Terrorinsel - David Case - E-Book

Terrorinsel E-Book

David Case

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Beschreibung

Die Florida Keys sind eine Art Paradies. Weiße Strände unter Palmen, Korallenriffe zwischen dem grünen Schimmer des Golfs von Mexiko und dem grauen Atlantik.Als der Journalist Jack Harland in diesem Garten Eden eintrifft, ahnt er nicht, dass das Ende der Welt, wie wir sie kennen, bereits begonnen hat. Hier, auf einer Insel namens Pelican Cay.Er erlebt dieses Ende ganz still und im Verborgenen. Ein Inferno, wie Dante es nicht besser hätte beschreiben können.

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Seitenzahl: 215

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David Case

TERRORINSEL

© 2011 by BLITZ-Verlag, 51556 Windeck

© 2000 by David Case für DARK TERRORS 5, ed. by S. Jones & D. Sutton

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Umschlaggestaltung und Satz: Mark Freier, München

eBook-Erstellung: story2go | Die eBook-Manufaktur

All rights reserved

Print ISBN: 978-3-89840-329-0 E-Book ISBN: 978-3-95719-303-2

www.BLITZ-Verlag.de

David Case

TERRORINSEL

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Andreas Schiffmann

Prolog

Heute Morgen haben sie unten auf den Felsen wieder Verpflegung für mich hinterlassen. Bislang stand mir der Sinn aber noch nicht danach, das Zeug heraufzuschleppen, obwohl ich ihnen zum Dank Lichtzeichen gab und damit versicherte, dass ich wohlauf bin. Sie saßen zu dritt im Boot und wirkten immer noch verschreckt. Die gleichen Männer wie beim letzten Mal, wenn mich nicht alles täuscht. Als sie heraufschauten, brauchte ich sie gar nicht mit meiner Taschenlampe anzustrahlen, so weiß waren ihre Gesichter. Sie hatten das Ufer kaum erreicht, da wuchteten sie die Kisten schon aus dem Kahn. Eigentlich müssten sie mittlerweile wissen, dass ich nicht infiziert bin. Aber egal, ich bin froh, dass sie mich versorgen, denn sie könnten mich genauso im Stich lassen, wie sie es mit den anderen getan haben.

In den zwei Wochen, die ich nun schon hier im Leuchtturm hocke, bin ich richtig geschickt im Umgang mit der Lampe geworden und weiß mir auch auf die Signale der Schiffe einen Reim zu machen; am Anfang war mir das mit deren Blinken zu flott gegangen. Gott sei Dank habe ich dieses Ding, denn anders könnte ich gar nicht kommunizieren. Der Kontakt zur Außenwelt beruhigt und sei es nur durch einen solchen Strahler. Wahrscheinlich kauft mir das hier ohnedies niemand ab. Ist mir auch gleich. Ob die von der Zeitung überhaupt wissen, wo ich bin? Womöglich haben sie schon versucht, sich mit mir in Verbindung zu setzen.

Was für eine Story! Und was für eine absurde Vorstellung, jetzt, da ich kein Reporter mehr bin, sondern – ja, wer bin ich eigentlich? Und was wird man mit mir anstellen, sobald der Rest von denen da unten tot ist? Lange kann es nicht mehr dauern, denn ich habe sie mit dem Fernglas beobachtet. Sie wirken zahmer, langsamer, schwächer, alle vollkommen abgemagert. Zuletzt haben sich drei über einen ihrer Verstorbenen hergemacht. Haben sie ihn selbst umgebracht? Sie könnten sich ja ihrer menschlichen Bedürfnisse entsonnen haben und – na ja, hungrig geworden sein. Andererseits benahmen sie sich nicht so und schenkten ihrem Festmahl auch keine größere Beachtung. Stattdessen rissen sie einfach das Fleisch von den Knochen und kauten halbherzig darauf herum, als erinnerten sie sich dunkel an erst vor Kurzem aufgegebene Gepflogenheiten.

