TEUFELSJÄGER: Die 1. Kompilation - W. A. Hary - E-Book

TEUFELSJÄGER: Die 1. Kompilation E-Book

W. A. Hary

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Beschreibung

TEUFELSJÄGER: Die 1. Kompilation W. A. Hary: "Ich bin nur ein einfacher Detektiv - aber ich habe die Erfahrung aus tausend Leben!" Schon mal einen grauenhaften Roman gelesen? Ich meine einen richtig guten grauenhaften Roman? Ja? Und wie wäre es dann mit fünf solcher effektiv guten grauenhaften Romane in einem einzigen Buch zusammengefasst als sogenannte Kompilation? Tja, dann sind Sie hier genau richtig, in der ersten Kompilation der Serie TEUFELSJÄGER: Mark Tate, der überzeugte Einzelgänger, trifft auf Don Cooper. Don ist das Opfer von Schloss Pannymoore, seit er dort seinem alten Freund Lord Frank Burgess helfen wollte. Das Böse von Pannymoore findet sich auch auf einer Insel der Azoren ein… Was verbirgt sich außerdem hinter dem grausamen Kult der Blutgöttin Kali mitten in Indien? Welches Geheimnis umgibt indessen Inspektor Tab Furlong von Scotland Yard? Diese 1. Kompilation beinhaltet die Bände der laufenden Serie 1 bis 4 und 10, natürlich für das Buchformat optimiert und mit einer zusätzlichen Rahmenhandlung versehen! Achtung: Alte Rechtschreibung, denn die Romane "spielen" in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts! Zur Erinnerung: Da gab es auch noch kein "Handy"! ________________________________________ Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie Teufelsjäger: Wilfried A. Hary! Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by hary-production.de

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W. A. Hary

TEUFELSJÄGER: Die 1. Kompilation

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Wichtiger Hinweis

Diese Serie erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Seit Band 21 wird sie hier nahtlos fortgesetzt! Jeder Band (siehe Druckausgaben hier: http://www.hary.li) ist jederzeit nachbestellbar.

 

TEUFELSJÄGER

 

Die 1. Kompilation

W. A. Hary: „Ich bin nur ein einfacher Detektiv

- aber ich habe die Erfahrung aus tausend Leben!“

 

Schon mal einen grauenhaften Roman gelesen? Ich meine einen richtig guten grauenhaften Roman? Ja? Und wie wäre es dann mit fünf solcher effektiv guten grauenhaften Romane in einem einzigen Buch zusammengefasst als sogenannte Kompilation? Tja, dann sind Sie hier genau richtig, in der ersten Kompilation der Serie TEUFELSJÄGER:

Mark Tate, der überzeugte Einzelgänger, trifft auf Don Cooper. Don ist das Opfer von Schloss Pannymoore, seit er dort seinem alten Freund Lord Frank Burgess helfen wollte.

Das Böse von Pannymoore findet sich auch auf einer Insel der Azoren ein…

Was verbirgt sich außerdem hinter dem grausamen Kult der Blutgöttin Kali mitten in Indien?

Welches Geheimnis umgibt indessen Inspektor Tab Furlong von Scotland Yard?

Diese 1. Kompilation beinhaltet die Bände der laufenden Serie 1 bis 4 und 10, natürlich für das Buchformat optimiert und mit einer zusätzlichen Rahmenhandlung versehen!

Achtung: Alte Rechtschreibung, denn die Romane „spielen“ in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts! Zur Erinnerung: Da gab es auch noch kein „Handy“!

 

Impressum

Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

ISSN 1614-3329

Copyright dieser Fassung 2015 by www.HARY-PRODUCTION.de

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

www.HaryPro.de

eMail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

Coverhintergrund: Anistasius

 

Prolog

Schau ins Dunkel der Nacht. Sieh die Schatten. Sieh, wie es kreucht und fleucht. Erkennst du Einzelheiten? Erkennst du mehr als das Diffuse, Ungreifbare? Erkennst du, was wirklich da vorgeht, in der Deckung der Dunkelheit?

Lasse das Licht aufflammen und begreife, daß es nicht nur die Schatten vertreibt, sondern auch das, was sie verbergen! Begreife endlich, daß das Dunkel niemals leer ist, daß die Schatten leben! Es ist ein Leben, das dich erschrecken muß. Es ist ein Leben, das jedem natürlichen Leben zuwider ist. Es ist mehr, als du erahnst, wenn du an Ungeziefer wie an lichtscheue Kakerlaken und blutsaugene Wanzen denkst. Es ist sogar viel mehr: Es ist die wahre Macht des Bösen!

Denn im Dunkeln hockt das Grauen und macht dich zum wehrlosen Opfer, wenn dir niemand hilft.

Aber du denkst: Es gibt nicht nur die lebenden Schatten der Nacht, sondern es gibt auch das Licht. Und es gibt den Tag. Und genauso wie das Licht nicht ohne Schatten, nicht ohne das Dunkel existieren kann, genauso wenig kommt das Gute ohne das Böse aus. Das eine ist das lebendige Licht und das andere ist die widerlebendige Finsternis. - Gott stehe dir bei, gegen die Schatten... Aber ist er - Gott! - nicht das Licht? Und sind die Schatten denn nicht nur dort, wo das Licht keinen Einfluß und somit keine Macht mehr hat?

Doch wenn Gott das Symbol für das Gute und somit das Licht - und der Teufel das Symbol für das Böse und somit das Dunkel ist... Ja, dann braucht Gott als das Gute und als das Licht ein Werkzeug, will er auch Einfluß haben auf die andere Seite des Lebens. Nenne es ein Schwert. Nenne es einen Menschen. Nenne ihn den... TEUFELSJÄGER!

Ich weiß, wovon ich erzähle, denn das Schicksal hat mich dazu bestimmt, selber ein TEUFELSJÄGER zu sein - ein Bote des Lichtes, das blitzende Schwert in der Finsternis. Nicht erst seit heute, sondern seit mindestens tausend Leben. Seit ich einst Mahsa, aus dem Stamm der geheimnisvollen Goriten, war, vor undenklichen Zeiten, die in keinen Annalen der Menschheit vermerkt sind, weil das Böse es nicht will und alle Spuren vernichtete...

FAST alle! Denn ich selber bin der lebendige Beweis, als der letzte der Goriten, hier und heute als der TEUFELSJÄGER MARK TATE.

Aber ich bin einsam in meinem ewig währenden Kampf um das Gleichgewicht der Kräfte, das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse, um das Ende im Chaos zu verhindern. Sehr einsam. Denn das Schicksal - MEIN Schicksal! - hat auch dieses bestimmt. Dachte ich bisher jedenfalls. Als ich noch nicht ahnte, daß es sich längst eines anderen besonnen hatte. Zunächst in der Gestalt eines Menschen mit Namen Don Cooper, der bei unserer ersten Begegnung ganz und gar nicht wie ein für den ewigen Kampf gegen das Böse geeigneter Krieger erschien. Aber der erste Eindruck kann täuschen. Eine Erfahrung, die jeder im Laufe seines Lebens machen muß - und ich im Verlauf von mindestens tausend Leben immer wieder hatte machen müssen.

1. Kapitel

Ich traf ihn an Bord der „REGINA“, einem nicht mehr ganz jungen Schiff, mit dem ich London verließ, um eine längere Reise nach Indien anzutreten. Er fiel mir sofort auf. Das war kein Wunder, denn er gab sich äußerst nervös, und immer wieder blieb sein unsteter Blick an mir hängen, als wäre ich jemand, der ihm Halt verleihen könnte.

Ich tat so, als bemerkte ich es nicht, obwohl es mir mit der Zeit peinlich wurde. Mein Interesse wurde erst wirklich geweckt, als der Abend graute. Wir waren erst Stunden unterwegs. Der Londoner Hafen lag weit hinter uns. Das Schiff erreichte die offene See. Doch meine Gedanken weilten nicht mehr im fernen Indien, das mein Ziel war, sondern beschäftigten sich bereits mit dem Fremden. Dennoch verhielt ich mich abwartend. Sollte er den ersten und entscheidenden Schritt einer Annäherung tun.

Er tat ihn. Ich wollte mich gerade von der Reling abwenden, wo ich die würzige Meeresluft genossen und den Sonnenuntergang beobachtet hatte, der an Bord eines Schiffes ein einmaliges Erlebnis sein konnte, als der Mann an mich herantrat. Erst mußte er sich ein paarmal räuspern. Dann brach es regelrecht aus ihm hervor: „Darf ich in Ihrer Kabine übernachten?“

Ich schaute überrascht auf. Was war das gewesen? Der Mann präsentierte sich mir als das reinste Nervenbündel. Selten hatte ich das bei einem Menschen so erlebt.

„Ich - ich bitte Sie“, stammelte er und warf ängstliche Blicke in die Runde. „Sie - Sie dürfen mich nicht falsch verstehen, aber Sie sind meine letzte Rettung. Ich - ich will nichts von Ihnen - außer, daß ich bei Ihnen übernachten darf. Es - es wird sie bestimmt nicht stören - meine Anwesenheit, meine ich.“

Ich schüttelte den Kopf. „Was soll denn das Ganze?“

„Ich habe Angst!“ gestand der Fremde.

„Nun, das sieht man“, entgegnete ich brummig. Einen Moment überlegte ich. Es war bestimmt nicht meine Art, wildfremde Menschen einfach so zu mir in die Kabine zu lassen, aber der Mann tat mir nicht nur leid, sondern hatte zudem mein Interesse geweckt. „Kommen Sie mit!“ befahl ich kurzentschlossen und ging voraus, ohne mich noch einmal umzudrehen. Ich hörte das erleichterte Aufatmen und die Schritte des anderen, der mir so dicht folgte, als fürchtete er, mich doch noch aus den Augen zu verlieren.

