TARZAN UND DIE AMEISENMENSCHEN - Edgar Rice Burroughs - E-Book

TARZAN UND DIE AMEISENMENSCHEN E-Book

Edgar Rice Burroughs

0,0

Beschreibung

Esteban Miranda, der Doppelgänger Tarzans, vegetiert seit einem Jahr in einer finsteren Hütte im Dorf des Kannibalen-Häuptlings Odebe am Rande des Ogogo dahin. Sein Nacken ziert ein eisernes Sklavenhalsband... Jahre sind vergangen, und der technische Fortschritt dringt auch in die afrikanische Wildnis vor. Auf der freien Ebene, die sich von Tarzans Bungalow bis zum fernen Dschungel erstreckt, steht ein Doppeldecker, und Tarzan startet zu seinem ersten Entdeckungsflug über unbekanntes Land. Er ist so erregt von dieser neuen Maschinenkraft, die ihm die Freiheit der bisher beneideten Vögel verleiht, dass er das Sinken seines Flugzeuges nicht bemerkt. Er streift die belaubte Krone eines alten Urwaldriesen, und seine Maschine zersplittert unter dem Knacken brechender Äste. Tarzan ist bewusstlos. Wara, die Riesin, ein Geschöpf von menschenähnlichem Wuchs, findet ihn und verschleppt ihn in ihre Höhle. Nach Stunden kommt er wieder zu Bewusstsein und nutzt die Gunst der Dunkelheit, um das Höhlendorf zu verlassen. Damit beginnt sein altes Urwaldleben wieder... Auf geheimnisvolle Weise kommt er in die Stadt der Zwergmenschen, jener verschollenen weißen Zwergrasse, von der in Reiseberichten, Sagen und Erzählungen die Rede ist. Was Tarzan in der Millionenstadt der Ameisenmenschen des Königs Drohahkis und später als Gefangener in der Domstadt Veltopis erlebt und über dieses geheimnisvolle bewaffnete Zwergvolk berichtet, ist so interessant und lebendig geschildert, dass jeder Leser mit wachsender Spannung die abenteuerliche Flucht Tarzans verfolgt... Der Roman TARZAN UND DIE AMEISENMENSCHEN erschien erstmals im Februar/März 1924 (unter dem Titel TARZAN AND THE ANT MEN) im ARGOSY-ALLl-STORY-WEEKLY-Magazin. Der Apex-Verlag veröffentlicht TARZAN UND DIE AMEISENMENSCHEN in der deutschen Übersetzung von Eduard Pfeifer, bearbeitet von Christian Dörge.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 331

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

 

EDGAR RICE BURROUGHS

 

Tarzan und die

Ameisenmenschen

Achter Band des TARZAN-Zyklus

 

 

 

Roman

 

 

Apex-Verlag

Impressum

 

 

Copyright 1924 © by Edgar Rice Burroughs.

Der Roman Tarzan And The Ant Men ist gemeinfrei.

Copyright dieser Ausgabe © by Apex-Verlag.

Übersetzung: Eduard Pfeifer und Christian Dörge (OT: Tarzan And The Ant Men). 

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.

Cover: Heinz Gerster/Christian Dörge/Apex-Graphixx.

Satz: Apex-Verlag.

 

Verlag: Apex-Verlag, Winthirstraße 11, 80639 München.

Verlags-Homepage: www.apex-verlag.de

E-Mail: [email protected]

 

Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Der Autor 

 

TARZAN UND DIE AMEISENMENSCHEN 

Erstes Kapitel: Arme Uhha 

Zweites Kapitel: Sturz ins Ungewisse 

Drittes Kapitel: Steinzeit-Amazonen 

Viertes Kapitel: Urwaldleben 

Fünftes Kapitel: Begegnung 

Sechstes Kapitel: Der Millionenstaat der Ameisenmenschen 

Siebtes Kapitel: Im Wald und in der Steppe 

Achtes Kapitel: Tarzan wird um eine Erfahrung reicher 

Neuntes Kapitel: Unerklärliche Änderungen 

Zehntes Kapitel: Tief unter der Erde 

Elftes Kapitel: Ein erstaunliches Wiedersehen 

Zwölftes Kapitel: Ein Experiment 

Dreizehntes Kapitel: Tarzan bricht aus 

Vierzehntes Kapitel: Nacht und Tag im Königsdom 

Fünfzehntes Kapitel: Ein verzweifeltes Wagnis 

Sechzehntes Kapitel: Der Lohn des Verräters 

Siebzehntes Kapitel: Die Tücke der Frau 

Achtzehntes Kapitel: Gemeinsame Flucht 

Neunzehntes Kapitel: Alte Freunde 

Zwanzigstes Kapitel: Flussteufel oder Tarzan? 

 

Das Buch

 

 

Esteban Miranda, der Doppelgänger Tarzans, vegetiert seit einem Jahr in einer finsteren Hütte im Dorf des Kannibalen-Häuptlings Odebe am Rande des Ogogo dahin. Sein Nacken ziert ein eisernes Sklavenhalsband...

Jahre sind vergangen, und der technische Fortschritt dringt auch in die afrikanische Wildnis vor. Auf der freien Ebene, die sich von Tarzans Bungalow bis zum fernen Dschungel erstreckt, steht ein Doppeldecker, und Tarzan startet zu seinem ersten Entdeckungsflug über unbekanntes Land. Er ist so erregt von dieser neuen Maschinenkraft, die ihm die Freiheit der bisher beneideten Vögel verleiht, dass er das Sinken seines Flugzeuges nicht bemerkt. Er streift die belaubte Krone eines alten Urwaldriesen, und seine Maschine zersplittert unter dem Knacken brechender Äste. Tarzan ist bewusstlos. Wara, die Riesin, ein Geschöpf von menschenähnlichem Wuchs, findet ihn und verschleppt ihn in ihre Höhle. Nach Stunden kommt er wieder zu Bewusstsein und nutzt die Gunst der Dunkelheit, um das Höhlendorf zu verlassen. Damit beginnt sein altes Urwaldleben wieder...

Auf geheimnisvolle Weise kommt er in die Stadt der Zwergmenschen, jener verschollenen weißen Zwergrasse, von der in Reiseberichten, Sagen und Erzählungen die Rede ist. Was Tarzan in der Millionenstadt der Ameisenmenschen des Königs Drohahkis und später als Gefangener in der Domstadt Veltopis erlebt und über dieses geheimnisvolle bewaffnete Zwergvolk berichtet, ist so interessant und lebendig geschildert, dass jeder Leser mit wachsender Spannung die abenteuerliche Flucht Tarzans verfolgt...

