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TEUFELSJÄGER: Die 23. Kompilation W. A. Hary: „Diese Kompilation beinhaltet die Bände 161 bis 170 der laufenden Serie!“ Enthalten in dieser Sammlung: 161/162 »Rückkehr des Bösen« W. A. Hary 163/164 »Herrin der Bestien« W. A. Hary 165/166 »Das vergessene Reich« W. A. Hary 167/168 »Die Welt des Bösen« W. A. Hary 169/170 »Clan der Dämonen« W. A. Hary Die Serie TEUFELSJÄGER Mark Tate erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Bis Band 20 wurde sie von HARY-PRODUCTION neu aufgelegt und ab Band 21 nahtlos fortgesetzt! Jeder Band ist jederzeit nachbestellbar.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
TEUFELSJÄGER:
Impressum:
TEUFELSJÄGER 161-162:
TEUFELSJÄGER 163-164:
TEUFELSJÄGER 165-166:
TEUFELSJÄGER 167-168:
TEUFELSJÄGER 169-170:
Lest selber, wie es weitergeht in…
Die 23.
Kompilation
W. A. Hary (Hrsg.)
Diese Kompilation beinhaltet Bände aus der laufenden Serie rund um Mark Tate, natürlich für das Buchformat optimiert.
Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary
Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen
(einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.haryproduction.de
Copyright dieser Fassung 2018 by www.HARYPRODUCTION.de
Canadastr. 30 * D66482 Zweibrücken
Telefon: 06332481150
eMail: [email protected]
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von HaryProduction.
Covergestaltung: Anistasius
Die Serie TEUFELSJÄGER Mark Tate erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Bis Band 20 wurde sie von HARY-PRODUCTION neu aufgelegt und ab Band 21 nahtlos fortgesetzt!
Es ist kein Wunder, dass sich Kompilationen, also Sammlungen von mehreren Büchern und Texten in einem einzigen Band vereint, immer größerer Beliebtheit erfreuen. Immerhin bieten sie eine Fülle von Lesestoff für einen kleineren Geldbeutel. Unsere Kompilationen gibt es für jede Serie, und darin sind die Romane und Texte in ihrer richtigen Reihenfolge geordnet, so dass jeder seine Lieblingsserie nach Belieben zusammenstellen und sie am Ende vollständig besitzen kann. Sowohl als eBook, erhältlich über wirklich alle relevante Plattformen, als auch (natürlich!) als gedruckte Bücher, ebenfalls über alle maßgeblichen Plattformen erhältlich.
Wie zum Beispiel dieser Band aus der Serie rund um Mark Tate:
TEUFELSJÄGER Mark Tate:
Die 23. Kompilation
W. A. Hary (Hrsg.): „Diese Kompilation beinhaltet die Bände 161 bis 170 der laufenden Serie!“
Enthalten in dieser Sammlung:
161/162 »Rückkehr des Bösen« W. A. Hary
163/164 »Herrin der Bestien« W. A. Hary
165/166 »Das vergessene Reich« W. A. Hary
167/168 »Die Welt des Bösen« W. A. Hary
169/170 »Clan der Dämonen« W. A. Hary
Rückkehr des Bösen
„Die Blutgöttin rächt sich – und das nicht zu knapp!“
Entsetzen. Es peitschte ihn, zwang ihn in die Knie. Tränen rannen ihm über die Wangen. Er wollte schreien, aber eine eiskalte Hand packte seine Kehle, erstickte ihn.
Er ballte die Hände zu Fäusten, stemmte sie auf den Steinboden. Mit aller Macht konzentrierte er sich.
„Kali!“ Es waren nur seine Gedanken, die diesen Ruf aussandten. „Kali, Herrin des Bösen, Gebieterin der Schlangen!“ Und die Energien der Finsternis hörten auf, ihn zu quälen. Er fühlte sich von ihnen jetzt vielmehr erfüllt mit unbegrenzter Macht über Lebende und Tote…
1
Nicht mehr länger wurde der steinige Boden nur vom Blaken der Fackel beleuchtet, die seinen Händen entglitten war. Unnatürliches Licht brach aus dem Felsen. So schien es zumindest. Aber der schwarze Magier Earl Cappert wusste es besser. Für ihn hatte sich einfach nur die Dunkelheit selbst in Licht ver-wandelt. Er war ein wahrer Diener des Bösen, und in Nacht und Finsternis war er in seinem Element…
„Kali!“, erscholl sein Ruf und hallte tausendfach ver-stärkt von den hohen Felswänden wider.
„Kali, du hast mich erhört!“
Er hob den Blick. Nur zwanzig Schritte war er von dem Götzenbild entfernt, das an der Stirnseite der un-terirdischen Höhle kauerte. Der Götze war vor kurzem erst von einem echten Daedrafürsten erweckt worden. Er hatte ihm gedient mit den Mächten des Bösen, die sich auf wundersame Weise mit Daedraenergien ver-bündet hatten.
So weit ging Earl Cappert nicht. Er hatte keinen Zu-gang zu der Parallelwelt der Daedras, und er begnügte sich zunächst mit dem persönlichen Kontakt mit der Schlangengöttin, die zurück ins Zwischenreich der Dämonen verbannt worden war, ohne sie zurückholen zu wollen in das Diesseits, was ihm zu diesem Zeit-punkt sowieso noch nicht hätte gelingen können.
Dass der berühmte Teufelsjäger Mark Tate ebenfalls an dem Kampf beteiligt gewesen war, ja, sogar letztlich die Hauptrolle gespielt hatte mit seinem Schavall, da-von wusste er nichts. Weil die Blutgöttin selber und sogar die Kalijünger, die entkommen waren, nichts da-von mitbekommen hatten. Der Teufelsjäger war für ihn gewissermaßen gar kein Begriff. Als hätte er niemals existiert.
„Kali, mein sei deine Macht und ich dein ewiges Werkzeug!“
Dann brach er zusammen. Die ganze Anstrengung war letztlich doch zu viel für ihn gewesen. Alle Macht, die er kurz zuvor noch gespürt hatte, war mit einem Schlag einfach verschwunden…
*
Ein Geräusch weckte Earl Cappert auf.
Er schreckte hoch.
Zunächst hatte er Mühe, sich zurechtzufinden. Schritte näherten sich — Schritte und Stimmen.
Earl Cappert sprang auf die Beine. Viel zu schnell. Er hatte Mühe, die dadurch aufkeimenden Schwindel-gefühle unter Kontrolle zu bringen und nicht wieder hinzufallen.
Noch immer umgab ihn Dunkelheit. Jetzt machte sie ihn blind wie jeden normalen Menschen. So lange, bis er sich wieder erholt hatte.
Er bückte sich vorsichtig, tastete umher, fand die erloschene Fackel und nahm sie an sich. Dann schritt er aus, die Hände vorgestreckt. Er musste sich verste-cken und sich später vielleicht unter die Touristen mi-schen. Denn er wusste genau, wer da nahte. Es waren Neugierige, geführt von einem Ortskundigen, der schaurige Geschichten über die Schlangengöttin Kali erzählte. Immerhin war dieser Ort hier inzwischen zu einer Touristenattraktion geworden, nachdem May Harris angeblich im Alleingang sämtliche Gefahren be-seitigt hatte. Nachhaltig sogar, wie nicht nur sie ver-muteten. Earl Cappert war dabei, dies zu ändern, aber das durfte jetzt noch niemand merken.
Irgendwo entstand flackerndes Licht. Dort war der Eingang. Die „Behörde zur Entwicklung des Tourismus in Indien“ hatte an alles gedacht. Sie versprach den Ausländern und reichen Einheimischen Interessantes, gepaart mit Nervenkitzel. Deshalb wurden alle Besu-cher vor dem Betreten des Labyrinths mit Fackeln ausgerüstet. Zwar hatte man überall Lampen ange-bracht, aber Fackeln waren nicht nur zünftiger, son-dern vor allem effektvoller.
Nur den Götzen strahlte man während der Erklä-rungen mit speziellen Scheinwerfern an.
Earl Cappert fand rechtzeitig eine verborgene Nische und kauerte sich hinein. Hätte man die Felsenhalle taghell ausgeleuchtet, wäre er vielleicht aufgefallen. So aber würde ihn kein Mensch bemerken.
Gegen Abend war er mit anderen Touristen gekom-men. Er hatte sich unbemerkt abgesondert, um die Nacht hier zu verbringen.
Stirnrunzelnd grübelte er nach. Er konnte sich an die Geschehnisse der Nacht kaum erinnern. Was war passiert? War es ihm wirklich geglückt, mit der Schlangengöttin im dämonischen Jenseits Kontakt aufzunehmen, wie beabsichtigt?
Seine Gedanken wurden unterbrochen. Die Touris-ten traten ein, allen voran ein Inder mit Turban. Er sprach einwandfreies Englisch und erzählte im Plau-derton:
„...und das, meine Damen und Herren, war die Op-ferhalle. Die Diener der blutrünstigen Schlangengöttin Kali verschleppten Menschen, um sie ihrer Gebieterin zu opfern. Sie verlangte es so. Es gibt nur ungefähre Zahlen über die Menschen, die hier im Laufe der Zeit auf grausame Weise zu Tode gekommen sind.“
Er trat an die Wand und betätigte einen Kontakt. Ein greller Scheinwerfer, an der Decke befestigt, strahlte auf einen bestimmten Punkt vor dem riesigen Götzen.
Der Schein der Fackeln tanzte über die Höhlenwän-de. Fasziniert schauten die Touristen auf den beleuch-teten Fleck.
„Auf einen regelrechten Altar verzichtete man. Die Opfer wurden zu diesem Fleck gebracht, am Fuße des Götzen. Und dann erwachte der Götze zu unheimlichem Leben. Die Kalijünger traten zurück und...“
Aus einem Lautsprecher sickerte leises Stöhnen. Singsang mischte sich hinein, brandete auf zu einem Orkan — fast den Entsetzensschrei des Opfers übertö-nend.
