Tausche Chaos gegen Leichtigkeit - Gabi Rimmele - E-Book

Tausche Chaos gegen Leichtigkeit E-Book

Gabi Rimmele

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Beschreibung

Schubladen voller Krimskrams, nie getragene Kleidungsstücke, Bücher, die kein Mensch mehr liest. Warum fällt es so verdammt schwer, sich von überflüssigen Dingen zu trennen? Die Sozialarbeiterin Gabi Rimmele erlebt aus nächster Nähe, was Menschen an Gegenstände bindet: Schöne Erinnerungen, Mangelerfahrungen oder ein schlechtes Gewissen - all dies kann der Grund für das angehäufte Durcheinander sein. Die Autorin erfährt auch, wie ein Zuviel an Aktivitäten oder das Festhalten an belastenden Beziehungen inneres Chaos verursachen. Mit anschaulichen Geschichten vom Tauschmobil, einem Schenkladen auf Rädern, hilft die Entrümpelungsberaterin, die Hintergründe des Ansammelns zu verstehen. Ihr Buch gibt viele Anregungen, wie die Wohnung entrümpelt und innerer Ballast losgelassen werden können.

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Cover

Haupttitel

Inhalt

Über die Autorin

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

HAUPTTITEL

Gabi Rimmele

Tausche Chaos gegen Leichtigkeit

Patmos Verlag

Inhalt

Einleitung: Entrümpeln – vom Chaos zur Leichtigkeit

Meine eigenen Erfahrungen mit Entrümpeln und dem Tauschmobil

Das Leben rund um das Tauschmobil

Loslassen als Lebenskunst

1. Ursachen für das Sammeln

»Egal, was ich tue, das Gerümpel wächst immer wieder nach!« – Aktives Sammeln und passives Ansammeln

»Das kann ich vielleicht irgendwann noch gebrauchen.« – Mangelerfahrungen als Ursache des Ansammelns

»Die sind einfach noch zu gut zum Wegwerfen« – Das schlechte Gewissen als Entrümpelungsgegner

»Ich wünschte, es gäbe eine gute Fee, die den ganzen Krempel wegzaubert!« – Der erlernte Ordnungsbegriff

»Ich will alles ganz genau machen.« – Der Perfektionismus

»Ich bringe es nicht übers Herz, die Sachen wegzuwerfen.« – Der Wert der Dinge

»Ein Geschenk kann ich doch nicht einfach wegwerfen!« – Der Umgang mit Geschenken

2. Der innere Prozess des Loslassens

Sich die eigenen Ziele klarmachen

Unterscheiden lernen und Entscheidungen treffen

Akzeptanz von Veränderung

Den eigenen Mut erkennen und Zutrauen in sich finden

Abschied nehmen

3. Gefühle als Orientierungshilfe auf dem Weg des Entrümpelns

Die In-guter-Ordnung-Orte würdigen

Die Lieblingsorte als Oasen pflegen

Stauraum schaffen an den Sammelorten

An den Wunschorten seinen inneren Widersprüchen begegnen

Die Vermeidungsorte als Scheinriesen entlarven

4. Praktische Anleitung zum Entrümpeln der Wohnung

Vorbereitungen und erste Schritte zum Entrümpeln

Das Badezimmer: Frisch in den Tag

Die Küche: Der Ort für das leibliche Wohl

Kleidung, Schuhe und Taschen: Das äußere Erscheinungsbild mit dem eigenen Wesen in Einklang bringen

Den Wohn- und Arbeitsbereich aufräumen

Dachboden und Keller entrümpeln

Umsichtiger Umgang mit elektronischen Daten

Meine persönliche Ordnung dauerhaft erhalten – 10 Tipps für einen übersichtlichen Haushalt

5. Das Entrümpeln immaterieller Lebensbereiche

Lebensstil und Aktivitäten der eigenen Lebensenergie anpassen

Beziehungen klären und loslassen

Gewohnheiten und Routinen verändern

Gedankliche Bilder und Glaubenssätze auflösen und erneuern

Schluss: Das Erreichte würdigen und die Zukunft gestalten

Wie verändert Entrümpeln das eigene Leben?

Den freien Raum gestalten

Anhang

Tipps auf einen Blick: Wohin mit den Sachen?

Dank

Anmerkungen

Literatur

Bildnachweis

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Einleitung: Entrümpeln – vom Chaos zur Leichtigkeit

»Mein Schrank quillt über, und ich müsste mich eigentlich von ein paar alten Klamotten trennen. Aber von welchen? Selbst bei Sachen, die ich schon ewig nicht mehr getragen habe, denke ich dann, ich würde sie vielleicht ja doch noch einmal anziehen – bei einer passenden Gelegenheit. Mir fällt es sogar schwer, meine abgetragenen T-Shirts auszusortieren, irgendwie hänge ich an ihnen. Und so wird das immer mehr.«

Geschichten dieser Art begegnen mir sehr häufig. Ich betreibe ein Tauschmobil, eine Art Schenkladen auf Rädern, und arbeite außerdem als Entrümpelungsberaterin. Dabei erlebe ich, dass viele Menschen sich mit dem Aussortieren und Wegwerfen alter, ungenutzter Sachen schwertun. Sie schieben es von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, gar jahrelang vor sich her. Und so türmen sich die schleichend angesammelten Gegenstände immer weiter auf. Der Berg scheint unüberwindbar.

