Dämonenjäger bei der Arbeit: 7 Gruselkrimis im Bundle - W. A. Hary - E-Book

Dämonenjäger bei der Arbeit: 7 Gruselkrimis im Bundle E-Book

W. A. Hary

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Beschreibung

Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe. (499) Dieser Band enthält folgende Romane W.A.Hary: Tod eines Teufelsjägers W. A. Hary: Angst W. A. Hary: Die Rache des Toten W. A. Hary: Die Hölle ist hier W. A. Hary: Aussaat des Bösen Alfred Bekker: Magierblut James Melvoin: Moronthor und der Vorstoß nach Avalon

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W.A.Hary, Alfred Bekker, James Melvoin

Dämonenjäger bei der Arbeit: 7 Gruselkrimis im Bundle

UUID: 84d43550-18ee-4533-be37-033fef557341
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Inhaltsverzeichnis

Dämonenjäger bei der Arbeit: 7 Gruselkrimis im Bundle

Copyright

W. A. Hary Tod eines Teufelsjägers

W. A. Hary Angst

W. A. Hary Die Rache des Toten

W. A. Hary Die Hölle ist hier

W. A. Hary Aussat des Bösen

Magierblut

Moronthor und der Vorstoß nach Avalon

Dämonenjäger bei der Arbeit: 7 Gruselkrimis im Bundle

W.A.Hary, Alfred Bekker, James Melvoin

Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe.

Dieser Band enthält folgende Romane

W.A.Hary: Tod eines Teufelsjägers

W.A.Hary: Angst

W.A.Hary: Die Rache des Toten

W.A.Hary: Die Hölle ist hier

W.A.Hary: Aussaat des Bösen

Alfred Bekker: Magierblut

James Melvoin: Moronthor und der Vorstoß nach Avalon

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

W. A. Hary Tod eines Teufelsjägers

„ Geister sind auch nur Menschen!“

Ich war meiner Meinung nach noch viel zu jung zum Sterben. Die mächtige Hexe Amanda jedoch interessierte meine Meinung nicht. Sie befahl ihren Schergen ungerührt: „Tötet ihn!“

Gegen die Übermacht meiner Mörder hatte ich keine Chance.

Ich starb…

Ich war Carlos Garcia, obwohl ich mich Carlo Delgado nannte. Die Namensänderung hatte einen wichtigen Grund: Ich hatte Candilla, der Stadt meiner Geburt und meiner Jugend, für immer den Rücken gekehrt, nachdem mein jugendlicher Schwarm Andrea Fernandez unter grausigen Umständen als Hexe verfolgt und hingerichtet worden war. Ich hatte ihr nicht helfen können. Ganz im Gegenteil: Die grausamen Schergen der Inquisition hatten mich sogar als Hauptzeugen benannt. Sie hatten meine Aussagen komplett ins Gegenteil verdreht.

Mir war letztlich nichts anderes übrig geblieben, als allem den Rücken zu kehren, um nicht daran endgültig zu zerbrechen.

Irgendwann war ich durch eine günstige Fügung des Schicksals - wie ich annahm – dem Edelmann und Gelehrten Archibaldo de Valon begegnet, einem Teufelsjäger, wie er sich selbst bezeichnete. Ich war total fasziniert von diesem Menschen, nicht nur von seiner Aufklärung. Er brachte mir bei, dass es echte Hexen und Hexenmeister gab, die jedoch keineswegs von der Inquisition verfolgt wurden. Die Iquisition verfolgte ausschließlich Unschuldige, und das machte die Sache in doppelter Hinsicht schlimm, denn die Inquisition machte sich damit selber zum wirksamen Werkzeug des wahrhaft Bösen. Es galt nun, alles zu tun, um die Macht des Bösen, die durch die Inquisition ungeahnte Ausmaße annahm, wieder einzudämmen. Dabei musste man äußerst vorsichtig vorgehen, um nicht selbst in die gnadenlosen Mühlen der Inquisiton zu geraten.

Vorsichtig, ja, das waren wir in der Folgezeit. Aber nicht nur vorsichtig, sondern auch erfolgreich. Immerhin jahrelang. Das lag vor allem daran, weil mein älterer Begleiter einiges an magischen Kräften zu bieten hatte. Ich musste lernen, dass es nicht nur böse Hexenmeister gab, sondern auch welche, die auf der Seite des Guten standen. Als Teufelsjäger nämlich.

Ich wurde selbst zu einem Teufelsjäger, obwohl ich keinerlei magische Fähigkeiten hatte als Carlos Garcia, der ich mich seit meiner Begegnung mit Archibaldo de Valon nur noch Carlo Delgado nannte, als hätte es Carlos Garcia aus Candilla nie gegeben.

Das alles war nun schon Jahrhunderte her, und dennoch erinnerte ich mich heute, als Mark Tate, an meine letzten Stunden als Carlo Delgado so genau, als sei es soeben erst geschehen. Am schlimmsten dabei war es, mich an meinen eigenen Tod zu erinnern. Archibaldo und ich hatten die mächtige Hexe Amanda gejagt – um am Ende selber zu Gejagten zu werden – und zu scheitern.

Inwiefern Archibaldo de Valon letztlich gescheitert war, wusste ich natürlich nicht. Ich war ja vorher getötet worden.

*

Don Cooper fiel auf, dass ich mit den Gedanken ganz woanders war und mich einfach nicht auf unseren Alltag als Detektive konzentrieren konnte.

„Was ist los, Mark?“, erkundigte er sich schließlich geduldig.

Ich erwachte wie aus einem bösen Traum und erzählte ihm von Carlo Delgado und Archibaldo de Valon. Vor allem erzählte ich ihm von meinem damaligen Tod und schloss mit den Worten:

„Es ist das Schlimmste überhaupt, sich an den eigenen Tod zu erinnern. Ich bin im Laufe der Geschichte tausendfach geboren worden, ergo auch tausendfach gestorben. Meist geschah es gewaltsam. Als Carlo Delgado, alias Carlos Garcia, hatte ich mich noch nicht einmal daran erinnert, überhaupt ein Wiedergeborener zu sein. Du weißt ja, solche Erinnerungen kommen in der Regel erst im fortgeschrittenen Alter, aus welchem Grund auch immer.“

„Und wieso erinnerst du dich ausgerechnet jetzt an deinen damaligen Tod?“, wunderte sich Don.

Ich nickte heftig.

„Eine Frage, die ich mir natürlich selber stelle. Es ist eigentlich noch nie vorgekommen, dass ich mich an ein früheres Leben erinnerte, ohne dass dies einen besonderen Grund hatte.“

„Diese Hexe Amanda?“, vermutete Don.

„Ich kann mir kaum vorstellen, dass Archibaldo damals nicht auch umgekommen ist. Wohl unmittelbar nach mir. Es ist uns nicht gelungen, Amanda das grausige Handwerk zu legen, und wenn ich ihr in einem meiner späteren Leben begegnet wäre, würde ich mich jetzt sicherlich daran erinnern – in diesem Zusammenhang schließlich.“

„Es kann doch wohl kaum sein, dass diese Amanda jahrhundertelang tatenlos blieb“, gab Don zu bedenken.

Ich hob in einer hilflos anmutenden Gebärde die Schultern und ließ sie wieder sinken.

„Keine Ahnung, Don. Ich weiß überhaupt nichts, im Grunde genommen. Ich weiß nur, dass ich damals umgekommen bin, ermordet auf den Befehl dieser Hexe hin. Und jetzt bleibt uns leider nichts anders übrig, als aufmerksam die Nachrichten zu verfolgen, ob es den geringsten Hinweis gibt auf erneutes Wirken der Hexe Amanda. Wie ich sie kenne, agiert sie nicht allein. Sie wird wieder Anhänger um sich scharen.“

„Das macht sie natürlich besonders unangreifbar“, meinte Don Cooper. „Selbst wenn du sie mit dem Schavall besiegen würdest… Ihre Anhängerschaft könnte auch ohne sie weiter machen. Je nachdem, wie sie ihre Kräfte verteilt, gibt es keine definierbare Angriffsfläche.“

Ich nickte ihm zu.

„Genau das, Don: Das war damals schon ihr Konzept, und es wird von ihr sicherlich auch heute noch verfolgt. Bleibt die Frage, wo sie in den letzten Jahrhunderten gesteckt hat. Denn wäre sie wirklich aktiv gewesen, wäre ich ihr irgendwann erneut begegnet. Da bin ich mir jetzt wirklich ganz sicher.“

„Schade, dass du damals noch nicht den Schavall in deinem Besitz hattest“, sagte Don Cooper. Dann winkte er ab. „Ich werde jedenfalls unseren Freund Chefinspektor Tab Furlong im Yard in Kenntnis setzen. Vielleicht erfährt er vor uns etwas, womit wir die Spur der Hexe aufnehmen könnten?“

„Das wäre wünschenswert“, blieb ich skeptisch. Dann versank ich wieder in den Erinnerungen an die Vergangenheit, auf der Suche nach irgendeinem Hinweis, den ich heute, als Teufelsjäger Mark Tate, vielleicht nutzen konnte.

Aber es gab entweder keinen oder ich konnte ihn eben nicht finden. Es blieb keine andere Möglichkeit mehr, als darauf zu warten, dass sich das neuerliche Wirken der mächtigen Hexe Amanda in irgendeiner Form für uns offenbarte, damit wir Mittel und Wege fanden, sie zu jagen. Diesmal nicht als Archibaldo de Valon und Carlo Delgado, sondern als Don Cooper und Mark Tate.

Doch in dieser Hinsicht wurde unsere Geduld noch auf eine harte Probe gestellt…

*

Anfang April fiel es Nick Dowling zum ersten Mal auf, dass mit seiner Frau Dorothy irgendetwas nicht stimmte. Er wusste es nicht recht zu deuten. Auf jeden Fall benahm sie sich merkwürdig. Sie erschien oft in Gedanken versunken, und wenn er sie dann ansprach, reagierte sie gar nicht.

Manchmal musste er schreien, damit sie in die Wirklichkeit zurückfand. Und dann blickte sie sich verstört um und hatte richtig Schwierigkeiten, ihn zu erkennen. Nick Dowling machte sich deswegen schon Sorgen um seine Frau und begann, sie heimlich zu beobachten.

