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Folge 11: Späte Rache an Louise! Die Köchin des Black Feathers erbt fünf gemalte Portraits aus einem angeblichen Nachlass und steht vor einem Rätsel: Alle Portraits zeigen Dr. Desmond van Gelder - einen Verbrecher, den sie als junge Agentin hinter Gitter gebracht hat. Louise ist entsetzt, als sie feststellt, dass van Gelder noch lebt - und dass er eine Geisel genommen hat! Ihr bleiben nur zehn Tage, um die Rätsel auf den Portraits zu entschlüsseln und so die junge Frau zu retten, die er gefangen hält ...
Über die Serie: Davon stand nichts im Testament ...
Cottages, englische Rosen und sanft geschwungene Hügel - das ist Earlsraven. Mittendrin: das "Black Feather". Dieses gemütliche Café erbt die junge Nathalie Ames völlig unerwartet von ihrer Tante - und deren geheimes Doppelleben gleich mit! Die hat nämlich Kriminalfälle gelöst, zusammen mit ihrer Köchin Louise, einer ehemaligen Agentin der britischen Krone. Und während Nathalie noch dabei ist, mit den skurrilen Dorfbewohnern warmzuwerden, stellt sie fest: Der Spürsinn liegt in der Familie ...
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Seitenzahl: 237
Cover
Tee? Kaffee? Mord! – Die Serie
Über diese Folge
Über die Autorin
Titel
Impressum
Prolog
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Epilog
Leseprobe – BUNBURRY
Davon stand nichts im Testament …
Cottages, englische Rosen und sanft geschwungene Hügel: das ist Earlsraven. Mittendrin: das »Black Feather«. Dieses gemütliche Café erbt die junge Nathalie Ames völlig unerwartet von ihrer Tante – und deren geheimes Doppelleben gleich mit! Die hat nämlich Kriminalfälle gelöst, zusammen mit ihrer Köchin Louise, einer ehemaligen Agentin der britischen Krone. Und während Nathalie noch dabei ist, mit den skurrilen Dorfbewohnern warmzuwerden, stellt sie fest: Der Spürsinn liegt in der Familie …
Späte Rache an Louise! Die Köchin des Black Feathers erbt fünf gemalte Portraits aus einem angeblichen Nachlass und steht vor einem Rätsel: Alle Portraits zeigen Dr. Desmond van Gelder – einen Verbrecher, den sie als junge Agentin hinter Gitter gebracht hat. Louise ist entsetzt, als sie feststellt, dass van Gelder noch lebt – und dass er eine Geisel genommen hat! Ihr bleiben nur zehn Tage, um die Rätsel auf den Portraits zu entschlüsseln und so die junge Frau zu retten, die er gefangen hält …
Geboren wurde Ellen Barksdale im englischen Seebad Brighton, wo ihre Eltern eine kleine Pension betrieben. Von Kindheit an war sie eine Leseratte und begann auch schon früh, sich für Krimis zu interessieren. Ihre ersten Krimierfahrungen sammelte sie mit den Maigret-Romanen von Georges Simenon (ihre Mutter ist gebürtige Belgierin). Nach dem jahrelangen Lesen von Krimis beschloss sie vor Kurzem, selbst unter die Autorinnen zu gehen. »Tee? Kaffe? Mord!« ist ihre erste Krimireihe.
Ellen Barksdale lebt mit ihrem Lebensgefährten Ian und den drei Mischlingen Billy, Bobby und Libby in der Nähe von Swansea.
Ellen Barksdale
Tee? Kaffee?Mord!
DIE FÜNF PORTRAITSDES TOTEN DOKTORS
Aus dem Englischen von Ralph Sander
beTHRILLED
Originalausgabe
»be« – Das E-Book-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Dorothee Cabras
Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt
Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock/SJ Travel Photo and Video, © shutterstock/Protasov AN, © Mary Ro/Shutterstock, © Kiev.Victor/Shutterstock
E-Book-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-7454-4
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Dieses E-Book enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes »Bunburry – ein Idyll zum Sterben. Mord in guter Gesellschaft« von Helena Marchmont.