Was sich auf der äußeren Ebene in einem Zuviel an Gegenständen in der Wohnung zeigt, hat in aller Regel auch eine innere Dimension. Es sind tiefer liegende Ursachen, die Menschen an materiellen Dingen festhalten lassen. Der Prozess des Loslassens berührt emotionale Themen wie den persönlichen Umgang mit Veränderungen oder das Abschiednehmen. Auch kann sich ein Zuviel in anderen, immateriellen Lebensbereichen ansammeln. Viele Menschen leiden unter einem Zuviel an Aktivitäten und hetzen von Termin zu Termin. Andere fühlen sich unwohl in manchen Beziehungen, führen sie jedoch aus Gewohnheit oder aus anderen Gründen weiter. Das Phänomen des Festhaltens hat viele Dimensionen und Perspektiven. Deshalb begreife ich den Prozess des Entrümpelns als einen ganzheitlichen Prozess des Loslassens.

Das vorliegende Buch richtet sich an all die Menschen, die sich dem Thema des Loslassens und Entrümpelns in dieser ganzheit­lichen Betrachtungsweise nähern wollen. Es bietet Anregungen, über sich selbst nachzudenken und sich im Inneren wie im Äußeren neu zu sortieren und alten Ballast loszulassen – Chaos gegen Leichtigkeit einzutauschen. Die hier angesprochenen Themen, Erzählungen und Übungen bilden die Grundlage für neue Handlungsmöglichkeiten. Das Entrümpeln kann die eigenen Energien wieder besser zum Fließen bringen und die persönliche Zufriedenheit und Lebensqualität erhöhen. Das Loslassen von Altem lässt Raum entstehen und verleiht dem Leben eine neue Leichtigkeit.

Meine eigenen Erfahrungen mit Entrümpeln und dem Tauschmobil

Vor mehreren Jahren habe ich angefangen, in meiner Wohnung auszumisten. Es war ein langer Prozess, der sich über ein paar Jahre hingezogen hat. Manche Bereiche fielen mir leicht. Nachdem ich beispielsweise einen Kleiderschrank gekauft hatte, war ich in der Lage, eine große Chaosecke mit offener Kleiderstange und aufgetürmten Utensilien loszuwerden, da mir nun genügend Stauraum zur Verfügung stand. Andere Dinge fielen mir schwerer und dauerten sehr lange. Insbesondere die drei Bananenkisten voller alter Briefe und Karten, die ich in meinem Elternhaus auf dem Dachboden gelagert und dort vergessen hatte, waren eine große Herausforderung für mich. Was tun? Wegschmeißen konnte ich sie nicht so einfach, dafür waren zu viele Geschichten, Erlebnisse und Erinnerungen mit den Briefen verbunden. Also arbeitete ich mich durch die Briefstapel. Ich durchlebte meine ganze Jugend und mein frühes Erwachsenenalter noch einmal neu. Dabei wühlte ich viele alte Erinnerungen auf, sowohl schöne Erinnerungen wie auch alten Schmerz, der mit bestimmten Lebensphasen verknüpft war. Ich brauchte mehrere Monate, um die Briefe zu lesen und Stück für Stück auszusortieren. Am Ende blieb ein Bananenkarton voll übrig. Das war aber immer noch zu viel. Ich sichtete noch einmal die verbliebenen Briefe und Karten und setzte engere Kriterien beim Aussortieren an. Zuletzt blieb ein kleiner Stapel übrig und ich war zufrieden. Diese besonders wertvollen Briefe bekamen eine schöne Schachtel und durften bleiben.

Im Laufe der Monate und Jahre trennte ich mich von alten, abgetragenen oder unpassenden Kleidungsstücken, von doppelt vorhandenen Haushaltsgeräten, von einigen Büchern und allerlei Kleinkram. Ganz allmählich fühlte ich mich etwas leichter und beweglicher als vorher. Auch in meinem Inneren war durch das Aufräumen viel passiert. Zu Beginn des Prozesses hatte ich mich in einer inneren Stagnation befunden und hatte mich oft kraftlos und ziellos gefühlt, wie ein abgestelltes Auto ohne Motor. Während des Aufräumprozesses war vieles in meinem Leben wieder in Bewegung gekommen, sowohl in beruflicher Hinsicht als auch im privaten Leben. Ich hatte einen inneren Entwicklungsprozess durchlebt, bei dem ich mit manchen alten Mustern und Gewohnheiten aufgeräumt und manch innere Sperre aufgelöst hatte. Im Nachhinein erst wurde mir bewusst, wie das äußere und das innere Aufräumen parallel stattgefunden hatten und eng miteinander verknüpft gewesen waren. Am Ende fühlte sich mein Leben auf allen Ebenen deutlich leichter und befreiter an.

