Tarzan - Die Rückkehr - Edgar Rice Burroughs - E-Book

Tarzan - Die Rückkehr E-Book

Edgar Rice Burroughs

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Beschreibung

Tarzans Suche nach seinem Platz im Leben geht spannend weiter … Tief enttäuscht kehrt Tarzan von Wisconsin nach Paris zurück. Seine große Liebe Jane Porter hat ihm zwar auch ihre Liebe gestanden – aber sie ist bereits vergeben. Tarzan sucht seinen Platz in der Gesellschaft und einen Lebensinhalt, was sich als sehr schwierig herausstellt. Schließlich heuert er beim französischen Militärdienst an. Seine Reise führt ihn durch halb Afrika – und überall begleiten ihn gefährliche Abenteuer. Er lebt bei Einheimischen und sogar wieder bei seinem Affenstamm, aber nirgendwo gehört er richtig dazu. Bis, wieder einmal, das Schicksal zuschlägt – mit einem unerwarteten Happy End …" Tarzan – die Legende lebt Entdecken Sie den Abenteuerklassiker der Weltliteratur neu! Wir haben für Sie die Originaltexte an die aktuelle Rechtschreibung und heutigen Lesegewohnheiten angepasst.

nexx classics – WELTLITERATUR NEU INSPIRIERT

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Edgar Rice Burroughs

Tarzan – Die Rückkehr

ISBN/EAN: 9783958706828

1. Auflage

Englischer Originaltitel »The Return of Tarzan« von 1924, ins Deutsche übersetzt von Tony Kellen (1869-1948).

Wir haben für Sie die Originaltexte an die aktuelle Rechtschreibung und heutigen Lesegewohnheiten angepasst.

Umschlaggestaltung und Motiv: www.buerosued.de

www.nexx-verlag.de

Der Streit auf dem Dampfer

Wundervoll! sagte die Gräfin de Coude leise vor sich hin.

Was ist wundervoll? fragte der Graf, wobei er sich nach seiner jungen Frau umdrehte. Er schaute umher, um den Grund für ihre Bewunderung zu entdecken.

Oh, gar nichts, mein Lieber, erwiderte die Gräfin, aber ihre ohnehin rosigen Wangen wurden dabei noch etwas roter. Ich dachte nur gerade an die prachtvollen Wolkenkratzer von New York zurück.

Die schöne Gräfin lehnte sich behaglich in ihren Sessel zurück und nahm die Zeitschrift, die sie auf den Schoß hatte fallen lassen, wieder auf.

Auch ihr Mann vertiefte sich wieder in sein Buch, doch kam es ihm merkwürdig vor, dass seine Frau die Gebäude, die sie noch vor drei Tagen hässlich fand, jetzt plötzlich wundervoll fand.

Nach einigen Minuten legte der Graf das Buch wieder aus der Hand.

Es ist sehr langweilig, Olga, sagte er. Ich will mal sehen, ob ich nicht ein paar Herren finde, die sich genauso langweilen, und vielleicht mit mir Karten spielen möchten.

Du bist nicht sehr galant, rief die junge Frau lachend, aber da ich mich genauso langweile, kann ich es dir nicht verübeln. Geh nur und spiele mit deinen langweiligen Karten, wenn es dir Spaß macht.

Als der Graf weg war, sah sie verstohlen nach einem großen jungen Mann, der sich unweit von ihr bequem auf einem Liegestuhl ausgestreckt hatte.

Wundervoll! murmelte sie noch einmal.

Die Gräfin Olga de Coude war erst zwanzig Jahre alt, ihr Mann aber schon vierzig. Sie war ihm treu ergeben. Aber da sie nicht gefragt worden war, war sie in den Mann, den ihr das Schicksal – oder vielmehr ihr adliger russischer Vater – als Lebensgefährten ausgesucht hatte, verständlicherweise nicht gerade leidenschaftlich verliebt.

Aus dem Ausruf der Bewunderung beim Anblick des stattlichen jungen Mannes darf man aber nicht schließen, dass sie ihrem Gatten auf irgendeine Weise untreu gewesen wäre. Es war einfach zweifellos ein Vergnügen, ihn anzusehen.

Gerade als ihr verstohlener Blick über sein Gesicht huschte, stand er auf und verließ das Deck.

Die Gräfin winkte einen vorübergehenden Steward heran. Wer ist dieser Herr? fragte sie.

Er ist als Herr Tarzan aus Afrika eingetragen, gnädige Frau! lautete die Antwort.

Das nenne ich mal einen großen Besitz, dachte die junge Frau lächelnd, und ihre Neugier war jetzt noch gestiegen.

Als Tarzan langsam auf das Rauchzimmer zuging, kam er an zwei Männern vorbei, die vor der Tür aufgeregt miteinander flüsterten. Er hätte sie nicht einmal beachtet, wenn nicht der eine von ihnen einen sonderbaren Blick auf ihn geworfen hätte. Die beiden erinnerten Tarzan an die Schurken, die ihm aus rührseligen Dramen der Pariser Theater in Erinnerung geblieben waren. Beide waren dunkelhäutig, was, ebenso wie ihr Achselzucken und ihre verstohlenen Blicke, die Ähnlichkeit noch größer erscheinen ließ. Jedenfalls hatten sie wohl nichts Gutes im Sinn.

Tarzan trat in das Rauchzimmer und setzte sich etwas abseits von den Anwesenden hin. Er war nicht in der Stimmung, sich mit anderen zu unterhalten.

Während er seinen Absinth schlürfte, ließ er die vergangenen Wochen seines Lebens an sich vorüberziehen. Immer wieder fragte er sich, ob es klug gewesen war, dass er zugunsten eines Mannes, dem er in keiner Weise zu Dank verpflichtet war, auf sein Geburtsrecht verzichtete. Zwar betrachtete er Clayton als einen Freund, aber das war nicht der eigentliche Grund. Nicht William Cecil Clayton, Lord Greystoke, zuliebe hatte er seine Geburt verleugnet. Es war der Frau zuliebe, die er und Clayton liebten, und die eine seltsame Laune des Schicksals diesem, statt ihm, bestimmt hatte.

Dass sie ihn liebte, machte es ihm doppelt schwer, aber er sagte sich, er hätte nicht mehr tun können, als das, was er in jener Nacht auf der kleinen Eisenbahnstation in den fernen Wäldern von Wisconsin getan hatte. Ihm war vor allem ihr Glück wichtig, und seine kurze Erfahrung mit den zivilisierten Menschen hatte ihn gelehrt, dass ein Leben ohne Geld und Stellung für die meisten von ihnen unerträglich war.

Jane Porter war nun einmal in diese Zivilisation hineingeboren worden; hätte Tarzan diesem Mann Titel und Vermögen weggenommen, hätte er auch sie zweifellos in ein Leben gestürzt, das ihr elend und qualvoll erschienen wäre.