Die Opferstelle war leer. Dennoch glaubten die Zu-schauer, das unglückliche Opfer zu sehen.
Der perfekte Horror.
Nervenkitzel für die Besucher. Sie spürten Schauer auf ihren Rücken.
Ein zweiter Spot. Er zielte direkt auf das linke Bein des Götzen.
Im nächsten Augenblick bewegte es sich!
Die Besucher schrien durcheinander. Sie vergaßen für einen Augenblick, dass dies hier nur Theater war.
„Ein simpler Mechanismus, der seine Wirkung nicht verfehlte!“, berichtete der Führer gelassen. „Nur Ein-geweihte wussten davon. Sie bewegten das Bein über Seilwinden. Unter dem Bein befindet sich die Schlan-gengrube. Die Kalijünger mussten annehmen, ihre er-wachende Göttin entließe ihre Schützlinge. Die ausge-hungerten Schlangen fanden das Opfer und...“ Er brach wieder ab, ließ alles erst einmal auf die Touris-ten einwirken.
Sie standen in verkrampfter Haltung da. Ein großer, kräftiger Mann lachte heiser, um sich gegen den Alp-druck zu wehren.
Unbemerkt von den anderen ging der Fremdenführer zum Schaltbrett und schaltete noch ein paar Lichter dazu.
Erschrocken zog sich Earl Cappert tiefer in die Fel-sennische zurück, um nicht doch noch entdeckt zu werden.
Das linke Bein des Götzen senkte sich nicht mehr. Hatte es der Fremdenführer vergessen?
Die Touristen waren dankbar für das zusätzliche Licht. Sie atmeten erleichtert auf und fanden sich in der Wirklichkeit wieder.
Und dann klatschten sie Beifall.
Eine Amerikanerin rief begeistert:
„Wonderful! Amazing! Das ist das Größte! Ich habe die ganze Welt gesehen und war noch nie so beein-druckt!“
Der Fremdenführer zeigte sich zufrieden. Er wusste: Erfolg ist die beste Reklame. Die Rechnung des Frem-denverkehrsverbandes ging auf. Das arme Land Indien konnte Geldspritzen gut vertragen. Hunger und Elend waren an der Tagesordnung.
Er wäre weniger zufrieden gewesen, hätte er den brennenden Blick von Earl Cappert bemerkt.
Cappert ballte die Hände zu Fäusten. Sein Hass kannte keine Grenzen mehr.
Die Schlangengöttin wird wieder regieren!, dachte er böse und knirschte mit den Zähnen. Dann wirst du der erste sein, der ihr Opfer wird! Was du hier tust, ist Ket-zerei der schlimmsten Art. Deine Strafe wird furchtbar sein.
Er blickte zu dem Bildnis empor. Bei Licht besehen wirkte es nicht mehr gar so schaurig, aber immer noch schlimm genug. Die sechs Arme waren zur Seite hin weggestreckt und hielten Schlangen. Die Göttin hatte ein Medusenhaupt. Die Haare waren korkenzieherartig gedreht und sahen selber aus wie schwarze Schlangen. Ein Gespinst von Gold- und Silberfäden war ein-gewoben. Um die sechs nackten Arme wanden sich Metallschlangen spiralförmig herum. Der Oberkörper war dürftig bedeckt mit einem reichverzierten Phanta-siegewand. Beine und Unterkörper steckten in einer Art seidenen und reichbestickten Pumphose.
Das Götzenbild der Schlangengöttin erschien riesig gegenüber den hier versammelten Menschen.
Capperts Augen fraßen sich förmlich an dem grau-samen Antlitz fest. Und da hatte er auf einmal den Eindruck, dass die schräggestellten Mandelaugen den Blick erwiderten!
Schlagartig fiel ihm wieder ein, was in der Nacht passiert war.
Ihm, Earl Cappert, war es tatsächlich gelungen, den dämonischen Geist der Göttin im Zwischenreich der Dämonen zu kontaktieren! Ein lange gehegter Traum war damit für ihn in Erfüllung gegangen.
Earl Cappert war als Milliardär einer der reichsten Männer der Welt, und er war nicht auf legale Weise zu seinem unermesslichen Reichtum gekommen.
Earl Cappert war ein echter Magier — ein schwarzer Magier! Viele Jahre schon dienten ihm die Energien des Bösen.
Und durch die Verbindung mit der Schlangengöttin wollte er den Höhepunkt seiner Macht anstreben!
Er löste seinen Blick vom Götzen und heftete ihn wieder auf den Fremdenführer.
Vorhin noch hatte er noch geglaubt, mit der Rache für den Frevel warten zu müssen. Jetzt wurde ihm klar, dass bereits wieder genügend Kraft des Bösen in ihm erwacht war. Zu dieser Tageszeit war sie zwar noch abgeschwächt, doch würde sie eigentlich bereits ausreichen.
Der Fremdenführer machte noch ein paar Erklärun-gen. Es fiel nicht auf, dass er dabei dem Götzen immer näher kam — nicht mal ihm selber.
Die Touristen lauschten seinen interessanten Wor-ten.
Earl Cappert, der schwarze Magier aus dem fernen Amerika, ließ ihn nicht aus den Augen. Er wartete, bis der Fremdenführer den Opferplatz erreicht hatte.
Gerade sagte der Mann:
„Natürlich blüht der Kalikult längst nicht mehr. Die englischen Kolonialherren haben ihn abgeschafft. Es gab ein schreckliches Blutbad. Sie brachten alle Kali-jünger um. Niemand wagte es mehr, dem Kult zu hul-digen. Vor allem war die Masse der Bevölkerung froh, nachts wieder ruhig schlafen zu können. Bis vor kur-zem. Aus unerklärlichen Gründen lebte der Kult wieder auf. Neue Jünger, die dieses in Vergessenheit geratene Labyrinth mit dem Götzen fanden. Die Statue fiel damals den Engländern nicht zum Opfer. Sie hat den Kampf überdauert. Schlimme Dinge geschahen hier in Jaydan. Betroffen war vor allem die neue chemische Fabrik des Harris-Konzerns. Man hat sie einst im Rahmen der Entwicklungshilfe errichtet. Der Harris-Konzern, weltweit präsent, wollte ebenfalls etwas gegen die Armut der sogenannten Dritten Welt tun. Tja, die Erbin des Konzerns May Harris hat sich sogar selber herbemüht. Sie...“
Was er noch alles hatte erzählen wollen, blieb ein Geheimnis, denn er sah das Entsetzen in den Gesich-tern seiner Zuhörer und folgte ihren Blicken.
Da sah er es selber: Aus der Schlangengrube kroch eine ganze Traube von Giftschlangen. Sie strebten auf ihn zu.
„Nein!“ Er konnte es nicht fassen — wusste er doch definitiv, dass die Grube hätte leer sein müssen.
Und dennoch krochen die Biester auf ihn zu, kaum ein Geräusch verursachend.
Totenstill war es ansonsten in der Halle geworden.
Der Fremdenführer wollte panikerfüllt schreien, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst. Er wollte sich herumwerfen, fliehen. Auch das gelang ihm nicht. Eine unsichtbare Macht bannte ihn auf die Stelle.
Bis die Schlangen heran waren.
Ungerührt beobachtete Earl Cappert, was weiter ge-schah. Er selber nämlich steuerte die bösen Kräfte.
Nicht echte Schlangen waren es, sondern magische Trugbilder! Es war für ihn wie ein Rausch, diese bösen Kräfte zu steuern, die ihm das Trugbild ermöglichten.
Aber sie unterschieden sich von echten Bestien die-ser Art in keiner Weise, nicht einmal in ihrer Tödlichkeit.
Die Touristen mussten tatenlos zusehen, was ihrem Fremdenführer widerfuhr.
Verzweifelt versuchten sie sich einzureden, dass dies zum Programm gehörte. Aber dafür war das alles hier viel zu echt.
Die Schlangen krochen in ihre Grube zurück, als sie ihr grausames Werk vollendet hatten. Wie echte Schlangen. Das linke Bein des Götzenbildnisses senkte sich donnernd zu Boden.
Einer der männlichen Touristen nahm sich ein Herz und trat näher. Er wollte sich davon überzeugen, dass dies alles wirklich echt war und nicht einer der Tricks, um die Touristen zu schocken. Er beugte sich zögernd über den Fremdenführer.
Eine Leiche! Ganz eindeutig!
Schritte hörte er neben sich.
Earl Cappert, der Mörder! Niemand ahnte, dass er nicht aus ihren Reihen stammte. Wer achtete schon auf die ungezählten Nischen, wenn solches geschah?
„Polizei!“, murmelte Earl Cappert und heuchelte Entsetzen. „Wir müssen die Polizei einschalten!“
Alle Touristen wichen entsetzt zurück, als würden die Schlangen jeden Augenblick erneut angreifen.
2
Seit ein paar Wochen waren May Harris und ich, Mark Tate, wieder daheim. Das bedeutete für uns we-niger Erholung von unserem grausigen Abenteuer mit der Schlangengöttin, sondern mehr Arbeit nicht nur weltlicher Natur.
May Harris hatte immerhin den gigantischen Harris-Konzern geerbt. Und nicht nur das: Sie war eine echte weiße Hexe!
So musste May Harris gewissermaßen ein doppeltes Erbe tragen: Einerseits musste der Harris-Konzern ge-führt werden, andererseits wurde sie immer wieder von schwarzen Mächten attackiert.
