallen. Ich hocke mich hin und werde von ihm fast überrannt. Er fällt mir um den Hals und umarmt mich fest. Ich strecke den anderen Arm aus und schließe nun auch Mia in die Arme, die im Gegensatz zu Benji, ihr Vogelhäuschen und ihren Schulranzen achtsam auf den Boden gestellt hat.

„Na, ihr beiden? Wie war der Werktag?“, frage ich sie.

„Super!“ Mia grinst über beide Ohren. „Wir haben Häuschen gemacht und sie angemalt! Ich muss dir das gleich zeigen!“ Ich nicke grinsend. Ich vergesse für den Moment mein gebrochenes Herz. Es tut gut, wieder hier zu sein.

„Wieso hast du nicht Bescheid gesagt?!“, fragt Benji mich direkt. Ich zucke mit den Schultern. „Sonst wäre es doch keine Überraschung gewesen, oder?“, frage ich im Gegenzug. Ich stehe wieder auf und gehe zu Mum. Die beiden Kleinen nehmen ihre Rucksäcke und die Häuschen wieder an sich. „Hey Großer“, lächelt sie. „Hi Mum.“

Sie zieht mich in ihre Arme. „Schön, dass du wieder hier in Donny bist.“ Ich drücke mich an sie. Ich hab meine Familie so vermisst. Ich hätte schon viel früher wieder herkommen müssen!

Wir steigen ins Auto. Ich verfrachte meine Reisetasche in den Kofferraum und quetsche mich hinten in die Mitte zwischen die Zwillinge. „Wie lange bleibst du?“, fragt Benjamin mich. Ich schnalle mich an und antworte „Bis Sonntag früh.“ Wann der Zug genau fährt, habe ich noch gar nicht nachgesehen. Mum sieht mich durch den Spiegel kurz an. Benjamin und Mia haben darauf bestanden, ihre Vogelhäuschen mit nach vorne zu nehmen und nicht wie ihre Schulranzen in den Kofferraum zu tun. Jetzt erzählen sie mir alles Mögliche über den Tag heute.

Es lenkt mich ab, meine Laune wird besser und ich liebe es, Zeit mit ihnen zu verbringen. Es ist im Augenblick genau das Richtige und ich bereue es keine Sekunde, hergekommen zu sein.

„Hilfst du mir gleich beim Kochen?“, fragt Mum mich. Ich nicke. Mir ist klar, warum sie das fragt. Die Kleinen haben keine Lust zu kochen und wir können uns in Ruhe unterhalten.

„Sophie und Katie kommen in zwei Stunden. Sie sind noch mit Freunden in der Stadt unterwegs. Und Beth sollte da sein“, meint Mum. Ich sehe das kleine Haus und lächle sofort. Meine Tasche stelle ich im Wohnzimmer zur Seite. Ich gehe die Treppe hoch und bemerke, dass aus Beths Zimmer Musik ertönt. Ich klopfe.

„Komm rein, Mum.“ Ich schmunzle und öffne die Tür. „Mum ist noch unten.“ Beth sitzt an ihrem Schreibtisch. Sie dreht sich direkt um und sieht mich mit großen Augen an. „Will!“, freut sie sich und umarmt mich stürmisch. Ich lache glücklich. „Hey Beth.“

„Was machst du hier? Wieso hast du nichts gesagt?“, fragt sie mich sofort. Ich zucke mit den Schultern. „Ich wollte euch alle einfach überraschen.“ Sie grinst und ich bin froh, dass diese Ausrede so gut funktioniert.

Ich gehe wieder herunter zu Mum. „Soll ich nachfragen?“ Ich seufze und schüttle den Kopf. Der Herzschmerz ist wieder da. „Was ist passiert, Großer?“, fragt sie trotzdem. Ich streiche mir durch die Haare und setze mich auf die Arbeitsplatte. „Es ist alles ein wenig viel im Augenblick“, antworte ich ihr geknickt.

„Und?“

Ich sehe sie an. „Du ahnst es doch sowieso schon“, stelle ich fest und schmunzle irgendwie, aber es hat einen bitteren Beigeschmack.

„Jedes Paar hat mal eine Krise, William“, sagt sie und nimmt zwei Kochtöpfe heraus. „Es ist keine Krise, Mum“, sage ich leise. Sie blickt mich skeptisch an. „Ihr hattet Streit, oder?“ Ich zucke mit den Schultern. „Ja, kann man so sagen. Keine Ahnung.“ Ich schlucke. „Ich hab Schluss gemacht.“

„Was?“ Sie sieht mich verwirrt an. „Aber, du meintest doch, es lief so gut.“ Ich nicke. „Das war, bevor ich mitbekommen habe, dass er ein Date mit einer Frau hat“, beichte ich ihr. Sie sieht mich perplex an. „Bist du sicher?“ Ich nicke. „Ich kenne sie sogar und eigentlich mag ich sie auch. Sie hat mir vorher noch erzählt, dass sie ein Date hat und dann habe ich sie zusammen an der Tube gesehen.“ Mum seufzt und schüttelt den Kopf. „Und sie haben sich geküsst?“ Ich nicke. „Er…hat ihr einen Kuss auf die Stirn gedrückt. Also Freunde machen das ganz sicher nicht“, sage ich abfällig.

„Hast du ihn vielleicht einfach mal gefragt?“, möchte sie wissen. „Dazu ist es nicht gekommen.“ Ich sehe weg. Ich will nicht schon wieder heulen. Das kann doch nicht wahr sein! „Er…“ Ich atme tief ein und wieder aus. „Er hat gewettet, dass er einen Hetero-Kerl verführen kann. Mit einem Freund von ihm.“ Mum sieht mich entsetzt an. „Er hat was?“ Ich nicke. „Er wollte sich entschuldigen. Glaub ich. Er meinte, dass es vor unserer Wette gewesen sei. Aber es geht um mich. Und er hat gewonnen. Super, oder nicht?“, füge ich sarkastisch hinzu. Mum schüttelt den Kopf. „Das geht gar nicht“, meint sie nur und geht zum Kühlschrank.

„Und dann habe ich Schluss gemacht. Das war heute Morgen. Ich musste da einfach weg.“ Mum kommt zu mir. Und sie zieht mich in eine enge Umarmung. „Du findest schon noch den Richtigen. Oder die. Wie du willst.“

„Danke Mum“, murmle ich.