Tarzans Gedanken schweiften aus der Vergangenheit in die Zukunft. Er versuchte, sich auf die Rückkehr in den Dschungel zu freuen, in den grausamen wilden Dschungel, in dem er geboren wurde und wo er von seinen 22 Jahren 20 verlebt hatte. Aber welches von der Myriade Lebewesen des Dschungels würde ihn bei seiner Rückkehr schon willkommen heißen? Keines! Nur Tantor, den Elefanten, konnte er vielleicht seinen Freund nennen, die andern würden ihn verfolgen oder vor ihm fliehen – so, wie sie es früher auch getan hatten.

Nicht einmal die Affen seines Stammes würden ihn wohl willkommen heißen.

Wenn die Zivilisation auch nicht viel für Tarzan getan hatte, so hatte sie ihm doch bis zu einem gewissen Grad beigebracht, sich nach der Gesellschaft anderer Menschen zu sehnen und das Wohltuende von Kameradschaft zu schätzen. Es war jetzt schwer für ihn, sich eine Welt ohne einen Freund vorzustellen, ohne ein lebendes Wesen, mit dem er sich durch die mittlerweile gelernten Sprachen verständigen konnte. Und so schaute Tarzan recht trübselig in die Zukunft.

Als er so, in Gedanken versunken, dasaß, fiel sein Blick auf einen Spiegel vor ihm, und darin sah er einen Tisch, an dem vier Männer saßen, die Karten spielten. Gerade stand einer auf, um wegzugehen und es näherte sich ein anderer, der sich höflich anbot, den leeren Platz auszufüllen, damit das Spiel weitergehen konnte. Es war der Kleinere von den beiden, die Tarzan miteinander flüsternd vor dem Rauchzimmer gesehen hatte.

Das hatte die Neugier Tarzans geweckt und er konnte nicht umhin, im Spiegel das Bild der Spieler zu beobachten. Tarzan kannte nur den Namen eines der Spieler, nämlich desjenigen, der gegenüber dem neu hinzugekommenen saß. Es war Graf Raoul de Coude, den ihm ein zuvorkommender Steward kürzlich als eine der Berühmtheiten auf dem Schiff bezeichnet hatte und der wohl eine hohe Stellung im französischen Kriegsministerium innehatte.

Der andere Dunkelhäutige, der wie ein Bösewicht aussah, war mittlerweile ebenfalls hereingekommen und stand jetzt direkt hinter dem Stuhl des Grafen. Tarzan sah, dass er sich umdrehte und verstohlen umherschaute, er bemerkte Tarzans wachsame Augen aber nicht. Heimlich zog der Mann etwas aus seiner Tasche, aber da er es mit der Hand bedeckte, konnte Tarzan nicht sehen, was es war.

Langsam näherte sich die Hand dem Grafen, um ihm dieses etwas in die Tasche zu schieben. Der Mann blieb so stehen, dass er die Karten des Franzosen beobachten konnte. Das gab Tarzan zu denken. Er passte jetzt genau auf und ließ sich keine Einzelheit des Vorfalls entgehen.

Das Spiel ging danach noch etwa zehn Minuten weiter, bis der Graf von dem Mann, der zuletzt zum Spiel gekommen war, einen hohen Betrag gewann. Dann sah Tarzan, wie der Mann, der hinter dem Stuhl des Grafen stand, seinem Verbündeten verstohlen zunickte. Sofort erhob sich der Spieler und zeigte mit dem Finger auf den Grafen.

Hätte ich gewusst, dass der Herr hier ein Falschspieler ist, sagte er, wäre ich nicht so schnell bereit gewesen, mich an diesem Spiel zu beteiligen!

Im Nu sprangen der Graf und die beiden anderen Spieler auf.

Der Graf war blass geworden.

Was wollen Sie damit sagen, mein Herr? schrie er. Wissen Sie, mit wem Sie sprechen?

Ich weiß, dass ich das letzte Mal mit einem spreche, der beim Kartenspiel betrügt, erwiderte der andere.

Der Graf neigte sich sofort über den Tisch und versetzte dem Mann eine Ohrfeige, ehe die andern dazwischen gehen konnten.

Hier liegt ein Irrtum vor, Herr! rief einer der anderen Spieler. Das ist der Graf de Coude!

Sollte ich mich irren, sagte der, der ihn beschuldigt hatte, will ich mich gern entschuldigen, aber bevor ich das tue, soll der Herr Graf erklären, wozu er die Karten braucht, die er in seine Seitentasche gesteckt hat.

Der Mann, den Tarzan beim Hineinschieben der Karten beobachtet hatte, versuchte den Wortwechsel zu benutzen, um sich aus dem Rauchzimmer hinauszuschleichen; aber zu seinem Ärger fand er den Ausgang plötzlich von einem großen grauäugigen Fremden versperrt.

Sie entschuldigen, rief er, wobei er versuchte, an ihm vorbei zu schlüpfen.

Sie warten! sagte Tarzan.

Aber warum, mein Herr? fragte der andere ungeduldig. Lassen Sie mich vorbei!

Sie warten, sagte Tarzan, denn Sie können diese Sache zweifellos aufklären!

Der Dunkelhäutige hatte jetzt seine Zurückhaltung verloren und wollte Tarzan mit einem leisen Fluch zur Seite stoßen. Der lachte kurz auf, packte den Kerl am Mantelkragen und schob ihn zum Tisch zurück, was dieser fluchend und wild um sich schlagend zu verhindern versuchte.

So machte Nikolas Rokoff die erste Erfahrung mit den Muskeln, die Tarzan zum Sieg über Numa, den Löwen, und Terkop, den großen Menschenaffen, verholfen hatten.

Der Mann, der de Coude beschuldigt hatte, und die zwei anderen Spieler sahen den Grafen erwartungsvoll an. Mehrere andere Passagiere waren infolge des Wortwechsels hinzugekommen und alle warteten gespannt, was passieren würde.

Der Mensch ist verrückt, sagte der Graf. Meine Herren, ich bitte Sie, untersuchen Sie mich.

Die Beschuldigung ist lächerlich, sagte einer der beiden anderen Spieler.

Sie brauchen Ihre Hand nur in die Manteltasche des Grafen zu stecken, und Sie werden sehen, dass ich recht habe, versicherte der Spielpartner, der die Beschuldigung ausgesprochen hatte. Und als die andern noch zögerten, rief er aus: Na los! Ich werde es sonst selbst tun. Dabei ging er auf den Grafen zu.

Nein, mein Herr, sagte de Coude. Ich werde mich nur von einem Gentleman untersuchen lassen.

Es ist nicht nötig, den Grafen zu untersuchen. Die Karten sind in seiner Tasche. Ich habe selbst gesehen, wie sie hineingesteckt wurden.

Alle drehten sich erstaunt zu demjenigen um, der diese Worte gesprochen hatte. Sie sahen einen gutgebauten jungen Mann, der einen Menschen am Mantelkragen heranschleppte.

Es ist eine Verschwörung, rief de Coude ärgerlich. Es sind keine Karten in meinem Mantel! Und dabei griff er in seine Tasche.