Dorothy war schwarzhaarig, hatte einen dunklen Teint, große, glutvolle Augen, in denen das Temperament blitzte. Eine richtige Hexe, hatte er gedacht, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Es hatte sich jedoch herausgestellt, dass Dorothy die Sanftmut in Person war. Sie sah fast aus wie eine Zigeunerin, obwohl ihre gesamten Vorfahren, soweit nachforschbar, allesamt aus dem kleinen Städtchen Kenwood stammten. Sie waren also waschechte Engländer gewesen.

Trotz ihrer Sanftheit hatte Dorothy in den fünf Jahren ihrer Ehe mit Nick stets ein gewisses Temperament gezeigt und war rundherum eine sehr lebensbejahende Person gewesen, die schon morgens in der Frühe mit einem Liedchen auf den Lippen aufstand.

Und jetzt diese Veränderung. Nick konnte es nicht begreifen. War Dorothy etwa krank?

Er versuchte, sie zum Arzt zu schicken, aber seine junge, hübsche Frau lehnte fast entrüstet ab. Sie fühle sich pudelwohl wie immer, und er brauche sich keine Sorgen zu machen.

In Nick Dowling keimte ein furchtbarer Verdacht. Erhärtet wurde dieser Verdacht durch den Umstand, dass die sonst so heißblütige Dorothy in der letzten Zeit jegliches Interesse am Sex verloren hatte. Für Nick war das ein untrügliches Zeichen dafür, dass ein anderer Mann im Spiel war. Es würde alles erklären, auch Dorothys zeitweilige geistige Abwesenheit. Vielleicht hatte sie Gewissensbisse?

Nick Dowling war nun nicht einer von der Sorte, die rasend vor Eifersucht werden und alles kurz und klein schlagen, sondern er wollte sich einen Plan zurechtlegen, von dem er hoffte, dass er ihm Gewissheit bringen würde. Ja, Gewissheit, mehr wollte Nick vorläufig nicht. Er wollte wissen, woran er mit seiner Frau war. Wenn sich sein Verdacht bestätigte, würde es ihn wohl furchtbar treffen, aber lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Er nahm sich vor, Dorothy vor die Entscheidung zu stellen: Entweder der Nebenbuhler oder er. Ein Mittelweg war von vornherein ausgeschlossen.

Nick Dowling war von Beruf Ärztebesucher. Sein Weg zu diesem Beruf entsprach beinahe dem üblichen Klischee:

Medizinstudium abgebrochen, da seine Eltern durch einen tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren und somit kein Geld mehr vorhanden gewesen war, anschließende Suche nach einem geeigneten Job und endlich das Angebot einer pharmazeutischen Fabrik, als Vertreter zu fungieren. Nach einem gründlichen Vorbereitungskurs auf Kosten der Firma hatte man Nick Dowling auf die Menschheit und speziell auf die Ärzteschaft in Mittelengland losgelassen. Das war nun schon rund zehn Jahre her. Nick Dowling war durchschnittlich erfolgreich und hatte vor einem Vierteljahr das zweiunddreißigste Lebensjahr vollendet.

Es war Mitte April, als er es endlich an der Zeit fand, nicht mehr länger zu warten. Dorothys Zustand hatte inzwischen erschreckende Ausmaße angenommen. Ihr auch im Winter stets dunkler Teint erschien blass und eingefallen. In ihre einstmals glutvollen Augen war ein eigenartiges Flackern getreten. Sie gab sich oft aggressiv und gereizt und vernachlässigte ihre Pflichten im Haushalt. Wenn Nick etwas zu ihr sagte, reagierte sie hysterisch, was ihn zur Zurückhaltung zwang.

Nachts wurde er manchmal wach und vermisste ihre Anwesenheit. Wenn er dann suchend durch das Haus streifte, fand er sie einmal im Keller, in einer Ecke kauernd, völlig durchgefroren und schmutzig, oder auf dem Speicher. Sie hatte oben alte, modrig riechende Matratzen ausgebreitet und lag darauf. Dabei hatte sie jedes Mal eine eigenartige Haltung eingenommen: Sie lag auf dem Rücken, nackt, die Beine gespreizt und die Arme ausgebreitet, als hätte man sie an ein Kreuz genagelt. Wenn Nick eintrat, nahm sie ihn erst gar nicht wahr. Ihre fiebrig glänzenden Augen waren zur Decke gerichtet. Ihre Lippen, aus denen jegliches Blut gewichen war, formten lautlose Worte. Am Kopfende war eine schwarze, brennende Kerze aufgestellt. Kleinere Kerzen befanden sich in der verlängerten Linie ihrer Hände und der Beine. Die Kerzen erinnerten an Phallussymbole, wenn auch nur entfernt. Sie waren von ungeschickter Hand verformt worden. Außer der dicken Kerze am Kopfende brannte keine.

Seltsam kam Nick vor, dass die ruhige Flamme, die senkrecht über dem kurzen Docht stand, völlig regungslos blieb. Kein Luftzug vermochte sie zu beeinflussen.

Mehrmals hatte er seine Frau so gefunden. Apathisch hatte sie sich von ihm anschließend ins Schlafzimmer zurück führen lassen.

Beim letzten Mal riss ihm die Geduld. Er zerrte sie wütend von den Matratzen hoch und fegte die modrigen Dinger mit Fußtritten in eine Ecke, dass der Staub aufwirbelte. Dann sammelte er die Kerzen ein, öffnete die Dachluke und warf sie in hohem Bogen hinaus.

Die Reaktion von Dorothy war erschreckend. Sie begann zu kreischen, dass Nick befürchtete, die gesamte Nachbarschaft würde zusammenlaufen. Dann drang sie wie eine Furie auf ihn ein. Dabei bewies sie eine unerhörte Kraft. Nick Dowling, der schon immer viel von Sport gehalten hatte und einen entsprechend gestählten Körper besaß, hatte alle Mühe, sich seiner Frau zu erwehren.

Schlagartig wurde sie ruhiger und wendete sich von ihm ab. Dabei ließ Nicks Aufmerksamkeit nach, was ihm beinahe zum Verhängnis wurde. In der Ecke nämlich lag ein altes, verrostetes Beil, das durch die längst installierte Ölheizung nutzlos geworden war. Ehe sich Nick versah, ging Dorothy abermals auf ihn los. In ihren Augen brannte ein teuflisches Feuer, und sie schwang das Beil hoch über ihrem Kopf. Buchstäblich im letzten Sekundenbruchteil konnte Nick den fürchterlichen und sicherlich auch tödlichen Schlag abwehren.

Er verlor jegliche Rücksichtsnahme. Da es ihm trotz aller Bemühungen nicht gelang, Dorothy das Beil zu entwinden, schlug er auf die Frau ein, bis sie wimmernd am Boden liegenblieb.

Nick Dowling war erschüttert über diesen Vorgang. Er konnte es einfach nicht fassen. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass er seine eigene Frau schlagen konnte, aber es war ihm einfach nichts anderes übriggeblieben. Dorothy hatte ihn umbringen wollen. Es war für Nick völlig unbegreiflich.

Letzte Nacht war es passiert. Nach dem Vorfall hatte sie sich widerstandslos ins Bett gelegt. Der Rest der Nacht, den Nick größtenteils schlaflos verbracht hatte, war ereignislos verlaufen.

Am Morgen erschien alles so, als sei nichts geschehen. Ja, Nick war sogar, als hätte sich Dorothy wieder etwas gefangen. Sie war merklich aufgetaut.

Etwas wunderte ihn sehr. Er wusste genau, dass er recht hart zugeschlagen hatte, aber Dorothys makelloser Körper zeigte keinerlei Wunden, nicht einmal ein blutunterlaufenes Mal. Er hatte darauf geachtet, als seine Frau nackt vom Duschen gekommen war.

Die beiden verloren kein Wort über die Ereignisse der letzten Nacht. Im Verlaufe des Frühstücks erwähnte Nick wie beiläufig, dass er eine weite Fahrt unternehmen müsste, um ein paar Ärzte außerhalb zu besuchen. Es seien alte Kunden, bei denen er sich schon viel zu lange nicht mehr hatte blicken lassen.

Dorothy registrierte es nur am Rande. Sie hatte weder Einwände noch Fragen. Dass sie überhaupt etwas mitbekommen hatte, erkannte Nick nur an der Tatsache, dass sie wortlos eine Tasche für ihn packte, in der das Notwendigste untergebracht war, was er für eine Übernachtung in einem Hotel benötigte.

Zum Abschied wollte er ihr einen Kuss geben, aber sie wandte das Gesicht ab und lächelte dabei unergründlich.

Nick sagte nichts mehr und ging. Am Gatter zur Garageneinfahrt warf er noch einmal einen Blick zurück. Dorothy stand in der halboffenen Haustür. Ihr Gesicht war maskenhaft starr. Nick schauderte es aus ungewissen Gründen.

Er öffnete das Gatter und ging zum Garagentor, um auch dieses zu öffnen. Wenig später fuhr er mit seinem Wagen davon. Diesmal, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Er hatte dabei nämlich das untrügliche Gefühl, dass sein bisheriges Leben zu Ende war. Jemand hatte ihm Dorothy, seine junge Frau, genommen. Wer auch immer.

Einundzwanzig Jahre alt war sie gewesen, als er sie kennengelernt hatte. Bereits ein Jahr später hatten sie geheiratet. Mit den fünf Jahren Ehe kannte er seine Frau nun schon seit sechs Jahren. Sie war ihm noch nie so fremd erschienen, und ja, er wusste jetzt definitiv, dass sie ihm längst nicht mehr gehörte.

Er hatte Angst davor, endgültige Gewissheit zu erlangen, doch war ihm klar, dass der gegenwärtige Zustand unerträglich war. Es konnte so nicht weitergehen.

Er gab Gas und hatte dabei das Gefühl, eine Krallenhand reiße ihm das Herz aus der Brust.

Die Tränen kamen ihm ganz von allein, und er hatte nicht die Kraft, sie zurückzuhalten.