„Willst du es deinen Geschwistern sagen?“ Ich verneine und springe von der Arbeitsfläche. Ich nehme mir eine Paprika, wasche sie und beginne damit, sie zu schneiden. „Ich habe ihnen gesagt, dass ich es als Überraschung geplant habe.“ Sie nickt verstehend. Dann hält sie in der Bewegung inne. „Seit wann weißt du, wie man eine Paprika schneidet?“, will sie perplex wissen. „Das… Ezra hat mir ein bisschen was gezeigt.“

„Ach Großer. Das vergeht schon wieder.“

„Was vergeht wieder?“

Ich zucke zusammen und blicke zur Seite. Es ist Elisa. Sie lehnt am Türrahmen. „Der Uni-Stress“, antworte ich schnell. Sie sieht mich verwundert an. „Du bist im ersten Term. Meinst du nicht, es wird eher mehr als weniger?“ Ich verdrehe die Augen. „Kann dir doch egal sein.“ Mein Tonfall ist forscher als beabsichtigt. Sie kommt auf mich zu. „Was ist los, William?“ Ich zucke mit den Schultern. Benjamin und Mia kommen ins Zimmer gelaufen. Elisa nimmt meine Hand und zieht mich aus dem Raum in ihr Zimmer. Sie setzt sich auf ihren Schreibtischstuhl.

„Du weißt, du kannst nicht lange etwas vor mir verheimlichen“, meint sie und verschränkt die Arme vor der Brust. Leider weiß ich nur zu gut, dass sie recht hat. Ich kann es nicht. Ich lasse mich auf ihr Bett fallen. „Es… keine Ahnung.“ Ich weiß nicht, wie ich das Thema anfangen soll. Oder ob ich es anfangen will. „Hast du Stress mit einer Frau?“, möchte sie wissen.

„Wie kommst du darauf?“, frage ich sie hingegen. „Du warst direkt so angespannt, als ich vorhin danach gefragt habe“, antwortet sie lediglich. Muss sie eigentlich immer alles mitbekommen? Das ist doch scheiße! „Nein“, antworte ich schlicht. „Aber?“, hakt sie nach. Aber es ist ein Kerl und er hat mich verarscht und betrogen und jetzt ist mein Herz kaputt und es tut verdammt nochmal weh!

„Nichts aber.“

„Lüg mich nicht an, William.“ Sie knickt nicht ein. Sie will wissen, was mit mir los ist. „Du hast geweint, willst nicht über Frauen sprechen und kommst spontan her. Das schreit doch danach, dass du Beziehungsstress hast“, schlussfolgert sie. Und leider klingt es wirklich logisch, was sie da von sich gibt. Ich stöhne genervt und lasse mich nach hinten fallen. „Es… Ja, es gibt jemanden“, gebe ich nun doch zu. Es bringt doch alles nichts.

„Und?“

„Es wurde nichts.“ Das ist sehr, sehr kurz zusammengefasst.

„Und du hast Gefühle?“

„Ja, soll vorkommen“, murre ich unzufrieden. „Beschreibe sie mir“, fordert sie mich lächelnd auf.

Ich zucke mit den Schultern. „Braune Locken, pinke Lippen, grüne Augen, Grübchen, elend lange Beine, ein schönes Lachen, einen tollen Charakter und vermutlich ein Talent zum Lügen.“

„Weil?“

Ich setze mich wieder auf und sehe Elisa wütend an. „Ich wurde verarscht, okay? Und jetzt hör auf nachzufragen!“, schnauze ich sie an. Ihre Augen werden groß und sie wirkt perplex. Dann rollt sie auf ihren Stuhl zu mir. „Scheiße, das tut mir leid, Will. Hat sie dich betrogen? Oder…“ Ich zucke mit den Schultern. „Ja. Keine Ahnung.“

Sophie und Katie freuen sich beide, dass ich wieder da bin. Und auch mein Stiefvater Troy begrüßt mich herzlich. Wir essen zusammen Abend. Meine Gedanken um Ezra verstummen. Wie ich es vermisst habe, an einem lauten, voll gedeckten Tisch mit meiner Familie zu sitzen. Es ist so viel besser als mein Sofa und der Fernseher. Die Kleinen erzählen mir von ihrer Schule, ihren Freunden und von allem, was ich so verpasst habe. Im Gegenzug dafür beschreibe ich ihnen London und das Studentenleben.

Viel habe ich nicht zu erzählen. Trotzdem besteht Benjamin darauf, dass er mal zu mir nach London kommen darf. Ich grinse. „Natürlich darfst du“, stimme ich zu und sehe kurz zu Mum. Sie nickt nur. Vielleicht kommt Benjamin tatsächlich bald mal.

Nach dem Essen verschwinde ich mit Elisa wieder in ihrem Zimmer. Nun brauche ich doch etwas Ruhe. Der Tag hat all meine Energie aufgebraucht.

Sie legt sich neben mich und greift nach ihrem Laptop. Wir schauen einen Film. Einfach mal so. Und sie lässt das Thema gut sein. Und auch wenn wir gerade nicht miteinander sprechen, ist es genau das Richtige im Augenblick. Der Gedanke lässt mich jedoch nicht los. Ich will Elisa es erzählen. Aber ob ich mich outen will? Ich weiß es nicht. Ich greife nach meinem Handy. Ich habe dutzende Fotos von mir und Ezra. Und natürlich sind auch welche dabei, wo wir uns küssen. Nevan hat einmal eins in der Mensa gemacht. Ezra hat mich von hinten umarmt, als er am Tisch angekommen ist. Auf dem nächsten Bild sieht man, wie ich meinen Kopf drehe und wir uns küssen. Und man sieht, dass ich glücklich lächle. Ein wenig. Er hat uns beiden das Foto geschickt. Ich wollte es eigentlich ausdrucken, aber bisher bin ich nicht dazu gekommen. Mein Herz zieht sich bei dem Anblick schmerzend zusammen. Ich vermisse ihn. Aber ich will nicht zu ihm! Ich will, dass er fern von mir bleibt. Was ist mit meinem Herzen schiefgelaufen, dass es sich auch jetzt noch nach ihm verzehrt? Es liegt doch schon in Kleinteilen zu meinen Füßen!

Elisa sieht zu mir. Sofort drücke ich auf den Knopf an der Seite meines Handys und der Bildschirm wird schwarz. Verwundert sieht sie mich an. Ich seufze, stoppe den Film und lasse das Display wieder hell werden. Und ich gebe es ihr. Es zeigt Ezra und mich. Und wir küssen uns.

2. Kapitel

Ezra

„Sag mal, was war das gerade?“, wird er gefragt. Ezra sieht zu Lex und schluckt. „Nichts. Das war nichts“, sagt er und möchte vorbeigehen. Er sieht William und Nevan aus der Tür verschwinden. „Nichts?! Ist das dein Ernst?“, fragt Lex ihn etwas lauter. Er blickt zu Damon und dann wieder zu dem Lockenkopf. „Du kommst nachher zu mir und erklärst mir das mal bitte.“ Dann dreht er sich um und geht. Ezra hingegen trottet in seine Vorlesung. Er weiß gerade nicht, wo ihm der Kopf steht. Keine Sekunde der 90 Minuten in diesem großen Raum konzentriert er sich.

