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Ben Kryst Tomasson

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Beschreibung

Möwen, Strand und eine tote Galeristin.

Als in einer Galerie auf Sylt ein gefälschter Chagall auftaucht, vermutet die Polizei, dass ein Fälscherring auf der Insel sein Unwesen treibt. Kari Blom soll undercover in der Kunsthandlung ermitteln. Doch die Hauptverdächtige, Galeristin Kerstin Fromme, wird kurz nach Karis Ankunft ermordet. Die Landarztwitwe Witta Claaßen, die selbst erst kürzlich ein Bild in der Galerie erstanden hat, mischt sich mit ihren Freundinnen in die Ermittlungen ein – ob Kari will oder nicht ...

Ein neuer Fall für die liebenswerte Undercover-Ermittlerin Kari Blom.

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Über Ben Kryst Tomasson

Ben Kryst Tomasson, geboren 1969 in Bremerhaven, ist Germanist und Pädagoge (M.A.) und promovierter Diplom-Psychologe. Er hat einige Jahre in der Bildungsforschung gearbeitet, ehe er sich als freier Autor selbständig gemacht hat. Tomassons Leidenschaft gehört den Geschichten, die das Leben schreibt, den vielschichtigen Innenwelten der Menschen und dem rauen Land zwischen Nordsee und Ostsee. Wenn er nicht schreibt, verbringt er seine Zeit am liebsten mit einem guten Buch am Meer – oder mit seiner Frau im Café.

Im Aufbau Taschenbuch liegen seine Romane »Sylter Affären«, »Sylter Intrigen«, »Sylter Blut« und »Sylter Gift« vor.

Informationen zum Buch

Möwen, Strand und eine tote Galeristin.

Als in einer Galerie auf Sylt ein gefälschter Chagall auftaucht, vermutet die Polizei, dass ein Fälscherring auf der Insel sein Unwesen treibt. Kari Blom soll undercover in der Kunsthandlung ermitteln. Doch die Hauptverdächtige, Galeristin Kerstin Fromme, wird kurz nach Karis Ankunft ermordet. Die Landarztwitwe Witta Claaßen, die selbst erst kürzlich ein Bild in der Galerie erstanden hat, mischt sich mit ihren Freundinnen in die Ermittlungen ein – ob Kari will oder nicht.

Ein neuer Fall für die liebenswerte Undercover-Ermittlerin Kari Blom

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Ben Kryst Tomasson

Sylter Lügen

Kriminalroman

Inhaltsübersicht

Über Ben Kryst Tomasson

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Impressum

1.

Mit der rechten Hand rückte sie ihre weiße Dauerwelle zurecht. Mit der Linken drückte sie die Klinke der Ladentür hinunter. Ein gefälliges Läuten ertönte, das allerdings im Stimmengewirr aus dem Verkaufsraum beinahe unterging. Trotzdem bemerkte man sie sofort. Kerstin Fromme drängte sich zwischen den zahlreichen Besuchern hindurch und kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.

»Frau Claaßen! Wie schön, dass Sie es geschafft haben!«

Sie schüttelte Witta die Hand und winkte einen Mann heran, der ein Tablett mit Sektgläsern bereithielt. »Einen Prosecco?«

»Ja, gern.« Witta nahm sich ein Glas. Der Mann lächelte sie an. Er war jung, Anfang oder Mitte dreißig vielleicht, trug enge schwarze Jeans und ein ebenfalls enganliegendes schwarzes Hemd. Seine blonden Haare hingen ihm ins Gesicht.

»Das ist Sören«, stellte Kerstin Fromme ihn vor. »Er wird Sie später ein wenig herumführen.« Sie warf einen Blick auf die goldene Uhr an ihrem Handgelenk. »Für mich wird es jetzt Zeit.« Sie legte Witta kurz die Hand auf den Arm. »Ich wünsche Ihnen viel Spaß.«

»Danke.« Witta nippte an ihrem Glas und sah zu, wie sich Kerstin Fromme zwischen den Gästen hindurchbewegte und hinter ein kleines Pult trat, auf dem einige Zettel und eine Lesebrille bereitlagen. Sie hatte eine Weile mit sich gerungen, ob sie die Einladung annehmen sollte. In den letzten Jahren tat sie selten etwas ohne ihre Häkelfreundinnen, abgesehen von den Treffen im Rotary Club, in dem ihr verstorbener Mann Mitglied gewesen war. Von dort kannte sie auch Kerstin Fromme. Doch als sie sich jetzt umschaute, war sie froh. Es tat gut, sich wieder einmal unter kultivierten und gut gekleideten Menschen zu bewegen.

Sie selbst trug ihr bestes Kleid, lang und aus einem weich fallenden grüngrauen Seidenstoff gefertigt, dazu die flaschengrünen Pumps und die kostbare Perlenkette, die ihr Wilhelm zur Goldenen Hochzeit geschenkt hatte. Außerdem war sie am Morgen bei ihrer Friseurin gewesen und hatte ihre Dauerwelle neu legen lassen.

Der Mann, der den Prosecco verteilt hatte, kam wieder auf sie zu, diesmal ohne das Tablett.

»Möchten Sie sich vielleicht setzen?«, fragte er höflich und deutete auf die beiden Stuhlreihen, die direkt vor dem Rednerpult aufgebaut worden waren. »Kerstin hat einiges zu sagen, und anschließend werden Sie noch lange genug herumstehen, wenn Sie sich alles ansehen wollen.«

Witta wollte protestieren, dass sie zwar alt, aber keinesfalls gebrechlich war, doch dann überlegte sie es sich anders. Die wenigen Sitzplätze waren sicher für die Honoratioren vorgesehen, und wenn man sie dort unterbrachte, war das eine Ehre.

»Gern«, erwiderte sie deshalb und ließ sich von Sören, der galant eine Hand an ihren Ellenbogen legte, nach vorne führen. Eine richtige Entscheidung, wie sie gleich darauf feststellte, denn der Bürgermeister und der Leiter der Stadtverwaltung, die sie beide aus dem Rotary Club kannte, setzten sich neben sie. Sie plauderte ein wenig mit ihnen, bis Kerstin Fromme auf ihr Pult klopfte und um Ruhe bat.

Witta wandte ihr den Kopf zu und wartete gespannt. Von einer Sensation hatte Kerstin Fromme gesprochen, als sie Witta zu der Veranstaltung eingeladen hatte, ihr aber nicht verraten, worum es sich handelte.

Die große, schlanke Frau mit dem schmalen Gesicht und den hohen Wangenknochen setzte die Brille auf, legte ihre Hände auf die Ecken des Rednerpults und sah sich im Raum um. Die langen braunen Haare hatte sie zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt, die von einem goldenen Band zusammengehalten wurde.

»Es geschieht nicht oft in unserer Branche, dass man eine großartige Entdeckung macht«, begann sie, nachdem sie alle Anwesenden begrüßt und die Ehrengäste namentlich vorgestellt hatte. Insgesamt, schätzte Witta, die sich ein paar Mal umgesehen hatte, mochten es an die siebzig, achtzig Personen sein, die sich im Raum drängten.

»Dieses Mal allerdings«, fuhr Kerstin Fromme fort, »hat mein Mann Kay auf seiner Russlandreise Schätze entdeckt, von denen wir nicht einmal zu träumen gewagt hätten.«

Sie winkte einen Mann heran, der wie der blonde Angestellte schwarz gekleidet war und eine enge Jeans und einen dünnen Rollkragenpullover trug. Während das Publikum höflich applaudierte, betrachtete Witta ihn genauer. Er war groß, schlank und sehr attraktiv. Die schwarzen Haare waren modisch geschnitten, hinten kurz, oben länger und aus der Stirn zurückgekämmt. Sein Gesicht bestach mit dunklen Augen, einer schmalen Nase und einem kantigen Kinn, das in der Mitte eine kleine Kerbe hatte. Witta erinnerte sich, dass sie ihn bereits einmal gesehen hatte, als Kerstin Fromme ihren neuen Lebensgefährten mit in den Rotary Club gebracht hatte. Vor gut drei Jahren war das gewesen, kurz bevor die beiden geheiratet hatten. Es hatte einiges Getuschel und eine Menge Häme gegeben, denn Kay Fromme war ganze zwölf Jahre jünger als seine Frau. Natürlich hielt man sich bei den Rotariern mit bissigen Bemerkungen zurück, doch Witta hatte in den Augen einiger älterer Herren gelesen, dass sie dieses Arrangement für unschicklich hielten. Auch Witta selbst war zunächst irritiert gewesen, doch Kerstin Fromme hatte betont, dass sie sich von Kays Intellekt und Sachverstand angezogen fühlte, nicht von seinem jungen Alter. Und ihr Geschäft, das zuvor eher schleppend gelaufen war, florierte in der Tat, seit Kay als Einkäufer für sie tätig war.

Die Galeristin hob die Hand. »Et voilà«, sagte sie.

Kay Fromme lächelte. Dann zog er mit Schwung das schwarze Tuch von der Staffelei, die neben dem Pult stand, und enthüllte ein Gemälde, das eine Frau zeigte, die schwerelos zwischen einem Fisch und einem Ziegenbock zu schweben schien.

