Tag, Zeit und Ewigkeit. Zeitbegriffe und Zeitvorstellungen im Alten Testament - Michael van Zadel - E-Book

Tag, Zeit und Ewigkeit. Zeitbegriffe und Zeitvorstellungen im Alten Testament E-Book

Michael van Zadel

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Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Theologie - Biblische Theologie, Note: 1,0, Universität Osnabrück, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Zeit ist ein manchmal unerklärliches Phänomen. Jeder nimmt sie anders war. In dieser Arbeit betrachtet der Autor die Zeit aus einem biblisch-theolgischen Blickwinkel. Er zeigt auf, wie Zeit im Alten Testament verstanden, verwendet und ausgedrückt wird. Dabei beschäftigt er sich sowohl mit dem alttestamentlichen Verständnis des Begriffes Zeit, als auch mit der Frage, inwiefern sich die Zeitvorstellung im Alten Testament vom heutigen Zeitverständnis unterscheidet. Dazu werden drei Begriffe, die das Alte Testament verwendet, um Zeit auszudrücken, vorgestellt und näher untersucht. Die Begriffe Tag, Zeit und Ewigkeit werden im Alten Testament in ihrer jeweiligen hebräischen Übersetzung benutzt, um unterschiedliche Zeiten, Zeitpunkte und Zeitabschnitte darzustellen. Das Aufzeigen von Unterschieden, aber auch von Gemeinsamkeiten zwischen diesen Begriffen ist ein Ziel dieser Arbeit. Im weiteren Verlauf werden dann zwei verschiedene Zeitverständnisse näher beleuchtet: das mythisch-zyklische und das geschichtlich-lineare. Hier stehen Fragen im Vordergrund, die einerseits auf das Aufzeigen der Charakteristika abzielen, andererseits aber auch den Blick auf eine mögliche Verknüpfung dieser beiden Zeitverständnisse lenken.

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Inhaltsverzeichnis

 

1 Einleitung

2 Zeitbegriffe im Alten Testament

2.1 Der Tag:יוֹם(jôm)

2.2 Die Zeit:עֵת(‘ēt)

2.3 Ewigkeit:עךלם(‘ôlām)

3 Verschiedene Zeitverständnisse

3.1 Das mythisch-zyklische Zeitverständnis

3.2 Das geschichtlich-lineare Zeitverständnis

3.3 Ein zyklisch-lineares Zeitverständnis?!

4 Ergebnisse

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

 

1 Einleitung

Diese vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem alttestamentlichen Verständnis des Begriffes Zeit. Untersucht werden soll in diesem Zusammenhang ebenfalls, inwiefern sich die Zeitvorstellung im Alten Testament vom heutigen Zeitverständnis unterscheidet. Dazu sollen in einem ersten Schritt drei Begriffe, die das Alte Testament verwendet, um Zeit auszudrücken, vorgestellt und näher untersucht werden. Die Begriffe Tag, Zeit und Ewigkeit werden im Alten Testament in ihrer jeweiligen hebräischen Übersetzung benutzt, um unterschiedliche Zeiten, Zeitpunkte und Zeitabschnitte darzustellen. Das Aufzeigen von Unterschieden, aber auch von Gemeinsamkeiten zwischen diesen Begriffen ist ein Ziel dieser Arbeit.

In einem zweiten Schritt werden dann zwei verschiedene Zeitverständnisse näher beleuchtet, das mythisch-zyklische und das geschichtlich-lineare. Hier stehen Fragen im Vordergrund, die einerseits auf das Aufzeigen der den Vorstellungen eigenen Charakteristika abzielen, andererseits aber auch den Blick auf eine mögliche Verknüpfung dieser beiden Zeitverständnisse, die sich bei oberflächlicher Betrachtung gegenseitig auszuschließen scheinen, lenken.