Prolog, in dem die Grundlage für einen Nervenkrieg gelegt wird
»Der Bus kommt in fünf Minuten, Mum«, sagte Doreen nach einem Blick auf den Fahrplan und ihre Armbanduhr. »Und selbst wenn er zu spät am Bahnhof ankommt, kann ich immer noch den nächsten Zug nehmen und bin trotzdem zeitig bei Amber.«
»Du hättest sagen sollen, wohin du willst, bevor du aus dem Haus gegangen bist«, beklagte sich ihre Mutter. »Wir haben schon Viertel nach zehn. Du kommst erst gegen Mitternacht bei Amber an.«
»Darum geht’s doch, Mum«, antwortete Doreen. »Morgen hat sie Geburtstag, und du weißt, dass sie morgen früh mit ihren Alten … ihren Eltern für drei Monate nach Australien geht. Da kann ich sie doch nicht einfach wegfliegen lassen, ohne ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Wenn ich dir das vorher gesagt hätte, hättest du mich doch sowieso nicht gehen lassen, richtig?«
»Allerdings, junge Dame«, erklärte ihre Mutter ärgerlich. »Dann gib Amber wenigstens Bescheid, damit sie dich am Bahnhof abholt.«
»Muu-hum«, sagte sie gedehnt. »Ich will sie überraschen. Das ist wohl schlecht möglich, wenn ich meinen Besuch ankündige, oder?«
»Ich sollte zu dieser Haltestelle kommen und dich abholen. Ich verstehe nicht, wie du so unvernünftig sein kannst. Es kann so viel passieren …«
»Mum, ich habe das Abwehrspray und den Elektroschocker, und wir haben zusammen den Selbstverteidigungskurs gemacht«, zählte sie geduldig auf. »Mir kann gar nichts passieren. Ah, da kommt der Bus, ich mache Schluss, Mum«, fügte sie hastig an und verabschiedete sich. Der Bus war zwar noch gar nicht zu sehen, aber sie wollte vermeiden, dass ihre Mutter noch länger auf sie einredete, obwohl ihr Entschluss feststand. Dad war an diesem Freitag mit ein paar Freunden über das Wochenende zum Surfen an die See gefahren, daher hatte Mum kein Auto. Sich zu Fuß auf den Weg zur Haltestelle zu machen wäre sinnlos gewesen, da man für die Strecke von ihrem Elternhaus bis hierher mindestens zwanzig Minuten brauchte.
Doreen steckte das Handy weg und fuchtelte mit der freien Hand in der Luft herum, um die Mücken zu vertreiben, die die grelle Lampe über dem Haltestellenschild umschwirrten. Sie hasste diese Haltestelle an Sommerabenden. Nein, falsch, sie hasste diese Haltestelle zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter. Nur weil in ihrem Heimatdorf die Straßen für einen Linienbus zu eng waren, musste man meilenweit laufen, um an der Landstraße auf den Bus zu warten. Im Sommer gab es hier keinen Schatten, im Winter froren einem mindestens die Füße ab, weil man manchmal eine Stunde oder länger herumstehen musste, ehe endlich ein Bus auftauchte – vorausgesetzt, er tauchte überhaupt auf.
Bei Regen gab es nichts, wo man sich unterstellen konnte, und wenn auch noch Sturm dazukam, half nicht mal mehr ein Schirm etwas. Hinzu kam, dass das Wasser bei zu viel Regen nicht schnell genug versickern konnte und sich eine riesige Pfütze bildete. Nachts stand man in der Dunkelheit da und wurde von der grellen Lampe beschienen. Mehr als einmal war sich Doreen wie auf dem Präsentierteller vorgekommen, weil ringsum alles in nächtliches Schwarz getaucht war und man nicht sehen konnte, ob sich in den Schatten irgendjemand herumtrieb.
Jetzt, Ende August, war es trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit zum Glück noch nicht stockfinster, dennoch war nicht viel von der Umgebung zu erkennen.
Sie sah nach rechts und machte in einiger Entfernung ein Scheinwerferpaar aus. Wieder sah sie auf die Uhr und atmete erleichtert auf. Der Bus würde sogar zwei Minuten zu früh hier sein. Ein Stich in den Oberarm ließ sie zusammenzucken und reflexartig nach der Mücke schlagen, die aber schon wieder das Weite gesucht hatte. Das ärmellose Top war für diese Haltestelle denkbar ungeeignet, doch es war viel zu warm, um irgendwas Langärmeliges zu tragen.
Als die Scheinwerfer näher kamen, stellte Doreen enttäuscht fest, dass es sich nicht um den Bus, sondern um einen Personenwagen handelte. Der Wagen – ein roter Kombi irgendeiner Marke, die Doreen nicht kannte – wurde langsamer und kam auf Höhe der Haltestelle zum Stehen. Das Beifahrerfenster fuhr herunter, der Fahrer, ein älterer Mann, beugte sich vor.
»Entschuldigen Sie, Miss. Kennen Sie sich in der Gegend aus?«, fragte er.