Der Hintergrund war in kräftigem Blau gehalten. Das Kleid der Frau war rot, der Ziegenbock grün. Die puppenhaft anmutenden Gliedmaßen der Frau und das ausdrucksvolle Auge der Ziege erinnerten Witta an Bilder, die sie in verschiedenen Kunstmuseen gesehen hatte, aber sie hätte es nicht gewagt, ihre Vermutung auszusprechen. Doch zu ihrer Überraschung bestätigte Kerstin Fromme sie.

»Es handelt sich hier um eine Vorarbeit zu dem Werk Der blaue Zirkus von Moische Chazkelewitsch Schagal, uns allen besser bekannt als Marc Chagall. Das Bild befindet sich im Besitz der Tate-Galerie.«

Ein Raunen ging durch den Raum, an einigen Stellen wurde aufgeregt getuschelt. Der blonde Angestellte Sören trat an einen Tisch, auf dem ein Laptop stand, und im nächsten Moment wurde der Chagall auf die Leinwand hinter dem Rednerpult projiziert.

»Wie Sie sehen, finden sich auf dem endgültigen Werk zusätzlich zu Fisch und Ziege noch ein Huhn und ein stilisierter Mond«, erläuterte Kerstin Fromme. »Die Ähnlichkeit zu diesem Bild hier«, sie zeigte auf die Staffelei, »ist indessen unverkennbar. Es stammt aus dem Nachlass eines alten Studienfreundes Chagalls in St. Petersburg.«

Die Unruhe im Raum nahm zu, einige Gäste konnten sich nicht zurückhalten und ließen ihren Emotionen freien Lauf. »Phantastisch!«, rief jemand enthusiastisch. »Völlig unmöglich!«, sagte ein anderer.

Kerstin Fromme hob die Hände.

»Selbstverständlich werden wir das Bild von Experten analysieren lassen, ehe wir es zum Verkauf anbieten. Doch ich bin zuversichtlich, dass wir es hier tatsächlich mit einem echten Chagall zu tun haben.«

Sie wartete, bis wieder Ruhe eingekehrt war.

»Das allein wäre schon ein Grund zum Feiern«, fuhr sie dann fort. »Aber Kay hat eine weitere Entdeckung gemacht, die eine beinahe noch größere Sensation ist.« Sie vollführte eine Handbewegung, die den gesamten Raum einschloss. »Er ist bei den Nachfahren eines Malers aus St. Petersburg auf eine ganze Sammlung von Bildern gestoßen, die dieser aus nicht näher bekannten Gründen niemals der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Der Name des Künstlers ist Sergej Vyacheslaw Shadoof. Dem Stil und der Entstehungszeit nach sind seine Bilder der Petrograder Avantgarde zuzurechnen, deren bekannteste Vertreter Wassily Kandinsky und Kasimir Malewitsch sind, der Erfinder des Suprematismus. Wie Sie sicherlich bemerken, ist die Ähnlichkeit unserer heutigen Ausstellung zu den Werken von Malewitsch kaum zu übersehen. Auch in diesem Fall ist die Echtheit der Bilder noch nachzuweisen, doch ich gehe davon aus, dass wir hier einen einmaligen Schatz erworben haben, der exklusiv in der Galerie Fromme vertrieben wird.«

Witta ließ ihren Blick rasch über die Werke an der Wand huschen. Kandinsky kannte sie selbstverständlich, Malewitsch dagegen war ihr kein Begriff. Sie wusste auch nicht so recht, ob ihr die Bilder gefielen. Aber wenn sie tatsächlich so einmalig waren, wie Kerstin Fromme behauptete, musste sie eines davon haben. Es wäre sicher eine gute Geldanlage. Und darüber hinaus könnte sie ihre Häkelfreundinnen mächtig beeindrucken.

2.

Sechs Wochen später

Der Raum war dunkel. Die Wände um sie herum leuchteten in einem satten Blau, wie in den Tiefen des Ozeans. Die Informationstexte waren in weißer Schrift gestaltet. Finja studierte sie aufmerksam, während Jasper ein Fischskelett bestaunte, das in einer Plexiglassäule zu schweben schien.

Karolina Dahl und Jonas Voss standen Hand in Hand hinter Finja und lasen ebenfalls den Text, der sich mit dem Thema Ozeanzirkulation beschäftigte. Dann folgten sie Jonas’ Tochter zu den weiteren Schautafeln, die sich mit Überfischung, Meeresspiegelanstieg und Ozeanversauerung beschäftigten. Zwischendurch tauschten sie ein kleines Lächeln.

Es war Karis Idee gewesen, mit den Kindern ins Zoologische Museum in Kiel zu gehen, weil sich Finja nach wie vor sehr für alles interessierte, das mit Umwelt und Naturschutz zu tun hatte. Sie hatte gehofft, damit endlich einen Zugang zu dem Mädchen zu finden. Finja war mittlerweile sechzehn. Sie hatte akzeptiert, dass Jonas und Kari ein Paar waren und ihre Eltern nie wieder zusammenkommen würden, doch es fiel ihr immer noch schwer, sich damit abzufinden.

Tatsächlich schien Kari ins Schwarze getroffen zu haben. Obwohl sie seit fast zwei Stunden hier waren, hatte es noch keine einzige giftige Bemerkung von Finja gegeben, wie es sonst bei den wenigen gemeinsamen Aktivitäten häufig der Fall war. Stattdessen ging Jonas’ Tochter systematisch durch die Ausstellung, schweigend und mit einem konzentrierten Gesichtsausdruck. Ihre einzige Regung bestand darin, dass sie gelegentlich ihre halblangen dunklen Haare zurückstrich.

Jasper hatte sich inzwischen von dem Fischskelett gelöst und kam mit schnellen Schritten auf Jonas und Kari zu. Für seine dreizehn Jahre war er immer noch jungenhaft und klein. Die Pubertät schien bei ihm mit einiger Verspätung einzusetzen, doch Kari wusste, dass Jonas froh darüber war. Jasper war fröhlich und unkompliziert, während Finja oft schwierig und viel zu ernst für ihr Alter war.

»Das ist cool hier«, erklärte Jasper. »Aber ich will noch in den Raum mit den Zähnen.«

Finja drehte sich zu ihnen um. Zu Karis Überraschung lächelte sie. »Ja, ich auch«, sagte sie und schaute Kari an. »Ich habe zuhause schon etwas darüber im Netz gelesen. Es ist eine Ausstellung, die auch für Blinde und Sehbehinderte konzipiert ist. Man darf alle Exponate anfassen.«

»Genau.« Jasper grinste. »Am besten macht man dafür die Augen zu. Dann ist es richtig schön gruselig. Da sollen nämlich auch ein paar echt extreme Tierzähne dabei sein, stand auf der Seite.«

Voss blinzelte ihm zu. »Na, dann.«

Finja und Jasper liefen los. Kari und Jonas folgten ihnen gemächlich.

»Was machen wir, wenn wir hier fertig sind?«, fragte Jonas. »Eine leckere Pizza im Heinrich VIII? Oder lieber einen Burger mit Süßkartoffelfritten bei diesem Briten? Wie hieß der noch?«

»John.« Kari spürte, wie ihr das Wasser im Mund zusammenlief. Normalerweise bevorzugte sie leichte Kost, aber die Gerichte im John’s Burgers waren einfach zu lecker. Finja allerdings würde mit der Wahl des Lokals nicht einverstanden sein. Sie ernährte sich seit einiger Zeit vegetarisch, den Tieren sowie ihrer Figur zuliebe, auch wenn letzteres absolut nicht nötig war.

»Lass uns lieber ins El Sombrero gehen«, schlug sie deshalb vor. »Da findet Finja auch etwas.«

Jonas legte ihr einen Arm um die Schultern. »Du hast recht. Ich vergesse es tatsächlich immer wieder. Aber ich werde Finja sagen, dass du daran gedacht hast.«

»Lass es lieber.« Kari blieb stehen, drehte sich zu ihm und nahm seine beiden Hände in ihre. »Es wird nicht leichter, wenn du ständig versuchst, Finja klarzumachen, wie gut sie es mit mir als Mutterersatz getroffen hat.«

»Aber es ist wahr.« Jonas’ braune Augen schauten sie warm an. Das war dieser Blick, in den sie sich spätestens bei ihrer ersten richtigen Verabredung verliebt hatte, damals, am Roten Kliff …

Ehe sie weiter in ihren Erinnerungen und in Jonas’ Augen versinken konnte, klingelte ihr Smartphone. Sie zog es aus der Tasche und hörte zu, was der Anrufer zu sagen hatte.

»Tut mir leid«, wandte sie sich an Jonas, nachdem sie das Gespräch beendet hatte. »Wir müssen unseren Ausflug abbrechen.«

»Kriminalrat Lund?«, fragte ihr Freund, der diese Störungen mittlerweile kannte.

»Ja.« Kari hob bedauernd die Schultern. Normalerweise erfasste sie ein Prickeln, wenn ihr Chef verkündete, dass er einen neuen Auftrag für sie hatte, insbesondere, wenn er so geheimnisvoll tat wie gerade eben am Telefon. Aber in diesem Moment hätte sie einiges dafür gegeben, auch den Rest des Tages mit Jonas’ Kindern im Zoologischen Museum verbringen und anschließend mit ihnen essen gehen zu können.