2 Zeitbegriffe im Alten Testament

 

Das Grundelement biblischer Zeit ist der Wechsel von Tag und Nacht, also Licht und Dunkelheit.[1] Dabei bilden Licht und Dunkelheit zusammen den Kalendertag. Der hebräische Begriff, der diese Zeiteinteilung beschreibt, ist יוֹם. Ebenso kennt das Hebräische einen allgemeinen Begriff für Zeit, nämlichעֵת . Als drittes gibt es im Hebräischen auch eine direkte Verknüpfung von Zeit und Ewigkeit. In diesem Kontext muss auch die Frage nach der Definition von Ewigkeit beantwortet werden, denn mit der heutigen Vorstellung, etwas habe weder einen Anfang noch ein zeitliches Ende, hat Ewigkeit im biblischen Sinn nicht viel zu tun.

 

Diese drei Facetten des alttestamentlichen Zeitverständnisses werden in diesem Kapitel näher betrachtet und untersucht.

 

2.1 Der Tag:יוֹם (jôm)

 

Die Bibel kennt zwei verschiedene Definitionen von dem, was Tag ist. Zum einen meint die Umschreibung Tag, also יוֹם, die helle Phase. Der Begriff umschreibt damit die Spanne von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, bildet also das Gegenteil zur Nacht. Zum anderen wird יוֹם aber auch verwendet, um den Kalendertag als Ganzes zu beschreiben, also 24 Stunden. Dabei deutet die Verwendung von Tag einerseits auf die Darstellung einer Lebensdauer[2], andererseits auf vergangene Zeiten[3]. Verweise auf die Zukunft können mit dem Begriff Tag ebenfalls ausgedrückt werden, wie „Am Ende der Tage wird es geschehen“ (Jes 2,2). So deutet die hier aufgeführte Verwendung des Wortes Tag auf das zukünftige Kommen Gottes hin und zeigt dessen herausragende Stellung. Somit klingt in dem Begriff יוֹם hier eine Art Zukunftsvision auf die Endzeit an.

 

Ebenfalls kann יוֹםauch adverbiell verwendet werden und bedeutet tagsüber[4] oder heute[5]. Weiterhin taucht Tag auch in Verbindung mit einem Genitiv auf, verweist damit aber nicht auf 24 Stunden, sondern beschreibt ein bestimmtes Ereignis.[6]

 

Aus dieser kleinen Darstellung ist deutlich geworden, dass das hebräische Wort יוֹם ein im Alten Testament häufig verwendetes Wort ist, das in einem gewissen Rahmen eine Zeiteinteilung darstellt. Dabei weist es jedoch ein großes Bedeutungsspektrum auf, das von der Beschreibung der hellen Phase bis zum Verweis auf ein konkretes Ereignis reicht. Im Gegensatz zum im Folgenden behandelten עֵת antwortet יוֹם eher auf Fragen wie „wie lange?“ und „wann?“.

 

2.2 Die Zeit:עֵת (‘ēt)

 

Der im Alten Testament am häufigsten verwendete Begriff für allgemeine Zeit ist עֵת. Im Gegensatz zu עךלם, das zwar ebenfalls ein Begriff für Zeit ist, aber eher auf Ewigkeit und damit auf Gott verwiesen ist, beschreibt עֵת eher Menschzeit. Dieser Zeitbegriff kann positiv oder negativ konnotiert sein.[7] Am häufigsten wird עֵת in den erzählenden Büchern mit der Grundbedeutung „eine bestimmte Zeit von/für“[8] verwendet und stellt dadurch einen Zeitpunkt[9] oder einen Zeitabschnitt heraus. Daher findet sich עֵת auch häufig in Aussagen, die einen Zeitpunkt qualitativ bewerten.[10] Ebenfalls wird mit der Verwendung von עֵת auf das Vorhandensein eines bestimmten Zeitpunktes bzw. einer bestimmten Zeit[11] hingewiesen. Die Verwendung in einem Kontext, der über die abstrakte Zeit als solche berichtet, ist eher unüblich. In der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta, wurde der Begriff עֵת fast ausschließlich mit καῖρος übersetzt.[12] Καῖρος bedeutet „Augenblick“ bzw. „Gelegenheit“ und passt damit zur aufgestellten These, עֵת beschreibe einen bestimmten Zeitpunkt oder Zeitabschnitt. Der Augenblick beschreibt einen kurzen, bestimmten Zeitpunkt, der mit עֵת an sehr vielen Stellen im Alten Testament gemeint ist. Mit dieser Bedeutungszuschreibung kann das עֵת in einen Zusammenhang mit der Schöpfungsordnung gebracht werden, stehen doch die Aussagen „so gebe ich euch Regen zur rechten Zeit“ (Lev 26,4) und „[…] dass du ihnen Speise gibst zur rechten Zeit“ (Ps 104,27) in Verbindung zum schöpferischen Handeln Gottes in Gen 1.