Einige von ihnen lungern ständig unten an den Docks herum und halten Abstand vom Wasser. Sie fürchten sich davor, scheinen aber nach der Küstenwache Ausschau zu halten. Vielleicht haben sie auch die Inseln im Blick, die sich vage am Horizont abzeichnen. Von hier oben aus sehe ich die Keys ziemlich gut; wunderschön, diese Kette mit ihren Verbindungsbrücken. Vor etwas mehr als zwei Wochen habe ich sie noch selbst überquert. Das kommt mir inzwischen wie eine Ewigkeit vor, wenn ich darüber nachdenke. Und zum Denken habe ich hier ja genügend Zeit; nur ist die Erinnerung so widerwärtig, dass ich mich lieber der Zukunft zuwende.

Kapitel 1

Die Route 1 schlängelt sich von Fort Kent in Maine an der eisigen Grenze Kanadas die Ostküste hinab und hält die Keys zusammen wie Knorpel aus Beton die Wirbelsäule eines gelbroten Seeungeheuers. Ich nahm den Highway von New York aus und passierte die Brücken gemächlich am frühen Morgen nach einer Nacht in Miami. Auf der einen Seite sah ich die Bucht und auf der anderen die Florida Straits, als die Tropenflora noch feucht vom Tau war. Ich hatte alle Zeit der Welt und ließ mir die Reise gefallen. Seit Jahren war ich nicht mehr auf den Keys gewesen. Der Fortschritt des Menschen hatte auch den Highway nicht unberührt gelassen, aber der befürchtete Neonlicht-Overkill blieb aus; am Morgen war eigentlich alles wie ehedem. Zwischen den Palmen sahen die Pelikane wie gefiederte Bumerangs aus, als sie sich am Ufer sammelten und ins Blau der Wasserstraße glitten. Die Sonne tauchte hinter den Vögeln aus dem Atlantik auf und beschrieb ihren Bogen hin zu den Dry Tortugas und nach Mexiko. Die Frühaufsteher unter den Anglern konnten mit ihren Ruten noch so geduldig auf den Brücken hocken, ihre Jagd würde nie so ertragreich ausfallen wie die der Pelikane. Ein Krabbenkutter schipperte auffällig mit seinem um den hohen Mast drapierten Netz auf gleicher Höhe zu mir die Küste entlang, und ein junges Paar fläzte sich mit Tauchgerät auf den hervorstehenden schwarzen Felsen. Die Turteltäubchen teilten sich eine Flasche Wein, wobei ihre Zähne weiß aufblitzten. Der Trip, dieser ganze Morgen war ein Traum. Ob die Chose letztlich eine gute Story abwarf, kratzte mich nicht die Spur. Ein Aufenthalt in Florida auf Verlagskosten war schließlich nicht übel, wie ich fand.

Wie falsch ich doch damit lag …

Das Mangrove Inn war übers Wasser gebaut, die Terrasse dahinter auf Holzpfeilern errichtet worden. Dort ließ sich ein Tourist neben einem ausgestopften Hai fotografieren; das Tier sah ein wenig betreten aus. Nachdem ich den Wagen abgestellt hatte, ging ich in die Bar. Abgesehen von der Klimaanlage war das Interieur weitgehend traditionell gehalten. Mit Fischnetzen an den Wänden und zu Seesternen stilisierten Aschenbechern. Da ich früh dran war, rechnete ich noch nicht mit einem raschen Empfang, doch beim Eintreten erhob sich eine junge Frau aus einer dunklen Ecke und zog die Augenbrauen hoch.

„Mister Harland?“

Ich nickte. Ein hübsches Ding, wie sie so auf mich zukam, blond und im leichten Baumwollkleid. Das freundliche Lächeln passte zu ihren Augen.

