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Folge 24: Nathalie ist entsetzt: Ihre Freundin Louise, die Köchin und ehemalige Geheimagentin, wurde entführt! Damit Louise freigelassen wird, muss Nathalie den kolumbianischen Kriminellen Diego Gustavo Esteban aus dem Gefängnis befreien. Dieser soll in den folgenden Tagen operiert werden - und die einzige Möglichkeit, ihn an Louise‘ Entführer zu übergeben, ist der Krankentransport. Doch Esteban wird schwer bewacht, und Nathalie und ihre Freunde sehen keinen Weg, Louise zu befreien, ohne dass jemand anderes ums Leben kommt ...
Über die Serie: Davon stand nichts im Testament ... Cottages, englische Rosen und sanft geschwungene Hügel - das ist Earlsraven. Mittendrin: das "Black Feather". Dieses gemütliche Café erbt die junge Nathalie Ames völlig unerwartet von ihrer Tante - und deren geheimes Doppelleben gleich mit! Die hat nämlich Kriminalfälle gelöst, zusammen mit ihrer Köchin Louise, einer ehemaligen Agentin der britischen Krone. Und während Nathalie noch dabei ist, mit den skurrilen Dorfbewohnern warmzuwerden, stellt sie fest: Der Spürsinn liegt in der Familie ...
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Seitenzahl: 223
Cover
Grußwort des Verlags
Über diese Folge
Tee? Kaffee? Mord! – Die Serie
Titel
Prolog
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Epilog
In der nächsten Folge
Über die Autorin
Impressum
Leseprobe
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Nathalie ist entsetzt: Ihre Freundin Louise, die Köchin und ehemalige Geheimagentin, wurde entführt! Damit Louise freigelassen wird, muss Nathalie den kolumbianischen Kriminellen Diego Gustavo Esteban aus dem Gefängnis befreien. Dieser soll in den folgenden Tagen operiert werden – und die einzige Möglichkeit, ihn an Louise’ Entführer zu übergeben, ist der Krankentransport. Doch Esteban wird schwer bewacht, und Nathalie und ihre Freunde sehen keinen Weg, Louise zu befreien, ohne dass jemand anderes ums Leben kommt …
Davon stand nichts im Testament …
Cottages, englische Rosen und sanft geschwungene Hügel: das ist Earlsraven. Mittendrin: das »Black Feather«. Dieses gemütliche Café erbt die junge Nathalie Ames völlig unerwartet von ihrer Tante – und deren geheimes Doppelleben gleich mit! Die hat nämlich Kriminalfälle gelöst, zusammen mit ihrer Köchin Louise, einer ehemaligen Agentin der britischen Krone. Und während Nathalie noch dabei ist, mit den skurrilen Dorfbewohnern warmzuwerden, stellt sie fest: Der Spürsinn liegt in der Familie …
Ellen Barksdale
Tee? Kaffee?Mord!
LOUISE IN GEFAHR
Prolog, in dem Louise eine unerwartete Lieferung erhält
Der Transporter bahnte sich seinen Weg über die engen Landstraßen rund um Earlsraven, die mit hohen Hecken und Mauern zu beiden Seiten nur wenig Platz zum Ausweichen ließen, wenn einem ein Fahrzeug entgegenkam. Zwei Personenwagen konnten in den meisten Fällen aneinander vorbeifahren, sofern ihre Fahrer ein Gefühl für die Ausmaße des eigenen Autos hatten. An einem Kastenwagen, wie er in der Dämmerung an diesem kühlen und dunstigen Novembermorgen unterwegs war, kam ein Personenwagen oft auch noch vorbei. Doch sollte ihm ein Bus oder ein Lastwagen entgegenkommen, würde es eng werden.
Der Fahrer atmete erleichtert auf, als das Navigationsgerät ihm mitteilte, dass er sein Ziel erreicht hatte. Kurz vor dem Cottage wechselte er die Straßenseite, um vor dem Haus zu parken, das ein Stück zurückgesetzt lag. Auf diese Weise konnte er den Transporter so auf dem Grundstück abstellen, dass er wohl niemanden behindern würde.
»Außer vielleicht einen Busfahrer, der heute seinen ersten Tag hat«, murmelte der Mann amüsiert und stieg aus. Er zog die Baseballkappe tiefer ins Gesicht und schlug den Kragen seiner Jacke hoch, auf deren Rücken das große gelbe Logo der Spedition prangte, für die er diese Fahrten unternahm.