Immer wieder geht er in Gedanken das Geschehene durch. Wie lange William wohl dort gesessen hat? Er kann es nicht beantworten. Aber wieso hat er nicht bemerkt, dass er dort sitzt? Der junge Mann hat es mitbekommen; die Wette zwischen Damon und ihm. Ezra streicht sich die Locken zurück und macht sich auf den Weg zu Lex. Er schreibt William.

Ezra: Wo bist du?

Ezra: Können wir reden?

Ezra: Bitte, lass mir das alles erklären, Igel.

Ezra: Kann ich vorbeikommen?

William liest keine der Nachrichten. Er ruft ihn an. Keiner hebt ab. Ezra rutscht das Herz in die Hose. Er flucht ungern, aber in Gedanken macht er gerade nichts anderes. Es dauert, bis er bei Lex ankommt, aber schließlich steht er vor der Tür seines besten Freundes.

„Komm rein“, murmelt dieser nur und geht zur Seite. Ezra sieht auf die andere Haustür. Er könnte einfach klopfen. Ob William zuhause ist? Bestimmt ist er das. Wo sollte er sein? Oder sind sie zu Nevan gegangen? Nein, das glaubt Ezra nicht. Er hat das Gefühl, William ist kaum mehr als drei Meter von ihm entfernt.

Dennoch betritt er Lex’ Wohnung. Sie setzen sich.

„Willst du es mir erklären?“, fragt der Ältere. Ezra seufzt.

„Das… Lex, das ist alles ein wenig aus dem Ruder gelaufen.“ Es ist nicht die Antwort, die Lex hören wollte. Das steht im auf der Stirn geschrieben.

„Hast du über ihn gewettet oder nicht?“, fragt er geradeheraus. Ezra hasst es. Er nickt. Er hasst es so sehr.

„Du bist ein Arsch“, sagt Lex trocken. Ezra weiß es. Er bleibt stumm. „Ich dachte, es ist egal. Ich meine…“

„Das ist es nicht!“, fährt Lex ihn an. „Es verletzt ihn!“ Lex kann es nicht fassen. „Ich meinte am Anfang die ganze Zeit zu ihm, dass er sich von dir fernhalten soll, Ezra. Ich hatte Angst, dass er dich verletzt. Und jetzt das!“, regt er sich auf.

Lex nimmt sein Handy heraus, als Ezra ihm nicht mehr antwortet. William hat ihm geschrieben. Er seufzt. Einige Minuten später geht er zu William in die Wohnung. Das Shirt liegt wie von ihm beschrieben auf seinem Bett. Als er seine Wohnung betritt, hat Ezra sein Handy am Ohr.

„Ezra! Gib mir gefälligst mein Handy wieder!“, fordert er. Ezra wird fast im gleichen Augenblick weiß wie eine Wand. Wie ein Geist. Er legt das Handy weg und sieht Lex an. Sein Blick ist gebrochen.

„Ezra?“, fragt Lex unsicher und etwas besorgt.

„Er… William…“

Lex setzt sich wieder zu seinem besten Freund. Ezra sieht das Shirt.

„Er wollte, dass ich es dir wiedergebe.“ Ezra sieht ihn an. In seinen Augen schwimmen Tränen. „Er hat es beendet. So ganz.“ Ezras Stimme zittert. Lex nimmt ihm in den Arm. Der Lockenkopf drückt sich gegen ihn und weint. Er kann es nicht unterdrücken. Ezra war schon immer sehr nahe am Wasser gebaut, das weiß Lex. Er hat es oft genug mitbekommen und war oft genug für ihn da. Aber selten hat er ihn so bitterlich weinen gesehen wie jetzt.

„Ich… Ich muss zu ihm“, stottert Ezra und wischt sich die Tränen weg. Auch, wenn das kaum etwas bringt. „Er ist am Bahnhof“, brabbelt er drauflos und schnappt sich sein Handy.

„Er will bestimmt nach Doncaster. Wo fährt ein Zug. Wann muss ich da sein?“

„Ezra“, versucht Lex ihn zu beruhigen, aber er wird ignoriert. Ezra findet eine zeitnahe Verbindung ab King‘s Cross.

„Ezra, bleib hier.“

„Nein! Ich muss zu ihm!“

Lex kann nichts tun. Er versucht es noch einmal, aber da ist Ezra schon zur Tür rausgestürmt.

3. Kapitel

„Wer ist das?“, fragt Elisa verwundert und sieht mich an.

„Ich?“, sage ich, aber es klingt mehr wie eine Frage. „Ach was. Das ist mir schon klar“, sagt sie augenverdrehend. „Ich meinte natürlich, wen du da küsst?“, wiederholt sie ihre Frage präziser. Ich blicke auf das Bild. Meine Hand liegt an seiner Wange. Mein Herz zieht sich schmerzvoll zusammen.

„Uhm… Das… Äh…“, stottere ich und sehe sie nicht an.

„Moment.“ Elisas Augen werden groß und es ist ihr anzusehen, wie ihr Gehirn gerade arbeitet. „Die Frau, von der du erzählt hast, ist keine Frau?“ Ich zucke mit den Schultern.

„Nein?“

„Das klingt, als wärst du dir nicht sicher“, sagt sie trocken.

„Bin ich!“, widerspreche ich sofort.

„Also war es was Ernstes“, stellt sie fest. Ich seufze und lege mein Handy weg. „Ja. Keine Ahnung. Für mich schon.“

„Was hat er gemacht?“, fragt sie mich. „Er… Ich hab mitbekommen, dass er gewettet hat.“

Sie sieht mich fragend an.

„Dass er einen heterosexuellen Kerl verführen und drehen kann.“ Es wird nicht besser; egal, wie oft ich es ausspreche.

Elisa antwortet nicht. Stattdessen zieht sie mich in eine enge Umarmung und drückt mich an sich.

„Och Will. Dann schieß den Kerl in den Wind.“

„So hast du mich jahrelang nicht mehr genannt“, stelle ich belustigt fest. Sie zuckt mit den Schultern. „Egal.“ Ich atme tief ein und wieder aus. „Also ist es okay für dich?“

„Dass ich mit dir über Jungs quatschen kann? Nein, das finde ich absolut beschissen“, antwortet sie augenverdrehend. Sarkastisch sind wir beide viel zu oft.

