TEUFELSJÄGER: Die 2. Kompilation - W. A. Hary - E-Book

TEUFELSJÄGER: Die 2. Kompilation E-Book

W. A. Hary

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Beschreibung

TEUFELSJÄGER: Die 2. Kompilation W. A. Hary: "Die Romane 5 bis 9 der laufenden Serie!" Fast zaghaft legte ich den Telefonhörer auf die Gabel zurück. Ich hatte Schwierigkeiten, Ordnung in das Durcheinander zu bringen, das mein Inneres beherrschte. Hilfesuchend schaute ich meinen Freund Don Cooper an. Doch der konnte mir nicht helfen. Er wußte noch gar nicht, um was es ging. Ich sammelte mich. Dann brachte ich mühsam hervor: "Das - das war ein Anruf - aus dem Jenseits!" Achtung: Alte Rechtschreibung, denn die Romane "spielen" in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts! Zur Erinnerung: Da gab es auch noch kein "Handy"! ________________________________________ Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie Teufelsjäger: Wilfried A. Hary! Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by hary-production.de

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W. A. Hary

TEUFELSJÄGER: Die 2. Kompilation

„Die Romane 5 bis 9 der laufenden Serie!"

Nähere Angaben zum Autor siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._HaryBookRix GmbH & Co. KG80331 München

Wichtiger Hinweis

Diese Serie erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Seit Band 21 wird sie hier nahtlos fortgesetzt! Jeder Band (siehe Druckausgaben hier: http://www.hary.li) ist jederzeit nachbestellbar.

 

TEUFELSJÄGER

 

Die 2. Kompilation

W. A. Hary: „Ein Hilferuf – aus dem Jenseits?“

 

Fast zaghaft legte ich den Telefonhörer auf die Gabel zurück. Ich hatte Schwierigkeiten, Ordnung in das Durcheinander zu bringen, das mein Inneres beherrschte. Hilfesuchend schaute ich meinen Freund Don Cooper an. Doch der konnte mir nicht helfen. Er wußte noch gar nicht, um was es ging.

Ich sammelte mich. Dann brachte ich mühsam hervor: »Das - das war ein Anruf - aus dem Jenseits!«

 

Achtung: Alte Rechtschreibung, denn die Romane „spielen“ in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts! Zur Erinnerung: Da gab es auch noch kein „Handy“!

 

Impressum

Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

ISSN 1614-3329

Copyright dieser Fassung 2015 by www.HARY-PRODUCTION.de

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

www.HaryPro.de

eMail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

Covergestaltung: Anistasius

 

1

Vor Minuten erst war er zu mir gekommen: Don Cooper. Sein Freund Lord Frank Burgess, der Herr von Schloß Pannymoore, hatte ihm ein Telegramm geschickt und ihn darin dringend gebeten, zu kommen - gemeinsam mit mir. Keiner von uns beiden wußte, um was es ging. Es bestand auch keine Möglichkeit, den Lord dessentwegen anzurufen, da es in seinem Schloß kein Telefon gab.

Wir hatten gerade beschlossen, uns noch heute auf die Reise zu machen, als das Telefon schrillte. Ich hatte abgehoben. Ein sehr kurzes Gespräch. Eigentlich war Gespräch schon zuviel gesagt. Es war schlichtweg ein Hilferuf gewesen, und der Hilfesuchende hatte behauptet, vom Jenseits aus anzurufen.

Ich war versucht, das Ganze für einen makabren Scherz zu halten und darüber zu lachen, doch dafür war ich schon zu lange Privatdetektiv und beschäftigte mich schon zu lange mit den Mächten des Jenseitigen. Ich konnte es nicht einfach mit einer Handbewegung abtun.

Don Cooper stand auf, ging an den Schrank und machte mir einen Drink: wenig Whisky und viel Mineralwasser. Das war im Moment mein Favorit.

Indessen tastete ich nach einem Sitz und ließ mich schließlich schwer in einen Sessel fallen.

Mein Blick glitt über die unzähligen Dämonenbanner aller Art, die auf Bildern und teilweise auch in der Gestalt von Amuletten und Figuren mein Apartment dekorierten. Ich blickte darauf, ohne wirklich etwas zu sehen.

Endlich kam Don mit meinem Drink. Ich leerte das Glas mit einem Zug, was überhaupt nicht meiner Art entsprach. Don setzte sich mir gegenüber und beobachtete mich aufmerksam.

»Was ist eigentlich los?« erkundigte er sich.

»Es - es war eine weibliche Stimme«, zwang ich mich zu reden. »Alles ging viel zu schnell. Sie klang hysterisch, voller Panik. Ich habe kaum etwas verstanden. Nur eines blieb mir deutlich im Gedächtnis haften: Hilfe und Jenseits und eine Erklärung.«

»Eine Erklärung?« wiederholte Don gedehnt.