Nachdem ich in meiner Kabine das Licht hatte aufflammen lassen, wandte ich mich ihm zu. Mit bebenden Händen schloß er die Tür. Ein Gedanke kam mir. „Sind sie etwa ein blinder Passagier?“

Er hob beschwörend die Hände. „Nein, Mr. Tate, das bin ich ganz und gar nicht. Ich habe eine eigene Kabine, hier ganz in der Nähe.“

Mein Mißtrauen blieb. „Woher kennen Sie eigentlich meinen Namen?“

Sein Blick irrte umher, als suchte er etwas. Ich mußte auf die Antwort auf meine Frage warten. „Das - das ist nicht schwer zu erklären. Ich - ich habe einmal Ihr Bild in der Zeitung gesehen. Es ging um einen Artikel über Okkultismus. Sie wurden ein Privatdetektiv genannt, dem es gelang, einen Klub von Teufelsdienern auffliegen zu lassen. Angeblich sollen die sogar Menschenopfer gebracht haben.“ Er erschauerte bei dem Gedanken an den Bericht. „Damals habe ich den Kopf geschüttelt über so etwas. Heute... Ihre Rolle in der Sache hat mir imponiert. Das wird auch der Grund sein, daß ich Sie nicht vergessen habe. Und dann sah ich Sie im Hafen. Sie gingen an Bord eines Schiffes - dieses Schiffes hier. Ich weiß noch immer nicht, wohin die Reise eigentlich geht, aber ich bin überzeugt davon, daß Sie der Mann sind, der mir helfen kann.“ Er holte tief Luft. „Es gelang mir, die Passagierliste einzusehen. Darin fand ich Ihren Namen und somit die Bestätigung, daß mich mein gutes Gedächtnis nicht betrogen hat. Sofort sorgte ich dafür, daß ich eine freie Kabine bekam. Und jetzt bin ich hier.“

Eine reichlich mysteriöse Geschichte! konstatierte ich im stillen. Meinem seltsamen Gast bot ich einen Platz an.

„Danke, Mr. Tate, wirklich, vielen Dank!“ machte der Mann überschwenglich. „Ich wußte doch, daß ich mich in Ihrer Person nicht getäuscht habe.“

Während ich mich ihm gegenüber niederließ, dachte ich an den Bericht, der damals in vielen Zeitungen gestanden hatte. Gottlob war mein Bild nur selten veröffentlicht worden. Ich bin auch heute noch der Meinung, daß ein Privatdetektiv nur dann am effektivsten tätig sein kann, wenn man ihn nicht schon auf der Straße erkennt. Das war auch der Grund, warum ich im Moment etwas verstimmt war. Aber ich ließ es mir nicht anmerken.

„Das wird sich noch herausstellen müssen“, entgegnete ich ruhig. „Sie wissen also um meine Person und haben ein Anliegen. Ich würde vorschlagen, daß Sie zur Sache kommen.“

„Sofort!“ beeilte sich mein ungebetener Gast zu versichern.

Ich betrachtete ihn. Er war mittleren Alters, mit einer männlich proportionierten, sehr sportlichen Figur - wie ein Bodybuilder! - und einem energischen Kinn. Die Augen, in denen jetzt das Grauen zu lesen war, hatten eine eisgraue Farbe. Eine solch starke Erscheinung? Umso mehr verwunderte es mich, daß er sich mir hier und jetzt in einem solch jämmerlichen Zustand präsentierte. Was hatte der Mann erlebt?

„Mein Name ist Don Cooper!“ stellte er sich endlich vor. „Ich - ich muß mich für mein Verhalten noch einmal entschuldigen, Mr. Tate, aber ich habe Dinge erlebt, die für einen normalen Menschen einfach nicht mehr zu verkraften sind. Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an. Wenn ich Ihnen alles erklärt habe, werden sie mich gewiß verstehen.“

Ich nickte nur. Ärgerlich registrierte ich, daß ich der Geschichte entgegenfieberte, die der Mann mir auftischen würde. Er hatte es geschafft, mich in seinen Bann zu schlagen - mich, Mark Tate, der ich mich rühmte, daß es kaum noch etwas gab, was mich erschüttern konnte. Doch in diesen Minuten ahnte ich, daß ich mich darin irrte. Der gegenwärtige Gemütszustand des Fremden, der sich Don Cooper nannte, war dafür eigentlich schon Beweis genug.

„Um meinen Bericht zu untermauern, habe ich etwas mitgebracht“, sagte Cooper im Tonfall des Verschwörers. Nach einem angstvollen Rundblick griff er in die Innentasche seines Jacketts und zog ein vergilbtes Schreiben hervor.

„Ich muß vorausschicken, daß ich einen Freund habe. Er heißt Burgess - Lord Frank Burgess. Frank ist ein Mann, der sein Leben genossen hat, wie man so schön sagt. Ich lernte ihn auf einer meiner vielen Reisen kennen. Wissen sie, mein Vater hat mir und meinem Bruder ein beträchtliches Vermögen hinterlassen, wobei sich die Erbschaft meines Bruders auf die Sach- und meine auf die Geldwerte bezieht. Er hat zu Lebzeiten sehr genau erkannt, wo was am besten aufgehoben ist. Ich verstand es schon immer, mit Geld umzugehen - auch wenn sich damit leider auch die unselige Fähigkeit verbindet, selbiges wieder mit vollen Händen auszugeben. Mein Bruder hingegen ist der geborene Manager.

Doch lassen wir das. Es wird sie sicher wenig interessieren. Ich wollte Ihnen damit nur erklären, wie es kommt, daß ich sehr viel in der Welt unterwegs bin. Ja, ich kann sagen, daß es nicht mehr viele Fleckchen auf diesem Planeten gibt, die ich noch nicht gesehen habe. Dasselbe gilt auch für meinen Freund Lord Burgess. Frank war ein mit allen Wassern gewaschener Globetrotter. Ich vergesse nie unser gemeinsames Erlebnis mit den Kopfjägern des Amazonas. Nur durch Franks Umsicht kamen wir mit einigermaßen heiler Haut davon.

Vor Jahren dann trat die plötzliche Veränderung ein. Frank war wie ausgewechselt. Ich traf ihn in New York. Strahlend verkündete er mir, daß er zu heiraten beabsichtige. Bei dieser Gelegenheit stellte er mir auch gleich seine Auserwählte vor. Ich war fasziniert. Es war eine Exotin, eine Farbige. Sie war klein und zierlich und hatte abgrundtiefe Augen, die einen zu verschlingen schienen. Ohne diese Augen hätte sie wohl unscheinbar gewirkt, aber sie waren es, die die Blicke der Männer wie magisch anzogen. Ich konnte verstehen, daß Frank ganz aus dem Häuschen war. Doch hatte ich meine leisen Bedenken, obwohl ich nichts in dieser Richtung zu sagen wagte. Ich mußte nämlich daran denken, daß Frank ein waschechter Lord war. Es verbot allein schon seine adelige Tradition, sich mit einer Bürgerlichen abzugeben.

Außerdem mußte ich erfahren, daß er sie in den Slums von Port-au-Prince, also der Hauptstadt von Haiti, kennengelernt hatte. Die soziale Kluft zwischen den beiden erschien mir schier unüberwindbar - auch in der heutigen Zeit. Außerdem hatte mir Frank einmal nach einer feuchtfröhlichen Runde anvertraut - natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit -, daß seine Familie in dieser Hinsicht extrem altmodisch war, um es einmal so auszudrücken.

Nun, wie gesagt, ich hielt mit meinen Bedenken hinter dem Berg und wünschte den Glücklichen alles Gute. Es dauerte lange, bis ich ihn wieder zu Gesicht bekam. Es war dies vor ein paar Tagen. Ich war zufällig wieder in London, in meiner Wohnung. Eine Menge Post hatte sich inzwischen angesammelt. Unter anderem eine Nachricht Franks. Er schrieb mir, daß seine Frau unter seltsamen Umständen ums Leben gekommen wäre. Das Schreiben war bereits ein paar Monate alt. Ich wußte, wo mein Freund wohnte. Sofort begab ich mich auf Schloß Pannymoore. Es sind von London aus nur etwa zweihundert Meilen zu fahren.

Lord Burgess hatte sich erschreckend verändert. Ich erkannte ihn kaum wieder. Er gab mir einen Brief - diesen hier.“

Er reichte mir das vergilbte Blatt Papier, und ich las selber darauf, was Lady Burgess ihrem Mann geschrieben hatte, nachdem sie bereits zwei Wochen tot gewesen war...

*

Lieber Frank,

obwohl ich erst vor zwei Wochen gestorben bin, halte ich es vor Sehnsucht nicht mehr aus. Wann endlich wirst Du wieder bei mir sein können? Immer wieder versuche ich, Dich zu besuchen, doch ist mir der Zugang zu Dir verwehrt. Vielleicht ist das nur gut so. Denn wenn ich Deiner ansichtig werde, gelingt es mir nicht mehr, mich zurückzuhalten, da bin ich ganz sicher. Dann wird Dich mein eisiger Hauch treffen, Geliebter, und Dich zu mir ins Reich der Toten holen. - Jetzt aber muß ich wieder schließen, denn ich höre das Wispern der schaurigen Dämonen, die jetzt meine Brüder sind. Ehrlich, manchmal graut mir vor ihnen, obwohl ich doch selbst ein Geist bin.

Mit vielen Grüßen aus dem Jenseits, in verzehrender Liebe

Immer Deine Lady Ann

Ps.: Leider kann ich nicht offener schreiben, denn die Dämonen wachen eifersüchtig darauf.

*

„Ich weiß, was sie jetzt glauben, Mr. Tate. Ich kann das durchaus verstehen, denn ich hegte ähnliche Gedanken. Aber glauben sie mir, es ist kein makabrer Scherz. Es ist viel mehr. Davon konnte ich mich in nur zwei Nächten überzeugen. In diesen Nächten lernte ich das nackte Grauen kennen. Und noch etwas: Frank bekam auch noch mehr Briefe. Doch diese wollte oder konnte er mir nicht zeigen.“

Ich betrachtete das Schreiben von allen Seiten. Es fühlte sich pergamenten an. Irgendwie war das Papier ungewöhnlich, aber ich war nicht Experte genug, um das näher definieren zu können. Beschriftet war es anscheinend mit normaler Tinte. Achselzuckend legte ich das Blatt beiseite und fixierte mein Gegenüber. „Ich höre!“ sagte ich nur.

2. Kapitel

Ich, Don Cooper, schwöre, daß alles, was ich jetzt sage, der reinen Wahrheit entspricht und daß kein einziges Wort von mir hinzugedichtet worden ist, so wahr mir Gott helfe.