»Kommt drauf an, wo Sie hinwollen«, sagte sie und stellte sofort klar: »Ich werde aber nicht einsteigen, um Ihnen den Weg zu zeigen.«
»Kein Problem«, entgegnete der Fahrer und verließ sein Fahrzeug. In einer Hand hielt er eine Landkarte. Der Mann, der eine Art Baskenmütze trug, war von recht kleiner Statur und leicht untersetzt; er lächelte freundlich und kam um den Wagen herum. Der Mann nickte anerkennend. »Ihr Verhalten ist wirklich vorbildlich. Sie scheinen für Ihr Alter sehr vernünftig zu sein. Darf ich fragen, wie alt Sie sind? Sechzehn, siebzehn?«
»Sechzehn«, antwortete sie und erwiderte das Lächeln des Mannes.
Er stellte sich an seinen Wagen und breitete die Landkarte auf der Motorhaube aus. »Wenn Sie mir nur bitte zeigen könnten, wo genau ich mich befinde. Ich habe die Autobahn wohl eine Ausfahrt zu früh verlassen und irre jetzt schon eine halbe Stunde herum … Huch«, machte er und schlug nach einer Mücke, die an seinem Ohr vorbeigesurrt war.
»Mich haben diese Viecher auch schon zerstochen«, seufzte Doreen. »Ich hoffe, der Bus kommt bald, damit sie mich endlich in Ruhe lassen.«
»Oh, ich glaube, der Bus wird noch eine Weile brauchen«, sagte der Mann und verzog den Mund. »Zumindest wenn der Linienbus, den ich eben passiert habe, der ist, auf den Sie warten. Der steht nämlich irgendwo dahinten mit einer Reifenpanne am Straßenrand.« Er wies in die Richtung, aus der er gekommen war.
»Oh nein!«, rief Doreen erschrocken. »Dann komme ich ja heute Abend gar nicht mehr von hier weg.«
Der ältere Mann zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ist der Reifen ja schneller gewechselt, als man meinen möchte.« Er zeigte wieder auf den Plan.
Reflexartig schlug sie erneut nach einer Mücke. Dabei hätte sie dem Mann fast eine Ohrfeige verpasst, weil der sich vorgebeugt hatte, um mit ihr auf die Landkarte zu sehen. »Oh, Entschuldigung«, murmelte sie und konzentrierte sich ganz auf die Karte. »Mal sehen, die Haltestelle ist … ähm … Auf Google-Maps ist das viel einfacher als … Au!«, rief sie, als eine besonders rabiate Mücke sie in den Oberarm stach.
»Ich bin da von der Autobahn abgefahren«, sagte der Mann und tippte auf eine Linie am rechten Kartenrand.
»Da sind Sie ab…, ab…« Doreen hatte Mühe, das Wort zu bilden. Sie versuchte es noch einmal, aber außer Gemurmel kam ihr nichts mehr über die Lippen. Allerdings wusste sie auch längst nicht mehr, was sie hatte sagen wollen. Die Karte sah sie nur noch verschwommen, und dann fielen ihr die Augen zu.
Zwei Dinge nahm sie noch wahr, ehe alles um sie herum dunkel wurde: Sie kippte vornüber auf die Motorhaube, und sie hörte den Mann sagen: »Ich glaube, ich nehme Sie doch besser ein Stück mit, Miss.«
Irgendwo in einem Winkel ihres Verstandes wollte sich Widerspruch regen, aber dazu kam es nicht mehr.
Erstes Kapitel, in dem Louise ein unerfreuliches Geschenk erhält
Vier Tage später
»Du hast ein Paket für mich angenommen?«, fragte Louise Cartham, als sie am Dienstagnachmittag Nathalies Büro betrat. Mehr reflexartig klopfte sie an der offen stehenden Zimmertür an, ging jedoch weiter, ohne auf ein »Herein« zu warten.
Nathalie Ames, die Inhaberin des Pubs Black Feather in Earlsraven, machte auf ihrer Tabelle ein Häkchen an der Position, die sie zuletzt überprüft hatte, dann erst hob sie den Kopf und sah zu ihrer Köchin. »Ja, irgendein Paketdienst hat das geliefert. Das war vor einer Stunde, so gegen drei. Du warst gerade erst zum Landmarkt aufgebrochen«, sagte sie. »Das war so knapp, dass ihr auf dem Parkplatz aneinander vorbeigelaufen sein müsstet.«
Louise zuckte mit den Schultern. »Aufgefallen ist mir draußen niemand, aber ich war ja auch in Eile.«
»Ich hab’s da drüben auf den Tisch gestellt.« Nathalie zeigte in die hintere Ecke ihres Büros.
Beim Anblick des großen Pakets stutzte die Köchin. »Ich habe doch gar nichts bestellt«, wunderte sie sich.