„Danke, Eli.“

„Willst du es den anderen auch sagen?“, fragt sie mich daraufhin. „Mum weiß es schon“, erwidere ich. „Aber ich weiß nicht, ob die Kleinen es wissen sollen. Sie verstehen es vielleicht noch nicht.“

„Was? Was sollen sie es nicht verstehen?“, fragt sie verwirrt. Ich zucke mit den Schultern. „Dass… ich bi bin. Und Typen mag.“ Ich zögere. Ich mag einen Typen. Ezra. Leider. Immer noch. „Im Prinzip ist es auch egal. Ich hab heute mit ihm Schluss gemacht und ich will nicht mehr zu ihm zurück. Ezra soll mir bloß wegbleiben!“ Es klingt nicht so entschlossen, wie ich erhofft hatte.

„Möchtest du weiter darüber sprechen?“ Ich schüttle den Kopf. „Nein. Ich habe echt keine Lust mehr darauf, dass er ständig in meinen Gedanken ist“, murmle ich. Sie nickt verstehend und der Film läuft weiter.

Am nächsten Tag stehe ich recht früh auf. Ich habe den Kleinen gestern versprochen, sie zur Schule zu bringen. Mum bereitet die Schulbrote vor und ich decke den Frühstückstisch.

„Ich hab es Elisa erzählt“, durchbreche ich die Stille. „Was sagt sie?“

„Dass ich mir Ezra aus dem Kopf schlagen soll“, antworte ich schulterzuckend. „Wer ist Ezra?“ Ich zucke zusammen. Benjamin steht im Türrahmen und sieht mich mit großen, fragenden Kinderaugen an.

„Ein Freund von mir.“

„Was hat er gemacht?“, fragt er direkt weiter. „Mist gebaut“, antworte ich ehrlich. „Und was?“ Ich sehe Benjamin an. Er ist immer so neugierig, anders kenne ich ihn nicht. „Er hat halt Mist gebaut.“

„Hat er sich entschuldigt?“, fragt er mich weiter aus. „Ja, er hat es versucht.“

„Und warum bist du dann immer noch böse auf ihn?“ Verwirrt sieht er mich an, als er sich gesetzt hat.

„Weil er ziemlich viel Mist gebaut hat.“ Benjamin scheint das nach wie vor nicht nachvollziehen zu können. Doch als auch unsere anderen Geschwister den Raum betreten, ist es ihm egal.

Das Frühstück ist so chaotisch, wie immer. Und dann hetzt Mum alle durch das Haus, dass alle noch zeitig ins Bad gehen und sich endlich auf den Weg zur Schule machen.

Die Zwillinge schreiben heute einen Test. Und wie zu erwarten war, sind sie beide nicht vorbereitet. Mia lernt weniger als Benjamin, aber sie merkt sich Dinge schneller. Deswegen meint Benjamin, auch nicht lernen zu müssen und da Mia im Augenblick besonders faul ist, tut Benjamin ebenso wenig. Mum versucht sie zwar dazu zu bringen, ihre Aufgaben zu machen, aber ich kenne das doch selber; selbst die Wand ist interessanter als das Mathebuch, wenn man lernen muss.

„Hi.“ Ein Mädchen kommt auf uns zugelaufen. Sie ist blond und etwa in Benjis Alter. Erst denke ich, dass sie eine Freundin von Mia ist, aber dann umarmt sie meinen kleinen Bruder und drückt ihm einen Kuss auf die Wange. Er verabschiedet sich nicht einmal. Sie laufen zum Gebäude.

„Benji mag sie“, erzählt Mia mir. „Aber er will es nicht sagen.“ Okay wow. Sogar mein kleiner Bruder schafft es, seine Grundschulbeziehung aufrechtzuerhalten.

Ich laufe ein wenig durch Doncaster. Es ist schön, wieder hier zu sein. Mum hat mich gebeten, einkaufen zu gehen. Ich gehe gar nicht erst wieder nach Hause; ich mache es direkt. Es ist viel mehr als das, was ich in London einkaufe. Aber es ist auch ein größerer Haushalt. Ich räume es ein und lasse dabei Musik laufen. Gerade ist niemand hier.

Plötzlich hört die Musik auf und mein Klingelton ertönt. Ich seufze. Schon wieder eine Nachricht. Mir juckt es in den Fingern, nachzusehen, aber ich habe Bedenken, dass sie von Ezra sein könnte. Ich setze mich aufs Sofa und öffne WhatsApp. Es ist Ezra. Ich stöhne genervt. Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Was an den Worten „Ich will nicht, dass du dich meldest“, hat der Kerl eigentlich nicht verstanden? Ob ich sie lesen sollte? Ich weiß, es ist eine schlechte Idee. Ich sollte sie einfach ignorieren, aber ich bin zu neugierig. Ich will wissen, was er geschrieben hat. Irgendwie jedenfalls. Irgendwie auch nicht. Ich habe Angst davor, was er geschrieben hat. Obwohl ich nicht einmal weiß, was es ist. Das ist so bescheuert! Also öffne ich den Chat doch und scrolle hoch zur ersten Nachricht von gestern.

Ezra: Wo bist du?

Ezra: Können wir reden?

Ezra: Bitte, lass mir das alles erklären, Igel.

Ezra: Kann ich vorbeikommen?

Verpasster Anruf

Verpasster Anruf

Ezra: Bitte heb ab.

Ezra: gelöschte Nachricht

Verpasster Anruf

Ezra: Ich möchte dir das erklären, Igel.

Ezra: Ich bin drüben bei Lex. Bist du zuhause?

Ezra: Liest du meine Nachrichten eigentlich?

Verpasster Anruf.

Ezra: Okay, Lex hat mir das Shirt gegeben :(

Ezra: Mir wäre lieber gewesen, dass du es behältst

Ezra: Und du kannst doch nicht einfach Schluss machen!

Ezra: gelöschte Nachricht

Ezra: Bitte lass mich das erklären, Will... das, was ich am Sonntag gesagt habe, meine ich auch so!

Ezra: Da steckt viel mehr hinter! Ich werde dir das alles erzählen, aber antworte mir doch.

Ezra: Wo bist du?

Verpasster Anruf

Ezra: Du bist am Bahnhof, oder? Klang jedenfalls so. Ich bin auf dem Weg. Bitte fahr nicht.

Ezra: Welches Gleis?

Ezra: Okay gefunden. Ich hoffe, du bist noch da.

Ezra: Es tut mir wirklich leid.

Ezra: Du bist wirklich eingestiegen.

Ezra: Du bist einfach weggefahren.

Ezra: Können wir telefonieren? Bitte? Ich weiß, ich soll dich in Ruhe lassen, aber ich kann das jetzt nicht einfach so stehen lassen! Glaubst du, dass mir das egal ist? William, ich will nicht mit dir streiten und ich weiß, dass du angepisst bist, aber bitte lass es mich erklären. Du weißt, ich mag das über WhatsApp nicht sonderlich. Können wir normal miteinander sprechen? Darf ich dich anrufen?

