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Dieses Buch enthält folgende Romane: (499) W. A. Hary: Das Gespenst von Soho W. A. Hary: Göttin der Finsternis W. A. Hary: Lockruf der Hölle W. A. Hary: Die Hexenfehde W. A. Hary: Die Schrecken vom Nebelland John Devlin: Jeffrey Cardwell und das Mädchen mit den Smaragdaugen Alfred Bekker: Apokalyptische Reiter Jo Zybell: Tom Percival und die Priester des Baal Alfred Bekker: Eine teuflische Fähigkeit Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe.
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Seitenzahl: 936
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9 Gruselkrimis im Horror Bundle Oktober 2024
Copyright
Das Gespenst von Soho
Göttin der Finsternis
Lockruf der Hölle
Die Hexenfehde
Die Schrecken vom Nebelland
Jeffrey Cardwell und das Mädchen mit den Smaragdaugen
Apokalyptische Reiter
Tom Percival und die Priester des Baal
Eine teuflische Fähigkeit
Dieses Buch enthält folgende Mark Tate Romane:
W. A. Hary: Das Gespenst von Soho
W. A. Hary: Göttin der Finsternis
W. A. Hary: Lockruf der Hölle
W. A. Hary: Die Hexenfehde
W. A. Hary: Die Schrecken vom Nebelland
John Devlin: Jeffrey Cardwell und das Mädchen mit den Smaragdaugen
Alfred Bekker: Apokalyptische Reiter
Jo Zybell: Tom Percival und die Priester des Baal
Alfred Bekker: Eine teuflische Fähigkeit
Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Alles rund um Belletristik!
W. A. Hary
...und was sich hinter der schönen Laura sonst noch verbirgt!
Als sie erwachte, wusste sie, dass alles anders war: das Zimmer, das Bett - die ganze Umgebung. Ja, sogar sie selbst! Sie war eine völlig andere geworden und hatte keine Erklärung dafür.
In Schweiß gebadet richtete sie sich auf. Das Zimmer war schäbig, aber das schien zu ihrer Persönlichkeit zu gehören. Sie warf die schmutzige Decke beiseite und ließ die Beine aus dem Bett baumeln. Es waren hübsche Beine. Ihr Anblick weckte in der Frau das Bedürfnis, sich ganz zu betrachten. Sie wollte wissen, wie sie jetzt aussah.
Sie zog das Nachthemd über den Kopf und ließ es achtlos zu Boden fallen. Drüben war ein verdreckter, mannshoher Spiegel, vor den sie sich stellte. Sie war nackt und - schön. Sie hatte feste, hoch angesetzte Brüste, fein geschwungene Hüften, einen straffen wohlgeformten Körper. Alles war am richtigen Platz. Kein Pölsterchen war zu viel oder zu wenig.
Nur war sie ungepflegt. Die Haare hingen strähnig herab.
Während sie den ihr fremden Körper betrachtete, hörte sie Schritte vor der Tür. Alarmiert lauschte sie. Die Schritte näherten sich dem Zimmer.
Die junge Frau schämte sich ihrer Nacktheit, lief zum Nachthemd und streifte es rasch über - obwohl es unangenehm nach Schweiß roch und sie sich überwinden musste.
Sie schaffte es gerade rechtzeitig, ehe die Tür aufgestoßen wurde. Ein Mann. Er war groß, breitschultrig, genauso ungepflegt wie die junge Frau, hatte brutale Gesichtszüge, ein Stoppelkinn, einen verwegenen Oberlippenbart, dichtes, welliges Haar - ja, wären nicht die falschen Augen und die harten Züge gewesen, man hätte ihn als sehr gut aussehend bezeichnen können.
Die junge Frau, die nicht wusste, wer sie war und woher sie kam, hatte Angst vor diesem Mann.
»Was gaffst du so?«, fuhr er sie an. »Mach dich fertig, du Schlampe und beeile dich gefälligst. Du weißt, was wir vorhaben!«
Er drehte sich herum und ging wieder hinaus.
Die Angst vor dem Mann blieb. Die junge Frau wäre am liebsten davongelaufen, aber sie wusste nicht einmal, wo sie sich überhaupt befand.
Sie trat zum Schrank und öffnete ihn. Er quoll über von Kleidern. Die meisten wirkten übertrieben bunt und auffällig.
Allmählich begann die junge Frau zu begreifen, in welchem Milieu sie sich befand. Der Mann hatte ein besonderes Englisch gesprochen. Ein Dialekt, der nur an einer Stelle in dieser Welt Verwendung fand: Im Stadtteil Soho, inmitten Londons.
Die junge Frau befand sich in der Halbwelt von Kriminalität und Prostitution.
Sie war eine Prostituierte!
Der Schock über diese Erkenntnis war so schlimm, dass sie sich keuchend an der Schranktür festhielt, um nicht zusammenzubrechen. Die Schranktür hielt das nicht aus und riss ab. Mit lautem Poltern fiel die junge Frau zu Boden.
Da tauchte der Mann wieder auf. »Jetzt ist aber genug, du elende Hure.« Er ballte die Hände zu Fäusten und trat auf sie zu.
Sie schrie panikerfüllt, als eine dieser furcht erregend großen Fäuste auf sie zuschoss.
Er zielte nicht nach ihrem Gesicht, denn das schien an diesem Tag noch eine wichtige Rolle zu spielen. Sie spürte es unterbewusst. Wahrscheinlich war es nicht das erste Mal, dass der Mann sie schlug. Er nahm immer Rücksicht auf das Gesicht. Weil sie eine Prostituierte war?
Sie wich blitzschnell aus. Die Faust traf nur die abgerissene Schranktür und ließ das Holz splittern.
Jetzt schrie der Mann: Vor Wut, Schmerz und Enttäuschung. Er holte wieder aus und nahm keine Rücksicht mehr auf ihr Gesicht. Er schlug blindlings zu, um zu bestrafen und sich zu rächen. Er war ein Mann, der in diese Halbwelt von Brutalität, Menschenverachtung, Grausamkeit und Verwahrlosung passte. Er war hier geboren, aufgewachsen und kannte nichts anderes.
Er würde auch töten, ohne jemals Gewissensbisse darüber zu verspüren.
Vielleicht hatte er das sogar schon getan?
Die junge Frau war sein Eigentum, mit dem er tun und lassen konnte, was er wollte und das niemals eigenen Willen entwickeln durfte.
Bisher hatte das auch immer funktioniert, wie es aussah, aber jetzt war die junge Frau nicht mehr gewillt, dieses grausame Spiel mitzumachen. Sie hatte Angst und wehrte sich mit dem Mut der Verzweiflung. Auch dem zweiten Schlag entkam sie. Die junge Frau sprang auf und trat mit dem Fuß nach dem Mann.
Ganz am Rande registrierte sie: Ich bin nicht nur schön, sondern auch beweglich und sportlich.
Und ich bin stark - für eine Frau ungewöhnlich stark, wie eine durchtrainierte Sportlerin.
Der Tritt traf den Mann am Kinn und raubte ihm den Atem. Stöhnend landete er am Boden. Er rollte sich herum und wollte sich wieder aufrichten.
Die junge Frau wusste, dass sie keine Gnade walten lassen durfte. Jetzt hatte sie keine Angst mehr. Sie trat zum zweiten Mal zu, ohne Bedenken, nur diktiert von der Notwendigkeit des Augenblicks.
Abermals blieb dem Mann die Luft weg. Er presste die Hände in den Bauch, wo sie ihn getroffen hatte. Sein Gesicht lief bläulich an. Er verdrehte die Augen.
Sie lachte heiser und sagte im gleichen Jargon wie der Mann: »Da staunst du, was? Willst du noch mehr? Dann kannst du ja mal versuchen, mich noch einmal zu schlagen.«
Es war keine wirkliche Aufforderung, aber der Mann sah sich noch lange nicht als der Unterlegene. Er glaubte an einen üblen Zufall, weil er nicht begreifen wollte, dass seine Freundin plötzlich einen eigenen Willen besaß und es sogar wagte, sich ihm zu widersetzen.
Er war schließlich ein Mann und körperlich überlegen.
Die junge Frau trat zurück und wartete, bis er aufgestanden war. Er schwankte hin und her. Es dauerte eine Weile, bis er sich soweit erholt hatte, dass er zu einem erneuten Angriff fähig war. Mit einem Wutschrei stürzte er sich auf seine Freundin.
Sie rührte sich nicht von der Stelle, bis er nahe genug heran war.
Sein Angriff war zu plump. Er hatte nicht die geringste Chance gegen sie. Er vertraute zu sehr auf seine überlegene Muskelkraft.
Die junge Frau wich gedankenschnell zur Seite hin aus und hieb ihm mit der Handkante in die Nieren. Er taumelte an ihr vorbei. Sie vollführte eine halbe Drehung, sprang hoch und trat mit zwei Füßen gleichzeitig zu.
Der Mann wurde im Nacken getroffen, nach vorn getrieben und prallte mit dem Kopf gegen die gegenüberliegende Wand. Langsam rutschte er herunter und blieb in kauernder Stellung und stöhnend am Boden.
Diesmal dauerte es sehr lange, bis er sich einigermaßen erholt hatte und dann reichte es nur dazu, sich mühsam herumzudrehen und sie anzustarren und in diesem Blick lag nackte Furcht.
Das war in ihrem Sinne. Sie stellte sich vor ihn hin und lachte ihm ins Gesicht. »Das hättest du nicht erwartet, was? Von heute an herrschen hier andere Sitten, mein Lieber!«
»Was - was ist los mit dir, Laura?«
»Hast du das noch nicht gemerkt? Ich werde nicht mehr für dich auf den Strich gehen, mein Lieber. Aber das ist noch nicht alles. Den Rest werde ich dir noch rechtzeitig sagen. Aber jetzt pack deine lahmen Knochen zusammen und hau ab. Du kannst für ein ordentliches Frühstück sorgen, während ich mich fertig mache.«
Auf allen vieren kroch er hinaus.