*

Es war bereits später Abend und somit dunkel, als er zurückkehrte. Gottlob stand das Haus, in dem er wohnte, nicht weit vom Ortsrand entfernt. So konnte er seinen Wagen außerhalb in einem Wäldchen unterstellen und zu Fuß weitergehen. Dabei achtete er darauf, dass er von niemandem erkannt wurde. Die Nachbarn hatten gesehen, dass er weggefahren war und nicht wie sonst schon vor Anbruch der Dunkelheit seine Arbeit beendet hatte. Es sollte niemand wissen, dass er nur unter einem Vorwand unterwegs war, um in der Nacht zurückzukehren und seine Frau zu entlarven. Es wäre ihm mehr als peinlich gewesen.

Sobald ihm jemand entgegenkam, drückte er sich in den Schatten der Häuser. So erreichte er ungesehen das Grundstück, auf dem sein Haus stand. Ringsum zog sich ein halbhoher Jägerzaun auf einer niedrigen Mauer aus Waschbeton. Nick Dowling war stolz darauf, denn er hatte Mauer und Zaun selbst gemacht. Sein schmuckes Häuschen stand inmitten des Grundstücks, vielleicht zwanzig Yards von Nick entfernt. Die Garage berührte mit ihrer hintersten Kante fast die rechte Ecke des Hauses. Dort hatte Nick ein schmales Durchgangstor stilisiert. Oben befand sich ein Rundbogen aus kreuzförmig genagelten Latten, von Kletterpflanzen umrankt. Dahinter öffnete sich ein kleiner Hof. Ursprünglich sollte dieser einmal als Spielplatz für eventuelle Nachkommen dienen, doch hatte sich leider gezeigt, dass der gewünschte Nachwuchs ausblieb.

In Nick krampfte sich alles zusammen, als er wie ein Dieb um das Grundstück schlich. Das Gatter zur Garageneinfahrt war genauso geschlossen wie die Garage selbst. Das hatte seine Frau wohl nach seiner Abreise besorgt.

Seine Frau?

Erneut krampfte sich alles in ihm zusammen.

Links neben seinem Grundstück befand sich ein Stück Brachgelände. Auf der anderen Seite hatte ein Nachbar gebaut: Cy Slugger. Nick hatte mit ihm ein gutes Verhältnis.

An der Trennlinie zwischen beiden Grundstücken überkletterte er den Jägerzaun. Eine hohe Weidenhecke verbarg jetzt die Sicht zum Nachbarn.

Der Mond versteckte sich hinter einer dunklen Wolke. Es wurde so dunkel, dass man kaum die Hand vor den Augen sehen konnte. Sein Haus war nur noch ein Schatten, aber es brannte teilweise das Licht. Die Fensterläden waren noch nicht zugezogen. Die Fenster stachen deutlich aus diesem Schatten hervor und ließen ein wenig Licht nach draußen.

Nick beobachtete lauernd das Haus. Vor dem Tor hatte kein fremder Wagen geparkt. Irrte er sich? Gab es am Ende doch keinen Liebhaber?

Nick verdrängte die Gedanken daran. Er war hier, um sich zu vergewissern. Es hatte jetzt keinen Sinn, fruchtlose Überlegungen anzustellen.

Möglichst geräuschlos glitt er an der Weidenhecke vorbei, mit den Schatten der Nacht verwachsen. Vom Haus aus konnte man ihn unmöglich sehen.

Da war der kleine Hof, mit Betonplatten ausgelegt. Er ahnte es mehr als dass er es sah. Der Stamm eines Baumes und eine brusthohe Buschformation, sorgfältig gepflanzt und gepflegt, bot ihm zusätzliche Deckung. Von hier aus konnte er sogar an der Garage vorbei den Vorgarten einsehen.

Nick wusste, dass hinter dem erleuchteten Fenster hier, an der Giebelseite, die Küche lag. Er erkannte die Konturen seiner Frau.

Alles krampfte sich in ihm erneut zusammen. Dorothy bewegte sich völlig ungezwungen, fühlte sich unbeobachtet. Sie hantierte herum und verließ die Küche schließlich.

Nick Dowling blickte auf seine Armbanduhr. Das Leuchtzifferblatt verriet ihm, dass es auf Mitternacht zuging. Noch immer war Dorothy allein. Hatte er sich wirklich geirrt oder hatte seine Frau den berüchtigten Braten gerochen?

Wieder kam Dorothy in die Küche zurück. Nick sah für Minuten nur ihren Kopf im Seitenprofil und ihre Schultern. Was sie tat, konnte er nicht erkennen.

Plötzlich warf sie den Kopf in den Nacken und begann zu lachen. Es war ein furchtbares, fast schaurig zu nennendes Lachen. Gleichzeitig vernahm Nick ein Rumoren. Er blickte nach oben. Wenn er sich nicht irrte, kam das Rumoren vom Dachstuhl.

Er runzelte die Stirn, aber da war das Geräusch auch schon wieder verebbt. Schlagartig hörte Dorothy zu lachen auf und hantierte weiter. Dann drehte sie sich abrupt um und verließ abermals die Küche.

Nick Dowling hätte einiges darum gegeben, hätte er sehen können, was seine Frau in der Küche um diese Zeit trieb. Er richtete sich auf und teilte die Zweige des Busches vor ihm, um seinen Lauscherposten zu verlassen. Er wollte näher an das Fenster heran und versuchen, einen Blick nach innen zu erhaschen. Möglicherweise erwartete Dorothy späten Besuch und bereitete etwas vor?

In diesem Augenblick sagte jemand hinter Nick: „Stopp, Fremder, und keine Bewegung!“

Nick erstarrte wie zur sprichwörtlichen Salzsäule. Seine Nackenmuskeln spannten sich.

„Was suchen Sie hier?“

Eine Taschenlampe flammte auf, erfasste Nick mit ihrem hellen Schein.

„Los, umdrehen, ich will Sie von vorn sehen!“

Nicks Hände zuckten. Langsam wandte er sich um sich selbst, in das grelle Licht blinzelnd.

Ein überraschter Ausruf.

„Verdammt, das bist ja du, Nick!“

Endlich erkannte Nick Dowling die Stimme. Sie gehörte seinem Nachbarn Cy Slugger!

Es dauerte eine Weile, bis sich Slugger von seiner Überraschung erholt hatte. Er richtete den Strahl seiner Taschenlampe zu Boden, um Nick nicht länger zu blenden.

„Bist du von allen guten Geistern verlassen, Nick? Was schleichst du hier durch die Nacht?“

Nick Dowling hätte sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen. Er rang nach Worten, aber es wollte ihm nichts Passendes einfallen.

Cy Slugger schaltete seine Taschenlampe aus.

„Ich habe schon gedacht, ein Einbrecher hätte es auf dein Haus abgesehen. Da war ein dunkler Schatten, der über den Zaun kletterte. Ich war gerade dabei, ins Bett zu gehen, als ich es sah. Schließlich wähnte ich deine Frau allein zu Hause. Was hätte sie schon gegen einen Einbrecher tun können, so ganz allein?“

Nick hörte ein leises Klicken. Dann raschelte es. Seine Augen weiteten sich.

Endlich war er fähig, etwas zu sagen.

„Sag mal, Cy, war das eine Waffe?“

„Natürlich. Meinst du, ich schleiche hier durch das Dunkel, um einen Einbrecher mit den bloßen Fäusten zu stellen?“

Nick bekam nachträglich noch weiche Knie.

„Verdammt, Cy, ich weiß gar nicht, wie ich es dir erklären soll.“

„Vielleicht brauchst du das gar nicht“, entgegnete der Nachbar geheimnisvoll.

„Wie — wie meinst du das?“

„Nun, man hat schließlich Augen im Kopf. Alter Junge, es geht mich zwar nichts an, aber deine junge Frau erscheint mir in letzter Zeit recht sonderbar. Sie grüßt niemanden mehr und...“

„Dann hast also auch du gemerkt, dass mit ihr etwas nicht stimmt?“

„Ich müsste blind sein, wenn ich das nicht gesehen hätte. Und du dachtest wohl, dass ein Liebhaber dahintersteckt, wie?“

Nicks Blicke suchten in der Finsternis den Schatten des Nachbarn.

„Ja“, gab er ein wenig kleinlaut zu. „Ich schäme mich fast, aber ich wollte endlich Gewissheit haben.“

„Das kann ich verstehen, alter Junge.“

„Cy, Mensch, ich kann dir gar nicht sagen, wie peinlich mir das alles ist. Kannst du mir etwas versprechen?“

„Du weißt, dass du auf mich zählen kannst.“

„Vergiss, dass du mich gesehen hast, hörst du? Es könnte schließlich sein, dass sich mein Verdacht nicht bestätigt. Es wäre unerträglich für mich, wenn man allerorten von meiner nächtlichen Exkursion erzählen würde.“

„Kann ich verstehen, Nick. Kein Sterbenswörtchen wird über meine Lippen kommen. Das verspreche ich dir.“

„Hör mal, hast du vielleicht gesehen, dass meine Frau während meiner Abwesenheit manchmal...?“ Nick sprach den Satz nicht zu Ende.

„Nein, Nick, tut mir leid. Meine Frau und ich wunderten uns auch über ihr Benehmen. Besuch hat sie aber meines Wissens nach nicht ein einziges Mal während deiner Abwesenheit empfangen.“

Nick atmete erleichtert auf.

„Na ja, vielleicht stellt sich jetzt nur heraus, wie dumm ich gewesen bin.“

„Ich hoffe für dich das Beste“, sagte der Nachbar und zog sich zurück.

Nick lauschte noch eine Weile auf das Rascheln auf der anderen Seite des Weidenzaunes. Er war sicher, dass Cy Slugger in den nächsten Minuten noch auf der Lauer liegen würde. Dazu kannte er den Mann schon zu gut. Slugger würde sich das Folgende nicht entgehen lassen, obwohl er gottlob nicht zu den Menschen gehörte, die hernach alles Gesehene ausposaunten.

Nick verschwendete keinen Gedanken mehr an den Nachbarn und richtete seinen Blick wieder nach vorn.

Dorothy war abermals in die Küche gekommen. Sie lief hin und her.

Nick verließ sein Versteck und ging auf leisen Sohlen zum Fenster hinüber. Da war Rumoren in der Küche. Das Fenster war in einer Höhe von etwa zweieinhalb Yards. Nicks Hände krallten sich um die Kante der Fensterbank. Ein Klimmzug, und sein Gesicht schob sich über den Rand.