Ich erreichte Schloß Pannymoore zur Mittagszeit. Es steht auf einem kleinen Hügel, etwas außerhalb der gleichnamigen Ortschaft, die vielleicht dreihundert Seelen zählt. Als ich mit meinem Leihwagen durch die Ortschaft fuhr, konnte ich Franks frühere Reiselust sehr gut verstehen. Das Dorf machte einen reichlich verschlafenen Eindruck, was sich auch auf die Bewohner auswirkte. Niemand beachtete mich, obwohl hier, sozusagen am Ende der Welt, die Ankunft eines Fremden doch fast eine kleine Sensation sein mußte. Dies war mein erster Eindruck. Nein, hier hätte ich mich nie wohlgefühlt.

Und dann sah ich das Schloß selber. Ich war so beeindruckt, daß ich am Wegesrand hielt und ausstieg, um den Anblick aus der Ferne zu genießen. Der Hügel, der das Schloß trug, war dicht bewaldet. Aus dieser Perspektive schien kein Weg hinaufzuführen. Ich wußte natürlich, daß dem nicht so war. In Wirklichkeit mußte man den Hügel umrunden, um sich dem Schloß von der anderen Seite her zu nähern. Von hier aus gesehen, wurde das Gebäude von keiner Mauer umgeben. Die Außenwand, die augenscheinlich erst vor wenigen Jahren restauriert worden war, fiel steil herab. Anhand der Fenster konnte man erkennen, daß es außer dem Dachgeschoß drei Stockwerke gab, wobei das unterste wohl schon zum Keller gezählt werden konnte. Am Fuße schimmerte es bräunlich. Nackter Felsen, wie mir schien.

Nachdem ich den Anblick ausgekostet hatte, setzte ich mich wieder in den Wagen und fuhr weiter. Die Straße folgte einem schmalen Tälchen und schien nur für Pferdefuhrwerke gebaut worden zu sein. Die Schlaglöcher und Unebenheiten machten sich durch die harte Federung des Wagens unangenehm bemerkbar.

Endlich beschrieb die Straße einen sanften Bogen nach links und stieg dabei an. Ich mußte Frank rechtgeben. Er hatte in seinem Brief behauptet, das Schloß sei sehr leicht zu finden. Es gab in der Tat nur eine einzige Straße, die durch das Dorf führte, und dieser brauchte man lediglich zu folgen. Sie endete unmittelbar an der Schloßmauer.

Nach der ersten Steigung folgten ein paar Serpentinen. Mir schien, als sei dieser Teil der Strecke besser ausgebaut. Daran mochte Frank selbst Schuld haben. Auf dem Höhepunkt des Hügels verließ die Straße den dichten Mischwald und verbreiterte sich, um schließlich an einer mächtigen Mauer zu enden, die fast zehn Fuß hoch sein mochte. Sie war bemoost, und teilweise hatten Rankengewächse ihre Wurzeln hineingeschlagen. Durchbrochen wurde die Mauer durch ein breites, eisernes Tor, das mannigfaltige Verzierungen aufwies. Mein Herz schlug unwillkürlich höher. Ich dachte an meinen alten Freund und daran, daß ich ihn bald wiedersehen würde. Wir würden uns viel zu erzählen haben. Es war das erste Mal, daß ich ihn in seinem Schloß aufsuchte.

Er hatte im Brief erwähnt, daß ich nur zu hupen bräuchte. Ich tat es. Irgendwo schien sich eine versteckte Fernsehkamera zu befinden, denn eine Lautsprecherstimme sagte prompt: „Willkommen auf Schloß Pannymoore, Don Cooper!“ Es klang hohl und verzerrt, aber ich erkannte dennoch die Stimme von Frank.

Das Tor schwang selbsttätig auf. Ich fuhr hindurch. Direkt hinter der Mauer öffnete sich ein dichtbewachsenes Parkgelände. Es war von hier aus unmöglich, das Schloß zu sehen. Der gewundene, asphaltierte Weg brauchte hundert Yards, bis er den Park verlassen hatte und sich zu einem weiten Hof öffnete.

Meine Hochschätzung wuchs. Ich parkte irgendwo und stieg aus. Mit einem Blick hatte ich erkannt, daß es auf dieser Seite außer dem Dachgeschoß nur zwei Stockwerke gab. Also gab es zu der offenen Rückseite des Gebäudes noch ein kleines Gefälle. Der Eingang hier war fast ebenerdig.

Jetzt öffnete er sich. Ein Mann trat ins Freie. Er war gut gekleidet und wurde von mir zunächst für einen alten Diener gehalten.

Erst als ich näher kam, wurde ich stutzig. Und als der vermeintlich Butler ein wenig wehmütig lächelte, erkannte ich das Unbegreifliche: Ich hatte Lord Burgess persönlich vor mir! Er erschien um Jahrzehnte gealtert. Seine einstmals so straffe Haltung war jetzt verkrümmt. Sein kräftiger, durchtrainierter Körper war hager, ja dürr geworden.

Ich war erschüttert und hatte alle Mühe, diese Erschütterung nicht deutlich werden zu lassen. Aber Frank wußte selber, wie es um ihn stand. Er reichte mir die Hand, die sich schlaff und kraftlos anfühlte, und murmelte: „Ich habe mich gefreut, als ich dein Telegramm erhielt, und freue mich noch mehr, dich persönlich hier begrüßen zu können.“

„Ursprünglich wollte ich dich anrufen, aber du scheinst hier kein Telefon zu haben“, meinte ich brüchig. Echte Freude wollte nicht in mir aufkommen. Ich spürte im Gegenteil Beklemmung.

Jemand hupte vor dem Tor. Ich wandte mich dem Park zu.

Frank schüttelte den Kopf und griff nach meinem Arm. „Komm, Don, wir gehen ins Innere. Das ist nur der Lieferant. Er bringt das Essen. Ich habe vorgesorgt und etwas mehr bestellt, damit du nicht zu hungern brauchst. „

Anscheinend hatte jemand das Tor geöffnet, denn ein Motor heulte auf. Das Geräusch näherte sich rasch.

Wir waren gerade dabei, das Schloß zu betreten, als ein giftgrüner, klappriger Lieferwagen auf den Hof bog. Hinter dem Steuer saß ein blutjunger Bursche. Er lenkte auf den Dienstboteneingang zu und hielt dicht davor. Der Eingang öffnete sich. Ein gebeugter Greis trat heraus und wechselte mit dem Jungen ein paar Worte, die ich nicht verstehen konnte. Keiner der beiden schenkte mir auch nur einen Blick.

Meine Beklemmung wuchs. Ich folgte meinem alten Freund. Wir betraten eine große Eingangshalle, die überaus bombastisch ausgestattet war. Meinem Geschmack entsprach sie nicht. Ich mag keine alten Sachen, weshalb ich von meinen Reisen bisher nicht ein einziges Mal ein Andenken mitgebracht habe. Doch das sei nur am Rande bemerkt.

Schon bei meiner Ankunft hatte ich das untrügliche Gefühl, daß hier etwas nicht stimmte. Vielleicht kennen Sie das, Mr. Tate? Man spürt etwas, ohne es näher definieren zu können.

Frank führte mich zu einer Sesselgruppe und fragte mich nach meinen Wünschen, einen Drink betreffend. Ich war erstaunt. Ein Schloßherr mit seinem solchen Besitztum, der alles selber machen mußte? Ich würde bald erfahren, warum das so war...

Frank mixte für mich Ginger Ale mit Whisky und tat ein paar Eiswürfel hinzu. Er selbst bevorzugte den Whisky pur, sogar ohne Eis.

Schwer ließ er sich mir gegenüber nieder.

„Ich war erschüttert, als ich vom Tode deiner Frau las“, begann ich das Gespräch. Ich hatte damit offenbar einen wunden Punkt berührt, denn Frank zuckte unwillkürlich zusammen.

„Es ist jetzt schon ein Vierteljahr her“, meinte er zögernd und hob dabei den Kopf, als lauschte er. Auch ich tat das, konnte aber nichts hören. Ich begriff Franks seltsames Verhalten nicht. „Seitdem ging es immer mehr bergab.“

„Wie meinst du das?“

„Ich habe keine Bediensteten mehr. Alle verließen sie mich. Das heißt, ich muß mich berichtigen, der alte James blieb.“

„James?“

„Ja, das ist der Butler. Er heißt natürlich nicht wirklich so, aber seinen richtigen Namen habe ich vergessen.“

„Und warum haben dich die Bediensteten verlassen?“

Frank kam zu keiner Antwort. Etwas anderes enthob ihn davon: Plötzlich hörten wir jemanden ein Liedchen pfeifen. Sekunden später plätscherte Wasser.

Frank Burgess stellte abrupt sein Glas auf den Tisch. Seine Hand zitterte dabei so stark, daß er ein wenig der goldgelben Flüssigkeit verschüttete. „Ich weiß nicht, wie ich sagen soll...“, kam es verkrampft über seine Lippen. Sein Zittern verstärkte sich noch. Er blickte zur Rundumgalerie empor.

Ich folgte seinem Blick. Tatsächlich kamen die Geräusche von da oben. Jemand schien zu duschen. Dieser Jemand hörte auf, die Melodie zu pfeifen, die etwas Schwermütiges, ja fast Gespenstisches hatte, und begann zu singen.

Ich erschrak. Erst jetzt erkannte ich, daß das eine Frau war. Und auf einmal glaubte ich das eigenartige Benehmen meines Freundes deuten zu können. War es ihm unangenehm, daß er einen weiblichen Gast im Hause hatte? Hatte er vermeiden wollen, daß ich etwas davon mitbekam?

„Oh, es tut mir leid, Frank, aber ich wußte nicht...“

Ich unterbrach mich, denn Frank schaute mich in diesem Augenblick voll an. In seinem Blick war so viel Verzweiflung und Leid zu lesen, daß mir der Atem versagte. „Du meinst, ich hätte eine Freundin im Hause?“

Ich hatte Mühe, mich aus dem Bann seines Blickes zu lösen. Betroffen starrte ich zu Boden. „Ich bitte dich, Frank, du bist mir doch weiß Gott keine Rechenschaft schuldig. Du bist frei, ein Witwer. Warum solltest du keine Freundin haben?“

Er lachte bitter. „Was sagtest du? Ein Witwer?“

Die Geräusche, die oben aus dem Bad kamen, verstummten, wie abgeschnitten. Ich wagte es wieder, aufzusehen. Ein irres Flackern war in Franks Augen, als er in seine Hausjacke griff und einen Brief zum Vorschein brachte. Er warf ihn mir zu. Es war das Schreiben, das Sie, Mr. Tate, inzwischen auch kennen, das Schreiben seiner verstorbenen Frau.