 

Eine sehr bekannte Stelle in der Bibel, in der der Charakter von עֵת als Ausdruck der „bestimmten Zeit für etwas“ ersichtlich wird, ist Koh 3,1-8. Hier wird sowohl die positive wie auch negative Konnotation des Begriffes עֵת deutlich:

 

v. 2a „eine Zeit zum Gebären / und eine Zeit zum Sterben, /

v. 2b eine Zeit zum Pflanzen / und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen,

 

v. 3a eine Zeit zum Töten / und eine Zeit zum Heilen, /

v. 3b eine Zeit zum Niederreißen / und eine Zeit zum Bauen,

 

[…]

 

v. 5a eine Zeit zum Steinewerfen / und eine Zeit zum Steinesammeln, /

v. 5b eine Zeit zum Umarmen / und eine Zeit, die Umarmung zu lösen,

 

[…]

 

v. 8a eine Zeit zum Lieben / und eine Zeit zum Hassen, /

v. 8b eine Zeit für den Krieg / und eine Zeit für den Frieden.“ (Koh 3,2-8)

 

Auffällig an dieser Textstelle sind zwei Dinge. Zum einen wird durch „Gebären“ in Vers 2 und „Lieben“ in Vers 8 eine Art Rahmen um diese 14 Antithesen gebildet, denn diese beiden Begriffe hängen unbestreitbar miteinander zusammen. Zum anderen findet im Aufbau der Antithesen ein Wechsel statt. Beginnt Koh 3,2 mit einem positiven Geschehen, endet Koh 3,3 mit der positiven Handlung. Auch innerhalb der Verse wechselt die Abfolge der Antithesen. So beginnt Koh 3,5a mit einer negativen Handlung, wohingegen Koh 3,5b mit einer positiven beginnt. Diese Antithesen in Verbindung mit dem parallelen Satzbau und den in ihnen enthaltenen Oxymora können ein Zeichen für die Allmacht Gottes sein. Er bestimmt über den jeweiligen Zeitpunkt des jeweiligen Geschehens und vereint in sich die Kraft, für den Menschen in der Reihenfolge, die er für richtig hält, positive und auch negative Dinge zu bewirken.[13]

 

Mit dieser kurzen Ausführung wurde deutlich, dass das Wort עֵת, das im Alten Testament hauptsächlich dazu benutzt wurde, den Zeitpunkt eines Geschehens in den Blick zu rücken, das am häufigsten verwendete Wort ist, um über einen konkreten Zeitpunkt zu berichten.

 

2.3 Ewigkeit:עךלם (‘ôlām)

 

Der Begriff Ewigkeit ist eigentlich eine bloße Fehlübersetzung des hebräischen Wortes עךלם. Im Gegensatz zum oben vorgestellten עֵת beschreibt עךלם eine Art Gotteszeit, die außerhalb menschlicher Erkenntnis liegt.[14] Mit עךלם wird immer eine Zeit ausgedrückt, die entweder dem gegenwärtigen Zeitpunkt vorausgeht oder ihm nachkommt. Somit kann sich die Rede von עךלם sowohl auf die Vergangenheit als auch auf die Zukunft beziehen. In Bezug auf Vergangenes bezeichnen die „Tage des עךלם“ die Vorzeit, beschreiben also etwas, was bereits geschehen ist. Verweist man mit עךלם jedoch auf die Zukunft, so wird Endgültigkeit und Unveränderlichkeit erzeugt, da durch die Möglichkeit des futurischen Bezugs eine Art Vorausschau gemacht wird. Da dies jedoch eine relativ unscharfe Bedeutungszuschreibung darstellt, kann allgemein gesagt werden, עךלם beschreibt eine undefinierte zeitliche Ausdehnung, einen fernsten Zeitpunkt. Der Charakter einer sich als unbestimmt erstreckenden Zeitdauer, die mit עךלם ausgedrückt wird, müsste also mit dem atl. Ewigkeitsverständnis einhergehen, damit עךלם die richtige Übersetzung von Ewigkeit ist.