Es herrschte tiefes Schweigen in der kleinen Gruppe. Der Graf wurde leichenblass und zog langsam seine Hand heraus, in der er tatsächlich drei Karten hielt.

Entsetzt sah er sie schweigend an, wobei sein Gesicht aufflammte. In den Gesichtern der Anwesenden mischte sich nun Mitleid mit Verachtung.

Der rief der grauäugige Unbekannte: Es ist eine Verschwörung, meine Herren. Der Graf wusste nicht, dass diese Karten in seiner Tasche waren. Sie wurden ohne sein Wissen während des Spieles hineingesteckt. Von meinem Stuhl dort hinten aus sah ich alles im Spiegel. Dieser Mann, den ich vom Flüchten abgehalten habe, hat die Karten in die Tasche des Grafen gesteckt.

De Coude schaute zuerst auf Tarzan, dann auf den Mann, den dieser mit der Faust festhielt.

Mein Gott, Nikolas! rief er. Du?

Dann wandte er sich an den Mann, der ihn beschuldigt hatte, und sah ihn einen Augenblick scharf an.

Und Sie, mein Herr … ohne Ihren Bart habe ich Sie nicht erkannt, Pawlowitsch! Jetzt verstehe ich!

Was sollen wir mit ihnen anfangen? fragte Tarzan. Dem Kapitän übergeben?

Nein, mein Herr, erwiderte der Graf hastig. Es ist eine persönliche Angelegenheit, und ich bitte Sie, sie auf sich beruhen zu lassen. Es genügt, dass ich von der Beschuldigung entlastet wurde. Je weniger wir mit solchen Leuten zu tun haben, umso besser ist es. Aber, wie kann ich Ihnen danken? Erlauben Sie, dass ich Ihnen hier meine Karte überreiche, und falls sich mir einmal eine Gelegenheit bietet, Ihnen eine Gefälligkeit zu erweisen, erinnern Sie sich daran, dass ich zu Ihren Diensten stehe.

Tarzan hatte Rokoff losgelassen. Er und sein Verbündeter Pawlowitsch, beeilten sich, das Rauchzimmer zu verlassen. Vorher zischte Rokoff Tarzan zu: Das werden Sie noch bereuen!

Tarzan lachte, verneigte sich dann vor dem Graf und überreichte ihm auch seine Karte.

Der Graf las:

Mr. Jean C. Tarzan

Herr Tarzan, sagte er, Sie werden sich vielleicht noch einmal wünschen, mir diesen Freundschaftsdienst niemals erwiesen zu haben, denn ich kann Ihnen sagen: Sie haben sich die Feindschaft von zwei der größten Verbrecher von ganz Europa zugezogen. Gehen Sie ihnen aus dem Weg, wo Sie nur können.

Mein lieber Graf, erwiderte Tarzan mit ruhigem Lächeln. Ich habe Feinde gehabt, die mehr zu fürchten waren, und doch bin ich noch am Leben, und es hat mir noch keiner etwas anhaben können. Ich glaube nicht, dass einer von den beiden es fertigbringen wird, mir ein Leid zuzufügen.

Wir wollen es nicht hoffen, mein Herr, sagte de Coude, aber es wird auf alle Fälle nichts schaden, wenn Sie auf der Hut sind und wenn Sie wissen, dass Sie sich heute jemanden zum Feind gemacht haben, der nie vergisst und nie vergibt, und in dessen bösartigem Hirn immer neue Schurkereien ersonnen werden, um sich an denen zu rächen, die seine Pläne vereitelt haben oder ihm sonst irgendwie zu nahegetreten sind. Wenn man Nikolas Rokoff einen Teufel nennt, beleidigt man damit den Satan.

Am Abend, als Tarzan seine Kabine betrat, fand er einen zusammengefalteten Zettel auf dem Boden, der offenbar unter der Tür hereingeschoben worden war. Er öffnete es und las:

Herr Tarzan,

Sie waren sich zweifellos der Schwere Ihrer Beleidigung nicht bewusst, sonst hätten Sie sich sicher nicht zu Ihrer heutigen Handlung hinreißen lassen. Ich will annehmen, dass Sie in Unkenntnis gehandelt haben und nicht die Absicht hatten, mich zu beleidigen. Deshalb will ich Ihnen erlauben, sich zu entschuldigen, und wenn ich Ihre Versicherung erhalten habe, dass Sie sich nicht mehr in fremde Angelegenheiten einmischen werden, will ich die Sache auf sich beruhen lassen.

Andernfalls … – doch ich bin sicher, dass Sie so klug sein werden, den vorgeschlagenen Weg einzuschlagen.

HochachtungsvollNikolas Rokoff

Einen Augenblick spielte ein grimmiges Lächeln um Tarzans Lippen, aber dann dachte er nicht weiter daran und ging zu Bett.

In einer nahegelegenen Kabine sprach zur gleichen Zeit die Gräfin de Coude mit ihrem Gatten.

Was ist los, mein lieber Raoul? Du bist den ganzen Abend so ruhig gewesen. Macht dir etwas Sorgen?

Olga, Nikolas ist an Bord dieses Schiffes. Wusstest du das?

Nikolas? rief sie aus. Das ist unmöglich, Raoul! Das kann nicht sein! Nikolas ist doch in Deutschland verhaftet worden.

Das dachte ich auch, bis ich ihn heute sah – ihn und den andern Erzgauner, Pawlowitsch. Olga, ich kann diese Verfolgung nicht länger ertragen. Selbst um deinetwillen nicht. Früher oder später werde ich ihn den Behörden ausliefern. Ich habe mich schon halbwegs entschlossen, dem Kapitän alles zu erklären. Auf einem französischen Dampfer wäre es leicht, uns diesen Verfolger dauerhaft vom Hals zu schaffen.

Oh nein, Raoul! rief die Gräfin, wobei sie vor ihm niederkniete. Tu das nicht! Denke an das Versprechen, das du mir gegeben hast. Sage mir, Raoul, dass du das nicht tun wirst.

De Coude nahm die Hände seiner Frau in die seinen und betrachtete ihre bleichen Züge.

Wie du wünschst, Olga, sagte er schließlich. Ich kann es zwar nicht verstehen. Er hat jeden Anspruch auf deine Liebe und Achtung verwirkt. Er ist eine Gefahr für dein Leben, deine Ehre und für das Leben und die Ehre deines Mannes. Mögest du es nie bereuen, ihn verteidigt zu haben.

Ich verteidige ihn nicht, Raoul, unterbrach sie ihn heftig. Ich hasse ihn ebenso sehr wie du, aber – oh Raoul – Blut ist dicker als Wasser.

Ich hätte heute gerne die Beschaffenheit seines Blutes geprüft, sagte de Coude wütend. Die beiden haben heute vorsätzlich versucht, meine Ehre zu beschmutzen, Olga. Und dann erzählte er, was im Rauchzimmer passiert war.