»Ja.« Ich winkte ab. »Aber das ist im Moment unwichtig.« Ich hatte mich inzwischen wieder einigermaßen gefangen und sprang auf. »Don, es war die Stimme von May Harris gewesen!«

Das raubte ihm den Atem. Er forschte in meinem Gesicht, aber ich tat ihm nicht den Gefallen, irgendeine Regung zu zeigen.

Vor meinem geistigen Auge erschien May. Sie war eine etwas seltsame Frau, die in ihrem Leben Schlimmes erfahren hatte. Fünfzehn lange Jahre war sie mit einem Teufelsanbeter verheiratet gewesen, ohne um die Neigungen ihres Mannes Näheres zu wissen. Die Hölle hatte sie erlebt. Edgar Harris, ihr Mann, hatte erst ihre und dann seine Eltern umgebracht. Möglicherweise hatte er mit letzter Tat die Bande mit dem Teufelsbund zerreißen wollen, dem er durch die Mitgliedschaft seiner Eltern zwangsweise ebenfalls angehörte. Der Mord hatte alles nur noch schlimmer gemacht. In ihrer grenzenlosen Verzweiflung hatte May ihren Mann mit dem Wagen in den Tod fahren lassen. Reine Notwehr.

Ihre Verzweiflungstat hatte ungeahnte, grausige Folgen. Es stellte sich heraus, daß Edgar Harris seinen eigenen Tod vorausgeplant und entsprechende Vorbereitungen getroffen hatte. Er wurde zum Wiedergänger, verließ sein Grab und festigte endgültig seine Herrschaft über den Bund der Teufelsanbeter.

May trat an mich heran. Ich sollte ihr helfen. Das hätte beinahe unser beider Ende bedeutet. Buchstäblich im letzten Moment hatte uns Don Cooper gerettet. Dabei waren sämtliche Teufelsanbeter, die sich anläßlich unserer Opferung versammelt hatten, ums Leben gekommen. Dort, wo das Hauptquartier sich einst befand, sah man seit zwei Tagen nur noch einen tiefen Krater.

May Harris und ich waren uns nähergekommen. Die Ereignisse hatten uns zusammengeschweißt.

»Du bist verrückt«, sagte Don Cooper und weckte mich damit aus meinen Gedanken.

»Vielleicht«, gab ich knapp zur Antwort und nahm meine Jacke vom Haken.

»Wo willst du hin?« fragte Don verständnislos.

Ich blieb stehen und musterte ihn.

»May fuhr in die City, um Besorgungen zu machen. Das war vor etwa zwei Stunden.«

»Na und?«

»Na und!« äffte ich nach. »Glaubst du wirklich, ich halte es hier aus, bis May wiederkommt, oder es sich herausstellt, daß sie sich wirklich in Gefahr befindet? Möglicherweise kommt dann jegliche Hilfe zu spät. Egal, woher der Anruf kam - ob wirklich aus dem Jenseits oder nicht - ich werde der Sache nachgehen.«

Ich verließ die Wohnung. Don Cooper blieb mir dicht auf den Fersen.

»Ich frage mich manchmal, warum ich eigentlich dein Freund bin«, murrte er. »Ich möchte es ein einziges Mal erleben, daß du reagierst, wie man es von anderen Menschen gewohnt ist. Kannst du denn nicht mit mir reden wie mit einem erwachsenen Menschen? Kannst du mir nicht sagen, was du vorhast? Wir könnten die Dinge gemeinsam angehen. Aber nein, du läßt mich hinter dir drein laufen und gefällst dir in der Rolle des Auserwählten, der als einziger weiß, wohin die Reise geht.«

Er hatte sich regelrecht in Zorn geredet. Wir betraten den Fahrstuhl, den ich abgerufen hatte und der inzwischen angekommen war.

»Du mußt entschuldigen, Don«, gab ich ein wenig kleinlaut zurück. »Ich habe lange Zeit allein arbeiten müssen. Ich weiß, du hast inzwischen bewiesen, daß ich mich auf dich verlassen kann, aber bevor ich irgend etwas mit dir besprechen kann, muß ich mir selber erst einmal darüber im klaren sein. Tut mir leid, aber kein Mensch kann über seinen Schatten springen.«

Er schwieg verbissen. Das blieb auch noch so, als wir im Erdgeschoß den Fahrstuhl verließen und auf die Straße hinaustraten. May hatte sich den Leihwagen genommen. Wir besaßen ihn seit gestern. Es hatte sich herausgestellt, daß ihr eigenes Fahrzeug bei der Katastrophe mit den Teufelsanbetern in ein Wrack verwandelt worden war. Das Hauptquartier der Schwarzen Diener hatte sich unter dem Haus ihrer Eltern befunden.