Gleichzeitig damit schlug in der Ferne die Kirchturmuhr. Es war genau Mitternacht.

Bevor Nick Dowling etwas sehen konnte, erlosch das Licht in der Küche. Er hörte ein leises Kichern, dann einen unterdrückten Schrei. Die Fensterbank schien auf einmal elektrisch geladen zu sein. Nick musste sie loslassen.

Verstört blickte er hinauf. Da war wieder das Poltern auf dem Speicher, lauter als beim ersten Mal. Dorothy lachte gurrend. Stühle wurden anscheinend gerückt.

Nick tastete sich an der Hausfassade entlang zum Durchgang zwischen Gebäude und Garage.

Das Haus vibrierte merklich unter seinen tastenden Händen. Nick verstand das nicht. Was ging da vor?

Er erreichte den Durchgang. Im Vorgarten war nichts zu sehen.

Dorothy begann zu singen. Das Lied war so ordinär, dass es Nick unwillkürlich schauderte. Das hätte er seiner Frau nie zugetraut. Sie sang so laut, dass Nick befürchtete, man müsse es auf der Straße und in der Nachbarschaft hören.

Er hatte auf der Zunge, nach seiner Frau zu rufen, sie sollte aufhören, aber tat dies dann doch nicht. Er wollte Beobachter bleiben und nicht in das Geschehen eingreifen.

Noch immer stand kein Wagen vor dem Haus. Trotzdem hatte Nick das Gefühl, dass Dorothy Besuch empfangen hatte - eindeutigen Besuch. Er hörte ihre Stimme. Sie hatte aufgehört zu singen und ließ wieder das gurrende Lachen hören.

Das Vibrieren des Hauses verstärkte sich.

Nick war noch mit der Frage beschäftigt, wieso es ihm entgangen war, dass Dorothy Besuch bekommen hatte. Vielleicht war der Mann gekommen, während Nick von seinem Nachbarn aufgehalten worden war? Nein, auch dann hätte er es merken müssen. Das Vorgartentor quietschte in den Angeln. Es hätte längst einmal geölt werden müssen. Das Quietschen war laut genug. Es hätte die beiden aufmerken lassen.

Nick Dowling zog sich wieder zurück und stellte sich lauschend unter das Küchenfenster. Dorothys Stimme erschien weiter weg. Sie musste die Küche verlassen haben.

Ein eigenartiger Geruch stieg Nick in die Nase. Der Geruch kam zweifelsohne aus der Küche. Erst jetzt erkannte Nick, dass das Fenster inzwischen einen Spalt weit offen stand. Nebelschwaden drangen aus dem Innern und krochen an der Außenfassade des Hauses entlang. Für einen Augenblick fürchtete Nick, es handele sich um Rauch, weil irgendetwas im Inneren des Hauses brannte. Aber er musste sich darin irren. Es roch alles andere als verbrannt. Es war ein Geruch, wie ihn Nick nie zuvor wahrgenommen hatte.

Der Nebel verhielt sich recht eigenartig. Obwohl mit einem Mal ein eisiger Hauch um das Gebäude wehte, hatte der Wind keinerlei Einfluss auf die grauen Schwaden. Sie krochen wie Geisterhände an der Mauer entlang und begannen, das Haus mehr und mehr einzuhüllen.

Schon war die Giebelseite nur noch eine wogende graue Masse. Der Geruch wurde eindringlicher, hatte eine leicht berauschende Wirkung.

Erschrocken taumelte Nick ein paar Schritte zurück. Sofort hörte der Geruch auf. Es blieb der Nebel, der sich immer weiter ausbreitete, aus der Küche immer mehr Nachschub erhielt. Langsam kroch er um die Hausecke und schob sich weiter.

Der heulende Wind wurde wütender und zerrte in Nicks Haaren.

Der Mann erschrak, als er sich einmal umsah und gewahrte, dass der Weidenzaun auf dem Nachbargrundstück völlig unbeweglich blieb. Es schien, als befände sich der Wind nur in unmittelbarer Nähe seines Hauses, als wäre seine Wirkung lediglich auf das Grundstück beschränkt.

Jegliches Blut war aus Nicks Antlitz gewichen. Er begriff die Vorgänge einfach nicht.

Inzwischen waren die Vibrationen so stark geworden, dass sie sich auf den Boden übertrugen. Nick spürte sie unter seinen Füßen.

Er rang sich zu einem Entschluss durch, trat vor und berührte den Nebel vorsichtig mit den Fingern. Sofort zog er sie wieder zurück. Das graue Etwas fühlte sich schleimig und fest an und war eiskalt. Nick dachte unwillkürlich an ein Lebewesen. Ekel schnürte ihm die Kehle zu.

Er lief um die Hausecke hinter das Gebäude. Da war die Treppe, die hinunter in den Keller führte. Noch hatte der graue Dunst die Kellertür nicht erreicht. Sie war abgeschlossen.

Während Nick die Treppe hinunterlief, nestelte er den Schlüssel aus der Tasche. Er hatte plötzlich Angst um seine junge Frau. Er hatte das Gefühl, ihr helfen zu müssen.

Das Schloss schnappte auf. Ohne Schwierigkeiten konnte Nick den Keller betreten.

Er drückte die Tür hinter sich zu und lauschte. Über ihm rumorte es, als würde sich jemand auf dem Boden herumwälzen.

Nick ballte die Hände zu Fäusten. Er fand den Lichtschalter und wollte ihn betätigen. Ohne Erfolg. Es blieb dunkel. Nick blieb nichts anderes übrig, als sich durch die Dunkelheit weiter zu tasten.

Er befand sich in einem kurzen Flur, der nach rechts verlief. Links befand sich die Tür zur Waschküche. Geradeaus öffnete sich die Treppe nach oben. Rechts ging es zum eigentlichen Kellerraum, in dem die Heizung untergebracht war. Dahinter war Nicks Hobbyraum.

Dorthin lenkte er seine Schritte. Er kannte sich hier unten gut genug aus, um auch ohne Licht auszukommen.

Die Tür zum Hobbyraum war nur angelehnt. Nick schob sie auf. Durch das Kellerfenster drang zu wenig Licht, um ihn etwas erkennen zu lassen. Noch immer wurde die Scheibe des Mondes von einer dunklen Wolke verborgen.

Nick bildete sich auf einmal ein, die Wolke hätte jemand absichtlich davor geschoben.

Er tastete sich zum Werkzeugschrank, fand ihn und zog eine Schublade auf. Hier wusste er eine kleine Taschenlampe. Sie würde ihm gute Dienste leisten. Tatsächlich lag sie an ihrem Platz. Nick nahm sie an sich und knipste sie an.

Der dürftige Schein beleuchtete die Werkbank und ein Arsenal von Werkzeugen, die alle sorgfältig geordnet waren.

Der Lichtstrahl wanderte weiter.

Der Hobbyraum war groß. Während die eine Seite die kleine Werkstatt einnahm, befanden sich auf der anderen Seite chromglitzernde Gerätschaften. Da lagen Zwillingshanteln am Boden, daneben befand sich ein Hantelständer mit Langhanteln und ein Ständer mit Einhanddumbells. Alles war gut sortiert. Hier wurde Nick Dowling seine Aggressionen und überschüssige Energie los. Man sah den Geräten an, dass sie häufig benutzt wurden - und Nick konnte man ansehen, dass niemand anderes als er dieser Benutzer war.

Im Moment hatte der Mann wenig Interesse an den Dingen in seinem Hobbyraum. Er trat wieder hinaus. Der dürftige Lichtstrahl geisterte durch den Kellergang und zeigte ihm den Weg.

Entschlossen stieg Nick die Treppe hinauf. Oben ertönte lautes Lachen. Er vermeinte, auch die Bassstimme eines Mannes zu hören, war aber nicht ganz sicher.

Nick öffnete die Tür zur Diele. Schlagartig wurde es im Haus ruhig.

Unwillkürlich blieb Nick stehen und lauschte. Kein Geräusch mehr drang an seine Ohren.

Er schloss die Tür hinter sich und leuchtete in der Diele umher. Hatte er angenommen, hier die Garderobe eines Besuchers zu finden, so sah er sich getäuscht.

Vorsichtig ging er weiter. Vor dem Wohnzimmer blieb er abermals stehen. Kein Laut.

Nick öffnete die Wohnzimmertür und trat ein. Die Möbel standen ordentlich auf ihrem Platz. Nichts deutete darauf hin, dass das Rumoren, das Nick die ganze Zeit gehört hatte, von hier gekommen war.

Kopfschüttelnd zog Nick die Tür wieder zu und wandte sich zur anderen Seite. Hier befand sich der Essraum, daneben, durch eine Verbindungstür erreichbar, die Küche. Die Verbindungstür stand weit offen.

Nick hörte Brodeln. Er ging darauf zu. Die Küche war nicht, wie er ursprünglich angenommen hatte, voll mit diesem eigenartigen Nebel. Auf dem Elektroherd standen vier große Kochtöpfe. Auf der Anrichte daneben lagen die Überreste irgendwelcher Pflanzen.

Das Brodeln kam von den Töpfen. Etwas kochte darin. Da der Herd in Betrieb war, erkannte Nick, dass nicht die gesamte Elektrizität im Haus ausgefallen war.

Langsam ging er näher. Der Nebel kam aus den vier Töpfen, formierte sich sofort zu einem dichten Schleier, der quer durch die Küche zum Fenster ging und nach draußen verschwand.

Es wallte in dem Nebelgebilde. Widerstrebend streckte Nick die Hände aus und versuchte, in das Gebilde einzudringen. Es gelang ihm nicht. Das Zeug war wie ein zäher Brei und fühlte sich ekelhaft an.

Nick schüttelte den Kopf. Der ganze Vorgang war für ihn unerklärlich.

Er duckte sich unter dem Dunst hindurch und wandte sich an die Anrichte. Da erst entdeckte er die Blutspritzer.

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Deutlich waren die Überreste einer Katze und einer Ratte zu sehen. Sie lagen inmitten eigenartiger Pflanzengebilde.

Mit einem Mal fiel es wie Schuppen von Nicks Augen: Dorothy, seine Frau, betätigte sich als Hexe! Sie hatte ein Hexengebräu hergestellt, das jetzt unablässig kochte und jenen Dunst hervorbrachte, der sich so widersinnig verhielt.