Ohne diesen Fremden, fuhr er fort, wäre es ihnen geglückt, denn wer hätte meinem Wort geglaubt, da die verwünschten Karten ja tatsächlich in meiner Tasche waren? Ich hätte es ja beinahe selbst geglaubt, hätte nicht dieser Herr Tarzan deinen feinen Nikolas zu uns herangeschleppt und den ganzen feigen Anschlag aufgeklärt.

Herr Tarzan? fragte die Gräfin sichtlich überrascht.

Ja, kennst du ihn?

Ich habe ihn gesehen. Ein Steward zeigte ihn mir.

Ich wusste nicht, dass er eine Berühmtheit ist, sagte der Graf.

Olga de Coude wechselte schnell das Thema. Es wäre schwer gewesen, zu erklären, weshalb sie den Steward nach dem Namen des attraktiven Tarzan gefragt hatte ...

Ein rätselhafter Überfall

Erst spät am folgenden Nachmittag sah Tarzan die Reisegefährten wieder, in deren Angelegenheiten ihn seine Ehrlichkeit verwickelt hatte. Und dann stieß er auch ganz unerwartet wieder auf Rokoff und Pawlowitsch – in einem Augenblick, der den beiden sicher unerwünscht war.

Sie standen auf dem Deck und befanden sie sich gerade in einem heftigen Streit mit einer Dame. Die Dame war vornehm gekleidet, ihre schlanke Gestalt ließ auf ein jüngeres Alter schließen, aber ihr Gesicht konnte Tarzan nicht sehen, da sie dicht verschleiert war.

Sie stand zwischen den beiden Männern. Diese hatten Tarzan den Rücken zugekehrt, und so konnte er sich ihnen nähern, ohne dass sie ihn bemerkten. Er sah, dass Rokoff zu drohen und zu bitten schien. Worum es ging verstand er nicht, sie sprachen in einer fremden Sprache, aber er konnte er erkennen, dass sich die junge Frau fürchtete.

Rokoffs Haltung war schließlich so drohend, dass der Affenmensch hinter dem Trio stehen blieb, da er befürchtete, der grobe Mensch könnte handgreiflich werden. Im selben Augenblick fasste Rokoff sie dann auch schon am Handgelenk. Da wurde er plötzlich mit stahlhartem Griff an den Schultern gefasst und mit solchem Schwung zur Seite geworfen, dass er erst gar nicht wusste, wie ihm geschah. Erst als er aufblickte, sah er in die kalten grauen Augen des Fremden, der ihm am Tag zuvor schon in die Quere gekommen war.

Verdammt! schrie er wütend. Was fällt Ihnen ein? Sind Sie verrückt, dass Sie mich schon wieder belästigen?

Das ist meine Antwort auf Ihr Briefchen, mein Herr! flüsterte ihm Tarzan zu. Und dann schleuderte er den Kerl mit solcher Wucht von sich, dass er gegen die Reling stürzte.

Verdammt! Das kostet dich das Leben! Rokoff sprang auf, wobei er versuchte, einen Revolver aus seiner Tasche zu ziehen.

Die junge Dame fuhr entsetzt zurück.

Nikolas! rief sie, Nein, tu das nicht, tu das nicht! Und dem Fremden schrie sie zu: Schnell, fliehen Sie, sonst wird er Sie töten!

Aber statt zu fliehen, ging Tarzan auf Rokoff zu. Machen Sie sich nicht unglücklich! sagte er.

Rokoff war durch die erlittene Demütigung derartig in Rage geraten, dass er den Revolver auf Tarzans Brust richtete. Der Hahn knackte, aber der erste Schuss versagte. Noch ehe er ein zweites Mal abdrücken konnte, hatte Tarzan den Revolver mit raschem Griff erfasst und ihn über die Reling ins Meer geworfen.

Einen Augenblick standen die beiden da und sahen einander an. Dann schrie Rokoff:

Zweimal haben Sie sich nun berufen gefühlt, sich in Dinge einzumischen, die Sie nichts angehen. Zweimal haben Sie mich gedemütigt. Die erste Beleidigung habe ich hingenommen, weil ich annahm, dass Sie in Unkenntnis handelten, aber das hier wird nicht vergessen werden!

Dass Sie ein Feigling und ein Schurke sind, mein Herr, erwiderte Tarzan, ist alles, was ich von Ihnen zu wissen brauche.

Er drehte sich um, um die Dame zu fragen, ob Rokoff ihr weh getan habe, aber sie war verschwunden.

Dann setzte er seinen Spaziergang auf Deck fort, ohne auch nur einen Blick auf Rokoff und seinen Gefährten zu werfen.

Tarzan hätte gerne gewusst, was da im Gange war oder welche Pläne die beiden Männer hatten. Die verschleierte Dame kam ihm bekannt vor, aber da er ihr Gesicht nicht gesehen hatte, war er nicht sicher, wer sie war. Was ihm an ihr aufgefallen war, war ein besonders schöner Ring an der Hand, die Rokoff festgehalten hatte. Er beschloss deshalb, von nun an auf die Finger der weiblichen Passagiere zu achten, um die geheimnisvolle Dame zu finden.

Als Tarzan seinen Stuhl auf dem Verdeck wieder aufgesucht hatte, musste er über die zahlreichen Beispiele menschlicher Grausamkeiten, Selbstsucht und Gehässigkeit nachdenken, deren Augenzeuge er gewesen war – seit dem Tag, an dem er vor vier Jahren zum ersten Mal ein anderes menschliches Wesen im Dschungel erblickt hatte: den glatten schwarzen Kulonga, dessen Pfeil Kala, die große Äffin, getötet und den jungen Tarzan seiner Mutter beraubte.

Er dachte an die Ermordung Kings durch den Matrosen Snipes mit dem Rattengesicht, an die Aussetzung des Professors Porter und dessen Gefährten durch die Meuterer der »Arrow«, an die Grausamkeit der schwarzen Krieger und Frauen Mbongas gegenüber ihren Gefangenen und an die kleinliche Missgunst der bürgerlichen und militärischen Beamten der Westküsten-Kolonie, wo er zum ersten Mal Kontakt mit der zivilisierten Welt hatte.

Mein Gott, sagte er zu sich selbst, sie sind doch alle gleich. Betrügen, morden, lügen, streiten – und alles für Dinge, die die Tiere im Dschungel nicht besitzen möchten: Geld. Und zu alledem sind sie auch noch durch törichte Gewohnheiten eingeengt, Gewohnheiten, die sie zu Sklaven ihres unglücklichen Lebens machen, während sie fest glauben, dass sie, die Herren der Schöpfung, die einzig wahren Freuden des Lebens genießen. Es ist eine törichte Welt, eine irre Welt, und Tarzan war ein Narr gewesen, auf die Freiheit und das Glück im Dschungel zu verzichten, um in diese Welt einzutreten.

Plötzlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Tarzan drehte sich so schnell herum, dass die Augen der jungen Dame, die ihn heimlich angesehen hatte, keine Zeit hatten, sich zu senken, bevor die grauen Augen des Affenmenschen sie fragend anblickten. Tarzan sah, dass sich ein roter Schimmer über ihr jetzt abgewendetes Gesicht ausbreitete.