Ich selber besaß im Moment kein eigenes Fahrzeug.

Don Coopers Wagen stand direkt vor der Tür. Beide traten wir an die Fahrerseite. Ich hielt die Hand auf.

Don zögerte eine Sekunde. Dann knallte er mir die Wagenschlüssel in die geöffnete Rechte.

Ich blickte in seine grimmige Miene und mußte plötzlich lachen. Don stutzte. Dann lachte auch er. Die Spannung zwischen uns löste sich.

Ich schloß auf, und wir stiegen ein.

»Du bist unmöglich«, behauptete Don, doch es klang nicht mehr so ernst. »Darf man wenigstens erfahren, wohin die Fahrt geht? In die Stadt? Wie willst du in dem Tohuwabohu deine Freundin May finden?«

Ich schüttelte den Kopf. Es tat mir leid, Don schon wieder vor den Kopf stoßen zu müssen, wenngleich es mir als unabwendbar erschien.

»Bitte, frage mich nicht. Ich kann dir darauf keine Antwort geben.«

Man konnte ihm nicht ansehen, was er dachte.

Ich fuhr an und verließ den Parkplatz vor dem Apartmenthaus im Ortsteil Bayswater, Nähe Bayswaterstation, wo ich vor Jahren im fünften Stockwerk ein kleines Apartment gekauft hatte. Leider hatte ich nicht oft Gelegenheit, hier zu wohnen.

Bald passierten wir den Bahnhof in Paddington, den Agatha Christie durch einen Krimi berühmt gemacht hatte, und erreichten schließlich die Ausfallstraße A 5, hier noch Edgware Road genannt.

»Moment«, meldete sich Don Cooper zu Wort, »ich denke, deine Freundin ist in der City? Wie ich sehe, sind wir dabei, London den Rücken zu kehren?«

Ich schwieg verbissen. Was hätte ich auch sagen können? Die telefonische Anweisung war sehr vage gewesen: Die A 5 nehmen, Ortsteil Barnet durchqueren, dann Richtung St. Albans. Die Verbindung war abgebrochen, ehe die Stimme mir hatte Näheres mitteilen können.

Als wir London hinter uns hatten, wartete Don Cooper noch immer auf eine Antwort von mir. Vor uns öffnete sich freie Natur. Links Felder und Wiesen, rechts ein kleines Waldstück.

Plötzlich begann sich der Wagen zu schütteln, als wäre etwas mit dem Fahrwerk nicht in Ordnung. Es dauerte nur kurz an. Dann war alles wieder wie zuvor.

Das Waldstück rückte näher.

»Hast du eigentlich deinen Schavall dabei?« erkundigte sich Don Cooper.

Automatisch tastete ich nach dem Ding, das an einer Kette unter dem Hemd baumelte. Es war meine wirkungsvollste Waffe und mein wirkungsvollster Schutz, wenn es sich auch oft genug bewiesen hatte, daß das geheimnisvolle Ding sich selbständig machen konnte. Es besaß zuweilen ein recht unartiges Eigenleben, obwohl ich eine ganze Ecke hilfloser gewesen wäre, hätte ich ohne es auskommen müssen.

Ich spürte es deutlich unter dem dünnen Baumwollhemd. Es bestand aus einem roten, undefinierbaren, in der Form einer Pupille geschliffenen Stein. Dieser und die Metalleinfassung verliehen dem Ganzen das Aussehen eines Auges, das meistens tot wirkte, oft allerdings ziemlich aggressiv glühte, weshalb ich den Schavall oft auch Dämonenauge nannte.

Ich griff das Ding fester.

Deutlich spürte ich, wie es sich erwärmte. Die Wärme war nicht unangenehm. Die Hand saugte sie wie gierig auf.

Ein eigenartiges Gefühl bemächtigte sich meiner. Ich schaute auf den Wald und glaubte deutlich eine Abzweigung von der Straße zu sehen, obwohl diese eine Sekunde vorher noch nicht dagewesen war. Die Stelle raste näher. Ich erlebte es wie in Zeitlupe. Der abzweigende Weg war holprig und erinnerte an einen Feldweg. Die Luft darüber flimmerte eigenartig.

Ich wundere mich noch heute darüber, daß es mir gelungen war, mir in der Kürze des Augenblicks so viele Details merken zu können. Der Weg war steinig und führte direkt auf den Wald zu, der sich nur wenige Yards neben der Straße befand. Auf wunderbare Weise war da eine Lücke entstanden. Es schien, als wäre der Wald nur eine Kulisse, in der sich ein Tor geöffnet hatte. Diese Öffnung zog mich an. Sie lockte.