„Mary Carlyle“, stellte sie sich vor und gab mir die Hand. „Dr. Elston bat mich, Sie abzuholen.“

„Sehr erfreut, doch ich hatte ihn persönlich erwartet.“

„Ja, er hatte … zu tun, nehme ich an. Da ich sowieso mit dem Boot übersetze, dachte er wohl, dass ich Sie mit nach Pelican bringen könnte.“

„Geht in Ordnung“, antwortete ich. „Was ist Pelican?“

Sie wirkte überrascht. „Das wissen Sie nicht?“

„Nein. Elston hat mir geschrieben, er wolle sich hier mit mir treffen. Ich sollte weder schreiben noch anrufen und, das hat er ausdrücklich betont, einfach nur pünktlich sein.“ Dieser Anweisung hatte ich präzise Folge geleistet. „Mein Blatt hielt ihn als Biochemiker eines Artikels für würdig, und ich war gerade für einen Abstecher auf die Keys zu haben. Allerdings geht mir diese Geheimnistuerei ein wenig auf die Nerven.“

„Ach das! Auf Pelican ist alles streng geheim.“ Sie lächelte. Bemüht, wie mir schien, denn über ihr Gesicht war ein Schatten gefallen. Vielleicht in böser Vorahnung?

„Da könnten Sie recht haben, Miss Carlyle, denn sonst wüsste ich, was sich hinter dem Namen verbirgt.“

„Pelican Cay ist eine Insel.“

„Und dort steckt Elston?“

„Mmh.“

Der Wirt schlenderte herbei und wischte mit einem Tuch über die Theke. Ich bot Mary einen Drink an. Sie war mir sofort sympathisch gewesen, und ich dachte, ein wenig plaudern könne nicht schaden. Ich war mir nicht sicher, wie viel sie über Elstons Gründe wusste, mich herzubestellen, aber in jedem Fall wusste sie mehr als ich. Umso brennender interessierte es mich, was hier vor sich ging. Wir gingen mit unseren Cocktails zurück zu ihrem Platz und setzten uns. Im Schatten war es angenehm kühl, und auf dem Tisch stand ein fünfarmiger Ascher.

„Sind Sie seine Assistentin?“

Sie lachte. „Sehe ich aus, als hätte ich etwas mit Giftmischen zu tun?“

„Eigentlich nicht.“

„Da bin ich aber erleichtert. Ich wohne auf Pelican, wurde sogar dort geboren. Eine echte Conch. Als Einheimische wäre ich noch bis vor Kurzem nie auf die Idee gekommen, der Insel den Rücken zu kehren …“ Sie hielt inne.

Ich wollte sie weitersprechen lassen, aber sie schwieg.

„Was ist passiert?“

Sie zuckte mit den Schultern und nippte an ihrem Drink, wobei sie mich über den Rand ihres Glases hinweg nachdenklich betrachtete.

„Weshalb will Elston mich hier haben?“

„Mmh“, brummte sie wieder.

„Ich weiß nicht, ob Sie einen Begriff von meinem Metier haben …“

Sie sah mich erwartungsvoll an.

„Ich schreibe keine wissenschaftlichen Texte, und offenbar … Tja, ich finde es eben seltsam, dass Elston ausgerechnet mit mir reden will. Ist geradezu eigenartig, um ehrlich zu sein. Ein Biochemiker und ein Skandalreporter …“

Wieder lachte Mary auf. „Elston wählte Sie wohl, weil Sie schweigen können.“

„Kaum.“

„Aber ja doch! Sie deckten den Warden-Skandal auf und riskierten dabei eine Gefängnisstrafe, indem Sie dem Untersuchungsausschuss Ihre Informationsquellen vorenthielten. Elston glaubt, dass er Ihnen trauen kann.“

„Und Sie meinen, damit hat er recht?“

„Ganz bestimmt“, entgegnete sie plötzlich ernst. Sie war offensichtlich nicht auf den Kopf gefallen, zierte sich aber, weshalb ich ihr anders beikommen musste.

„Wissen Sie, Mary, ich mache solche Investigativjobs nicht gerne.“

Sie blinzelte verdutzt, und ich rang mir ein Grinsen ab.