Ich fühlte mich gestärkt und hatte unerwarteterweise überschüssige Energie. Ich arbeitete in Teilzeit als Sozialarbeiterin und zusätzlich freiberuflich als Beraterin. Ich begann mich zu fragen, ob ich meine Arbeit aufstocken sollte oder wie ich meine Energie anderweitig sinnvoll einsetzen könnte. In dieser Zeit nahm ich öfter an politischen Fachtagungen teil, die sich mit dem Zustand und der Entwicklung unserer Gesellschaft auseinandersetzten. Während in der Politik wirtschaftliches Wachstum als Allheilmittel für alle Probleme propagiert wurde, gab es demgegenüber eine deut­liche Gegenbewegung. Auf diesen Tagungen wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit ökologischen Fragen konfrontiert. Die Frage der Lebensqualität jenseits von Konsum und Wachstum wurde thematisiert.1 Die Idee des buen vivir (»gutes Leben«) der lateinamerikanischen indigenen Philosophie wurde lebhaft diskutiert. Deren politische Umsetzung wird beispielsweise in Bolivien und Ecuador erprobt. Zentrale Idee des buen vivir ist ein gemeinschaftliches Leben im Einklang mit und nicht auf Kosten der Natur und anderer Menschen. Gleichzeitig wurden verschiedenste Formen der konkreten Ressourceneinsparung vorgestellt. Es wurde sichtbar, dass immer mehr Menschen Dinge tauschen, verleihen oder verschenken, die sie nicht mehr selbst benötigen, um so Ressourcen zu schonen. Im Internet entstanden und entstehen weiterhin unzählige Foren, in denen gebrauchte Gegenstände verkauft, versteigert oder verschenkt werden.

Irgendwann wurde mir klar, dass ich mich in diesem Bereich engagieren wollte. Und kaum hatte ich diesen Entschluss gefasst, wusste ich auch schon, wie: Ich wollte ein Tauschmobil ins Leben rufen, mit dem ich jeden Samstag auf einem kleinen Wochenmarkt in meinem Kiez in Berlin stehen würde, um eine Plattform zum Tauschen von Alltagsgegenständen anzubieten. Das Tauschmobil sollte so unkompliziert wie möglich für jeden nutzbar sein. Es sollte dort stehen, wo die Menschen ohnehin und ohne große Umwege vorbeikommen, deshalb wählte ich den Wochenmarkt als Standort. Jeder sollte Gegenstände des Alltags dort abgeben können und jeder sollte Dinge mitnehmen können – unabhängig davon, ob er etwas mitgebracht hatte. Eine bargeldlose Plattform zum Tauschen all der schönen Dinge, die »noch zu gut sind zum Wegwerfen«, die man selbst aber nicht mehr benötigt. Beim Tauschmobil sollten diese Dinge neue Liebhaber finden können. Was zu Hause ungenutzt in Schränken wertvollen Platz wegnimmt, sollte hier wieder zu neuem Wert finden, indem die Dinge neue Besitzer finden und so wieder genutzt werden.

Ein paar Wochen lang trug ich die Idee mit mir herum, dann legte ich los. Ich erarbeitete ein kurzes Konzept für das Tauschmobil und setzte mich mit dem Leiter des Wochenmarktes in Verbindung. Ich hatte ein klares Bild davon, wo das Tauschmobil stehen sollte. Der Marktleiter war von der Idee angetan und sagte mir einen kostenlosen Standplatz zu. Gleichzeitig machte ich mich auf die Suche nach einem passenden Fahrzeug und fand schließlich einen Kleintransporter mit Regalen. Ein Freund half mir beim Einbau einer Kleiderstange und passte die Regale für meine Zwecke an. Mit unterhaltsamen und fröhlichen Tauschpartys in meinem privaten Umfeld begann ich mein Vorhaben. Alles, was dort keine Abnehmer fand, ging in die Erstausstattung des Tauschmobils ein. Fünf Monate nach der ersten Idee zum Tauschmobil startete es an einem frühen Samstagmorgen im Oktober 2012. Schon nach kurzer Zeit wurde das Tauschmobil zu einem festen Bestandteil des Marktes und zu einem lebendigen Ort des Tauschens und der Begegnung.

Abb. 1: Gabi Rimmele und ihr Tauschmobil

Parallel zum Aufbau des Tauschmobils verfolgte ich ein weiteres Projekt: Ich hatte die Idee, meine bisherigen Kenntnisse und Erfahrungen in der Beratungsarbeit mit meiner persönlichen Erfahrung des Entrümpelns und Loslassens zu verbinden. Wie viel Freiheit und Kraft hatte ich doch selbst durch mein inneres und äußeres Entrümpeln gewonnen. Überzeugt, dass sich auch andere Menschen gern von altem Ballast befreien würden, wenn sie wüssten, wie sie es in Angriff nehmen könnten, erarbeitete ich ein spezielles Konzept der Entrümpelungsberatung. Mit diesem arbeite ich seit Juli 2012 als Entrümpelungsberaterin.

Der Ratgeber, den Sie nun in Händen halten, ist geprägt von vielen Gesprächen, die rund um das Tauschmobil entstehen. Viele Menschen kommen auf mich zu und erzählen mir ihre Erfahrungen mit dem Loslassen und Entrümpeln, dem Schenken und Weitergeben. All diese Gespräche sind in das Buch mit eingeflossen.

Darüber hinaus spiegelt dieses Buch mein methodisches Vorgehen in der Entrümpelungsberatung wider und reflektiert viele Erfahrungen aus meiner Beratungsarbeit. Dabei verbinde ich immer wieder den äußeren Prozess des Entrümpelns mit dem inneren Prozess des Loslassens. Der Einzelne gewinnt dadurch ein tieferes Verständnis für die eigenen Beweggründe, an bestimmten Dingen zu hängen, und entdeckt neue Wege, sein Leben zu gestalten und zu mehr Leichtigkeit und Klarheit zu finden.