Plötzlich fuhr ein Heulen durch das Esszimmer und drang in die Küche ein. Es wurde schlagartig kälter. Der Strom von Dunst, der aus den Töpfen drang, verebbte. Das Heulen wurde stärker. Ein regelrechter Sturm fuhr durch die Küche, dass Nicks Hosenbeine zu flattern begannen.

Es schauderte dem Mann. Die Schalter am Elektroherd knackten. Sie bewegten sich selbständig und schalteten ab. Das Brodeln in den Töpfen hörte auf. Abermals ein kräftiger Windstoß, der das Fenster zuwarf.

Nick wollte hinaussehen, sah aber nur noch wallenden Nebel vor der Fensterscheibe. Er ahnte, dass inzwischen das gesamte Haus von dem Zeug eingehüllt war.

Grauen fiel ihn an. Er ging auf das Esszimmer zu. Da aber fiel die Tür ins Schloss.

Ein lautes Lachen klang auf. Es kam von überall und nirgends. Deutlich erkannte Nick die Stimme seiner Frau.

Es wurde stetig kälter, bis Nick mit den Zähnen klapperte. Er warf sich verzweifelt gegen die Tür, aber er brauchte alle Kraft, um sie zu öffnen.

Der Wind riss und zerrte in seinen Haaren und an seinen Kleidern. Eigenartigerweise aber hatte er keinen Einfluss auf die Gardinen und die Tischdecke im Esszimmer. Er schien nur gezielt seine Wut an Nick auslassen zu wollen.

Gottlob brannte noch die kleine Taschenlampe, obwohl die Batterie bereits merklich schwächer geworden war.

Nick erreichte die Diele. Oben, im ersten Stockwerk, wo die Schlafzimmer und das Bad waren, schien eine wilde Orgie gefeiert zu werden. So mannigfaltig waren die Geräusche. Nick wollte die Treppe hinaufsteigen, aber der wütende Wind warf ihn fast um.

Da ertönten die Schritte. Sie kamen oben über den kurzen Flur und näherten sich der Treppe. Sie waren schwer und ließen die Dielen knarren.

Nicks Haare sträubten sich. Er richtete die Taschenlampe nach oben, aber der Lichtstrahl vermochte es nicht, bis oben hin zu leuchten.

Die Schritte kamen langsam die Treppe herunter. Die Geräuschkulisse oben erschien auf einmal blechern, als komme sie aus einem schlechten Lautsprecher. Die Schritte gingen auf Nick zu.

Es zeigte sich, dass es egal war, ob die Taschenlampe gut war oder nicht. Das Licht reichte aus, um Nick erkennen zu lassen, dass ein Unsichtbarer herunterkam. Deutlich hörte er die Schritte. Nur noch vier Stufen, bis sie in der Diele angelangt waren, aber die Treppe erschien vollkommen leer.

Nick wollte ausweichen. Er wollte plötzlich nur noch fliehen, diesem Haus und dem Geschehen den Rücken kehren - den Rücken kehren für immer. Allein, er stand stocksteif da und war zu keiner Regung fähig.

Nick stand direkt am Fußende der Treppe. Die Schritte verstummten auf der untersten Stufe. Für einen Augenblick vermeinte Nick, einen riesigen Schatten mit glühenden Augen vor sich zu sehen. Aber der Eindruck verschwand sofort wieder.

Jemand kicherte leise. Dann schob sich etwas an Nick vorbei. Ein eiskalter Hauch berührte stoßweise Nicks Gesicht. Es war wie der Atem des Unsichtbaren.

Plötzlich waren die Schritte neben Nick. Das Tappen folgte schneller hintereinander. Der Unsichtbare schien zu rennen, dabei aber kaum von der Stelle zu kommen. Das Geräusch verlor sich am Ende des Flures, kehrte zurück, erklang im nächsten Moment aus dem Esszimmer. Von unsichtbarer Hand bewegt, flog die Tür zum Wohnzimmer auf. Die Schritte waren auch dort zu hören, drangen auf einmal auch wieder über die Treppe zu Nick herunter. Die Laute kamen von allen Seiten, schienen den Mann einzukreisen. Kichern einmal da und einmal dort.

Nick Dowling hielt es nicht mehr aus. Die ganze Spannung, die Angst, das Grauen, machten sich auf einmal mit einem gellenden Schrei Luft. Nick schrie wie am Spieß, bis er keinen Atem mehr hatte. Danach fühlte er sich ein wenig besser. Auch die Laute, das Tappen um ihn herum, waren verstummt. Dafür war das Rumoren oben stärker geworden.

Entschlossen stieg Nick die Treppe hinauf. Jegliche Furcht war auf einmal von ihm abgefallen. Er war stets ein realistisch denkender Mensch gewesen. Jetzt gingen Dinge um ihn herum vor, die man mit einem rationalen Verstand nicht erklären konnte. Aber er akzeptierte sie trotzdem. Er verschwendete keinerlei Gedanken mehr an das Wie und das Warum. Er ging die Treppe hinauf, um seine Frau zu sehen. Er wollte sicher sein, dass sie für all diese Phänomene verantwortlich war.

„Dorothy Dowling“, murmelte er vor sich hin, „was ist mit dir geschehen? Was hat dich so verändert?“

Es gab keine Antwort.

Er erreichte den obersten Treppenabsatz und betrat den kurzen Flur. Rechts war das große Elternschlafzimmer, links das Kinderzimmer mit dem Bad. Die Geräusche kamen von rechts. Nick ging zur Tür und stieß sie auf. Gleichzeitig wurde alles stumm. Nick trat ein. Die Betten waren gemacht. Alles machte einen aufgeräumten und ordentlichen Eindruck.

Im nächsten Moment ein gellendes Lachen. Es war das Lachen einer offenbar Wahnsinnigen, das Lachen seiner Frau. Es schien gar nicht mehr abreißen zu wollen.

Nick warf sich herum und sprang auf den Flur hinaus. Das Lachen kam von unten, aus dem Erdgeschoß.

Verdammt, dachte er, ich komme doch gerade von unten. Nein, Dorothy kann nicht im Erdgeschoß sein. Meine Sinne narren mich.

Er blickte sich um. Links befand sich die Leiter zum Speicher hinauf. Die Luke oben war geschlossen. Nick machte sich an den Aufstieg. Mit der Rechten klappte er die Luke ganz nach oben.

Auf dem Speicher herrschte tiefe Finsternis. Eigentlich hatte Nick erwartet, hier seine Frau in der üblichen Haltung auf den alten Matratzen liegend vorzufinden, aber er sah sich getäuscht. Als er seine Taschenlampe kreisen ließ, gewahrte er nur alte Sachen, die er aus unerfindlichen Gründen hier oben aufbewahrte, obwohl er sie aller Voraussicht nach niemals mehr würde gebrauchen können. Da lagen die Matratzen. Auch die Kerzen fehlten nicht. Wo aber befand sich Dorothy?

Nick kam ein Gedanke, der ihn erschrecken ließ. Er dachte unwillkürlich an das rostige Beil, mit dem seine Frau ihn in der letzten Nacht hatte erschlagen wollen. Wo befand es sich?

Er grübelte darüber nach. Nachdem Dorothy am Boden gelegen hatte, war es ihm ohne Schwierigkeiten gelungen, ihr das Beil zu entwenden. Er hatte es in die Ecke geworfen, und er wusste auch noch ganz genau, in welche. Nick ging hin und stöberte herum. Es war verschwunden.

Nick Dowling wurde auf einmal von einer regelrechten Besessenheit gepackt, das rostige Beil zu finden. Es dünkte ihm aus ungewissen Gründen als sehr wichtig. Allein, alle seine Bemühungen blieben umsonst. Das Ding war unauffindbar.

Nick dachte daran, dass Dorothy gelacht hatte. Und dieses Lachen war anscheinend doch aus dem Erdgeschoß gekommen.

Sofort stieg Nick wieder in den ersten Stock hinunter. Bevor er sich aber ins Erdgeschoß begab, durchsuchte er das Schlafzimmer und das Kinderzimmer, das ihnen die ganze Zeit als Fremdenzimmer gedient hatte. Auch das Bad wurde von der Durchsuchung nicht verschont. Als Nick schließlich auf die Treppe trat, hinterließ er wüstes Durcheinander.

Langsam stieg er nach unten. Noch immer hatte die Taschenlampe ihren Geist nicht aufgegeben und leistete wertvolle Dienste. Ohne sie hätte Nick wohl nicht einmal die Hand vor den Augen gesehen.

In der Diele blickte sich Nick kurz um. Dann wandte er sich dem Wohnzimmer zu.

Gleichzeitig gellte wieder das Lachen Dorothys auf. Diesmal kam es zweifelsohne von oben. Nick ließ sich davon allerdings wenig beirren. Er durchstöberte das Wohnzimmer. Anschließend tat er das Gleiche auch mit Esszimmer und Gästetoilette.

Als er schließlich in die Küche trat, erschrak er. Alles war sauber. Mit den Händen überzeugte er sich davon, dass auch die Kochplatten völlig kalt waren, als sei seit Stunden nichts mehr darauf gekocht worden. Wie konnte das sein?

Das Beil befand sich auch nicht in der Küche.

Nick ballte die Hände zu Fäusten. Als er auch den gesamten Keller durchsucht hatte, musste er sich eingestehen, dass sich seine Frau mitsamt dem Mordinstrument offenbar in Luft aufgelöst hatte.

Als wäre dieser Gedanke ein Signal gewesen, begann es wieder auf dem Speicher zu lärmen. Da waren deutlich Stimmen. Die eine gehörte seiner Frau. Sie hatte einen ordinären Unterton.

Lauschend stieg Nick die Treppe hinauf. Je näher er den Stimmen kam, desto deutlicher wurden sie.

Nick erkannte, dass sie sich in einer Sprache unterhielten, die ihm völlig unbekannt war. Der Mann sprach stoßweise, keuchend, guttural. Es klang fast wie das Knurren und abwechselnde Bellen eines großen Hundes. Die Frau stieß eine rasche Lautfolge aus. Ein spitzer, wollüstiger Schrei folgte, dann lautes Stöhnen.