„Ich wollte schon immer einen Roman schreiben.“ Ich erwähnte es, um vielleicht mehr von ihr zu erfahren. „Schon oft habe ich damit begonnen, obwohl der letzte Versuch schon länger zurückliegt. Zu sehr verstrickte ich mich in Plattitüden … und Terminschwierigkeiten. Irgendwann bin ich dann den Weg des geringsten Widerstands gegangen und habe mich fortan darauf versteift, meine Nase in die Angelegenheiten anderer Menschen zu stecken. So hatte ich immer etwas zu schreiben. Das brachte mir einen gewissen Ruf ein, aber die Medien zeichnen ein Zerrbild der Wirklichkeit und erschaffen neue Wahrheiten, indem sie die Fakten verdrehen. Das gedruckte Wort dient der Masse als eine Art Streulinse, die ein falsches Licht auf die Dinge wirft. Eine Lüge kann noch so zum Himmel stinken und erhält urplötzlich den Anschein von Wahrheit. Im Gegenzug verschleiert man diese und bricht sie auf Klischees herunter, um dem Leser wohlbemessene Häppchen zu servieren.“

Nun war es an mir, mit den Achseln zu zucken. Dabei schaute ich sie nicht an und spielte stattdessen mit dem Aschenbecher auf dem Tisch.

„So etwas hört man nicht oft von einem Zeitungsreporter.“

„Ich heiße nicht Diogenes und suche mit meiner Lampe nach der Wahrheit, lege aber durchaus Wert auf Gewissheit, auch wenn jeder vielleicht etwas anderes darunter versteht. Dementsprechend erwarte ich auch, dass die Leute ehrlich zu mir sind.“ Ich schaute auf. „Mary?“

Sie erschien mir für einen Moment unsicher.

Schließlich beugte sie sich vor. „Gut, ich versuche es, Mister Harland …“

„Jack“, bot ich ihr an. „Ja, bitte! Tun Sie das.“

„In Ordnung, Jack. Es war meine Idee, Ihnen zu schreiben. Ich habe Dr. Elston sozusagen mit ein paar Drinks und weiblichem Charme überredet. Er tat es am Ende aber freiwillig. Gezwungen habe ich ihn also nicht, auch wenn er von selbst nie darauf gekommen wäre. Was ich damit sagen will: Falls Elston einen Rückzieher macht, sind Sie womöglich vergeblich angereist.“

„Dann wissen Sie sicher, worum genau es geht?“

„Nein.“ Jetzt hatte Mary die Hand am Ascher und schob ihn wie einen Stein beim Mühlespiel hin und her. „Er wollte mich nicht einweihen. Ich weiß nur, dass er gerade an einem Projekt arbeitet, hinter dem er eigentlich nicht steht. So viel ließ er mir gegenüber durchblicken, mehr nicht. Er war verstört … vielleicht sogar mehr als das. Ich habe den Eindruck, dass er in irgendetwas Widerwärtiges hineingetappt ist. Man macht sich sein Wissen auf eine Art zunutze, die ihm nicht behagt.“ Mit heftigen Bewegungen beim Sprechen schien sie ihren Worten Nachdruck verleihen zu wollen. Mary war offenbar ein lebhaftes Mädchen, das die Dinge gerne beim Namen nannte. Immerhin hatte sie es fertiggebracht, mich auf die Keys zu bewegen.

„Dr. Elston ist ein wenig naiv. Der typisch weltfremde Wissenschaftler ohne Menschenkenntnis, dessen Meinung sich ständig wie die Farbe der Chemikalien ändert, mit denen er hantiert. Deshalb war es ein Leichtes, ihn zu dem Schreiben an Sie zu bewegen. Er hatte Angst davor, Sie heute hier zu treffen, Jack … Angst, dass jemand davon Wind bekommt.“

Ich wurde hellhörig.

„Oh nein, man setzt ihn nicht direkt unter Druck. Er fürchtet sich … vor seinen Auftraggebern, der Arbeit selbst … aber nicht vor mir, weil er wohl einfach jemandem vertrauen muss und ich nichts mit seinen Vorgesetzten zu tun habe. Einzelheiten bespricht er mit mir dennoch nicht.“

„Sie fungieren also als Katalysator und lösen bestimmte Reaktionen aus?“

„Könnte man so sagen.“

„Wer sind diese Auftraggeber?“

„Die Regierung. Agenten.“

„Agenten? Welcher Art?“

„Keine Ahnung.“

Ich schaute sie streng an, aber sie bestand darauf: „Wirklich … ich weiß es nicht.“