 

Der Roman Tarzan und die Ameisenmenschen erschien erstmals im Februar/März 1924 (unter dem Titel Tarzan And The Ant Men) im Argosy-All-Story-Weekly-Magazin. 

Der Apex-Verlag veröffentlicht Tarzan und die Ameisenmenschen in der deutschen Übersetzung von Eduard Pfeifer, bearbeitet von Christian Dörge. 

  Der Autor

 

Edgar Rice Burroughs - * 01. September 1875, † 19. März 1950.

 

Edgar Rice Burroughs war ein US-amerikanischer Schriftsteller, der bekannt wurde als Erzähler diverser Abenteuergeschichten, die sich vor allem dem frühen Fantasy- und Science-Fiction-Genre zuordnen lassen. Die bekanntesten von ihm eingeführten - und in der Folge von anderen in zahlreichen Filmen und Comics etablierten -  Heldencharaktere sind Tarzan, John Carter, Carson Napier.

Der Sohn des Fabrikanten und Bürgerkriegsveteranen Major George Tyler Burroughs (1833–1913) und der Lehrerin Mary Evaline Zieger (1840–1920) verlebte nach dem Besuch mehrerer Privatschulen den Großteil seiner Jugend auf der Ranch seiner Brüder in Idaho.

Nach seinem Abschluss auf der Michigan Military Academy im Jahr 1895 trat Burroughs in die 7. US-Kavallerie ein. Als ein Armeearzt bei ihm einen Herzfehler diagnostizierte und er deshalb nicht Offizier werden konnte, verließ Burroughs die Armee vorzeitig im Jahr 1897 und arbeitete bis 1899 wieder auf der Ranch seines Bruders. Danach ging er zurück nach Chicago und arbeitete in der Firma seines Vaters.

Am 1. Januar 1900 heiratete Burroughs seine Jugendliebe Emma Centennia Hulbert. Das Paar bekam drei Kinder: Joan Burroughs Pierce (1908–1972), Hulbert Burroughs (1909–1991) und John Coleman Burroughs (1913–1979). Da die tägliche Routine in der Fabrik seines Vaters Burroughs nicht zufriedenstellte, verließ das Ehepaar 1904 Chicago, um abermals in Idaho zu leben. Mit seinen Brüdern, die inzwischen ihre Ranch aufgegeben hatten, versuchte er sich erfolglos als Goldgräber. Kurze Zeit später arbeitete er als Eisenbahnpolizist in Salt Lake City. Auch diesen Job gab Burroughs auf und zog mit seiner Frau wieder zurück nach Chicago, wo er eine Reihe Jobs annahm, unter anderem als Vertreter. 1911 investierte er sein letztes Geld in einer Handelsagentur für Bleistiftanspitzer und scheiterte.

Burroughs, der zu dieser Zeit an schweren Depressionen litt und, nach einigen seiner Biographen, an Selbstmord dachte, kam auf die Idee, eine Geschichte für ein Magazin zu schreiben, in dem er zuvor Anzeigen für seine Bleistiftanspitzer geschaltet hatte. Seine erste Erzählung Dejah Thoris, Princess of Mars (unter dem Pseudonym Normal Bean für das All-Story-Magazin von Thomas Metcalf geschrieben) wurde zwischen Februar und Juli 1912 als Fortsetzung veröffentlicht.

Metcalf hatte sein Pseudonym in Norman Bean geändert, und auch der Titel seiner Geschichte wurde zu Under the Moon of Mars abgewandelt. Auf Burroughs Beschwerde bezüglich der Änderungen, lenkte Metcalf ein und bot an, Burroughs nächste Geschichte unter seinem richtigen Namen zu drucken. Eine weitere Beschwerde Burroughs betraf den Zusatz For all Rights auf seinem Honorarscheck. Nach längerem Briefwechsel erreichte er, dass die 400 Dollar nur für den Erstabdruck galten.

Burroughs zweite Geschichte, The Outlaw of Torn, wurde jedoch von All-Story abgelehnt. Der große Erfolg kam mit Burroughs drittem Anlauf, Tarzan of the Apes.

Die Geschichte von Tarzan wurde ebenfalls 1912 von All-Story veröffentlicht. Burroughs schrieb in der Folgezeit immer wieder neue Tarzan-Geschichten und konnte sich - kaum zehn Jahre nach der Veröffentlichung von Tarzan of the Apes - ein riesiges Stück Land in der Nähe von Los Angeles kaufen. Selbst nach Burroughs Tod im Jahr 1950 erschienen weitere Tarzan-Geschichten. Das Landstück bei Los Angeles ist heute die Gemeinde Tarzana.

In den frühen 1930er Jahren wurde sein schriftstellerischer Erfolg allerdings immer mehr von privaten Problemen überschattet. 1934 ließ er sich scheiden und heiratete ein Jahr später Florence Dearholt. Doch schon 1942 wurde auch diese Ehe geschieden. Nach der Bombardierung von Pearl Harbor begab sich Burroughs 1941 als Kriegsreporter nach Hawaii. Nach dem Krieg kehrte er nach Kalifornien zurück, wo er, nach vielen gesundheitlichen Problemen, 1950 einem Herzanfall erlag.

 

 In Burroughs Werk vermischen sich Science Fiction und Fantasy. Er etablierte Geschichten vor einem planetarischen Hintergrund in der Science Fiction. Dabei war Burroughs bewusst, dass seine Literatur bei den Kritikern nicht ankam. Er machte auch nie ein Hehl daraus, dass er schrieb, um Geld zu verdienen.

Die Helden seiner Romane und Erzählungen haben keine Alltagsprobleme. Bei den Charakterzeichnungen schwach, sprudeln Burroughs Geschichten über vor Ideen und Action. Die Helden seiner Romane haben verschiedene Merkmale gemeinsam, beispielsweise das Geheimnis um ihre Herkunft. Entweder haben die Helden nie eine Kindheit erlebt, oder können sich nicht daran erinnern, oder aber sie sind wie Tarzan und The Cave Girl Waisen. Ein weiteres Merkmal von Burroughs Geschichten ist der, wie Brian W. Aldiss es nennt, ausgeprägte sexuelle Dimorphismus. Das jeweils dominante Geschlecht ist hässlich.

Obwohl es in den Romanen und Geschichten Burroughs von schönen, nackten Frauen nur so wimmelt, werden sexuelle Beziehungen weder angedeutet noch erwähnt. Burroughs Welt scheint eine präpubertäre zu sein. Doch ist die Jungfräulichkeit immer in Gefahr (vgl. Aldiss). Fast schon zwanghaft mutet an, dass es in den Geschichten Burroughs, die zwischen 1911 und 1915 geschrieben wurden, nicht weniger als 76 Mal zu Vergewaltigungsdrohungen kommt, die natürlich alle abgewendet werden können. Zu den Bedrohern der weiblichen Unschuld gehören verschiedene Marsianer, Sultane, Höhlenmenschen, japanische Kopfjäger und Affen.