Er lächelte in sich hinein. Die Dame war sehr jung und sehr hübsch. Sie kam ihm bekannt vor, und er fragte sich, wo er sie wohl schon gesehen hatte.

Sie stand auf und verließ das Deck. Dabei strich sie mit einer Hand durch die Haarfülle ihres Nackens – diese eigentümliche Bewegung, die Frauen machen, wenn sie vermuten, dass sie beobachtet werden – und da sah Tarzan den wunderschönen Ring, den er kurz vorher an dem Finger der verschleierten Dame bemerkt hatte.

Sie war also die junge Frau, die Rokoff belästigt hatte. Tarzan hätte gern gewusst, wer sie war und in welchem Verhältnis eine solche Frau zu dem groben Russen stand.

Am Abend schlenderte er nach dem Abendessen nach vorne und unterhielt sich bis nach Eintritt der Dunkelheit mit dem zweiten Offizier. Als dieser durch seine Pflicht in Anspruch genommen wurde, lehnte sich Tarzan an die Reling und sah dem Spiel des Mondlichtes auf den sanft dahinrollenden Wellen zu. Er wurde durch einen Kran verdeckt, so dass ihn die zwei Männer, die sich ihm näherten, nicht sehen konnten. Während sie vorübergingen, fing Tarzan genug von ihrem Gespräch auf, um sich veranlasst zu sehen, ihnen zu folgen. Er wollte erfahren, welche Teufelei sie dieses Mal ausheckten. Er hatte die Stimmen Rokoffs und Pawlowitschs erkannt.

Es waren nur wenig Worte, die Tarzan auffangen konnte: ... und wenn sie schreit, dann würge sie, bis … das Weitere hatte er nicht mehr verstanden, aber das Gehörte genügte, um die beiden Männer im Auge zu behalten. Er folgte ihnen bis zum Rauchzimmer, wo sie am Eingang stehen blieben, offenbar, um sich zu überzeugen, ob jemand, den sie suchten, dort war.

Dann gingen sie aufs Promenadendeck zu den Kabinen erster Klasse. Hier musste Tarzan besser aufpassen, um nicht entdeckt zu werden. Als die beiden Männer vor einer der polierten Hartholztüren stehen blieben, schlich er sich in den Schatten eines Ganges, kaum zwölf Schritte von ihnen entfernt.

Auf ihr Klopfen fragte eine weibliche Stimme auf Französisch: Wer ist da?

Ich bin es, Olga – Nikolas! war die Antwort von Rokoffs Stimme. Lass mich herein!

Warum hörst du nicht auf, mich zu verfolgen, Nikolas? kam die Stimme durch die dünne Tür. Ich habe dir nie etwas zuleide getan.

Komm, komm, Olga, drängte der Mann in versöhnlichem Ton. Ich will nur kurz mit dir sprechen. Ich tue dir nichts und will auch nicht reinkommen, aber was ich dir sagen will, kann ich nicht durch die Tür schreien.

Tarzan hörte, wie die Sperrklinke drinnen knackte. Er trat etwas aus seinem Versteck heraus, um zu sehen, was geschah, sobald die Tür geöffnet war, denn er dachte an die unheilvollen Worte, die er einige Minuten vorher auf dem Deck gehört hatte.

Rokoff stand direkt vor der Tür. Pawlowitsch hatte sich an die getäfelte Wand am Ende des Ganges gedrückt. Die Tür wurde geöffnet. Rokoff trat halb in den Raum und stand mit dem Rücken zur Tür, wobei er im Flüsterton mit der Frau sprach, die Tarzan nicht sehen konnte. Dann hörte er die Stimme der Dame, leise, doch laut genug, um ihre Worte zu verstehen. Nein, Nikolas, sagte sie. Drohe so viel du willst, ich werde niemals in diese Forderung einwilligen. Bitte, verlass das Zimmer; du hast versprochen, nicht hereinzukommen.

Gut, Olga, ich werde nicht eintreten, aber du wirst noch tausendfach bereuen, mir diesen Gefallen, um den ich dich bitte, nicht getan zu haben. Am Ende werde ich doch gewinnen, und so könntest du mir Mühe und Zeit und dir und deinem …

Niemals, Nikolas! unterbrach ihn die weibliche Stimme. Dann sah Tarzan, wie Rokoff sich umdrehte und Pawlowitsch ein Zeichen gab. Dieser sprang schnell auf den Eingang der Kabine zu und rannte an Rokoff vorbei, der die Tür für ihn offenhielt. Dann trat Rokoff schnell heraus, die Tür fiel zu. Tarzan hörte das Knacken des Schlosses, als Pawlowitsch drinnen den Schlüssel umdrehte. Rokoff blieb vor der Tür stehen; er beugte sich vor um die Worte erlauschen wollte, die drinnen gesprochen wurden. Ein hässliches Lächeln umspielte seine bärtigen Lippen.

Tarzan konnte hören, wie die Frau dem Eindringling befahl, ihre Kabine zu verlassen. Ich werde meinen Mann rufen lassen, schrie sie. Er wird kein Erbarmen mit Ihnen haben. Pawlowitschs höhnisches Lachen drang durch die Tür.

Der Proviantmeister wird Ihren Gatten holen, Madame, sagte der Mann. Er wurde schon darüber informiert, dass Sie einen fremden Mann in Ihrer Kabine empfangen haben.

Pah! rief die Frau. Mein Mann weiß, was er davon zu halten hat.

Sicher weiß er es, aber der Offizier und die Journalisten, die auf geheimnisvolle Weise bei der Ankunft davon hören werden, wissen es nicht. Und sie werden denken, dass es eine schöne Geschichte für die Zeitungen ist, und das werden auch all Ihre Freunde denken, wenn sie diese am nächsten Freitag, zu ihrem Frühstück in den Zeitungen lesen werden. Es wird dem Interesse an der Geschichte sicher auch keinen Abbruch tun, wenn die Leser erfahren werden, dass der Mann, zu dem Madame unschickliche Beziehungen unterhält, ein russischer Bedienter ist – der Kammerdiener ihres Bruders, um ganz genau zu sein.

Alexei Pawlowitsch, entgegnete die weibliche Stimme kühl und furchtlos, Sie sind ein Feigling. Wenn ich Ihnen einen bestimmten Namen ins Ohr flüstere, werden Sie sich Ihre Drohungen besser noch einmal überlegen. Dann werden Sie meine Kabine sofort verlassen, und mich niemals wieder belästigen.

Dann folgte kurzes Schweigen, und Tarzan schloss daraus, dass die Frau dem Schurken das angedeutete Wort ins Ohr flüsterte.

Das Schweigen dauerte nur einen Augenblick, dann hörte man einen Fluch aus dem Munde des Mannes – das Schlurfen von Füßen – den Schrei einer Frau, dann war wieder Stille.