Er ging nach hinten, betätigte zwei Tasten und wartete, bis die Hebebühne nach unten geklappt war. Der Fahrer kletterte von der Seite auf die Bühne, ohne sie zuerst abzusenken, löste die Spanngurte am mannshohen Karton, der links stand, schob die Sackkarre unter den Karton und zog sie an sich, sodass der Karton sich ihm entgegenneigte und er die Karre auf die Hebebühne ziehen konnte. Ein Tritt auf den Fußschalter ließ die Rampe nach unten fahren, dann zog der Mann die Sackkarre mit dem klobigen Karton hinter sich her bis zu dem kleinen Gartentor, das er mit einer Hand öffnete.
Durch den Vorgarten, der zu dieser Jahreszeit einen eher tristen Anblick bot – viele Beete waren leer oder bereits mit Tannengrün abgedeckt, um sie vor dem ersten Frost zu schützen –, ging er bis zur Haustür.
Der Fahrer stellte erst den Karton sicher ab, dann klopfte er. »Miss Cartham?«, rief er schließlich, als niemand reagierte.
Von drinnen war ein verschlafen klingendes »Ja, ja, ich komme ja schon« zu hören, dann wurde die Tür geöffnet. Eine Frau in einem dunklen Morgenmantel spähte nach draußen. Mit der freien Hand fuhr sie sich durch die relativ kurzen silbergrauen Haare. »Was ist denn?«
»Miss …« Der Kurierfahrer sah auf seinen Lieferschein, um sich zu vergewissern, dass er sie nicht mit dem falschen Namen ansprach. »… Louise Cartham?«
»Ja, die bin ich«, grummelte sie. »Jetzt sagen Sie schnell, was Sie wollen. Es ist gerade mal sieben Uhr, und ich würde gern noch eine Stunde schlafen.«
»Ich bringe Ihnen den bestellten Kühlschrank.«
Die Frau sah ihn verdutzt an. »Ich habe keinen Kühlschrank bestellt«, erwiderte sie. »Da muss eine Verwechslung vorliegen.«
Der Fahrer schüttelte den Kopf. »Mir ist diese Adresse mitgeteilt worden, und hier finden Sie auch die Bestellung mit Ihren Daten.« Er hatte mit der linken Hand das Klemmbrett gefasst, damit sie seine rechte Hand nicht sehen konnte, in der er die Betäubungspistole hielt. Als er den kleinen Pfeil abschoss, machte es nur leise »plopp«.
Im gleichen Moment verzog die Frau das Gesicht und fasste sich an den Bauch. Als sie den Pfeil sah, der sich durch den Stoff ihres Morgenmantels gebohrt hatte, reichte die Zeit nicht einmal aus, um zu verstehen, was geschehen war. Die Augenbrauen hatte sie immer noch fragend zusammengezogen, während die Beine unter ihr bereits wegknickten und der Kopf zur Seite fiel.
Keine zwei Minuten später zog der Kurierfahrer die Sackkarre mit dem großen Karton darauf durch den Garten zurück zum Tor, von dort auf die Hebebühne des Kastenwagens, die sich langsam nach oben bewegte. Dann schob er die Karre in den Wagen und legte den Karton auf den Boden. Obwohl er ihn jetzt nicht mehr aufrecht stehend transportierte, befestigte er ihn auch diesmal mit Spanngurten, damit er während der Fahrt nicht auf der Ladefläche hin und her rutschen konnte.
Anschließend hängte er die Sackkarre auf einen Haken, zurrte sie fest und machte einen Satz von der Ladeklappe auf den feuchten Asphalt. Er betätigte die beiden Schalter, um die Klappe zu schließen und zu verriegeln. Dann stieg er ein, ließ den Motor an und fuhr davon …
Erstes Kapitel, in dem Erkenntnisse gewonnen, aber auch Rätsel aufgeworfen werden
Martin Lazebnik griff nach der Strickjacke und verließ ein weiteres Mal an diesem Morgen seine Kanzlei am Marktplatz von Earlsraven, blieb vor dem Ladenlokal stehen und ließ den Blick langsam über den Platz wandern. Seine Hoffnung war, dass der Anrufer und potenzielle Mandant einfach nur vor dem falschen Haus wartete.