„Damit fing es für mich erst richtig an“, sagte er leise.

Erstaunt nahm ich den Brief in Augenschein. Wie schon erwähnt, dachte ich sofort an einen makabren Scherz, den sich irgend jemand erlaubte.

„Es ist kein Scherz!“ Frank sprach es mit Nachdruck. „Ich bekam noch mehr solcher Schreiben.“

Von oben ertönte ein girrendes Lachen.

„Das ist s i e !“ sagte Frank.

„W e r ist das?“ erkundigte ich mich konsterniert.

„Na - s i e ! Lady Ann, meine Frau, die ich dir damals in New York vorgestellt habe!“ Es klang hysterisch.

Eine Gänsehaut rieselte mir den Rücken herunter. Ich zweifelte ernsthaft an Franks Verstand. Aber wer hatte das Schreiben verfaßt? Etwa er selber - in seinem Wahnsinn?

Ein anderer Gedanke: War es gar möglich, daß es jemand darauf anlegte, den armen Frank in den Wahnsinn zu treiben?

Die weibliche Stimme hörte auf zu lachen. Einschmeichelndes Rufen folgte: „Frank! Liebster, wo bist du? Oh, meine Sehnsucht brennt so furchtbar. Frank! Fraaaaaank!“

Wir sprangen gleichzeitig auf.

„Komm mit, dann wirst du es selbst sehen!“ fauchte mich Frank an.

Wie betäubt folgte ich ihm über die Treppe nach oben. Ohne zu zögern riß Frank die Tür auf. Ich stand direkt hinter ihm und konnte ohne Schwierigkeiten das Innere des Bades überblicken.

Ich weiß heute nicht mehr, was ich erwartete. Vielleicht glaubte ich tatsächlich, eine nackte Frau zu sehen, was mir in dieser Situation sogar peinlich gewesen wäre?

Auf jeden Fall traf nichts meine Erwartungen.

Das Bad war nämlich leer!

*

Don Cooper hielt schweratmend inne. Er zog ein Taschentuch aus der Tasche und trocknete sich damit den Schweiß von der Stirn. Seine Augen glänzten fiebrig.

Ich war begierig, mehr zu hören, doch wollte ich den Mann nicht drängen. Noch war ich nicht sicher, ob die Geschichte wirklich etwas mit okkulten Phänomenen zu tun hatte. Dafür wußte ich noch zu wenig. Was Don Cooper bis jetzt erzählt hatte, war ohne Schwierigkeiten auch rein logisch zu erklären. Es brachte keine echten Anhaltspunkte. Vor allem das leere Bad nicht. Wer sagte denn, daß dieser Lord Burgess nicht einen Lautsprecher installiert hatte, mit dem er seinen Freund narrte - immer vorausgesetzt, dieser Cooper erzählte überhaupt die Wahrheit?

Ich schob alle Gedanken daran beiseite und wollte mich nicht in sinnlose Spekulationen ergehen. Das war jetzt nur störend. Ich wollte möglichst unvoreingenommen die Geschichte hören.

Ein Blick auf die Uhr. Es ging schon auf zehn zu, aber ich spürte kaum Müdigkeit. Wehmütig fast schaute ich zu meiner Koje hinüber. Mit dem Schlafen war diese Nacht wohl nichts.

Ich fixierte meinen Gast. Die Erinnerung an das leere Bad schien ihn reichlich mitgenommen zu haben.

Er fuhr endlich fort...

*

Nirgendwo auch nur ein Wasserspritzer. Der kleine Raum war völlig unbenutzt. Ich dachte zunächst an das Naheliegende, nämlich an einen Lautsprecher - genauso wie Sie vielleicht. Frank schien meine Gedanken zu erraten. Er winkte müde ab. „Wenn du willst, kannst du alles durchsuchen“, sagte er.

Aber dazu hatte ich keine Lust. Ich packte meinen Freund am Arm und sprach eindringlich auf ihn ein: „Was geht hier vor, Frank? Sage es mir, um Gottes willen. Brauchst du meine Hilfe?“

Er befreite sich aus meinem Griff und wandte sich zum Gehen. „Jetzt nicht mehr, Don!“ behauptete er. „Ich habe dich gebraucht - damals, als ich dir schrieb. Sind wirklich erst drei Monate seitdem vergangen? Mir kommt es vor wie Äonen. Es ist zu spät. Ich entgehe meinem Schicksal nicht mehr.“

„Was redest du denn da für einen Unsinn?“ regte ich mich auf und lief ihm nach. Wir gingen wieder in die Halle hinunter. „Ich erkenne dich nicht mehr wieder, Frank. Wo ist dein Wagemut, wo deine Abenteuerlust? Hör zu, mein Junge. Ich bin nach London gekommen, weil ich dort geschäftlich zu tun habe. Du weißt, ich habe immer irgendwo etwas Geschäftliches zu erledigen, wenn ich es auch verstehe, die Lücken dazwischen leidlich auszunutzen. Ich werde alles schießen lassen. Laß auch du alles stehen und liegen. Ich packe dich in meinen Wagen, dann brausen wir los. Erst einmal ins alte London. Von dort mit dem Schiff oder mit dem Flugzeug irgendwohin. Du mußt zu allem Abstand gewinnen.“

Er warf sich in seinen Sessel. „Nichts verstehst du, mein lieber Don, überhaupt nichts.“

Eine Tür öffnete sich. Der Greis, den ich schon beim Lieferwagen gesehen hatte, schlurfte mühsam herein. Seine wässrigen Augen waren auf Frank gerichtet. Mich ignorierte er. Frank sah auf. „Ach, du bist es, James. Bitte, nimm meinem Gast den Mantel ab.“

„Jawohl, Sir. Ich wollte Ihnen sagen, daß das Essen angerichtet ist.“

Er nahm mir den Mantel ab und schlurfte mit ihm zur Garderobe. Ich folgte ihm mit meinen Blicken. Der Alte gefiel mir irgendwie nicht.

„Ist der Bursche wieder weg?“ fragte Frank.

„Ja, Sir.“ Der Butler kam zurück, mit leeren Händen.

„Hast du ihm gesagt, daß wir auch morgen einen Gast haben?“

„Ja, Sir“, war die stoische Antwort.

„In Ordnung, wir werden kommen.“

Der Butler nickte und ging zur Tür. Die Stimme Franks hielt ihn noch einmal auf. „Was ist mit der Reinemachekolonne? Wann kommt s i e wieder?“

„Aber, Sir, sie war doch erst gestern da. Wir haben Samstag. Vor Montag ist nicht mehr mit ihnen zu rechnen.“

„Ach so. Na, ist gut.“

Der Alte wandte sich ab und verschwand.

Frank stemmte sich mühsam aus seinem Sessel.

„Liebling, bist du nicht mehr allein?“ flüsterte eine weibliche Stimme neben mir. Erschrocken fuhr ich herum, konnte aber beim besten Willen niemanden entdecken. Lord Burgess, mein Freund, schien nichts davon bemerkt zu haben. Ich sagte nichts. Ich schob das Erlebte meiner eigenen Nervosität zu.

Wir begaben uns in den Speisesaal. Eine halbe Kompanie hätte hier bequem zum Essen Platz gefunden. Dennoch gab es nur einen einzigen Tisch. Er war drei Yards lang, und ich sah nur zwei Stühle, je einen am Kopfende. Auf einen deutete Frank. Ich nahm Platz. Vor mir standen köstliche, dampfende Speisen. Ich würde lügen, würde ich versuchen, sie jetzt zu beschreiben. Ich registrierte sie lediglich am Rande. Meine Gedanken beschäftigten sich mit Frank, den ich heimlich beim Essen beobachtete.

Endlich standen wir wieder auf.

„Vielleicht ist es gut für dich, wenn du dich etwas hinlegst“, meinte der Lord. „Schließlich hast du eine anstrengende Reise hinter dir.“

„Ich denke gar nicht daran“, versetzte ich.

Frank zuckte mit den Achseln.

Als wir in die Halle kamen, waren unsere Drinks weg. Frank machte keine Anstalten, neue zu bereiten, und ich verlangte mir auch nichts.

„Wir sind unterbrochen worden“, sagte ich. „Wie war das mit deinen Bediensteten?“

„Sie gingen, wie gesagt. James blieb. Ich weiß nicht warum. Er gehört sozusagen zum Schloßinventar. Vielleicht deshalb. Für die Reinlichkeit des Hauses sorgt eine Kolonne von Putzfrauen. Dreimal in der Woche. Das Essen wird im Dorf besorgt. Du hast den Lieferwagen gesehen. Er kommt jeden Tag um die Mittagszeit. Die Speisen sind fertig. Sie brauchen nur noch serviert zu werden.“

„Du bist verrückt!“ konstatierte ich.

Die Antwort war überraschend: „Ich weiß!“

*

„Bitte“, sagte Don Cooper, „hätten Sie etwas zu trinken?“

Ich war nicht gerade erfreut über die neuerliche Unterbrechung, merkte aber selber, daß ich Durst hatte. Inzwischen wußte ich ja, was dieser Cooper bevorzugte: Ginger Ale, Whisky und viel Eis. Ich schloß mich dem an. In diesen Dingen bin ich nicht so festgelegt.

„Eine Zwischenfrage“, meldete ich mich zu Wort, nachdem Cooper versorgt war, „warum erzählen Sie mir das alles?“

Er gönnte mir einen erstaunten Blick. „Ich bat Sie doch um Hilfe.“

„Ja, das taten Sie, aber diese Hilfe beschränkte sich lediglich auf Ihre eigene Person. Sie aber erzählen mir von Ihrem Freund Lord Burgess.“

„Warten Sie's nur einmal ab!“ riet Don Cooper geheimnisvoll.

Ich fügte mich, da mir im Moment sowieso nichts anderes übrigblieb...