E. F. Bleiler schreibt über Burroughs, seine Texte seien „Fantasien von Erotik und Macht.“

 

Der Apex-Verlag veröffentlicht Burroughs' Venus-Romane (in der deutschen Übersetzung von Thomas Schlück), Neu-Übersetzungen des Tarzan- und des John Carter-Zyklus sowie als deutsche Erstveröffentlichung die Pellucidar-Serie.

TARZAN UND DIE AMEISENMENSCHEN

 

  

 

 

 

 

  Erstes Kapitel: Arme Uhha

 

 

Im Dorf des Kannibalen-Häuptlings Odebe am Rande des Ugogo hockte Esteban Miranda im Schmutz der finsteren Hütte und kaute an den Resten eines nur halb garen Fisches. Seinen Nacken zierte ein eisernes Sklavenhalsband, das mit einer einige Meter langen rostigen Kette an einem Pfosten hing, der neben dem niederen Hütteneingang tief in den Boden eingegraben war. Der Ausgang ging auf die Dorfstraße hinaus und befand sich in nächster Nähe von Odebes eigener Hütte.

Seit einem vollen Jahre lag Esteban Miranda wie ein Hund angekettet, kroch manchmal durch das niedere Loch aus seinem Kotter hinaus und ließ sich von der Sonne bescheinen. Nur zwei Zerstreuungen hatte er. Die eine war seine zum Dauerzustand gewordene Einbildung, Affen-Tarzan zu sein, den er als guter Schauspieler so lange und mit solch zunehmender Vollendung gespielt hatte, dass er zum Schluss diese Rolle gänzlich lebte und erlebte. Er war Affen-Tarzan - für ihn stand das fest - es gab keinen andern! Genau das gleiche dachte auch Odebe. Aber der Dorfzauberer behauptete unentwegt, man habe den Flussteufel vor sich, den man günstig stimmen müsse und nicht ärgern dürfe.

Diese Meinungsverschiedenheit zwischen dem Häuptling und dem Schamane hatte Esteban Miranda bisher von den Fleischtöpfen des Dorfes gerettet. Odebe wollte ihn gern fressen, weil er ihn für seinen alten Erzfeind, den Affenmenschen hielt. Der Schamane dagegen hatte die abergläubischen Befürchtungen der Dörfler geweckt, die er halb und halb davon überzeugte, dass der Flussteufel - als Tarzan aufgeputzt - in dem Gefangenen stecke. Wenn das aber der Fall war, dann musste das Dorf das Schlimmste befürchten, sobald jenem etwas geschah. Als Ergebnis dieses Zwiespalts zwischen Odebe und dem Zauberer blieb des Spaniers Leben geschont, bis sich herausstellen würde, wer recht hatte. Starb der Weiße eines natürlichen Todes, dann hatte man es mit dem sterblichen Tarzan zu tun gehabt und Odebe behielt recht. Blieb jener aber ewig am Leben oder verschwand er auf geheimnisvolle Weise, dann musste die Behauptung des Zauberers als Evangelium angenommen werden. Als der Spanier erst etwas von der Sprache der Dorfbewohner verstand und herausfand, wie die Ähnlichkeit mit Tarzan ihn zu diesen Menschenfressern und nahe an den Rand der Kochtöpfe gebracht hatte, legte er weniger Wert darauf, sich für Affen-Tarzan auszugeben. Von da ab ließ er geheimnisvolle Andeutungen fallen, dass er kein anderer als der Flussteufel sei. Der Schamane war entzückt, und alle ließen sich narren, nur nicht Odebe. Der war ein alter, gerissener Bursche und glaubte nicht an Flussteufel. Zwar, der Schamane war gleichfalls alt und gerissen und glaubte ebenso wenig daran, aber er wusste den großen Vorteil zu schätzen, wenn seine Gemeinde es glaubte. Dieses Hinundher war für den Spanier immerhin eine Abwechslung in der tödlichen Langeweile, die auf ihn drückte. Die andere bestand darin, dass er sich an dem Säckchen mit Diamanten weidete, die noch immer in seinem Besitz waren. Damals, als Tarzan die Gomangani des Tales von der tyrannischen Bedrückung der Bolgani befreite, hatte der alte Mann ihm unten in den tiefen Gewölben des Diamantenturms jenes Säckchen ausgehändigt. Der Russe Kraski stahl es, und später fiel es in die Hände des Spaniers, der den Dieb erschlug.

Stundenlang kauerte Esteban Miranda im Halbdunkel seines Schmutzgelasses, die glitzernden Steine zählend und mit ihnen spielend. Tausendmal wog er jeden einzelnen in der Hand, schätzte seinen Wert und stellte sich vor, was für Genüsse er sich in den Großstädten der Welt dafür erkaufen könnte. Er saß im Schmutz, musste von halb verfaulten Resten leben, die ihm unreine Hände hinwarfen, und besaß doch die Reichtümer eines Krösus. Aber in seiner Einbildung lebte er gleich einem solchen. Seine erbärmliche Hütte ward ihm unter dem gleißenden Schein seiner kostbaren Steine zum prächtigen Palast. Aber beim ersten näherkommenden Fußtritt schob er hastig seinen märchenhaften Schatz in das zerlumpte Lendentuch, sein einziges Kleidungsstück, und war wieder der Gefangene in der Negerhütte.

Ein Jahr dieser schrecklichen Einzelhaft war vergangen, da kam eine dritte Zerstreuung in Gestalt Uhhas, der Tochter des Schamanen Khamis. Uhha war vierzehn Jahre alt, hübsch und neugierig. Ein volles Jahr hatte sie nun schon den geheimnisvollen Gefangenen aus der Ferne beobachtet. Schließlich schwand ihre Scheu mit der Gewöhnung, und eines Tages näherte sie sich ihm, als er sich wieder draußen sonnte. Esteban bemerkte ihre halb zaghafte Annäherung und lächelte ihr ermutigend zu. Er hatte keine einzige freundlich gesinnte Seele unter den Dorfbewohnern; wenn er eine fand, wurde sein Los viel leichter, und er war der Freiheit einen Schritt näher. Endlich blieb Uhha ein paar Schritte vor ihm stehen. Sie war zwar noch ein Kind, aber unwissend und eine Wilde, aber sie war doch ein Weib, und Esteban Miranda kannte das schwache Geschlecht.