Laura warf die Tür hinter ihm zu. Sie trat wieder vor den Spiegel und betrachtete sich.
»Ich heiße also Laura«, murmelte sie verloren. »In was bin ich da hineingeraten?«
Ein Blick zur geschlossenen Tür. »Ich glaube, Kerl, du wirst mir noch Schwierigkeiten machen, denn du hast noch nicht ganz begriffen, was hier los ist. Entweder du passt dich der neuen Situation an oder ich werde dich beseitigen. Dies ist das Gesetz von Soho. Ich bin gezwungen, mit diesem Gesetz zu leben und werde es anwenden - genauso rigoros wie alle anderen in diesem verdammten Viertel, in dem Dreck und Elend triumphieren. Denn ich befinde mich in einem anderen Körper und weiß nicht wieso.«
Laura suchte sich Kleider aus dem Schrank, die einigermaßen sauber waren und nicht so auffallend. Dann öffnete sie die Tür und spähte auf den Flur hinaus. Aus der Küche kamen Geräusche. Der Schreck saß dem Mann so sehr in den Gliedern, dass er ohne Murren das Frühstück bereitete, wie Laura es ihm aufgetragen hatte.
Laura nagte an der Unterlippe. Wo befand sich das Bad? Gab es das überhaupt in dieser Wohnung?
Sie öffnete die nächst beste Tür und hatte Glück: Natürlich war es ein Bad, aber es war schon sehr lange nicht mehr als solches benutzt worden. Die Wanne quoll über von schmutziger Wäsche. Es stank gotterbärmlich.
Laura hatte sich geschworen, sich nicht unterkriegen zu lassen und das Beste aus ihrer unmöglichen Situation zu machen. Sie überwand tapfer ihren Widerwillen, schloss die Badezimmertür ab und warf erst einmal die schmutzige und stinkende Wäsche aus der Wanne. Dann drehte sie das Wasser auf. Als sie endlich unter dem reinigenden Wasserstrahl stand, fühlte sie sich schon ein wenig besser. Jetzt machte ihr auch der Gestank nicht mehr soviel aus.
Ob ich überhaupt von dem Frühstück etwas essen kann?, überlegte sie auf einmal. Wenn es auch in der Küche so aussieht...
Sie duschte ausgiebig und zog sich an. Als sie das Bad verließ, fühlte sie sich fast wie ein neuer Mensch.
Als wenn ich das nicht schon wäre!, dachte sie ein wenig erheitert. Bis ihr der Ernst der Situation wieder voll zu Bewusstsein kam.
Ich muss zunächst einmal herausfinden, wo genau ich mich befinde und was hier vorgeht. Dann erst, wenn ich über alles Bescheid weiß und mich behaupten kann, kümmere ich mich darum, wer ich wirklich bin. So wahnsinnig es klingt: Ich bin sicher, jemand anderes zu sein, der eine Art Seelenwanderung durchgemacht hat und sich plötzlich in einem völlig fremden Körper wieder findet. Ich weiß nichts über das, was vorher war - nicht einmal, ob ich vorher als Mann oder als Frau herumgelaufen bin, geschweige denn, welches Alter, welchen Beruf, welchen Namen und dergleichen ich hatte.
Sie betrat die Küche. Hier war es nicht ganz so schlimm. Die Küche war sogar einigermaßen sauber und aufgeräumt.
Der Mann saß hinter dem Tisch. Sein Gesicht war unnatürlich bleich und seine Augen flackerten. Er hatte noch immer Angst. Das Frühstück stand auf dem Tisch: Kaffee, aufgewärmte Brötchen, Wurst, Butter, Käse, Marmelade und eine Portion Cornflakes. Es gab zur Auswahl sogar Obstsäfte und Milch.
Ein englisches Frühstück!, dachte Laura und merkte, wie hungrig sie war.
Sie leckte sich über die Lippen und hatte nur noch Augen für das Essen. Langsam schritt sie näher. Der Stuhl war zurechtgerückt. Der Mann hatte aufmerksam für alles gesorgt.
Doch kaum wollte Laura sich setzen, als er plötzlich seine rechte Hand hob, die er vorher nicht sichtbar auf dem Schoß hatte ruhen lassen.
Diese Hand war nicht leer. Sie hielt einen Revolver mit kurzem Lauf: Einen Smith & Wesson. Laura kannte dieses Modell und wusste nicht einmal woher.
Sie konnte kämpfen und kannte sich mit Waffen aus. Das musste mit ihrer eigentlichen Persönlichkeit zusammenhängen, denn diese Laura war wahrscheinlich ein dummes, unterdrücktes Ding, das vom Schicksal und von ihrem Freund nur Tritte und Hiebe bekommen hatte.
Der Mann ließ Laura in die Mündung des Revolvers blicken.
»Stop!«, befahl er rau. »Jetzt hat das Spiel ein Ende, Laura! Du sagst mir jetzt, was mit dir los ist. Hast du 'nen anderen Kerl, der dir sagt, wie du dich mir gegenüber zu verhalten hast? Heute Nacht warst du doch noch normal gewesen.«
Sie lächelte - trotz des drohenden Revolvers. Sogar der Spannhahn war zurückgezogen. Der Mann brauchte nur den Abzug zu betätigen. In dieser Gegend konnte ruhig am helllichten Tag ein Schuss fallen. Darum kümmerte sich kein Mensch. In einem solchen Sumpf hatte jeder genug damit zu tun, dass er selber nicht unterging.
»Als wäre ich eine völlig andere, die nur genauso aussieht wie Laura, nicht wahr? Wer weiß? Vielleicht bin ich Lauras Zwillingsschwester und kletterte vorhin durch das Fenster herein, um Lauras Platz einzunehmen?«
Seine Backenmuskeln spielten. »Ich glaube, ich muss dich töten, denn du bist eine Gefahr für die Sache.«
»Du kannst dich wohl nicht entscheiden, was? Wird aber langsam Zeit, Freundchen. Drück ab oder du kannst mich mal!«
Nein, ich bin es nicht gewöhnt, mich so auszudrücken, dachte sie, aber es ist die einzige Sprache, die der Kerl versteht.
Sie trat zwei Schritte zurück und drehte sich tänzelnd um sich selbst. »Willst du mich so nicht mitnehmen? Du sagtest, ich sollte mich fertigmachen, damit ich mit dir gehen kann. Nun, wie gefällt dir das? Und ich habe sogar die Haare gewaschen.«
Der Kerl war irritiert. Sie kam wieder zum Tisch und ließ wie zufällig die Hände herabbaumeln. Ihre Hände berührten die Tischkante, packten blitzschnell zu und schleuderten den Tisch gegen den Mann. Ein Schuss löste sich krachend. Die Kugel bohrte sich mühelos durch die Tischplatte und ließ den Verputz von der Wand rieseln. Durch den Aufprall des Tisches verlor der Mann den Halt und fiel mit dem Stuhl um. Laura ließ ihm keine Bedenkzeit. Sie umrundete den Tisch. Der Mann versuchte, sich von der Last zu befreien und seinen Revolver erneut auf Laura anzulegen. Laura wartete nur so lange, bis die Schusshand zum Vorschein kam. Dann packte sie zu und entwand ihm die Waffe.
Ich kann damit umgehen!, dachte sie, überprüfte kurz die Trommel und legte ihrerseits an.
Der Mann stöhnte auf, als er Laura mit dem Revolver sah.
»Schade um das Frühstück. Ich hätte es mir harmonischer vorgestellt«, sagte sie. Und dann: »Los, aufstehen, aber ein bisschen plötzlich! Ich knalle dich über den Haufen wie einen räudigen Hund, wenn du noch einmal versuchst, mich aufs Kreuz zu legen. Deine verdammte Laura hat dich die ganze Zeit über zuviel verwöhnt, scheint mir. Das hat jetzt ein Ende, schätze ich.«
Er stöhnte wieder auf und kroch unter dem Tisch hervor. Er war über und über mit Milch, heißem Kaffee und Obstsaft besudelt, aber Laura zwang ihn, ein neues Frühstück zu machen und den ganzen Unrat aufzuwischen.
Mit einem schadenfrohen Grinsen beobachtete sie ihn. Als er fertig war, setzte sie sich ihm gegenüber und legte den Revolver neben den Teller.
»Willst du nichts essen?«, fragte sie.
Er schluckte schwer. Dann schüttelte er den Kopf. Sie brach von dem Brot ab und reichte es ihm: »Vorkosten!«
Er gehorchte widerstrebend.
Laura ließ ihn von allem kosten. Erst dann war sie sicher, dass er nicht versucht hatte, sie zu vergiften.
Er war ihr gegenüber ein Feigling, aber noch größer als seine Feigheit war sein Wille, sich keiner Frau unterzuordnen. Laura wusste, dass sie diesen Willen brechen musste, wenn sie hier weiterkommen wollte.
Sie frühstückte langsam und ausgiebig und ließ den Mann nicht aus den Augen. Er war nervös und begann nach der Wanduhr zu schielen. Laura ließ ihn zappeln. Sie sagte nichts in dieser Richtung und erwartete, dass er von selber damit anfangen würde.