*

Der Rest des Tages verlief ereignislos, um nicht zu sagen langweilig. Frank zeigte mir sein Schloß, legte dabei aber wenig Interesse an den Tag. Das übertrug sich auch auf mich. Ich war fast froh, als endlich der Abend kam. Es gab im Hause einen Fernseher, doch ich beschloß, mich auf das mir zugewiesene Zimmer zurückzuziehen. Niemand hatte sich inzwischen um mein Gepäck gekümmert, was ich daher selbst besorgen mußte. Ich machte mir nicht die Mühe, alles auszupacken, denn ich ahnte schon, daß mein Aufenthalt nicht von Dauer sein würde.

Lange vor Mitternacht befiel mich eine unerklärliche Müdigkeit, obwohl ich die ganze Zeit putzmunter gewesen war. Ich schaffte es gerade noch, ins Bett zu kriechen. Sofort schlief ich ein.

Ich weiß nicht, wann es war. Ich erwachte. Der erste Gedanke: Du hast nicht das Licht ausgemacht, aber es brennt trotzdem nicht mehr! Also war jemand hier gewesen - und dieser Jemand schien sich noch im Zimmer zu befinden: Ich spürte es ganz deutlich. Da war plötzlich ein leises Scharren neben meinem Bett. Ich erschrak. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinem Rücken. Ich war unfähig, mich zu bewegen, und hielt den Atem an. Ein leise unterdrücktes Kichern war zu hören. Eine Stimme: „Fremder!“ Es klang wie der Ruf aus einem Grab. Eine Frau mußte es sein, die das Wort ausgesprochen hatte. Und wieder: „Fremder!“

Ich ließ pfeifend die angestaute Luft aus meiner Lunge entweichen. Das Geräusch erschreckte mich. Darüber erbost, stieß ich hervor: „Was soll das denn? Wieso haben Sie das Fenster abgedunkelt? Wer sind Sie überhaupt?“

Es war mir, als dringe ferne Musik zu mir. Sie klang unwirklich, wie von einer jenseitigen Welt.

„Fremder?“ Diesmal erschien das Wort wirklich wie eine Frage.

„Ich bin Don Cooper!“ sagte ich mit Nachdruck, um meine Nervosität zu überspielen.

Kichern. Die Stimme: „Ich erinnere mich. Frank machte uns miteinander bekannt. In New York?“

Meine Gänsehaut verstärkte sich. Jetzt erst erkannte ich die Stimme: Lady Ann, wie das Mädchen nach der Vermählung geheißen hatte!

An einen technischen Trick mochte ich jetzt nicht mehr glauben. Ein anderer Gedanke kam mir: Ann lebt noch! Entweder hat Frank gelogen, als er behauptet hat, seine Frau sei gestorben, oder jemand anderes liegt an ihrer Stelle im Sarg - allerdings ohne sein Wissen.

„Stimmt, es war in New York, Lady Ann!“ Nach außen hin erschien ich ruhig.

Abermaliges Kichern. „Ich weiß noch, daß Sie recht gut aussehen, Mr. Cooper - jedenfalls für meinen Geschmack. Doch nicht alle mögen dich, Sterblicher!“ Die Stimme, die vordem sanft und zart geklungen hatte - so, wie ich sie in Erinnerung hatte -, wurde auf einmal hart und eiskalt. Am Fußende des alten Bettes ertönte ein Fauchen. Mir war, als ginge gleichzeitig ein eisiger Hauch über mich hinweg. Unwillkürlich stellten sich mir die Haare zu Berg. Wiederholtes Kichern neben mir.

Ich verlor die Geduld, verdrängte meine Ängste und beschloß zu handeln. Blitzschnell packte ich zu. Ich wollte die vermeintliche Lady Ann festhalten und das Licht einschalten. Doch meine Hände griffen ins Leere. Da war nichts. Und doch wurde das Kichern nicht einmal unterbrochen. Es näherte sich meinem Gesicht. Vergeblich fuhren meine Hände durch die leere Luft. Es gab keinerlei Widerstand.

Mit einem erstickten Schrei sprang ich aus dem Bett. Ich mußte zum Lichtschalter, um Gewißheit zu bekommen.

Nichts und niemand hielt mich auf. Ich erreichte den Schalter. Ein Klicken. Das Licht flammte auf, das Grauen, das noch Sekundenbruchteile zuvor hier geherrscht hatte, hinwegfegend. Das Zimmer war offensichtlich leer! Ich suchte es ab, versäumte nicht einmal, unter dem Bett nachzusehen. Nichts! Absolut nichts! Ich schnappte mir meinen Morgenmantel und trat auf den Flur hinaus.

An Schlaf war im Moment nicht zu denken. Ich wollte dem Erlebten auf den Grund gehen. Ein Hasenfuß war ich zwar nicht, doch fand ich die Scherze, die man hier mit mir trieb, reichlich geschmacklos und übertrieben. Ich würde Frank aufsuchen, um ihm einmal ordentlich die Meinung zu sagen.

Auf halbem Wege hielt ich inne. Zwei Dinge wurden mir klar: Erstens wußte ich gar nicht mehr, wo Frank sein Zimmer hatte, und zweitens war gar nicht wahrscheinlich, daß man ihn für die Vorgänge verantwortlich machen konnte. Ich dachte unwillkürlich an meine alte Theorie, wonach es jemand darauf anlegte, Frank in den Wahnsinn zu treiben. Mit welchem Erfolg, hatte ich inzwischen selbst erlebt. Frank Burgess war nur noch ein Schatten seiner selbst, ein abgetakeltes Wrack, obwohl er nicht älter war als ich. Wie aber war es möglich, daß sich Frank den Attacken nicht widersetzt hatte? Der Grund konnte nur im plötzlichen Tod seiner Frau zu finden sein - der Tod, an den ich jetzt nicht mehr glauben mochte. Ich hielt ihn für fingiert - einfach, um einen Anhaltspunkt für meine Überlegungen zu haben.

Eine Frage tauchte in diesem Zusammenhang auf: Was war dann das Motiv für alles dies? Auch das ließ sich relativ leicht beantworten: Die in Wirklichkeit quicklebendige Lady Ann wollte ihren Göttergatten beerben. Man spekulierte möglicherweise darauf, daß Frank die Nerven verlor und sich vielleicht sogar das Leben nahm... Hundertprozent plausibel war diese Theorie zwar nicht, doch war ich im Moment vollauf damit zufrieden. Alles erschien mir klar und einleuchtend. Dabei ahnte ich noch nicht einmal, wie sehr ich mich auf dem Holzweg befand.

Etwas anderes beschäftigte mich noch: Warum hatte man es jetzt auch auf mich abgesehen? Wollte man mich von hier vergraulen, damit es niemanden gab, der Frank half? Auch das erschien auf den ersten Blick mehr als einleuchtend. Euch werde ich die Suppe gehörig versalzen! dachte ich grimmig.

Die Antwort auf diesen Gedanken war ein gellendes Gelächter, das mehrstimmig von den Wänden widerhallte und das ganze Haus zu erfüllen schien. Sein Ursprung befand sich in unmittelbarer Nähe. Das Licht in dem Flur brannte. Trotzdem konnte ich mir die Augen schier aus dem Kopf starren, ohne etwas Ungewöhnliches zu erkennen. Das Gelächter brach ab und machte rasselndem, asthmatischem Atem Platz. Schwere Schritte kamen auf mich zu. Gleichzeitig näherte sich das Atemgeräusch. Ich sah noch immer nichts. Der Unsichtbare, Unheimliche mochte sich nur wenige Armlängen von mir entfernt befinden. Unaufhaltsam kam er. Die Haare standen mir zu Berge, obwohl ich weiß Gott kein Hasenfuß bin. Ich wollte mich herumwerfen, dem Unheimlichen fliehen, doch war ein bösartiges Fauchen hinter mir, das mich erstarren ließ. Ich wagte es kaum, den Kopf zu wenden. Als ich es dann dennoch tat, war auch da nichts zu sehen.

„Ihr Verdammten!“ schrie ich außer mir. „So also habt ihr dem armen Frank die ganze Zeit zugesetzt? Aber nicht mit mir, hört ihr? Nicht mit mir! Mit diesem Mummenschanz könnt ihr nicht einmal eine Oma hinter dem Ofen erschrecken.“

Meine Worte hatten tatsächlich Erfolg: Es wurde schlagartig ruhig um mich. Meine Erleichterung bedarf keiner Beschreibung. Ich tupfte mir den kalten Schweiß von der Stirn und wandte mich ab. In diesem Augenblick legte sich mir eine schwere Hand auf die Schulter.

„Was...?“ begann ich. Frank kam mir in den Sinn. Hatte er mich gehört und wollte nach dem Rechten sehen?

„Frank?“ Keine Antwort. Ich schielte zu der Stelle, an der die Hand lag. Nein, das war nicht die Hand meines Freundes... Das Blut gerann mir schier in den Adern. Es war die halbverweste Rechte eines Monsters!

„Aaaah!“ Ich konnte diesen furchtbaren Schrei nicht zurückhalten, der sich über meine Lippen zwängte. „Aaaah!“ Blitzschnell griff ich nach der Hand. Sie fühlte sich widerlich an. Ich schleuderte sie von mir. Und da erst wurde mir bewußt, daß zu dieser Hand überhaupt kein Körper gehörte! Sie war abgehackt. Der Stumpf am Handgelenk war zerfranzt und bedeckt mit längst geronnenem Blut. Eine bestialisch stinkende Pestwolke ging von dem Ding aus.

Ich wich davor zurück, darauf stierend, unfähig, den Blick zu wenden. So entging mir nicht, daß in die Hand Bewegung kam. Erst zuckte sie leicht, wie jemand, der aus tiefem Schlaf erwacht. Dann richtete sie sich auf. Wie eine Spinne auf fünf dicken Beinen. Hin und her drehte sie sich, als wollte sie sich orientieren. Schließlich schien sie meiner wieder gewahr geworden zu sein. Langsam krabbelte sie näher. Es war mir einfach unmöglich, mich von der Stelle zu rühren. So hielt mich das Entsetzen gepackt. Was ich deutlich sehen konnte, erschien völlig unmöglich, widersprach aller Erfahrung, aller Vernunft.