 

Was meint also Ewigkeit im alttestamentlichen Sinn? Eine Definition dazu liefert der Philosoph und Theologe Boëthius, der sagt, Ewigkeit sei der gesamte und zugleich vollkommene Besitz des Lebens.[15] Boëthius beschreibt Ewigkeit als eine Art Besitzzustand, als Vermögen, das ganze Leben zu besitzen. Auf den christlichen Kontext bezogen kongruiert diese Definition mit der Erwähnung von Ewigkeit in Koh 3,11[16]. Ewigkeit wird hier als etwas beschrieben, das von Gott veranlasst und in jedem Ding theoretisch vorhanden ist, aber für den Menschen in seinem Leben unmöglich erreichbar bleibt. Das christliche Verständnis aus Koh 3,11 in Verbindung mit der von Boëthius aufgestellten Definition lässt ein Bild vom Ewigkeitsverständnis erahnen, das von einem Zustand vollkommenen Lebensbesitzes ausgeht. Ein Besitz, der nur dort möglich ist, wo der Mensch nicht an irdische, d.h. endliche Dinge gebunden ist. Aus diesem Grund kann dieser Zustand auch niemals im Leben auf der Erde erreicht werden. Das Ewigkeitsverständnis mündet in eine „absolute Zeitlosigkeit, das ewige Jetzt […].“[17]

 

Vor diesem Hintergrund kann jetzt gefragt werden, ob עךלם wirklich das richtige Wort ist, um Ewigkeit wiederzugeben. Da dieser Begriff eher eine – aus heutiger Sicht – zeitliche Spanne ohne bestimmten Anfangs- und Endpunkt beschreibt und der Ewigkeitsbegriff eigentlich einer ist, der die Abwesenheit von Zeit im heutigen Sinne darstellt, nämlich eine Unabhängigkeit des Menschen von irdischen, also endlichen Faktoren beschreibt, können diese beiden Begriffe nicht synonym verwendet werden. Da diese Arbeit jedoch keine Abhandlung über das biblische Ewigkeitsverständnis ist, kann diese Spannung zwischen ursprünglicher Bedeutung von עךלם und dem heutigen Verständnis von Ewigkeit, die durch einen Übersetzungsfehler zustande gekommen ist, nicht weiter behandelt werden. Vielmehr sollen nun zwei verschiedene Zeitkonzepte näher betrachtet werden, die sich mit dem Alten Testament in Verbindung bringen lassen.

 

3 Verschiedene Zeitverständnisse

 

Im vorigen Kapitel wurde mit verschiedenen Begrifflichkeiten aus dem hebräischen Sprachgebrauch gearbeitet, um einen Überblick darüber zu gewinnen, wie genau das Zeitverständnis im Alten Testament aussieht. Dazu sollen nun zwei Zeitkonzeptionen untersucht werden, die im Alten Testament nachgewiesen werden können.

 

Im Kontext der Beschäftigung sollen die Fragen stehen, welche Charakteristika den Konzeptionen jeweils zuzuordnen sind, ob sie beide auf das Zeitverständnis im Alten Testament anwendbar sind und ob es Gemeinsamkeiten oder sogar Wechselwirkungen zwischen ihnen gibt.

 

3.1 Das mythisch-zyklische Zeitverständnis

 

Das in der Antike vorherrschende Verständnis vom Lauf der Zeit war ein zyklisches. Dies hängt damit zusammen, dass Naturzeit und die soziale Zeit in viel stärkerem Maß aufeinander bezogen waren, als es heutzutage der Fall ist. Die Methode, wie die Menschen die Zeit maßen bzw. ein Gefühl für Zeit entwickelten, war eine Orientierung an periodischen Naturerscheinungen.