Voss ließ sie los. »Ist schon okay. Wir amüsieren uns eben allein weiter. Vielleicht kannst du ja später wieder dazukommen, wenn wir zum Mexikaner gehen.«

Kari hüstelte. »Die Sache ist die: Ole will nicht nur mich sehen. Er hat darum gebeten, dass wir beide zu ihm ins LKA kommen.«

»Ach so?« Voss schaute ratlos den Gang entlang, auf dem Jasper gerade mit deutlich mehr Tempo als in einem Museum üblich auf sie zusauste. Finja folgte langsamer in entsprechendem Abstand.

»Wo bleibt ihr denn? Wollt ihr die coolen Zähne nicht sehen?«, fragte der Junge.

Voss fuhr ihm durch die Locken. »Doch, würden wir gerne. Aber Kari hat gerade einen Anruf von ihrem Chef bekommen. Er will mit uns sprechen. Jetzt.«

Jaspers blaue Augen leuchteten. »Ein neuer Fall?«, fragte er und strahlte Kari an. »Ermittelst du wieder undercover auf Sylt?«

Kari musste über seine Begeisterung lachen. Für Jasper war ihr Beruf ein einziges großes, faszinierendes Abenteuer, weitaus spannender als die Untersuchungen seines Vaters. Finja dagegen hatte sich noch nie dazu geäußert. Kari konnte nur mutmaßen, dass sie ihren Job eher zwielichtig fand.

»Ich weiß es noch nicht«, antwortete sie Jasper. »Mein Chef hat mir nichts verraten. Er hat nur gesagt, dass es um einen exorbitanten Schmu geht.«

»Ex-was?«

»Das bedeutet: außerordentlich. Gewaltig. Enorm«, belehrte ihn Finja, die mittlerweile bei ihnen angelangt war. Dann schaute sie Kari finster an. »Was heißt das für uns? Müssen wir nach Hause?«

»Wir können doch auch allein hierbleiben, wenn ihr arbeiten müsst«, schlug Jasper vor. »Falls ihr nicht mit uns zurückfahren könnt, rufen wir Opa Redlef an. Der holt uns bestimmt ab.«

Kari sah, wie es in Jonas arbeitete. Er wusste, dass er oft kein guter Vater war, ständig zerrissen zwischen Beruf und Privatleben. Seinem eigenen Vater gelang es weitaus besser, diese Dinge unter einen Hut zu bringen, obwohl er mit seinem Fischgeschäft und dem Kutter ebenfalls genug zu tun hatte. Und das wurmte Jonas. Ändern konnte er es indessen nicht.

»Ja, warum nicht?«, sagte er schließlich. »So machen wir es.«

Jasper strahlte, und auch Finjas Miene hellte sich wieder auf.

»Dann bis später«, verabschiedete sich Jasper, und die beiden eilten davon zu dem Ausstellungsraum mit den Tierzähnen, ehe es sich ihr Vater womöglich anders überlegte.

Voss seufzte und hob die Arme. »Ich hoffe, Ole Lund hat einen guten Grund für sein Ansinnen.«

Kari, die sich ärgerte, dass dieser ausnahmsweise harmonische Familienausflug so jäh unterbrochen worden war, nickte grimmig. »Das will ich ihm allerdings geraten haben.«

* * *

Marijke Meenken stellte ihren silbernen Golf Plus vor Witta Claaßens Villa in Kampen ab. Sie hatte ihn gekauft, nachdem der altersschwache Golf, den sie im letzten Jahr als Ersatz für ihren Beetle angeschafft hatte, zunehmend Macken entwickelt hatte. Bequeme Sitze, mehr Beinfreiheit im hinteren Fußraum und der etwas höhere Einstieg kamen ihren Bedürfnissen und denen ihrer Häkelschwestern entgegen. Sie waren schließlich alle nicht mehr die Jüngsten.

Alma Grieger, die in Wittas Abwesenheit den Beifahrerplatz besetzt hatte, strich andächtig über das Polster, ehe sie ausstieg.

»Wunderbar, dein neuer Wagen«, sagte sie. »Man sitzt wie auf einer Wolke.«

Grethe Aldag, die aus dem Rückraum kletterte, brummte zustimmend.

»Und man klemmt sich endlich nicht mehr die Beine ein. Aber billig war der nicht, oder?«

Marijke lächelte. »Ich hatte da noch eine Kapitalanlage, die gerade fällig geworden ist. Eigentlich wollte ich das Geld aufsparen, damit ich mir ein paar Extras leisten kann, wenn ich mal ein Pflegefall bin. Aber ich habe mir überlegt, ich sorge besser dafür, dass ich es gar nicht erst werde. Solange man in Bewegung bleibt, wird man nicht alt.«

Die Klempnerwitwe stimmte ihr zu, war mit ihren Gedanken aber offenbar schon woanders.

»Wisst ihr, warum Witta uns eingeladen hat?«, erkundigte sie sich. »Ist doch sonst nicht ihre Art. Kostet schließlich Geld, selbst wenn sie nur Kaffee und Leitungswasser auftischt.«

Alma Grieger schüttelte den Kopf. Der Wind, wie so oft auf der Insel stürmisch, fuhr der Bäckerwitwe durch die orangerot gefärbten Haare.

»Ich habe sie gefragt«, erklärte sie. »Aber sie hat nur gesagt: Das werdet ihr dann schon sehen.«

Marijke, die Witta schon seit der gemeinsamen Grundschulzeit kannte, lächelte.

»Sie hat sich irgendetwas angeschafft, das sie uns zeigen will«, berichtete sie. »Etwas, das man offenbar nicht in der Handtasche herumtragen kann, sonst hätte sie es zu unseren üblichen Treffen mitgebracht.« Die fanden immer in Marijkes Haus in Braderup statt, das sie mit ihrem Mann gebaut hatte. Er war Kapitän gewesen, und seine halbe Mannschaft hatte beim Bau geholfen, deshalb war es groß und geräumig. Sie hatten es dort gemütlicher als in Grethes winziger Kate in Keitum oder in Almas Wohnung in Westerland, die mit Nippes überladen und außerdem in einem plüschigen Rosa eingerichtet war, das Marijke auf die Dauer nur schwer ertrug. Witta hatte von ihnen allen natürlich den meisten Platz. Das Haus, das ihr Mann, der lange Jahre als Landarzt in Kampen praktiziert hatte, gekauft hatte, war zwar für Kampener Verhältnisse bescheiden, für Normalsterbliche dagegen der pure Luxus. Schade nur, dass Witta sich nicht daran freuen konnte. Stattdessen jammerte sie über die hohen Kosten, die es verursachte, die Villa instand zu halten.

Grethe zog den Reißverschluss ihrer blauen Regenjacke höher. »Das heißt, sie will angeben.«

Alma kicherte. Marijke verschloss den Wagen und betrat das Grundstück. Auch wenn es vermutlich wieder einmal viel heiße Luft um nichts war, konnte sie nicht verhehlen, dass sie neugierig war. Wittas Geiz war schließlich legendär. Wenn sie tatsächlich etwas Größeres gekauft hatte, musste es etwas Besonderes sein. Sie ging zur Haustür und klingelte. Von drinnen erscholl ein tiefer Gong.

Grethe schüttelte den Kopf. »Der wird auch jedes Mal lauter«, monierte sie. »Sie sollte sich wirklich ein Hörgerät besorgen. Oder ist das vielleicht die Neuanschaffung? Aber so ein Hörverstärker hätte ja gut in die Handtasche gepasst.«

Die Tür öffnete sich, und Witta Claaßen erschien auf der Schwelle. Marijke blinzelte. Ihre Freundin sah aus, als hätte sie sich für einen Ball zurechtgemacht. Das lange grüne Seidenkleid war Wittas bestes Stück, und die flaschengrünen Pumps waren sündhaft teuer gewesen, obwohl sie aus einem Werksverkauf stammten. Dazu trug Witta ihre wertvollste Perlenkette, und ihre weiße Dauerwelle, die an Marlene Dietrich erinnerte, schien auch frisch gelegt worden zu sein.

Marijke blickte unwillkürlich an sich hinunter. Sie hatte sich für den Abend für einen dunklen Wollrock, einen schlichten Häkelpullover und sportliche Schuhe entschieden, weil sie davon ausgegangen war, dass sie nur in Wittas stets etwas zu kühlem Wohnzimmer sitzen würden. Hatte sie da etwas falsch verstanden?

»Wolltest du ausgehen?«, fragte sie verunsichert. »Ich fürchte, dann bin ich nicht passend gekleidet.«

Witta schaute von Marijke zu Alma – ebenfalls mit Wollrock und Häkelpullover bekleidet, allerdings in Rosatönen –, dann zu Grethe, wie immer mit verwaschenen Jeans und derbem Strickpulli unterwegs, die kurzen eisgrauen Haare zerzaust.

»Von euch dreien noch am besten«, sagte Witta. »Aber das spielt keine Rolle. Wir gehen nicht aus. Ich habe hier etwas vorbereitet.«

Marijke und die beiden anderen tauschten rasche Blicke. Das klang sehr geheimnisvoll.

»Kommt rein«, forderte Witta. »Wenn wir hier noch länger in der offenen Tür stehen, geht die ganze Wärme raus.«

Grethe murmelte etwas, das Marijke nicht richtig verstand.

»Wie bitte?« Witta drehte sich zu Grethe um.

»Ich sagte: höchstens die Kälte«, erklärte Grethe.