Die Stimme des Mannes wurde leiser. Jetzt sprach sie in einer anderen Sprache. War es Englisch? Nick konnte jetzt jedenfalls einzelne Worte verstehen. Sie zeugten von unbeschreiblicher Perversität.

Wie in Trance ging Nick auf die Treppenleiter zum Speicher zu. Die Luke oben war wieder geschlossen. In den Ritzen aber erkannte Nick den Widerschein flackernden Lichtes.

Er stieg weiter empor, den Kopf lauschend erhoben, erreichte die Luke, hob sie an und streckte den Kopf hindurch.

Im nächsten Augenblick wünschte er sich, es niemals getan zu haben. Der Anblick, der sich ihm bot, traf ihn wie ein Keulenschlag.

Die Kerzen brannten diesmal alle. Dorothys Laute und Bewegungen waren eindeutig, obwohl sie allein zu sein schien. Aber Nick spürte deutlich die Anwesenheit eines Dritten. Seine Frau war mit einem Wesen zusammen, das ein normaler Sterblicher wie Nick nicht sehen konnte.

Und da war wieder der eigenartige Geruch. Diesmal hatte er eine Intensität erreicht, dass es Nick fast den Atem verschlug. Und dann wusste der Mann, was es war. Er erinnerte sich an Beschreibungen des Teufels, erinnerte sich daran, dass der Leibhaftige stets mit dem Geruch von Pech und Schwefel erschien. Ja, das war es, was Nicks Nase und Atemwege quälte. Allerdings hatte der intensive Gestank nur entfernte Ähnlichkeit mit Pech und Schwefel. Er war viel furchtbarer. Handelte es sich dabei um die Körperausdünstungen des unsichtbaren Wesens?

Nick wollte in das Geschehen eingreifen, aber er vermochte es nicht, sich zu bewegen. Er war gezwungen, auf seinem Platz zu bleiben und Zeuge zu sein von den entsetzlichen Geschehnissen.

Und er spürte dabei weder Hass noch Verachtung gegenüber seiner jungen Frau. Nur Mitleid. Nick ahnte, dass sie nicht für das verantwortlich zu machen war, was sie hier tat.

Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis Dorothy endlich ermattet liegenblieb. Die Kerzen flackerten. Nick konnte sich wieder bewegen.

Es knarrte und knisterte im Gebälk. Das Haus wurde durchgeschüttelt wie von einem Erdbeben, so dass Nick schon meinte, es würde im nächsten Augenblick zusammenbrechen. Ein hohles Heulen, durchdrungen von einem furchtbaren Gelächter, klang auf und zog Nicks Nackenhaut zusammen. Dann scharrte es draußen, als kratzten tausend Geisterhände über das Dach und die Mauern. Ein letztes Beben, dann brauste die Luft über dem Gebäude. Ein Grollen wie Donnerhall entstand. Schließlich war es vorbei.

Nick stieg die letzten Stufen der Treppenleiter empor und betrat den Speicher. Vor seiner Frau blieb er stehen.

Sie hatte die Augen geschlossen. Jetzt schlug sie sie auf und blickte ihn an. Ein seltsamer Glanz war darin.

„Was siehst du mich so an?“, herrschte sie ihren Mann an. „Was willst du von mir? Scher dich weg!“

Nick rührte sich nicht vom Fleck.

„Warum?“, fragte er nur. Er betrachtete seine nackte Frau, erkannte die Kratzer, die unter seinen Blicken in atemberaubender Geschwindigkeit verheilten.

Nick schüttelte den Kopf. Er wusste, dass nicht er das Opfer war, sondern sie.

„Warum?“, wiederholte er.

Dorothy lachte heiser und richtete sich auf.

„Dummkopf. Warum bist du zurückgekommen? Das hättest du dir ersparen können. Wolltest mich wohl mit meinem Liebhaber auf frischer Tat ertappen? Nun, das ist dir gelungen. Zufrieden?“

„Ich wollte dich ursprünglich bitten, dich zu entscheiden“, sagte er etwas hilflos.

Abermals stieß sie das heisere Lachen aus.

„Hiermit hast du es getan. Gleich meine Antwort: Ich habe mich bereits entschieden. Vor einiger Zeit schon. Ich brauche dich nicht mehr. Am besten, du verschwindest auf der Stelle.“

Sie stand ganz auf.

„Versuche ja nicht, mich zu bekehren. Das gelingt dir nicht. Ich habe das höchste Glück erreicht. Lange hat es gedauert, bis mich der Herr der Finsternis erhört hat. Heute Nacht ist es geschehen - endlich. Und jetzt bin ich endgültig und für immer vollwertiges Mitglied der neuen Armee, der Armee von Meisterin Amanda. Sie hat mich persönlich auserwählt und rekrutiert. Ich gehöre ihr.“

„Dorothy, wer hat das aus dir gemacht? Amanda? Wer ist das? Wie kam sie ausgerechnet auf dich?“

Sie warf ihren Kopf in den Nacken und lachte lauthals.

„Du Wurm!“ Sie spie ihm ins Gesicht. „Was bist du doch für eine elende Kreatur. Ich bin eine Auserwählte, obwohl du das nicht begreifen kannst. Nur Auserwählte begreifen die Bedeutung, zur mächtigen Amanda zu gehören. Sie ist die neue Religion. Sie ist mehr als nur eine mächtige Hexe. Sie ist eine Gottheit, und sie wird mit jedem neuen Mitglied, das der Herr der Hölle persönlich auserwählt, mächtiger. Die schwarze Gottheit schlechthin. Wir werden immer mehr, immer mächtiger. Wir werden in ihrem Namen die Welt erobern. Und du stehst mir jetzt im Weg…“ Plötzlich hatte sie das rostige Beil in der Hand. „Willst du nicht gehen, he? Soll ich dir vielleicht Beine machen?“ Sie wirbelte das Beil über den Kopf und schlug zu.

Nick riss abwehrend die Arme hoch, um den furchtbaren Schlag abzuwehren, aber Dorothy hatte eine übermenschliche Kraft. Mühelos gelang es ihr, seine Deckung zu durchdringen.

Die Axt traf mit Wucht Nicks Kopf. Es wurde ihm schwarz vor den Augen. Er tastete sich über das Gesicht und taumelte rückwärts. Ein erneuter Hieb.

Dorothy trieb ihn zur offenen Luke. Gnadenlos drosch sie mit der Axt auf ihren Mann ein - auf den Mann, mit dem sie fünf Jahre eine glückliche, harmonische Ehe geführt hatte.

Nick verlor den Boden unter den Füßen, fiel tödlich verletzt durch die Luke auf die Treppenleiter hinunter und von da aus weiter die Treppe hinunter. Erst unten in der Diele kam sein Körper zur Ruhe. In verkrümmter Haltung blieb er liegen. Seine Augen blickten starr und leblos.

Kichernd stieg Dorothy über seine Leiche hinweg, öffnete die Haustür und lief nackt auf die Straße hinaus. Die Kühle der Nacht schien ihr nichts auszumachen. Sie rannte und rannte, bis sie den Ort verlassen hatte. Dabei schrie sie immer wieder gellend:

„Amanda, meine blutige Göttin, der ewig Verfluchte hat mich endlich erhört, und jetzt komme ich zu dir, um deiner unbesiegbaren Armee anzugehören! Unser sei die Macht!“

Ihr langes, blauschwarzes Haar wehte wie ein Kometenschweif hinter ihr her. Die festen Brüste wippten auf und ab. Und sie rannte, ohne zu ermüden.

Ihr Ziel stand fest. Es stand auch fest, dass sie nie mehr zurückkehren würde. Sie war nicht mehr Dorothy Dowling. Sie war eine andere geworden, die mit der ehemaligen Dorothy nur noch äußerlich eine Ähnlichkeit hatte. Das schöne Gesicht war zynisch verzerrt. Immer wieder ließ sie ein schauriges Lachen hören.

Nur wenige Menschen begegneten ihr auf dem weiten Weg. Es waren Autofahrer, die ihren Augen nicht trauen wollten und das Erlebnis ihrer Übermüdung zuschrieben.

Nick Dowling aber blieb zurück. Er lag am Fuße der Treppe, und das Beil lag neben ihm.

Das Haus war zur Ruhe gekommen. Der eigenartige Nebel hatte sich verflüchtigt. Nichts deutete mehr darauf hin, dass Nicks Frau eine Braut geworden war - eine Braut des Satans. Und der Satan hatte in dieser Nacht den Anspruch auf seine Braut fundamentiert, um sie endgültig zu einem Mitglied der Armee des Bösen werden zu lassen, zur Armee der mächtigen Hexe Amanda.

*

Cy Slugger verhielt sich genauso, wie es Nick Dowling vorausgesehen hatte. Er kehrte wohl zu seinem Haus zurück, wo ihn seine Frau erwartete, um ihn mit Fragen zu bombardieren, aber er ging nicht sofort zu Bett. Er erklärte mit knappen Worten, wen er als „Einbrecher“ entlarvt hatte, und legte sich dann gemeinsam mit seiner Frau am Fenster auf die Lauer.

Von außen konnten sie nicht gesehen werden, da sie wohlweislich das Licht im Zimmer gelöscht hatten. Sie sahen das erleuchtete Küchenfenster und den Schatten davor.

„Das ist Dowling“, sagte Slugger.

Cilian, seine Frau, nickte eifrig.

„Ist doch eine Schande“, meinte sie im Flüsterton, als könnte sie jemand hören, für dessen Ohren ihre Worte nicht bestimmt waren. „Die waren doch recht glücklich miteinander. Und jetzt das hier.“

„Eigentlich hat sich Nick auch verändert in der letzten Zeit“, sinnierte Cy Slugger laut. Er zuckte mit den Achseln. „Na ja, das ist ja wohl kein Wunder, wenn man überlegt, was seine Frau treibt.“

„Was treibt sie denn, he? Ihr Männer seid doch alle gleich. Immer sind es die Frauen, die an allem schuld sind. Vielleicht hat er sie vernachlässigt? Oder sie ist einfach krank, und er will es ihr nicht glauben?“

„Hör auf damit; ich weiß ja auch nicht, was da los ist. Auf jeden Fall werden wir die Sache im Auge behalten.“

Cilian schlug in gespieltem Erschrecken die Hand vor den Mund.