Der Schrei war kaum verklungen, als der Affenmensch aus seinem Versteck hervorsprang. Rokoff wollte fortlaufen, aber Tarzan packte ihn am Kragen. Keiner sprach ein Wort, aber beide fühlten instinktiv, dass in dem Raum ein Mord geschehen würde, und Tarzan war sicher, dass es nicht in Rokoffs Absicht lag, es soweit kommen zu lassen.

Ohne lange zu überlegen, warf sich der Affenmensch mit seiner riesigen Schulter so gegen die Tür, dass diese in zahlreiche Splitter zersprang und drang er in die Kabine ein, Rokoff hinter sich herschleppend.

Vor ihm, auf einem Bett, lag die junge Frau und auf ihr Pawlowitsch, dessen Finger ihren Hals zusammendrückten, während die Hände seines Opfers ihm wirkungslos ins Gesicht schlugen und verzweifelt an den Fingern zerrten, die sie erwürgen wollten.

Bei dem Lärm, der durch Tarzans Einbruch entstanden war, sprang Pawlowitsch auf und starrte auf Tarzan. Die Frau richtete sich zitternd auf dem Bett auf. Eine Hand hielt sie an ihren Hals, und ihr Atem ging in kurzen Stößen. Trotz ihrer Blässe und ihres aufgelösten Haares erkannte Tarzan sie als die junge Dame, die er heute früh dabei überraschte, wie sie ihn beobachtete.

Was soll das bedeuten? fragte Tarzan, sich an Rokoff wendend.

Der Mann verharrte in mürrischem Schweigen.

Drücken Sie auf den Knopf, fuhr der Affenmensch fort. Wir brauchen einen Schiffsoffizier hier, die Sache ist jetzt weit genug gegangen.

Nein, nein, rief die Frau, wobei sie aufsprang. Tun Sie das nicht! Ich bin sicher, dass man nicht die Absicht hatte, mir wirklich ein Leid zuzufügen. Ich verärgerte diesen Mann, und da verlor er die Selbstbeherrschung – das ist alles. Ich möchte die Angelegenheit auf sich beruhen lassen, mein Herr.

Es lag ein so flehender Ausdruck in ihrer Stimme, dass Tarzan ihrer Bitte nachkam, obwohl er überzeugt war, dass hier etwas vor sich ging, worüber die zuständigen Behörden unterrichtet werden müssten.

Sie wünschen also, dass ich nichts in der Sache tue? fragte er. Nein, nichts, sagte sie.

Wollen Sie sich also noch weiterhin von diesen zwei Schurken belästigen lassen?

Sie schien um eine Antwort verlegen zu sein, und sah verwirrt und unglücklich aus. Tarzan bemerkte auf Rokoffs Lippen ein triumphierendes Lächeln. Die junge Frau fürchtete sich offenbar vor den beiden, und wagte es nicht, ihren tatsächlichen Wunsch im Beisein der beiden auszudrücken. Dann, sagte Tarzan, werde ich auf meine eigene Verantwortung handeln.

Und sich an Rokoff wendend, fuhr er fort:

Sie und Ihren Helfershelfer werde ich ab jetzt bis ans Ende der Fahrt im Auge behalten, und sollte ich erfahren, dass diese junge Dame auch nur im Entferntesten noch einmal belästigt wird, werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen, und das wird für keinen von Ihnen eine angenehme Erfahrung werden. Und nun hinaus!

Bei diesen Worten packte er Rokoff und Pawlowitsch beim Kragen und schob sie durch den Eingang, wobei er jedem noch einen Fußtritt versetzte.

Dann wandte er sich wieder zu der jungen Dame um, die ihn mit großen erstaunten Augen ansah.

Und Sie, gnädige Frau, sagte er, würden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie mich benachrichtigen würden, sobald einer der Halunken Sie wieder belästigt.

Oh mein Herr, antwortete sie, ich hoffe, dass Sie für Ihre freundliche Tat nicht zu leiden haben werden. Sie haben sich einen sehr bösen Feind gemacht, der vor nichts zurückschrecken wird, um seinen Hass zu befriedigen. Sie müssen sehr auf der Hut sein, Herr …

Gestatten, gnädige Frau, mein Name ist Tarzan.

Also, Herr Tarzan, Sie wollen, bitte, nicht denken, dass ich Ihnen für Ihren tapferen, ritterlichen Schutz, den Sie mir erwiesen haben, nicht aufrichtig dankbar bin, weil ich nicht einwilligen wollte, dass Sie die Schiffsoffiziere benachrichtigen. Gute Nacht, Herr Tarzan! Ich werde nie vergessen, was ich Ihnen schulde.

Und mit einem lieblichen Lächeln, das eine Reihe schöner Zähne zeigte, verneigte sie sich grüßend vor Tarzan, der ihr gute Nacht bot und die Kabine verließ.

Er zerbrach sich den Kopf darüber, warum zwei Menschen – die junge Dame und der Graf de Coude – die unter den Schändlichkeiten Rokoffs und seines Genossen zu leiden hatten, nicht wollten, dass die Übeltäter dem Gericht ausgeliefert werden.

Bevor er zu Bett ging, kehrten seine Gedanken noch oft zu der schönen jungen Frau zurück, in deren Schicksal er eingegriffen hatte. Dass sie verheiratet war, bewies der goldene Ring am dritten Finger ihrer linken Hand. Unwillkürlich dachte er darüber nach, wer der glückliche Mann wohl sein mochte.

Tarzan sah keine der Personen des Dramas wieder. Bis zum Spätnachmittag des letzten Tages der Fahrt. Da sah er sich plötzlich der jungen Frau gegenüber, als sie sich aus entgegengesetzten Richtungen ihren Liegestühlen näherten.

Sie grüßte ihn mit freundlichem Lächeln und sprach fast unmittelbar von dem Vorfall in ihrer Kabine. Es schien, als wolle sie nicht, dass ihre Bekanntschaft mit Rokoff und Pawlowitsch sie in einem ungünstigen Licht erscheinen ließ.

Ich hoffe, sagte sie, dass Sie mich nicht nach den Vorkommnissen am Dienstagabend beurteilen. Ich habe sehr darunter gelitten. Heute ist das erste Mal, dass ich mich seitdem wieder aus der Kabine wage. Ich habe mich geschämt.

Man beurteilt die Gazelle nicht nach den Löwen, die sie angreifen, erwiderte Tarzan. Ich habe die beiden im Rauchzimmer in Aktion gesehen und weiß, dass sie nur Unschuldige angreifen. Männer wie diese kleben am Hässlichen und hassen alles, was edel und gut ist.

Es ist sehr gütig von Ihnen, es so auszulegen, antwortete sie lächelnd. Ich habe die Geschichte mit dem Kartenspiel schon gehört. Mein Mann erzählte mir von dem Vorfall, von der Kraft und der Unerschrockenheit des Herrn Tarzan, dem er sich zu größtem Dank verpflichtet fühlt.

Der Graf ist Ihr Gatte? fragte Tarzan.