 

Die Beobachtung, dass sich Tag und Nacht[18] immer abwechseln, dass auf eine kalte Jahreszeit ein warmer Zeitraum folgt, auf den wiederum diese kalte Zeit[19] folgt, dass sich die Gestirne[20] am Himmel nach einer bestimmten Zeitspanne wieder am selben Platz befinden, veranlasste die Menschen in der Antike, von einem zyklischen Zeitverhältnis auszugehen, denn alles in ihrer Umgebung wiederholte sich in regelmäßigen Abständen. Ebenso auch die natürlichen Zyklen der Lebewesen auf der Erde, wie der Baum, der „zur rechten Zeit seine Früchte bringt“ (Ps 1,3) oder die Steinböcke, die in einem bestimmten Rhythmus ihre Jungen werfen (Ijob 39,1-4). Diese Beobachtungen der Natur und ihrer Zyklen sorgt bei den Menschen dafür, dass sie bestimmte Ereignisse in einem bestimmten Abstand wiederholen und z.B. Feste immer zyklisch feiern.[21] Diese Feste werden gleichzeitig schöpfungstheologisch verankert, indem von den Jahreszeiten der Aussaat eine Verbindung zum schöpferischen Handeln Gottes gezogen wird, der „den Regen im Herbst und den Regen im Frühjahr“ (Dtn 11,14) und „zur rechten Zeit“ (Ez 34,26) bringt.

 

Der beobachtbare Rhythmus der Natur[22] sorgt für eine Art Vertrauen in eine Ordnung, die ihren Ursprung im Handeln Gottes hat.[23] Diese zyklische Ordnung findet sich auch in der im Richterbuch dargestellten Geschichte des Volkes Israel wider. So beschreibt das Buch eine ständige Abfolge von Sünde Israels, Zorn Gottes, Einsetzen eines Richters zur Rettung, Rettung und Rückfall in die Sünde nach dem Tod des Richters.[24]

 

Aus dieser kurzen Darstellung ist deutlich geworden, dass es für die Menschen in der Antike aussagekräftige Gründe gab, eine zyklische Zeiteinteilung anzunehmen, die sie aufgrund von Naturbeobachtungen und unter Berücksichtigung ihrer eigenen Identität und Geschichte entwickelten. Das subjektive Zeitempfinden der Menschen beruht immer auf der „erlebte(n) Intensität“[25] der vergangenen Ereignisse, sodass Zeit letztlich von der eigenen Identität des Bewusstseins des Menschen abhängt. Somit ist Zeit in dieser Vorstellung nicht etwas objektiv Messbares, sondern eine subjektiv wahrgenommene Größe, deren Einteilung dem Individuum selbst obliegt.

 

3.2 Das geschichtlich-lineare Zeitverständnis

 

Das oben beschriebene zyklische Zeitverständnis wurde im Lauf der Geschichte jedoch langsam durch ein geschichtlich-lineares abgelöst. Gründe dafür gab es einige. So waren z.B. die klimatischen Verhältnisse in Israel relativ unvorhersehbar: es gab keinen wirklichen Rhythmus in Trocken- und Regenzeiten. Regen und Sonne kamen nicht in immer den gleichen Abständen, sodass das Nichtvorhersehbare und das Außergewöhnliche mit der Zeit immer mehr an Bedeutung gewann. Man entwickelte daraufhin ein anderes Verhältnis zu Zeit und versuchte, sie durch objektive Merkmale zu bestimmen. Dies erreichte man durch die Konsolidierung der politischen Herrschaft. Indem man die Regierungsjahre der Könige zählte, entwickelte sich langsam ein lineares Zeitverständnis, das eine Differenzierung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ermöglichte.[26]

 

Damit ergibt sich ein Kontrast im Zeitverständnis zwischen der Richterherrschaft, die eher zyklisch angesehen wurde, und der Königsherrschaft, die sich durch eine lineare Abfolge verschiedener Machthaber auszeichnete. Weiter bestärkt wurde dieses Zeitverständnis durch eine Allegorie der Geschichte. So wurde eine Verbindung zwischen geschichtlichen Ereignissen und dem Handeln Gottes hergestellt, sodass ihnen eine herausragende Bedeutung zukam, deren eigentlicher Sinn jedoch erst im weiteren Verlauf der Geschichte erkennbar ist. So seien z.B. der Exodus oder der Bund Gottes mit dem Volk Israel[27] Zeichen göttlichen Wirkens.