Es war zwar noch ein wenig dämmrig, aber das Licht reichte aus, um zu sehen, dass niemand auf dem Marktplatz unterwegs war. Natürlich bestand Earlsraven nicht nur aus diesem Platz, doch Martin sah nicht ein, durch jede Gasse zu laufen, nur um nach dem Anrufer zu suchen, der so dringend seine Hilfe benötigte. Immerhin musste der Mann schon vor der Kanzlei gestanden haben, da er die an der der Eingangstür angegebene Telefonnummer gewählt hatte.
»Hast du was verloren, Martin? Hoffentlich keinen großen Fall«, rief eine vertraute Stimme in amüsiertem Tonfall.
Martin sah nach rechts und entdeckte Constable Ronald Strutner, der mit seinem Zwergschnauzer Colonel Jackson daherspazierte. Der Polizist war in Jogginghose und dicker Jacke unterwegs und bot einen ganz ungewohnten Anblick.
»Guten Morgen, Ronald«, erwiderte der Anwalt und grinste ihn an. »Seit wann verliere ich Fälle?«
»Normalerweise nicht. Aber du schaust dich so suchend um, da dachte ich, dir ist was abhandengekommen.«
Der Anwalt seufzte. »Damit liegst du gar nicht so verkehrt. Wie es scheint, ist mir ein möglicher Mandant abhandengekommen.«
»Montagmorgens um kurz nach sieben?« Der Constable schüttelte den Kopf. »Da fängt die Woche ja gut an. Wer ist denn dein Mandant?«
»Dem Namen nach niemand aus Earlsraven«, sagte Martin.
»Oh«, machte Ronald und nickte. »Verrate ihn mir, wenn du das darfst, und dann halte ich Ausschau nach unbekannten Gesichtern, während ich mit Colonel Jackson um die Häuser ziehe.«
»Ein gewisser Mister Wilder. Um Viertel nach sechs hat er angerufen …«
»Heute Morgen um Viertel nach sechs?«
»Ja, und das ist auch nicht so ungewöhnlich«, sagte Ronald. »Normalerweise kann man solche Leute für ein paar Stunden vertrösten, aber in Notfällen muss man auch schon mal mitten in der Nacht raus. Zum Beispiel bei Fahrerflucht. Stell dir vor, du bist nachts auf der Landstraße unterwegs, und plötzlich läuft dir jemand vors Auto. Du bekommst Panik und rast davon, und auf einmal wird dir klar, was du da angestellt hast. Also rufst du einen Anwalt an, damit der dich zur Polizei begleitet, wenn du deine Aussage machst.«
Ronald nickte und strich sich nachdenklich über den buschigen Schnauzbart. »Mhm«, murmelte er. »Ja, natürlich. Daran hatte ich jetzt nicht gedacht, weil du normalerweise solche Fälle nicht hast.«
»Ja, aber solche Fälle bekommst du, wenn du der einzige Anwalt weit und breit bist.«
»Das heißt, dein Anrufer hat jemanden überfahren?«, hakte der Constable nach. »Dann sollte ich wohl besser …«
»Warte erst mal ab, Ronald«, hielt Martin ihn zurück. »Er hat nur gesagt, dass etwas ganz Schlimmes passiert ist. Das kann alles Mögliche bedeuten. Du weißt nicht, was für diesen Mister Wilder in die Kategorie ‚ganz schlimm’ fällt. Vielleicht hat der Geldautomat auch nur versehentlich fünftausend statt fünfzig Pfund ausgespuckt, und er ist in heller Aufregung, weil er sich für einen Bankräuber hält. Sobald er aufgetaucht ist, gebe ich dir Bescheid.«
Der Schnauzer, der bislang in einigen Metern Entfernung darauf gewartet hatte, dass Ronald endlich weiterging, machte plötzlich kehrt, kam zu den beiden Männern und stellte sich hechelnd an Martins Bein hoch. Dann legte er den Kopf schräg.