»Wir - wir müssen gehen, Laura!«, sagte er endlich. »Wenn - wenn wir uns zu sehr verspäten, pustet uns der Boss um.«
»Interessant.«
»Ich, äh, Laura, ich weiß nicht, was jetzt werden wird. Du - du bist durchgedreht und hast... Äh, ich meine, wir könnten doch noch einmal...«
»Die alte Hierarchie? Du der Chef und ich die getretene Sklavin? Nee, mein Lieber, das ist nicht mehr drin.«
»Ich meine, so lange wir beim Boss sind, könntest du doch... Es ist ja nur, dass es uns beiden schadet, wenn ich als Waschlappen dastehe. Verstehst du nicht, wie ich das meine?«
»Nein, weil ich eine blöde Frau bin. Aber das wird ganz anders funktionieren, mein Freund. Ich möchte liebend gern deinen Boss kennen lernen und bin sicher, dass er mit mir viel mehr anfangen kann als mit dir. Weil du nämlich noch blöder bist als eine Frau je sein könnte. Aber keine Bange, wenn mir gelingt, was ich vorhabe, lege ich beim Boss ein gutes Wort für dich ein. Ich vergesse dich nicht.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich begreife das einfach nicht.«
»Aber ich und das genügt.« Sie ließ das Essbesteck fallen und betrachtete ihn. »Pass auf und höre genau zu, was ich sage: Ich weiß nicht, wann du mich das letzte Mal durchgehauen hast, aber dabei hast du in meinem Kopf vielleicht etwas ausgelöst? Verstehst du das? Ich war bisher Laura, die unscheinbare Dirne und bin jetzt die andere Laura, die die ganze Zeit hier im Kopf schlummerte.« Sie tippte sich an die Stirn. »Aber ich kann mich leider nicht an alles erinnern, was früher war. Mit anderen Worten: Deine neue Laura hat das Gedächtnis verloren! Und jetzt mein Vorschlag: Eine Hand wäscht die andere! Du versorgst mich mit den nötigen Informationen und bleibst mein Freund. Wenn nicht, mache ich dich alle. So einfach ist das. Du hast überhaupt keine Wahl. Noch ein Versprechen: Wenn du dich als kluger und folgsamer Junge erweist, wirst du an meiner Seite Karriere machen. Du hast inzwischen erlebt, zu was ich fähig bin.«
Sie wog den Revolver in der Hand. »Und ich weiß, wie man mit so einem Ding umgeht.«
Plötzlich löste sich ein Schuss. Die Kugel bohrte sich genau in die Zentralachse der Uhrzeiger an der Wand. »Ist das Beweis genug?«
Seine Augen hatten sich unnatürlich geweitet und starrten Laura an wie ein Gespenst.
Gespenst?, dachte sie sarkastisch. Ja, das bin ich - sonst nichts. Aber ich bin ein sehr lebendiges Gespenst und werde alles tun, um es zu bleiben: lebendig!
*
Der Revolver war in ihrer Tasche, als sie zum Wagen schritten. Die Umgebung des Hauses, aus dem sie kamen, bewies, dass Laura mit ihrer Prognose recht hatte: Sie befand sich in der schmutzigsten Gegend von London.
Hätte ich nicht anderswo erwachen können? In einem anderen Körper? Beispielsweise in der Königin?, überlegte sie voller Galgenhumor.
Aufmerksam schaute sie sich um. Laura kannte sich hier nicht aus. Das bewies, dass sie früher nicht oft in Soho gewesen war. Vielleicht überhaupt noch nicht?
Eine Dame hat hier ja auch nichts verloren!, dachte sie und kletterte auf den Beifahrersitz des protzigen Amischlittens. Ein richtiges »Zuhälterauto«!
Sie betrachtete »ihren Zuhälter« von der Seite. Der Bursche hieß Tom Johns, hatte allerdings mit dem gleichnamigen englischen Sänger überhaupt nichts gemeinsam: weder Stimme noch Charakter.
Seltsam, dachte Laura, ich kenne den Sänger Tom Johns und weiß überhaupt eine ganze Menge, aber wieso kann ich mich nicht daran erinnern, wer ich ursprünglich war?
Sie erinnerte sich nur an etwas, was schon in ihrem anderen Leben eine Rolle gespielt hatte, wenn es ihr hier wieder begegnete. So hatte sie sich an den Umgang mit Waffen erinnert, als sie die Waffe erstmals in der Hand gehalten hatte und so wusste sie den Namen Tom Johns auch einzuordnen.
Johns fuhr durch die Straßen von Soho wie der Henker persönlich. Leute, die ihn heranrasen sahen, wichen rechtzeitig in Deckung aus, ehe es für sie gefährlich werden konnte. Mehr als einmal erwartete Laura instinktiv, dass sie an irgendeiner Hauswand landeten, aber Tom Johns brachte sie sicher zum Ziel.
Die Bar hieß »Trouble out«, was soviel bedeuten sollte wie »Ärger raus«.
Tom Johns hatte Laura erzählt, dass sie hier auf den Boss treffen würden. Laura war nur grob informiert. Mehr Zeit hatten sie nicht gehabt, denn der Boss wartete bereits auf sie.
Es war wichtig, denn an diesem Mittag (es war inzwischen 2 Uhr, Laura hatte ihr Frühstück also reichlich spät eingenommen), sollte der Coup vom Vortag noch einmal erörtert werden. Das hatte Boss James Hudson so an sich, immer alles im Nachhinein noch einmal zu besprechen, um eventuelle Fehler das nächste Mal zu vermeiden.
Laura war es recht, denn so lernte sie die ganze Gang auf einmal kennen. Das konnte ihr nur Vorteile bringen.
Tom Johns hatte ihr auch kurz beschrieben, welche Rolle Laura immer spielte: Sie war seit einem Vierteljahr »Toms Flittchen«. Keineswegs eine ehrenhafte Bezeichnung, aber sie war an so etwas gewöhnt. Sie war stets ruhig gewesen und hatte sich aus allem herausgehalten. Wenn man ihr einfache Aufgaben gab, war sie in der Lage, sie auch auszuführen. Laura war gewissermaßen dritte Garnitur in Gaunerkreisen. Außerdem musste sie für Tom Johns »anschaffen«. Auch daran hatte sich jeder in der Runde gewöhnt, denn die meisten »ernährten« sich in diesem »Beruf«, indem sie irgendwelche Mädchen »betreuten«.
Außer Laura würde es in der Runde nur noch zwei weitere Frauen geben: Die Freundinnen vom Boss! Er war nicht mit einer zufrieden, sondern brauchte gleich zwei. Es waren Dirnen, die sich ihm gern anschlossen, denn so lange er sie bei sich behielt, brauchten sie nicht auf den Strich zu gehen, denn das mochte James Hudson nicht.
Sobald er genug von einer Freundin hatte, schob er sie ab. Es gab meistens genügend »Nachschub« aus seiner Bar.
Als sie eintraten, hatte Laura den Eindruck, die übelste Kaschemme zu betreten, die es in ganz England gab. Es roch nicht gerade nach Veilchen und war gewiss schon lange nicht mehr saubergemacht worden. Aber im Halbdunkel, das hier meistens herrschte, fiel das gewiss kaum jemandem auf.
Laura und Tom Johns durchquerten das um diese Zeit menschenleere Lokal. Bevor sie die Tür mit der Aufschrift »Privat« erreichten, raunte Tom Johns: »Du trittst zu selbstsicher auf, Laura. Das wird Verdacht erregen.«
Als sie die Tür erreicht hatten, fügte er noch hinzu: »Was hast du eigentlich vor?«
Laura grinste ihn nur an. Tom Johns öffnete.
Kaum war die Tür halb aufgeschwungen, sahen sie in die Mündung einer Pistole. Der Träger der Waffe lachte rau. Dabei entblößte er »Zähne wie Klaviertasten«: abwechselnd einmal weiß und einmal schwarz. Dazwischen gab es allerdings Lücken.
»Verdammter Idiot!«, zischte Tom Johns. »Mach den Ballermann weg, sonst fehlt dir gleich noch 'n Zahn!«
Beleidigt steckte der vierschrötige Kerl die Waffe ein und murmelte kleinlaut: »War doch bloß Spaß, Tommy. Wollte euch ein wenig erschrecken.«
»Dazu brauchst du nicht extra eine Waffe, Sam. Dazu genügt es, wenn du den Leuten deine Visage zeigst!«
Laura kannte Sam Hawkins von Johns' Beschreibungen her. Danach war Hawkins der »Trottel vom Dienst«. Er hatte übermenschliche Kräfte, dabei aber »ein Gehirn wie ein Spatz« - laut überzeugender Aussage.
Im Moment hatte man Sam Hawkins hier abgestellt, damit er die Tür überwachte und niemanden hereinließ, der nicht erwünscht war. Dazu war er gut zu gebrauchen. Er würde sein Leben dafür hergeben, um die Tür zu verteidigen. James Hudson und Tom Johns fraß er gewissermaßen aus der Hand. Bei James Hudson hatte das einen einleuchtenden Grund: Schließlich war er der Boss. Warum das bei Tom Johns so war - das hatte Johns nicht so genau erklärt. Laura war froh darum. Sie wollte sich über ihren ungepflegten »Freund« selber ein Urteil bilden.
Die Tür flog auf, kaum dass sie sie erreichten. James Hudson erschien persönlich darin. Er war außer sich vor Zorn. »Du bist überfällig, Tom, ist dir das klar? Seit einer halben Stunde warten wir hier schon auf dich.«
Laura beobachtete Tom Johns. Der Kerl hatte nur ein Grinsen übrig. Er schien sich vor diesem Hudson nicht zu fürchten.
Und warum hatte er dann so gedrängt?
Also hatte Tom Johns eine gewisse Narrenfreiheit bei seinem Boss, durfte jedoch den Bogen nicht beliebig überspannen. Dieser James Hudson schien ein gefährlicher Bursche zu sein.
Laura betrachtete ihn. Hudson sah aus wie der Bilderbuchgangster. Er wirkte weltmännisch, war gut gekleidet, hatte einen teuren Hut auf dem Kopf - nur das billige, grob geschnittene Gesicht wollte zu der Erscheinung nicht so recht passen.
Dass Laura dabei war, schien Hudson überhaupt nicht zu bemerken. Als Freundin von Johns war sie für die anderen tabu. Eine Tatsache, die Laura mit Zufriedenheit registrierte.
Alle Bandenmitglieder waren anwesend, außer Sam. Er musste draußen Schmiere stehen. Er hätte laut Johns sowieso nicht begriffen, um was es überhaupt ging.
Laura ließ unauffällig ihren Blick in die Runde gehen, während sie sich setzte: Da war Messer-Willi. Er hieß Willi Hagen, war ein gebürtiger Deutscher und war vor Jahren gewissermaßen aus dem Nichts aufgetaucht. Hudson hatte ihn als brauchbar entdeckt und setzte ihn seit dieser Zeit in seiner Bande ein.