„Du glaubst doch wohl nicht, dass da noch etwas passiert, oder?“

„Ich weiß es nicht. Ich kenne Nick als ruhigen Mann. Er ist nicht hier, um Terror zu machen, sondern nur, um sich zu vergewissern, wie berechtigt sein Verdacht ist. Wie die Sache allerdings ausgeht, wissen die Götter.“

Eine Weile beobachteten sie schweigend. Bis der graue Nebel aus dem Küchenfenster drang.

Cilian deutete nach unten.

„Mein Gott, was ist das? Brennt es im Haus?“

Cy Slugger antwortete nicht sofort. Er spähte zum Nachbarhaus hinüber.

„Ich glaube nicht.“

„Eigentlich ist es schäbig, dass wir hier auf der Lauer liegen und zusehen, während sich da drüben ein Drama abspielt“, sagte sie kleinlaut.

„Töte mir doch nicht den Nerv. Es ist einfach unsere Bürgerpflicht, dass wir das tun. Falls wirklich etwas passiert, braucht man Zeugen. Ich bekomme so ein komisches Gefühl nicht los. Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Dorothy. Da kannst du mir sagen, was du willst. Ich weiß nicht, ob sie einfach nur fremd geht. Ich finde, in einem solchen Fall verhalten sich die Leute anders.“

„Das weißt du wohl aus Erfahrung, wie?“, vermutete Cilian schnippisch.

Cy Slugger blieb die Antwort schuldig. Er wusste aus bitterer Erfahrung, dass in einem solchen Fall jegliches weitere Wort sinnlos war.

Der Nebel umgab das Haus wie Watte. Nick drang durch den Keller in das Innere des Gebäudes.

„Verflixt“, entfuhr es Slugger. Er hatte die Farbe gewechselt. „Ich glaube, jetzt wird es ernst. Weiß der Teufel, was ihn veranlasst hat, hineinzugehen.“

„Vielleicht ist der Freier inzwischen eingetroffen?“, vermutete Cilian. „Wir müssen ihn nicht unbedingt gesehen haben.“

„Du hast doch auf meine Rückkehr gewartet. Ist dir etwas aufgefallen?“

„Nein, sonst hätte ich dir das doch gesagt.“

„Na also, dann ist auch niemand gekommen. Vielleicht ist Dorothy in Gefahr?“

„Und wenn schon, ist die Hilfe bereits unterwegs. Nick Dowling ist drinnen.“

Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Fasziniert starrten sie auf den wallenden Nebel. Sowas hatten sie noch nie zuvor gesehen.

„Da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu“, flüsterte Cilian plötzlich.

Cy Slugger spürte einen Kloß in seiner Kehle, der sich nicht hinunterschlucken ließ.

„Du sagst gar nichts, Cy.“

„Was soll ich denn sagen?“, brauste er auf.

„Sonst, wenn ich behauptet habe, übersinnliche Kräfte wären am Werk, hast du mich immer ausgeschimpft. Warum jetzt nicht?“

Er schüttelte nachdenklich den Kopf.

„Ich weiß es nicht, wenn ich ehrlich sein soll. Ich begreife diesen Nebel nicht. Er verschluckt jeden Laut. Nicht einmal der Wind kann ihm etwas anhaben. Das Haus der Dowlings ist nur noch ein dicker Wattetupfer.“

„Ob wir die Polizei rufen sollen?“

„Nun lass doch die Polizei aus dem Spiel, Cilian. Was soll denn die hier? Wir blamieren uns doch. Hernach werden wir gefragt, wie wir auf die ganzen Vorgänge aufmerksam geworden sind, und müssen erzählen, dass wir schon die ganze Zeit auf der Lauer liegen. Nee, danke, nicht mit mir. Warten wir erst einmal ab.“

Die Minuten rannen träge dahin. Spannung lastete über den beiden Menschen. Sie spürten, dass sich drüben ein Drama abspielte, obwohl sie nichts sehen und nichts hören konnten.

„Mein Gott, das wird uns kein Mensch glauben“, murmelte Cilian.

Ihr Mann gönnte ihr einen giftigen Blick.

„Das wird auch niemand brauchen, alldieweil wir niemandem etwas davon erzählen, klar? Nick ist nicht nur mein Nachbar, sondern auch mein Freund. Meinst du, ich will ihn in die Pfanne hauen? Kenwood ist mehr ein Dorf als eine Stadt. Nick könnte sich nirgendwo mehr blicken lassen, schätze ich.“

„Aber ja, ich weiß doch, es war nur so eine Redensart.“

„Dann überlege dir vorher besser, was du sagst!“

Sie spürten beide, dass die Spannung in ihnen Aggressionen wachrief. Deshalb sagten sie lieber gar nichts mehr.

Und auf einmal bildeten sich über dem Nachbarhaus deutliche Luftwirbel. Wie ein graues, dickes Wolltuch, das jemand wegzog, kroch der Nebel zum Dachfirst des Hauses und befreite das Gebäude, darüber eine wild pulsierende Wolke bildend. Rollender Donner ertönte, als befände sich in der Wolke ein Miniaturgewitter, das dennoch die Gewalt eines Urweltunwetters hatte.

Die beiden beobachtenden Menschen zuckten erschrocken zusammen. Sie starrten auf die Wolke.

Das Haus erbebte in den Grundfesten. Ein dunkler Schatten mit einem glühenden Augenpaar fuhr aus dem Dach, vereinigte sich mit Donnergetöse mit den wallenden, wogenden Nebeln. Ein weiteres Beben. Dann fuhr das gesamte Gebilde mit einem infernalischen Geheul in den Himmel.

Es war so laut, dass die halbe Stadt davon wach wurde. So jedenfalls hatten die Sluggers den Eindruck. In verschiedenen Häusern, die sie von ihrem Lauscherposten aus sehen konnten, flammten Lichter auf. Leute streckten ihre Köpfe ins Freie. Da sie aber nichts mehr sehen konnten, zogen sie sich wieder zurück.

Nur die Sluggers blieben auf ihrem Posten. Auch wenn sie es gewollt hätten — sie waren unfähig, sich zurückzuziehen. Das Geschehene war ihnen unter die Haut gegangen. Das Grauen hielt sie in den Klauen. Sie wagten nicht, ihren Blick vom Nachbargebäude zu lassen. Ihre Augen waren unnatürlich geweitet, und aus ihren Gesichtern war jegliche Farbe gewichen.

Sie konnten später nicht mehr sagen, wie viel Zeit vergangen war, als sich drüben auf einmal die Haustür öffnete. Eine helle Gestalt lief durch den Vorgarten und öffnete das Tor.

Slugger und seine Frau mussten zweimal hinsehen. Sie begriffen erst gar nicht, was sie sahen. Es konnte sich nur um Dorothy Dowling handeln. Die junge Frau rannte auf die Straße hinaus. Mitten auf dem Asphaltband hetzte sie weiter.

Endlich reagierte Slugger. Während seine Frau noch murmelte: „Mein Gott, die war doch nackt. Sie wird sich den Tod holen“, riss er das Fenster auf und brüllte hinaus: „Mrs. Dowling!“

Aber die junge Frau hörte nicht. Sie lief weiter, und Slugger konnte ihr meckerndes Lachen hören, das sich in der Ferne verlor.

Das neugierige Ehepaar kam erst wieder in Bewegung, als die helle Gestalt ihren Blicken entschwunden war. Sie wechselten einen blitzschnellen Blick miteinander. Was tun?, bedeutete es.

Slugger ergriff die Initiative.

„Du bleibst hier am Fenster und beobachtest weiter, ob jemand das Haus verlässt, hörst du? Keine Sekunde darfst du deinen Blick wenden!“

„Und was hast du vor?“, fragte sie bang.

„Ich will nach dem Rechten sehen.“

Sie klammerte sich in einem plötzlichen Anflug von Panik an ihn.

„Nein, Cy, das darfst du nicht! Wer weiß, was auf dich lauert.“

Es gelang ihm nicht sofort, sich zu befreien.

„Sei doch vernünftig!“, redete er auf seine Frau ein. Doch Cilian wollte nicht hören:

„Denke doch an mich und die Kinder. Wir wollen dich nicht verlieren. Wir brauchen dich noch.“

„Jetzt ist aber genug, Frau“, wurde Cy Slugger ärgerlich und zog seinen Revolver. „Schau dir das Ding an. Kaliber neun Millimeter. Wen die Kugel trifft, der tut mir nichts mehr.“

„Cy, um des Himmels Willen, sei vernünftig! Was nutzt dir denn die Waffe? Du hast selbst gesehen, mit welchen Mächten du es hier zu tun hast.“

Mit einer einzigen wütenden Bewegung riss sich Slugger jetzt los.

„Hör auf, du hast doch nur Angst, weil ich dich allein lasse. Sieh doch ein, dass ich nach dem Rechten sehen muss. Nimm lieber deinen Platz am Fenster ein.“

Er warf einen kurzen Blick hinaus. Inzwischen hatte sich drüben nichts verändert. Kein Mensch hatte das Gebäude nach Dorothy Dowling verlassen.

Schluchzend klammerte sich Cilian an die Fensterbank. Sie hatte eingesehen, dass es ihr unmöglich war, ihren Mann umzustimmen.

Er ging zur Tür.

Bevor er hinaustrat, rief sie ihm noch nach:

„Du könntest die Polizei rufen. Es ist ihre Aufgabe, drüben nachzusehen, was passiert ist.“

Cy Slugger tat so, als habe er nichts mehr gehört. Er hetzte die Treppe hinunter und verließ das Haus. Er war noch immer vollständig angekleidet. Wenn er die Polizei rief, würden sich die Beamten über diesen Umstand wundern, aber auf der anderen Seite war ihm das im Moment egal.

Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Seine Gedanken bewegten sich im Kreis. Welches Drama hatte sich bei Nick Dowling abgespielt? Falls Dorothy wirklich einen Liebhaber empfangen hatte, musste er noch da sein. Vielleicht war Nick mit ihm in einem Kampf verstrickt und benötigte Hilfe?

Auf jeden Fall hätte Cy Slugger nie sofort die Polizei benachrichtigt. Erst einmal musste sicher sein, dass man die Angelegenheit ohne die Cops nicht mehr bereinigen konnte. Nick hätte es ihm nie verziehen, wenn er viel Wirbel um nichts gemacht hätte.