Das Leben rund um das Tauschmobil

Seit Oktober 2012 steht das Tauschmobil also jeden Samstagmorgen auf dem Wochenmarkt im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg und ist von 9.30–16 Uhr geöffnet. Jeder kann den Wagen betreten und sich etwas mitnehmen oder Sachen zum Verschenken abgeben. Vor dem Tauschmobil gibt es außerdem einen großen Tisch mit mehreren Bücherkisten sowie Kisten mit Kinderkleidung. Daneben stehen zwei Kleiderständer für Damen- und Herrenkleidung.

Beim Tauschmobil kann alles getauscht werden, was man in Händen tragen kann: Bücher, CDs, Kleidung, Schuhe, Schmuck, Werkzeug, kleine Elektrogeräte, Geschirr und allerlei Nippes und Kleinkram. Größere Geräte oder Möbel können aus Platzgründen nicht direkt am Tauschmobil getauscht werden. Dafür gibt es jedoch die Möglichkeit, einen Zettel im Tauschmobil aufzuhängen: »Suche einen Küchentisch« oder »Verschenke Kinderfahrrad«. Die meisten Sachen, die am Tauschmobil abgegeben werden, haben schon ein oder mehrere Leben hinter sich. Andere Dinge sind noch nagelneu und original verpackt. Jeden Samstag lässt sich hier beobachten, wie vielfältig und unterschiedlich die Geschmäcker und Vorlieben von Menschen sind. Ein Gegenstand, der bei dem einen Besucher ein Stirnrunzeln auslöst, entlockt dem anderen Rufe des Entzückens. Das ungeliebte Geschenk des einen wird zur Freude des anderen.

Das Geben und Nehmen muss sich im Tauschmobil nicht in jedem Augenblick aufwiegen. Manche Menschen wollen einfach nur Dinge loswerden und sind froh, dass sie nun zu Hause mehr Platz haben. Andere finden im Tauschmobil etwas, das ihnen gefällt, haben aber gerade nichts zum Weggeben mit dabei. Auch sie bekommen die Sachen geschenkt. Andere nutzen das Tauschmobil wirklich zum Tauschen, bringen etwas mit und nehmen sich etwas anderes dafür. So kann jeder sich in dem Maße beteiligen, wie er es möchte. Während die einen nur kurz vorbeikommen, um ihre Sachen abzugeben, verweilen die anderen am und im Tauschmobil und stöbern in aller Ruhe. Manche interessieren sich nur für die Bücherkisten und nutzen sie als Bibliothek. Andere durchforsten regelmäßig das gesamte Angebot des Tauschmobils auf der Suche nach neuen Schätzen. Mittlerweile hat das Tauschmobil eine feste Stammkundschaft, die jede Woche zum Tauschen kommt. Für sie gehört das Tauschmobil zur samstäglichen Routine. Andere kommen in unregelmäßigen Abständen. Und jede Woche gibt es Menschen, die das Tauschmobil durch Zufall entdecken oder Touristen, die durch den Trubel angelockt werden und nachfragen, was es damit auf sich hat.

Das Tauschmobil entwickelte sich schon bald nach seinem Start zu einem festen Bestandteil des Marktes. Jeden Samstag kommen rund 150–200 Menschen, um das Tauschangebot zu nutzen oder um andere Menschen zu treffen. Denn das Tauschmobil ist auch ein Treffpunkt im Kiez geworden. Regelmäßig verabreden sich Freunde oder Bekannte am Tauschmobil, um nach kurzem Stöbern gemeinsam weiterzubummeln. Oftmals entstehen Gespräche auch ganz unvermittelt zwischen Fremden. Die einen lachen gemeinsam über eine kuriose Blumenvase, die anderen empfehlen sich gegenseitig Bücher. Mütter und Väter helfen sich an den Kinderkleidungskisten bei der Suche nach der passenden Größe, während ihre Kinder mit Spielzeug aus den Tauschmobilkisten spielen. Viele neue Kontakte sind so zwischen den Tauschenden entstanden, man kennt sich vom Sehen, von kurzen Gesprächen, lächelt sich zu und winkt beim Abschied. Und manche erzählen mir ihre Geschichten, die sie mit den mitgebrachten Dingen verbinden, oder sie berichten, wie schwer es ihnen fiel, etwas Bestimmtes loszulassen und zu entrümpeln. Diese Momente erlebe ich als sehr kostbar.

Abb. 2: Im Gespräch am Tauschmobil

Einige Besucherinnen und Besucher engagieren sich mittlerweile selbst als Helfer und packen mit an. Manche helfen regelmäßig mit und manche, indem sie einfach spontan Ordnung schaffen, wo gerade Bedarf ist.

Das Tauschmobil hat sich also über die Ursprungsidee hinaus­entwickelt. Ich hatte ein Projekt begonnen, das ich für ökologisch sinnvoll hielt. Durch das Tauschmobil wird Müll vermieden, Ressourcen werden länger genutzt und nebenbei wird der eigene Geldbeutel geschont. Ich hatte zudem eine Plattform geschaffen, die es Menschen leichter machen sollte, sich von Altem zu lösen und Platz für ihre gegenwärtigen Wünsche zu gewinnen. Entstanden ist aber noch viel mehr: Es hat sich eine Art Tauschmobil-Gemeinschaft entwickelt. Für viele Menschen bietet das Tauschmobil eine Möglichkeit, selbst etwas Sinnvolles zu tun und sich aktiv zu engagieren. Ich erlebe hier viel Hilfsbereitschaft und Solidarität, so dass jeder Samstag eine Freude für mich ist. Freude ist sowieso die »heimliche Währung« beim Tauschmobil: Die Freude beim Verschenken, die Freude bei einer Entdeckung, ein Lächeln hier, ein Gruß dort, ein Gespräch unter Tauschenden, ein Scherz, ein Lachen …