„So langsam wird es interessant.“

„Wahrscheinlich verstärkt sich Ihr Eindruck noch, sobald Sie Folgendes hören: Diese Typen haben weite Teile von Pelican abgesperrt und überall Wachen aufgestellt.“ Sie sah gedankenverloren aus. „Gerade erst wurde doch dieses Gesetz gegen bakterielle Kriegsführung verabschiedet.“

„Biowaffen?“

„Worum es sich auch immer handelt … es muss aufhören! Elston will es so. Ich habe Ihren Namen ins Spiel gebracht, und weil er die Nachrichten nicht verfolgt und Sie nicht kennt, wies ich ihn auf die Warden-Affäre hin und machte ihm glaubhaft, wie Sie die Geschehnisse aufhalten können, indem Sie diese publik machen, ohne dass er selbst darunter leidet. So weit, so gut. Ich kann nicht versprechen, dass er sich nach allem, was passiert ist, noch mit Ihnen unterhalten möchte. Er ist ein Hasenfuß und könnte genauso gut den Schwanz einziehen. Nachdem er mir die Hintergründe so weit erklärt hatte, sah er ziemlich fertig aus. Ich gebe die Hoffnung aber nicht auf, dass er es durchzieht.“ Erneut ein Lächeln. „Ich handle im eigenen Interesse, wie Sie sich vorstellen können. Die Zerstörung der Insel ist mir zuwider. Pelican war ein Paradies, doch jetzt fühlt man sich wie im Knast. Stellen Sie sich vor, selbst meinen Lieblingsstrand haben sie umzäunt!“ Sie wurde wieder ernst. „Was immer die dort anstellen, sie halten es mit allen Mitteln geheim. Seitdem die Agentur die Kontrolle übernommen hat, funktionieren dort keine Handys mehr, und alle ausgehenden Telefonate laufen über eine Schaltzentrale im Sperrgebiet. Ich bin dort zu Hause, Jack. Sie können sicher nachvollziehen, wie ich ... wie alle Bewohner sich fühlen. Ich arbeite nebenbei für die Küstenwache. Die betreibt ein Versorgungsdepot und nicht weit entfernt von der Küste einen Leuchtturm. Selbst unsere Verbindungen werden kontrolliert, und der Turm ist nur über Kabel von der Insel aus erreichbar. Kein Funkverkehr. Eine meiner Aufgaben besteht darin, mich mit dem Leuchtturmwärter auszutauschen ... Sam Jasper, redselig wie eine Talkshow.“

„Hm, ein gesprächiger Leuchtturmwärter?“

„Das ist er, ständig ruft er an.“

„Na ja, mit Ihnen zu reden ist auch … interessant.“

*

Auf der Barkasse, mit der sie trefflich umzugehen wusste, erzählte Mary mir mehr von Pelican Cay. Ich zog mein Shirt aus und ließ mir die Gischt auf die Haut spritzen, während ich am Dollbord lehnte und ihr zuhörte. Die Insel, erklärte sie, sei nicht sehr groß und habe eine bewegte Geschichte. Im Grunde genommen gebe es hier nur eine größere Stadt, die sich wie eine Sichel entlang eines natürlichen Hafenbeckens erstreckte. Die ersten Bewohner seien Strandräuber gewesen, die sich an der Fracht auf Grund gelaufener Schiffe bereichert hätten. Oft seien Seeleute gegen nicht markierte Unterwasserfelsen gelotst worden. Mit diesen Verbrechen war es jedoch nach der Errichtung des Leuchtturms Mitte des 19. Jahrhunderts vorbei. Die Bevölkerung musste nun ihre Langfinger in der Zigarrenmanufaktur, in der Salzindustrie und beim Fischen anstrengen. Pelican Cay besaß lange Zeit den gleichen Status wie die übrigen Inseln, wurde aber von Touristen nach Fertigstellung des Overseas Highway zunehmend übergangen, da der Ausbau des Straßennetzes auch die Umgebung leichter zugänglich gemacht hatte. Ganz nach Marys Geschmack, denn ihr altes Heimatbild blieb vorerst erhalten. So lange, bis die Agentur auf den Plan trat.