Mit solchen und ähnlichen Gedanken erreichte Cy Slugger endlich das Nachbargebäude. Die Haustür war geschlossen. Dorothy hatte sie hinter sich ins Schloss fallen lassen.

Unschlüssig blieb Cy Slugger stehen. Er wollte klingeln, aber da war immer noch seine Annahme, Nick befände sich mit dem Liebhaber im Innern des Hauses. Deshalb rannte Cy zur Kellertür. Sie war gottlob nicht abgeschlossen.

Cy Slugger kannte sich aus. Er befand sich nicht zum ersten Mal in diesem Haus. Seine Linke tastete nach dem Lichtschalter, während die Rechte mit der Waffe drohte.

Die Deckenbeleuchtung flammte auf. Die Birne war durch ein Drahtnetz geschützt.

Cy Slugger lauschte mit angehaltenem Atem. Kein Laut drang an seine Ohren.

Ein unheimliches Gefühl beschlich den Mann, als er weiterging. Er rang mit sich, um nicht auf der Stelle kehrt zu machen und dem Ort so schnell wie möglich den Rücken zu kehren. Nein, kneifen wollte er nicht. Es bestand noch immer die Möglichkeit, dass Nick seine Hilfe benötigte.

Da war die steile Kellertreppe. Die Tür oben war geschlossen. War sie auch abgesperrt?

Mit weichen Knien stieg Cy Slugger hinauf und tastete mit schweißnasser Linken nach der Türklinke. Die Hand mit der Waffe zitterte, als er die Tür aufstieß.

Da war dieser kurze Flur. Rechts ging es nach oben in den ersten Stock.

Cy Slugger fluchte in sich hinein, weil es hier so dunkel war. Es hing ein eigenartiger, süßlicher Geruch in der Luft, und er konnte nicht sehen, was diesen Geruch verursachte. In seiner Nervosität fand er nicht sofort den Lichtschalter. Die Taschenlampe hatte er nicht dabei.

Endlich flammte das Licht auf. Für Sekundenbruchteile war er geblendet und kniff die Augen zusammen. Aber im nächsten Moment riss er sie weit auf, denn er hatte den Arm gesehen, der am Fuß der Treppe in den Flur hineinragte. Es war ein Arm, dessen Hand zur Faust geballt war.

Cy Slugger stand da wie vom Donner gerührt und wagte sich nicht zu bewegen. Erst jetzt bemerkte Cy das Beil, das mitten im Flur lag. Es war blutverschmiert.

Der Wunsch, dem Ganzen den Rücken zu kehren, wurde in Slugger fast übermächtig. Aber er überwand das Grauen und kam langsam näher, bis Nick Dowling ganz in sein Blickfeld rückte.

Er sah grausig aus, und die gebrochenen Augen schienen ihn vorwurfsvoll anzustarren.

Cy Slugger schnappte nach Luft, wie ein Karpfen auf dem Trockenen. Jetzt wusste er, was das für ein Geruch war - es war der Geruch des Todes.

Gewaltsam zwang er sich dazu, seinen Blick von dem Toten zu lösen. Er sah zur Haustür. Der Weg dorthin war kürzer, als wenn er durch den Keller das Haus verlassen hätte. Aber um zur Haustür zu gelangen, musste Slugger an dem Toten vorbei, und das war ihm fast unmöglich.

Er tat es dennoch. Und als er es endlich geschafft hatte, riss er die Tür auf und hetzte hinaus. Dabei machte er einen Fehler: Er warf einen letzten Blick zurück. Und da erkannte er, dass ihm der Blick des Toten… gefolgt war!

Cy Slugger war nicht mehr der Allerjüngste, aber er war noch nie in seinem Leben so schnell gerannt wie in den nächsten Sekunden. Er übertraf sich sogar an Sportlichkeit, indem er sich nicht die Mühe machte, das Vorgartentor zu öffnen. Er flankte einfach darüber hinweg. Das Grauen saß ihm im Nacken.

Mit fliehendem Atem erreichte er sein Haus. Er hatte die Tür offenstehen lassen. Das Telefon stand in der Diele. Cy Slugger brauchte ein halbes Dutzend Anläufe, ehe es ihm gelang, die Polizei anzurufen. Die Cops versprachen, sofort zu kommen, obwohl sie aus den wirren Worten Sluggers offensichtlich nicht recht klug wurden.

Als das erledigt war, wankte Slugger ins Wohnzimmer, öffnete den Barschrank und nahm die erstbeste Flasche Whisky heraus. Die andere Hand griff nach einem Glas.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass er seine Waffe nicht mehr hatte. Und er besaß keinen Waffenschein. Der Revolver musste irgendwo da draußen liegen. Cy Slugger winkte eine empfindliche Strafe, wenn man ihn fand, aber dennoch hätten den Mann keine zehn Pferde dazu gebracht, die eigenen vier Wände wieder zu verlassen, um nach der verlorenen Waffe zu suchen.

Wohin er auch blickte, überall schob sich der Anblick der toten Augen darüber, die ihm folgten.

Slugger schmiss das Glas in eine Ecke und hängte sich die Flasche einfach an den Hals. Er trank in großen Zügen.

Dabei erinnerte er sich an seine verstörte Frau, die noch immer oben am Fenster auf ihn wartete.

Der Alkohol fuhr ihm in die Glieder und beeinträchtigte sein Stehvermögen.

Cy Slugger wankte hinaus und polterte die Treppe hinauf. Als er bei seiner Frau angelangt war, fiel er auf die Knie und begann zu weinen wie ein kleines Kind.

„Das halte ich nicht aus“, lallte er immer wieder. „Die Augen des Toten blicken mir nach. Sie verfolgen mich.“

Er tat einen weiteren tiefen Schluck.

Für einen Augenblick wurde sein Verstand wieder klar. Er schaute Cilian durchdringend an.

„Hast du inzwischen etwas beobachten können?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Mein Gott, Cy, was hast du erlebt? Du bist ja kalkweiß.“

„Was ich erlebt habe? Das nackte Grauen!“ Er blickte seine Frau an und sah dabei nicht sie, sondern die Augen des Toten - gebrochen und starr. „Der Teufel hat dieses Haus heimgesucht, sage ich dir, der Teufel persönlich!“

Darauf sagte Cilian nichts mehr. Sie griff jetzt ihrerseits nach der Flasche und nahm sie an sich, um etwas völlig Undamenhaftes zu tun: Daraus mit großen Schlucken zu trinken, obwohl sie Whisky normalerweise verabscheute.

Als die Polizei endlich kam, waren beide sturzbetrunken, und es war nichts Vernünftiges aus ihnen herauszuholen.

Es dauerte eine Weile, bis die Cops begriffen, dass es sich um das Nachbarhaus handelte. Mit den Andeutungen konnten sie allerdings wenig anfangen.

Nichtsahnend gingen sie hinüber. Das hieß, da sie zu dritt waren, konnten sie sich trennen. Einer blieb bei dem völlig konfusen und betrunkenen Ehepaar Slugger, dessen beiden Kinder nacheinander mit schlaftrunkenen Gesichtern herüberkamen, weil sie der Lärm geweckt hatte.

Die beiden Konstabler klingelten vergeblich. Endlich kamen sie auf die Idee, durch den Keller einzudringen.

Sie fanden den Leichnam.

„Das ist Sache der Kripo“, sagte einer, ganz käsig im Gesicht.

Der andere entgegnete nichts darauf. Er schluckte nur schwer. Die Leiche war wirklich kein schöner Anblick

Allerdings waren die Augen nicht geöffnet, sondern geschlossen. Das Gesicht war wie zum friedlichen Schlummer entspannt.

Das machte den einen der Cops stutzig. Ehe sie zum Streifenwagen zurückkehrten, um die Kollegen von der Kripo zu benachrichtigen, tastete er nach dem Puls des Leblosen. Vergeblich. Da war nichts. Hier kam jede Hilfe zu spät.

Keiner der beiden wollte allein bei der Leiche zurückbleiben. Sie waren abgebrühte Burschen, aber an dem Haus war etwas, was ihnen Furcht einflößte. Außerdem ging von dem Leichnam etwas Seltsames aus. Sie spürten es beide, obwohl es keiner definieren konnte.

Sie ahnten nicht, dass die Angelegenheit um Nick Dowling noch lange nicht erledigt war.

Sie würde erst beginnen.

Dabei war die Suche der Kriminalisten nach der Mörderin noch ein relativ kleiner Part.

Denn der Schlüssel für alles lag weit in der Vergangenheit…

*

Inspektor Neil Rodska von der Mordkommission traf gemeinsam mit Dr. Albert Bell ein. Sie brachten ein Spezialistenteam der Spurensicherungsleute mit.

Zuerst einmal kam der Gerichtsmediziner zum Zuge. Während die Spurensicherungsleute das Haus durchsuchten, widmete er sich dem Toten. Seine Diagnose war eindeutig: Exitus!

„Mehrere Beilschläge“, sagte er zu Inspektor Rodska. „Bereits der erste war tödlich. Die Schläge erfolgten allerdings nicht hier unten. Der Tote ist die Treppe heruntergefallen. Dabei hat er sich einige Knochen angeknackst. Wie durch ein Wunder blieb allerdings die Wirbelsäule unbeschädigt.“

Neil Rodska nickte stirnrunzelnd. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

„Möchte bloß wissen, wo Bob wieder bleibt.“

Doch Albert Bell grinste.

„Bob Treves, Ihr Assistent?“

„Genau der. Es ist wie eine Krankheit bei ihm. Immer wenn man ihn braucht, bleibt er unauffindbar.“

Das Grinsen in Beils Gesicht verstärkte sich.

„Nun, schließlich ist er Junggeselle. Niemand zwingt ihn, jede Nacht im eigenen Bett zu verbringen.“

Neil Rodska winkte den Doc mit hinaus. Hier hatten sie im Moment nichts zu tun. Sie standen den Spezialisten von der Spurensicherung nur im Wege.

Draußen trafen sie auf einen der Konstabler, die die Leiche entdeckt hatten.

„Wo wohnen denn die Sluggers?“, erkundigte sich Rodska.

Der Uniformierte deutete zum Nachbargebäude hinüber.