»Seit einem Jahre bin ich im Dorf des Häuptlings Odebe«, sagte er gebrochen in der Sprache, die er seinen Kerkermeistern abgelauscht hatte. »Nie hätte ich geahnt, dass seine Umwallung eine solche Schönheit birgt wie dich. Wie heißest du?«

Uhha freute sich und zeigte ein breites Lächeln. »Ich bin Uhha«, erklärte sie ihm. »Mein Vater ist Khamis, der Schamane.«

Jetzt war es an Esteban, sich zu freuen. Das Schicksal, das ihn so lange herumgestoßen hatte, zeigte sich endlich geneigter und sandte ihm jemanden, der ihm bei geeigneter Behandlung eine Hoffnung bot.

»Warum hast du mich nie zuvor besucht?«, fragte Esteban.

»Ich hatte Angst«, erwiderte Uhha schlicht.

»Warum?«

»Ich hatte Angst, weil...« Sie zögerte.

»...weil du dachtest, ich sei der Flussteufel und könne dir ein Leid antun?«, fragte der Spanier lächelnd.

»Ja«, gestand sie.

»Höre denn«, flüsterte Esteban, »doch sage es niemandem. Ich bin der Flussteufel, aber dir... dir werde ich nichts tun.«

»Wenn du wirklich der Flussteufel bist, warum bleibst du denn hier an diesem Pfahl angekettet? Warum verwandelst du dich dann nicht in etwas anderes und kehrst in den Fluss zurück?«, forschte Uhha.

»Das wundert dich wohl, nicht wahr?«, fragte Miranda, der sich erst eine passende Ausrede zurechtlegen musste.

»Nicht nur Uhha wundert sich darüber«, entgegnete das Mädchen. »Viele andere haben in letzter Zeit die gleiche Frage gestellt. Odebe zuerst, und keiner konnte ihm darauf antworten. Odebe behauptet, du seist Tarzan, sein Feind und der Feind seines Volkes; nur mein Vater Khamis erklärt, dass du der Flussteufel bist, dich, wenn du willst, in eine Schlange verwandeln und durch den eisernen Ring kriechen kannst, den du um den Hals trägst. Aber die Leute wundern sich bereits, warum du das nicht tust, und viele beginnen zu denken, dass du gar nicht der Flussteufel bist.«

»Komm näher, schöne Uhha«, flüsterte Miranda, »damit keine fremden Ohren hören, was ich dir sagen will. Das Mädchen kam etwas näher und beugte sich zu dem auf dem Boden kauernden Spanier hinab.

»Ich bin wirklich der Flussteufel«, sagte Esteban. »Ich kann kommen und gehen, ganz wie es mir gefällt. Nachts, wenn alles im Dorf schläft, wandere ich durch die Fluten des Ugogo, aber ich komme immer wieder zurück. Ich will das Volk von Odebes Dorf prüfen, Uhha, denn ich muss wissen, wer mein Freund ist, und wer nicht. Dass Odebe nicht mein Freund ist, weiß ich bereits, und bei Khamis bin ich nicht ganz sicher. Wenn Khamis ein rechter Freund wäre, hätte er mir doch gutes Essen und Trinken bringen müssen.

Wenn ich wollte, hätte ich längst fliehen können, aber ich warte ab, ob sich einer in Odebes Dorf findet, der mich in Freiheit setzen will. Daran kann ich sehen, wer mein bester Freund ist. Sollte es einen solchen geben, Uhha, dann wird ihm immerdar das Glück lächeln, jeder Wunsch wird ihm erfüllt werden, und er soll ein hohes Alter erreichen, denn er hat vom Flussteufel nichts zu fürchten, der ihm in allen Dingen helfen wird. Aber höre, Uhha, sage keinem, was ich dir eröffnet habe. Noch kurze Zeit werde ich warten, hat sich dann kein solcher Freund in Odebes Dorf gefunden, dann werde ich zu Vater und Mutter, zum Ugogo zurückkehren und Odebes ganzes Dorf vernichten. Nicht einer soll am Leben bleiben.«

Das Mädchen wich entsetzt zurück. Augenscheinlich hatte er starken Eindruck auf sie gemacht.

»Hab' keine Angst«, beruhigte er sie. »Dir werde ich nichts tun.«

»Aber wenn du alle Leute umbringst...?«, fragte sie.

»Dann kann ich dich natürlich auch nicht schonen«, sagte er. »Aber hoffentlich kommt jemand und befreit mich, damit ich weiß, dass ich wenigstens einen guten Freund hier habe. Jetzt gehe deines Wegs, Uhha, aber denke daran, dass du niemand erzählen darfst, was ich dir gesagt habe.«

Sie ging einige Schritte fort, kam aber wieder zurück. »Wann wirst du das Dorf vernichten?«, fragte sie.

»In wenigen Tagen«, beschied er sie.

Uhha rannte zitternd vor Angst nach ihres Vaters Hütte. Esteban Miranda aber lächelte befriedigt, kroch wieder in sein Loch und gab sich beim Flimmern der Edelsteine frohen Gedanken hin.

Der Schamane Khamis befand sich nicht in seiner Hütte, als Uhha, halbtot vor Furcht, in deren Dunkel hineinkroch. Auch seine Weiber waren nicht da; die arbeiteten draußen mit ihren anderen Kindern außerhalb der Palisaden, wo Uhha eigentlich auch hätte sein sollen. So blieb dem Mädchen Zeit zur Überlegung, ehe ihr eine von den anderen zu Gesicht kam. Dabei kam ihr auch wieder die Erinnerung an einen Umstand, den sie in ihrem ersten Schrecken fast vergessen hatte, nämlich dass ihr der Flussteufel ausdrücklich verboten hatte, ihr Gespräch weiterzuerzählen. Und sie hatte eben ihrem Vater alles sagen wollen! Dann wäre ihr sicher ein ganz schlimmes Unheil zugestoßen! Sie zitterte beim Gedanken an ein Geschick, dessen Furchtbarkeit sie sich gar nicht mehr ausmalen konnte. Mit knapper Not war sie davongekommen! Aber was sollte sie jetzt anfangen? Zusammengekrümmt lag sie auf einer Grasmatte und zermarterte ihr kleines dummes Gehirn, um eine Lösung des ungeheuren Problems zu finden, das sich ihr aufgetan hatte. Zum ersten Mal war ihr eine andere Frage aufgetaucht als die, wie sie sich um die Plackerei auf dem Felde herumdrücken könnte. Plötzlich fuhr sie auf und saß ganz starr wie ein Steinbild, denn ihr war ein Gedanke gekommen. Warum war ihr das nicht früher eingefallen? Klar und deutlich hatte er es gesagt und sogar noch einmal wiederholt. »wenn er freigelassen würde, wüsste er, dass er wenigstens einen Freund im Dorf Odebes habe, dem er dann hohes Alter und lauter gute Dinge gewähren werde. Aber ein paar Minuten später ließ Uhha diesen Gedanken wieder fallen. Wie sollte sie, ein kleines Mädchen, die Befreiung des Flussteufels allein durchführen?