Ich umklammerte den Schavall wie einen Rettungsanker. Er erhitzte sich stärker. Der Eindruck des abzweigenden Weges vertiefte sich noch.

Dann war ich mit dem Wagen heran. Ich ließ den Schavall los und griff mit beiden Händen ans Lenkrad.

Die Reifen kreischten protestierend. Don Cooper ließ einen erstickten Schrei hören. Er wollte mir ins Steuer fallen.

Es war schon zu spät. Wild schleudernd verließ das Fahrzeug die Straße und raste auf den Wald zu.

Ich erschrak.

Da war keine Wegabzweigung. Da war auch keine Lücke im Wald. Dicht an dicht standen die Bäume. Die Abstände dazwischen hätten höchstens ein Fahrrad hindurchgelassen, aber auf keinen Fall ein Auto.

2

Die Welt bestand aus Sonnen, die umeinander wirbelten, das All mit gleißendem Licht versorgend, das in allen Farben des Spektrums schillerte und weh tat - weh tat im Kopf. Es brummte seltsam, als würde das Ganze durch einen starken Motor angetrieben.

Mit diesem verwirrenden Eindruck erwachte ich.

Es dauerte danach eine Weile, bis ich mich in der Wirklichkeit zurechtgefunden hatte. Leicht wurde mir das nicht gemacht. In meinem Rücken spürte ich die Druckstellen kleiner Steine. Es roch nach Staub und nach - Flieder.

Es kostete mich unendliche Überwindung, die Augen zu öffnen. Ich wollte nicht sehen, was um mich herum war. Da war die schreckliche Vorstellung, in einem Krankenhaus zu erwachen - vielleicht zum Krüppel auf Lebenszeit verurteilt, vielleicht zusätzlich noch mit der Gewißheit, Don Cooper auf dem Gewissen zu haben?

Ich versuchte, die Gedanken an das schreckliche Ereignis auf der Landstraße nach St. Albans zu verdrängen. Es gelang mitnichten. Immer wieder zwangen sich mir die Bilder auf - Momentaufnahmen, die unauslöschlich blieben. Ich sah die heranrasende Wand aus Waldbäumen und...

Ächzend ruckte ich auf. Ich wunderte mich gar nicht darüber, daß ich mich - weder im Krankenhaus noch überhaupt in einem Bett befand. Ich hatte in meinem Rücken kleine Steine gespürt, und dieser Eindruck war echt gewesen. Jetzt konnte ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen. Ich befand mich auf einem staubigen Feldweg, der sich schnurgerade vor mir fortsetzte und sich hinter einem sanften Hügel verlor.

Ich warf einen Blick zur Seite. Don Cooper. Auch er kam gerade zu sich.

Ich schaute über die Schulter zurück. Wie könnte es mir heute möglich sein, meine damalige Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit zu beschreiben.

Auch hinter mir dieser Weg. In sanften Kurven durchquerte er die hügelige, unberührte Landschaft. Eine Meile hinter mir eine Gabelung. Der abzweigende Weg war allerdings schmäler und schien von geringerer Bedeutung zu sein.

Ich faßte mir an den Kopf und bemühte mich, Herr über das Chaos zu werden, das mein Inneres beherrschte.

Was war passiert?

Noch immer die Bilder der letzten Sekunde. Der heranrasende Wald und... Ja, was war dann geschehen? Wie kam ich hierher?

Ein Blick auf Don.

Wie kamen WIR hierher?

Ich bemerkte die Fassungslosigkeit Dons. Er erschien unverletzt. Nur sein Anzug war staubig.

Er schaute mich an wie das achte Weltwunder.

»Willkommen im Jenseits!« versuchte ich einen Scherz.

Im nächsten Moment durchzuckte mich der Schreck.

Was hatte ich da gesagt? Jenseits?

Ich erinnerte mich an ein anderes Bild als das kurz vor der Bewußtlosigkeit. Ich erinnerte mich des Weges, der scheinbar von der Landstraße nach St. Albans wegführte, des Eindrucks, der Wald sei nur eine Kulisse, in der sich ein leuchtendes Tor geöffnet hatte, durch das sich der Weg wand.

Auf einmal war ich absolut sicher, daß sich Don und ich nirgendwo anders als ausgerechnet auf diesem imaginären Weg befanden. Sobald ich den Schavall losgelassen hatte, war der Weg verschwunden: Der Wagen war über die paar Yards unbebautes, verwildertes Feld gehoppelt und am Ende gegen die Bäume gekracht.

Und wir fanden uns anschließend hier wieder. So unglaublich es auch klang, aber es sprach nichts dagegen.