Ezra: Bitte sag mir Bescheid, wenn ich dich wieder anrufen darf. Bitte

Ezra: Ich kann nicht ohne dich schlafen… Ich vermisse dich.

Ezra: gelöschte Nachricht

Ezra: Schläfst du schon?

Ezra: Okay, du antwortest immer noch nicht… Ich weiß nicht einmal, ob du es liest.

Ezra: Meldest du dich, wenn du wieder in London bist? Ich hoffe, du bist gut in Doncaster angekommen…

Ezra: Ich liebe dich, Igel.

Die letzte Nachricht kam heute Morgen. Ich schlucke. Ezra hat mir dutzende Nachrichten geschrieben. Die ganze Zeit über immer wieder. Ich atme tief ein und wieder aus. Dann bemerke ich, dass Ezra online ist.

Ezra: schreibt…

Ezra: Du bist online

Ezra: Keine Ahnung, ob du das hier überhaupt liest, aber hier ist alles scheiße, ohne dich. Komm bitte zurück.

Ezra: Kannst du mir wenigstens sagen, dass du gut angekommen bist? Ich mache mir sonst die ganze Zeit Sorgen um dich.

Arg! Ezra bringt mich noch vollkommen um den Verstand.

Me: schreibt…

Ich höre auf, lösche das Getippte wieder. Ich lege mein Handy weg. Nevan wird ihm in der Mittagspause schon sagen, dass ich gut angekommen bin. Und ich möchte ihm nicht antworten. Sonst denkt er noch, dass ich es mit dem ‚Ich brauche meine Ruhe‘ nicht ernst meine. Ich kann leider nicht verhindern, dass mein Herz auf die Nachrichten von ihm reagiert. Verdammter Dreck! Und ich konnte ohne ihn auch nicht schlafen. Und wenn es Ezra so ergeht wie mir – nein bestimmt nicht. Immerhin wusste er doch, was er tut. Und dass er mich verarscht. Wieso sollte er sich deswegen schlecht fühlen? Wieso sollte er überhaupt etwas fühlen? Ich schalte den Fernseher an. Ich muss mich ablenken.

Das bringt nicht wirklich etwas. Ich überlege hin und her, ob ich Ezra antworten soll. Ehe ich mich entschließe, höre ich, wie die Tür geöffnet wird.

„Will?“ Es ist Benji. „Wohnzimmer“, antworte ich meinem kleinen Bruder nur und sehe auf die Uhr. Doch schon so spät? Benji hat Schulschluss. „Wo ist Mia?“, frage ich ihn verwundert. „Sie ist bei einer Freundin“, antwortet er mir. „Mum weiß das und holt sie nachher ab“, erklärt er mir und setzt sich. „Was schaust du da?“ Ich seufze. „Keine Ahnung.“

„Wie kannst du nicht wissen, was du dir anschaust?“, fragt er mich verwirrt. Ich zucke mit den Schultern. „Meine Gedanken geben mir keine Ruhe“, meine ich. Er sieht mich verwundert an. „Hast du mit diesem Ezra gesprochen?“ Nun bin ich verwundert. „Wie kommst du darauf?“

„Ihr hattet doch Streit. Seid ihr gute Freunde?“ Ich schalte den Fernseher aus und drehe mich zu ihm. „Sehr gute“, nicke ich und lächle traurig. „Aber wieso bist du dann so wütend auf ihn?“, fragt er weiter. „Er hat mich verarscht.“ Ich halte kurz inne. „Benutz dieses Wort erst, wenn du älter bist.“

„Verarscht?“ Ich nicke. „Okay.“ Er zuckt mit den Schultern.

„Warum, was hat er gemacht?“ fragt er weiter.

„Du bist ganz schön neugierig, weißt du das?“ Er grinst. „Das sagt Mum mir auch immer.“ Ein Schmunzeln schleicht sich auf meine Lippen.

„Er hat eine Wette abgeschlossen. Über mich. Das macht man nicht“, erzähle ich ihm. „Deswegen bist du wütend?“

„Und er hat versprochen, etwas mit mir zu machen, aber dann hat er sich doch jemand anderen dafür gesucht“, versuche ich es ihm zu erklären.

„Dann sag ihm dass du das scheiße findest – äh blöd.“ Er sieht mich kurz etwas überfordert an.

„Ich verrate Mum nichts.“

Er atmet erleichtert aus. „Sie will nicht, dass ich so etwas sage.“ Ich kann nicht anders, als zu grinsen. Das hat sie bei mir auch versucht. Hat nicht geklappt. Ganz offensichtlich.

„Hab ich gemacht.“

„Hat er sich entschuldigt?“ Ich seufze. „Weißt du, Benji, manchmal ist es mit einer Entschuldigung nicht getan. Das reicht dann nicht aus. Was Ezra gemacht hat, ist wirklich nicht schön und es tut weh.“

„Aber wenn ich Streit mit meinen Freunden habe, geht das auch wieder weg.“ Ich lächle ein bisschen, aber mein Herz tut immer noch weh. „Ich weiß nicht, ob das überhaupt wieder was wird, Benji.“

„Warum denn nicht?“ Fragend sieht er mich an. „Weil ich ihm nicht mehr vertrauen kann. Ich weiß nicht, ob ich ihn überhaupt richtig kenne.“ Benji scheint es nur mehr oder weniger nachvollziehen zu können. „Weißt du, ich hab ihn eigentlich echt lieb, aber er hat mich angelogen und hintergangen und das ist scheiße.“

„Also seid ihr keine Freunde mehr?“

Ich schüttle den Kopf. Nein. Das sind wir wohl nicht mehr. Auch wenn Benji nicht so ganz versteht, was ich ihm gerade wirklich erzählt habe, geht es mir jetzt ein Stück besser.

Mein Handy vibriert. Ich schaue nicht nach.

„Wer war das?“, fragt Benji. Ich seufze. „Ezra.“ Ich brauche gar nicht drauf zu schauen, um es zu wissen. Es ist einfach ein Gefühl. „Was hat er geschrieben?“, will er wissen. Widerwillig nehme ich mein Handy.

Ezra: Weißt du, ich bin heute ohne dich aufgewacht und es war alles andere als schön. Ich war gestern betrunken. Tut mir leid, dass ich so viele Nachrichten geschickt habe. Es hat nichts gebracht. Ich hab mich nur unfassbar uncool gefühlt. Und ich weiß, dass wir nicht miteinander gesprochen haben, seitdem du gegangen bist. Diese Stille ist ziemlich unangenehm, findest du nicht? Kannst du das bitte beenden und mir antworten? Ich hab Nevan heute gesehen. Er meinte, dir geht es gut. Vielleicht rufst du mich mal an und wir klären das Ganze. E

Ich spanne mich an. Das klingt so sehr nach Ezra. Ich weiß, dass er die Worte nicht einfach nur so heruntergeschrieben hat. Er macht sich bei so etwas immer viele Gedanken. Dass er betrunken war, habe ich vielleicht nur aufgrund seiner Autokorrektur nicht mitbekommen.