Ja, ich bin die Gräfin de Coude.

Ich bin reichlich belohnt durch das Wissen, dass ich der Gattin des Grafen de Coude einen Dienst erweisen konnte.

Mein Herr, ich stehe schon so tief in Ihrer Schuld, dass ich meine Rechnung wohl nie werde begleichen können; darum bitte ich Sie, mich nicht noch mehr zu verpflichten.

Dabei lächelte sie ihn so freundlich an, dass Tarzan sich sagte: Für ein solches Lächeln würde ein Mann noch viel mehr tun.

Zuletzt sprachen sie über die schnellen Freundschaften, die auf den Ozeandampfern entstehen und die oft genauso schnell wieder beendet werden.

Tarzan fragte sich denn auch, ob er die junge Gräfin jemals wiedersehen werde.

An diesem Tag sah er sie nicht mehr, und auch am folgenden Tag bei der Landung konnte er sie in dem Gedränge nicht finden. Aber beim gestrigen Abschied auf Deck hatte in ihrem Blick ein Ausdruck gelegen, den er nicht vergessen konnte.

Was in der Rue Maule in Paris geschah

Bei seiner Ankunft in Paris begab sich Tarzan sofort in die Wohnung seines alten Freundes Paul d'Arnot. Der Leutnant freute sich, ihn wiederzusehen, machte ihm aber bald Vorwürfe darüber, dass er so töricht war, auf den Titel und die Reichtümer zu verzichten, die ihm von Rechts wegen zustanden.

Sie müssen verrückt sein, mein Freund, sagte d'Arnot, dass Sie nicht nur auf Reichtum und Stellung verzichten, sondern auch auf die Gelegenheit, aller Welt zu zeigen, dass das Blut von zwei der angesehensten englischen Familien in Ihren Adern fließt.

Ich habe nie an Ihre Abstammung von der Äffin geglaubt, schon damals nicht. Jetzt aber kennen wir das Tagebuch Ihres Vaters. Er hat das schreckliche Leben darin geschildert, das er mit Ihrer Mutter an der afrikanischen Küste führen musste. Er erzählt von Ihrer Geburt und ist ein überzeugender Beweis für Ihre wahre Abstammung – sogar der Abdruck Ihrer Kinderhand ist darin. Das alles haben wir schwarz auf weiß vor uns, da ist es einfach unglaublich, dass Sie trotzdem auf Besitz und Titel verzichten.

Ich brauche keinen besseren Namen als Tarzan, erwiderte der Affenmensch, und was den Besitz betrifft, so habe ich nicht die Absicht, mittellos zu bleiben. Die nächste – und wie ich hoffe letzte – Anforderung an Ihre uneigennützige Freundschaft ist die, eine Anstellung für mich zu finden.

Ach was, sagte d'Arnot, Sie wissen, dass ich es nicht so meine. Habe ich Ihnen nicht ein Dutzend Mal gesagt, dass ich genug Geld für zwanzig Männer habe und dass die Hälfte meines Vermögens Ihnen gehört? Und selbst wenn ich Ihnen alles gäbe, würde es niemals den Wert haben, den ich auf Ihre Freundschaft lege, Tarzan. Wie könnte Geld das ausgleichen, was Sie für mich in Afrika getan haben? Ich werde nie vergessen, dass ich ohne Sie am Marterpfahl von Mbongas Menschenfressern geendet hätte. Und Ihrer Aufopferung und Pflege verdanke ich es, dass ich von den schrecklichen Wunden genesen bin. Ich habe erst später verstanden, welche Entsagung es für Sie war, bei mir auszuharren, während Ihr Herz zur Küste drängte.

Als wir dort ankamen und sahen, dass Miss Porter und ihre Gefährten fortgegangen waren, wurde mir erst wirklich bewusst, was Sie für einen völlig Fremden getan hatten. Ich versuche auch nicht, Sie mit Geld zu bezahlen, Tarzan, aber da Sie gegenwärtig Geld brauchen, stelle ich Ihnen selbstverständlich so viel zur Verfügung, wie Sie wünschen. Das ist kein Opfer, das ich Ihnen bringe, sondern lediglich der Ausdruck meiner Dankbarkeit und meiner Freundschaft.

Nun, sagte Tarzan lachend, wir wollen uns wegen des Geldes nicht streiten. Ich brauche es zum Leben, aber es wäre mir lieber, wenn ich es erarbeiten könnte. Sie können mir keinen besseren Beweis Ihrer Freundschaft geben, als wenn Sie eine Anstellung für mich suchen. Ich kann nicht untätig bleiben. Was mein Geburtsrecht betrifft, so ist es in guten Händen. William Clayton hat mich nicht beraubt, denn er glaubt, der rechtmäßige Lord Greystoke zu sein, und er wird voraussichtlich ein besserer englischer Lord sein als ein Mann, der im afrikanischen Dschungel geboren und aufgewachsen ist. Sie wissen, dass ich auch jetzt noch nicht wirklich zivilisiert bin. Wenn ich in Zorn gerate und es mir rot vor den Augen wird, fegen die Instinkte des wilden Tieres das wenige, das ich mir an Kultur angeeignet habe, völlig hinweg.

Und hätte ich verraten, wer ich bin, hätte ich der Frau, die ich liebe, den Reichtum und die Stellung weggenommen, die ihr ihre Heirat mit Clayton jetzt sichert. Das konnte ich doch nicht tun, nicht wahr, Paul?

Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: Das Geburtsrecht ist auch von keiner großen Wichtigkeit für mich. Ich erkenne im Menschen wie im Tier nur den Wert an, den sie dank ihrer geistigen oder körperlichen Überlegenheit haben. Und ich bin glücklich, wenn ich an Kala als meine Mutter denke, denn sie war in ihrer, wenn auch wilden, Art immer gut zu mir. Sie muss mich von jenem Tag an, an dem meine arme Mutter starb, genährt haben. Kala kämpfte für mich gegen die wilden Bewohner des Waldes und selbst gegen manche Mitglieder unseres Stammes mit dem ganzen Mut wahrer Mutterliebe.

Und ich liebte sie, Paul. Ich wusste nicht, wie sehr ich sie liebte, bis der Speer und der vergiftete Pfeil von Mbongas schwarzem Krieger sie von meiner Seite gerissen hat. Ich war noch ein Junge, als das geschah, und ich warf mich über ihren toten Körper, um meinen Schmerz auszuweinen, wie ein Kind um seine eigene Mutter geweint haben würde. Ihnen, mein Freund, wäre sie als ein hässliches Geschöpf erschienen, aber für mich war sie schön. Und so bin ich vollkommen zufrieden, für immer der Sohn von Kala, der Äffin, zu bleiben.