»Vielleicht eine Überraschung von deinem Schatz Martin«, gab Nathalie zu bedenken. »Als Wiedergutmachung dafür, dass er wohl noch den Rest der Woche im heißen Spanien verbringen darf, während bei uns die Temperaturen langsam wieder sinken.«
»Wenn er Freizeit hätte, könnte ich es mir vorstellen«, erwiderte Louise. »Aber nach sechzehn oder achtzehn Stunden zähen Vertragsverhandlungen täglich ist er viel zu erledigt, um noch etwas anderes zu wollen, als vom klimatisierten Konferenzraum zum klimatisierten Aufzug zu gehen und sich in sein klimatisiertes Zimmer zurückzuziehen.«
Nathalie lächelte und zwinkerte Louise zu, die nicht nur ihre Köchin, sondern hier in Earlsraven auch ihre beste Freundin war. »Das kommt davon, wenn man was mit einem international gefragten Anwalt anfängt. Der Preis des Ruhms eben.«
»Na ja, wenn diese beiden Gesellschaften sich von vornherein mehr Gedanken darüber gemacht hätten, wie sie zusammenarbeiten wollen, wäre Martin und seinem Team viel Zeit erspart geblieben. Und den Parteien viel Geld für ihre Anwälte.« Louise schüttelte ungläubig den Kopf. »Gestern haben sie vier Stunden lang darüber diskutiert, ob das neue Logo auf den kleinen Umschlägen besser auf der Vorderseite unten links oder auf der Rückseite in der oberen Mitte stehen soll. Martin formuliert das aus, legt es beiden Seiten vor, und wenn er Glück hat, sind alle Beteiligten einverstanden, und sie können sich dem nächsten Thema zuwenden.«
»Der Farbe der Werbekugelschreiber?«, fragte Nathalie amüsiert.
»So ungefähr.« Louise drehte das Paket so, dass sie den Adressaufkleber lesen konnte. »Hm? Eine Anwaltskanzlei? Jonsson, Johansson und Jonasson aus Göteborg? Kenne ich nicht.«
»Offenbar kennen die dich aber.«
»Ja, offenbar.« Sie drehte sich zu Nathalies Schreibtisch um und nahm die Schere, um an allen Seiten das Klebeband zu durchtrennen, damit sie die Sendung auspacken konnte, ohne beim Aufreißen womöglich etwas zu beschädigen. Nach einer Auspack-Odyssee lag auf dem Boden ein Wust aus Packpapier und Noppenfolie.
Jetzt war nur noch eine dünne schwarze Folie übrig, und als Louise diese an einem Ende abgezogen hatte, stutzte sie. »Hm?«
»Und?«, fragte Nathalie, die ungeduldig zugesehen hatte, wie ihre Köchin eine schützende Lage nach der anderen abgelöst hatte.
»Sieht aus wie … fünf Bilderrahmen.«
»Vielleicht hast du ja irgendwas gewonnen«, meinte Nathalie und trank einen Schluck von ihrem Eistee, der inzwischen schon so lange auf ihrem Schreibtisch stand, dass er warm geworden und der bittere Geschmack wieder durchgekommen war.
»Ich nehme an nichts teil, wo ich etwas gewinnen könnte«, widersprach Louise ihr. »Meine Daten gebe ich nicht so leichtfertig raus.« Sie wickelte den letzten Rest Folie ab, dann breitete sie fünf gerahmte Bilder auf dem Tisch aus und betrachtete sie. »Was soll denn das?« Louise klang so verdutzt, dass Nathalie ihren Platz verließ, um den Schreibtisch herumkam und sich neben sie stellte.
Vor ihr lagen fünf Ölgemälde, von denen jedes den gleichen Mann darzustellen schien, allerdings war von Mal zu Mal ein gewisser Alterungsprozess erkennbar. Auf dem ersten Bild wirkte er mit seinem vollen dunklen Haarschopf wie fünfundzwanzig, auf dem letzten dagegen wie Anfang sechzig, wobei die Halbglatze ihn etwas älter aussehen lassen mochte, als er tatsächlich war. Das Gesicht wurde mit jedem Bild etwas faltiger und schmäler, doch insgesamt machte der Mann einen durchaus sympathischen Eindruck.
»Selbstportraits? Von wem?«
»Was soll das?«, wunderte sich Louise wieder, die Nathalies Frage offenbar nicht mitbekommen hatte.
»Du kennst ihn?«
»Was? Äh … ja, ja. Ich kenne ihn«, lautete die knappe Antwort.
»Willst du ihn mir nicht vorstellen?«, hakte Nathalie schmunzelnd nach.