Witta hob theatralisch die Hände. »Weißt du, was es kostet, ein solches Haus zu heizen? Aber keine Sorge. Ich habe den Kamin angemacht, extra für euch.«

Sie scheuchte ihre Gäste durch den Flur ins Wohnzimmer. Dort war es tatsächlich angenehm warm. Außerdem war der große Tisch gedeckt, ausnahmsweise nicht nur mit Wassergläsern und Kaffeetassen, sondern mit Tellern, Besteck und verschiedenen Weinkelchen wie für ein mehrgängiges Menü.

»Oh.« Grethe, wie stets auf Krawall gebürstet, blieb bei dem Anblick die nächste bissige Bemerkung im Hals stecken.

Alma klatschte begeistert in die Hände. »Das ist ja wunderschön, Witta. Gibt es etwas zu feiern?«

»In der Tat«, beschied ihr die Landarztwitwe. »Aber erst wird gegessen.«

* * *

Nachdem sie das Zoologische Museum verlassen hatten, saßen Kari und Jonas in seinem alten rostroten Passat und kurvten durch die Stadt zum Gebäude des Kieler Landeskriminalamtes im Mühlenweg. Die Straßen waren an diesem ersten Sonntag im Juni wenig befahren, sodass die Fahrt nur zehn Minuten dauerte. Bei diesem herrlichen Wetter hatten die meisten Leute vermutlich beschlossen, ans Meer zu fahren. Trotzdem war Kari froh, als Jonas den Motor abstellte und sie aussteigen konnte. Sie mochte es nicht, untätig herumzusitzen. Und sie brannte darauf zu erfahren, was sich hinter Lunds exorbitantem Schmu verbarg.

Sie lief so schnell durch die Gänge im LKA, dass Jonas Mühe hatte, mit ihr Schritt zu halten, und klopfte an Lunds Bürotür. Dann öffnete sie die Tür und blinzelte überrascht.

Das normalerweise akkurat aufgeräumte Büro des Kriminalrats, in dem nichts herumstand und nirgendwo ein Staubkrümelchen lag, hatte sich erheblich verändert. Überall waren Staffeleien aufgebaut, auf denen große Leinwände standen. Ole Lund stand vor einem Gemälde und studierte es mit gerunzelter Stirn. Er trug wie immer einen leichten hellen Anzug und eine Seidenkrawatte, die passenderweise mit abstrakten Motiven verziert war, die an Kandinsky erinnerten. Die blonden Haare waren sauber gescheitelt, das Kinn glattrasiert.

»Hallo Ole.« Kari hob die Augenbrauen. »Bist du deiner Liebe zu den bildenden Künsten erlegen und gestaltest dein Büro neu? Ein wenig überladen, wenn du mich fragst.« Sie wusste, dass Lund eine Leidenschaft für Skulpturen hatte, die allerdings seit ihrem letzten gemeinsamen Fall auf Sylt etwas gelitten hatte.

Der Kriminalrat drehte sich zu ihr um. »Hallo Kari.« Er ging auf Jonas zu und reichte ihm die Hand. »Herr Voss.«

»Hallo Herr Lund.«

Der Kriminalrat wies auf die ausgestellten Bilder. »Fällt euch etwas auf?«

Kari musterte die Gemälde, und Jonas, der neben sie getreten war, tat dasselbe.

»Nein«, sagten sie beide nach einer Weile wie aus einem Mund.

»Vielleicht hilfst du uns auf die Sprünge?«, schob Kari nach.

Lund deutete auf das Werk, vor dem sie standen. Eine puppenhaft anmutende Frau im roten Kleid, die zwischen einem Fisch und einem grünen Ziegenbock schwebte, das Ganze vor einem mitternachtsblauen Hintergrund.

»An welchen Maler erinnert euch das?«

Kari hatte keine Ahnung, doch Voss sagte sofort: »Chagall.«

Lund nickte zufrieden. »Treffer.«

Kari schaute ihren Freund verblüfft an. Sie hatte nicht gewusst, dass er sich mit Kunst auskannte.

Jonas deutete ein Schulterzucken an. »Friederike hat mich früher durch alle möglichen Ausstellungen geschleift«, erklärte er.

Seine Exfrau und die Mutter von Finja und Jasper war eine Konzertpianistin, der es auf Sylt zu eng gewesen war und die jetzt mit ihrem neuen Mann und Manager um die Welt tourte.

»Angeblich handelt es sich hier um die Vorarbeit zu dem Bild Der blaue Zirkus von Marc Chagall«, erläuterte Ole Lund. »Tatsächlich ist es aber eine Fälschung.«

»Ach so?« Kari betrachtete das Werk mit neuem Interesse. »Woran erkennt man das?«

»Auf den ersten Blick gar nicht«, sagte Lund. »Die Kollegen von der Materialanalyse des BKA mussten es gründlich unter die Lupe nehmen. Wie sich zeigte, enthalten die verwendeten Farben Partikel, die heutzutage bei der Herstellung von Ölfarben gebräuchlich sind, zur angeblichen Entstehungszeit des Bildes aber noch nicht vorkamen.« Er blinzelte ihr zu. »Falls du die Daten nicht parat hast: Die Zirkusbilder entstanden um 1950 herum. Es geht bei ihnen um die Harmonie zwischen Mensch und Tier. Mit der schwebenden Frau oder – auf anderen Bildern der Serie – dem schwebenden Paar symbolisiert Chagall sich und seine Frau Bella beziehungsweise seine Sehnsucht nach ihr.«

»So. Du hast dich also schon schlau gemacht«, gab Kari zurück. Sie merkte selbst, dass sie gereizt klang. Aber die Deutung von Kunstwerken war nichts für sie. Zu viele Mutmaßungen und zu wenig Fakten. Sie mochte hübsche Bilder, doch eine Botschaft entdeckte sie in ihnen nicht.

»Nein.« Lund spitzte die Lippen. »Das wusste ich vorher.«

»Wie schön.« Kari schob die Hände in die Taschen ihrer Jeans. So gern sie gewöhnlich mit ihrem Freund Ole frotzelte und intellektuelle Duelle austrug, vor Jonas war ihr das ein wenig peinlich. Zumal meist Lund mit seiner unvergleichlichen Eloquenz als Sieger aus diesen Gefechten hervorging.

Doch Jonas achtete gar nicht auf sie. Er ging mit konzentrierter Miene von Bild zu Bild, fuhr sich dabei mehrfach durch seine ungebändigten braunen Locken und schob, wie es seine Gewohnheit war, die Ärmel seiner abgewetzten Lederjacke nach oben. Karis Herz machte einen kleinen Satz, als sie es sah. Auch vier Jahre, nachdem sie ihn kennengelernt hatte, berührte sie diese selbstvergessene, natürliche Männlichkeit immer noch tief im Inneren. Lund hätte es wohl einfach Liebe genannt, doch Kari, die es nicht so mit Gefühlen hatte, bevorzugte rationalere Beschreibungen. Ihre Angst vor Nähe hatte im letzten Jahr abgenommen, fiel ihr jetzt auf. Doch nach wie vor mochte sie es nicht, die Kontrolle abzugeben.

Voss drehte sich zu Lund um. »Das sind alles Fälschungen?«

»Ja. Leider.« Der Kriminalrat lächelte traurig. »Wir sind eher zufällig darauf gestoßen, weil ein Hamburger Bankier eine kleine Privatausstellung organisiert hat. Er gehört zu einer Gruppe von Kunstfreunden, die alle nicht unvermögend sind. Jeder von ihnen besitzt einige Originale bekannter Künstler, Vorstudien zu den endgültigen Werken zumeist. Zumindest dachten sie das. Bei der Eröffnung der Ausstellung war auch eine Journalistin zugegen, die eine gewisse Expertise in avantgardistischer Malerei besitzt. Und, was noch wichtiger ist, neben dem Sachverstand auch einen Sinn für die richtigen Prioritäten. Statt ihre Zweifel an der Echtheit der Bilder in ihrem Artikel über die Vernissage breitzutreten, ist sie damit zu den Kollegen vom Hamburger LKA gegangen. Die haben sich mit dem Bankier in Verbindung gesetzt, und dieser hat zugestimmt, die Bilder ohne großes Aufsehen von den Spezialisten im BKA untersuchen zu lassen, eines nach dem anderen. Wie sie herausfanden, waren von den insgesamt zweiunddreißig in der Ausstellung gezeigten Werken acht Fälschungen.« Lund hob die Hände, um zu zeigen, dass es sich bei den Fälschungen um die Bilder handelte, die jetzt in seinem Dienstzimmer standen.

Voss schnalzte mit der Zunge. Kari schaute Lund mit zusammengekniffenen Augen an. »Und was hat das nun mit uns zu tun? Das ist Sache des LKA Hamburg, oder nicht?«

Lund stützte das Kinn auf die Fingerspitzen. »Denk mal darüber nach. Ich bin sicher, du kommst darauf.«

Kari beschlich eine böse Ahnung, doch es war Voss, der es aussprach: »Die Bilder sind auf Sylt verkauft worden.«

»Richtig.« Der Kriminalrat nickte grimmig. »Und zwar alle in ein und derselben Kunsthandlung. Galerie Fromme in der Paulstraße in Westerland.«

»Das ist die kleine Parallelstraße zwischen der Strandstraße und der Friedrichstraße«, half Jonas Voss aus, weil er sah, dass Kari mit dem Namen nichts anfangen konnte.