„Das ist wohl auch der Grund dafür, warum genau diese Insel gewählt wurde“, mutmaßte sie. „Pelican ist leicht überschaubar und lässt sich geschwind von der Außenwelt abschirmen und bewachen. Jeder Fremde fällt sofort auf. Gelegentlich verirren sich zwar Touristen zu uns, sorgen für etwas Abwechslung im Inselalltag, füllen die Kassen und, ganz wichtig, geben ein dankbares Publikum für die Einheimischen ab. Wir alle sind geborene Schauspieler.“ Sie schenkte mir mit inzwischen vertrauter Gestik ein weiteres Lächeln. „Krabbenfischer, Seebären, kubanische Flüchtlinge, Schmuggler im Ruhestand … jeder markiert hier einen bestimmten Typ.“

Mary ließ Pelican als lauschiges Fleckchen erscheinen, und ich konnte nachvollziehen, weshalb sie Störenfriede nicht duldete.

„Wo werde ich unterkommen?“, fragte ich sie.

„Wir haben eine Pension, The Red Walls, die inzwischen als Kneipe fungiert. Für Sie ist aber ein Zimmer frei.“

Ich nickte.

„The Red Walls … rot wie das Blut, das an den Mauern klebte, solange die Schmuggler dort abgestiegen sind. Heute hocken Schiffsleute am Tresen, um Drinks zu bechern. Der Schuppen hat einiges hinter sich, aber das allein wäre ein abendfüllendes Thema. Lassen Sie sich die unappetitlichen Einzelheiten am besten von der Stammkundschaft erzählen. Aber Vorsicht: Man neigt zu Übertreibungen. Die Leute haben einen Ruf zu verteidigen, der zwar reichlich schlecht ist, sie aber stolz macht. Sehen Sie auf jeden Fall zu, dass Sie dort unterkommen. Ich gebe Dr. Elston Bescheid, dass Sie dort sind, in Ordnung?“

Ich stimmte zu.

„Vielleicht noch eins …“ Mehrere Spritzer Salzwasser perlten an ihrer Wange ab. „Sagen Sie niemandem, wer Sie sind! Geben Sie sich als Reisender aus, es muss niemand wissen, dass Sie Elston treffen wollen.“

„Ich werde meine berühmte Diskretion spielen lassen“, witzelte ich.

„Ich weiß nicht, ob man …“ Mary zögerte, brach ab und wechselte das Thema. „Da, der Leuchtturm.“ Sie zeigte in die Ferne.

Grau baute sich das Rund vor uns auf, dessen Fundament sanft von den Wellen umspielt wurde. Langsam erkannte ich auch die Silhouette der Insel. Da wir zügig unterwegs waren, wurde das Bild rasch deutlicher. Ich sah, dass der Turm ein wenig abseits stand.

Mary war meinen Blicken gefolgt und erklärte: „Er steht gewissermaßen frei im Meer, keine hundert Meter vom Strand entfernt. Allerdings kann man mit etwas Geschick bei Ebbe über ein Felsriff laufen, das zur Insel führt. Gemeinsam mit dem Leitungskabel für Jasper und mich“, fügte sie verschmitzt hinzu. „Er hockt bestimmt schon auf glühenden Kohlen, schließlich konnte er heute Morgen mit niemandem plaudern.“

„Würde ich auch vermissen.“

Sie sah mich prüfend an.

Kapitel 2

Das also war Pelican Cay.

Die Insel strahlte hell wie sonnengebleichte Knochen, gegen die sich der pechschwarze Schattenfall bleischwer ausmachte. Das passte nicht so recht zueinander, denn es gab keine Graustufen zwischen Licht und Dunkelheit, als ob sich beides in unterschiedlichen Dimensionen abspielte. Genauso konnte man die Insel selbst auf zwei Ebenen betrachten. Einerseits als sonnenverwöhnte Traumoase, andererseits als barbarischen Ort, an dem Raubmörder unschuldige Schiffer zugrunde gerichtet hatten. Die Umzäunung betonte diese Brechung noch, ließ diese Dichotomie wie etwas Materielles stärker zutage treten. Möwen kreischten beim Sturzflug, und ich sah dabei die unglücklichen Seeleute von einst vor meinem geistigen Auge in der Brandung ersaufen. Die Hitze prallte auf meine Schultern, war geradezu greifbar. Trotzdem fröstelte ich.