Louise schüttelte den Kopf und fuhr sich durch das kurz geschnittene weiße Haar. Schließlich drehte sie sich zu ihrer Chefin um. »Tut mir leid, ich bin gerade etwas … ›Durcheinander‹ trifft es nicht so ganz … Ich bin …«
»… von der Rolle?«, schlug Nathalie hilfsbereit vor.
»Ja, das kommt hin«, sagte Louise leise, dann deutete sie auf die Gemälde. »Das da ist Dr. Desmond van Gelder.«
»Van Gelder? Irgendein berühmter Niederländer?«
»Nein, Amerikaner«, antwortete Louise. »Und eher berüchtigt als berühmt.«
»Muss ich ihn kennen? Der Name sagt mir gar nichts.«
Die Köchin verneinte. »Erstens war das vor deiner Zeit, und zweitens hat sich das Ganze weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgespielt.«
»›Das Ganze‹? Was meinst du damit?«
»Setzen wir uns«, schlug Louise vor und zog die beiden Stühle heran, die vor dem Schreibtisch standen. »Das ist beinahe dreißig Jahre her. Damals war ich erst kurz beim Geheimdienst. Weil ein älterer Kollege durch einen Bandscheibenvorfall für ein paar Wochen ausfiel und niemand sonst zur Verfügung stand, nahm man mich als Frischling mit in das Team auf, das einen Entführungsfall schnellstmöglich aufklären sollte. Die zehnjährige Tochter eines südamerikanischen Diplomaten war gekidnappt worden; es gab keine Lösegeldforderung und auch erst einmal gar kein Lebenszeichen des entführten Mädchens. Der Vorfall wurde komplett geheim gehalten, weil der Diktator dieses Landes ihn nur genutzt hätte, um noch härter gegen den Widerstand vorzugehen, der den Machthaber ein halbes Jahr später stürzen konnte. Die Demokratisierung dieses Landes wäre um Jahrzehnte zurückgeworfen worden. Bedauerlicherweise konnten wir aber die Diplomatentochter nicht retten, weil wir keine Ahnung hatten, wer sie entführt hatte und wo sie versteckt gehalten wurde.«
»Dann hat sich der Entführer nie wieder gemeldet?«, fragte Nathalie erschrocken.
»Doch, aber da war es schon so gut wie zu spät, weil wir ja keinen Ansatzpunkt hatten, um großräumig nach dem entführten Kind zu suchen. Als er anrief, sagte er bloß: ›Nur noch ein Tag.‹ Das wäre dann der zehnte Tag nach der Entführung gewesen.« Louise zuckte frustriert mit den Schultern. »Der Tag verstrich, und nichts geschah. Der Entführer lieferte uns keinen Hinweis, nicht einmal eine Andeutung. Es war nicht mal ein Wettlauf mit der Zeit, weil wir rein gar nichts wussten. Nach Ablauf dieses … ›Ultimatums‹ ging ein paar Tage später ein Brief ein mit einem Foto darin, das eine Landschaft zeigte, die auf den ersten Blick fast überall auf der Welt hätte sein können. Erst nachdem wir mit einer Zeitungsredaktion vereinbart hatten, das Foto im Rahmen eines vermeintlichen Preisrätsels zu veröffentlichen, kamen wir weiter. Die Leser wurden gefragt, wo die Fotografie aufgenommen worden war, und bei der richtigen Antwort winkte ihnen irgendein Preis. Hunderte Postkarten gingen in der Redaktion ein, aber zuerst sah es so aus, als würde uns das doch nicht weiterbringen, weil jeder einen anderen Ort auf dem Bild wiederzuerkennen glaubte. Es fanden sich jedoch letztlich fünf Einsender, die eine übereinstimmende Antwort notiert hatten.«
»Und dann habt ihr das Mädchen gefunden?«
»Ja, nachdem wir dahintergekommen waren, dass sich dort eine alte Bunkeranlage befindet«, bestätigte Louise mit ernster Miene. »Der Entführer hatte sich Zugang zu der Anlage verschafft und das Mädchen dort versteckt. Wie gesagt, als wir die Kleine fanden, war es tragischerweise bereits zu spät. Wir konnten rekonstruieren, dass er die Diplomatentochter gleich nach der Entführung in den Bunker gebracht hatte. Dort fesselte er sie an eine Liege und legte ihr einen Tropf, der ständig ein Beruhigungsmittel in ihren Blutkreislauf abgab, sodass sie aller Wahrscheinlichkeit nach die ganze Zeit über schlief. Ein zweiter Tropf versorgte sie mit einer Nährlösung. Beides war offenbar sehr genau für zehn Tage dosiert worden. Also hat er die Kleine da hingebracht, alle Infusionen angeschlossen, und danach musste er nicht noch einmal nach dem Mädchen sehen. Das war sehr schlau«, fügte sie aufgebracht an. »Auf diese Weise fiel er nicht auf, anders als wenn er jeden zweiten Tag nach dem Mädchen gesehen hätte. Fremde erregen in einsamen Gegenden so gut wie immer Aufsehen, und das konnte der Entführer nun wirklich nicht brauchen.«
Nathalie griff nach dem Glas auf ihrem Schreibtisch und trank einen Schluck Eistee. »Aber wenn doch nach zehn Tagen das Beruhigungsmittel verbraucht war, wieso ist das Mädchen nicht aufgewacht und hat versucht, sich zu befreien?«
»Weil es noch einen dritten Tropf gab, der hinter das Beruhigungsmittel ›geschaltet‹ war, wenn man das so sagen kann«, erklärte Louise grimmig. »Sobald das Sedativum aufgebraucht war, kam der dritte Tropf ins Spiel, der so eingestellt war, dass er eine sehr hohe Dosis in den Körper abgab.«
»Eine sehr hohe Dosis von was?«, fragte Nathalie prompt, obwohl sie die Antwort ahnte.