»Baba«, fragte sie später, als ihr Vater in die Hütte heimkam, »wie bringt der Flussteufel die Leute um, die ihm Leid zufügen?«

»Soviel der Fische im Wasser sind, so viele Mittel und Wege hat der Flussteufel - zahllos sind sie«, erwiderte Khamis. »Er kann die Fische aus dem Flusse fortsenden, das Wild der Dschungel verjagen und unsere Ernte verkommen lassen. Dann müssen wir verhungern. Oder er lässt nachts Feuer vom Himmel fallen und alles Volk Odebes erschlagen.«

»Denkst du, er wird uns so behandeln, Baba?«

»Khamis wird er nichts tun«, erwiderte der Schamane, »denn der hat ihn vor dem Tode bewahrt, den ihm Odebe bereiten wollte.«

Uhha dachte daran, dass sich der Flussteufel über Khamis beklagte, weil ihm dieser kein gutes Essen und kein Bier brachte. Aber sie wagte keine Bemerkung darüber, dass ihr Vater keineswegs beim Flussteufel so hoch in Gunst stand, wie er glaubte. Sie ging anders vor. »Wie soll er aber entkommen«, fragte sie, »er hat doch den eisernen Ring um den Hals - wer nimmt ihm den ab?«

»Den kann niemand abnehmen außer Odebe, der das Stück Messing zum Öffnen des Halsbandes in seiner Tasche hat«, erwiderte Khamis. »Aber der Flussteufel bedarf keiner Hilfe, denn wenn die Zeit kommt, dass er frei sein will, dann verwandelt er sich einfach in eine Schlange und schlüpft durch das Eisenband um seinen Hals durch. Wohin willst du, Uhha?»

»Odebes Tochter besuchen«, rief die Kleine über die Schulter zurück. Die Häuptlingstochter war beim Maismahlen, eine Arbeit, bei der eigentlich auch Uhha hätte sein sollen. Sie sah auf und lächelte, als die Tochter des Schamanen näher kam.

»Sei leise, Uhha«, warnte sie, »mein Vater Odebe schläft drinnen.«

Die Besucherin hockte sich nieder, und die beiden plauderten leise. Sie sprachen über ihren Schmuck, ihre Frisuren und über die jungen Männer im Dorf; aber wenn sie auf die zu reden kamen, kicherten sie häufig. Ihre Unterhaltung unterschied sich wenig von der zweier Mädchen aus anderen Rassen unter anderen Breitengraden. Während ihres Gespräches wanderten Uhhas Augen immer wieder nach Odebes Hütte, und mehrmals deutete das Zusammenziehen ihrer Augenbrauen tieferes Nachdenken an, als ihr müßiges Geschwätz ahnen ließ.

Plötzlich fragte sie. »Wo hast du das Armband aus Kupferdraht, das dir deines Vaters Bruder zu Anfang des letzten Mondes gab?«

Odebes Tochter zuckte die Achseln. »Er nahm es mir wieder und gab es der Schwester seines jüngsten Weibes.« Uhha ließ die Flügel hängen. Ob sie etwa das Kupferarmband selbst gern gehabt hätte? Ihre Augen musterten die Freundin scharf. Mit einem Mal hellte sich ihr Gesicht auf.

»Und das Halsband mit den vielen Perlen, das dein Vater von der Leiche des Kriegers nahm, den wir für das letzte Fest fingen? Das hast du doch nicht verloren?«

»Nein«, erwiderte ihre Freundin. »Das ist beim Vater im Hause. Wenn ich Mais mahle, ist es mir immer im Wege, deswegen habe ich es beiseitegelegt.«

»Kann ich’s sehen?«, fragte Uhha.

»Ich werde es holen!«

»Nein, du könntest Odebe aufwecken, und dann wird er sehr böse«, sagte die Häuptlingstochter.

»Ich werde ihn nicht stören«, widersprach Uhha und wandte sich nach dem Hütteneingang.

Ihre Freundin wollte sie abhalten. »Ich werde es holen, sobald Baba aufgewacht ist«, versprach sie Uhha, doch diese hörte gar nicht hin und kroch bereits vorsichtig ins Innere der Hütte. Dort wartete sie eine Weile, bis sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. An der anderen Hüttenwand lag Odebe langgestreckt auf einer Schlafmatte und schnarchte friedlich. Uhha kroch so verstohlen wie Sheeta, der Leopard, auf ihn zu. Ihr Herz schlug wie ein Tam-tam, wenn der Tanz am wildesten ist. Sie fürchtete, das Klopfen ihres Herzens und ihre keuchenden Atemzüge würden den alten Häuptling wecken, vor dem sie nicht weniger Scheu hatte als vor dem Flussteufel. Aber Odebe schnarchte ruhig weiter.

Jetzt war Uhha dich neben ihm, und ihre Augen hatten sich an das Halbdunkel der Hütte gewöhnt. Neben Odebe, halb unter dem Körper versteckt, sah sie eine Tasche. Vorsichtig legte sie ihre zitternden Finger daran und wollte sie hervorziehen. Da rührte sich der Schläfer unbehaglich, und Uhha wich angstvoll zurück. Odebe änderte seine Lage, und Uhha dachte, er sei aufgewacht. Sie war starr vor Schrecken, sonst wäre sie Hals über Kopf aus der Hütte geflohen, aber zu ihrem Glück wagte sie nicht, sich zu rühren, und alsbald schnarchte Odebe weiter. Doch nun war ihr Mut dahin, und sie dachte nur noch daran, wie sie, ohne entdeckt zu werden, wieder aus der Hütte kommen könnte. Noch einen letzten ängstlichen Blick warf sie auf den Häuptling, ob er auch schliefe. Da fielen ihre Blicke auf die Tasche. Odebe hatte sich herumgedreht, und da lag sie, von seinem Körpergewicht befreit, greifbar in ihrem Bereich.