»Ich glaube, dein Hund will mich als Anwalt engagieren«, sagte Martin, während er mit einer Hand den Schnauzer am Kinn kraulte. »Ich soll dich vor Gericht bringen, weil du mit ihm nicht lange genug Gassi gehst, sagt er.«
»Wenn du ein paar Dosen Hundefutter als Bezahlung annimmst«, kommentierte der Constable amüsiert, »dann darfst du den Colonel gern vor Gericht vertreten.«
Beide Männer mussten lachen, als eine energische Frauenstimme dazwischenging: »Finden Sie das witzig, Constable, oder werden die Neuen in Earlsraven immer auf diese Weise ‚begrüßt’?«
Ronald und Martin zuckten beide leicht zusammen, da sie die Frau nicht bemerkt hatten, die sich ihnen genähert hatte. Sie war Mitte dreißig, schmal und sicher um die eins achtzig groß. Ihr Kopf war von einer schwarzen Lockenmähne umgeben, wie man sie zuletzt in den Siebzigern getragen hatte.
»Miss Kowalski?«, sagte Ronald erstaunt. »So früh schon unterwegs?«
»Wundert Sie das? Sie haben mich schließlich aus dem Schlaf geklingelt, Constable Strutner«, fuhr sie ihn an.
»Bitte was habe ich?« Ronald sah verdutzt drein. »Ich habe Sie aus dem Schlaf geklingelt? Wann soll das gewesen sein?«
»Um kurz nach halb sieben«, antwortete sie ungehalten. »Sie werden doch wohl wissen, wann Sie die glorreiche Idee hatten, mir zu erzählen, dass jemand in meine Praxis eingebrochen und den Medikamentenschrank leer geräumt hat.«
Der Constable schüttelte flüchtig den Kopf, weil er nicht verstand, was hier vor sich ging. Er sah Hilfe suchend seinen Freund Martin an, doch der hatte den Blick auf die Frau gerichtet, die er nachdenklich betrachtete. Ronald schien diesen Blick falsch zu deuten. »Ähm, darf ich dir vorstellen? Janet Kowalski, unsere neue praktische Ärztin in Earlsraven«, sagte er.
Martin grinste ihn an. »Darf ich dir vorstellen? Janet Kowalski, Louise’ und meine neue Nachbarin. Frau Kowalski bewohnt das Cottage neben unserem.«
»Tatsächlich?«, fragte der Constable erstaunt.
»Ja, tatsächlich«, bestätigte Martin ironisch, dann fügte er an sie gerichtet hinzu: »Miss Kowalski.«
»Mister Lazebnik«, erwiderte die Ärztin, nickte ihm kurz zu und nahm sich erneut den Constable vor: »Würden Sie mir erklären, was dieser Streich am frühen Morgen zu bedeuten hat?«
Ronald zuckte mit den Schultern. »Das kann ich nicht, weil ich Sie gar nicht angerufen habe, Miss Kowalski.«
»Sie haben sich doch mit ‚Constable Strutner hier’ gemeldet«, wandte sie ein.
»Wie oft haben wir telefoniert, seit Sie vorige Woche nach Earlsraven gekommen sind, Miss Kowalski?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Gar nicht. Wir haben uns einmal vor der Praxis auf der Straße unterhalten, als Sie gerade vorbeikamen, mehr nicht.«
»Genau. Das heißt doch, dass Sie meine Stimme am Telefon wohl noch gar nicht erkennen können, nicht wahr?«
»Eher nicht, das ist richtig.«
»Und noch weniger, wenn Sie aus dem Schlaf gerissen werden und Ihnen jemand am Telefon erzählt, dass jemand in Ihre Praxis eingedrungen ist, richtig?«
Sie strich sich reflexartig ein paar Locken aus der Stirn, die in der nächsten Sekunde in ihre bisherige Position zurückrutschten. »Na ja, so aufgeregt, wie Sie geredet haben, hatte ich genug damit zu tun, überhaupt zu verstehen, was passiert ist.«
»Ich habe aufgeregt geredet?«, wiederholte Ronald Strutner.
»Ohne jeden Zweifel«, bestätigte Miss Kowalski, die jetzt ihrerseits irritiert wirkte.
»Dann war es nicht der Constable«, warf Martin ein. »Er ist immer die Ruhe selbst, und das sogar ganz besonders, wenn er solch einen Anruf tätigen muss. Für den Angerufenen ist das, was er gemeinhin mitzuteilen hat, schon stressig genug.«
»Jemand hat Sie reingelegt, Miss Kowalski«, sagte der Constable.
»Aber wer macht denn so was?«, fragte sie. »Gibt es hier im Dorf irgendeinen Komiker, der das lustig findet?«
»Sicher nicht«, versicherte ihr Ronald. »Ich habe in Earlsraven und Umgebung noch nie etwas in dieser Art erlebt. Das würde auch nicht zu den Menschen hier passen, weil das nicht witzig ist.«
»Dann können wir uns ja die Hand reichen«, meinte Martin.