»Morphium«, antwortete ihre Köchin. »Der Entführer war Arzt, wie sich später zeigen sollte. Die Diplomatentochter ist nie wieder aufgewacht. Doch selbst das war damals geheim gehalten worden.«
»Wegen der Staatskrise?«
Louise nickte. »Das Spiel trieb der Entführer danach noch dreimal«, fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, aber leiser und betroffener als zuvor. »Er wurde jedes Mal etwas dreister. Er wusste, wir hatten sechs Tage gebraucht, um anhand des Fotos das Versteck zu finden. Zwei oder drei Jahre lang geschah nichts; dann suchte er sich wieder ein Opfer aus, dessen Identität nicht an die Öffentlichkeit dringen durfte: die uneheliche Tochter eines erzkonservativen Tory-Kandidaten, der mitten im Wahlkampf steckte. Über eine uneheliche Tochter zu berichten, wo er die Ehe als das Heiligste über alles andere stellte, hätte ihm das Genick brechen können.«
»Wie pervers!«, murmelte Nathalie und fuhr sich durch die langen mittelblonden Haare.
»Ja, aber da stellte sich die Frage, wer von den beiden perverser war: der Entführer, der das Kind am Ende sterben ließ, oder der Politiker, dem die politische Karriere wichtiger war als die eigene, offiziell immer verleugnete Tochter?«
Nathalie gab einen empörten Laut von sich. »Da hast du recht!«
Louise streckte sich und atmete tief durch. »Das war aber noch nicht alles. Diesmal schickte der Entführer uns ein Foto vom neuen Versteck drei Tage vor dem Ablauf des Ultimatums von wieder zehn Tagen. Natürlich reichte die Zeit nicht aus. Trotzdem ließen wir die Aufnahme wieder als Rätsel in einer Tageszeitung veröffentlichen. Es lief ab wie beim ersten Mal, und wieder fanden wir das Mädchen zu spät. Es folgten abermals zwei oder drei Jahre Pause, dann wurde das dritte Opfer entführt. Wieder kamen wir zu spät.«
»Wie habt ihr den Kerl dann überhaupt zu fassen bekommen?«
»Purer Zufall. Der Entführer und Mörder wurde jedes Mal etwas dreister und gab uns mehr Hinweise, als wollte er uns verhöhnen. Sein Pech war, dass er uns im vierten Anlauf gleich nach den ersten zwei Tagen ein Foto des Verstecks schickte. Ich musste nur einmal hinsehen und wusste, wo das war, weil ich in der Gegend meine halbe Kindheit verbracht hatte. Er hatte sich wieder einen alten Bunker ausgesucht. Wir konnten das Mädchen retten und den Entführer in eine Falle locken.«
Nathalie beugte sich interessiert vor. »Wie habt ihr ihn überlistet?«
»Wir haben die Pressemeldung herausgegeben, dass die Polizei vor einem Rätsel stehe, weil anscheinend ein Kind in einem alten Bunker eingeschlossen sei, es aber keine Pläne von der Anlage gebe. Deshalb suche man dringend Leute, die sich in der Anlage auskennen. Der Entführer musste etwas unternehmen, schließlich hatte das Kind ihn gesehen und würde eine Täterbeschreibung liefern können. Als er in der Dunkelheit durch einen vermeintlich nur ihm bekannten Eingang in den Bunker stürmte, um sein Opfer in der Anlage wieder einzufangen, war ich es, die ihn mit gezückter Pistole empfing: Dr. Desmond van Gelder.« Sie zuckte flüchtig mit den Schultern. »Als man ihn wegen der drei Morde lebenslang ins Gefängnis schickte, sagte er zu mir, ich würde ihn ganz sicher wiedersehen.« Mit einer Kopfbewegung deutete sie auf die Bilder, die nebeneinander auf dem Tisch lagen. »Ich hätte nicht gedacht, dass er die Drohung wahrmacht, indem er mir fünf Selbstportraits schickt.«
»Vielleicht sind die ja eine Art Einladung, dass du ihn im Gefängnis besuchen sollst«, gab Nathalie zu bedenken. »Womöglich hat er irgendeine wichtige Botschaft, die er dir persönlich mitteilen will.«