»Exakt«, bestätigte Lund.

Kari ließ ihren Blick erneut über die Bilder schweifen.

»Dann sollte die Sache doch einfach sein«, bemerkte sie. »Acht falsche Bilder aus derselben Galerie. Da müssen sich Hinweise finden. Irgendwo in den Finanzaktionen, Geschäftsbüchern, Konten et cetera.«

Lund strich sich die blonden Haare aus der Stirn.

»Sollte man meinen, ja. Ist aber nicht so. Die Kollegen von der Wirtschaftskriminalität haben in aller Stille, aber gründlich geprüft. Nach allem, was wir einsehen können, ist der Laden sauber.«

»Möglichweise hat man dem Galeristen die Bilder untergejubelt«, schlug Voss vor. »Nicht jeder Verkäufer ist Experte genug, um eine Fälschung zu erkennen. Schon gar nicht, wenn sie so gut gemacht ist wie diese Bilder hier.«

Lunds blaue Augen leuchteten. »Das wäre eine Möglichkeit, ja«, gab er zu. »Aber wir glauben nicht daran.« Er lud Kari und Voss mit einer Handbewegung ein, auf den Besucherstühlen vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, stellte Tassen und einen Teller Kekse auf den Tisch und schenkte Kaffee ein. Voss schaufelte Zucker in seinen Kaffee, gab reichlich Milch dazu und nahm sich einen dick mit Schokolade ummantelten Keks. Kari begnügte sich mit ein paar Tropfen Milch und reichte das Kännchen an Lund weiter.

»Wir gehen davon aus, dass wir es mit einer Bande zu tun haben«, fuhr der Kriminalrat fort und gab eine wohldosierte Menge Milch in seine Tasse. »Ein organisierter Fälscherring, der möglicherweise international operiert.«

»Der Galerist muss nicht zwangsläufig Teil der Bande sein«, beharrte Voss.

»Nein.« Lund lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. »Aber es ist wahrscheinlich. Wenn es keine Kooperation gäbe, wäre es für die Bande sicherer, die gefälschten Werke in verschiedenen Galerien unterzubringen. Davon existieren auf Sylt schließlich mehr als genug. Bietet man dagegen in derselben Kunsthandlung plötzlich in regelmäßigen Abständen angeblich lang verschollene und gerade jetzt wiederentdeckte Bilder bekannter Maler an, steigt das Risiko, dass der Galerist misstrauisch wird. Man weiß immerhin, dass solche Entdeckungen extrem selten sind.«

»Vielleicht ist man bei Fromme einfach besonders naiv«, sagte Kari.

»Möglich.« Lund hob in einer Geste der Kapitulation die Hände. Zugleich schlich sich ein Funkeln in seine Augen. »Zum Glück wirst du das herausfinden.«

Kari ahnte, worauf das Ganze hinauslief.

»Du hast nicht vor, mich undercover als Verkäuferin in der Galerie Fromme einzusetzen?«

Der Kriminalrat schaute zu Voss, dann wieder zu Kari.

»Ich weiß nicht, wie du auf diese Idee kommst …« Das Blitzen in seinen Augen verstärkte sich. »Aber jetzt, wo du es sagst: Ich finde, es ist ein guter Vorschlag.«

Kari stöhnte leise. »Es wird nicht funktionieren, Ole. Ich habe nicht die geringste Ahnung von bildender Kunst.«

»Das ist kein Problem«, wiegelte Lund ab. »Du bist wieder die erfolglose Schriftstellerin Kari Blom mit der Schreibblockade, die dringend einen Aushilfsjob braucht. Bei Fromme boomt gerade die russische Avantgarde, und sie suchen Unterstützung. Du bist vielleicht keine Kunstexpertin, aber immerhin eine Magistra der Literatur und Philosophie. Ich bin sicher, das wird der Galeristin gefallen.« Sein Gesichtsausdruck wurde noch lausbubenhafter. »Um ganz ehrlich zu sein: Es hat ihr schon gefallen. Ich habe – in meiner Lieblingsrolle als dein dich liebender Bruder – eine Bewerbung verfasst, und sie hat dich für morgen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.«

»Großartig, Ole.« Kari spürte, wie sich ein leichter Kopfschmerz bemerkbar machte. »Aber sie wird mich trotzdem nicht einstellen, wenn sie merkt, dass ich keinen blassen Schimmer von Bildern habe.«

»Dann wirst du den heutigen Abend nutzen müssen, um dir etwas anzulesen.« Er öffnete eine seiner Schreibtischschubladen und nahm etliche schwere Bildbände heraus, die er vor Kari stapelte. Sie wollte danach greifen, doch Lund legte eine Hand darauf.

»Das sind meine privaten Exemplare«, warnte er. »Geh sorgsam mit ihnen um. Du weißt, dass ich Eselsohren und zerknickte Schutzumschläge nicht leiden kann.«

»Natürlich, Ole.« Kari musste grinsen. »Ich werde sie hüten wie meinen Augapfel.«

»Gut.« Lund zog seine Hand zurück, allerdings nur, um einen stabilen Stoffbeutel aus der Schublade zu nehmen und ihn Kari zu reichen. »Tu mir den Gefallen und steck sie dort hinein, wenn du sie herumträgst.«

Kari befolgte seinen Wunsch gehorsam. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Jonas Mühe hatte, sein Befremden zu verbergen. Er wäre wohl nie im Leben auf die Idee gekommen, Papierprodukte in einer Tasche zu verstauen, damit sie nicht knickten. Kari selbst hielt es da allerdings eher mit Lund. Bücher waren für sie wie gute Freunde, die man pfleglich behandelte.

Ole Lund schaltete den Laptop und den Beamer ein, die er auf seinem Schreibtisch aufgebaut hatte. Auf der gegenüberliegenden Wand erschien das Bild einer schlanken Frau mit langen braunen Haaren und einem schmalen Gesicht. Sie trug ein schwarzes Kleid von guter Qualität.

»Kerstin Fromme«, erläuterte der Kriminalrat. »Allein-Inhaberin der Galerie Fromme. Sie ist seit acht Jahren mit ihrem Geschäft in der Paulstraße ansässig. Seit drei Jahren macht die Galerie auffallend gute Umsätze. Das deckt sich in etwa mit dem Zeitraum, in dem die gefälschten Meister erworben worden sind.«

»Aha.« Kari beugte sich vor. »Also ist sie diejenige, die mit den Kunstfälschern zusammenarbeitet?«

»Davon gehen wir aus.« Lund präsentierte ein weiteres Foto. Ein Mann dieses Mal, ebenfalls in Schwarz gekleidet, mit modisch geschnittenen Haaren und einem kantigen Kinn.

»Kay Fromme, seit drei Jahren mit Kerstin Fromme verheiratet. Er hat Kunstgeschichte studiert und ist als Einkäufer für die Galerie tätig.«

»Ist das Zufall? Drei Jahre verheiratet, seit drei Jahren falsche Meister?«, schaltete sich Jonas Voss ein. Lund nickte ihm zu.

»Vermutlich nicht. Entweder, er ist derjenige, der die Bilder besorgt, oder aber die Hochzeit war der Anlass für Kerstin Fromme, in das Geschäft mit den Fälschungen einzusteigen.«

»Wie das?« Kari legte den Kopf schief.

Lund lächelte flüchtig. »Er ist ein attraktiver Mann, wie dir vermutlich nicht entgangen ist. Außerdem ist er zwölf Jahre jünger als Kerstin Fromme. Vielleicht musste sie ihm etwas bieten, damit er sich für sie entscheidet.«

»Sie ist selbst alles andere als unattraktiv«, wandte Kari ein.

»Trotzdem.« Der Kriminalrat faltete die Hände. »Kerstin Fromme ist, wie gesagt, die alleinige Inhaberin. Kay Fromme selbst hätte nichts von dem Geschäft mit den Fälschungen. Er besitzt keine Anteile an der Galerie, und es existiert ein Ehevertrag, demzufolge er im Fall einer Scheidung leer ausgeht. Es würde ihm nur etwas nützen, wenn seine Frau stirbt, aber Mord ist in der Kunstfälscherszene eher ungewöhnlich.«

»Also kein Motiv«, stellte Voss fest.

»Es sei denn, er tut es seiner Frau zuliebe, womöglich ohne ihr Wissen. Oder es gibt eine beachtliche Differenz zwischen dem, was er den Fälschern zahlt, und den Einkaufspreisen, die in den Büchern der Galerie auftauchen«, beharrte Kari und runzelte die Stirn. »Könnte er die Bilder selbst gemalt haben? Ist er so talentiert?«

Lund grinste. Offenbar war ihm nicht entgangen, dass ihre Neugier entfacht war.

»Ausgeschlossen ist es nicht«, erwiderte er. »Für ein begründetes Urteil bräuchten wir aber mehr Informationen. Über ihn, seine Begabungen und über die Ehe der beiden. Und hier kommst du ins Spiel.«

»Solange ich nicht schon wieder einem Schürzenjäger mein Interesse an ihm vorgaukeln muss«, sagte Kari, die mit Unbehagen an ihren letzten Sylter Fall dachte. Der Autohausbesitzer, gegen den sie ermittelt hatte, war mehr als einmal zudringlich geworden.