Sie griff danach und zog die Hand wieder zurück. Sie wendete sich ab, denn das Herz wollte ihr versagen, und sie fühlte sich ganz schwindelig. Aber dann dachte sie an den Flussteufel und die schrecklichen Todesarten, die er senden konnte. Noch einmal fasste sie nach der Tasche, und diesmal nahm sie sie auf, öffnete sie hastig und untersuchte den Inhalt. Da war der Messingschlüssel. Sie kannte ihn gleich, denn er war das einzige Stück, dessen Zweck sie nicht kannte. Halsring, Kette und Schlüssel hatte Odebe einst einem arabischen Sklavenjäger abgenommen, den sie getötet und auf gefressen hatten, und da einige der älteren Leute aus Odebes Dorf ähnliche Fesseln zu kosten bekommen hatten, war es nicht schwierig, sie erforderlichenfalls zu verwenden. Uhha schloss hastig die Tasche und legte sie wieder an Odebes Seite. Den Schlüssel in der geballten Faust verborgen, kroch sie schleunigst durch die Tür hinaus. Am nämlichen Abend noch, sobald die Glut der Kochfeuer mit Erde bedeckt war und Odebes Volk sich in seine Hütten zurückgezogen hatte, hörte Esteban Miranda eine verstohlene Bewegung am Eingang seines Verließes. Er lauschte angespannt. Jemand kam hereingekrochen - jemand oder etwas.

»Wer ist da?«, fragte der Spanier mit einer Stimme, die kaum das Zittern verbergen konnte.

»Psst!«, erwiderte der Eindringling leise. »Ich bin’s, Uhha, die Tochter von Khamis, dem Schamane. Ich komme, um dich zu befreien, damit du weißt, dass du doch einen guten Freund in Odebes Dorf hast und uns darum nicht zu vernichten brauchst.«

Miranda musste lächeln. Seine Andeutung hatte schneller gefruchtet, als er hoffen konnte; offenbar hatte das Mädchen auch das anbefohlene Stillschweigen gewahrt, aber das machte nichts mehr aus, wenn er auch so sein Ziel, die Freiheit, erreichte. Er hatte dem Mädchen nur darum Schweigen anbefohlen, weil er glaubte, dass das der sicherste Weg sei, seine Worte im Dorf herumzubringen. Dort würden sie dann schon zu den Ohren von irgendeinem abergläubischen Schwarzen gelangen, der Mittel und Wege fand, ihn zu befreien, sobald der Ansporn dazu gegeben war.

»Wie willst du mich denn befreien?«, fragte Miranda.

»Schau!«, rief Uhha. »Ich habe den Schlüssel zum Ring um deinen Hals mitgebracht.«

Uhha kroch näher an den Mann heran und reichte ihm den Schlüssel. Dann wollte sie flüchten.

»Warte!«, gebot der Gefangene. »Wenn ich frei bin, musst du mich bis zur Dschungel begleiten. Wer mich befreit, muss auch das tun, wenn er die Gunst des Flussgottes gewinnen will.«

Uhha hatte Angst, aber sie wagte keine Weigerung. Miranda fingerte einige Minuten an dem alten Schloss herum, ehe es endlich dem abgenützten Schlüssel nachgab. Als er aus dem Halsring geschlüpft war, schnappte er das Schloss wieder zu, nahm den Schlüssel an sich und kroch ins Freie.

»Besorg' mir Waffen«, flüsterte er dem Mädchen zu, und Uhha verschwand in dem Schatten der Dorfstraße. Miranda wusste, dass die Kleine voller Angst war, aber er war sicher, dass gerade diese Furcht sie wieder mit Waffen zu ihm zurückführen würde. In der Tat kam Uhha noch vor Ablauf von fünf Minuten mit einem Köcher voll Pfeile, einem Bogen und einem kräftigen Messer zurück.

»Führe mich jetzt zum Tor«, befahl Esteban.

Uhha führte den Flüchtling zum Dorftor, wobei sie die Hauptstraße vermied und sich so viel wie möglich hinter den Hütten hielt. Sie war etwas überrascht, dass der Flussteufel nicht wusste, wie man das Dorftor entriegelte, und öffnete; sie hatte gedacht, Flussteufel seien allwissend. Aber sie tat, was er ihr gebot, zeigte ihm, wie man die große Vorlegestange zurückzog, und half ihm, die Torflügel so weit aufzudrücken, dass man hindurchkonnte. Drüben war die Lichtung, die zum Flusse führte, zu beiden Seiten ragten die Riesen der Dschungel zum Himmel. Es war recht dunkel draußen, und Esteban Miranda fand plötzlich, dass die neugewonnene Freiheit auch ihre unangenehmen Seiten hatte. Der Gedanke, nachts allein in die finstere, unheimliche Dschungel hinauszumüssen, erfüllte ihn mit namenlosem Grauen.

Uhha wich vom Tor zurück. Sie hatte ihr Teil getan und das Dorf vor der Vernichtung gerettet. Jetzt wollte sie das Tor wieder schließen und zur Hütte ihres Vaters zurückeilen, um sich dort niederzulegen und zitternd den Morgen zu erwarten, der dem Dorf das Entkommen des Flussteufels enthüllen musste.

Da griff Esteban zu und packte sie am Arme. »Komm«, sagte er, »und nimm deine Belohnung.«

Uhha suchte sich ihm zu entreißen. »Lass mich los«, rief sie. »Ich fürchte mich.«

Aber Esteban fürchtete sich gleichfalls und war der Meinung, dass in der Tiefe der einsamen Dschungel die Gesellschaft dieses kleinen Negermädchens immer noch besser sei als gar keine. Vielleicht würde er sie beim Morgengrauen zu ihrem Stamm zurückkehren lassen; aber heute Nacht... ihn schauderte bei dem Gedanken, die Dschungel ohne menschlichen Gefährten zu betreten. Uhha suchte sich seinem Griff zu entreißen. Sie kämpfte wie eine kleine Löwin und wollte zuletzt laut um Hilfe rufen, da presste ihr Miranda die Hand auf den Mund, hob sie vom Boden auf und eilte mit ihr über die Lichtung in die Dschungel.

 

Die Krieger des Kannibalen Odebe schliefen derweil friedlich, ohne etwas von der plötzlichen Tragödie zu ahnen, die sich jetzt im Leben der kleinen Uhha abspielte.

Fern draußen im Dschungel erscholl das donnernde Brüllen eines Löwen.

  Zweites Kapitel: Sturz ins Ungewisse

 

 

Von Lord Greystokes afrikanischem Bungalow gingen drei Personen langsam durch den Rosenlaubenweg, der von der Veranda durch des Affenmenschen wohlgepflegten Garten führte. Es waren zwei Herren und eine Dame, alle drei in Khakikleidung. Der ältere Herr mit der Fliegerkappe und Schutzbrille in der Hand, hörte mit gutmütigem Lächeln dem jüngeren zu.