Was die Führung des Konzerns betraf, hatte sie in mir inzwischen eine wichtige Stütze gefunden. Zwar hatte ich gemeinsam mit meinem Freund Don Cooper in London immer noch eine Detektei, aber diese betrieb ich im Grunde genommen nur noch teilweise. Die Hauptarbeit hatte Don übernommen, seit ich von May zur Mitarbeit in der Konzernspitze verdonnert worden war. Sie war der festen Überzeugung, dass ich dafür clever genug war, um den Aufgaben und Anforderun-gen im Bereich der Hochfinanzen gewachsen zu sein. Nur was die magischen Fähigkeiten betraf, konnte ich ihr natürlich nicht im Geringsten das Wasser reichen. Ohne mein ultimatives Kampfmittel der Magie, mein ge-heimnisvolles Amulett mit Namen Schavall, wäre ich ziemlich hilflos gewesen im ständigen Kampf gegen das personifizierte Böse. Trotz meiner immensen Kenntnis-se betreffend Magie und trotz der Tatsache, dass ich mindestens tausendmal wiedergeboren war…
Wie dem auch sei, immerhin hatten wir Seite an Sei-te gegen die höllischen Mächte der Schlangengöttin gekämpft. Obwohl May zwangsläufig dabei den Haupt-part übernommen hatte. Schließlich war sie als Kon-zernchefin vor Ort im wahrsten Sinne des Wortes eine hohe Hausnummer gewesen und ich eigentlich nur ihr mehr oder weniger unbedeutender weil unbekannter Begleiter.
May Harris seufzte und schob den Aktenberg zur Seite. Sie war fertig für diesmal. Erschöpft lehnte sie sich zurück. Mich wusste sie im Nebenraum. Auch ich kämpfte dort einen einsamen Kampf gegen den un-vermeidlichen Papierkram.
Es wäre einfach gewesen für May Harris, alles mir und den Mitgliedern ihres Aufsichtsrates zu überlas-sen — zu einfach. Letzten Endes war und blieb sie die Hauptverantwortliche. Deshalb behielt sie sich in allen entscheidenden Fragen das letzte Wort vor, egal wie viel ihrer kostbaren Zeit sie dafür investieren musste.
Sekundenlang blickte sie auf die Sprechanlage. Ent-schlossen drückte sie die Ruftaste.
„Ja?“, meldete ich mich überrascht am anderen En-de.
„Wie sieht es aus, Darling?“
„Schlimm wäre noch geprahlt!“
„Du Ärmster! Wirst wohl heute nicht mehr fertig?“
„Glaube ich kaum, wenn du mich noch länger von der Arbeit abhältst!“
„Ein bisschen mehr Respekt gegenüber deiner Bröt-chengeberin würde dir nicht schaden.“
Ich machte das Spiel mit und schwenkte sofort um.
„Ich bitte um Entschuldigung, Gnädigste! Die Über-arbeitung, verstehen Sie? Alles dient dem Wohle des Konzerns — und Ihrer Person! Ich mache sofort weiter, mich zu zerreißen.“
May lachte.
„Aber lass noch ein wenig dran, hörst du? Schließ-lich bist du nicht nur mein Generalbevollmächtigter.“
„Oh weh, was hast du vor?“
„Was sollen diese Anspielungen? Ich gehe sofort wieder aus der Leitung und lasse dich weiterschuften. Oder solltest du vergessen haben, dass wir heute Abend ein kleines Fest geben?“
„Tatsächlich?“
„Ja, ein paar Manager des Konzerns sind hier zu Gast, auf Harris-Castle, mitten im Nirgendwo. Ich glaubte, damit einen guten Dienst getan zu haben. Kleine Feierlichkeiten erhalten die Freundschaft und so...“
„Ich werde mit Düsenkraft weiterarbeiten und bis zum Fest fertig sein — frisch und munter, wie es dir beliebt!“
„In Ordnung, Darling. Ich schicke dir einen Kuss!“
„Per Sprechanlage?“
„Gern würde ich persönlich vorbeikommen, aber das lenkt dich nur unnötig ab.“
„Recht hast du, meine schöne Braut. Also schufte ich weiter in Eunuchenmanier, dein Bild vor Augen, die du mir am Ende der Durststrecke hold sein wirst!“
Wir lachten beide über unsere eigene Albernheit. May Harris schaltete aus.
Sie dachte an mich und spürte dabei, was sie für mich empfand. Ja, ich war viel mehr als nur ihr Gene-ralbevollmächtigter. Ich war der Mann ihres Lebens, genauso wie sie für mich die Frau meines Lebens war.
Wie gern hätten wir ein normales Leben geführt, aber die Umstände sprachen dagegen.
Wir waren nicht nur zum Arbeiten im Konzern, son-dern vor allem zum Kämpfen verdammt, und unsere persönlichen Empfindungen mussten dabei zwangs-läufig und immer wieder auf der Strecke bleiben.
May Harris seufzte abermals und stand auf.
Sie stellte sich ans Fenster und betrachtete das wil-de Panorama. Das Hochland — dort, wo es am zerklüf-tetsten war. Wuchtige Berge trotzten Sturm, Eis und Schnee.
May Harris spürte ein wohliges Schaudern. Das Bild vermittelte Größe, Beständigkeit, Geborgenheit und Macht. Kein Wunder, dass sie sich für diesen herr-schaftlichen Sitz entschieden hatte, als es darum ge-gangen war, eine Art repräsentatives Gästehaus für Gäste aus Übersee und gleichzeitig einen zusätzlichen Wohnsitz zu finden, auf den sie sich auch mal zurück-ziehen konnte, eben weil er sozusagen weitab vom Schuss war. Eigentlich um los zu kommen von der ständigen Arbeit und natürlich auch von den Kämpfen gegen das Böse. Beides hatte allerdings wenig geklappt, wie nicht nur die Episode mit den Jüngern der Blutgöttin Kali bewiesen hatte.
Doch da war auf einmal noch etwas anderes in der ungewöhnlichen Konzernchefin. Eine Ahnung, dass sich die Friedlichkeit bald wieder ändern würde?
Es fiel ihr auf, und sie runzelte die hübsche Stirn.
Da klingelte das Telefon.
May Harris ruckte herum. Sie dachte wieder an mich, an das kleine Fest, daran, dass sie gemeinsam mit mir endlich einmal ein wenig feiern können würde.
Deshalb wehrte sich alles in ihr dagegen, den Hörer abzunehmen.
Das Schrillen blieb hartnäckig. Es gab keine andere Wahl. Sie musste das Gespräch annehmen.
Obwohl sie ahnte, dass damit alles wieder anders kommen würde als sie es vorausgeplant hatte...
3
May Harris hob ab und meldete sich. Die Stimme des alten Casimir Carmichael Burninghouse, Verwalter von Harris-Castles und gleichzeitig ihr Butler, wenn sie hier persönlich anwesend war, ertönte aus der Hö-rermuschel.
„Mrs. Harris, ein Ferngespräch für Sie!“
„Ferngespräch? Geschäftlich?“
„Mr. Ibrahim Moretti!“
May Harris erschrak unwillkürlich. Ibrahim Moretti war damals nach Indien gereist. Die Produktion der chemischen Fabrik in Jaydan war empfindlich gestört gewesen. Da er sich in erster Linie um die chemischen Betriebe des Konzerns kümmerte, wollte er persönlich nach dem Rechten sehen.
Danach war er verschwunden.
May Harris hatte ihm nachreisen wollen, aber dunk-le Mächte hatten es zu verhindern versucht.
Die Schlangengöttin trieb ihr Unwesen. Ein echter Daedrafürst hatte sie beschworen, damit sie ihre furchtbaren Kräfte mit den seinen verknüpfte und auf Erden einsetzen konnte.
Buchstäblich in letzter Sekunde hatten May Harris und ich Jaydan erreicht. Gerade sollte Ibrahim Moretti geopfert werden. Gemeinsam gelang es uns, den Daedrafürsten zurück zu verbannen ins Daedrareich und die Schlangengöttin in das Zwischenreich der Dämonen, wo sie hergekommen war. Beinahe wäre es dem Schavall dabei gelungen, sie für alle Zeiten zu ab-sorbieren, wie er es schon mit anderen großen Dämo-nen getan hatte, doch die Schlangengöttin hatte sich ihm leider entziehen können.
Ibrahim Moretti war danach in Jaydan geblieben, um alles wieder ins rechte Lot zu bringen, denn Roy Henry, der zuständige Betriebsleiter, hatte sein Leben lassen müssen.
Und jetzt rief Ibrahim Moretti an? Direkt aus Jaydan? Warum?
Mays Ahnungen!
„Legen Sie das Gespräch herein!“, verlangte May Harris belegt.
Und dann hörte sie Morettis Stimme. Sie klang, als befände er sich im Nebenraum. Ein Triumph der Über-tragungstechnik.
„Mrs. Harris?“
„Am Apparat!“
„Ich — hm — ich weiß nicht recht...“
„Was ist los, Mr. Moretti?“
„Nun, ich rufe an wegen der Schlangengöttin!“
„Sie haben sich auch schon deutlicher ausgedrückt!“
„Also, ich möchte nicht den Teufel an die Wand ma-len, aber gestern hat sich was ereignet — gestern Mor-gen, um genauer zu sein.“
„Ist denn...?“ May Harris wagte es nicht auszuspre-chen. Sollte die Schlangengöttin nicht auf Dauer be-siegt sein? Was war letztlich doch noch schiefgegan-gen?
„Bestimmt ist kein Grund vorhanden, sich Sorgen zu machen, Mrs. Harris. Also, ich will Ihnen erzählen, was ich gehört habe. Dann können Sie sich selber ein Bild machen.“ Er machte eine Kunstpause. Dann: „Mrs. Harris, man ist nicht Ihrem Rat gefolgt und hat den Götzen nicht zerstört! Heute habe ich es erst erfahren. Ich war einfach zu viel mit anderem Kram belastet gewesen. Man machte aus dem Labyrinth und dem Götzen sogar so etwas wie eine internationale Touristenattraktion!“
Das war ein Schock für May. Sie hatte den Regie-rungsstellen zu erklären versucht, dass der Kalikult immer wieder neu entstehen konnte, solange auch nur ein einziges Bildnis der Schlangengöttin existierte. Na-türlich hatte sie nicht von schwarzer Magie sprechen können. Sie wäre nur auf Unglauben gestoßen. Hatten die Regierungsstellen wirklich keine Ahnung, dass sie hier im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Feuer spielten?
„Weiter!“, bat May Harris heiser.