Wir liefen in den Hafen ein, vorbei an Fischerbooten und einigen Kabinenkreuzern, während ein paar nackte Kinder vom Steg ins Wasser sprangen. Ich zählte mindestens drei Lokale am Ufer. Das Geschrei der Möwen war versiegt, und dem Plärren der Kinder haftete nun wirklich nichts Bedrohliches an. Meine miese Stimmung verflog.

Mary stoppte am für die Küstenwache reservierten Anlegeplatz und sprang an Land. Sie hatte sicher keine Probleme beim Überqueren des Riffs zum Leuchtturm. Ich warf meine Reisetasche ans Ufer und stakste vorsichtig aus dem Boot.

Während der Fahrt hatte Mary mir noch beiläufig mitgeteilt, dass sie mit dem Sheriff liiert war. Sie band die Leine mit einer fachkundigen Schleife, die für mich stark nach gordischem Knoten aussah, an den Poller. Ehe wir über den Steg weitergingen, zog ich mein Shirt wieder an. Ich verspürte bereits einen leichten Sonnenbrand im Anfangsstadium.

Der Hafenbereich – es gab sogar ein Zollbüro – war eingezäunt, dennoch kamen wir ungehindert auf die Straße, wo gleich zwei Strandwächter in strahlendem Weiß an uns vorbeigingen und in eine der Kneipen schauten. Sie wären wohl lieber hineingegangen, statt ihren Dienst zu schieben. Drinnen war es finster, aber heimelig im Vergleich zu den beklemmenden Schatten bei unserer Ankunft, da die Dunkelheit hier offenbar in mehreren Abstufungen auftrat. Mary führte mich an der Bucht entlang zur Pension. Der Großteil des Inselgewerbes spielte sich im Hafenviertel ab; wir gingen an einem auffälligen Schildkrötenkraal vorbei, passierten Läden mit Schiffsbedarf und einen kubanischen Zigarrendreher, dem man im Schaufenster bei der Arbeit zusehen konnte.

Einige Bars später stießen wir vor dem Gefängnis auf den Sheriff. Er war groß, hatte gepflegtes Haar und trug eine dunkle Fliegerbrille. Mit seinem markanten Kinn wirkte er schneidig wie ein Soldat. In der Hand hielt er einen breiten Cowboyhut in Weiß, den er, als er Mary sah, aufsetzte, damit er ihn zum Gruß wieder abnehmen konnte. Dazu schenkte er ihr ein strahlendes Lächeln, dem ein skeptischer Blick in meine Richtung folgte; wohl nicht nur aus beruflichem Interesse.

„Jerry, das ist Jack Harland. Jack … Jerry Muldoon, Pelicans einziger Gesetzeshüter.“

Nun war ich ihm offenbar weniger suspekt. Wir schüttelten einander die Hände. Die Pranke entsprach seinem kantigen Gesicht, das überraschend natürlich, ja fast ungezwungen freundlich lächeln konnte.

Mary kurbelte das Gespräch an. „Jerry weiß, warum Sie hier sind.“

„Kannst von Glück reden, dass du hier bist, auch wenn ich nicht weiß, wo dein Schuh drückt, Kollege.“

„Nett, dass das Gesetz mich zur Abwechslung einmal willkommen heißt.“ In der Vergangenheit war ich eigentlich ständig aufgefordert worden, meinen Hintern vor Sonnenuntergang in die Ferne zu verschieben. „Sie mögen diese … Agentur auch nicht, oder?“

„Darauf kannst du einen lassen! Beschissene Ursumpfpastoren!“

Ich sah ihn fragend an.

„Ursumpfpastoren“, wiederholte er, setzte seinen Hut wieder auf und zog sich die Krempe tief ins Gesicht, sodass er den Kopf in den Nacken werfen musste, um mir durch seine dunklen Gläser in die Augen zu schauen. „Jawohl, das sind sie. Haben mich einfach als Chef im Ring abgesetzt, wo ich doch das Sagen hatte, verdammte Kacke!“

Er nuschelte, als kaue er Tabak, aber dem war nicht so. Als er grinste und Mary kicherte, verstand ich: Er spielte hier den Klischee-Sheriff.