»Es sind ja nicht alle Männer so«, erwiderte Lund und schaute bedeutungsvoll zu Voss. Kari biss sich auf die Lippen. Jonas litt jedes Mal, wenn sie in einer ihrer Undercover-Rollen mit anderen Männern flirtete. Es war nicht nötig, ihn daran zu erinnern.

Der Kriminalrat drückte eine Taste an seinem Laptop, und ein weiteres Foto erschien. Wieder ein Mann, auch er in Schwarz gekleidet, anders als Kay Fromme aber mit blonden Haaren, die vorne so lang waren, dass sie ihm fast in die Augen hingen.

»Sören Siemers. Ein Jahr jünger als Kay, hat gemeinsam mit ihm Kunstgeschichte an der Universität Hamburg studiert. Arbeitet seit der Heirat von Kay und Kerstin Fromme in der Galerie. Festanstellung, Provision bei Verkäufen. Könnte also etwas davon haben, wenn er dem Ehepaar falsche Meister unterjubelt und an den Mann bringt. Hinweise darauf haben wir allerdings nicht gefunden. Siemers lebt bescheiden, kommt mit seinem nicht gerade üppigen Gehalt gut aus. Auffällige Kontobewegungen gab es in den letzten Jahren nicht.«

»Okay.« Kari schaute auf den prallgefüllten Stoffbeutel mit den Büchern. »Aber ich weiß wirklich nicht, ob ich bis morgen fit genug bin, um ein Bewerbungsgespräch zu bestehen.«

Lund lehnte sich in seinem Sessel zurück, und das Leder knarzte.

»Du schaffst das schon. Herr Voss ist dir sicher bei der Vorbereitung behilflich.«

»Klar.« Jonas lächelte. »Das mache ich gern.«

»Wunderbar.« Lund nickte ihm zu. »Ach ja, noch etwas: Anhand der Buchhaltung der Galerie lässt sich nicht in allen Fällen nachvollziehen, wer dort ein Bild gekauft hat. Vielleicht gibt es weitere Kunden, die eine Fälschung erworben haben, von denen wir noch gar nichts wissen. Du solltest dich umhören. Und denk daran, dass vielleicht nicht nur wohlhabende Feriengäste Geld in gefälschte Bilder investiert haben. Es könnten auch Einheimische sein, die sich für Kunst begeistern und lange darauf gespart haben.« Er blickte sie vielsagend an. »Solche wie deine Häkeldamen.«

Kari tippte sich an die Stirn. »Die kaufen doch keine teuren Kunstwerke.«

Lunds Mundwinkel hoben sich, weil es ihm gelungen war, ihr eine spontane Reaktion zu entlocken.

»Das war nur ein Beispiel, Kari.«

* * *

Marijke Meenken legte den Dessertlöffel in die Schale und seufzte. Das Essen war exquisit gewesen. Eine leichte Spargelcremesuppe, Zürcher Geschnetzeltes mit Rösti und zum Abschluss eine herrlich cremige Schokoladenmousse. Witta hatte die Speisen von einem Lieferservice bringen lassen, der zum gehobenen Segment zählte. Trotz der Kosten, die das verursacht haben musste, schien sie erfreut, dass es ihren Freundinnen geschmeckt hatte. Wurde sie auf ihre alten Tage noch großzügig? Oder hatte sie womöglich eine ärztliche Diagnose bekommen, der zufolge ihr nicht mehr viel Zeit blieb? Der Gedanke verursachte Marijke ein unbehagliches Ziehen in der Magengrube. Witta war die Jüngste von ihnen, doch da sie alle zwischen Anfang und Mitte achtzig waren, spielten ein paar Jahre Unterschied kaum noch eine Rolle.

Aber Witta sah nicht so aus, als hätte sie eine Hiobsbotschaft zu überbringen. Vielmehr strahlte sie eine satte Zufriedenheit aus wie eine Katze, die eine Maus erwischt hatte.

»Es gibt auch noch Kaffee und Likör«, verkündete sie und rückte ihre Marlene-Dietrich-Dauerwelle zurecht. »Im Salon. Dort wartet auch die Überraschung auf euch.«

Grethe, die es vor Neugier kaum aushielt und ihr Essen eher achtlos hinuntergeschlungen hatte, sprang von ihrem Stuhl. Marijke und Alma standen ebenfalls auf, wenn auch weitaus gemächlicher. Witta schritt ihnen voran und schob die Flügeltüren zum Salon auf. Dort standen die noch vom alten Landarzt angeschafften, mit Brokatimitat bezogenen Sessel und ein paar Nierentische. Auf der Anrichte hatte Witta Tassen und Gläser bereitgestellt, außerdem eine Thermoskanne und mehrere Flaschen mit Likör.

Marijkes Blick wanderte zur Rückseite des Raums. Dort hing ein großes, rechteckiges Objekt, verhüllt mit einem dunklen Tuch. Grethe hatte es natürlich längst entdeckt und strebte darauf zu.

»Ist das deine Neuanschaffung? Ein Bild?«

Witta hob warnend den Zeigefinger. »Nicht anfassen.«

»Schon gut.« Grethe, die anscheinend genau das vorgehabt hatte, schob die Hände in die Taschen ihrer Jeans.

Witta verteilte Likör und reichte ihren Freundinnen die Gläser. »Setzt euch.«

Marijke, Alma und Grethe nahmen gehorsam Platz. Witta bezog neben dem verhängten Kunstwerk Stellung. Sie hob ihr Likörglas und prostete den Freundinnen zu.

»Ich war vor ein paar Wochen bei einer Vernissage in der Galerie Fromme in Westerland«, verkündete sie. »Der Galerist hat bei einer Reise nach St. Petersburg die Werke eines bisher unbekannten Künstlers entdeckt. Er heißt Sergej Vyacheslaw Shadoof und ist der russischen Avantgarde zuzurechnen. Die Galerie hat die Bilder prüfen lassen. Sie stammen tatsächlich aus dieser Zeit.« Sie schaute ein wenig hochmütig zu Grethe. »Das war zwischen 1905 und 1934, nur für den Fall, dass du es nicht weißt.«

Grethe schnaubte. »Das ist natürlich lebenswichtig.«

»Shadoof war ein Zeitgenosse von Kasimir Malewitsch, dem Erfinder des Suprematismus«, fuhr Witta fort, sichtlich beglückt, ein Feld gefunden zu haben, auf dem sie Grethe mühelos ausstechen konnte. »Er hat auch in einem ähnlichen Stil gemalt.«

Alma schaute mit großen Augen zu ihr auf. »Und welcher war das?«

»Nun«, Witta hob belehrend die Hand, »es ging um eine Synthese aus volkstümlichen Elementen, modernen Strömungen und der zeitgemäßen Tendenz der Abstraktion, womit an die technischen Errungenschaften der damaligen Zeit angeknüpft werden sollte. Sozusagen ein Balanceakt zwischen westlichen Einflüssen und östlichen Traditionen.«

»Ah ja.« Grethe legte die Arme auf die Sessellehnen.

»Und was heißt das?«, fragte Alma.

Marijke, die mit ihrem verstorbenen Mann in einigen Kulturhauptstädten Europas gewesen war und etliche Ausstellungen besucht hatte, kramte in ihrem Gedächtnis. Den Namen Malewitsch mochte sie schon einmal gehört haben, doch eine Vorstellung, wie dessen Werke aussahen, hatte sie nicht. Immerhin, sie wusste, dass zur russischen Avantgarde Künstler wie Wassily Kandinsky und Marc Chagall gerechnet wurden, wobei das bei letzterem nur für einen Teil seiner außergewöhnlich langen Schaffenszeit galt. Der Mann war immerhin siebenundneunzig geworden, ein Ziel, das sie auch anstrebte. Mindestens. Sicher, es ging alles nicht mehr so schnell wie früher, und manchmal vergaß sie auch Dinge und stand plötzlich vor einem Schrank, ohne sich zu erinnern, was sie daraus hatte hervorholen wollen. Aber im Großen und Ganzen funktionierte noch alles.

Eine Bodendiele knarrte, als Witta noch einen Schritt näher zur Wand trat, und holte Marijke damit in die Gegenwart zurück.

»Schaut es euch an. Ich bin die Erste, die in der Galerie Fromme einen Shadoof gekauft hat«, verkündete Witta stolz und hob die Hand, um das dunkle Tuch vom Bild zu ziehen. Ihre Häkelfreundinnen hielten gespannt die Luft an.

Mit großer Geste enthüllte Witta das Kunstwerk. »Et voilà.«

Die anderen drei starrten auf das Bild. Alma klappte der Mund auf, Grethe entwich ein Laut, der irgendwo zwischen einem Lachen und einem asthmatischen Keuchen lag. Marijke holte eilig ein Taschentuch aus ihrer Handtasche hervor, hielt es sich vor den Mund und hüstelte, damit ihr nicht eine ähnlich peinliche Reaktion entfuhr.

Das Bild gab allerdings Anlass dazu. Es zeigte ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund. Und das war alles.