„Tja, gestern Morgen kam der Fremdenführer ums Leben. Er leitete Führungen mit Schauereffekt und so — wie man es von alten schottischen Schlössern ge-wöhnt ist. Da wird von Geistern erzählt, ein paar tech-nische Tricks und die Touristen kommen auf ihre Kos-ten. Im Grunde genommen harmlos.“
„Wie — wie ist er ums Leben gekommen?“
„Alle sagten aus, dass plötzlich Schlangen aus der Grube krochen und über ihn hergefallen wären. Er be-fand sich zu diesem Zeitpunkt direkt an der Opferstelle. Polizei wurde eingeschaltet. Man fand überhaupt keine Schlangen, obwohl man alles sorgfältig prüfte. Sehr mysteriös, das Ganze. Vorläufig ist das Labyrinth für den Tourismus wieder gesperrt. Man will kein weiteres Risiko eingehen. Inzwischen gibt es die wildesten Vermutungen.“
„Und wie sind Sie an die Geschichte gekommen?“
„Ich bin hier mit meiner Arbeit so gut wie fertig. In der Fabrik wurde davon erzählt. Sofort setzte ich mich mit dem zuständigen Kommissar in Verbindung. Ich machte ihn auf Ihre Warnungen aufmerksam, aber man reagierte nicht darauf.“
„Und was jetzt?“
„Ich habe den Verdacht, dass der Kult erneut auf-blüht — oder was halten Sie von der Angelegenheit?“
May Harris brauchte nicht lange zu überlegen. Mög-lich, dass sie sich irrten und in Wirklichkeit keine Ge-fahr bestand. Möglich, dass der Fremdenführer einem Unfall zum Opfer gefallen war. Aber es war auch mög-lich, dass es jemandem gelungen war, den Dämon er-neut zu beschwören, nachdem man all ihre Warnun-gen dermaßen leichtfertig in den Wind geschlagen hat-te!
May Harris durfte nicht die Augen gegenüber den Vorgängen verschließen.
„Gibt es sonst noch etwas?“
„Nein, Mrs. Harris! Hier läuft ansonsten alles bes-tens.“
„Ich werde kommen!“
„Wann ist mit Ihnen zu rechnen?“
May Harris blickte auf die Uhr. Das Fest heute Abend. Sie konnte es unmöglich ausfallen lassen. Oder vielleicht doch?
Es war bereits Nachmittag. Nur noch wenige Stun-den.
„Morgen Mittag nach indischer Zeit!“, sagte sie ent-schlossen. „Ich werde Mark Tate mitbringen. Wir reisen mit eigenem Flugzeug.“
Damit war für sie das Gespräch beendet. Eine Ab-schiedsfloskel noch. May Harris legte auf.
Nachdenklich blickte sie auf den Hörer. Es blieb nur die Zeit, alle Gäste zu begrüßen. Viel mehr auf keinen Fall. Schlafen mussten wir unterwegs.
Sie hob den Hörer wieder ab und rief den örtlichen kleinen Flughafen an — nur, um sich zu vergewissern, dass der Lear-Jet bereitstand. Wenn wir damit am Abend zeitig genug starteten, hatten wir tatsächlich am nächsten Mittag das Ziel erreicht.
Mich ließ sie vorläufig noch im Ungewissen. Ich hatte Wichtiges abzuarbeiten und sollte davon nicht abge-lenkt werden vorerst.
May Harris begab sich in die Bibliothek des Schlos-ses. Den magischen Spiegel hatte sie hinter einem Wandbehang versteckt. Sie entfernte den Stoff und öffnete das Fenster. Dann schloss sie die Tür ab, um nicht gestört zu werden.
Das Glas des Spiegels wirkte trüb. Repräsentativ an dem Einrichtungsstück war nur noch der kunstvoll ge-fertigte Rahmen. Der Spiegel selbst hätte anscheinend erneuert werden müssen.
May Harris hingegen dachte gar nicht daran, das zu tun!
Nur Eingeweihte wussten, welche Kräfte in dem Spiegel steckten. Mit ihm war es möglich, unter gewis-sen Umständen in die Zukunft zu blicken! Ohne ihre Hexenkräfte wäre sie auf dieses kostbare Stück nie-mals gekommen. Sie hatte den Spiegel bei einem Tröd-ler entdeckt und sich daran erinnert, dass sie folgende Worte in einem geheimen Buch gelesen hatte vor Jah-ren:
„Du siehst den Spiegel mit seiner matten Oberfläche? Dieser Spiegel spielt in deinem weiteren Leben eine wichtige Rolle. Aber nur, wenn deine eigenen He-xenkräfte stark genug sind. Sonst ist er wertlos für dich wie für jeden normalen Menschen. Wecke seine Kräfte mit einem Hexenstein, von dem nur du Besitz ergriffen hast. Wenn das Sonnenlicht dann durch das erste Fenster eines geeigneten Raumes in einem Win-kel von fünfundvierzig Grad auf deinen Stein fällt, und dieser wiederum den Lichtstrahl in den Spiegel reflek-tiert, dann wirst du dort auf der matten Oberfläche Dinge sehen, die dich unmittelbar berühren, jedoch erst in der Zukunft stattfinden. Es können schreckli-che Bilder sein, aber auch besonders schöne. Das kommt ganz darauf an. Nutze diese Chance, die dir ei-nen Vorsprung vor allen übrigen Menschen und sol-chen gibt, deren Kräfte nicht ausreichen, um solches zu vollbringen, und setze deine Kräfte ein, um das Böse in der Welt zu bekämpfen. Und wenn du wirklich würdig bist, weißt du, was du zu tun hast.“
May Harris öffnete ihre Bluse. Ihre Rechte schlüpfte hinein, umfasste den magischen Stein zwischen ihren Brüsten. Er fühlte sich warm an, denn er hatte sich mit ihrer Körperwärme regelrecht vollgesogen.
May Harris nahm ihn von der silbernen Halskette. Er sah aus wie ein übergroßer Tropfen, schillerte grün-lich, wechselte aber dann die Farbe, je nachdem aus welchem Blickwinkel man den Stein ansah. Einmal war er blau, dann wieder rot, dann plötzlich tief-schwarz.
Die weiße Hexe brachte den magischen Stein in Po-sition.
Prompt wechselte er schon wieder die Farbe. Ein Lichtstrahl drang hinein und erzeugte brennendes Rot. An bestimmter Stelle wurde der Lichtstrahl umgewan-delt und gegen den Spiegel projiziert.
Die matte Oberfläche begann im gleichen Rot zu glühen. Und dann wallten Nebel darüber. Sie schienen blutgetränkt zu sein.
Fasziniert starrte May Harris darauf. Was würde sie zu sehen bekommen?
Aus den blutigen Nebeln schälte sich allmählich ein Bild. Gleichzeitig wurde es merklich düsterer im Raum. Obwohl die Sonne mit ungehinderter Stärke schien.
Es klappte!
May Harris hatte keinen Fehler gemacht, und die magische Handlung wurde durch nichts gestört.
Im nächsten Augenblick starrte sie in das Antlitz der Schlangengöttin. Die Schlangengöttin schien zu schlummern. Ihre Augen waren geschlossen. Sie wirkte lebendig wie eine Schläferin. Mehr und mehr wurde sie durchsichtig. War das Bild eher von symbolischer Bedeutung?
Das furchtbare Antlitz glitt etwas in den Hinter-grund. Die Transparenz verstärkte sich und machte ein zweites Bild deutlich: Ein schlossähnliches Gebäu-de.
May Harris sah sofort, dass es sich unmöglich um Harris-Castle handeln konnte. Sie tippte eher auf ein pompöses Herrenhaus irgendwo in den Südstaaten von Amerika. Ja, die Bauweise war typisch. Westküste. Das Haus stammte wahrscheinlich aus dem vorigen Jahrhundert, war aber gut erhalten und wirkte wie neu.
Die Umgebung war düster. Der Himmel war wolken-verhangen. Das Antlitz der Schlangengöttin über-strahlte das Gebäude mit ihrem unnatürlichen Glanz.
Da erst entdeckte May Harris die Gruppe von Men-schen, die in ehrerbietiger Haltung vor dem Gebäude knieten, das Gesicht zu dem grausamen Antlitz ge-wandt, das jetzt wieder in den Vordergrund rückte.
Und dann schien eine Hand über den Spiegel zu wi-schen. Das Bild erlosch schlagartig.
May Harris erwachte wie aus einem Traum. Sie nahm an, dass sie nur eine Art symbolisches Bild ge-sehen hatte. Nur hatte sie keine Ahnung, was es be-deutete.
Dabei war ihr klar, dass es der Schlüssel zu einem Geheimnis war.
Sie versuchte noch mehrmals, den magischen Spie-gel zu aktivieren. Ergebnislos. Die matte Oberfläche reagierte nicht mehr auf ihre Bemühungen.
May Harris gab es auf und verließ die Bibliothek. Dabei vergaß sie, das Fenster zu schließen. Eisiger Wind wehte von den nahen Bergen herein. Er war wie das Omen des Todes, das die Bibliothek erfüllte und mit dem Wandbehang spielte, hinter dem der Spiegel wieder verborgen war.
May Harris ging in ihr Arbeitszimmer zurück. Sie wollte die nächsten Stunden nicht verbummeln, son-dern gewisse Vorbereitungen treffen. Diesmal würde sie nicht mehr blind der Schlangengöttin gegenübertreten. Es galt, sich rechtzeitig zu wappnen, indem sie nicht nur persönliche Dinge in ihre Koffer packte.
Nicht einmal mir würde sie sagen, wie ihre Maß-nahmen aussahen. Das würde ich selber noch früh genug herausfinden können.
Dabei hoffte sie inbrünstig, dass sich alles doch noch als harmlos erweisen würde.
4
Aurobindo Naidu war der Polizeichef von Jaydan und über seinen Posten derzeit nicht gerade glücklich. Auf der einen Seite musste er über das Wohl der Touristen besorgt sein, aber auf der anderen Seite hockte ihm die „Behörde zur Förderung des Fremdenverkehrs“ im Nacken.