»Wenn Mutter hier wäre, würdest du es wohl lassen«, sagte dieser. »Sie würde es dir einfach nicht erlauben.«

»Ich fürchte, du hast recht, mein Junge«, erwiderte Tarzan. »Aber nur noch dies eine Mal fliege ich, dann steige ich nicht wieder auf, ehe sie zurück ist, das verspreche ich dir. Du hast ja selbst gesagt, dass ich ein gelehriger Schüler sei, wenn du also als Lehrer wirklich etwas taugen willst, dann musst du zu meiner Befähigung Vertrauen haben, nachdem du einmal erklärt hast, ich sei durchaus zur Führung einer Maschine imstande. Was, Meriem, habe ich da nicht recht?«, fragte er die junge Dame.

Diese schüttelte aber den Kopf. »Ich habe ebenso viel Sorge um dich, Vater«, entgegnete sie. »Du bist so waghalsig, dass man annehmen muss, du hältst dich für unsterblich. Du solltest vorsichtiger sein.«

Der Jüngere legte seinen Arm um die Schulter seiner Frau. »Meriem hat recht«, meinte er. »Du solltest wirklich vorsichtiger sein, Vater.«

Tarzan zuckte mit den Achseln. »Wenn ihr zwei, du und deine Mutter, euren Willen bekommen würdet, dann wären meine Nerven und Muskeln längst verkümmert. Sie sind mir zum Gebrauch gewachsen, und ich gedenke sie auch zu benutzen - mit Vernunft natürlich. Eines Tages bin ich doch alt und wertlos, und lange genug bleibe ich es.«

Draußen auf der freien Ebene, die sich vom Bungalow bis zur fernen Dschungel erstreckte, stand ein Doppeldecker, in dessen Schatten sich zwei Waziri räkelten. Korak, Tarzans Sohn, hatte sie erst als Mechaniker und später als Flugzeugführer ausgebildet. Dieser Umstand hatte Tarzan nicht wenig in seinem Entschluss bestärkt, das Fliegen selbst gründlich zu lernen, denn als Oberhäuptling der Waziri durfte er sich auch nicht in der geringsten Einzelheit von einem einfachen Krieger seines Stammes übertreffen lassen. Tarzan setzte Sturzhelm und Brille auf und kletterte in den Führersitz hinauf.

»Nimm mich lieber mit«, meinte Korak.

Tarzan schüttelte nur mit gutgelauntem Lächeln den Kopf.

»Dann wenigstens einen der Mechaniker«, drängte sein Sohn. »Vielleicht hast du unterwegs eine Störung, die dich zum Landen zwingt, und wenn du keinen Mechaniker dabei hast, was willst du dann anfangen?«

»Laufen!«, erwiderte der Affenmensch. »Andua«, befahl er dem einen der Schwarzen. »Anwerfen!«

Einen Augenblick danach dröhnte die Maschine übers Feld, stieg in glattem, elegantem Bogen auf, kurvte sich in die Höhe und zog in gerader Richtung davon, während ihr die Augen der unten Gebliebenen nachsahen, bis sie ihnen als immer kleiner werdender Fleck entschwand.

»Wohin meinst du, dass er fliegt?«, fragte Meriem.

Korak schüttelte den Kopf. »Angeblich hat er kein besonderes Ziel und macht nur seinen ersten selbständigen Übungsflug allein. Aber, wie ich ihn kenne, sollte es mich nicht wundern, wenn er sich’s in den Kopf gesetzt hätte, nach London zu fliegen und Mutter zu besuchen.«

»Aber das ist doch unmöglich«, rief Meriem.

»Für einen gewöhnlichen Menschen wohl, besonders bei so wenig Erfahrung und geringen Mengen an Brennstoff; aber du musst zugeben, Vater ist eben kein gewöhnlicher Mensch.«

 

Eineinhalb Stunden lang flog Tarzan ohne Kursänderung weiter, ohne sich über die Zeit und die zurückgelegte Riesenentfernung klar zu werden, so entzückt war er von der Leichtigkeit, mit der sich das Flugzeug lenken ließ, und so erregt von dieser neuen Maschinenkraft, die ihm die Freiheit und Beweglichkeit der bisher beneideten Vögel verlieh.

Jetzt sah er vor sich eine große Wasserfläche oder richtiger eine Anzahl Wasserbecken zwischen Höhenzügen, und erkannte alsbald zu seiner Linken die Flusswindungen des Ugogo. Aber das Gelände mit der Seenplatte war ihm neu und erstaunte ihn. Augenblicklich erkannte er aber auch, dass er schon zweihundert Kilometer von daheim entfernt war, und entschloss sich zur Umkehr. Nur das Geheimnis der Seenplatte zog ihn an; das musste er vor dem Rückflug näher untersuchen. Wie kam es, dass er nie bei seinen vielen Wanderungen in diese Gegend gekommen war? Er hatte auch niemals etwas darüber von den Eingeborenen gehört, die in nächster Nähe wohnten. Er ging tiefer, um die Seenbecken besser beobachten zu können, die sich jetzt als eine Reihe von flachen Kratern erloschener Vulkane erwiesen. Er sah Wälder, Teiche und Flüsse, von deren Vorhandensein er nichts geahnt hatte, und auf einmal entdeckte er, warum es in einem ihm so wohlbekannten Gelände einen Landstrich gab, von dem weder er noch die Eingeborenen etwas wussten. Er hatte den sogenannten Großen Dornwald erkannt. Seit Jahren kannte er dies undurchdringliche Dickicht, das eine weite Fläche zu bedecken schien und nur die kleinsten Tiere durchließ. Jetzt stellte er fest, dass es sich um einen ziemlich schmalen Streifen Dornbusch handelte, der ein liebliches, gut bewohnbares Land einschloss. Aber dieser Streifen bildete den schlimmsten Dornverhau, der je ein Geheimnis vor den Augen der Menschen geschützt hatte.

Tarzan beschloss, erst einmal dieses lang gehütete Land des Geheimnisses zu umkreisen, ehe er die Nase seines Flugzeuges heimwärts richtete, und ging im Eifer noch tiefer herunter. Unter ihm wuchs ein dichter Urwald; ein Stück weiter erstreckte sich offene Steppe, die am Rande steiler Steinhügel endete. Da bemerkte er, dass er in Gedanken das Flugzeug zu tief hatte sinken lassen, aber im gleichen Augenblick streifte er auch schon die belaubte Krone eines alten Urwaldherrschers, und ehe er eine Steuerbewegung ausführen konnte, senkte sich seine Maschine, überschlug sich und krachte unter dem Knacken brechender Äste und dem Splittern ihrer eigenen Holzteile zwischen den Bäumen hinab. Nach einer Minute herrschte tiefes Schweigen...