Vorsichtshalber zwickte ich mir in den Arm. Der Schmerz war deutlich. Die Ausrede, ich würde träumen, mußte ich fallen lassen.

Welche Konsequenz ergab sich jedoch aus allen meinen Schlußfolgerungen?

Mein Verstand weigerte sich entschieden, den Gedanken weiterzuflechten. Ich war stärker und überwand die Gegenwehr. Ich wollte endlich Gewißheit, wollte Licht in das Dunkel bringen.

Noch einmal rekonstruierte ich von Anfang an. Ich begann mit dem Anruf. Eine seltsame Sache. Ich meldete mich am Hörer, und dann legte die weibliche Stimme am anderen Ende auch schon los: »Mark.. . Jenseits.. . Mark... mußt mir helfen... grausame Falle... helfen... Ruf aus dem Jenseitigen... Straße A 5 Richtung St. Albans über Barnet!« Ja, das war eigentlich alles, an was ich mich erinnern konnte. Die Frau am anderen Ende hatte geschrien und geschluchzt.

Und ich war immer noch sicher, daß es sich um die Stimme von May Harris, geborene Cartwright, gehandelt hatte!

Deshalb, nur deshalb war ich die angegebene Richtung gefahren. Hätte ich Don etwas davon gesagt, hätte ich mich mit ihm abgesprochen - sicher wäre er dagegen gewesen. Eine sinnlose, zeitraubende Diskussion hätte das entfacht. Dabei hätte ich ihm nicht einmal einen Vorwurf daraus machen können: Jeder andere hätte mich wahrscheinlich ebenfalls ausgelacht.

Ich war trotzdem gefahren, hatte den eigenartigen Weg gesehen, war aus unerfindlichen Gründen daraufgebogen und befand mich hier. Letzteres war eine unumstößliche Tatsache. Da biß keine Maus den Faden ab.

Ich sah mich nach allen Seiten um. Am Wegesrand stand ein blühender Fliederbusch, dessen Geruch die Luft schwängerte.

Ich runzelte die Stirn. Leider wußte ich nur sehr wenig über Pflanzen, wenn sie nicht ausgerechnet wichtig für magische Beschwörungen waren. Trotzdem mutete es mich seltsam an, daß in diesem südlichen Klima, in einer regelrechten Steppenlandschaft, farbiger Flieder blühte.

Ich beschloß, mich mit diesem unergiebigen Thema nicht mehr länger zu befassen. Das konnte ich auch nicht, denn Don lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich.

»Na, schau dir das an«, rief er aus. Er deutete nach hinten auf den Weg.

Es dauerte Sekunden, bis die Erkenntnis dessen, was ich sah, bis zu meinem Bewußtsein vorgedrungen war.

Deutlich waren auf dem Weg Reifenspuren zu erkennen! Sie erschienen scheinbar aus dem Nichts und führten ein paar Schritte genau auf uns zu. Knapp vor dem Punkt, an dem wir unser Bewußtsein wiedererlangt hatten, verschwanden sie abermals, wie abgeschnitten.

Ich trat näher.

»Was hat das alles nur zu bedeuten?« meinte Don Cooper kopfschüttelnd. Ich konnte seine Ratlosigkeit nur teilen.

Alles paßte zusammen. Eigentlich gehörten die Reifenabdrücke zu meiner Theorie. Es mußten die Abdrücke von dem Wagen sein, mit dem wir gefahren waren. Zugegeben, das klang absurd, aber war nicht auch die gesamte Situation absurd?

Wieder war es Don Cooper, der als erster eine Entdeckung machte. Er zupfte mich am Ärmel und deutete auf den Hügel, hinter dem der Weg verschwand.

Deutlich war dort eine Staubwolke entstanden. Sie rollte näher.

Wir lauschten gebannt, konnten jedoch nichts hören.

Da erinnerte ich mich eines alten Pfadfindertricks und legte mich auf den Boden. Don Cooper lächelte wissend. Er war ein erfahrener Mann, der die ganze Welt bereist und die unmöglichsten Abenteuer bestanden hatte. Ich mußte daran denken und dankte im stillen dem Himmel, daß er bei mir war. Wahrscheinlich würde ich seine Erfahrungen hier noch bitter notwendig haben. Mir war das Glück nicht so beschieden gewesen, und ich war alles andere als reich, während Don Cooper nach dem Tode seines Vaters gemeinsam mit dem Bruder ein riesiges Vermögen geerbt hatte. Dieweil sein Bruder laut Don ein reiner Businessman war und sich am wohlsten hinter seinem wuchtigen Schreibtisch oder an der Börse fühlte, war Don Cooper aus anderem Holz geschnitzt. Obgleich er es ebenfalls verstand, aus Nichts ein Vermögen zu machen, hatte die Natur bei ihm auch für die unselige Fähigkeit gesorgt, dieses Vermögen ebenso schnell wieder auszugeben. Wäre das von ihm geerbte Geld nicht testamentarisch in relativ kleine Häppchen aufgeteilt worden, wäre es längst schon ausgegeben. Trotzdem konnte Dons Bruder dankbar sein, denn Don war es oft genug geglückt, auf seinen abenteuerlichen Weltreisen Geschäfte abzuwickeln, die dem Konzern nur zugute kamen.