„Was schreibt er?“, fragt Benji und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich gebe ihm mein Handy. Er liest die Nachricht.

„Wieso bist du denn immer noch sauer auf ihn?“, fragt er mich unverständlich. „Weil es weh tut“, antworte ich leise. Die Haustür öffnet sich. Beth kommt rein. Verwundert sieht sie uns an.

„Alles gut bei euch?“ Ich nicke schnell und winke ab. Benji aber plappert natürlich direkt drauflos. „William und Ezra haben Streit!“

„Wer ist Ezra?“

„Ein Freund von ihm. Aber er hat sich entschuldigt. William reicht das aber irgendwie nicht.“ Sehr gut zusammengefasst, Benji. Ganz große Klasse!

Ich seufze und stehe auf. „Musst du nicht noch Hausaufgaben machen?“, frage ich Beth.

„Spießer“, brummt sie unzufrieden, verdreht die Augen und verschwindet nach oben.

Es wird Nachmittag und meine Geschwister sind fast alle wieder da. Mum kommt schließlich auch mit Mia dazu. Ich habe in der Zwischenzeit gekocht.

„William?“, fragt sie mich verwundert. Ihr Blick reicht theoretisch, um zu wissen, worum es geht, aber sie spricht es dennoch aus: „Hat Ezra dir das gezeigt?“ Ich hole die frische Lasagne heraus. „Ja“, antworte ich knapp.

„Der Ezra, mit dem du Streit hast?“ Beth setzt sich an den Tisch. Mum sieht mich überrascht an. „Ja, der Ezra“, murmle ich. Die anderen kommen auch dazu.

„Wer ist Ezra?“, fragt Katie verwundert. Wieso lassen sie es nicht gut sein?

Benji brabbelt mal wieder drauflos. Er sagt ihr und Sophie genau das Gleiche, wie vorhin Beth schon. Elisa sieht mich verwundert an. Ich schüttle nur leicht den Kopf. Nein, sie wissen nicht, dass er nicht nur ein Freund war.

„Hat er versucht, dich zu erreichen?“, fragt sie mich so, dass es niemand der anderen direkt hört. Sie sitzt links von mir über Eck. „Ja.“ Ich möchte mein Handy aus der Hosentasche nehmen, aber es ist nicht da. Ich muss es auf dem Sofa liegen gelassen haben. „Er hat mir geschrieben, mich gebeten, ihn zurückzurufen“, fasse ich zusammen.

„Wirst du es tun?“ Ich zucke mit den Schultern. „Ich vermisse ihn, Eli“, sage ich ehrlich. „Aber, ich kann das nicht.“ Sie nickt verständnisvoll. „Nimm dir am besten eine Auszeit“, rät sie mir.

4. Kapitel

Ezra

Er sitzt mit nicht mehr ganz so stark brummendem Schädel an ihrem Stammtisch. Er hat den Pulli an. Er riecht nach William. Ein bisschen jedenfalls. Vermutlich muss er ihn ihm wiedergeben, sobald er wieder in London ist. Er verschickt die nächste Nachricht. Und vermutlich seine Letzte. Er hat gestern definitiv zu viel getrunken. Und so viele Nachrichten geschrieben. Und nun nimmt er sich vor, seinem Igel wirklich den Freiraum zu geben, nach dem er gebeten hat. Nein, nicht seinem Igel. Schmerzend denkt er danach, dass er kein Recht mehr hat, ihn so zu nennen. Es tut weh. So richtig.

Nevan blickt ihn musternd an. „Hast du ihn wieder angerufen?“ Ezra schüttelt den Kopf. „Ich hab ihm geschrieben. Oft“, gibt er zu. Nevan seufzt. „Du hättest dich nicht so volllaufen lassen sollen. Und schon gar nicht allein.“

„Ich war nicht allein.“ Nevan sieht ihn skeptisch an. „Die Barkeeperin zählt nicht. Und das macht es nicht besser.“ Ezra wirft Nevan einen genervten Blick zu. „Glaubst du echt, ich angle mir sofort die Nächste?“ Da reicht es Nevan. Er ist sonst ruhig und gefasst, aber inzwischen geht ihm die ganze Situation gehörig auf den Geist.

„Weißt du, Ezra, du machst es nicht besser! Du betrügst ihn, du hast um ihn gewettet und da fällt dir nichts Besseres ein, als dich zu betrinken! Das ist so beschissen! Hast du mal daran gedacht, wie dreckig es William dabei geht?! Er hat sich dir geöffnet, sich auf etwas für ihn vollkommen Neues eingelassen und damit meine ich eine Beziehung und deinen Schwanz! Und du Idiot gibst ihm nicht einmal 24 Stunden, damit er sich ein paar Gedanken darüber machen kann? Du hast vielleicht schon Erfahrung mit so etwas, aber er nicht! Er weiß nicht, wie er damit umgehen soll und du setzt ihn einfach weiter unter Druck!“ Nevan ist inzwischen laut geworden. Es regt ihn auf. Einige Studenten sehen zu ihnen. Lex und Andy sehen Nevan erstaunt an. Sie haben damit ebenso wenig gerechnet wie Ezra.

Er schluckt. „Ich habe ihn nicht betrogen.“

„Deswegen küsst du auch eine andere“, sagt Nevan und lacht bitter.

„Du hast was?“, fragt Lex mit großen Augen.

„Ich hab niemanden geküsst!“, widerspricht Ezra nun aufgebracht. „Ich weiß nicht, wen er da gesehen hat, aber ich habe seit Wochen nur ihn geküsst!“ Nevan schüttelt den Kopf. „Er meinte, er hätte dich gesehen. Mit einer Frau.“ Ezra stöhnt genervt. „Das kann aber nicht sein! So etwas würde ich nicht machen. Wieso glaubt er mir das nicht?“

Nun verdreht auch Andy die Augen. „Vielleicht, weil du eine Wette über ihn abgeschlossen hast? Da ist doch klar, dass er dir nicht mehr vertraut“, meint er und Ezra sackt in sich zusammen. Er weiß, dass Andy recht hat. Wie soll er William das erklären? Kann er das überhaupt? Und wie kann er ihm beweisen, dass er ihn nicht betrogen hat? Dass er ihm noch vertrauen kann? Ezra sieht verzweifelt auf sein Handy. Vorhin stand dort kurzzeitig, dass William etwas schreibt, aber es ist nie eine Nachricht angekommen. Und Ezras Herz hat einen gewaltigen Knacks gemacht.