Ich bewundere Sie wegen Ihrer Treue, sagte d'Arnot, aber die Zeit wird kommen, da Sie froh sein werden, Anspruch auf Ihre Abstammung zu erheben. Denken Sie daran, was ich Ihnen sage, und wir wollen hoffen, dass es dann noch ebenso leicht sein wird, den Nachweis zu führen, wie heute. Sie dürfen nicht vergessen, dass Professor Porter und Mr. Philander die einzigen Menschen auf der Welt sind, die beschwören können, dass das kleine Skelett, das in der Hütte zusammen mit dem Ihres Vaters und Ihrer Mutter gefunden wurde, das eines jungen Menschenaffen war und nicht der Sprössling von Lord und Lady Greystoke. Dieses Zeugnis ist äußerst wichtig. Beide sind alte Männer und leben vielleicht nicht mehr lange. Und dann: haben Sie nie daran gedacht, dass Miss Porter, wenn sie einmal die Wahrheit erfahren würde, ihre Verlobung mit Clayton auflösen könnte? Sie könnten mit Leichtigkeit Ihren Titel, Ihre Besitzungen und die Frau, die Sie lieben, erringen, Tarzan. Haben Sie nie daran gedacht?

Tarzan schüttelte den Kopf. Sie kennen sie nicht, sagte er. Nichts könnte sie fester an ihr Versprechen binden, als ein etwaiges Unglück, das über Clayton käme. Sie ist aus einer alten amerikanischen Familie des Südens, und denen aus den Südstaaten geht ihre Treue über alles!

~~~

Die zwei folgenden Wochen benützte Tarzan, um seine kurze Bekanntschaft mit Paris zu vertiefen. Tagsüber besuchte er Buchhandlungen und Bildergalerien. Er las alles, was ihm in die Hände kam, und wenn er darüber nachdachte, wie ungeheuer groß das Gebiet des Wissens ist, erschrak er, dass sich der einzelne Mensch doch eigentlich nur einen verschwindend kleinen Teil dieses Wissens aneignen kann. Trotzdem lernte er tagsüber soviel er nur konnte. Abends aber ging er aus, um sich zu zerstreuen und zu vergnügen. An Gelegenheiten dazu fehlte es in Paris nicht.

Wenn er Zigaretten rauchte und Absinth trank, dann geschah das nur, weil er die Kultur annahm, wie er sie vorfand, und weil er lediglich dasselbe tun wollte, wie seine zivilisierten Brüder. Dieses Leben war für ihn etwas Neues und Verlockendes, außerdem fühlte er eine große Sehnsucht in der Brust, von der er wusste, dass sie nie gestillt werden würde. So wollte er durch Studium und Zerstreuung sowohl die Vergangenheit vergessen, als auch seine Gedanken von der Zukunft ablenken.

Eines Abends saß er in einem Kabarett, schlürfte seinen Absinth und bewunderte die Kunst eines berühmten russischen Tänzers, als er bemerkte, dass ihn zwei böse schwarze Augen ansahen. Ehe Tarzan den Mann genauer betrachten konnte, hatte dieser sich umgedreht und war in der Menge am Ausgang des Saales verschwunden. Tarzan war aber sicher, dass er diese Augen früher schon einmal gesehen hatte und dass sie ihn nicht zufällig angeschaut hatten. Schon eine ganze Weile hatte er das unbehagliche Gefühl gehabt, dass er beobachtet wurde. Wohl aus seinem tierischen Instinkt heraus hatte er sich plötzlich umgedreht und den Beobachter ertappt.

Er dachte aber nicht weiter darüber nach, und als er die Musikhalle verließ, bemerkte er nicht, dass ein dunkelhäutiger Mensch versuchte, sich im Schatten eines gegenüberliegenden Eingangs zu verbergen.

Tarzan wusste nicht, dass ein Unbekannter ihm in letzter Zeit ständig in die Vergnügungslokale gefolgt war. Er war nur selten alleine ausgegangen, aber an diesem Abend war d'Arnot durch eine Verpflichtung verhindert.

Als Tarzan den gewohnten Heimweg einschlagen wollte, eilte der Beobachter aus seinem Versteck über die Straße und überholte ihn in raschem Schritt.

Tarzan war gewöhnt, durch die Rue Maule nach Hause zu gehen. Da sie sehr still und dunkel war, erinnerte sie ihn mehr an seinen geliebten afrikanischen Dschungel als die lauten, glänzenden Straßen der Umgebung. Wer Paris kennt, wird sich an das abstoßende Aussehen der engen Rue Maule erinnern. Wer sie aber noch nicht gesehen hat, braucht nur einen Polizisten danach zu fragen, und er wird ihm sagen, dass es in ganz Paris keine Straße gibt, die man nach Einbruch der Dunkelheit so sehr meiden sollte wie die Rue Maule.

Tarzan war schon ein gutes Stück an den schmutzigen alten Miethäusern der üblen Straße entlanggegangen, als er aus dem dritten Stock eines gegenüberliegenden Hauses Hilferufe hörte. Es war eine Frauenstimme. Kaum waren die ersten Schreie verhallt, als Tarzan auch schon die Treppe hinaufeilte, um der Frau zu Hilfe zu kommen.

Am Ende des Ganges war eine Tür leicht angelehnt, und Tarzan hörte aus dem Inneren wieder denselben Hilferuf, wie eben auf der Straße. Im nächsten Augenblick stand er in der Mitte eines schwach erleuchteten Zimmers. Auf einem hohen altmodischen Kaminsims brannte eine Öllampe, die ihr mattes Licht auf ein Dutzend abstoßender Gestalten warf. Außer einer etwa dreißigjährigen Frau waren es lauter Männer. Das Gesicht der Frau, durch niedrige Leidenschaften und Ausschweifung gekennzeichnet, mochte einst hübsch gewesen sein. Sie stand an die hinterste Wand geduckt und hielt die eine Hand am Hals.

Helfen Sie mir, mein Herr! flehte sie mit leiser Stimme, als Tarzan das Zimmer betrat. Man will mich umbringen!

Als Tarzan sich nach den Männern umsah, erkannte er die verschlagenen Gesichter von Gewohnheitsverbrechern. Er wunderte sich, dass sie nicht versuchten, weg zu laufen. Eine Bewegung hinter ihm veranlasste ihn, sich umzudrehen. Ein Mann schlich sich heimlich aus dem Zimmer, und obwohl Tarzan ihn nur ganz flüchtig sah, erkannte er in ihm Rokoff.

Im selben Augenblick bemerkte er aber auch, dass sich ein großer Mensch mit gezücktem Messer von hinten an ihn herangeschlichen hatte. Als dieser sich entdeckt sah, stürzten sich die Spießgesellen gemeinsam von allen Seiten auf Tarzan. Einige zogen ihre Messer, andere ergriffen Stühle, während der Große mit dem Messer zu einem so mächtigen Stoß ausholte, dass es um Tarzan geschehen gewesen wäre, wenn es ihn getroffen hätte.

Aber Tarzan, der es im wilden Dschungel mit der gewaltigen Kraft und der Schlauheit von Terkop und Numa aufgenommen hatte, war viel zu klug und gewandt und er verfügte über zu starke Muskeln, als dass er so leicht zu überwältigen gewesen wäre.