»Hat bei Ihnen etwa auch ein angeblicher Constable Strutner angerufen?«, erkundigte sie sich.
»Nein, ich wurde heute früh von einem Mann namens Wilder telefonisch gebeten, mich mit ihm sofort in meiner Kanzlei zu treffen, weil angeblich etwas Schlimmes passiert ist«, erklärte er.
»Das ist aber eigenartig«, sagte die Ärztin. »Was hat jemand davon, uns beide aus den Federn zu holen und dahin zu bestellen, wo wir arbeiten?«
Ronald zuckte mit den Schultern. »Das ergibt keinen Sinn. Wenn der Anrufer sich ebenfalls mit Wilder gemeldet und einen Notfall vorgetäuscht hätte, könnte man ja vielleicht irgendeinen Zusammenhang konstruieren. Aber sich bei Ihnen für mich auszugeben …«
»Bei mir wäre er damit nicht durchgekommen, weil ich am Telefon sofort gemerkt hätte, dass du es nicht bist«, warf Martin ein.
»Und ich hätte bei einem angeblichen Notfall auf dem Weg zur Praxis sofort den Rettungswagen angefordert«, ergänzte Miss Kowalski.
»Das könnte der Anrufer gewusst haben«, gab der Anwalt zu bedenken. »Solche ‚Scherzanrufe’ werden ja rigoros verfolgt, wenn Rettungswagen oder Feuerwehren völlig umsonst zu einem Einsatz ausrücken und dadurch womöglich zu spät zum nächsten echten Einsatz kommen, bei dem es wirklich um Leben und Tod geht. Womöglich hat der Anrufer befürchtet, dass man ihn überführt, und dann muss er eine ordentliche Strafe zahlen. Also täuscht er keinen Notfall vor, sondern erfindet den Einbruch.«
Martin rieb sich das Kinn. »So gesehen klingt das alles schlüssig«, pflichtete er seinem Freund bei. »Es bringt uns leider bei der Frage nicht weiter, warum er das überhaupt gemacht hat.«
»Manchen Typen bereitet es einfach ein diebisches Vergnügen, andere Leute ins Bockshorn zu jagen«, antwortete die Ärztin. »Es kann gut sein, dass dieser Kerl sich irgendwo hier versteckt hat, uns beobachtet und sich ins Fäustchen lacht.«
»Ich weiß nicht«, meinte Ronald. »Dann hätte Colonel Jackson mich sicher längst darauf aufmerksam gemacht.«
»Colonel Jackson?«, fragte Miss Kowalski verwirrt.
Ronald zeigte auf den Schnauzer, der sich immer noch von Martin am Kinn kraulen ließ und darüber in eine Art Trance versunken zu sein schien. »Darf ich vorstellen?«
Prompt ging die Ärztin in die Hocke, schnippte einmal mit den Fingern, woraufhin der Schnauzer den Kopf zu ihr umdrehte, sich von Martins Bein abstieß und zu ihr lief, um sich vor ihr auf den Rücken zu werfen – eine unmissverständliche Aufforderung zum Bauchkraulen.
Während die Ärztin ganz auf den Hund konzentriert war, fragte Martin an Ronald gerichtet: »Sag mal, hat der Colonel nicht diese Woche seinen großen Tag?«
»Was für einen großen Tag denn?«, wollte die Ärztin sichtlich interessiert wissen.
»Der Hund unseres Constables kommt ganz groß raus«, antwortete Martin voller Stolz. »Er wird als DCI Jackson Werbung für Alarmanlagen machen. Richtig, Ronald?«
»Wird er nicht«, warf der betrübt ein.
»Haben die schon wieder verschoben?«, fragte Martin überrascht. »Gibt es denn wirklich keinen Regisseur, der kein Kokain schnupft?« Als er den verwunderten Blick der Ärztin sah, erklärte er: »Sobald die Regisseure hören, dass der Hund eines Polizisten im Werbespot mitspielt, sagen sie ab, womöglich weil sie ‚Hund eines Polizisten’ mit ‚Polizeihund’ gleichsetzen. Sie haben Angst, dass der Hund irgendwelche Drogen erschnüffelt, die sie bei sich tragen oder die in ihrem Wagen versteckt sind. Dass er das tatsächlich kann, weiß außer uns aber keiner.«
Die Ärztin musste auflachen, als sie das hörte.