Von Tom Johns wusste Laura, dass die Bande überaus erfolgreich war. Hudson führte sie mit straffer Hand. Jeder tat nur das, was er ihm sagte. Sie operierten seit fast drei Jahren, ohne ein einziges Mal der Polizei aufzufallen. Eine ungewöhnliche Quote, die Tom Johns mit den Worten begründete: »Unser Hudson ist halt ein kluger Kopf!«
Soviel hatte Laura begriffen: Tom Johns war in der Runde der Draufgänger, der die gewagten Sachen unternahm. Er stellte sich nicht immer so plump an wie bei den Angriffen auf sie. Da hatte er sich zu überlegen gefühlt.
Jetzt hatte er sich wieder hundertprozentig gefangen. Obwohl er Laura im Moment respektierte, war ihr klar, dass die endgültige Entscheidung noch nicht gefallen war.
Es würde kein Honigschlecken für sie werden.
Oder würde Tom Johns erst einmal abwarten, ob Laura ihm nicht doch noch Vorteile im Bandengeschäft brachte?
Ein verschlagener Bursche, der dem diente, der ihm am meisten bot.
Ihr Blick ging weiter - zu Ted Gallon. Das war ein Drogenabhängiger. Damit hatte Hudson ihn im Griff. Er gab Ted Gallon, der dürr und untergewichtig wirkte, immer nur so viel Stoff, dass er bei der Stange blieb und auch eingesetzt werden konnte. Ted Gallon würde seine eigene Mutter verkaufen, wenn James Hudson es von ihm forderte.
Dann war da noch Chuck Bronx, der bullige Amerikaner. Er war Tom Johns fast ebenbürtig. Deshalb waren sie untereinander auch spinnefeind. Er war der Draufgänger Nummer zwei, ging keiner Schlägerei aus dem Weg und war jähzornig.
Das waren insgesamt sechs Bandenmitglieder, einschließlich dem Boss. Die beiden Freundinnen von James Hudson fehlten - entgegen der Ankündigung von Tom Johns. Laura war die einzige Frau in der Runde und wurde von keinem beachtet.
James Hudson eröffnete das Gespräch. »Das mit der Bank gestern lief großartig. Sogar Trottel Sammy hat seine Rolle gut gespielt. Und diesmal müssen wir auch deine Freundin erwähnen, Tom. Laura hat gut gespurt. Sie hat doch tatsächlich verstanden, den Typ am Alarmknopf zu becircen. Der kam gar nicht rechtzeitig dazu, den Alarm zu drücken. So konnten wir in aller Gemütsruhe absahnen.«
Seine Bandenmitglieder lachten pflichtschuldig.
Laura blieb unbeteiligt und folgte damit dem Rat ihres »Freundes«.
Hudson fuhr fort mit der Beweihräucherung: »Und dann hat Laura gewartet, bis die Bullen da waren und hat denen angeblich entscheidende Tipps gegeben, wie sie uns verfolgen können. Die sind prompt darauf hereingefallen und haben die falschen Straßen abgeriegelt. War das keine geniale Idee von mir?«
»Wie viel hat es uns eingebracht?«, fragte Tom Johns und betrachtete angelegentlich seine Fingernägel, als wären sie an diesem Mittag etwas Besonderes.
James Hudson ärgerte sich über die Unterbrechung. Aber er sagte nichts in dieser Richtung. Er verschränkte die Arme vor der Brust und antwortete: »Wir rechneten mit rund hunderttausend, Leute, aber es waren mehr, viel mehr: Es waren ganze fünfhunderttausend Pfund!« Sie gafften ihn sprachlos an.
»So viel?«, fragte Ted Gallon dümmlich.
»Ja, so viel!«, bestätigte James Hudson. »Es sind fünfhunderttausend Pfund, die diesmal in sieben Teile gehen, denn Tom Johns bekommt ausnahmsweise den Anteil seiner Freundin mit.«
Chuck Bronx schickte einen hasserfüllten Blick herüber. James Hudson entging das nicht: »He, Bronx, es ist die fünffache Menge wie erwartet. Du bist wohl nie zufrieden, was?«
»Wieso ist es die fünffache Menge geworden?«, erkundigte sich Chuck Bronx, um von seiner Person abzulenken.
»Die Idioten haben alles insgeheim ablaufen lassen. Daher wusste ich vorher nichts vom wahren Geldsegen. Reiner Zufall, Freunde. Gestern war unser absoluter Glückstag.«
Laura dachte: Deshalb hat er seine beiden Freundinnen bei der Besprechung nicht hinzugezogen. Er fürchtet, dass die beiden sonst zu anspruchsvoll werden. Aber eines muss man ihm lassen: Er behandelt seine Untergebenen ehrlich und erzählt ihnen sogar, dass der Geldsegen größer als erwartet ist.
Johns erzählte ihr sogar, dass er stets den gleichen Anteil wie alle in Anspruch nahm und keine Extragelder für sich beiseite schaffte.
Auch das war ungewöhnlich.
Aber damit sorgte er dafür, dass Neid und Missgunst ihm gegenüber ausblieben.
Was ich vorhabe, ist ein gefährliches Spiel!, dachte Laura weiter. Wenn ich Verdacht errege, komme ich um.
Die Debatte ging noch weiter. Laura achtete nicht mehr darauf. Sie wurde von keinem für voll genommen, also konnte sie sich zurückhalten und James Hudson beobachten.
Nur Tom Johns fiel es auf. Er ärgerte sich darüber, beherrschte sich jedoch.
Laura hatte einen gewichtigen Grund, diesem James Hudson erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken, denn James Hudson hatte eine undefinierbare Ausstrahlung. Je länger Laura in seiner Nähe blieb, desto deutlicher wurde das für sie.
James Hudson war nicht nur deshalb ein so erfolgreicher Gangsterboss, weil er ein kluges Köpfchen hatte und seine Leute richtig anzupacken wusste, sondern da gab es noch etwas.
Mit keinem Wort wurde erwähnt, woher er stets die ausgezeichneten Informationen bezog, wenn er irgendeinen Coup vorbereitete. Auch die Auskünfte von Tom Johns waren in dieser Hinsicht nicht sehr erschöpfend.
Laura brauchte sehr lange, bis es ihr auf einmal klar wurde: James Hudson hatte magische Fähigkeiten!
Lauras Absicht war es gewesen, sich in das Vertrauen der Bande einzuschleichen, bis sie genügend Informationen gesammelt hatte, um ihre Herkunft zu erforschen und die Bande an die Polizei auszuliefern. Sie konnte sich vorstellen, dass das einige Vorteile für sie bringen könnte. Auch hatte sie in dieser Beziehung keinerlei Gewissensbisse.
Dennoch warf sie jetzt alle diese Pläne über den Haufen, weil sich ein neuer Aspekt ergeben hatte: Wieso verstand sie etwas von Magie?
Sie lauschte in sich hinein und bemerkte, dass da etwas schlummerte, das sie nur zu wecken brauchte. Aber sie hatte Angst davor, denn sie wusste nicht, ob sie das Etwas in ihrem Innern auch bändigen konnte.
Sie hatte selber magische Fähigkeiten. Das war es, was in ihr schlummerte.
Ich bin eine Hexe!, dachte sie bestürzt. Und dann: Nein, diese Laura ist harmlos gewesen, ein ganz normaler Mensch, geprägt von einer scheußlichen Umwelt. Ich kam als Geist und habe ihr den Körper weggenommen. Wo ist Laura jetzt? Schlummert sie im Unterbewusstsein oder ist sie in meinem eigenen Körper? Vielleicht bin ich sogar eine Verstorbene, deren Seele sich in Lauras Körper festsetzte?
Sie merkte, dass sie sich zu sehr in Theorien verstrickte, die ihr nichts einbrachten. Es hatte keinen Sinn, zu spekulieren, wenn ihr Leben in Gefahr war. Denn wenn James Hudson merkte, dass Laura neuerdings von einem fremden Geist besessen war, würde er gewiss entsprechende Maßnahmen ergreifen. Bis jetzt blieb ihm das verborgen.
Laura musste vorsichtig sein. Die Verhandlungen erschienen ihr auf einmal endlos. Später wurden Hudsons Freundinnen hinzugezogen: stupide Mädchen, die außer körperlicher Schönheit nichts zu bieten hatten. Wie ich vorher?, dachte Laura. Es wurde gefeiert. Stunden vergingen darüber. Bevor der normale Barbetrieb begann, durften die Bandenmitglieder gehen. Ihr Boss versorgte sie mit genau abgezählten Geldmengen. So also wurden die Anteile verteilt. Das Teilen war Sache des Bosses, damit keiner plötzlich zuviel Geld ausgab und dadurch auffiel.
Tom Johns hatte Lauras steigendes Unbehagen bemerkt und richtete es so ein, dass sie beide mit James Hudson allein blieben.
»Tut mir leid, Jim«, sagte er entschuldigend.
»Wofür?«
»Dass wir zu spät gekommen sind. Die Schlampe war schuld!«
Hudson lächelte Laura an. Es war ein raubtierhaftes Lächeln. In den Augen des Magiers erkannte Laura deutliches Interesse, aber sie blieb so lange für Hudson tabu, wie sie zu Tom Johns gehörte. Der Magier hatte offenbar seine Prinzipien.
Warum eigentlich?, fragte sie sich insgeheim. Warum wurde er zum Gangsterboss? Wie stark sind seine magischen Fähigkeiten überhaupt? Ist er mir überlegen?
Etwas wie Erkennen zeigte sich plötzlich in Hudsons Blick. Als würde er auf einmal wissen, was mit Laura los war.
Tom Johns sagte: »Werde sie wohl bald aufgeben müssen.«
Das lenkte Hudson ab. Er erwachte wie aus einem Wachtraum. »Wenn du Laura abschiebst, gehört sie automatisch mir, kapiert? Du hast gestern gesehen, dass man sie nur richtig anpacken muss und schon wird sie zu einem brauchbaren Mädchen.«
Laura wusste, dass Hudson etwas bemerkt hatte, sich aber nicht sicher war, was er davon halten sollte.