Louise lachte. »Da kann er lange warten!« Sie stand auf und legte die Gemälde übereinander, um sie wieder einzupacken, als sich aus dem Rahmen des Portraits des alten Dr. van Gelder ein Briefumschlag löste und zu Boden segelte. Nathalie hob ihn auf und gab ihn Louise. Die zog den Briefbogen heraus und las laut vor:
»Sehr geehrte Miss Cartham,
im Auftrag unseres Mandanten Desmond van Gelder übersenden wir Ihnen aus seinem Nachlass diese fünf Selbstportraits mit der Auflage, sie pfleglich zu behandeln und an einem gut sichtbaren Platz in Ihrer Wohnung aufzuhängen. Diese Bilder sollen Sie immer daran erinnern, dass Sie nur einmal Glück gehabt haben.«
»Vielleicht kannst du sie ja zurückschicken, wenn du dich weigerst, sie aufzuhängen«, schlug Nathalie vor und gab ihrer Freundin einen Klaps aufs Knie.
»Keine schlechte Idee«, murmelte sie. »Aber ›aus dem Nachlass‹ … Ich wusste nicht, dass van Gelder tot ist. Na ja, andererseits waren wir damals nie an die Öffentlichkeit gegangen, also weiß auch niemand, wer van Gelder war und was er verbrochen hat. Kein Wunder, dass die Gefängnisleitung sein Ableben nicht der Presse mitgeteilt hat.« Wieder las sie den Briefkopf. »Wieso Schweden? Wieso fertigt van Gelder diese schauerlichen Portraits an, und wie sind die aus dem Gefängnis von Newcastle nach Schweden gelangt?«
»Warum rufst du nicht einfach diese Anwaltskanzlei an?«, schlug Nathalie vor, stand auf und ging um den Schreibtisch herum, um dahinter wieder Platz zu nehmen. Sie reichte ihrer Köchin den Hörer. »Sag mir die Nummer, dann wähle ich für dich.«
Louise las die Telefonnummer vor, Nathalie tippte sie ein.
Es dauerte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf. »Der Anschluss ist nicht bekannt … Warte, ich tippe noch mal, vielleicht hatte ich ja einen Zahlendreher drin.« Nathalie unternahm einen zweiten Versuch. Als auch diesmal keine Verbindung zustande kam, öffnete sie auf dem PC die Suchmaschine und gab den Kanzleinamen ein. Schließlich schüttelte sie verwundert den Kopf. »Ich finde zwar jeweils hunderttausendfach ›Jonsson, Johansson und Jonasson‹, aber nicht in Form einer Kanzleigemeinschaft. Weder in Göteborg noch sonst irgendwo in Schweden.«
Louise kniff die Augen zusammen. »Wenn es die Kanzlei nicht gibt, wo hat dann der Kurierdienst das Paket her?«
»Fragen wir doch einfach da nach«, meinte Nathalie. »Die werden ja wissen, wo sie die Sendung abgeholt haben und wer sie bezahlt hat.«
Louise hob das gesammelte Packpapier hoch und begann nach dem Adressaufkleber zu suchen. »Ah, da ist er ja. Also, was ist das für ein Kurierdienst? Alcatraz Logistics?«, las sie vor. »Von denen habe ich ja noch nie gehört.«
»Vielleicht ein schwedischer Dienst«, überlegte Nathalie laut und gab den Namen in die Suchmaschine ein. »Hm? Das kann doch nicht sein.«
»Lass mich raten. Alcatraz Logistics gibt es auch nicht?«
Nathalie nickte nur. »Ein nicht existenter Kurierdienst holt ein Paket bei einer nicht existenten Anwaltskanzlei ab und liefert es hier ab. Wie soll das gehen?«
»Eigentlich sollte das gar nicht gehen«, erwiderte Louise und zog ihr Smartphone aus der Tasche. »Ich muss mal schnell jemanden was fragen.« Sie rief eine Nummer aus dem Speicher auf. Nach dem dritten Klingeln meldete sich eine Männerstimme. »Hi, Paul! Rosie hier … Ja, immer das Gleiche, ich weiß. Sag mir doch mal, ob du weißt, wann Desmond van Gelder gestorben ist … Ja, muss wohl so sein … Nein … Nein, nein, mir ist etwas aus seinem Nachlass vermacht worden, deshalb … Ja, ich warte … Vor drei Monaten? Tatsächlich? Und wer … Ja, das wollte ich dich jetzt als Nächstes fragen … Ach, interessant … Ja … interessant … Okay, Paul. Wenn du noch irgendwas in der Angelegenheit hörst, gib mir bitte Bescheid … Ja … was? … Ach, fünf Selbstportraits … Von wem? Selbstportraits, Paul, Selbstportraits …« Sie begann laut zu lachen. »Okay, ich mache Schluss, Paul.«