Einen Waldpfad entlang schlich Wara, die Riesin, ein Geschöpf von menschenähnlichem Wuchs, das aber doch keinen menschlichen Eindruck machte. Ein großes Tier, das aufrecht auf zwei Beinen ging und eine Keule in der schwieligen Hand hielt. Das lange Haar fiel ungekämmt über die Schulter, Haare wüchsen auf Brust und Händen. Ein schmaler Lederstreifen trug eine Anzahl Schlaufen aus Rohhaut, an deren unteren Enden faustgroße runde Steine hingen, die mit Federn in leuchtenden Farben versehen waren. Die großen Füße waren unbekleidet und ihre ursprünglich weiße Haut braungebrannt. Das Gesicht war klobig, besaß eine breite Nase, einen breiten Mund mit dicken Lippen, Augen von regelrechter Größe, die unter dicken vorstehenden Augenbrauenwülsten saßen, die eine breite flache Stirn krönte. Im Gehen klappte diese Gestalt mit ihren großen flachen Ohren und zuckte ab und zu mit verschiedenen Teilen der Kopf- und Körperhaut wie ein Pferd, das die Fliegen verjagt.

Leise ging das Geschöpf vorwärts, die dunklen Augen spähten dauernd umher, während die wackelnden Ohren oftmals sich steif spitzten, wenn das Weib auf die Geräusche von Wild und von etwaigen Feinden lauschte.

Jetzt hielt die Riesin an, beugte sich mit vorwärtsgestreckten Ohren vor und sog mit ausgebreiteten Nasenflügeln die Witterung ein. Irgendein Geruch oder ein Laut, den unsere abgestumpften Organe gar nicht bemerkt hätten, erweckte ihre Aufmerksamkeit. Vorsichtig kroch sie weiter, da sah sie an einer Biegung des Pfades eine Gestalt mit dem Gesicht auf dem Boden liegen. Affen-Tarzan lag bewusstlos da, während über ihm die zersplitterten Reste seines Flugzeuges in den Zweigen festgekeilt saßen.

Die Riesin packte ihre Keule fester und trat näher. Ihr Gesicht zeigte deutlich Erstaunen über dieses fremdartige Geschöpf, aber keineswegs Furcht. Mit hocherhobener Keule trat sie neben den hingestreckten Mann, aber sie schlug nicht zu. Sie kniete neben ihm nieder und untersuchte seine Kleidung, drehte ihn auf den Rücken um und legte das Ohr an seine Herzgrube. Einen Augenblick machte sie an seinem Hemd herum, bis sie es ungeduldig mit den Händen auseinanderriss. Dann legte sie ihm das Ohr an die bloße Haut und lauschte wieder. Sich umsehend, stand sie auf, bückte sich, warf sich den Körper des Affenmenschen mit Leichtigkeit über die Schulter und setzte ihren Weg auf dem Dschungelpfad fort. Der Weg lief bald in die wellenförmige Steppe aus, die sich am Fuße der Felshügel ausbreitete, zog sich über die Ebene hinweg und führte drüben in eine schmale Sandsteinschlucht, in die das Weib jetzt seine Bürde trug.

Etwa tausend Schritte hinter dem Eingang erweiterte sich die Kluft zu einem annähernd kreisrunden Amphitheater, dessen steile Wände von zahlreichen Höhleneingängen durchbohrt waren. Vor diesen Löchern hockten lauter Geschöpfe wie die Riesin Wara, die Tarzan in diese merkwürdige Behausung hineinbrachte. Als die Wilde das Amphitheater betrat, richteten sich aller Augen auf sie, denn man hatte sie längst kommen hören. Wie sie nun mit ihrer Bürde hereinkam, standen einige hastig auf und gingen ihr entgegen. Sämtliche Weiber glichen in Wuchs und Tracht der mit Tarzan zurückgekommenen, wenngleich sie in Größe und Gesichtsausdruck. »ebenso verschieden waren wie die Angehörigen anderer Rassen untereinander.

Keine von ihnen sprach oder ließ auch nur einen Laut hören, während die Heimgekehrte geradewegs auf einen der Höhleneingänge zuging, aber Wara schwang wild ihre Keule hin und her und behielt jede Bewegung ihrer Gefährtinnen mit mürrischer Miene im Auge.

Sie war der Höhle schon ganz nahe, als eine, die hinter ihr herkam, dazu sprang und nach Tarzan griff. Flink wie eine Katze ließ die Angegriffene ihre Beute fallen, warf sich auf die unbesonnene Gegnerin und streckte sie blitzschnell durch einen wuchtigen Keulenschlag auf den Kopf zu Boden. Dann stellte sie sich breitbeinig über Tarzans hingestreckte Gestalt und stierte um sich wie eine von den Jägern gestellte Löwin, mit der stummen Frage, wer zunächst Lust hätte, ihr die Beute zu nehmen. Aber die anderen schlichen in ihre Höhlen zurück und ließen die Besiegte bewusstlos im heißen Sande liegen. Die Siegerin Wara packte ihre Bürde wieder auf, die ihr nunmehr keine mehr streitig machte, ging in ihre Höhle und warf dort den Affenmenschen ohne weitere Umstände im Schatten des Eingangsstollens auf den Boden. Mit dem Gesicht nach draußen, um vor Überraschung durch die andern sicher zu sein, hockte sie sich neben ihren Fund nieder und begann ihn genau zu untersuchen. Tarzans Kleidung erregte erst ihre Neugierde, dann ihren Unwillen, denn sie begann alsbald ihn ihrer zu entledigen. Da sie mit Knöpfen und Schnallen nicht Bescheid wusste, riss sie die Kleider einfach mit Gewalt herunter. Die festen Lederschuhe machten ihr einen Augenblick Mühe, aber schließlich gaben auch deren Säume ihren kräftigen Muskeln nach.

Nur das diamantbesetzte goldene Anhängsel, das von Tarzans Mutter stammte, ließ sie unangerührt an der goldenen Kette um seinen Hals hängen.

Einige Zeit lang betrachtete ihn Wara, dann stand sie auf, nahm ihn wieder auf die Schulter und schritt nach der Mitte des Amphitheaters, dessen größter Teil mit niedrigen Gebäuden bedeckt war. Diese waren aus flach aufeinandergelegten Steinen errichtet, die die Wände bildeten, über die riesige flache Steine als Dächer gelegt waren. Die einzelnen Bauten waren mit den Enden so aneinandergereiht, dass sie ein Oval mit einem großen freien Platz in der Mitte bildeten.

Die verschiedenen Ausgänge der Gebäude nach außen waren mit doppelten Steinplatten so verschlossen, dass eine aufrechte Platte die Öffnung verdeckte, während eine zweite, von außen dagegengestemmt, die erste gegen Aufdrücken von innen sicherte.