Dons Bruder residierte in London. Seltsamerweise hatte es Don nicht für notwendig gefunden, mich ihm vorzustellen. Ich war zugegebenermaßen recht neugierig auf den Mann.

Meine Gedanken kehrten wieder zur Gegenwart zurück. Undeutlich konnte ich Töne hören, die sich im harten Boden besser fortpflanzen konnten als in der bewegten Luft. Mit einiger Fantasie konnte man die Geräusche als Hufgetrappel und Holpern von Rädern deuten.

Ich richtete mich wieder auf.

»Wir bekommen Besuch.« Mein Blick ging in die Runde. Ich suchte nach einer geeigneten Deckung.

Don gewahrte das. »Warum sollen wir nicht warten, bis die hier sind?«

Ich machte ein skeptisches Gesicht und bewegte die Hand, als wollte ich eine Glühbirne schrauben.

»Ich habe ein ungutes Gefühl, Don. Erst einmal sollten wir die Lage sondieren, ehe wir uns auf irgend etwas einlassen.«

»Auf der anderen Seite habe ich Durst«, protestierte Don. »Es ist doch kaum einzusehen, daß wir in dieser Wildnis umkommen. Wer weiß, wann wieder jemand vorbeikommt.«

Ich beschloß einen Kompromiß.

»Also gut, gehen wir erst einmal in Deckung und schauen uns die Besucher an. Wenn sie uns gefallen, können wir weitersehen.«

Er willigte nach einigem Zögern ein. Inzwischen war die Staubwolke bedrohlich nahe gekommen. Wir mußten uns beeilen.

In der Nähe lagen, wie von einem Riesen hingestreut, ein paar Felsbrocken. Sie waren hüfthoch und boten genügend Sichtschutz. Außerdem gab es einigermaßen Bewuchs rings um die Felsen. Wir konnten also ohne besonderes Risiko den Weg auch weiterhin im Auge behalten.

Unsere Geduld wurde auf keine harte Probe gestellt. Zwei Reiter pirschten heran. Sie brauchten den ganzen Weg.

Direkt vor uns zügelten sie ihre Pferde. Schreck durchzuckte mich. Ich fürchtete, daß man uns entdeckt hatte, doch dem war anscheinend nicht so. Die Reiter hielten rein zufällig an diesem Punkt. Sie schauten zurück. Wir hatten ausreichend Gelegenheit, sie näher in Augenschein zu nehmen.

Don Cooper an meiner Seite machte keine Anstalten, sich bemerkbar zu machen. Er mußte jetzt einsehen, daß ich richtig gehandelt hatte. Die beiden Fremden machten alles andere als einen friedfertigen Eindruck. Sie waren ganz in Leder gekleidet. Die Lederwämser, in denen ihre Oberkörper steckten, hatten keine Ärmel. Nackte, muskulöse Arme waren sichtbar. Die Sättel machten einen etwas primitiven Eindruck. Beachtenswert waren die Schwerter, die in langen Scheiden steckten. Sie bildeten nicht die einzige Bewaffnung. Jeder der beiden hatte ein ganzes Arsenal von verschiedenartigen Dolchen und einen Lederschild. Die Lederkappe auf dem Kopf war einem mittelalterlichen Kopfschutz nachempfunden und versah sinnfällig auch denselben Zweck.

Ein Blick in die Gesichter der Männer ließ einen frösteln. Verwegene, bärtige Typen mit glühenden Augen und stechendem Blick. Wegelagerer wie aus dem Bilderbuch. Allein ihre Erscheinung garantierte todsicheren Erfolg, bei etwaigen räuberischen Tätigkeiten.

Mir wurde bewußt, daß ich alles etwas übertrieben sah, doch gratulierte ich mir im stillen zu meiner Vorsicht. Don und ich waren völlig unbewaffnet. Wir hätten gegen die beiden keinerlei Chance gehabt. Da war es besser, man ging jeder Eventualität aus dem Weg.

Es wurde bald ersichtlich, worauf die Reiter warteten. Aus der Staubwolke, die träge über dem Feldweg schwebte, schälte sich eine Postkutsche.