Zweimal im Jahr macht das Tauschmobil eine Urlaubspause. Wenn ich nach der Pause mit dem Tauschmobil wieder auf dem Markt stehe, geschieht es, dass Menschen kommen und sagen: »Ich habe das Tauschmobil sehr vermisst. Aber jetzt ist die Welt wieder in Ordnung.«

Loslassen als Lebenskunst

Meine persönlichen Erfahrungen wie auch die Erlebnisse mit den Menschen am Tauschmobil und in meinen Beratungen haben mir gezeigt, wie das äußere Entrümpeln und das innere Loslassen als ganzheitlicher Prozess zusammenhängen. Mehr und mehr verstehe ich das Loslassen als eine Lebenskunst. Menschen, die beginnen, die Kunst des Loslassens zu üben, finden meist zu einer größeren Gelassenheit im Umgang mit den Anforderungen, die an sie herangetragen werden. Es fällt ihnen leichter, sich an veränderte Umstände anzupassen und das eigene Leben aktiv zu gestalten. Viele Menschen, die das innere und äußere Entrümpeln in Angriff genommen haben und umsetzen, berichten mir, dass sie ihr Leben als weniger chaotisch empfinden und mehr Struktur in ihrem Alltag bekommen. Dadurch haben sie mehr Energie für das Neue, und ihr Leben gewinnt an Leichtigkeit und Freude.

Das Loslassen, verstanden als Lebenskunst und ganzheitliche Herangehensweise, ist ein aktiver Prozess. Er erfordert, dass sich der Mensch mit seinen Lebensumständen, seinen Prägungen und Gefühlen auseinandersetzt. Das bedeutet, Achtsamkeit mit sich selbst, für die eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu entwickeln. Es bedeutet auch, den persönlichen Lebensstil im Rahmen der eigenen Möglichkeiten entsprechend zu gestalten.

Dieser Ratgeber gibt dafür vielfältige Anregungen. Ich habe einige Themenbereiche und Perspektiven ausgewählt und beschrieben, die mir im Zusammenhang mit dem Entrümpeln regelmäßig begegnen. Diese bilden einen bunten »Blumenstrauß«, aus dem Sie als Leserinnen und Leser auswählen können: Welche »Blumen«, also welche Perspektiven erscheinen Ihnen selbst hilfreich?

Die meisten Kapitel beginnen mit einer kurzen beispielhaften Geschichte – vom Tauschmobil und aus meiner Entrümpelungsberatung. Viele Kapitel enthalten außerdem kleine Übungen, die Sie parallel zum Lesen des Buches ausprobieren können. Auf diese Weise wird es Ihnen möglich, Ihre eigene Kunstfertigkeit des Loslassens schrittweise zu erweitern und zu trainieren. Das Ziel des Ratgebers ist es, dass Sie das Loslassen und Entrümpeln immer mehr in Ihr Leben integrieren, bis es zur neuen Gewohnheit und Normalität wird. Sie selbst entscheiden, wie umfassend und weitreichend Sie die Lebenskunst des Loslassens pflegen und ausleben möchten.

Übung: Entrümpelungstagebuch

Legen Sie sich ein kleines Heft oder ein gebundenes Notizbuch als Tagebuch zu, das Sie in der Zeit des Entrümpelns begleitet. Sie können darin alles notieren, was Sie persönlich beim Entrümpeln beschäftigt, Themen, die Sie besonders ansprechen oder neue Ideen und Erkenntnisse, die Ihnen hilfreich erscheinen. Einige der Übungen, die ich Ihnen vorstelle, sind mit Notizen verbunden, auch diese können Sie in Ihr Tagebuch schreiben und sie so zum späteren Nachschlagen aufbewahren. Nicht zuletzt ist das Entrümpelungstagebuch auch der Ort, an dem Sie Ihre Erfolge festhalten können. Notieren Sie, was Sie Schritt für Schritt geschafft haben. In der Beratung erlebe ich oftmals, dass die Ratsuchenden nach ein paar Wochen plötzlich das Gefühl haben, überhaupt nicht vorangekommen zu sein, und frustriert sind. Wenn sie sich dann die Zeit nehmen, auf das, was sie alles geschafft haben und was sich verändert hat, zurückzuschauen, ist das meist sehr viel.

Halten Sie Ihre Erfolge im Tagebuch fest, so dass Sie Ihre eigene Entwicklung auch später wahrnehmen können.

1. Ursachen für das Sammeln

Wenn Menschen davon berichten, dass sie zum Ansammeln neigen und große Schwierigkeiten damit haben, ihre Wohnung regelmäßig auszumisten oder alte, ungenutzte Dinge wegzuwerfen, ist jede Geschichte individuell und hat mit den ganz persönlichen Erfahrungen der jeweiligen Person zu tun. Dennoch gibt es einige Motive und Hintergründe, die in diesen Geschichten sehr häufig in der einen oder anderen Weise anklingen. In diesem Kapitel gehe ich verschiedenen Grundmotiven und Ursachen für das Ansammeln nach. Es sind unterschiedliche Perspektiven auf das Phänomen des Ansammelns und Hortens, die zum Verständnis des eigenen Sammelverhaltens beitragen können.