Wieder einmal klingelte das Telefon. Aurobindu Nai-du hob ab. Während er lauschte, hielt er sein Gesicht in den stetigen Luftstrom des Ventilators. Ein beson-ders heißer Tag in Jaydan. Unwillkürlich sehnte Naidu die Regenzeit herbei. Aber darauf musste er wohl noch einige Wochen verzichten. Inzwischen würde es noch heißer werden.
Wie meistens funktionierte die Klimaanlage nicht. Naidu verfluchte sie. Dabei wurde ihm nicht bewusst, wie arm so viele seiner Mitbürger dran waren, die nicht einmal einen Ventilator besaßen, die froh waren, überhaupt etwas zwischen die Zähne zu bekommen.
Es war mal wieder die Fremdenverkehrsbehörde.
„Sagen Sie, Naidu, wie lange brauchen Sie noch, um die gefährlichen Schlangen zu finden?“
Kommissar Naidu blieb beherrscht — zumindest nach außen hin.
„Wir haben festgestellt, dass der Fremdenführer nicht am Gift der Schlangen gestorben ist. Überhaupt finden sich zwar eine Menge Bissspuren, aber die Ver-letzungen insgesamt gesehen sind keineswegs tödlich. Sieht ganz so aus, als hätte er vor Schreck, Angst und Panik einen Herzschlag bekommen. Äh, und noch et-was: Der Boden ist blank wie geleckt. Als hätte es überhaupt keine Schlangen gegeben!“
„Hören Sie“, sagte sein Gesprächsteilnehmer, „es in-teressiert uns überhaupt nicht, was Sie für Entde-ckungen machen. Es geht uns nur darum, das Laby-rinth dem Tourismus wieder zur Verfügung zu stellen — und das so schnell wie möglich.“
„Ich habe den Verdacht, dass dies nie wieder ge-schehen wird!“, bellte Aurobindo Naidu in den Hörer. Er hatte die Beherrschung endgültig verloren und knallte den Hörer auf die Gabel zurück.
Kaum war das geschehen, kam er wieder zu sich.
Es ging ihm auf, dass er soeben einen entscheiden-den Fehler begangen hatte. Die Touristenbehörde war mächtig — viel mächtiger als er. Sie würden ihn auf die Straße setzen lassen. Dann ging es ihm so wie den Ungezählten, die in Lumpen gehüllt herumlagen und Passanten anbettelten.
Naidu wurde es abwechselnd heiß und kalt. Er brauchte alle Kraft, um nicht den Hörer wieder aufzu-nehmen und die Verbindung erneut herzustellen.
Nein, wenn er sich jetzt auch noch entschuldigte, konnte er gleich die Freigabe des Labyrinths dazu schenken. Und das war einfach nicht zu rechtfertigen.
Sobald dann auch nur ein einziger Tourist ums Le-ben kam, würde man ihn zur Verantwortung ziehen.
Er hatte so und so verloren. Nur wollte er sich nicht auch noch zusätzlich einen weiteren Toten auf das Gewissen laden.
Er lehnte sich zurück, mit einem Zug von Resignati-on um die Mundwinkel.
Das war der Zeitpunkt, an dem es gegen die Tür klopfte.
Aurobindo Naidu ruckte auf und brüllte:
„Was ist denn jetzt schon wieder?“
Einer seiner Leute streckte unterwürfig den Kopf herein.
„Da will Sie jemand sprechen, Chef, ein Fremder. Nennt sich Earl Cappert und stammt aus Amerika.“
Naidu runzelte die Stirn. Earl Cappert? Nie gehört.
Er ließ sich auf seinen Stuhl zurückfallen. Für sei-nen Assistenten Grund genug, sich zurückzuziehen und nach Cappert zu rufen, ehe Naidu sich doch noch anders entschied.
Earl Cappert kam mit einer Maske von Freundlich-keit. Er stolzierte in das Büro. Die Schwüle des Tages schien ihm wenig auszumachen. Er hatte einen Tro-penanzug an. Kein Schweißtröpfchen war auf seiner Stirn. Naidu registrierte mehr am Rande, dass der Amerikaner unnatürlich bleich war. Dabei war er ein dunkelhaariger Typ.
Ja, unnatürlich, denn die Sonne Indiens verbrannte jeden. Vornehme Blässe konnte sich hier nicht lange halten.
Vor dem Schreibtisch blieb Cappert stehen.
Der Assistent hielt sich zwar in der Nähe der Tür, tat aber alles, um möglichst unauffällig zu bleiben. Er wusste ja, dass sein Chef schlecht gelaunt war, und er konnte das durchaus selber nachvollziehen.
Aber Naidu überraschte ihn. Er setzte sein liebens-würdigstes Lächeln auf und wuchs hinter dem Schreibtisch hervor.
„Mr. Cappert?“ Er reichte dem Angesprochenen seine Rechte.
Earl Cappert ergriff sie und drückte sie fest.
„Ja, der bin ich! Und ich habe wohl das Vergnügen mit Mr. Naidu?“
„Gewiss doch! Aber, warum nehmen Sie nicht Platz?“ Naidu führte seinen Besucher zur Sesselgruppe in der Ecke und winkte den Assistenten mit einer herrischen Handbewegung hinaus.
Kaum saßen sie sich gegenüber, als Aurobindo Nai-du eine seltsame Ruhe spürte. Die Existenzangst war vorbei. Irgendein Gefühl sagte ihm, dass sich jetzt alles für ihn zum Besseren wenden würde.
Er betrachtete Cappert und erinnerte sich, dass er den Mann bei den Touristen gesehen hatte. Jeder ein-zelne war über den grausigen Vorfall in der Höhle des Götzen befragt worden. Ihre Aussagen waren immer gleich gewesen: Plötzlich kamen die Schlangen, und ehe jemand reagiert hatte, war der Fremdenführer zu Tode gebissen.
„Was führt Sie zu mir, Mr. Cappert?“
„Die Schlangengöttin!“, platzte der Amerikaner her-aus.
Naidu hob die linke Augenbraue.
„So?“
Cappert faltete die Hände über dem Bauch zu einem spitzen Dach. Die Fingerspitzen zeigten auf den Poli-zeipräsidenten von Jaydan.
„Ich will den Götzen kaufen!“
Sekundenlang war Naidu wie erstarrt. Dann schoss sein Oberkörper vor wie ein zuschnappender Raubvo-gel.
„Nein!“
„Wieso nicht?“
„Ich meine, das kann ich nicht glauben!“
Naidus Gedanken rasten. Sie wirbelten durcheinan-der.
Ja, wenn jemand den Götzen kaufte, war er alle Sorgen los. Dann brauchte er das Versteck der Killer-schlangen nicht mehr zu finden, und auch die Füh-rungen der Touristenbehörde waren endgültig Ge-schichte.
Er dachte an May Harris. Sie war bei ihm gewesen nach der Auflösung des Kalikultes, hatte ihn gebeten, den Götzen zu zerstören, denn er war ein Symbol Kalis. So lange dieses Symbol bestand, konnte der Kult erneut aufblühen…
Naidu öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, aber zwei Dinge kamen ihm zuvor.
Erstens sagte Earl Cappert: „Ich zahle gut, Mr. Nai-du!“
Zweitens wurde die Tür geöffnet. Der Assistent. Er war sehr aufgeregt.
Naidu blickte ihn ärgerlich an. Da sagte der Assis-tent schnell:
„Chef, ein neues Todesopfer!“
Es verschlug Naidu die Sprache. Sein Blick wechsel-te zwischen Cappert und dem Polizisten hin und her.
„Was?“
Der Assistent sagte nichts weiter. Er wollte nicht vor dem Gast sprechen. Aber Naidu war es egal. Später würde es sowieso in der Zeitung stehen.
„Wer?“
„Der Bruder des Fremdenführers!“
Naidu überschlug, was er wusste. Der Fremdenfüh-rer hatte gemeinsam mit seinem Bruder gearbeitet. Der Bruder hatte die technische Anlage im Labyrinth gewartet und unbemerkt für die Touristen die meisten Spots in der Höhle bedient. Gute Teamarbeit.
„Wo?“
„Am selben Platz! Es muss noch gestern Abend ge-schehen sein.“
„Was? Aber unsere Leute sind doch im Labyrinth!“
„Der Unglückliche starb an der Opferstelle, aber die Schlangen haben ihn in die Grube geschleppt. Unsere Leute waren den ganzen Morgen im Labyrinth. Erst vorhin haben sie das frische Blut entdeckt und gingen der Spur nach.“
„Wie kam der Mann denn überhaupt hinein? Alles ist abgesperrt.“
„Für ihn nicht! Die Fremdenbehörde setzte ihn of-fensichtlich als ihren Schnüffler ein, um unsere Arbeit zu überwachen. Er trug seit gestern, nachdem Sie ge-gangen waren, eine Sondergenehmigung mit sich her-um.“
„Ist ein Beamter von uns zu Schaden gekommen?“
„Nein, Chef!“
Naidu ließ sich zurückfallen. Sein Blick heftete sich auf den schweigsamen Earl Cappert.
„Nun, Sahib, kommen wir auf Ihr Angebot zurück. Was gedenken Sie zu zahlen?“
„Die geschätzten Jahreseinnahmen, die Touristen-führungen in den nächsten zehn Jahren eingebracht hätten, plus natürlich die Übernahme sämtlicher Un-kosten, die bisher bereits für die Erschließung als Touristenattraktion entstanden sind!“
„Sehr gut, aber glauben Sie nicht, dass Sie hier an der falschen Adresse sind? Die Fremdenverkehrsbe-hörde ist dafür eher zuständig!“
„Ich war sicher, dass es von Vorteil wäre, zuerst in Ihnen einen Verbündeten zu finden!“
Naidu lächelte.