Grethe prustete. »Das ist dein Bild?«

Witta hob das Kinn. »Ich nehme an, es erschließt sich dir nicht, weil du es nicht begreifst.«

»Was gibt es da zu begreifen? Das ist nichts weiter als ein schwarzes Viereck. Das hätte ich dir auch malen können. Wäre vermutlich weitaus billiger gewesen.«

»Es geht aber nicht um das, was du siehst. Es geht um die Botschaft.«

Grethe rutschte auf die Sesselkante vor und funkelte Witta an. »Die worin besteht?«

Die Freundin neigte ihr den Kopf zu. »Shadoof bezieht sich hier genau wie sein Zeitgenosse Malewitsch auf ein wissenschaftliches Werk aus dem Jahr 1617. Die Schöpfungsgeschichte des Makrokosmos von Robert Fludd, einem englischen Arzt und Naturphilosophen. Fludd hat darin die Urmaterie Hyle, das Äquivalent zum Nichts, als schwarzes Viereck visualisiert.«

Alma blinzelte. Marijke sah ihr an, dass sie kein Wort verstand. Ihre Welt waren Kuchen und Torten, nicht Kunst und Philosophie.

Sie selbst dagegen hatte durchaus Interesse an solchen Themen. Es faszinierte sie, wenn Menschen hinter die Dinge sahen, Zusammenhänge herstellten, auf die sie selbst niemals gekommen wäre, und auch noch Worte dafür fanden.

»So. Dein Viereck da ist also das Nichts«, fasste Grethe zusammen.

»Richtig.« Witta schaute ihr Bild an wie eine Mutter ein neugeborenes Baby. »Aber es ist viel mehr als einfach nur ein schwarzes Viereck.«

»Tatsächlich?« Grethes Stimme triefte vor Spott.

»Nun lass sie doch mal ausreden«, bat Alma. Anscheinend hoffte sie darauf, doch noch irgendwo einen Anknüpfungspunkt zu finden, um nicht völlig außen vor zu stehen.

»Danke.« Witta nickte Alma zu, huldvoll, fast königlich. »Also, in Wirklichkeit gibt es zwei Quadrate.«

»Ich sehe nur eins«, warf Grethe ein.

»Sie befinden sich übereinander«, fuhr Witta unbeirrt, wenn auch mit ersten Anzeichen von Verärgerung fort. »Das unten liegende Quadrat besteht aus feinen schwarzen Linien, zwischen denen das Licht hindurch scheint. Symbolisch gesprochen natürlich, nicht wirklich«, fügte sie sicherheitshalber hinzu, ehe Grethe wieder etwas einwenden konnte. »Diese gewebeartige untere Membran legt das Schwarz des Nichts über das Licht. Die zweite, komplett schwarze Schicht steht für die Wolken des Chaos, die darüber liegen.«

»Ach ja.« Grethe warf sich in ihrem Sessel nach hinten. »Jetzt, wo du es sagst, sehe ich es auch.«

Alma konnte nicht an sich halten und begann hemmungslos zu kichern. Witta hob die Stimme.

»Shadoof hat die erste Membran übermalt, ehe das Bild getrocknet war. Dadurch entsteht dieses feine Netz aus Rissen. Man nennt es ein Craquelé. Es soll symbolisieren, wie die Helligkeit des zuvor Gemalten aus der Tiefe durch das Schwarz bricht.«

Alma und Grethe schauten sich tief in die Augen, und ein neuer Lachanfall schüttelte die Bäckerwitwe. Marijke stand schnell auf, um sich nicht davon anstecken zu lassen, und trat auf das Gemälde zu.

»Du hast recht.« Sie schob die Brille auf ihrer Nase nach oben. »Man sieht es hier an den Rändern des Vierecks. Aber die dünnen Risse hier … Bist du sicher, dass das Kunst ist?«

Witta warf einen missbilligenden Blick zu Alma und Grethe, die sich immer noch vor Lachen kringelten. Dann wandte sie sich wieder Marijke zu.

»Natürlich. Diese Craquelé-Technik findet man auf vielen Ölbildern. Auch auf der Mona Lisa zum Beispiel.«

»Ja.« Das wusste Marijke, aber sie hatte immer geglaubt, die Risse seien eine Folge der Alterung und nicht von Beginn an vom Maler angelegt worden. Man lernte eben nie aus.

»Nun ja.« Sie entschied, sich diplomatisch zu verhalten. Schließlich war es Wittas Entscheidung, wofür sie ihr Geld ausgab. »Kunst ist ja Geschmackssache. Wenn es dir gefällt … Bei mir würde es einfach nicht passen.«

»Es gefällt ihr aber nicht«, knurrte Grethe. »Sie hat es bloß gekauft, weil sie glaubt, dass es wertvoll ist. Und es ist auch keine Kunst, nur weil es jemand auf eine Leinwand geschmiert hat. Jedes Grundschulkind hätte das hinbekommen.« Sie hob einen Finger. »Ich habe da neulich einen Bericht im Fernsehen gesehen, über einen Fünfjährigen, der abstrakte Bilder malt. Die Galerien reißen ihm die Gemälde aus den Händen. Er hat ein paar tolle Techniken entwickelt. Unter anderem trägt er die Farbe mit Boxhandschuhen auf.« Sie grinste breit. »Seine Bilder sind auf jeden Fall künstlerisch wertvoller als dein schwarzer Kasten.«

Witta reckte ihr Kinn vor. »Ausgerechnet du kannst das natürlich beurteilen. Weil du einen so überwältigenden Sachverstand besitzt. Was die Experten dazu sagen, zählt für dich nicht.«

Alma, im Gegensatz zu ihren Freundinnen stets auf Versöhnung bedacht, legte die Stirn in Falten und deutete mit einem unsicheren Lächeln auf das Bild.

»Das Motiv ist ja gar nicht verkehrt«, warf sie ein. »Nur die Farbe … Ich meine, wenn es vielleicht rosa wäre … Dieses Schwarz ist so düster und deprimierend.«

Witta kniff die Lippen zusammen. »Und welche Botschaft, glaubst du, hätte ein rosafarbenes Quadrat?«

Alma schaute sie ratlos an. »Ich dachte nur, es wäre ein bisschen fröhlicher.«

Witta holte tief Luft. »Ihr versteht einfach nichts von Kunst. Ich hätte es wissen müssen. Es war völlige Verschwendung, euch das Bild zu zeigen.«

»Das wird es sein.« Grethe erhob sich aus ihrem Sessel, offenbar entschlossen, nach Hause zu gehen. »Lade doch einfach die Schnösel aus deinem Rothaarigen-Club ein. Die werden es sicherlich … goutieren.«

Witta funkelte sie böse an. »Rotary Club, Grethe. Und es sind feine Menschen, das habe ich dir schon tausend Mal gesagt.«

»Dann brauchst du uns ja nicht.«

»Grethe.« Alma erwischte sie am Ärmel, ehe sie aus dem Salon stürmen konnte. »Wir wollen uns doch nicht wegen eines Bilds zerstreiten.«

Grethe machte sich unwirsch los. »Ich habe nicht damit angefangen. Das war sie.« Sie zeigte mit dem Finger auf Witta.

»Ich bin schuld daran, dass du immer auf allem herumhacken musst, was ich tue?« Witta rückte ihre Dauerwelle zurecht, und ihre Stimme schraubte sich immer höher. »Nennst du das eine Freundschaft?«

»Kinder.« Marijke wollte die erhitzten Gemüter beruhigen, doch ehe ihr etwas Passendes einfiel, klingelte ihr Handy. Sie holte es eilig aus der Tasche und nahm das Gespräch an.

»Wie bitte?« Die Person am anderen Ende hatte etwas gesagt, doch es war nicht bei Marijke angekommen, weil sich Grethe und Witta weiter lautstark ankeiften. Marijke wedelte ärgerlich mit der Hand.

»Nun seid doch mal still«, forderte sie. »Man versteht ja sein eigenes Wort nicht.«

Ihre Freundinnen verstummten, beide sichtlich beleidigt. Witta zupfte mit verkniffener Miene an ihrer Perlenkette, Grethe verschränkte die Arme. Nur Alma wirkte erleichtert. Sie ertrug es nur schwer, wenn in ihrer kleinen Gruppe Unfrieden herrschte.

Marijke wandte sich von den Freundinnen ab und hob das Telefon wieder ans Ohr. Diesmal konnte sie die Anruferin problemlos verstehen.

»Frau Blom!«, rief sie. »Das ist ja eine Freude! Kommen Sie wieder nach Sylt?«

Sie hörte zu, was Kari zu sagen hatte.

»Aber natürlich dürfen Sie in meinem Gartenhaus wohnen, das wissen Sie doch. Es steht sonst leer. Ich vermiete an niemanden mehr außer an Sie.« Sie wehrte Karis Dankesbekundungen ab und drehte sich zu ihren Freundinnen um. Alle drei schauten sie neugierig an. Der Shadoof schien von einer Sekunde zur nächsten vergessen.

»Hat sie einen neuen Job?«, erkundigte sich Alma aufgeregt, und Marijke gab die Frage weiter. Nachdem sie Karis Erklärung gelauscht hatte, verabschiedete sie sich und drückte das Gespräch weg.

»Und?«, fragte Witta. »Was hat sie gesagt?«

»Sie kommt morgen«, erwiderte Marijke und verstaute das Telefon umständlicher als nötig in ihrer Handtasche. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken.

»Oh. Wie schön«, freute sich Alma. »Dann backe ich einen Kuchen.«

Grethe dagegen war nicht entgangen, dass Marijke nur ausweichend geantwortet hatte. »Schreibt sie wieder ein Buch?«, insistierte sie.