»Nein, nein, es hat kein Regisseur abgesagt, und der Termin wird auch nicht schon wieder verschoben«, beteuerte Ronald. »Allerdings werde ich absagen müssen. Steph ist gestern nach Dublin abgereist, weil ihre Tante Madge schwer gestürzt ist und sie sich um sie kümmern will. Vor nächster Woche wird sie wohl nicht zurück sein. Sie wäre morgen mit dem Colonel zu den Dreharbeiten gegangen, doch das fällt jetzt flach, und ich kann nicht den ganzen Tag dort rumsitzen, um darauf zu warten, dass ich den Colonel zum Set bringen soll. Da reicht ein einziger Verkehrsunfall, und dann habe ich den Salat. Ich kann ja dem Regisseur nicht meinen Hund aufs Auge drücken, wenn jemand vor Ort sein muss, auf den er hört.«
»Frag doch mal Nathalie …«, begann Martin.
»Die muss ihren Pub mit Café und Hotel führen und sich um ihren anderen Pub und ihre Landmärkte kümmern«, unterbrach der Constable ihn. »Es wäre gedankenlos, ihr so was auch nur vorzuschlagen.«
»… ob sie einen Tag auf Yoshiko verzichten kann«, führte der Anwalt seinen ursprünglichen Satz zu Ende. Im gleichen Moment spitzte der Schnauzer die Ohren, sah sich auf dem Platz um und bellte einmal kurz, so als begrüßte er Martins Vorschlag.
»Das kommt doch aufs Gleiche raus«, wandte Ronald ein. »Ich kann ihr nicht die Assistentin wegnehmen, wenn die dafür eingestellt worden ist, Nathalie zu unterstützen und ihr Arbeit abzunehmen.«
»Das macht Yoshiko ja auch seit drei Monaten«, beharrte Martin. »Ich möchte wetten, sie hat so viele Vorarbeiten geleistet, dass es gar nicht auffallen würde, wenn sie mal einen Tag fehlt. Außerdem denke ich in erster Linie daran, wie gut sie mit dem Colonel umgehen kann und wie viel Spaß es ihm macht, mit ihr Kunststücke einzuüben.«
Ronald verzog den Mund, um seinen Zweifeln Ausdruck zu verleihen, die ihm angesichts dieses Vorschlags durch den Kopf gingen.
»Frag Nathalie doch wenigstens mal«, redete Martin Lazebnik weiter auf den Constable ein. »Mehr als Nein sagen kann sie ja nicht.«
»Nathalie weiß, was dir dieser Werbespot bedeutet, und ich bin mir sicher, sie wird alles versuchen, um dir zu helfen. Wir sind doch alle stolz, wenn der Colonel ein Fernsehstar wird.«
Ronald rang mit sich. »Martin, meinst du, das weiß ich nicht? Mir ist es trotzdem unangenehm, weil es eine ganz und gar private Angelegenheit ist …«
»Red nicht so ein Zeugs«, fiel Martin ihm lachend ins Wort. »Du kannst dich doch wunderbar revanchieren: Erzähl den Leuten von der Presse, dass man gute Chancen hat, Colonel Jackson persönlich zu begegnen, wenn man ins Black Feather kommt. Du kannst ja bei Nathalie eine Autogramm…, eine ‚Pfotogramm’-Stunde oder so was mit Colonel Jackson veranstalten, wenn der Werbespot erst mal läuft.«
Ronald rieb sich nachdenklich das Kinn. »Ja, eigentlich hast du recht. Ich rufe Nathalie gleich mal an …«
»… und mache mich unbeliebt, indem ich sie um Viertel nach sieben aus dem Schlaf reiße«, führte Martin den Satz lachend zu Ende. »Es reicht, dass Miss Kowalski und ich so früh auf sind, weil wir von irgendeinem Spinner reingelegt worden sind. Nathalie war heute Nacht um drei noch mal im Black Feather, da eine Busladung griechischer Touristen vor dem Hotel stand. Der Bus hatte es noch gerade eben bis auf den Parkplatz geschafft, ehe der Motor seinen Geist endgültig aufgegeben hat.«
»Woher weißt du das?«, fragte der Constable verdutzt.