 

Damit entwickelte Israel die Bestimmung seiner Identität auf der Grundlage der Vergangenheit. Diese Vergangenheit wird durch Erinnerung der Menschen wachgehalten und bleibt somit präsent. Die kollektive Erinnerung des Volkes an eine lineare Abfolge von Ereignissen im geschichtlichen Verlauf rückt an die Stelle eines zyklischen, d.h. wiederkehrenden, Zeitverständnisses. Dadurch entwickelt sich auch ein Bewusstsein für die Zukunft, denn im Blick auf Vergangenes können die Menschen ihre eigene Gegenwart deuten und Erwartungen an die Zukunft[28] formulieren.[29]

 

3.3 Ein zyklisch-lineares Zeitverständnis?!

 

Wie können nun aber die Erkenntnisse aus der Beschäftigung mit den beiden Zeitverhältnissen auf das Alte Testament angewandt werden? Ist nun das mythisch-zyklische oder das geschichtlich-lineare Zeitverständnis dasjenige, was die Vorstellung von Zeit am besten wiedergibt? In diesem Kapitel wird eine Verknüpfung von beiden Verständnissen angestrebt, die deutlich macht, dass es durchaus Belege gibt, die auf ein integratives Zeitverständnis hinweisen.

 

Zum einen gibt es auf der Ebene der Feste eine Verknüpfung von zyklischem und linearem Zeitverständnis. So werden die Feste Israels, die in Entsprechung zum Rhythmus der Natur gefeiert wurden, in einem Zusammenhang mit geschichtlichen Ereignissen gesehen, die wiederum mit göttlichem Handeln in Verbindung stehen. Ein Beispiel dafür wäre das Mazzotfest, ein alljährlich zelebriertes Agrarfest, das im Zyklus der Natur und gleichzeitig in Erinnerung an den Exodus der Israeliten[30] begangen wurde, das somit sowohl dem zyklischen wie auch dem linearen Zeitverständnis Rechnung trägt.

 

Zum anderen wird auch auf der Ebene des menschlichen Daseins das zyklische mit dem linearen Zeitverständnis verknüpft. So spricht Ijob davon, dass der Tod des Menschen ein Fortgehen ohne Wiederkehr ist (Ijob 10,21), entgegen der Annahme, das menschliche Leben sei ein Zyklus im Sinne eines wiederholbaren Weges wie Ps 90,3 oder Ps 146,4. Gleichzeitig wird jedoch der Wechsel von Geborenwerden und Sterben als ein immer wiederkehrendes Geschehen beurteilt, wie z.B. in Koh 1,4. Somit wird in diesem Beispiel das lineare Zeitverständnis des Sterbens des Einzelnen mit dem Zyklus des allgemeinen Werdens und Vergehens verbunden.

 

Diese beiden Beispiele sollen genügen, um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie im Alten Testament mythisch-zyklisches und geschichtlich-lineares Zeitverständnis miteinander verknüpft werden.[31] Es lässt sich abschließend festhalten, dass das zyklische Zeitverständnis eine „Semiotisierung des Kosmos“ und das lineare Zeitverständnis eine „Semiotisierung der Geschichte“ darstellt.[32]

 

4 Ergebnisse

 

Nachdem in den vorigen Kapiteln einerseits drei Grundbegriffe biblischer Zeitdarstellung beschrieben und andererseits verschiedene Zeitverständnisse vorgestellt wurden, wird hier eine Zusammenführung dieser beiden Teile angestrebt.

 

Die drei Begriffe Tag, Zeit und Ewigkeit, die im ersten Teil dieser Arbeit behandelt wurden, ähneln sich in einigen Punkten, weisen aber größtenteils Unterschiede zueinander auf. So wird der Begriff Tag (יוֹם) dazu verwendet, um entweder die helle Phase oder den gesamten Kalendertag zu beschreiben. Dabei kann sowohl Vergangenes, wie in Jes 63,9, als auch Zukünftiges, wie Jes 2,2, beschrieben werden.