Die krabbelnde, verwesende Hand erreichte mich. Mit einem neuerlichen Schrei trat ich danach. Ich wollte sie davonkicken, hatte mich aber total verschätzt. Die Hand war geschickter als geahnt. Im entscheidenden Augenblick gelang es ihr, sich an meinen Fuß zu klammern. Ich hatte das Gefühl, der Fuß befände sich in einem Schraubstock, der langsam zugedreht wurde. Schmerz raste durch mein Bein, breitete sich im ganzen Körper aus. Ich trat wie irrsinnig auf den Boden, um die Hand abzuschütteln oder zu zerquetschen. Sie ließ tatsächlich ab, doch nur, um an meinem Bein hochzuklettern. Sie schob sich unter mein Hosenbein, kam immer höher. Sie war eisig kalt und klebrig. In meiner Panik riß ich die Schlafanzughose, mit der ich bekleidet war, herunter. Da war sie, die Hand. Ich überwand meinen Widerwillen, meinen Ekel und griff danach. Sie krallte sich an meinen Oberschenkel und ließ sich nicht abnehmen.

„Ein nackter Mann!“ murmelte eine weibliche Stimme. Ich hielt unwillkürlich inne.

Zwei weitere Hände fühlte ich an meinem Leib, sanft, fast liebkosend. Die verweste Hand fiel prompt von mir ab, als habe sie alle Kraft verlassen. Mit einem klatschenden Geräusch traf sie auf den Boden.

„Frank, oh, Frank!“ Die Hände zogen sich zurück. Etwas wehte an mir vorüber. Es war nicht mehr als nur ein zarter Hauch, den ich spürte. „Ich suche dich. Warum lassen sie mich nicht zu dir? Warum lassen sie mich in Sehnsucht verbrennen?“ Die Stimme kam jetzt von weiter unterhalb des Ganges. „Ich liebe dich und möchte dich zu mir holen - für alle Ewigkeiten.“

Ich grapschte nach meiner Hose und zog sie wieder hoch, da ich mir auf einmal sehr lächerlich vorkam, wie ich so dastand. Dann eilte ich zu meinem Zimmer zurück, froh, endlich entronnen zu sein.

Erst als sich die Tür hinter mir schloß, konnte ich aufatmen. Ich trat ans Bett und hielt hier nach einem Lichtschalter Ausschau. Es gab einen. Am Abend, als ich zu Bett gegangen war, hatte ich ihn übersehen. Es handelte sich um einen Wechselschalter, der mit dem an der Tür gekoppelt war. Ich legte mich erschöpft auf das Bett, immer noch weiche Knie ob des Erlebten. Ja, ich schäme mich nicht, es zuzugeben. Ich, Don Cooper, habe Gott und die Welt gesehen, aber ich mußte daheim in England das nackte Grauen kennenlernen.

Jetzt war mir klar, warum sämtliche Bediensteten ihren Herrn Lord Burgess im Stich gelassen hatten. Was hatten denn sie hier erlebt? Und noch etwas wurde mir klar: Wieviel mein alter Freund durchgemacht hatte! Der dritte Punkt war: Ich war sicher, daß ich an seiner Stelle dem Wahnsinn nicht so lange widerstanden hätte!

Dabei sollte alles noch viel schlimmer werden für mich. Doch zu diesem Zeitpunkt wußte ich das noch nicht. Denn die Geisterstunde der ersten Nacht, die ich in dem Schloß verbrachte, war längst noch nicht zuende...

*

Die Erzählung nahm Don Cooper so mit, daß er schon wieder erschöpft innehalten mußte. Immer wieder fuhr er sich mit einer fahrigen Bewegung über die Stirn, als wollte er schlimme Gedanken und Bilder wegwischen, die sich dahinter befanden.

Sein Blick suchte den meinen.

„Ich will nicht fortfahren, ohne Ihre vorläufige Meinung zu der Sache zu hören.“

Ich war natürlich vorsichtig mit meinen Prognosen. Noch hatte ich keine Beweise. Don Cooper war ein Fremder, der mir eine haarsträubende Geschichte erzählte. Mehr nicht. Nur eines hatte ich inzwischen begriffen - oder glaubte ich begriffen zu haben: Egal, was wirklich passiert war - Don Cooper hatte panische Angst davor, daß es noch nicht abgeschlossen war, und suchte deshalb meine Hilfe - weil er sich einbildete, ausgerechnet ich würde dafür als einziger in Frage kommen.

„Woher nehmen Sie eigentlich den Optimismus, daß ich der Richtige bin, dem Sie das alles anvertrauen können?“

Er schaute mich fassungslos an. „Das fragen S i e ?“ Er konnte es offenbar nicht fassen.

„Ja, das frage i c h !“ entgegnete ich ungehalten. „Ich kenne Sie überhaupt nicht, Mr. Cooper. Sie sind mir zuvor noch nie begegnet. Die Geschichte, die Sie mir erzählt haben, mag wahr sein oder nicht, aber glauben sie wirklich, daß ich der geeignete Adressat dafür bin?“

Er brachte sogar ein verzerrtes Lächeln zustande. „Ja, das habe ich geglaubt, und jetzt w e i ß ich es sogar ganz sicher, Mr. Mark Tate. Sie haben es mir eben selbst bestätigt - ohne daß Ihnen das zu Bewußtsein gekommen ist: Jeder andere hätte mich nämlich gleich zum Teufel gejagt, hätte ich ihm eine solche Story aufgetischt. Sie aber hören mir zu. Mehr noch: Sie haben mich in Ihre Kabine gelassen, in der ich mich sicher fühle. Denn Sie kennen die Kräfte des Okkulten ganz genau. Nur einen einzigen Bericht habe ich von Ihnen gelesen. Damals. Es ist schon lange her. Doch ich bin sicher, daß dieser eine Fall, der bis in die Öffentlichkeit gedrungen ist, bei weitem nicht Ihr einziger in dieser Art war und - ist! Weshalb zum Beispiel fahren Sie auf diesem Schiff? Nur Urlaub? Nein, Mr. Tate, mir können Sie nichts mehr vormachen!“

Ich war wütend, denn ich fühlte mich durchschaut. Doch ich beherrschte mich, obwohl ich den Mann am liebsten sofort an die frische Luft gesetzt hätte. Er hatte einen Teil seiner Angst verloren, weil er sich in meiner Nähe sicher fühlte, und die alte Ruhe und Überlegenheit war in ihn zurückgekehrt. Damit war offenbar auch ein beträchtlicher Teil seines Denkvermögens neu erwacht. Er war im Moment eindeutig in der psychologisch überlegeneren Position, da er es genau verstand, mich zu nehmen und letztlich sogar auszunutzen. War es da ein Wunder, daß ich Groll verspürte? Diesem Groll war es wohl auch zu verdanken, daß ich sagte: „Wenn sie so klug sind und über mich so viel zu wissen glauben, dann dürfte Ihnen auch klar sein, daß ich meinen Preis habe.“

„Wie meinen sie das, Mr. Tate?“

Meine Wut war wieder am Abklingen, aber es gab jetzt kein Zurück mehr. „Ganz einfach, Mr. Cooper: Wenn Sie zu einem Rechtsanwalt gehen und um eine Auskunft ersuchen, dann kostet das etwas. Sie nehmen ebenfalls meine Zeit in Anspruch. Soll ich noch konkreter werden? Sie haben Ihren Job - und ich habe meinen.“

Don Cooper zeigte sich ganz verdattert. Er griff in die Innentasche seiner Jacke und zückte sofort ein dickes Scheckbuch. „Sie müssen wirklich entschuldigen, Mr. Tate, aber manchmal passiert es einem halt, daß man das Naheliegende vergißt. Ich habe mich Ihnen regelrecht aufgedrängt. Sie aber sind Privatdetektiv, und ich habe bereits Ihre Dienste weit über Gebühr in Anspruch genommen. Nennen Sie mir Ihren Preis, aber schicken Sie mich um Gottes Willen nicht wieder fort. Ich brauche Sie. Nur Sie können mich beschützen, da Sie dafür genügend Erfahrung haben - einschlägige Erfahrung.“

Ich kam mir etwas schäbig vor, ehrlich. Das hinderte mich dennoch nicht daran, ihm meine Tarife zu nennen, die sich sehen lassen konnten. Hatte ich die übliche abwehrende Reaktion erwartet, so sah ich mich jetzt angenehm enttäuscht, denn Don Cooper zuckte mit keiner Wimper und schrieb im Gegenteil eine Zahl auf den Scheck, die mich schwindlig machte. Es kam mir viel zuviel vor.

Trotzdem hätte ich den Mann vor die Tür setzen sollen. Es wäre noch rechtzeitig gewesen. Doch so ist das nun einmal im Leben: Wer kennt schon seine Zukunft? Sogar Hellseher sollen sich öfter geirrt haben... Zunächst zufrieden strich ich den dicken Scheck ein und verschwendete weiter weder Worte, noch Gedanken daran. Dabei konnte man mit keinem Scheck der Welt das wahre Grauen abgelten. Don Cooper gab mir einen Vorgeschmack davon, indem er in seiner Erzählung fortfuhr. Und er hatte mir noch einiges zu bieten, wie mir schien...

*

Ich versuchte einige Minuten lang, einzuschlafen. Vergeblich. Deshalb gab ich es endlich auf. Grübelnd lag ich im Bett. Meine Gedanken kreisten um das, was ich erlebt hatte. Schließlich rief ich mir Lady Ann ins Gedächtnis zurück. Deutlich sah ich sie vor meinem geistigen Auge, fast wie eine Fotografie. Ja, so hatte sie in New York vor mir gestanden. Sie lächelte. Dabei verschwand der Hintergrund der Szene wie im Nebel. Auch Frank war plötzlich nicht mehr da. Es schien, als hätte uns eine fremde Macht aus der Wirklichkeit gerissen - Lady Ann und mich. Sie lächelte stärker. Ich konnte meinen Blick nicht von ihren faszinierenden Augen lösen. Nein, die schönste Frau war sie nicht. Ich habe schönere gesehen. Aber diese Augen! Mein Herz schlug wie rasend, das Blut durch die Adern peitschend. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen, hob die Hand und streichelte das Gesicht, in dem diese Augen dominierten. Das Lächeln wollte nicht verschwinden. Es hatte etwas Wehmütiges. Ich war plötzlich überzeugt, daß sie mich begehrte. Die Zeichen waren überdeutlich. Und Frank war so weit weg. Und auch die Wirklichkeit war so fern. Und nur Lady Ann und ich waren - wir und unsere Leidenschaft. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen. Ich faßte sie an den Schultern und zog sie näher zu mir heran. Sie sträubte sich nicht, war nur allzu willig. Sie krallte sich an mir regelrecht fest, wie eine Ertrinkende.