»Ich habe eben im Büro eine Mail gesehen die sie wohl eigentlich an Louise schicken wollte«, erklärte er. »Die Truppe hat in London eine Messe für vegetarische Ernährung besucht, und Louise wird deshalb wohl in der Küche etwas umdisponieren müssen.«
»Okay, dann rufe ich sie nach neun an. Das genügt auch noch«, sagte Ronald, dann wandte er sich an die Ärztin und wechselte abrupt das Thema: »Und Sie haben wirklich keine Hinweise auf einen Einbruch finden können?«
Janet Kowalski sah ihn einen Augenblick verdutzt an, sicher weil die Frage aus dem Nichts kam. »Ähm … nein. Es wäre ja auch etwas widersinnig, wenn ein echter Einbrecher nach der Tat anruft, sich als Polizist ausgibt und mich auf den Einbruch aufmerksam macht.« Die Ärztin zuckte mit den Schultern. »Sie können ja gern selbst einen Blick auf das Türschloss werfen und sich in der Praxis umsehen«, schlug sie vor. »Sie haben als Polizist schließlich einen geschulteren Blick als ich.«
»Schaden kann es nicht.« Ronald stieß Martin an, der sich einmal mehr suchend umschaute, ohne allerdings irgendwen zu entdecken, der seine Hilfe brauchte. »Kommst du mit? Sechs Augen sehen mehr als vier.«
»Ja, klar«, antwortete der Anwalt gedankenverloren und fügte hinzu: »Vielleicht wurde mein Anrufer ja auch von jemandem verfolgt, der ihn überwältigt und verschleppt hat.«
»Wenn er sich verfolgt gefühlt hätte, hätte er ja die paar Meter bis zur Wache laufen und klingeln können. Oder er hätte zumindest noch um Hilfe gerufen. Ich war ja bereits wach, und der Colonel saß unten an der Eingangstür. Ich hätte also irgendetwas hören müssen, entweder Hilferufe von draußen oder Hundegebell. Colonel Jackson hätte sofort angeschlagen, wenn auf dem Marktplatz irgendetwas Verdächtiges vorgefallen wäre.« Der Constable schüttelte nachdrücklich den Kopf. »So wenig, wie es den Einbruch in die Praxis gegeben hat, so wenig hat da ein Mensch deine Hilfe benötigt. Jemand wollte euch beide in die Stadt locken. Die Frage ist nur, warum.«
Sie hatten das neu errichtete Haus erreicht, in dem die Arztpraxis untergebracht war. Martin nickte anerkennend. »Wenn man das so sieht, möchte man gar nicht glauben, dass das ein kompletter Neubau ist«, bemerkte er.
»M-hm«, machte Ronald zustimmend. »Wir können nur froh sein, dass sich die Gemeinde nicht für einen von diesen Glasklötzen entschieden hat, die als Entwurf eingereicht worden waren. Was spricht gegen eine exakte Nachbildung der Originalfassade? Nichts. So bleibt wenigstens der Charakter der Häuserzeilen rund um den Marktplatz erhalten.«
»Was genau ist eigentlich mit dem Haus passiert, das früher da gestanden hat?«, fragte Janet Kowalski. »Ich hatte bislang noch keine Gelegenheit, mit jemandem aus dem Dorf darüber zu reden, und von dieser Hausverwaltung habe ich nur wirre Dinge gehört, die von einer Gasexplosion über eine vergessene Weltkriegsbombe bis hin zu einem Anschlag der IRA reichen. Einen richtigen Sinn hat nichts davon ergeben.«
Ronald atmete seufzend aus. »Das Haus ist einer grenzenlosen Dummheit zum Opfer gefallen«, sagte er.
»Ich wusste gar nicht, dass die so explosiv sein kann«, merkte die Ärztin ironisch an und wartete, dass Ronald weiterredete.
Der grinste flüchtig und erklärte: »In dem ursprünglichen Gebäude war mal eine Bank untergebracht, die dann wie so viele Filialen auf dem Land eines Tages geschlossen wurde. Anschließend wurde das Haus von der Polizei übernommen und in meine Wache umgebaut, wobei so viel gar nicht geändert werden musste. Allein die Gitter vor den Schließfächern waren so stabil, dass wir aus ihnen ausbruchssichere Arrestzellen machen konnten.«
»Sehr praktisch«, kommentierte die Ärztin.