 

Dagegen wird der Begriff Zeit (עֵת) dazu verwendet, um eine bestimmte Zeit von/für etwas zu beschreiben. Die Übersetzung von עֵת in der Septuaginta mit dem griechischen Begriff καῖρος stützt diese These ebenfalls. Weiterhin wird dadurch, dass עֵת mit dem schöpferischen Handeln Gottes in Gen 1 in Verbindung gebracht wird, die Wichtigkeit dieses Begriffes für das Verständnis des Alten Testaments deutlich.

 

Der Begriff Ewigkeit, der als Fehlübersetzung des hebräischen Wortes עךלם identifiziert wurde, beschreibt eine undefinierte zeitliche Ausdehnung entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Er drückt in Anlehnung an Boëthius den vollkommenen Besitz des Lebens aus, der von Gott ermöglicht, aber von Menschen in seinem irdischen Dasein niemals erreicht werden kann.

 

Die Beschäftigung mit dem zyklischen Zeitverständnis konzentrierte sich auf die Beschreibung der Feste und die Beobachtungen der Zyklen der Natur und machte deutlich, dass die Menschen in der Antike ein anderes Verständnis von Zeit hatten, als es heutzutage vorherrscht. Die Untersuchung des linearen Zeitverständnisses, das der heutigen Vorstellung von Zeit gleicht, zeigt, dass es in Israel im Laufe der Geschichte immer mehr Menschen gab, die die Zeit aufgrund historischer Ereignisse und Persönlichkeiten in Abschnitte einteilten. Letztlich wurde deutlich, dass es im Alten Testament eine Art integratives Verständnis von Zeit gibt, das z.B. in der Verknüpfung von zyklischen Festen mit geschichtlichen Ereignissen sichtbar wird.

 

Zum Schluss dieser Arbeit steht die Frage, die schon Augustinus[33] formulierte: „Quid est ergo tempus? – Was also ist Zeit?“. In atl. Sinn ist Zeit immer durch ihre „Dichte“ qualifizierte Zeit, die durch Ereignisse oder Persönlichkeiten strukturiert ist. Dabei muss jedoch festgehalten werden, dass es im Hebräischen keinen Begriff für eine objektiv messbare Zeit gibt, sondern bestimmte Zeitpunkte, Zeiträume oder Zeitabschnitte mit verschiedenen Begriffen umschrieben werden.

 

Will man etwas über einen bestimmten Zeitpunkt sagen, verwendet man je nach Kontext עֵת oder יוֹם, bei Aussagen über weite Zeiträume eher עךלם. Diese Begriffe finden sowohl in einem mythisch-zyklischen als auch in einem geschichtlich-linearen Zeitverständnis Anwendung. Zeit kann also unterschiedlich ausgedrückt, verwendet und verstanden werden.

 

Um bestimmen zu können, was mit den Zeitbegriffen gemeint ist, die im Alten Testament vorkommt, müssen nicht nur die leichten Nuancen in der Bedeutung dieser drei Wörter, sondern auch die jeweiligen Zeitverständnisse berücksichtigt werden.

 

Literaturverzeichnis

 

Primärliteratur

 

Augustinus – Confessiones, Commentary on books 8-13, James Joseph O’Donnell, Oxford 2012.

 

Augustinus – Confessiones, lateinisch-deutsch, übers. von Wilhelm Thimme, Düsseldorf (u.a.) 2004.

 

Die Bibel – Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Stuttgart 42003.

 

Boethius – Consolatio Philosophiae, lateinisch-deutsch, hrsg. und übers. von Ernst Gegenschatz und Olof Gigon, Berlin 62011.

 

Boethius – Consolatio Philosophiae, Kommentar, Joachim Gruber, Berlin ²2006.

 

Sekundärliteratur

 

Gelhard, Dorothee: „Mit dem Gesicht nach vorne gewandt“. Erzählte Tradition in der deutsch-jüdischen Literatur, Wiesbaden 2008.

 

Herrmann, S., Art. Zeit (I), in: NBL, Bd. 3, Düsseldorf/Zürich 2001, Sp. 1190-1195.