„Sie sollen sich nicht in mir getäuscht haben!“
Er schielte nach dem Telefon auf seinem Schreib-tisch. Es war außer Reichweite.
Als wäre das der Grund, begann der Apparat prompt zu läuten.
Naidu lief hin.
„Ja?“
Es war der Gesprächspartner von vorhin. Es setzte ein fürchterliches Donnerwetter. Und es stellte sich heraus, dass die Fremdenverkehrsbehörde schon über den neuen Vorfall in Kenntnis gesetzt war.
„Sehen Sie jetzt, warum ich so vorsichtig bin?“, sagte Naidu rasch, als der andere mal Luft schnappte. „Aber es gibt eine Lösung unseres Problems.“
„Unseres Problems? Nein, mein lieber Naidu, hier hat nur einer Probleme, und das sind Sie!“
„Nun, es wird sich wohl feststellen lassen, wer dem Toten eine Sondergenehmigung ausgestellt hat. Ich je-denfalls war nicht davon unterrichtet! Schlage vor, der Verantwortliche wird auf Nummer Sicher gesetzt.“
Das wirkte. Der andere wurde auf einmal recht kleinlaut.
„Äh, lieber Naidu, man kann einen Toten nicht zum Leben erwecken, nicht wahr? Es — äh — wurden Ver-säumnisse... Nun, wie soll ich mich ausdrücken? In der Tat, Ihre Vorsicht hat sich als richtig erwiesen. Es bleibt nur zu klären, wieso das Versteck der Killer-schlangen nicht gefunden wird.“
Naidu nutzte die Verwirrung des anderen rigoros:
„Hier ist ein Herr aus Amerika, der den Götzen kau-fen will!“
„Kaufen?“
„Ja, Sie haben richtig gehört. Er will gut bezahlen. Mehr als gut, wenn mir diese Einschätzung erlaubt sein sollte.“
„Und was will er damit anfangen?“
„Wäre es nicht besser, Sie würden ihn selber danach fragen?“
„Her mit ihm!“
Naidu winkte hinüber und übergab den Hörer.
„Earl Cappert hier!“
„Sie sind der potentielle Käufer?“
„Ja, wie Mr. Naidu schon sagte, ich...“
„Der Götze ist Regierungseigentum, also Kulturgut. Das ist natürlich unverkäuflich.“
„Und wenn ich ihn zerlege und noch diese Nacht außer Landes bringe? Und wenn ich Ihnen gleichzeitig garantiere, die Killerschlangen aufzuspüren und zu vernichten?“
„Wie könnten Sie das?“
„Ganz einfach, ich verstehe vom Kalikult mehr als sonst ein Mensch auf der ganzen Welt. Die Schlangen sind abgerichtet. Ich warne Sie. Es war ein Fehler, das Labyrinth für den Tourismus freizugeben. Verkaufen Sie an mich den Götzen. Dann jagen Sie das Labyrinth mit einer Sprengladung hoch. Was ich natürlich auch gern für Sie tun kann, sobald der Götze in Sicherheit ist. Dann wird es mit alledem niemals wieder Probleme geben – nach einem satten Gewinn für Sie, Ihre Be-hörde und vor allem für Ihr Land. Das kann ich hoch und heilig versprechen. Und eigentlich liegt es ja auf der Hand, nicht wahr?“
Cappert konnte sich vorstellen, wie jetzt der andere seine Lippen beleckte. Der Kerl sah natürlich nur eine ungeheure Möglichkeit zur Selbstbereicherung.
Ein Blick zu Naidu hinüber. Der Polizeichef würde zunächst zwar froh sein, wenn man ihm den Rücken wieder freimachte. Doch dann würde er möglicherweise hellhörig werden…
„Ich muss Sie noch einmal darauf aufmerksam ma-chen, dass...“, hub der Mann vom Fremdenverkehrs-verein an.
Cappert fiel ihm ins Wort.
„Und ich schlage vor, dass ich mit Mr. Naidu vorbei-komme. Persönlich lässt sich viel besser verhandeln, nicht wahr? Vor allem, da Sie noch nicht wissen, wie viel Geld ich in der Tat bereit bin zu investieren…“
„Also gut, ich werde persönlich versuchen, Ihnen al-les auszureden!“
Cappert legte langsam auf. Dann griff er in die Ta-sche und zückte die von Geldnoten überquellende Brieftasche.
Naidus Augen weiteten sich. Er schätzte sich glück-lich, rechtzeitig den Assistenten wieder hinausge-schickt zu haben.
Pedantisch genau zählte Earl Cappert zwanzigtau-send Dollar auf den blanken Schreibtisch! Dann trat er drei Schritte zurück und machte ein erstauntes Ge-sicht.
„Teufel auch, Kommissar, was lassen Sie so viel Geld hier offen herumliegen? Es ist doch Ihr Geld, oder? Stellen Sie sich vor, wenn das jemand sieht! Die Welt ist voller Diebe!“
Aurobindo Naidu wurde kreidebleich.
„Ich — ich kann das nicht...“, stammelte er. Sein Blick saugte sich an den nagelneuen Scheinen fest. Dann konnte er sich nicht mehr beherrschen. Er rann-te zum Schreibtisch, nahm das knisternde Geld in beide Hände. Für ihn ein unglaubliches Vermögen. In Indien war jeder einzelne Dollar schierer Reichtum.
Doch dann erwachte in ihm das blanke Misstrauen.
„Warum tun Sie das, Cappert?“
„Ich brauche jemanden, der für mich ein gutes Wort einlegt. Ich habe mir vorgenommen, ohne den Götzen nicht abzureisen. Ich bin reich genug, um es mir zu leisten. Nehmen Sie das da! Es gehört Ihnen!“
„Aber, was liegt Ihnen denn an dem Götzen?“
„Es gibt Landsleute von mir, die irgendwo in Europa eine alte Brücke kaufen und sie nach Hause verschif-fen. Andere erwerben ganze Schlösser, lassen sie Stein für Stein abtragen und in die USA bringen. Warum sollte ich mir dann keinen eigenen Götzen leisten? Ich habe bereits ein gutes Plätzchen dafür. Und, mein lie-ber Naidu, in Amerika wird es nie einen Kalikult geben. Sie haben gehört, was ich am Telefon sagte. Das Labyrinth muss unter allen Umständen zerstört wer-den. Es ist der einzige Ausweg. Das wissen Sie alle. Denn die Schlangen töten nicht umsonst. Hier gibt es noch verkappte Kalijünger, die nur auf eine gute Chance warten. Nehmen Sie ihnen diese Chance! Ich werde mich schon zu wehren wissen, falls sie es bei mir versuchen sollten. Außerdem fällt das dann sowieso nicht mehr in ihren Zuständigkeitsbereich.“
Naidu zog die Schublade auf und fegte das Geld hinein.
„Also gut, ich werde den Fehler meines Lebens ma-chen und Ihnen helfen. Je eher ich das vertrackte Ding los werde, desto besser.“
Sie gingen gemeinsam hinaus.
Cappert lächelte hintergründig. Er wusste, dass er den Götzen so gut wie in der Tasche hatte.
Und er verrechnete sich nicht: Schon eine Stunde später war alles im wahrsten Sinne des Wortes unter Dach und Fach. Der zuständige Beamte hatte zur Be-ruhigung seines Gewissens ebenfalls ein stattliches Vermögen an Dollars einstreichen können. Ohne Rechnung und ohne Quittung natürlich. Es war dann nur noch Sache des Kommissars, später die Zerstörung des Labyrinths zu rechtfertigen. Man sagte ihm dafür jegliche Unterstützung zu.
Schließlich wurden dreihundert Inder verdingt, um die Arbeiten gemäß den präzisen Anweisungen von Earl Cappert durchzuführen. Lastwagen fuhren zum Eingang des Labyrinths.
Bis zum nächsten Tag schon war die Sache über die Bühne und der Götze noch vor dem Mittag fein säu-berlich zerlegt auf einem geeigneten Frachtschiff im Hafen von Bombay.
Cappert konnte zufrieden sein. Zumal niemand ahn-te, dass er nicht nur mit Geld, sondern auch mit einer gehörigen Portion Magie nachgeholfen hatte, um diesen eigentlich viel zu engen Zeitrahmen einhalten zu können.
Er hatte sich auch für die Sicherheit der Arbeiter verantwortlich erklärt. Das konnte er mit gutem Ge-wissen, denn niemand wusste, dass es die Killer-schlangen überhaupt nicht gab, sondern dass er sie persönlich für seine Zwecke jeweils beschworen hatte.
Earl Cappert hatte erst den Fremdenführer und dann auch noch dessen Bruder getötet, um damit zu-sätzlich Druck machen zu können. Dann hatte er alle weiteren Vorbereitungen getroffen.
Es lief wie am sprichwörtlichen Schnürchen für ihn ab.
5
May Harris beobachtete mich im Schlaf. Ich hatte es ihr nicht leicht gemacht, mich von der Richtigkeit der Reise zu überzeugen. Aber dann war mir doch nichts anderes übriggeblieben, als einzuwilligen. Und jetzt waren wir seit Stunden in der Luft. Zweimal hatten wir kurz Zwischenlandung gemacht, um die Maschine technisch zu checken und neu aufzutanken.
May Harris lehnte sich zurück. Als wir das letzte Mal gemeinsam nach Indien gereist waren, war das nicht so gut gelaufen wie diesmal. Aber zu unseren Vorbereitungen vor dem Abflug hatte auch ein Präpa-rieren des Jets gehört. Wir waren zum Flughafen ge-fahren, und May hatte von mir unterstützt an den wichtigsten Stellen mit unsichtbarer magischer Kreide Zeichen angebracht — Bannzeichen für Dämonen. Damit war der Jet fast unangreifbar. Tagelang würde der Zauber anhalten. Erst wenn Wind und Wetter ir-gendwann die unsichtbaren Zeichen verwischt hatten, erlosch er.
Bis dahin jedoch blieb zu hoffen, dass wir die neue Lage längst gemeistert hatten…
Ein Blick aus dem Fenster. Wir befanden uns hoch über den Wolken.