»Ganz genau. Nur kam dann vor ein paar Jahren so ein Idiot auf den Gedanken, dass sich im ehemaligen Tresorraum immer noch bergeweise Goldbarren befinden müssten. Was natürlich nicht der Fall war. Der Tresor diente in erster Linie als Archiv für alte Unterlagen und für Beweismittel. Dieser Idiot – anders kann man ihn wirklich nicht bezeichnen – hat sich in die Wache geschlichen, etliche Kilo Sprengstoff in den Keller gebracht und sie dann per Fernbedienung gezündet. Dummerweise hat er sich wohl um ein oder zwei Kommastellen verrechnet, denn die Explosion war so gewaltig, dass das ganze Haus in sich zusammengestürzt ist. Ich war zum Glück gerade nicht in der Wache.«
»Oh, wow«, meinte Janet Kowalski. »Und der verhinderte Bankräuber?«
»Den habe ich zum Glück erwischt«, sagte er. »Die Dummheit beschränkte sich bei ihm aber nicht auf die absurde Idee, die Bank könnte ihr Gold einfach nach dem Auszug dort zurückgelassen haben. Der Kerl hatte auch vor, die vermeintlichen Goldbarren auf seinem Motorroller zu stapeln und damit nach Hause zu fahren.«
»Ist so jemand überhaupt strafmündig?«, wollte die Ärztin wissen.
»Glücklicherweise ja«, warf Martin ein. »Der Möchtegern-Bankräuber hat lediglich erhebliche Defizite in Mathematik, doch das ist kein Grund für eine mildere Strafe.«
»Dafür darf er jetzt für den Rest seines Lebens jeden Penny, den er übrig hat, dafür verwenden, der Versicherung alles zurückzuzahlen, was die an Schadenersatz für das Haus ausgegeben hat.«
Die Frau sah sich um. »Und sonst ist bei der Explosion nichts passiert? Keine Verletzten, keine anderen Schäden?«
»Zum Glück nicht«, bestätigte Ronald. »Der Tresor befand sich so tief unter der Erde, dass die Druckwelle sich nur nach oben bewegen konnte. Darum hat sie das Haus auch komplett in sich zusammenfallen lassen.«
Die Ärztin nickte. »Glück im Unglück, würde ich sagen.«
»Oh ja«, bejahten Ronald und Martin gleichzeitig, und der Anwalt fügte hinzu: »Andernfalls wäre hier mehr als nur eine Baulücke entstanden.«
Der Constable ging zur Eingangstür, zog sein Handy aus der Hosentasche und schaltete die Taschenlampe ein, damit er das Schloss begutachten konnte. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Das Gute ist, dass das alles noch ganz neu und so gut wie frei von Kratzern ist«, erklärte er. »An diesem Türschloss hat sich niemand zu schaffen gemacht. Es sei denn, jemand hätte einen Nachschlüssel.«
»Den hat meine übergeordnete Dienststelle«, sagte die Ärztin. »Sie müssen wissen, dass das nicht meine eigene Praxis im herkömmlichen Sinn ist. Das wäre nicht rentabel. Meine Arztpraxis gehört zu einem Verband, der bestimmte Kosten übernimmt, die über andere Wege finanziert werden. Darum gibt es dort einen Zweitschlüssel für den Fall, dass ich aus irgendeinem Grund nicht zum Dienst erscheinen kann. So kann ein Kollege kurzfristig für mich einspringen.«
»Also könnte jemand von diesem Verband die Praxis betreten, ohne dass Sie etwas davon erfahren?«, fragte Ronald und runzelte die Stirn.
»Nein, so einfach geht das nicht. Die Schlüssel sind mit einem Chip ausgestattet. Wenn jemand die Tür aufschließt, wird das dokumentiert. Außerdem wird die Praxis immer dann, wenn sie geschlossen ist, von mehreren Kameras überwacht. Die Bilder werden extern aufgezeichnet und können nicht von hier aus gelöscht werden. Es war niemand in diesen Räumen. So viel habe ich auf die Schnelle überprüfen können.«
»Okay, ich kann diese beiden Vorfälle im Moment nur protokollieren«, sagte Ronald.
»Und das hier auf dem Land …?«, warf die Ärztin ein. »Ich dachte, in Earlsraven herrschte Ruhe und eitel Sonnenschein.«