5. Kapitel

„Du hast dein Handy liegenlassen.“ Benji kommt zu mir.

„Solltest du nicht schon längst schlafen?“, frage ich ihn schmunzelnd. In dem Augenblick kommt Mum ins Wohnzimmer und sieht meinen kleinen Bruder mahnend an.

„Aber -“

„Kein Aber. Ins Bett mit dir“, sagt sie mit liebevoller Strenge. Benji seufzt genervt, drückt mir mein Handy in die Hand und stapft zurück in sein Zimmer.

Elisa und Beth sitzen noch bei mir auf dem Sofa und nun kommt auch Mum dazu. Troy kommt wohl gleich irgendwann dazu. Er muss noch wegen der Arbeit telefonieren. „Lass es einfach ein paar Tage ausgeschaltet“, schlägt Mum vor. Ich sehe auf das schwarze Display. Dann schalte ich es tatsächlich ab. Mum hat recht. Das wird mir nicht schaden, wenn ich mal einige Tage offline bin. Ich werde Ezras Nachrichten so nicht sehen. So schlecht klingt das gar nicht. Dann habe ich vielleicht endlich nicht mehr den Gedanken, ihn doch anzurufen, nur um mein Herz weiter zu zerdeppern.

„Wer ist eigentlich dieser Ezra?“, fragt Beth dann. „Hat Benji das nicht schon erzählt?“, murre ich. Sie seufzt und blickt mich an. Sie sitzt neben mir. Elisa neben ihr. Die Älteste meiner Schwestern sieht mich unschlüssig an. Ich zucke mit den Schultern. „Er ist – war ein guter Freund von mir. Und er hat mich verarscht“, fasse ich zusammen. Beth ist skeptisch. „Und deswegen bist du hergekommen?“ Verwundert sehe ich sie an. Sie verdreht aber nur die Augen. „Du kommst ganz plötzlich, ohne Ankündigung nach Doncaster zurück. Nachdem du Streit mit diesem Ezra hattest. Das kannst du den Zwillingen erzählen, aber doch nicht mir.“

Und mal wieder habe ich vergessen, wie groß auch sie schon geworden ist.

„Was hat er gemacht?“

Ich sehe zur Seite. „Gewettet. Über mich.“ Mum legt eine Hand auf meine Schulter. Sie sitzt auf der anderen Seite neben mir. Im Hintergrund läuft noch der Fernseher, aber keiner von uns schenkt der Flimmerkiste gerade Aufmerksamkeit. Sie lächelt mich ermutigend an. „Will?“, fragt Beth bedachter und sieht mich besorgt an. Ich mag es nicht, wenn meine Geschwister mich so geknickt oder verletzt sehen; das mochte ich noch nie.

Aber Beth ist alt genug, um es zu verstehen. Hoffe ich. Ich merke, dass sie unsicherer wird. Sie weiß nicht, was sie sagen soll. „Er war kein Freund, Beth“, sage ich etwas leiser und zupfe an dem Stoff des Sofas. Ich sitze hier im Schneidersitz und blicke auf den Sofatisch vor mir.

„Aber Benji meinte doch…“

Ich schüttle den Kopf und sie verstummt. „Ich hab ihm doch nicht alles erzählt! Er ist viel zu jung“, merke ich an. Sie nickt verstehend.

„Ich habe ihn gesehen.“ Ich atme tief ein und wieder aus. „Mit einer Frau.“

Verwirrt sieht sie mich an. „Und jetzt?“

„Er hat sie geküsst, Beth“, sage ich. Sie braucht einen Augenblick. Dann werden ihre Augen groß. Man kann ihr praktisch ansehen, wie ihr Gehirn gerade arbeitet.

„Der Ezra, du liebst ihn?“ Ich spanne mich an, muss aber nicken. Es wäre gelogen, es nicht zu tun.

„Ja. Tue ich. Wir waren zusammen“, sage ich ihr. Sie lächelt traurig. „Das tut mir leid, William…“ Sie ist vollkommen ehrlich. Und sie scheint es ebenso wenig zu stören, wie Mum und Elisa. Erleichtert atme ich aus. Sich zu outen, wird tatsächlich einfacher.

„Ich vermisse ihn“, sage ich nach einiger Zeit ehrlich. „Ich will zu ihm. Aber auch wieder nicht. Weil er ein Arschloch ist!“, sage ich angepisst. Er nervt mich. Meine Gefühle nerven mich. Dieser Druck auf meinem Herzen nervt mich. Es ist einfach alles scheiße.

„Aber wenn er dich doch betrogen hat“, beginnt Beth.

„Ich kann meine Gefühle nicht abstellen“, werfe ich ein. „Es tut scheiße weh und trotzdem will ich glauben, dass er die Wahrheit gesagt hat; dass er mich liebt. Aber das tut er nicht. Und ich brauche Abstand. Ich kann ihn nicht einfach jeden Tag sehen und so tun, als wäre nicht passiert.“

Beth steht, ohne ein Wort zu sagen, auf und geht aus dem Wohnzimmer. Verwundert blicke ich ihr nach. Als sie einen Augenblick später jedoch mit zwei Tafeln Schokolade wiederkommt, lächle ich ein wenig. Sie drückt mir eine in die Hand. Hier ist es auch kein Geheimnis, dass ich süchtig nach dem Zeug bin. Ich breche das erste Stück ab und schiebe es mir in den Mund. Schokolade hilft ja doch immer ein bisschen.

Mein Handy bleibt auch am nächsten Tag ausgeschaltet. Es tut mir wirklich gut. Ich laufe durch die Stadt, nachdem ich Benji und Mia zur Schule gebracht habe.

„William?“ Verwundert drehe ich mich um. „Hi“, antworte ich lächelnd. „Was machst du hier? Ich dachte, du wohnst jetzt in London?“, fragt Matt mich. Ich zucke mit den Schultern. „Ich bin nur für ein paar Tage hier. Und was machst du so?“

„Ich muss eine Bestellung abholen“, antwortet er mir. Wir gehen weiter. Wir haben uns lange nicht gesehen und es leider nicht geschafft, den Kontakt zu halten. Matt und ich sind zusammen zur Schule gegangen und haben wir uns auch immer gut verstanden.

„Ich bin inzwischen in einem anderen Studio“, erzählt er mir, nachdem ich ihm auf seine Ausbildung angesprochen habe. „Es ist viel besser dort; bessere Atmosphäre und ein echt cooler Chef“, meint er grinsend. Er macht eine Ausbildung bei einem Piercer. Sein Ziel ist es, irgendwann sein eigenes Studio zu besitzen. Und auch wenn das noch einige Zeit dauern wird, glaube ich daran, dass er es schafft.