Einer der Piloten winkte zurück. Er sah übernächtigt aus — genauso wie sein Kollege. Während die beiden Passagiere ruhen konnten, durften die Piloten kein Auge zutun.
„Wir sind bald da, Mrs. Harris!“, rief er.
May rüttelte mich unsanft.
Ich erwachte aus einem traumlosen Schlaf und öff-nete erst das linke Auge, dann das rechte, denn ich hatte irgendwie Schwierigkeiten, mich zurechtzufinden, und wollte gleich beide Augen wieder schließen.
May blieb hartnäckig und rüttelte mich abermals.
„Was ist denn los?“, erkundigte ich mich missmutig.
„Es ist Mittag, genau die richtige Zeit aufzustehen.“
Mir fiel etwas auf. Ich erschrak.
„He, wo befinden wir uns denn überhaupt?“
„Über den Wolken!“
„Was für Wolken?“
May begriff endlich, worauf ich hinaus wollte: Die Wolkenbank war bereits hinter uns. Wir hatten freie Sicht. Weiter vorn erstreckte sich das Festland. In der Ferne, hinter einer dunstigen Schicht, waren die Berge sichtbar: die Westghats, Beginn des Hochlandes von Dekan.
Der Jet ging noch tiefer. Die Piloten hatten längst Kontakt mit dem Tower von Bombay.
Und dann sahen wir die Stadt, die von den Indern Mumbai genannt wurde. Sie war die Hauptstadt des westindischen Staates Maharashtra und mit etwa sechs Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt In-diens. Im Hafen von Bombay wurde die Hälfte des ge-samten indischen Außenhandels abgewickelt. Bombay war das bedeutendste Wirtschaftszentrum und galt als die europäischste Stadt auf asiatischem Boden.
Eine Viertelstunde später erfolgte die Landung auf dem großen internationalen Flughafen.
May und ich stellten unsere Uhren um. Es war in-zwischen sechs Uhr englischer Zeit und somit ein Uhr Ortszeit. Wir waren der Sonne entgegengeflogen.
Der Lear-Jet blieb bereit. Die Piloten wurden von May darüber belehrt, dass die Reise jederzeit weitergehen konnte. Auch sie würden sich bereithalten.
May zückte nach den Zollformalitäten ihr Telefon und rief in der Fabrik an.
Ibrahim Moretti war nicht erreichbar. Er befand sich bereits unterwegs, um uns abzuholen. Eine Verbin-dung mit ihm über Mobilfunk war leider nicht möglich. Anscheinend befand er sich gerade in einem Funkloch.
Wir setzten uns in die große Wartehalle und hielten den Eingang im Auge.
Unsere Geduld wurde auf keine große Probe gestellt. Ibrahim Moretti kam. Er blieb am Eingang stehen und blickte sich suchend um.
May Harris winkte, um auf uns aufmerksam zu ma-chen. Er sah es und trat näher.
Sein Gesicht war ernst. Nicht nur May ahnte etwas.
„Was ist los?“, fragte sie anstelle einer Begrüßung.
Ibrahim Moretti betrachtete die wunderschöne weiße Hexe, die seine oberste Chefin war.
„Der Fremdenverkehrsverein hat das Labyrinth auf-gegeben. In den Morgenstunden sprengten sie es!“
Wir machten beide große Augen.
„Sie haben alles gesprengt?“, ächzte May schließlich.
„Ja! Gestern habe ich noch mit Kommissar Naidu gesprochen. Ich sagte ihm, dass Sie kommen würden. Schließlich haben Sie letztlich den Kalikult aufgelöst. Er war nicht sehr freundlich. Tja, und heute Morgen, ehe ich wegfuhr, hat er mich angerufen und mich in Kenntnis der neuen Lage gesetzt. Er sagte wörtlich:
Ihre Chefin wird zufrieden sein, Sahib. Sie wollte doch, dass wir alles zerstören? Damit ist einem neuen Kult die Grundlage genommen — endgültig!
Also, mal ehrlich, wenn Sie auf mich hören wollen, Mrs. Harris: Da stimmt was nicht.“
„Und worauf stützen Sie das ansonsten noch?“
„Instinkt, Mrs. Harris, einfach nur Instinkt. Ich weiß, das ist sehr wenig, aber... Nun, Sie kennen sich da bestimmt besser aus. Erst investiert die Behörde eine Menge Geld, um eine neue Attraktion für Touristen zu schaffen, und dann das. Es geht mir zu plötzlich.“
„Sie glauben doch nicht etwa, dass wieder Magie im Spiel ist?“
Er zuckte die Achseln.
„Immerhin hat sich herumgesprochen, dass es in-zwischen zwei Todesopfer gibt: Erst der Fremdenführer und noch am selben Tag sein Bruder. Als hätte sich jemand am Frevel gerächt, den man gegenüber dem Götzen veranstaltet hat.“
May Harris betrachtete den gebürtigen Italiener. Sein Vorname ließ zwar vermuten, dass er alles andere als italienisch war, aber das war eine Besonderheit, die niemand störte. Ibrahim Moretti war einer ihrer fähigs-ten Männer. Ein genialer Kopf. Morettis hervorste-chende Eigenschaft war, die Dinge mit Namen zu nen-nen, falls keine höhere Diplomatie vonnöten war. Mit seiner Chefin konnte er offen reden, und das tat er auch.
May Harris musste selbst zugeben, dass alles reich-lich mysteriös war. Sie rang sich zu einem Entschluss durch:
„Gut, fahren wir erst einmal zu Ihnen nach Hause. Sie wohnen noch im Tristan?“
„Nennen Sie mir ein anderes Hotel in Jaydan, in dem es nicht von Ungeziefer wimmelt!“
„Bittere Worte!“, kommentierte ich nur.
Ich schleppte die Koffer und fragte mich im Stillen, was May wohl alles hineingepackt hatte. Der Zoll war sehr nachlässig gewesen. Nicht ein Koffer hatte aufge-macht werden müssen. Hatte May etwa mit ihrer Magie ein wenig nachgeholfen, damit wir nicht aufgehalten wurden?
„Die reine Wahrheit!“, widersprach Moretti. Er wollte einen der Koffer übernehmen. Ich lehnte dankend ab.
„Erst, wenn ich mal alt und schwach bin!“, begrün-dete ich es lächelnd.
Moretti fügte sich. Er ging voraus.
Sein repräsentativer Wagen stand auf dem Park-platz. Hinter dem Steuer saß ein Inder. Er stieg sofort aus und tat sehr unterwürfig.
„Das ist nicht notwendig!“, sagte Moretti zu ihm. Er war wirklich nicht bester Laune. „Mrs. Harris und ihr Begleiter legen keinen Wert darauf, nicht wahr, Mrs. Harris?“
Der Inder ließ sich nicht beirren. Er öffnete den hin-teren Wagenschlag.
„Bitte schön, Mam-Sahib!“
Auf mich achtete er kaum. Ich war ja auch nicht sein oberster Chef. Anscheinend hielt er mich nur für den Kofferträger.
May Harris dankte und stieg ein, während ich zum Kofferraum ging und wartete, bis der Fahrer ihn öffne-te, damit ich die Koffer darin verstauen konnte. Dabei wollte er mir behilflich sein, aber auch ihn wehrte ich dankend ab.
Kaum saß auch ich im Wagen, öffnete May die einzi-ge Reisetasche, die sie die ganze Zeit über nicht aus den Händen gelassen hatte, und griff hinein. Als sie ihre Hand herauszog, hielt sie einen großkalibrigen Revolver.
Ich machte große Augen.
„Also doch! Du hast nicht nur die Sicherheitskon-trolle, sondern auch den Zoll beschummelt!“
„Es war nicht notwendig, Mark. Die waren heute nicht so streng. Außerdem ist es nicht meine Art zu schmuggeln, falls du das meinst. Hier, nimm du die Waffe!“
Ich betrachtete sie von allen Seiten.
„Nein, keine Schmuggelware, sondern eine reine Vorsichtsmaßnahme, eh?“
Ibrahim Moretti, der uns gegenüber saß, hatte uns beobachtet und schüttelte jetzt den Kopf.
„Dann haben auch Sie Ihre Bedenken, Mrs. Harris?“
„So kann man es sagen!“
„Aber was soll Mr. Tate mit der Waffe? Wenn es einen Gegner gibt, bedient der sich gewiss magischer Kampfmittel.“
„Der Revolver ist präpariert!“
Mehr war aus May Harris nicht herauszukriegen. Sie nickte dem Fahrer zu, der sie über den Rückspiegel im Auge hielt.
„Wir können fahren!“
Der Inder ließ sich das nicht zweimal sagen. Er schien sich plötzlich nicht mehr ganz wohl in seiner Haut zu fühlen. Er sprach einwandfrei Englisch und hatte alles verstanden, was gesprochen wurde. Obwohl er gewiss nicht begriff, um was es ging.
Es war besser so.
Ich ließ kurzentschlossen die Trommel aufschwenken und schüttelte eine Patrone heraus. May beobachtete mich dabei.
Ich untersuchte die Patrone und entdeckte prompt die magischen Zeichen.
„Wir sind gut vorbereitet, nicht wahr?“
„Ja, Mark“, antwortete sie leise, „denn wenn es die-sen Gegner wirklich gibt, wird es diesmal schlimmer als beim letzten Mal! Die Schlangengöttin wird uns keine Chance mehr geben. Sie ist gewarnt und weiß uns einzuschätzen.“
„Du glaubst wirklich, sie hat einen neuen Beschwö-rer oder gar ein neues Medium gefunden?“
May Harris zuckte mit den Achseln und wollte ihr Schweigen unterwegs nicht mehr brechen.
Mir gefiel das nicht, und ich machte aus meinem Unmut keinen Hehl. Mochte sein, dass May für ihre Vorgehensweise Gründe hatte. Mir wäre es jedenfalls lieber gewesen, sie hätte mich in alles eingeweiht. Ich hasste es, im Dunkeln zu tappen.