„Wo werden Sie wohnen?“ Er hatte sein grobschlächtiges Gehabe abgelegt.

„Ich wollte Jack das Red Walls zeigen“, antwortete Mary für mich.

Jerry lachte. „Dort werden Sie einiges zu hören bekommen, Jack. Die Alteingesessenen schwelgen gern in Nostalgie, auch wenn ihr Gedächtnis dabei nicht immer auf der Höhe ist. Alles ist aber nicht gelogen, denn soviel ich mitbekommen habe, war die Spelunke früher richtig übel. Mord und Totschlag. Vor ein, zwei Jahren wurden die Toiletten saniert. Beim Aufreißen des Bodens fanden die Klempner achtzehn leere Geldbörsen, derer sich Prostituierte und Diebe für gewöhnlich entledigten, nachdem sie jemanden links gemacht hatten. Heute ist es aber nicht mehr so krass; mir erzählt man, es gehe ruhiger zu, aber sicher bin ich mir nicht, weil ich mich ganz bestimmt niemals freiwillig dort blicken lassen würde.“

„Mach Jack nicht scheu!“, wies Mary ihn zurecht.

„Ach, Quatsch!“, beschwichtigte Jerry. „Mister Harland kennt sich doch angeblich mit schweren Jungs aus. Wirst schon nicht kneifen, Alter, was? Obwohl ... das Gesindel hier ist womöglich doch eine ganz andere Nummer.“ Er kratzte sich an seinem Riesenkinn und schien zu grübeln. „Könntest vielleicht doch Schiss kriegen.“

*

Die urwüchsige Mahagonikonstruktion des Red Walls sah aus, als würde sie jedem Wirbelsturm standhalten können, und hatte das in der Vergangenheit zweifellos schon oft bewiesen. In meinem Zimmer ließ es sich aushalten, da am Fenster so etwas wie eine Klimaanlage installiert war. Dass das Bad sich im Erdgeschoss befand, konnte ich verschmerzen, da ich der einzige Gast weit und breit war. Ich musste mich nicht einmal einschreiben und ging, nachdem ich kalt geduscht hatte, in frischen Klamotten zur Bar. Ich konnte erst einmal nur Däumchen drehen, bis Mary mit Dr. Elston persönlich gesprochen hatte. Das Telefon war ja nur eingeschränkt nutzbar.

Wirklich sehenswert, dieses Etablissement. Die Querbalken und Bögen an der Decke des großen Saales wären einer Kirche würdig gewesen. Zu meiner Enttäuschung sah man nichts von dem Blut, stattdessen konnte man die weiße Faltwand wie einen Vorhang öffnen, um den frischen Seewind hereinströmen zu lassen. Als ich eintrat, fiel das Sonnenlicht in Blöcken hindurch und zeichnete ein Gittermuster auf den Boden. Ich nahm auf einem Rohrhocker an der Theke Platz, was den Wirt sichtlich freute, da seine übrige Klientel sich zu dieser Tageszeit noch mit Meeresgetier herumschlug, und orderte mir etwas mit Rum, das in einem hohen Glas kam. Der Wirt rückte nicht von der Theke ab und wartete offenbar ungeduldig, um mich mit Räuberpistolen über seinen Laden zu unterhalten. Mir war aber nicht nach Gerede, weil ich mir über Elston den Kopf zerbrach und darüber spekulierte, was er mir hoffentlich bald erzählen würde. Irgendwann gab ich dem mitleidigen Blick meines Gegenübers jedoch nach und ergriff aus purer Höflichkeit die Initiative: „Nichts los heute, oder?“

„Das wird schon noch … später“, versicherte er grinsend. „Lassen Sie die Schiffe erst einmal einlaufen. Früher brummte es hier noch richtig, glauben Sie mir. Ich könnte Geschichten erzählen …“

„Bitte sehr, ich höre.“