»Egal, was ich tue, das Gerümpel wächst immer wieder nach!« – Aktives Sammeln und passives Ansammeln

»Haben Sie einen Tipp, was ich tun kann, damit sich die Sachen zu Hause nicht so schnell vermehren?«, fragte eine ältere Frau. »Ich bemühe mich, das Chaos in den Griff zu bekommen. Aber ich habe das Gefühl, wenn ich eine Sache ausräume, sind dafür schon wieder zwei neue da. Egal, was ich tue, das Gerümpel wächst immer wieder nach.

Na ja, wenn ich ehrlich bin, weiß ich schon, dass ich mich schnell verführen lasse. Wenn etwas schön aussieht und dann auch noch billig ist, greife ich oft spontan zu. Ich habe da auch schon tolle Sachen gefunden! Aber vieles brauche ich am Ende nicht wirklich. Vor kurzem habe ich mir eine wunderhübsche Eieruhr gekauft, die hatte so eine tolle Farbe, ein hell leuchtendes Grün in Form eines großen Eis. Ich konnte ihr einfach nicht widerstehen und war ganz glücklich über die neue Eieruhr – bis ich sie dann das erste Mal ausprobiert habe: Sie lässt sich gar nicht exakt einstellen! Das geht einfach nicht! Man muss den oberen Teil der Uhr drehen bis zu der gewünschten Minutenzahl. Aber sie ist immer ungenau, mal läuft sie eine halbe Minute länger, mal kürzer. Jetzt bin ich wieder auf meine Armbanduhr umgestiegen, und die grüne Eieruhr steht schön, aber unnütz auf meinem Küchenregal herum. Ich konnte sie bisher aber auch noch nicht weggeben, weil sie mir so gut gefällt.«

Wie kommt es dazu, dass uns eines Tages »alles über den Kopf wächst«? Die Feststellung »Es ist mir alles zu viel!« überfällt uns nicht plötzlich und überraschend, sondern ist in aller Regel Ergebnis eines schleichenden Prozesses, der sich über viele Jahre entwickelt hat. Manche praktizieren das Sammeln oder auch Ansammeln schon von Kindesbeinen an, kennen sich selbst und ihre Wohnung gar nicht anders als überladen. Andere können den Beginn des schleichenden Ansammelns datieren, bringen es mit einem äußeren Ereignis in Verbindung. Wieder andere kennen Phasen mit mehr und welche mit weniger Ballast. Allen gemeinsam ist das Gefühl von »Zuviel«.

Diese Prozesse des Anhäufens von Gegenständen können unterschiedlich verlaufen und sehr unterschiedliche Motive oder Hintergründe haben. Dabei fällt zuerst der Unterschied von Sammeln und Ansammeln auf, dem ich mich in diesem Kapitel widme. In seinen Extremen könnte das folgendermaßen beschrieben werden:

Während das Sammeln von Gegenständen ein aktives Handeln ist, das auf bewussten Entscheidungen beruht, was gesammelt werden soll und was nicht, ist das Ansammeln von Gegenständen ein eher passiver Prozess.

»Ich schaffe es schon immer wieder einmal, mir in der Wohnung Platz frei zu räumen. Ich packe die Sachen dann in Kisten und stelle sie in den Keller. Dann sammelt sich aber ganz schnell wieder Neues an. Sachen, die ich mir gekauft habe, oder ich weiß auch nicht …«

Gegenstände sammeln sich an – scheinbar ohne dass jemand etwas dazu tut. Der Begriff legt die Abwesenheit einer bewussten Entscheidung nahe, es passiert irgendwie. Zwischen diesen klaren Extremen gibt es unzählige Formen des Sammelns und Ansammelns, deren aktiver und passiver Anteil sich vermischen und überlagern. Etwas, das als aktives Sammeln begonnen hat, kann beispielsweise eine Eigendynamik entwickeln, so dass das Sammeln irgendwann gar nicht mehr hinterfragt wird. Dazu später mehr.

Die Sammelleidenschaft

Schauen wir uns zunächst das bewusste Sammeln von Gegenständen an. Von Briefmarken, Münzen, Modelleisenbahnen und Lokschildern über Kunst, Bücher und Zeitschriften, Streichholzschachteln, Zuckertütchen oder Bierdeckel aus aller Welt bis hin zu Fotos von besonderen Autokennzeichen, deren Buchstaben Worte ergeben, abgerissenen Eintrittskarten und Restaurantbelegen, Fotos von Gipfelkreuzen oder Tierfiguren in allen erdenklichen Ausführungen – es gibt nichts, was nicht gesammelt werden könnte.

Vielen Sammlern gemein ist die Leidenschaft für ihre Sammelobjekte und das Sammeln. Sie freuen sich, sind enthusiastisch und begeistert von ihren neuen Objekten. Man möchte die Neuheit am liebsten sofort zeigen, die eigene Freude teilen, sich darüber austauschen und vielleicht auch in der Resonanz mit anderen den Erfolg spüren. Ihnen gemein ist auch der Wunsch nach einer möglichst großen Menge und Vielfalt ihres Sammelguts sowie das Bemühen um Exklusivität, die die Sammlung wertvoll macht – wertvoll im ganz praktischen Sinne des Wortes, wenn es beispielsweise um Briefmarken oder Münzen geht, wertvoll aber auch im ideellen Sinne. Selbst ein Bierdeckel aus einer Kneipe in Rio de Janeiro kann im Gespräch mit Freunden Aufmerksamkeit auf sich ziehen und Anerkennung für den Sammler einbringen.