Sie hatte auf einmal entsetzliche Angst - nicht allein vor diesem James Hudson, denn sie ahnte, dass hinter ihm noch viel mehr steckte als es den Anschein hatte. Was?
Sie warf Tom Johns einen strafenden Blick zu. Das genügte. Tom Johns stand endlich auf und verließ mit Laura den Raum.
In der Tür blieb er noch einmal kurz stehen. »Du gibst mir Nachricht, wenn du uns brauchst, Jim?«
James Hudson drehte sich langsam ihnen zu. Wieder ein seltsamer Blick, der Laura galt. Er forschte kurz in ihrem Gesicht, aber Laura beherrschte sich meisterlich.
»Komm um Mitternacht, Tom und bring deine Freundin mit. Aber erzähle niemandem etwas davon. Es geht nur uns drei an.«
Tom Johns erbleichte. Jetzt war auch ihm klar, dass Hudson Verdacht geschöpft hatte.
Aber wieso?
»Was ist los, Jim?«, erkundigte er sich misstrauisch.
James Hudson lachte. »Was machst du für ein betretenes Gesicht, Tom? Ein Draufgänger wie du! Hast du Angst vor mir? Seit wann? Nein, Tom, es besteht kein Grund dazu. Ich will mit euch etwas besprechen. Weißt du, für den besonderen Coup sind wir zu viele Leute. Mehr will ich nicht verraten. Weitere Einzelheiten folgen noch.«
Damit mussten die beiden sich zufrieden geben. Sie gingen.
Als sie die Bar betraten, stimmte die Band gerade die Instrumente und auf der Bühne zeigte eine Tänzerin ihrem Manager, wie sie sich ihren neuen Strip vorstellte. Es gab eine hitzige Debatte.
Tom Johns war sicher, dass ihnen niemand zuhören konnte. Er zischte leise: »Was hast du vor?«
Laura überlegte sich die Antwort sorgfältig. »Er will herausfinden, ob sich meine Veränderung für ihn positiv oder negativ auswirkt.«
»Aber wie?«
Sie sah ihn von der Seite an. »Du scheinst dich an deine neue Rolle bereits gewöhnt zu haben?«
»Nicht an meine, aber an deine!«, konterte er. »Aber das beantwortet nicht meine Frage.«
»Es wird interessant für uns, Tom Johns, sehr interessant sogar, denn James Hudson wird uns einen Auftrag erteilen, der meiner neuen Rolle entspricht. Mehr wird er nicht zu tun brauchen, um meine wahre Identität zu ergründen.«
»Das ist mir zu hoch!«, gab Johns zu.
»Damit sagst du mir nichts Neues«, knurrte sie abschätzig und ging zum Ausgang.
Tom Johns folgte ihr wie ein geprügelter Hund. Es war ihr egal, dass sie sich jetzt so benahm, wie man es von der echten Laura niemals erwartet hätte. Es gab nichts mehr zu verbergen - wenigstens nicht mehr viel.
Ja, Hudson hatte Lauras Veränderung bemerkt und wusste noch nicht so recht, was er davon halten sollte. Aber er traf seine Entscheidungen und bereitete die nächste Begegnung mit Laura vor.
James Hudson war misstrauisch. Das hatte ihn mächtig werden lassen. Nicht umsonst bekleidete er eine Schlüsselposition in der SCHWARZEN MAFIA.
Davon ahnte keiner etwas. James Hudson, der Gangsterboss und Barbesitzer, hatte ganz andere Pläne, als sich durch kriminelle Taten zu bereichern. Deshalb konnte er auch gegenüber seinen Leuten so ehrlich sein und brauchte nicht mehr Geld in Anspruch zu nehmen als sie. Für ihn reichte es immer. Es ging darum, die Wirtschaft von Großbritannien durch seine Maßnahmen zu schädigen. Er allein hätte das mit seiner Bande nicht vermocht, aber es gab noch andere Mafiosi außer ihm, die ähnlich arbeiteten.
Die Macht der SCHWARZEN MAFIA wuchs mit jedem Coup der über England verteilten Gangsterbanden. Dabei wussten nur jeweils die Gangsterbosse, um was es wirklich ging. Die anderen ahnten es nicht einmal, da sie von Schwarzer Magie und dergleichen nichts kannten.
Und wenn eines Tages der entscheidende Schlag der SCHWARZEN MAFIA gegen die Welt erfolgte, um die absolute Macht zu erreichen, waren die ihr untergebenen Gangster vielleicht das Zünglein an der Waage.
James Hudson murmelte vor sich hin: »Die Kriminellen sind mit uns verwandter als die so genannten normalen Menschen. Wir müssen die Kriminellen auf unsere Seite bringen, um unsere Macht zu vergrößern. Vielleicht sehen es die freien Hexen und Magier eines Tages ein und schließen sich ebenfalls der SCHWARZEN MAFIA an? Wenn sie es nicht tun, werden sie bei der Machtübernahme als Störfaktoren beseitigt. Die SCHWARZE MAFIA duldet keine anderen Machthaber neben sich. Das ist unser ehernes Gesetz.«
Lange vor Mitternacht waren seine Vorbereitungen abgeschlossen. Er hatte vorsichtshalber auch seinem Kontaktmann in der Mafia Bescheid gesagt, sich dabei jedoch mit Andeutungen begnügt, laut denen einer seiner Gangster auf einmal magische Fähigkeiten entwickelte, die er noch näher ergründen wollte.
Die SCHWARZE MAFIA war gewarnt. Falls es sich um einen Trick des Gegners handelte und falls James Hudson die Sache unterschätzte und bei der Begegnung sein Leben ließ, würde die SCHWARZE MAFIA unerbittlich eingreifen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen - auf ihre Art und Weise.
Aber James Hudson war zuversichtlich. Die Nachricht an seinen Kontaktmann war nur eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme, die den Regeln der SCHWARZEN MAFIA entsprach.
Laura und Tom Johns kamen pünktlich, wie verabredet. James Hudson erwartete sie in seinem Zimmer. Über die technische Überwachungsanlage, von der Tom Johns und Laura nichts ahnten, beobachtete er die beiden. Nichts deutete darauf hin, dass sie etwas gegen ihn im Schilde führten. Sie betraten die Bar und wirkten nervös. Kein Wunder, denn Laura ahnte bestimmt, dass Hudson hinter ihr Geheimnis gekommen war.
James Hudson lächelte amüsiert. Er war sich seiner magischen Macht bewusst und brauchte nichts und niemanden zu fürchten. Er konnte einen normalen Menschen töten, ohne sich anzustrengen. Er konnte auch den Angriff von einem Dutzend kräftiger Männer mühelos abwehren und brauchte danach nur wenige Stunden, um seine »magische Batterie« wieder aufzuladen.
Die beiden späten Gäste blickten sich suchend in der Bar um, sahen aber niemanden, den sie kannten. Auf der Bühne lief gerade eine Striptease-Show. Das Mädchen war schlank und hatte eine ungeheure Wirkung auf die männlichen Gäste. Längst hatte James Hudson sie als nächste Favoritin für seinen Kleinharem ausgewählt, aber das musste jetzt noch warten. Erst kamen Laura und Tom Johns.
Als die beiden den Gang betraten, der zu seinem Zimmer führte, schloss er den Büroschrank, in dem sich die Überwachungsbildschirme befanden und setzte sich so an den Schreibtisch, als wäre er sehr beschäftigt.
Es klopfte an der Tür.
»Herein!«, rief er.
Die Tür wurde fast zaghaft geöffnet. Tom Johns streckte seinen Kopf herein. »Hier sind wir, Boss - wie abgemacht.«
»Wie?«, machte James Hudson verständnislos. Dann schien es ihm plötzlich wieder einzufallen. »Ach ja, wir waren ja verabredet.« Ein Blick auf seine Armbanduhr. »Oh, ist es schon so spät?«
Entschlossen schob er die Schreibarbeit beiseite und nickte Tom Johns zu. »Na los, hereinspaziert, ihr beiden. Du hast Laura doch hoffentlich dabei?«
Tom Johns stieß die Tür ganz auf und ließ Laura den Vortritt, als hätte er Angst, als erster den Raum zu betreten.
James Hudson stand auf und wies auf die beiden Stühle vor seinem Schreibtisch. »Bitte, nehmt doch Platz.«
Bevor die beiden sich setzten, blickten sie sich misstrauisch um, als erwarteten sie eine Falle.
Wenn es eine Falle ist, dachte Laura, dann ist sie so geschickt gestellt, dass wir nichts merken.
Auch Hudson nahm wieder Platz. Er lächelte entwaffnend.
»Ich plane einen Drei-Mann-Coup«, eröffnete er ohne Umschweife das Gespräch.
»So?«, machte Tom Johns, nur halb interessiert und schlug die Beine übereinander.
Hudson ergriff einen Briefbeschwerer und spielte damit. Auf seiner Stirn erschien eine steile Falte. Er sah seine Gäste nicht an, als er weiter sprach: »Seht, es ist eine Sache, die mir schon sehr lange vorschwebt. Bisher konnte ich mit niemandem darüber sprechen, weil mir keiner geglaubt hätte. Man hätte vielleicht angenommen, ich wäre auf einmal durchgedreht.«
»Um was geht es?«, drängte Tom Johns.
James Hudson sah auf und betrachtete ihn. »Die Kronjuwelen der Königsfamilie!«
Tom Johns sah ihn verständnislos an. Plötzlich lachte er heiser. Er schüttelte den Kopf. »Ausgerechnet die Kronjuwelen? Mann, Jim, was sollen wir damit? Sie werden besser bewacht als sonst etwas auf dieser Welt. Außerdem, selbst wenn man nur danach zu greifen brauchte, was sollen wir damit anfangen? Es gibt keinen Abnehmer für die Kronjuwelen. Kein Hehler würde sich daran die Finger verbrennen.«
James Hudson hatte sich zurückgelehnt, während Tom Johns gesprochen hatte. Sein Gesicht blieb ernst, als er die Arme vor der Brust verschränkte.