Ich sah ihre roten Lippen, die sich öffneten wie der Blütenkelch einer roten Rose. Meine Gedanken verwirrten sich mehr und mehr, konzentrierten sich nur noch auf sie. Deutlich vermeinte ich das pochende Herz in ihrer Brust zu spüren. Der Kuß schien eine Ewigkeit zu dauern. Noch nie zuvor waren meine Gefühle so aufgepeitscht gewesen wie jetzt. Meine Hände gingen auf Wanderschaft. Die Hüften der Frau waren sanft geschwungen, die Taille schmal, der Ausschnitt verlockend. Ich schob eine Hand hinein, umschloß die kleine, zarte Knospenbrust, unter der das wilde Herz leidenschaftlich schlug. Sie stöhnte verhalten, drängte sich bebend an mich.

„Frank!“ hörte ich sie flüstern. „Frank!“ und immer wieder: „Frank!“

Es war ein Wort, das mich aus dem Strudel der Leidenschaft zu befreien begann. Meine Gedanken kehrten in die Wirklichkeit zurück. Noch hatten sie allerdings das Erwachen nicht ganz geschafft, als es mehrstimmig erklang: „Hure!“

Ich erschrak und merkte, wie sich der liebliche Körper in meinen Armen versteifte.

„Hure! Hure! Hure!“

Es kam von allen Seiten, drang auf uns ein wie Peitschenhiebe. Lady Ann löste sich aus meiner Umarmung. Bereitwillig gab ich sie frei. Mir schwindelte. Die ursprüngliche Szenerie um uns kehrte zurück. Da stand Frank. Er sprach auf mich ein. Im Hintergrund waren die anderen. Ich erinnerte mich: Eine Party. Lady Ann lächelte, während es um uns herum wisperte: „Hure! Hure! Hure!“

Ich begriff, daß es nicht die anwesenden Menschen waren.

Lady Ann lächelte unentwegt.

3. Kapitel

Es waren drei: Eine runzelige alte Frau und zwei finster dreinschauende alte Männer, ebenfalls in Totenhemden gekleidet. Sie waren durchsichtig. Deutlich konnte ich den antiken Schrank hinter ihnen durchschimmern sehen. Die Deckenbeleuchtung war erloschen, obwohl ich genau wußte, daß ich sie nicht ausgeschaltet hatte. Das gespenstische Leuchten, das den Raum erfüllte, hatte seinen Ursprung in den drei Gestalten. Sie fluoreszierten grün. Ich hatte das Gefühl, eine eiskalte Hand halte meine Kehle umpackt und schnüre mir die Luft ab. Ich rang nach Atem und versuchte des Entsetzens Herr zu werden, das mich beseelte.

Die drei Gestalten kamen näher. Ich erkannte, daß sie mit ihren nackten Füßen nicht den Boden berührten. Sie schwebten, denn sie bestanden nicht aus fester Materie. Für einen Moment nahm ich an, daß ich noch immer träumte, wie eine Minute zuvor die Umarmung mit Lady Ann. Ich tastete um mich, fühlte aber alles real. Nur die Atmosphäre war surreal, unwirklich. Ich kniff mir in die Hand und spürte deutlich den Schmerz. „Nein!“ ächzte ich und schüttelte verzweifelt den Kopf. Es durfte einfach nicht sein, was ich mit eigenen Augen zu sehen glaubte. Es gab keine Geister, keine solchen Erscheinungen.

Ich fixierte die Alte. Ihr Gesicht war zu einer bösartigen Grimasse verzerrt. Die Augen glühten, als schüre der Teufel persönlich ein Feuer in ihnen. Jetzt konnte ich auch die Konturen ihres Skeletts erkennen. In stoischer Gelassenheit kamen die drei heran. Die Alte berührte mit ihrem Totengewand das Fußende des Bettes. Die Materie des Bettes drang in sie ein, bis sie zu meinen Füßen verharrte, die ich ängstlich angezogen hatte. Die beiden Männer hatten sich getrennt und standen jetzt rechts und links von mir.

Die Alte sprach, mich dabei unverwandt anstarrend: „Wer bist du, und was suchst du hier?“

Ich rang nach Worten, brachte aber das Kunststück nicht fertig, zu antworten. Zu sehr hielt mich das Grauen in seinem eisigen Klauen gepackt. Zu einer Antwort kam ich ohnedies nicht: Im nächsten Augenblick erschütterte der Boden - rhythmisch, wie unter den Schritten eines Riesen. Und es schien tatsächlich ein Riese zu sein, der sich dem Zimmer näherte. Die Haare stiegen mir zu Berge.

Tapp! Tapp! Tapp!

Er hatte fast den Raum erreicht. Die Erschütterungen waren so stark, daß das Bett leicht hin und her geworfen wurde. Ich klammerte mich fest. Die drei Geister starrten mir ins Gesicht. Keiner sprach. Ihre Nähe erzeugte Kälte, und ich hatte entsetzliche Angst davor, sie könnten mich berühren. Doch noch entsetzlicher war das Annähern des Riesen. Vor der Tür verharrten seine Schritte. In das laute Atmen mischte sich bösartiges Knurren. Die Tür schwang auf, doch sie war durchsichtig dabei. Ich blinzelte, schaute noch einmal hin. Ja, die Tür war noch immer geschlossen. Was aufschwang, war sozusagen ihr Schatten. Mein Verstand kapitulierte ob dieses Phänomens. Und dann kam er herein: der Riese! Er mußte sich bücken, um mit seinem dichtbehaarten Schädel nicht gegen die Decke zu stoßen. Sein Gesicht war das Furchtbarste, was ich je in meinem Leben gesehen hatte. Es war völlig ohne Fleisch, ein behaarter Totenschädel, ohne Augen. In den Höhlen nistete teuflische Glut. Der wuchernde Vollbart, der bis zu der gewaltigen Brust ging, wuchs direkt aus den ausgebleichten Knochen.

Der Riese war in ein mittelalterliches Gewand gekleidet. Seine Hände erschienen halbverwest. Sie kamen mir bekannt vor. Dann erinnerte ich mich an die einzelne Hand, die mich draußen auf dem Flur attackiert hatte. Nur waren diese Hände hier viel größer. Sie hatten die Dimensionen von Kohleschaufeln und hielten ein mächtiges Beidhandschwert. Mit einem Knurrlaut hob er das Schwert und ließ es durch die Luft zischen. Es traf gegen die Wand, erzeugte dort eine tiefe Einkerbung, die sich wundersamerweise wieder richtete, als er das Schwert zurückzog.

Die drei Geister waren wie zur Salzsäule erstarrt. Sie regten sich nicht. Die Alte hatte ihren zahnlosen Mund halb geöffnet, als wollte sie etwas sagen. Doch kein Ton kam über ihre Lippen.

Der Riese stampfte näher, jetzt grollend. Abermals schwang er das Schwert durch die Luft. Es zischte, also war es teilweise real. Dicht fuhr es über meinen Kopf, daß ich meinte, es müßte mich treffen. Doch es traf die beiden Geister. Wie Puppen wurden sie von der Wucht des Schlages quer durch den Raum geschleudert. Und sie benahmen sich auch wie leblose Puppen. Sie prallten gegen die Wände und fielen zu Boden, regungslos, ohne Abwehr.

Ich war noch immer unfähig, etwas zu unternehmen. Da war wohl der starke Impuls zu Flucht in mir, allein, ich tat nichts als nur zuzusehen, was hier geschah. Als wäre ich nur unbeteiligter Beobachter, als würde sich alles vor mir abspielen wie ein Schauerfilm, der mir wohl das Grauen beibrachte, ansonsten aber mich nichts anging.

Den Riesen schien das Ganze köstlich zu amüsieren. Er lachte, daß die Wände wackelten. Schlagartig wurde er wieder wütend. Er starrte auf die drei durchsichtigen, grün fluoreszierenden Gebilde hinab, die zu seinen Füßen lagen.

„Wer hat euch erlaubt, herzukommen? Wer hat es euch erlaubt?“ Dann hob er den rechten Fuß, der mit einem aus weichem Leder bestehenden Stiefel bekleidet war, und trat auf die alte Frau. Das Schemen gab nach, bis zu einem gewissen Punkt, dann platzte es wie ein Ballon. Der laute Knall ging mir durch Mark und Bein. Fassungslos sah ich, daß der Riese mit den anderen beiden ähnlich verfuhr. Jetzt erst schien er meiner gewahr zu werden. Er wandte sich mir zu. Das Glühen in den leeren Augenhöhlen wurde stärker. Ein einziger Schritt, und schon stand er am Bett.

„Elender!“ grollte er. „Elender Sterblicher! Du wagst es, in diesem Hause zu nächtigen? Habe ich dich denn eingeladen? Dies hier ist m e i n Haus. Ich erschlage dich wie einen räudigen Hund und werfe deinen Kadaver den Schlangen zum Fraße vor.“ Das Schwert wirbelte, zischte dicht an meinem linken Ohr vorbei. Ich vermochte es nicht, auszuweichen. Der zweite Streich kam von oben. Schnell näherte sich das Schwert - schnell und unaufhaltsam.

*

Es berührte meine Nasenwurzel, zuckte durch mich hindurch. Rasender, unbeschreiblicher Schmerz. Ich fühlte mich regelrecht zerteilt. Doch starb ich nicht. Das Geister-Schwert blieb in Bauchhöhe stecken. Zu glühen schien es und mich von innen heraus zu verbrennen. Der Riese zog es zu sich heran. Ich stierte darauf, stierte auf die Schneide, die meinen Bauch verließ. Kein Blutstropfen. Die Schneide funkelte wie zuvor. Und der Schmerz verebbte wieder, verlor seine höllische Intensivität.

Ein klagender Laut. Er drang aus der nichtmenschlichen Kehle des Riesen. Und noch etwas hörte ich: Eine ferne Kirchturmuhr schlug das Ende der Mitternachtsstunde! Der Riese wurde deutlich kleiner. Er schien in sich zusammenzuschrumpfen. Das Glühen in seinen Augenhöhlen wurde zu einem lodernden Feuer. Ein letztes Mal flackerte es auf, um zu erlöschen. Der Riese fiel in sich zusammen und wurde zu einem leuchtenden Häufchen, das immer winziger wurde, bis es mit einem ekelhaft schlürfenden Geräusch verschwand, wie vom Fußboden weggesaugt. Das Licht an der Decke brannte wieder. Alles war wie vordem. Die ferne Kirchturmuhr hörte auf zu schlagen. Ich sank auf mein Bett zurück.