Trotzdem unterscheiden sich die Sammler teilweise sehr deutlich darin, was und wie sie sammeln: Es gibt die Raritätensammler und die Andenkensammler. Manche Menschen sammeln Bücher aller Art, manche sammeln Bücher nur einer bestimmten Fachrichtung. Es gibt Menschen, die Musikstücke sammeln, weil sie leidenschaftliche Musikliebhaber sind, andere Menschen sammeln Klorollen, Papierreste und Wolle, weil sie gerne basteln. Wieder andere bewegen sich gerne in sozialen Netzwerken im Internet und sammeln Freunde auf Facebook. Beispielhaft seien hier zwei Gruppen von Sammlern etwas ausführlicher beschrieben:

Für die eine Gruppe von Sammlern ist das Sammeln ein Freizeit füllendes Hobby. Manche entwickeln sich regelrecht zu Expertinnen und Experten ihres Fachs, sammeln unendlich viele Informationen und kennen sich in den kleinsten Details ihres Metiers aus. Ich nenne sie deshalb die »professionellen Sammler«. Der Austausch mit anderen, das Fachsimpeln und die Suche nach neuen Objekten sind eine Leidenschaft und schaffen Zugehörigkeit. Die Gruppe der Sammler ist eine selbst gewählte Heimat, in der sie Freundschaften pflegen, ihre Kompetenz erweitern, ihre Freude über einen besonderen Fund teilen und Anerkennung, aber auch Konkurrenz und Neid erfahren. Dies geschieht in regelmäßigen, geplanten Gruppentreffen, aber auch in losen Zusammenhängen oder virtuell im Internet.

Eine andere Gruppe von Sammlern sammelt Mitbringsel von Urlaubsfahrten. Meist suchen sich diese Sammler eine Art von Gegenstand aus, den sie in allen auffindbaren Formen aus ihren Reiseländern mitbringen und sammeln. Das können Zuckertütchen, Zigarettenpackungen, Bierdeckel oder auch Eintrittskarten und Restaurantbelege sein, die wie eine Art Trophäe gesammelt werden. Bei vielen beginnt diese Sammelleidenschaft in der Jugendzeit, und bei einigen ebbt die Sammelfreude erfahrungsgemäß im Erwachsenenalter wieder ab, irgendwann werden die Zuckertütchen weggeworfen und das Sammeln eingestellt.

Für manche ist dieses »Reisesammeln« ein Versuch, schöne Erinnerungen zu sammeln und die Abenteuer, die an diesen Orten erlebt wurden, zu bewahren. Je intensiver und prägender der Urlaub war, desto mehr will er festgehalten werden. Die Sammel­objekte werden oft als Teil der eigenen Identität und der eigenen Geschichte erlebt. Je »normaler« und selbstverständlicher der alljährliche Urlaub wird, desto alltäglicher werden die einzelnen Urlaubsfahrten und -erlebnisse. Damit verliert auch das Sammeln seine Exotik, wird weniger interessant und wird irgendwann einfach eingestellt.

In diesen Formen ist das Sammeln von Gegenständen ein sehr aktiver Prozess und beruht auf klaren Entscheidungen. Es wird genau differenziert, was gesammelt wird und was nicht. Insbesondere bei den »professionellen Sammlern« gibt es eine klare Struktur und Ordnung. Es werden Objekte nach Baureihen oder nach regionaler Herkunft gesammelt, nach Betriebsart oder nach vorgegebenen Sammlersätzen. Es geht darum, möglichst viel, unterschiedlich bzw. vollständig zu sammeln. Oftmals wird für Sammlerstücke sehr viel Geld ausgegeben, im Extremfall kann das Sammeln zur Sucht werden. Im Allgemeinen wird es jedoch als eine sehr spannende, spielerische und erfüllende Aktivität erlebt und ist mit viel Leidenschaft verbunden.

Das Sammeln und Ansammeln in seinen vielfältigen Formen

Viele alltägliche Formen des Sammelns haben sowohl aktive als auch passive Anteile, die wir uns meist jedoch nicht bewusst machen und die sich im Laufe der Zeit verändern können. Dazu ein paar Beispiele:

Jemand, der Delfinfiguren in allen Formen, Farben und Ausführungen sammelt, weil er Delfine über alles liebt, mag irgendwann gesättigt ob der vielen Figuren sein und sammelt nur noch aus Gewohnheit weiter. Oder er entscheidet sich, diese Figuren nicht mehr weiterzusammeln, teilt dies seinen Freunden und Verwandten aber nicht ausdrücklich mit. Dann wird er weiterhin Delfinfiguren geschenkt bekommen, weil ja alle zu wissen glauben, dass er sie liebt und sammelt.

Menschen, die in ihrer Freizeit gerne handwerkliche Arbeiten machen, Dinge reparieren oder bauen oder die künstlerisch tätig sind und beispielsweise mit Skulpturen experimentieren, sammeln vermutlich Arbeitsmaterial aller Art, alles, was ihnen für ihre Tätigkeit als nützlich erscheint. Dieser aktive Prozess kann ausufern, wenn die Masse des gesammelten Materials eine realistische Verwendung deutlich übersteigt, wenn der Sammler die Übersicht über seine gesammelten Materialien verliert oder wenn irgendwann unterschiedslos alles gesammelt wird, weil man es ja später noch brauchen könnte.