„Wie läuft es in London?“, fragt er mich. „Alles gut. Uni halt“, antworte ich. „Und es ist groß und laut.“

Er lacht. „Was hast du bei London auch anderes erwartet?“

Er erzählt mir ein wenig über all das, was in der Zeit geschehen ist, seitdem ich weg bin. „Erstaunlich viele sind dann doch in Donny geblieben“, meint er. Die meisten aus unserer Stufe haben gesagt, sie wollen raus aus der Stadt, woanders hin, aber anscheinend ist es doch anders gekommen.

„Sonst hat sich nicht viel geändert. Charly ist immer noch mit Mary zusammen und Isabel hat sich auch nicht wirklich verändert. Hast du von ihr eigentlich mal wieder was gehört?“ Ich schüttle den Kopf. „Kein Stück. Aber um ehrlich zu sein, juckt mich das auch nicht. Du weißt, dass wir nicht mehr viel miteinander zu tun hatten.“ Er nickt verstehend. „Auf jeden Fall steht sie jetzt angeblich auf Charly. Aber wir wissen ja beide, dass der Kerl absolut treudoof ist. Und ich finde auch, dass er nicht zu Issy passt. Er ist viel zu lieb für sie. Er würde ihr wie ein Hündchen hinterher dackeln.“ Ich fange an zu lachen. Matt hat es auf den Punkt gebracht. Isabel und Charly… Komische Kombination. Nein, er ist nicht tough genug für sie, da gebe ich ihm vollkommen recht.

„Du hast nicht zufällig noch Zeit, mit mir die Kisten zum Studio zu bringen?“, fragt er mich, als wir bei der Postfiliale ankommen. „Doch, klar“, antworte ich schulterzuckend und nehme mir eine Kiste. Er selbst trägt zwei. Er ist größer als ich. So groß wie Ezra etwa.

„Das Auto ist seit einer Woche kaputt und der Postbote hat mal wieder nur einen Zettel dagelassen, anstatt zu klingeln“, beschwert er sich. Ich seufze. „Das kenne ich nur zu gut. Der Postbote in London kann die Namen Lewis und Moore nicht unterscheiden.“ Belustigt blickt Matt mich an. „Dein Ernst?“ Ich nicke. „Ja, so habe ich Lex kennengelernt.“

„Du hast dir schon Ersatz für mich gesucht?“, fragt er eingeschnappt, aber grinst dabei. „Ich lebe seit zehn Monaten in London!“, rechtfertige ich mich.

„Und gibt es sonst was zu erzählen?“ Er zieht eine Augenbraue hoch und sein Unterton verrät schon, in welche Richtung die Frage geht. Ich schüttle den Kopf. „Nichts von Bedeutung. Was ist mit dir?“ Er seufzt. „Nur was Kurzes.“

„Aha?“

Er spannt sich an. „Was? So schlimm?“, frage ich ihn amüsiert.

„Mit Isabel“, sagt er entschuldigend. „Was?“, frage ich perplex und entgeistert. „Dein Ernst?“ Er nickt. „Ja. Keine Ahnung. Hat nicht lange gehalten. Nur einige Wochen.“

„Und dann?“

Er blickt mich an. „Das fragst du noch?“

„Schon wieder?“ Er seufzt und nickt. „Allerdings.“

Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Ich hätte mich erst gar nicht auf sie einlassen sollen. Im Nachhinein war es schlichtweg dämlich.“

„War da denn mehr?“, frage ich nach. „Nicht wirklich. Also nichts, was ich als tiefgehende Gefühle bezeichnen würde“, sagt er abwertend. „Und inzwischen ist mir das auch echt egal. Soll sie doch machen, was sie will.“

Wir kommen beim Studio an. Er geht vor und wir betreten das Lager. „Wie lange bleibst du?“ fragt er mich. „Bis Sonntagmorgen.“

„Siehst man sich nochmal?“

Ich grinse. „Ich hoffe doch.“

„Dann sage ich den anderen Bescheid! Wir gehen Freitagabend raus. So wie früher!“, beschließt er euphorisch. Ich fange an zu lachen. „Das wird eine Katastrophe!“ Er grinst. „Ich weiß. Wenn wir beide dabei sind, doch sowieso.“ Dazu muss erwähnt werden, dass es sie besten Abende waren, als die Truppe komplett war. Und auch wenn am Freitag nicht alle dabei sein werden, freue ich mich darauf.

„Nimmst du dein Handy vielleicht doch mit?“, fragt Mum mich. Ich bin schon fast aus dem Haus. Ich nicke und laufe zurück in mein altes Zimmer. Es hat sich kaum etwas geändert. Ich habe immer noch mein altes Bett hier stehen und die Fußballpokale von meinem alten Verein. Ich nehme es und schalte es an. Ich hatte es zwischenzeitig am Ladekabel hängen, aber auch nur, weil ich Sonntag Akku haben wollte.

„Bleibst du lange weg?“

„Mum, ich bin keine sechzehn mehr“, schmunzle ich. „Hast ja recht.“ Sie seufzt. „Pass trotzdem auf dich auf. Und sei nicht zu laut, wenn du betrunken die Treppe hoch fällst.“ Ich fange an zu lachen. „Werde ich nicht.“ Nicht, dass das nicht bereits passiert wäre.

„Viel Spaß“, lächelt sie. Ich nehme mir mein Portemonnaie und gehe aus dem Haus. Es ist nicht weit bis zu unserer alten Stammkneipe. Ich bin innerhalb einer Viertelstunde da.

„William!“ Charly kommt auf mich zugelaufen und „Hey Charles.“ Er verdreht die Augen. Ich habe ihn schon früher immer so genannt. „Hey Mary.“ Ich umarme sie kurz. Auch Matt und Steven sind schon da. Beide begrüßen mich. „Jules kommt gleich nach“, meint Steven „Sie schafft es nicht früher.“

Es ist halb neun und wir betreten die Kneipe.

„William?“ Ich sehe zur Bar. „Connor! Hi“, grinse ich. Er kommt zu uns. „Das Übliche?“ Er sieht durch die Runde. Sie stimmen zu. Dann sieht er zu mir. „Für dich auch?“

„Immer doch.“

Connor hat hier schon gearbeitet, als wir noch zur Schule gegangen sind. Er ist ein paar Jahre älter als wir und wir verstehen uns ziemlich gut mit ihm.

„Also was ist so passiert?“, fragt Steven mich. „Nichts von Bedeutung“, sage ich schulterzuckend. „Ich studiere halt. So spannend ist das nicht.“

„Aber in London!“