Sofort kam ich wieder zu mir und schaute mich verständnislos um. Frank stand über mir, bleichen Antlitzes. Wie war er so plötzlich hergekommen? Oder hatte ich geschlafen, ohne mich erinnern zu können?

„Mein Gott!“ stammelte ich, „was war d a s denn gewesen?“

„Meine lieben Verwandten!“ antwortete Frank trocken, und ich sah ihn dabei wahrscheinlich an wie den Leibhaftigen.

*

„W i e war das?“

„Die Verwandten, sagte ich!“ Frank setzte sich unaufgefordert auf den Bettrand.

„Weißt du jetzt, warum mir nur der alte Diener geblieben ist? Warum mich alle anderen Bediensteten verlassen haben?“

„Ja“, antwortete ich schwach. „Aber ich werde dich dennoch nicht im Stich lassen.“

Er lachte. Es klang fast geringschätzig. „Tu, was du nicht lassen kannst, mein Freund. Helfen kannst du mir doch nicht. Niemand kann mir mehr helfen.“

„Warum gehst du nicht einfach von hier fort?“

„Wenn das so einfach wäre... Nein, sie würden mich überall finden, überall!“

„Ich verstehe das alles nicht. Was sind das für Verwandte? Vorfahren, Verstorbene, Verdammte, die keine Ruhe finden können?“

Frank nickte. „Sie erschienen, als ich mit meiner jungen Frau hier einzog. Ich habe alle Warnungen diesbezüglich in den Wind geschlagen. Ich dachte, wir leben schließlich im Aufbruch zum einundzwanzigsten Jahrhundert, in einer Zeit, in der Dinge wie Geisterglauben längst als Unsinn entlarvt worden sind. - Ich irrte mich. Hätte ich nur auf die Warnungen meiner Eltern gehört... Unser Geschlecht hat einst die gesamte Gegend beherrscht. Aber da war etwas in der Vergangenheit... Es gibt einen Fluch auf unserer Familie. Unser Einfluß ging zurück. Nur das Vermögen blieb. Es gibt einige Fabriken, im ganzen Land verteilt, die mir noch gehören. Ich brauche mich um nichts zu kümmern. Es gibt Treuhänder, die alles für mich verwalten. Das einzige, was mir bleibt, ist zu kassieren. Ein angenehmes Leben, möchte man wohl meinen, aber mit einem Fluch belastet: Mit dem Fluch, daß nur eine sogenannte WÜRDIGE Frau die Mutter meiner Kinder werden darf.

Ich aber erwählte Lady Ann, und diese erschien meinen verdammten Vorfahren nicht als würdig genug. Als wir hier einzogen, war sie bereits schwanger. Sie hat Furchtbares durchgemacht, und ich stand ihr nicht bei. Weil ich ihr nicht glauben konnte - und wollte. Meine lieben Anverwandten, die noch immer in diesen Mauern herumgeistern, nahmen sich ihrer an. Sie trieben sie praktisch in den Wahnsinn. Und dann kam der Tag der Geburt und gleichzeitig der Tag ihrer Erlösung - dachte ich wenigstens: Sie starb im Kindbett. Herzschlag, wurde diagnostiziert. Der Tod erfolgte nicht hier, sondern im Krankenhaus, in der Kreisstadt. Ich ließ sie dorthin bringen, weil ich sie von den Ängsten befreien wollte, die sie hier immer ausgestanden hat.

In jener Nacht war ich bei ihr. Im Krankenhaus war sie wie umgewandelt. Ihr Gesicht drückte Frieden aus. Es war zur Mitternachtsstunde, als sie mich um etwas zu trinken bat. Ich ging hinaus und zur Nachtschwester. Kaum war ich weg, als ein gräßlicher Schrei die Klinik in Aufruhr brachte - ein Schrei, der gar nicht mehr abreißen wollte. Die Schwester und ich rannten sofort zu meiner Frau zurück. Da lag sie, in unnatürlicher, verrenkter Haltung, das Gesicht unmenschlich verzerrt. Ihre gebrochenen Augen starrten mich vorwurfsvoll an.

Es war dies ein entsetzlicher Schock für mich. Der Arzt mußte mir ein starkes Beruhigungsmittel geben. Ich kehrte am Morgen hierher zurück. Alles war normal, wie mir schien. Ich vergrub mich im Arbeitszimmer, hing meinen düsteren Gedanken nach. Irgendwann mußte ich eingeschlafen sein. Als ich erwachte, schlug die Wanduhr Mitternacht. Fast vierundzwanzig Stunden war meine geliebte Frau nun schon tot.

Ein furchtbarer Riese näherte sich dem Arbeitszimmer und trat auf geheimnisvolle Weise ein. Er schüttelte seine mächtige Faust gegen mich und schwor mir grollend Rache. Du kannst dir denken, was das für ein Erlebnis für mich war. Von diesem Zeitpunkt an gab es keine Ruhe mehr für mich. Ich bin im Teufelskreis gefangen, ohne die Chance, zu entrinnen.“

„Aber wie ist der Fluch entstanden?“ begehrte ich auf. „Ich begreife das alles nicht.“

Er wandte den Kopf ab. „Ich - ich weiß überhaupt nichts über den Fluch“, wich er aus, und ich kannte ihn gut genug, um zu merken, daß er mich belog. Doch drang ich nicht weiter in ihn ein. Er würde seine Gründe haben, wenn er mir noch nicht alles erzählen wollte.

„Was ist eigentlich mit dem Geist von deiner Frau? Ich habe den einen Brief gesehen. Hat sie noch öfter geschrieben?“

„Ja!“ gab er zögernd zu.

„Was war der Inhalt der Briefe?“

„Bitte, Don, frage mich nicht danach!“ bat er mich.

Es blieb mir nichts anderes übrig, als seinen Wunsch zu respektieren.

Er stand auf. „Ich kann dich jetzt allein lassen. Es wird nichts mehr geschehen in dieser Nacht“, sagte er und trat hinaus. Ich hatte den Eindruck, als würde er dabei weinen, doch wandte er mir nicht das Gesicht zu, weshalb ich das nicht mit Bestimmtheit sagen kann.

Kaum war ich allein, flüsterte jemand neben mir: „Ich komme wieder, Fremder!“ Es war die zärtlich klingende Stimme von Lady Ann, die nun schon ein gutes Vierteljahr tot war. Ich konnte eine neuerliche Gänsehaut nicht verhindern.

Später löschte ich das Licht und versuchte zu schlafen. Es gelang mir erst, als der Morgen schon graute. Deshalb schlief ich auch bis zum frühen Nachmittag.

*

Auch auf der „REGINA“ war inzwischen die Mitternachtsstunde angebrochen, als Don Cooper sich unterbrach. Wir tranken schweigend. Seltsam, ich erwartete, daß jeden Moment etwas geschah. Damit stand ich augenscheinlich nicht allein. Don Cooper hatte seine alte Übernervosität und Ängstlichkeit zurückerlangt. Keine Sekunde konnte er ruhig sitzen. Immer wieder irrte sein Blick umher. Doch nichts passierte. Es blieb alles ruhig.

Schritte kamen den Gang entlang. In der Stille waren sie deutlich zu hören. Stimmen: Passagiere, die an der Kabine vorbeikamen und ihren eigenen Kajüten zustrebten. Späte Besucher der Schiffsbar vielleicht. Ich entspannte mich wieder. Don Cooper leerte sein Glas. Ich mußte ihm nachgießen. Wir hatten in den letzten Stunden viel getrunken, fast zuviel. Dennoch fühlte ich mich nüchtern - durch das Erzählte.

Ich beschloß, die Stille zu durchbrechen. „Es ist schade, daß ich keinen Beweis für das habe, was Sie mir berichtet haben.“

Er musterte mich. „Sie haben den Brief von Lady Ann gesehen - den ersten Brief. Lord Burgess hat ihn mir überlassen. Das heißt, ich habe ihn einfach behalten. Doch er hat ihn nicht zurückverlangt.“

„Glauben Sie wirklich, daß das genügt? Lady Ann könnte leben und den Brief geschrieben haben. Ein kleiner Scherz, ganz harmlos. Schließlich kenne ich weder den Lord, noch seine Frau. Daß es sie gibt und daß die Lady nicht mehr unter den Lebenden weilt, weiß ich nur aus Ihrem Munde.“

„Was soll das eigentlich? Warum sagen Sie das?“ Cooper schnaubte verächtlich. „Beweise!“ machte er gedehnt. „Was ist mit dem Scheck, den ich Ihnen gegeben habe? Glauben Sie, ich hätte Geld zu verschenken?“

Nein, das glaubte ich wirklich nicht. Deshalb blieb ich die Antwort schuldig. Ich wartete, daß Don Cooper fortfuhr. Obwohl ich es nicht zugeben wollte: Ich zweifelte in Wirklichkeit überhaupt nicht an seinem Bericht. - Nun, es blieb natürlich durchaus die Wahrscheinlichkeit, daß ich es hier mit einem Irren zu tun hatte. Es wird sich alles zeigen, beruhigte ich mich und konzentrierte mich auf den Mann. Es war mir inzwischen längst aufgegangen, daß Cooper noch einen konkreten Auftrag für mich haben würde. Und dieser Auftrag mußte zwangsläufig alles zutage fördern. Dessen war ich mir gewiß. Und Don Cooper fuhr endlich fort...

Noch eine Nacht war er auf Schloß Pannymoore gewesen, und in dieser Nacht war er endgültig zu diesem Nervenbündel geworden, als das er mir jetzt erschien...

*

Wie schon erwähnt, Mr. Mark Tate, schlief ich bis zum Nachmittag. Es mochte zwei Uhr gewesen sein, als ich endlich die Decke beiseite warf und das Bett verließ. Ich fühlte mich benommen und alles andere als ausgeschlafen. Die Ereignisse der letzten Nacht hatten ihre Spuren hinterlassen. Am liebsten hätte ich mich wieder hingelegt, und ich brauchte Überwindung, mich vom Bett abzuwenden.