Ja, ich hatte mich nicht geirrt. Es handelte sich tatsächlich um eine Postkutsche. Hätten die Reiter eine andere Bewaffnung besessen, hätte ich automatisch an den berühmten Wilden Westen denken müssen.

Die Kutsche wurde von vier feurigen Rössern gezogen. Auf dem Kutschbock saß ein älterer Mann mit wettergegerbtem Gesicht, das teilweise von einem struppigen Bart verdeckt wurde. Er würdigte die Reiter keines Blickes, sondern knallte einmal mit der Peitsche und trieb somit die Pferde zu größerer Eile an.

Die beiden verwegenen Reiter ließen die Kutsche vorbei.

»Bis jetzt blieb alles ruhig«, sagte einer. Eine kehlige Stimme und eine fremdartige Sprache, die ich komischerweise verstand. War es wirklich englisch? Ich konnte es mir nicht erklären und hoffte, daß die beiden mehr miteinander redeten.

»Hoffentlich bleibt es so«, kommentierte der zweite hart.

Natürlich war es englisch, nur so verzerrt, daß man es kaum noch so bezeichnen konnte - wie aus dem Munde eines Ausländers, der sich mit der Aussprache überhaupt keine Mühe gab und Grammatik als Luxus betrachtete.

Gebannt lauschte ich. Ein Seitenblick auf Don überzeugte mich davon, daß auch ihn das Weitere interessierte.

Der erste sprach wieder.

»Du hast recht. Man soll den Abend nicht vor dem Tage loben. Noch fünf Meilen bis Icks. Reiten wir. Seien die Dämonen mit uns.«

Sie gaben ihren Pferden die Sporen und beeilten sich, die Kutsche wieder einzuholen.

Wir atmeten auf und warteten noch ein wenig. Das Hufgetrappel und Rumpeln der Kutsche verloren sich. Wir konnten es wagen, unser Versteck zu verlassen.

Don Cooper war ein wenig blaß um die Nase. Ich konnte mir vorstellen, daß auch ich so aussah.

Er strich sich über das dünne Oberlippenbärtchen, das er sich in den letzten Wochen hatte wachsen lassen. Es gab ihm das Aussehen eines Don Juan. Inzwischen kannte ich ihn lange genug, um zu wissen, daß bei ihm der Schein nicht unbedingt trog. Don Cooper war ein sehr unbeständiger Mann. Das wirkte sich auch auf sein Verhältnis mit Frauen aus. Da er von blendender Erscheinung war - groß, sportlich-muskulös, markantes Gesicht mit energischem Kinn und eisgrauen Augen - hatte er eigentlich nie Schwierigkeiten, immer wieder aufs neue Anschluß beim weiblichen Geschlecht zu bekommen. Gegenüber ihm lebte ich fast wie ein Mönch. Obwohl mein Beruf dem Lügen strafte, war ich schon immer ein Mensch gewesen, der sich nach Ruhe und Geborgenheit sehnte. Ich war einfach nicht der Typ des herumreisenden Abenteurers und haßte meine Tätigkeit oft genug, weil sie eben einen solchen Typ verlangte. Trotzdem gab ich es nicht auf. Ich wußte, wie gefährlich die Schwarzen Mächte waren, die sich in so mannigfaltigen Formen präsentierten, daß selbst die fast pervers zu nennende Fantasie des Mittelalters versagte, wenn sie sich bemühte, sämtliche Formen darzustellen. In der Tat war ich immer wieder von der Erfahrung belehrt worden, daß viele Vorstellungen des Okkulten eher kindisch waren und die meisten Talismane und magischen Praktiken von ungeheurer Naivität und völlig fehlendem Sachverstand zeugten. Magie war praktisch eine Wissenschaft. Sie erschöpfte sich nicht darin, daß man um Mitternacht und möglichst noch bei Vollmond irgendwelche Gebeine ausgrub, sie mit Katzendreck und anderen unappetitlichen Dingen mixte und das Ganze dann unter Umrührung im Mondschein beschwor. Das war etwas für Märchenbücher. Die Praxis sah leider völlig anders aus.

Ich erlebte sie ständig und fühlte mich daher kompetent, mir darüber ein Urteil zu erlauben.

*

»Ich werde aus der ganzen Sache nicht klug«, bekannte Cooper, als wir zum Weg zurückgingen. »Wo, zum Satan, befinden wir uns hier?«

Wie gern hätte ich ihm darauf eine Antwort gegeben.

Der Staub senkte sich rasch wieder auf den Weg zurück. Ich wollte mich sofort den Reifenspuren widmen. Meine Enttäuschung war verständlich: Die Spuren waren verwischt!