»Rosie?«, wiederholte Nathalie verwundert. »Seit wann heißt du Rosie?«
»Für Paul bin ich immer dann Rosie, wenn ich nicht will, dass andere mitbekommen, dass ich angerufen habe«, erklärte sie. »Wenn er ›Louise‹ sagt und jemand ist bei ihm, wird derjenige automatisch fragen, was ich denn wollte. Es muss nicht jeder wissen, bei welchem meiner alten Kollegen ich Erkundigungen einhole.«
»Okay.« Nathalie nickte verstehend. »Und was hast du über diesen van Gelder erfahren?«
»Vor gut drei Monaten ist er bei einer Routineuntersuchung durch den Gefängnisarzt zusammengebrochen, Verdacht auf Herzinfarkt. Der Arzt hat ihm noch ein Mittel gespritzt, um ihn lange genug zu stabilisieren, damit er ins Krankenhaus gebracht und operiert werden kann, aber eine ganze Weile bevor die Sanitäter die Krankenstation erreicht hatten, war er bereits tot. Er wurde sofort zum Bestatter gebracht, weil die beiden Kühlkammern im Gefängnis tags zuvor ausgefallen waren und es nicht möglich war, den Leichnam dort zu lassen, bis der Bestatter ihn irgendwann abgeholt hätte.«
»Dann stammen diese Portraits also aus van Gelders Nachlass, nur wissen wir nicht, wie die Bilder nach Schweden gelangt sind und warum es weder die angegebene Kanzlei noch den Kurierdienst gibt.«
»Ich war noch nicht fertig«, entgegnete Louise. »Der Gefängnisarzt wurde am nächsten Morgen tot aufgefunden: Er war in seinem Haus die Treppe hinuntergestürzt und hatte sich dabei das Genick gebrochen.«
Nathalie zog argwöhnisch die Augenbrauen hoch. »Das klingt irgendwie gar nicht so sehr nach Zufällen. Am Tag vor van Gelders Untersuchung fallen die Kühlkammern im Gefängnis aus, dann erliegt der Mann einem Herzinfarkt, und gleich danach kommt der Arzt ums Leben, der ihn behandelt hat? Ich würde sagen, da hat jemand erst van Gelder aus dem Weg geräumt und gleich danach den Mitwisser.«
Louise hob abwehrend eine Hand. »Du bist auf dem falschen Weg. Für mich sieht das danach aus, dass der Herzinfarkt simuliert war und der Arzt van Gelder etwas injiziert hat, das ihn lange genug wie tot hat erscheinen lassen, um den ›Leichnam‹ aus dem Gefängnis zu bringen und ihn dann ›zum Leben zu erwecken‹. Die Akte, die der Arzt aller Wahrscheinlichkeit nach mitgenommen hat, ist seitdem spurlos verschwunden, und niemand weiß, welchen Bestatter er in der Sache beauftragt hat, weil bislang noch kein Bestattungsinstitut dem Gefängnis etwas in Rechnung gestellt hat.«
»Und wie passt dann der Tod des Arztes dazu?«, wollte Nathalie wissen.
»Da warst du auf dem richtigen Weg. Der Gefängnisarzt wurde als Mitwisser aus dem Weg geräumt, und van Gelder hat sich abgesetzt. Vielleicht nach Schweden, vielleicht auch nicht.«
Nathalie kratzte sich am Kopf. »Angenommen, es war so und Desmond van Gelder lebt und ist irgendwo untergetaucht, warum schickt er dir dann diese fünf Selbstportraits, anstatt gar nicht erst auf sich aufmerksam zu machen?«
»Tja«, meinte Louise nachdenklich. »Offenbar will er, dass ich weiß, dass er immer noch gesund und munter ist. Warum er das will … da habe ich keine Ahnung. Ich fürchte nur, wir werden es früher erfahren, als uns lieb ist …«