»Pass auf, Tom. Es ist so brisant, dass ich dich auswählte, weil du der vernünftigste und intelligenteste aus der Bande bist. Du weißt, dass ich von jeher ein besonderes Auge auf dich geworfen habe. Du bist verschlagen, verwegen, scheust kein Risiko, bist bis zu einem gewissen Grad zuverlässig, brauchst jedoch eine starke Hand, die dich führt. Das macht dich für mich besonders interessant. Inzwischen kenne ich dich so gut, dass ich weiß, inwieweit ich dir vertrauen kann. Glaube mir, den Abnehmer für die Kronjuwelen habe ich bereits!«
»Wen?«, platzte Tom Johns heraus.
James Hudson lächelte fein. »Nein, Tom, soweit geht mein Vertrauen nun doch nicht.«
»Du meinst wirklich, wir drei sollten allein...?«
»Ja, Tom!«
»Und die anderen? Warum ziehst du nicht die anderen hinzu? Die Bande hat doch bisher gut zusammengearbeitet, nicht wahr?«
Ein Seitenblick auf Laura, die sich schweigsam und zurückhaltend benahm. Sie hatte nicht einmal ein Wort zur Begrüßung gesagt. Das war taktisch genau ausgeklügelt. Hudson war es bewusst und er bewunderte Laura insgeheim für ihr Vorgehen. Was dachte sie?
Dies war die zentrale Frage und so war ihm ja auch die Veränderung von Laura aufgefallen. Vorher hatte es ihn überhaupt keine Mühe gekostet, Lauras Gedanken zu lesen und jetzt war es nicht mehr möglich!
Lauras Gehirn erschien tot - zunächst. Aber wenn er sich näher damit beschäftigte, spürte er die fremde Ausstrahlung.
Laura war nicht mehr Laura, sondern eine andere geworden.
Als wäre sie auf einmal von einem Dämon besessen!
James Hudson neigte mehr und mehr zu dieser Ansicht, je länger er mit der veränderten jungen Frau zusammen war. Aber wenn es wirklich ein Dämon war, dann musste James Hudson sich mit ihm verbünden. Das eröffnete ihm ungeheure Möglichkeiten, von denen er bisher nicht einmal zu träumen gewagt hatte.
Er würde für die SCHWARZE MAFIA schlagartig ungeheuer im Wert steigen und eine der höheren Positionen einnehmen.
Tom Johns schluckte schwer. Dann: »Was hat Laura damit zu tun, Jim? Wieso sollte sie mit mir herkommen? Was erwartest du von ihr?«
Hudson ließ ihn zappeln. Er ließ sich mit der Antwort Zeit. Dann sagte er betont: »Laura ist die Hauptfigur in unserem Unternehmen.«
Laura lachte heiser. »Welch eine Ehre!«, spottete sie. »Vielleicht überschätzt du mich auch, Jim?«
Sie übersah Toms warnenden Blick. Es hatte keinen Sinn, länger Versteck zu spielen. Hudson gegenüber musste sie offen sein. Nur darin lag ihre Chance.
»Ich glaube kaum!«, entgegnete James Hudson und strich sich über das glatt zurückgekämmte, schüttere Haar. In seinen Augen entstand eine Kälte, die an Gletscherseen erinnerte. Sein Gesicht wurde zu einer starren Maske.
Abermals lachte Laura. »Der Coup mit den Kronjuwelen hat mit Magie zu tun, irre ich mich?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, Laura, du irrst dich nicht. Die Königsfamilie wird von Weißer Magie geschützt und weiß es wahrscheinlich nicht einmal. Ein Schwarzer Magier hat keine Chance, an die Kronjuwelen heranzukommen. Als Schmuck haben sie bereits einen beträchtlichen Wert, aber als magische Kampfmittel sind sie noch wesentlich wertvoller.«
»Du musst es ja wissen, Jim - als Schwarzer Magier!«
In seinen Augen blitzte es kurz auf. »Ja, Laura, ich habe mich tatsächlich nicht in dir getäuscht. Du entsprichst genau meinen Erwartungen.« Sein Oberkörper schoss vor wie der Schnabel eines zupackenden Raubvogels. »Seit wann besteht diese Veränderung, Laura?«
»Seit letzter Nacht, Jim. Wahrscheinlich geschah es um Mitternacht. Ich kann mich kaum an mein vorheriges Leben als Laura Combs erinnern.«
»Wer bist du wirklich, Laura?«
Sie zuckte die Schultern und erwiderte wahrheitsgemäß: »Ich weiß es nicht, denn auch daran habe ich keine Erinnerungen. Ich hoffe jedoch, dass die Erinnerungen im Laufe der Zeit von allein entstehen.«
»Ein Dämon? Kommst du aus dem Zwischenreich der Dämonen?«
Laura dachte: Er ist überzeugt davon, dass ich schwarzmagische Kräfte in mir habe. Aber wieso bin ich dann so wichtig für den Juwelenraub? Sagte er nicht selber, dass man mit schwarzer Magie da keine Chance hat? Oder hat er die Kronjuwelen nur erwähnt, um eine Einleitung für das Gespräch zu haben?
»Wie gesagt, Jim: Ich weiß es nicht. Noch nicht!«, verbesserte sie sich. »Aber eine Frage, Jim: Wie stellst du dir den Juwelenraub vor?«
»Nun, Laura - ich darf doch bei diesem Namen bleiben? -, ich nehme an, dass ich meine magischen Fähigkeiten besser beherrsche als du, da bei dir ja gewissermaßen noch alles neu ist. Ich werde bei dem Raub als eine Art magischer Barometer dienen. Es ist ganz simpel. Ihr lasst euch mit einsperren, wenn die Anlage geschlossen wird. Um Mitternacht schlagt ihr dann zu. Dann sind die magischen Kräfte am aktivsten.«
»Deshalb hast du uns auch um diese Zeit zu dir gebeten, nicht wahr?«, fragte Laura.
Tom Johns blickte verständnislos von einem zum anderen. Er konnte dem Gespräch offenbar nicht so recht folgen.
James Hudson hatte Tom Johns zwar als intelligent bezeichnet, dabei aber gewiss übertrieben.
Tom Johns war nicht in der Lage, so schnell umzudenken und plötzlich Magie als etwas Selbstverständliches anzusehen, da er bisher in einer Welt gelebt hatte, in der Magie nichts als Humbug war.
»Ja!«, gab Hudson zu. »Wesentlich an meinem Plan ist die Tatsache, dass durch deine Verbindung mit dem Körper von Laura zunächst keine eindeutige Polarisierung entsteht. Das heißt, du kannst sowohl Weiße als auch Schwarze Magie anwenden, bis die Polarisierung abgeschlossen ist. Das beschränkt sich natürlich nur auf eine gewisse Übergangsphase. Wir müssen sehr schnell handeln, sonst ist es zu spät.«
»Schon nächste Nacht?«
»Ja, Laura. Du wirst mit deinen magischen Fähigkeiten die Sicherheitseinrichtung ausschalten und auch Tom Johns schützen. Er wird den Diebstahl vornehmen, denn er ist weitgehend immun. Damit gehen wir kein unnötiges Risiko ein.«
Laura lächelte. »Ich freue mich schon darauf«, versicherte sie.
In diesem Augenblick schlug der Magier zu. Er wusste Laura unvorbereitet und hatte nur auf diesen Moment gewartet. Laura fühlte sich ihrer Sache sicher und glaubte sich nicht mehr gefährdet.
Aber der Magier wollte jetzt wissen, ob der Geist, der Laura besessen hatte, wirklich schwarzmagischer Natur war.
Es konnte schließlich sein, dass es ein weißmagischer Geist war und dass das Ganze eine Falle irgendwelcher TEUFELSJÄGER war.
Ja, für Laura kam der Angriff zu überraschend. Sie verlor schlagartig das Bewusstsein, als die Gedanken von James Hudson wie ein Flammenschwert in ihr Denken fuhren...
*
Es war ein dunkler, gestaltloser Raum. Es gab keine Geräusche, kein Licht, es gab nichts, was sie interessiert hätte. Bis sich ein Gedanke manifestierte: Dieser Raum ist fremd. Und: Ich gehöre nicht hierher.
Sie schwamm träge dahin, körperlos, nur aus ihren Gedanken bestehend.
Eine weitere Erkenntnis: In diesem Raum war ich schon einmal. Es ist eine Art Zwischenreich. Ich bin weder in einer jenseitigen Sphäre, noch auf der Erde. Ich bin im Nirgendwo. Vielleicht ein Zustand, der nur Sekundenbruchteile andauert, den ich aber länger empfinde? Nein, ich glaube, dass eine größere Zeitspanne vergeht, ehe ich zurückkehre.
Dieser Gedanke faszinierte sie: Zurückkehren. Wohin?
In der Fremdheit des Raumes spürte sie etwas Vertrautes. Es zog sie hin. Sie wollte dieses Etwas erkennen und es mit ihrem Geist ausfüllen, aber das ging nicht. Da war eine Sperre, die sie zurückdrängte.
Nein, es war nicht so, als sei der Körper tot, denn dann hätte sie seine Vertrautheit nicht mehr spüren können und wäre nicht mehr in diesem Zwischenraum, sondern längst irgendwo im Jenseits.
Es war anders. Der Körper musste ihr eigener Körper sein, aber er befand sich in einem Zustand, in dem er den Geist nicht mehr aufnehmen konnte.
Es fehlte ihr die Erinnerung daran, wie dieser Zustand entstanden war.
Noch einmal versuchte sie es, wurde zurückgedrängt und spürte eine andere Vertrautheit: Einen anderen Körper.
Jetzt konnte sie sich erinnern. Das war der Gastkörper, in den sie geschlüpft war, als ihr wirklicher Körper sie abgestoßen hatte. Also war ihr Geist umhergeirrt und hatte in dem Gastkörper ein neues Zuhause gefunden.
Sie war zu Laura Combs geworden und von da hatte sie eine andere Macht wieder vertrieben.