Als alles keinen Erfolg mehr versprach, resignierte ich trotzdem. Immerhin hatten wir hier Zeugen mit an Bord, die nicht unbedingt eingeweiht werden mussten. Blieb noch die Frage, wieso sie nicht telepathisch ver-suchte, mich einzuweihen, aber auch darauf gab es keine Antwort.
„Nun gut, Darling, du bist hier der Boss!“, sagte ich am Ende eingeschnappt.
Sie lächelte entwaffnend und gab mir einen Kuss.
„Später wirst du alles verstehen!“, hauchte sie mir zärtlich ins Ohr.
Das versöhnte mich halbwegs. Wenn auch nur halbwegs!
6
Earl Cappert überwachte die Arbeiten sehr sorgfältig. Er war zufrieden. Immer wieder warf er mit seinem Geld um sich. Die Arbeiter gaben alles. Sie brachen sämtliche Rekorde.
Unbemerkt von ihnen half Earl Cappert mit seinen magischen Kräften nach. Wenn einer der Steinbrocken zu schwer erschien, machte er ihn entsprechend leich-ter. So ließ er sich besser transportieren.
Nach Abschluss fuhr er zu seinem Schiff. Die AME-RIKA lag am Kai. Die Kisten mit den Einzelteilen des steinernen Götzen waren in den Laderäumen gestapelt.
Earl Cappert hatte für die Schlangengöttin allein an den indischen Staat weit über eine Million Dollar be-zahlt — und das, obwohl sich alles Gold und Silber am Götzen nur als dünne Auflage erwiesen hatte. In Wirk-lichkeit lag der Wert des Bildnisses bei höchstens zwanzigtausend Dollar.
Es ist die Sache trotzdem wert!, dachte Earl Cappert indessen und scherte sich nicht darum, dass man ihn allgemein für einen Verrückten hielt.
Zum Abschluss gab er letzte Anweisungen und ging dann zu seinem Wagen zurück. Das Schiff legte ohne ihn ab. Earl Cappert hatte noch etwas zu erledigen, ehe er nachkam.
Er dachte dabei nämlich an eine bestimmte Person:
„Nun zu dir, May Harris!“, murmelte er vor sich hin. „Du wirst natürlich versuchen, meine Spur aufzuneh-men und den Götzen zu zerstören, denn du weißt, dass ein Medium allein nicht genügt, um die fürchterlichen Kräfte der Schlangengöttin im Diesseits wirken zu lassen. Es geht nur, wenn der Götze nicht ganz zerstört ist. Aber du wirst mein Werk nicht verhindern können. Dafür sorge ich.“
Es klang wie ein böser Fluch - und das war es auch.
Earl Cappert hielt mit seinem Wagen auf der Haupt-straße von Bombay nach Poona — nur wenige hundert Meter von der Abbiegung nach Jaydan entfernt.
Der Dschungel hatte hier seine Ausläufer. Eine Kleinigkeit, in dem Gestrüpp das Fahrzeug zu verber-gen.
Earl Cappert ging zur Straße zurück. Er brauchte nicht allzu lange zu warten. Ein Wagen näherte sich von Richtung Bombay.
„Na, da bist du ja, May Harris! Du wirst dich noch sehr wundern!“
Deutlich spürte er mit seinen magischen Kräften, dass seine Hauptfeindin in dem Wagen saß.
Earl Cappert kannte keine Skrupel. Er war mehr als nur ein Verbrecher: Er war ein wahrer Diener des Bö-sen!
„Schade, dass der Tag meine Kräfte schwächt. Sie werden trotzdem reichen, dich zu vernichten, May Harris!“
*
May Harris tastete immer wieder nach ihrem magi-schen Stein. Es sah wie Zufall aus. In Wirklichkeit wa-ren alle ihre Sinne bis aufs äußerste angespannt. Sie rechnete mit einer Attacke des Bösen. Bisher hatte nichts unsere Reise behindert. Es war nicht davon auszugehen, dass dieser Zustand so blieb.
Und dann merkte sie, wie sich der Stein merklich erwärmte und seine weißmagischen Impulse an ihren Körper abgab.
Gefahr!
Auch ich wurde aufmerksam darauf, doch mein Schavall reagierte nur unwesentlich. Also galt diese Gefahr nicht unmittelbar mir.
Ich warf einen Blick auf May. Konnte es sein, dass nur sie betroffen war?
May spürte unterdessen die Kraft, die auf sie über-sprang, ihre Hexenfähigkeiten mobilisierte.
Meditation war eine ihrer Vorbereitungen zum Kampf mit der Schlangengöttin gewesen.
„Vorsicht!“, ächzte sie, obwohl kein Mensch sehen konnte, woher die Gefahr kam.
Der Inder blickte erstaunt in den Rückspiegel. Man sah ihm an, was er dachte. Vom Geisteszustand seiner obersten Chefin schien er inzwischen nicht mehr allzu viel zu halten.
Ibrahim Moretti erbleichte, und ich zog sofort den Revolver, während meine Linke wieder nach dem Schavall tastete, den ich unter dem Hemd verborgen trug. Er zeigte kaum etwas an. Ich spürte auch selber nichts. Und noh einmal die Frage, die ich mir dabei zwangsläufig stellte:
Hieß das, die fremde Macht konzentrierte sich einzig und allein auf May, so sehr, dass der Schavall kaum von einer Reststrahlung erfasst wurde?
May Harris rutschte von ihrem Sitz und kniete sich auf die Rückbank vor uns. Die Trennscheibe zum Fah-rer war geöffnet. Sie legte von hinten beide Hände auf die Schultern des Inders.
„Bremsen Sie!“
Der Inder entschloss sich, sämtliche Verrücktheiten kommentarlos mitzumachen. Befehl war Befehl. Schließlich wurde er für hiesige Verhältnisse sehr gut bezahlt.
Er trat auf die Bremse. Die Reifen quietschten. Der Wagen verlangsamte rapide sein Tempo.
Was wir als Insassen nicht sahen, war der Hass in den Augen von Earl Cappert, der sich um seinen Über-raschungsmoment betrogen sah. Nur noch dreißig Me-ter war der Wagen jetzt von ihm entfernt. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als jetzt schon und somit weit verfrüht zuzuschlagen, bevor der schwere Wagen zum Stillstand kommen konnte.
Er hob beide Hände und schrieb eigenartige Zeichen in die Luft. Sofort kam das Fahrzeug ins Schleudern, als hätte es eine Riesenfaust gepackt.
Earl Cappert, der furchtbare Magier, verdoppelte seine Bemühungen.
Der Wagen brach aus und raste auf den Straßen-rand zu.
Die Augen des indischen Fahrers schienen aus ihren Höhlen quellen zu wollen. Er konnte sich das wilde Bocken des Wagens nicht erklären, bewies jedoch, dass man ihn nicht umsonst als Fahrer bezahlte. Er kurbelte wie ein Irrer am Steuer und fing so den Wagen geschickt wieder ab. Ihm wurde dabei keinen Au-genblick lang bewusst, dass er nur durch die unmit-telbare Berührung von May nicht längst das Bewusst-sein verloren hatte, von dem Angreifer überwältigt. Sie schirmte den Fahrer erfolgreich gegen die Beeinflus-sung ab.
Quer zur Fahrbahn blieben wir stehen.
May Harris stieß die Tür auf und sprang hinaus. Damit war sie eine Zehntelsekunde schneller als ich selber.
Längst hatte ich den Hahn des Revolvers gespannt.
Der Schavall reagierte immer noch nicht wie ge-wünscht. Ja, als würde mich der Angreifer komplett ignorieren oder - noch besser: Als würde er überhaupt nicht berücksichtigen, dass es mich und somit auch den Schavall gab!
Mein Finger war am Abzug. Ich blickte mich nur noch nach einem lohnenden Ziel um.
Auch May Harris orientierte sich. Ihre Linke krampf-te sich um den magischen Stein. Sie lauschte in ihr Inneres, dachte intensiv an die Schlangengöttin, rief sich ihr Bild ins Gedächtnis zurück.
Es gelang ihr trotzdem nicht, den Träger der tödli-chen Gefahr zu orten, denn Earl Cappert befand sich in sicherer Deckung und gab jetzt zähneknirschend auf.
„Ich habe dich unterschätzt, verdammte Hexe!“, murmelte er halblaut vor sich hin und zog sich noch weiter zurück.
Sobald es keine Sichtverbindung mehr zwischen ihm und May Harris gab, erloschen die Aktivitäten des magischen Steins. Es blieb buchstäblich nichts mehr von der magischen Attacke übrig.
Earl Cappert setzte sich inzwischen in sein versteck-tes Fahrzeug und verhielt sich ruhig.
Er dachte:
Diesmal bist du bestens vorbereitet, verfluchte Hexe. Aber täusche dich nicht. Meine Stunde kommt schon noch. Dass der Götze unterwegs in die USA ist, ahnst du zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal. Das ist auch gut so.
7
„Wir sollten die Umgebung absuchen!“, schlug Ibra-him Moretti zornig vor.
Der Inder inspizierte das Fahrzeug und versuchte zu begreifen, was überhaupt geschehen war.
May Harris ließ ihm indessen wenig Gelegenheit da-zu.
„Nein!“, entschied sie. „Das hat keinen Sinn in dieser Wildnis. Besser, wir fahren weiter. Ich möchte mit diesem Kommissar Naidu mal ein ernstes Wörtchen reden.“
Ibrahim Moretti konnte sich lebhaft vorstellen, wie diese Unterhaltung ablaufen würde. Bei der Laune, die seine oberste Chefin an den Tag legte…
Er beschloss, sich nichts davon entgehen zu lassen.
Dem Inder gab er einen Wink. Der Mann klemmte sich erneut hinter das Steuer und lenkte das Fahrzeug in die richtige Richtung.
„Ab geht die Post!“ Ibrahim Moretti gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. Der Fahrer quittierte es mit einem leisen Knurren.