»Ja.« Marijke hüstelte. »In der Tat.«

Grethe sah sie spöttisch an. »Nun lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Wo arbeitet sie dieses Mal?«

Marijke seufzte. Sie wusste, dass der Sturm, der sich gerade erst gelegt hatte, im nächsten Moment mit neuer Heftigkeit wieder einsetzen würde. »In einer Galerie in Westerland.«

»Ach, lass mich raten. Galerie Fromme?«

Marijke nickte ergeben. Grethe grinste breit. »Tja, Witta.«

Witta nestelte an ihren Haaren. »Was? Das muss doch überhaupt nichts bedeuten.«

»Nee. Muss es nicht.« Grethe schaute bedeutungsvoll auf das Gemälde. »Es wäre allerdings das erste Mal, dass sie da, wo sie recherchiert, nicht irgendwelchen Dreck aufwühlt.«

Wittas Blick wanderte zu dem schwarzen Quadrat auf weißem Grund. »Mit meinem Bild ist jedenfalls alles in Ordnung. Das hat ein russischer Experte begutachtet. Ich habe das Zertifikat.«

»Wie schön«, sagte Grethe mit einem Lächeln, das ebenso breit wie falsch war. »Dann brauchst du dir ja keine Sorgen zu machen.«

3.

Kari Blom schlenderte die Friedrichstraße entlang, vorbei an den hübschen kleinen Geschäften und Boutiquen, die gerade zum Leben erwachten. Es war früh am Morgen; etliche Lieferwagen fuhren durch die Fußgängerzone und luden Waren ab. Ständer mit Kleidung, Büchern oder Postkarten wurden nach draußen geschoben, Schaufenster neu dekoriert und Werbetafeln aufgestellt. Es waren erst wenige Passanten unterwegs; die meisten saßen wohl noch in ihren Ferienunterkünften beim Frühstück. Der Himmel war wolkenlos blau. Die Sonne, die jetzt im Juni schon früh aufging, stand bereits hoch und wärmte Karis Rücken. Der Wind, auf Sylt sonst oft kalt und grimmig, war an diesem Frühsommermontag ein freundliches laues Lüftchen.

Bis zu ihrem Vorstellungsgespräch in der Galerie Fromme war noch Zeit, deshalb hatte Kari sich entschieden, rasch auf die Promenade zu gehen. Sie zeigte der Frau im Kontrollhäuschen die Kurkarte, die Jonas ihr besorgt hatte, und überquerte den Strandübergang.

Mittlerweile war es ein vertrauter Anblick, doch die Emotionen, die sie erfassten, wenn sie über den endlosen weißen Strand auf die Nordsee schaute, blieben jedes Mal dieselben. Kari atmete tief ein und genoss das salzige Aroma der Luft und das Geschrei der Möwen, die über dem Wasser segelten. Obwohl sie selbst an der Ostsee lebte, vermittelte Sylt ihr ein Gefühl von Weite und Freiheit, das sie an keinem anderen Ort der Welt verspürte. Vielleicht, weil das Meer nicht so glatt und blau und friedlich dalag wie in Kiel, sondern in kräftigen Wellen heranrollte, die weiße Schaumkronen mitbrachten und auf den Sand spülten. Oder weil man wusste, dass man von hier aus mit dem Schiff immer weiter fahren könnte, durch den Ärmelkanal und über den Atlantik bis nach Amerika. Ein Fenster in die große, weite Welt.

Kari musste über ihre schwärmerischen Gedanken lächeln. Sie mochte ihr Leben, wie es war. Trotzdem erfasste sie manchmal die Sehnsucht, alles hinter sich zu lassen und irgendwo anders ganz neu anzufangen. Die Insel machte ihr immer wieder bewusst, dass nichts so bleiben musste, wie es war. Man konnte alles ändern.

Beschwingt von diesem Gefühl ging sie an der Konzertmuschel vorbei in Richtung Sylter Welle und von dort weiter nach Norden. Die Strandkörbe, fast alle zur Sonne statt zum Wasser hin ausgerichtet, waren bereits besetzt, größtenteils von gut gekleideten Pärchen im fortgeschrittenen Lebensalter mit faltigen Gesichtern, aber strahlenden Augen. Am Brandenburger Strand war eine Gruppe von Surfschülern auf dem Wasser. Kari blieb einen Moment stehen und sah zu, wie die Männer und Frauen in den Neoprenanzügen ein ums andere Mal von ihren Brettern fielen, sich wieder hinauf mühten und die Segel erneut aufrichteten. Ein Mann mit wehenden blonden Haaren in einem knallorangefarbenen Anzug fuhr mit seinem Brett zwischen ihnen hin und her und erteilte offenbar Ratschläge.

Kari musste an ihren dritten Fall auf Sylt denken, als sie in einem Sicherheitsunternehmen ermittelt hatte. Der Sohn des Besitzers war ein leidenschaftlicher und talentierter Surfer gewesen und hatte sie gedrängt, es auch einmal zu versuchen. Doch Wassersport gehörte nicht zu Karis Interessen. Wind und Wellen waren unwägbar und schlecht zu kontrollieren. Viel lieber lief sie am Meer entlang, schaute über das glitzernde Blau und spürte das gleichmäßige Trommeln ihrer Sohlen auf dem Boden.

Sie schaute auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass es schon später war, als sie gedacht hatte. Wenn man auf der Promenade stand und über die Nordsee blickte, schien die Zeit stillzustehen.

Kari drehte sich um und eilte zum Strandübergang neben der Sylter Welle. Auf keinen Fall wollte sie zu spät zu ihrem Vorstellungsgespräch kommen.

Zum Glück hatte sie kein Gepäck dabei. Ihren Rucksack und die Reisetasche hatte sie im Bahnhof in Westerland in einem Schließfach verstaut, nachdem Jonas sie an der Polizeistation Sylt abgesetzt hatte, die dem Bahnhof direkt gegenüberlag. Dort hatten sie sich getrennt; schließlich war sie jetzt wieder Kari Blom, die erfolglose Schriftstellerin auf der Suche nach einem neuen Brotjob. Und niemand durfte wissen, dass sie den Sylter Hauptkommissar Jonas Voss und dessen Kollegin Hannah Behrends mehr als gut kannte.

Wie immer war es Jonas schwerer gefallen als ihr, sich zu verabschieden. Er hasste das Versteckspiel und hoffte nach wie vor, dass sie eines Tages in den normalen Polizeidienst wechseln und mit ihm gemeinsam auf Sylt leben würde. Ein Teil von ihr sehnte sich tatsächlich danach, doch ein noch größerer Teil wehrte sich dagegen. Sie liebte ihren Job, und sie war gut darin. Nur noch von außen zu ermitteln, statt tief in das Milieu einzudringen, in dem es einen Fall zu klären gab, konnte sie sich nicht vorstellen.

Kari erreichte die Paulstraße und lief an den Lokalen und Geschäften entlang, bis sie das Schild der Galerie Fromme entdeckte. Ein erneuter Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie noch fünf Minuten bis zu ihrem Termin hatte. Perfekt. Sie betrachtete zuerst die Gemälde, die im Schaufenster der Galerie ausgestellt waren, dann ihr eigenes Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte. Da Schwarz bei Fromme die Farbe der Wahl zu sein schien, hatte Kari sich entsprechend gekleidet: schwarzer Blazer, darunter ein weicher, anthrazitfarbener Rollkragenpullover, dazu eine figurbetonte schwarze Stoffhose und bequeme Sneakers. Das Outfit stand ihr, es betonte ihre schlanke Gestalt und passte gut zu ihren kurzen blonden Haaren. Sie hoffte, dass das auch Kerstin Fromme so sah und sie sich nicht wieder neu einkleiden musste wie bei ihrem letzten Fall.

Noch einmal blickte sie auf die Gemälde, die Insel-Impressionen zeigten, den schwarz-weißen Kampener Leuchtturm, die Nikolai-Kirche und das Denghoog, das alte Hügelgrab in Wenningstedt. Nach Karis Einschätzung naive Malerei, für ihren Geschmack in viel zu kräftigen und satten Farben gehalten. Um Fälschungen handelte es sich dabei vermutlich nicht, jedenfalls gab es nach Karis Wissen keinen bekannten Künstler, der solche Bilder malte. Umso spannender würde es sein, einen Blick ins Innere zu werfen.

* * *

Hannah saß bereits an ihrem Schreibtisch, als Jonas das Büro betrat. Er hatte vom Sylt Shuttle aus zunächst einen Abstecher nach Hause unternommen. Nachdem sein Vater Redlef am Abend die Kinder in Kiel abgeholt hatte, während er selbst bei Kari geblieben war, wollte er zumindest mit ihnen frühstücken, ehe er zur Arbeit ging.

Hannahs Miene, als sie ihn begrüßte, irritierte ihn. Sie lächelte zwar und sah mit ihrem blonden Bob, der locker um ihren Kopf schwang, hübsch aus wie immer, doch ihre Augen erschienen ihm heute glanzloser als sonst, und ihre Mundwinkel wirkten verkrampft.

»Hey. Alles okay bei dir?«, erkundigte er sich.

»Ja. Sicher.«

Jonas legte den Kopf schief. Dann setzte er sich ihr gegenüber. »Nun sag schon. Was ist los?«