Sie erkannte jetzt nähere Umstände, begriff jedoch nicht die Gesamtheit der Vorgänge. Dazu müsste sie wieder Laura Combs werden.
Vorsichtig näherte sie sich. Sie war blind und taub und völlig gefühllos, aber sie wusste, dass sie sich nur der Vertrautheit nähern musste, um eine Verbindung zum Diesseits zu finden.
Jemand versuchte, die Verbindung ganz zu kappen, aber sie wehrte sich wütend dagegen. Sie wollte sich nicht mehr länger zurückdrängen lassen in dieses grauenvolle Nichts, in der ihr Geist verweilt hatte. Sie wollte wieder Laura Combs sein.
Der Fremde war stärker. Sie musste sich mehr konzentrieren und vor allem versuchen, den Vorgang zu analysieren.
Der Fremde benutzte negative, schädliche Energien und sie setzte dem positive Energien entgegen, um die negativen Kräfte zu neutralisieren. Damit zeitigte sie allerdings keinen Erfolg. Sie musste einen anderen Weg beschreiten.
Sie grübelte nach und erinnerte sich an den Namen des Magiers, dem es gelungen war, sie aus dem Körper der Laura Combs zu verbannen: James Hudson!
Andere Dinge kamen ihr in den Sinn. In früheren Leben hatte sie eine ganze Menge über Magie gewusst. Ein Teil davon stand ihr jetzt zur Verfügung. Es gehörte dazu, dass man mit dem so genannten Namenszauber einem Schwarzen Magier beträchtlich schaden konnte. War James Hudson sein wirklicher Name? Wenn nicht, würde sie ihn wenigstens für einen Augenblick aus dem Konzept bringen.
Sie stellte sich James Hudson vor und prompt entstand er vor ihr im Nichts. Dabei brauchte sie gar nicht mal gegen ihn direkt anzukämpfen. Es war ein Doppelgängerbild vom echten James Hudson.
Sie stellte sich vor, dass James Hudson sich schmerzgepeinigt auf seinem Sitz krümmte und dachte intensiv: »James Hudson, verdammter Magier, stirb!«
Das war eine Mischung von Weißer und Schwarzer Magie, denn Weiße Magie vermochte nicht zu töten. Deshalb konnte ein echter Weißer Magier auch teilweise über Schwarze Magie verfügen. Weiße Magie allein war eine reine Verteidigungs- und keine Angriffsmagie.
Sie war eine geübte Weiße Hexe, das wurde ihr klar, denn die magische Attacke gegen James Hudson klappte viel besser, als sie es sich gewünscht hatte.
Auf einmal war der Körper von Laura Combs wieder frei. Sie konnte hineinschlüpfen.
Laura lag regungslos am Boden. In dem Moment, da die Hexe in den Körper eintauchte, spürte sie die Anwesenheit des echten Geistes der Laura Combs. Es war nur eine kurze Wahrnehmung. Dann wurde der Geist des Mädchens ins Unterbewusstsein zurückgedrängt. Der Eindringling konnte es nicht einmal verhindern.
In den Körper kam Bewegung. Jemand schrie auf. Es war eine männliche Stimme. Laura Combs sah empor. Tom Johns war aufgesprungen. Er war kreidebleich und stierte auf den Boden auf der anderen Seite des Schreibtischs. Es entzog sich den Blicken von Laura Combs, was sich dort befand, aber es musste so schrecklich sein, dass Tom Johns den Anblick kaum mehr ertrug.
Sie konzentrierte sich auf ihren Gastkörper, der sich rasch erholte. Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang sie auf und schaute hinüber.
Es war James Hudson - ein anderer Hudson als der bekannte: Es war ein uralter Greis. Die pergamentene Haut war straff über das Skelett gespannt und verlieh ihm ein schreckliches Aussehen. Der Körper war völlig degeneriert. Es gab praktisch keine Muskulatur mehr.
Dieser Alte hatte sich nur noch mittels Magie bewegen können. Magie hatte ihn belebt und nahezu unsterblich gemacht. Diese Magie war von Laura gestört worden. Das hatte seinen Tod bedeutet.
»Was - was ist das?«, stammelte Tom Johns.
Als wäre das der auslösende Faktor gewesen, begann der Leichnam, sich in Staub aufzulösen. Es blieb ein schwarzer Fleck, der die Konturen des liegenden Körpers nachzeichnete.
Laura schritt zum Fenster und öffnete es. Kühle Luft wehte herein, nahm sich des Staubes an und trug ihn hinaus.
Als Laura Combs das Fenster wieder schloss, sah alles so aus, als sei nichts geschehen. Sie wandte sich vom Fenster ab.
Tom Johns war außer sich. Er wusste nicht, ob er laut schreien oder weinend zusammenbrechen sollte. In einem so desolaten Zustand hatte er sich wahrscheinlich noch niemals zuvor befunden.
Laura trat auf ihn zu und lächelte. »Du begreifst nicht, was da geschehen ist?«
Er schüttelte den Kopf, wollte etwas sagen, doch kein Ton kam über seine Lippen.
»Hör zu, Tom, James Hudson erwartete uns um Mitternacht, aber als wir herkamen, war er nicht da, kapiert?«
Sie begann, seinen Schreibtisch zu durchsuchen und fand prompt ein laufendes Tonband. Darauf war alles aufgezeichnet.
Ihre Nackenhaare sträubten sich leicht, als sie sich vorzustellen versuchte, was die Aufnahme für sie für Folgen haben konnte. Sie spulte es zum Anfang zurück und ließ es wieder laufen. Was es jetzt aufzeichnete, konnte ruhig an fremde Ohren gelangen.
Lächelnd setzte Laura sich auf ihren Stuhl und winkte Tom Johns zu, es ihr gleich zu tun.
Ächzend ließ er sich niedersinken.
»Wo Hudson bloß bleibt, Tom?«, fragte Laura unterwürfig.
Er schüttelte mal wieder den Kopf. Aber dann schien er wenigstens begriffen zu haben, dass es für sein Überleben notwendig war, das Spiel mitzumachen. Er räusperte sich mehrmals und hatte offensichtlich Mühe, ein Wort herauszubekommen. Das gelang ihm erst, nachdem er mehrmals mühsam geschluckt hatte.
»Ich weiß auch nicht«, murmelte er brüchig. »Kann sein, dass Jim unsere Verabredung vergessen hat? Weiß noch nicht mal, was er überhaupt von uns will. Er hat noch nicht einmal Andeutungen gemacht.«
Mit jedem Wort fiel es ihm leichter. Er verdrängte das Erlebte, aber wenn er Laura ansah, flackerte die nackte Angst in seinen Augen.
Laura wusste, dass sie ihn jetzt soweit hatte, wie sie ihn haben wollte. Tom Johns fraß ihr im wahrsten Sinne des Wortes aus der Hand. Er war ab sofort gewissermaßen zwangsläufig ihr engster Vertrauter und würde ihr helfen müssen, sonst war er selber verloren.
Sie warteten eine Viertelstunde, während der sie sehr einsilbig waren.
Nichts geschah, aber Laura hatte sich vorgenommen, nicht von der Stelle zu weichen, bis es einen Zeugen dafür gab, dass James Hudson seine Verabredung nicht eingehalten hatte.
Der Zeuge kam nach Ablauf dieser Viertelstunde. Es war Trottel Sam Hawkins. Er gehörte zu den Vorbereitungen von James Hudson. Mit dem Trottel hatte James Hudson, der Magier, verabredet, dass er auf ein Zeichen hin erschien. Der Trottel hatte einen wachen Instinkt für Gefahren. Deshalb war er jetzt ohne ein Zeichen gekommen.
»He, wo ist der Boss?«, fragte er sofort misstrauisch. Seine Rechte fuhr blitzschnell zur Waffe.
»Was ist denn in dich gefahren?«, fuhr Tom Johns ihn an.
»Willst du uns mit der Waffe bedrohen? Seit wann denn das?«
Sam Hawkins ließ sich nicht beeindrucken. Er richtete den Revolver auf die beiden Gäste. »Wo ist der Boss?«, wiederholte er stur.
Tom Johns runzelte ärgerlich die Stirn und wollte noch etwas sagen, aber dann sah er in die Mündung des drohenden Revolvers. Er zuckte die Achseln.
Sam Hawkins kam langsam und vorsichtig näher, schielte hinter die Tür, als erwartete er dort einen gefährlichen Gegner und umrundete den Schreibtisch. Es gab keine Spuren mehr vom Hier sein des James Hudson.
Tom Johns zuckte abermals mit den Schultern. »Also, Sam, das geht doch nun doch zu weit, finde ich. Wir sitzen hier die ganze Zeit und niemand kümmert sich um uns.«
»Warum seid ihr überhaupt hier?«, knurrte der Trottel, der jetzt gar nicht mehr so trottelig wirkte.
»Keine Ahnung, Sam. Jim trug mir auf, mit Laura um Mitternacht hier zu erscheinen. Als wir hereinkamen, war der Raum leer. Wir haben uns hingesetzt und weiß Gott viel zu lange gewartet. Und jetzt verlange ich eine Erklärung, Sam. Welches Spiel wird hier mit uns getrieben?«
Sam Hawkins wurde unsicher. »Äh, der Boss sagte mir, dass er mich ruft, aber er hat mich nicht gerufen. Deshalb kam ich allein. Er hat mir gesagt, dass ihr beide um Mitternacht kommen wolltet.«
Er kratzte sich mit dem Revolverlauf an der Schläfe und wirkte auf einmal sehr verlegen.
Na also!, dachte Laura. Der hat sich schon so sehr daran gewöhnt, dass er alles falsch macht, dass er es auch jetzt annehmen muss, obwohl er ausnahmsweise richtig gehandelt hat.
Tom Johns stand auf. »Wo könnte Jim denn sein?«
»Er könnte nur hier sein«, antwortete Sam Hawkins dümmlich.