Ein weiteres Beispiel: Viele Menschen abonnieren Zeitschriften, und manche Menschen bewahren diese auch auf. Dies ist einerseits ein aktiver Prozess, denn es wird beispielsweise nur die Lieblingszeitschrift gesammelt und sie wird ganz bewusst an einem Ort gestapelt. Das Zeitschriftensammeln kann aber auch einen passiven Anteil enthalten, wenn die Zeitschriften über Jahre gestapelt werden, ohne dass mit ihnen etwas passiert und ohne dass die eigene Entscheidung des Sammelns überprüft und erneuert wird.

Diese Beispiele veranschaulichen, welche Eigendynamik das Sammeln entwickeln kann. Die Übergänge zwischen dem aktiven Sammeln und dem passiven Element des Ansammelns sind weich und fließend und werden meist nicht bewusst wahrgenommen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass uns die Ansammlung, die sich gebildet hat, erst im Nachhinein bewusst wird: Wenn mir beim Frühjahrsputz plötzlich der große Stapel von Zeitschriften ins Auge fällt und klar wird, dass ich diese nun schon seit fünf Jahren sammle, ohne jemals wieder hineingeschaut zu haben. Oder wenn ich mir ein Regal bauen möchte und genau weiß, dass ich irgendwo noch so kleine Hölzer habe, die da genau passen würden, diese aber partout nicht finden kann – und wie ich dann meinen suchenden Blick im Raum herumschweifen lasse, nehme ich plötzlich die ungeheure Menge an Materialien und das Durcheinander wahr.

Zu entrümpeln ist ein Prozess, der genau diesen Übergang zwischen aktivem Sammeln und passivem Ansammeln ins Bewusstsein bringt. Wer zu entrümpeln beginnt, hält inne und entscheidet sich neu: Will ich das weiter so haben und sammeln oder nicht? Er nimmt sich Zeit, den Wandel in seinem Leben, die Veränderung seiner Vorlieben, Hobbys, Interessen und Wünsche wahrzunehmen, sie zu analysieren und neu zu entscheiden, was ihm jetzt wichtig ist. Jemand, der über viele Jahre Delfine gesammelt hat, merkt vielleicht jetzt, dass er die Freude daran schon vor einiger Zeit verloren hat, und beschließt, sie nicht weiterzusammeln. Vielleicht gibt er die Sammlung weg, vielleicht bewahrt er sie an einem schönen Ort weiter auf oder er wirft sie entschlossen in den Müll. Ein anderer Delfinsammler spürt beim Entrümpeln, dass er die Figuren nach wie vor liebt, und möchte sie weitersammeln. Durch das Innehalten entwickelt er neuen Elan, um seine Sammlung fortzusetzen. Er überlegt, wo er noch nach neuen, ausgefallenen Exemplaren suchen könnte, und das Sammeln macht ihm wieder viel mehr Freude als vorher.

Das Entrümpeln bringt dem Einzelnen eine neue Klarheit, frische Energie und neue Lebensfreude.

Wenn das Ansammeln von Dingen einem »über den Kopf zu wachsen« droht

Viele Menschen werden in ihrer Wohnung eine oder mehrere solcher über Jahre gewachsener Sammelstellen finden. Dazu gesellen sich die kleinen Ansammlungen, die der Alltag so mit sich bringt. Der Stapel von Tageszeitungen, der täglich wächst, die Veranstaltungsflyer, die im Vorbeigehen mitgenommen und auf der Kommode abgelegt werden oder das Spielzeug der Kinder, das sich über Nacht zu verdoppeln scheint. Dazu gehören auch ungeplante Spontankäufe, die im Moment hübsch oder nützlich erscheinen, für die dann aber zu Hause doch keine Verwendung gefunden wird oder die bereits mehrfach vorhanden sind. Vielleicht mischen sich noch Werbegeschenke, ungenutzte Schlüsselbänder oder Kugelschreiber darunter. Diese alltäglichen, laufenden Ansammlungen sind oftmals Dinge, die keinen festen Platz in der Wohnung haben, die von einer Ecke in die andere geräumt werden oder sich da ansammeln, wo sich gerade Platz findet. »Das räume ich später weg.« Aber das Später tritt nicht ein, weil die Idee fehlt, was mit dem Gegenstand passieren soll.

»Manchmal entdecke ich plötzlich einen Papierturm in meinem Wohnzimmer, und denke: ›Der war doch gestern noch nicht da!‹ Wenn ich ihn dann ­genauer anschaue, finde ich in dem ­Stapel das Fernsehprogramm vom vorletzten Monat.«

All dies sind normale Phänomene und gehören zum Leben. Es gibt Momente, da wir verzweifeln, weil uns alles »zu viel« wird, dann gibt es Zeiten, in denen uns das Ordnen, Auswählen und Loslassen leichter fällt und wir das Gefühl haben, alles »unter Kontrolle« zu haben. Den meisten gelingt es im Alltag immer wieder, mit ihrem »Zuviel« aufzuräumen.

Wirklich schwierig wird das »Zuviel« dann, wenn es ein bestimmtes Maß überschreitet, sich in großen Mengen dauerhaft etabliert und dabei immer noch anwächst. Wenn es dem Einzelnen buchstäblich »über den Kopf wächst« und er unter seinem »Vielzuviel« leidet. Wenn das »Zuviel« das tägliche Leben bestimmt und den Einzelnen einengt und in seinem Wohlbefinden beeinträchtigt.