Tom Johns winkte ab. »Damit kommen wir nicht weiter, Sam, sage dem Boss, wenn der wieder auftaucht, dass wir hier waren. Wir gehen nach vorn in die Bar, genehmigen uns einen Drink und hauen dann ab. Kann schließlich sein, dass ihm etwas Wichtigeres dazwischengekommen ist, wie?«
Sam Hawkins enthielt sich seiner Meinung. Er blickte dem Pärchen nachdenklich nach. Sein dumpfer Verstand arbeitete sehr langsam und nicht gerade präzise, aber er kam zu einem Schluss: Hier stimmt etwas nicht! Die Sache ist oberfaul!
Das brachte den Trottel jedoch keinen Zoll weiter.
Kopfschüttelnd begann er damit, das Zimmer zu durchsuchen, als hoffte er, dabei Hinweise auf den Verbleib seines Bosses zu finden.
Dabei stieß er auf die Stelle am Boden, wo sich noch ein Rest von ungewöhnlich viel Staub befand.
Er untersuchte den Staub. Aber dann wandte er sich davon ab. Schließlich konnte er nicht wissen, dass es sich um die kärglichen Überreste von seinem Boss handelte.
Sam Hawkins öffnete sogar das Fenster und blickte hinaus, in der Hoffnung, irgendwelche Spuren zu sehen.
Dann verließ er das Büro und ging in die Bar.
Tom Johns und »seine Mieze« befanden sich an der Theke. Sie nahmen schweigend ihren Drink und sahen nicht einmal auf, als Sam Hawkins zum Keeper ging und ihn fragte: »He, hast du den Boss gesehen?«
»Nee, ist gewiss in seinem Zimmer, erwartete doch noch Gäste, nicht wahr?«
»Ja, das Pärchen da«, sagte Sam Hawkins abschätzig. »Aber er muss sein Zimmer verlassen haben.«
»Na, hier kam er jedenfalls nicht durch.«
»Bei mir auch nicht!«, sagte Sam Hawkins überzeugt. Er dachte: Als hätte er sich in Luft aufgelöst.
Ein letzter misstrauischer Blick zu dem Pärchen hinüber. Dann zog Sam Hawkins sich zurück. Im Zimmer seines Bosses setzte er sich hin und wartete. Bis er auf die Idee kam, das Tonbandgerät abzuspielen.
Aber auch das brachte ihn nicht weiter.
Trottel Hawkins harrte aus, weil er nicht wusste, was er sonst hätte tun sollen.
Aber sein Boss kam nicht. Er würde nie mehr kommen!
Nach dem Drink stand Tom Johns auf und ging hinaus. Laura schloss sich ihm an.
Als sie im Auto saßen, sagte Tom Johns: »Da hast du uns was Schönes eingebrockt, Laura. Verdammt, wieso musste ich ausgerechnet an dich geraten? Es gibt so viele...«
»Erzähle mir lieber, wie es gelaufen ist!«, unterbrach Laura ihn.
Er sah sie an wie das neueste Weltwunder. »Ich? Wieso? Was soll ich dir denn erzählen? Du musst doch selber wissen, wie du den guten Hudson fertiggemacht hast.«
»Na, zuerst ging ich ja mal selber zu Boden.«
Er schüttelte den Kopf. »Also gut, ich begreife zwar kein Wort, aber nehmen wir mal an, alles wäre ganz alltäglich und es gäbe nichts Ungewöhnliches bei dem Vorfall. Du bist also plötzlich mit einem leisen Schrei umgekippt. Da lagst du auf der Erde. Verdammt, ich hatte eine Schrecksekunde, die gar nicht mehr aufhören wollte. Jim stand auf und starrte dich an. Ich schwöre Stein und Bein, dass aus seinen Augen Flammen geschossen sind, die dich zum Ziel hatten. Dann ließ er sich zurücksinken und wurde kreidebleich. Er schien etwas festgestellt zu haben, was ihn mit Angst erfüllte.«
»Angst?«, echote Laura verblüfft.
»Ja. Er konzentrierte sich voll auf dich. Da kam Bewegung in dich. Du hast dich aufgerichtet und gotterbärmlich gestöhnt. Ich wollte dir helfen, ehrlich, war aber zu keiner Regung fähig. Da war etwas in der Luft. Herrgott, wie soll ich es erklären, ohne dass man mich für bescheuert hält? Also, das war etwas, was ich nicht erklären kann. Es erschreckte mich wie niemals zuvor. Hm, es war wie um Mitternacht auf einem fremden Friedhof, wenn man an einem frisch geschaufelten Grab vorbeikommt und ein Stöhnen herausdringt.« Er schüttelte sich. »Tja, du hast dich also aufgerichtet und gemurmelt: >Tom, hilf mir! Es - es tut so schrecklich weh. Was - was hast du mit mir gemacht?< Da hast du erst Jim gesehen und wolltest schreien. Dabei bist du wieder zu Boden gefallen. Etwas schien dich zu würgen. Du hast dich gegen unsichtbare Fäuste gewehrt, die du jedoch nicht entfernen konntest.
Es ging eindeutig von Hudson aus. Er hat dich schrecklich gequält, glaube ich. Und da flüsterte er einen Namen...«
»Einen Namen?«, rief Laura alarmiert.
»Ja, er sagte ihn nur einmal und ich meine, dass dieser Name dir galt. Herrje, Laura, wieso weiß ich das nicht? Wie hast du vorher geheißen? Ich meine, ich kenne ja die Geschichte, die du mir erzählt hast, die mit dem Waisenhaus und dem Lehrmeister, der dich immer vergewaltigte, aber hast du damals schon Laura Combs geheißen oder anders?«
»Wie denn beispielsweise?«, fragte sie lauernd. Ihr Herzschlag stand still.
Jetzt wird es kommen!, dachte sie bestürzt. Dieser Hudson hat meine wahre Identität herausgefunden. Wie, das spielt im Moment keine Rolle, aber für wen hat er mich gehalten?
Tom Johns rückte endlich mit der Sprache heraus: »Er sagte laut und deutlich: >May Harris!<.«
»Was?«, schrie Laura auf.
»Und dann fügte er noch etwas hinzu: >Die verdammte Teufelsjäger-Brut hat mir eine Falle gestellt!< Kaum war das über seine Lippen gegangen, stürzte er zu Boden. Du wurdest wieder vollends wach, bist aufgestanden und... Nun, den Rest weißt du schon.«
Er ließ den Motor an. Da erst bemerkte er, dass Laura nicht mehr auf ihn reagierte.
Sie hing auf dem Beifahrersitz und verdrehte die Augen, dass es einem angst und bange wurde. Tom Johns, der Gangster, runzelte nur die Stirn und fuhr an. Er hatte sich mehr oder weniger mit dem Unmöglichen abgefunden, das er hier erlebte. Eigentlich war es ihm egal, was seiner Freundin Laura widerfuhr. Hauptsache war, dass er mit heiler Haut davonkam.
»Das wird noch einen gehörigen Tanz geben, wenn die einmal festgestellt haben, dass Jim Hudson niemals mehr kommen wird und uns damit in Zusammenhang bringen.«
Laura stöhnte.
Sie fuhren durch die nächste Kurve. Tom Johns gab Gas. Er kannte da einen Platz, wo sie ganz ungestört waren und wo man sie zunächst nicht suchen würde: Ein altes Fabrikgebäude, zwar nicht sehr groß und sie würden den Platz auch mit einigen Ratten teilen müssen, aber sie konnten sich einmal ausgiebig mit dem beschäftigen, was auf sie zukommen würde.
Er hoffte, dass Laura sich bis dahin beruhigt hatte und ihren Anfall überwand.
Tom Johns knirschte mit den Zähnen. Er war ein hart gesottener Bursche, der auch nicht vor einem Mord zurückschreckte. Nicht das Ableben von James Hudson an sich machte ihm etwas aus, sondern die unmöglichen Umstände.
Laura hatte ihn umgebracht, ohne einen Finger zu rühren. Das war etwas, was ihn mit Grauen erfüllte.
Deshalb gönnte er es ihr insgeheim, dass es ihr im Moment so schlecht erging.
Bald darauf fuhr er durch das auseinander gebrochene Eisentor in den mit Unrat übersäten Fabrikhof und stoppte. Als er die Scheinwerfer löschte, fiel ihn die Dunkelheit an wie ein hungriges Tier.
Zum ersten Mal seit seiner Kindheit hatte er Angst vor dieser Dunkelheit. Auf einmal glaubte er, dass sie ihn von allen Seiten beobachteten: diffuse, unfassbare Wesen, die Laura geweckt hatte und die alle gegen sie waren.
Er schluckte schwer und rang um seine Beherrschung. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an das dürftige Licht der Großstadt, das über die hohe Fabrikmauer hinwegreichte.
Da sah er den Schatten direkt vor dem Wagen. Der Schatten kam langsam auf ihn zu.
Tom Johns war unfähig, sich zu rühren...
*
»May Harris!« Dieser Name traf Laura wie ein Keulenschlag. Das Blut rauschte in ihren Schläfen. Sie verlor halb das Bewusstsein. Chaos entstand in ihrem Innern.
May Harris! Das war ein bedeutsamer Name in der Reihe der Teufelsjäger. May Harris, das war die Lebensgefährtin von Mark Tate, dem Londoner Privatdetektiv.
War sie wirklich May Harris - oder besser gesagt deren Geist?
Sie war!
Und dann schälte sich aus dem Chaos der Gedanken Stück für Stück das Gerüst eines Gedankengebäudes: May Harris hatte den Kontakt zu Mark Tate verloren, als dieser in der jenseitigen Dimension Oran verschwand. Dann hatte es einen Hinweis darauf gegeben, dass Mark Tate und der ihn begleitende Don Cooper sich in Rio de Janeiro befanden. Sofort war sie mit Lord Frank Burgess, dem Weißen Magier von Schloss Pannymoore, nach Brasilien gereist. Dort hatte sich das Ganze als Falle erwiesen. Frank und May hatten sich daraus befreien können und kehrten in ihr Hotel zurück. Da hatte der Gegner, die SCHWARZE MAFIA, erneut zugeschlagen. May wäre fast getötet worden.