Ich knirschte mit den Zähnen.

»Also gibt's keine Möglichkeit mehr zur Rückkehr«, murmelte ich, mehr zu mir selbst gewandt als an Don Cooper.

»Ja, gab es denn eine?« Der ironische Unterton war unverkennbar.

»Vielleicht«, meinte ich vorsichtig. »Ich habe mir da eine Theorie zusammengebastelt. Demnach haben wir eine Art magisches Tor passiert.«

Don Cooper staunte ehrlich.

»Magisches Tor? Ja, gibt es das denn?«

Ich ging nicht darauf ein.

»Ich frage mich, wer es errichtet hat und was der Anruf sollte.«

»Du meinst, das Ganze war eine fein ausgeklügelte Falle, wie?«

Es war erstaunlich, wie schnell Don Cooper umdenken konnte. Eben noch voller Skepsis, trug er jetzt schon sein Scherflein zum Entwickeln einer brauchbaren Theorie bei.

»Genau das«, bestätigte ich. »Das Motiv zu der Aktion war gewiß nicht positiv. Ich kann mir vorstellen, daß uns hier noch einiges erwartet. Ich denke da an die Bemerkung des einen Reiters: Seien die Dämonen mit uns!«

»Klingt wie eine altmodische Floskel.«

Ich nickte.

»Das wird es auch sein. Wo aber, so frage ich dich, wurde diese Floskel jemals auf unserer Welt gesprochen?«

Don erschrak merklich.

»Du hast recht, Mark. Ich überlege auch schon die ganze Zeit, wo die seltsame Mundart der Männer beheimatet ist. Ich will verdammt sein, wenn ich diesen Dialekt schon jemals in meinem Leben zuvor gehört habe, und das soll schon was heißen.«

3

Es waren zwei. Sie waren noch zu weit weg, als daß wir ihr Kommen gehört hätten, aber schon zu nahe, um uns noch eine Chance zu lassen. Sie hatten uns gesehen, denn sie jagten auf ihren Pferden auf uns zu.

Auch jetzt geschah das in absoluter Lautlosigkeit. Daran war nicht nur der ungünstige Wind schuld, sondern auch die Tatsache, daß die Reiter den Weg verlassen hatten.

Zweifelsohne gehörten sie zu der Postkutsche, die an uns vorbeigefahren war. Eine Art Nachhut. Schlau eingefädelt. Dadurch, daß sie neben dem Weg ritten, sah man keine Staubwolke. Der Abstand war so groß, daß niemand mehr mit ihnen rechnete, und die karge Grasnarbe dämpfte jedes Geräusch.

Noch dreihundert Yards.

Verzweifelt schauten wir uns nach einer Möglichkeit um, zu entfliehen.

Jedes Bemühen in dieser Richtung war vergeblich.

Wir standen hier, unbewaffnet. Die heranpreschenden Reiter hatten ihre langen Schwerter gezogen und wirbelten sie über die Köpfe. Ein gellender Kampfruf hallte zu uns herüber. Ich sah die in der Sonne blitzenden Schneiden und spürte einen deutlichen Schmerz am Hals.

Da half kein Fäusteballen und kein Fluchen. Jegliche Flucht war sinnlos. Die Pferde waren schneller als wir es je sein konnten.

»Der Schavall!« schrie Don Cooper mich plötzlich an.

Ich erwachte wie aus einem Alptraum.

Schavall? Wie kam er darauf?

Und dann kam mir derselbe Gedanke.

Vielleicht gelang es mir, mittels des Dämonenauges das Tor zu unserer Welt wiederzufinden. Das war die einzige Möglichkeit, die uns noch blieb.

Ich riß das Hemd vor der Brust auseinander.

Es ging um jede Sekunde.

Nur noch hundert Yards war der Tod von uns entfernt.

Mit beiden Händen packte ich den Schavall. Er war deutlich erwärmt. Das war ein Zeichen, daß er auf die unwirkliche Situation reflektierte. Sein gespenstisches Eigenleben hatte sich bereits auf mich eingestellt. Ich war diesem Umstand dankbar wie selten zuvor.

Noch fünfzig Yards. Der Kampfruf gellte uns in den Ohren und ließ es eisig über unsere Rücken kriechen.

Ich wandte mich der Stelle zu, an der ich die Reifenspuren entdeckt hatte. Der Fliederbusch war eine wirksame Orientierungshilfe.

Noch dreißig Yards.

Trotz der Situation gelang mir eine Trance. Jetzt lohnte sich das ständige Training. Ich war nicht gerade ein begeisterter Yogakünstler, hatte aber die Vorteile gewisser Meditationsübungen am eigenen Leibe bereits erfahren können. Es gelang mir oftmals in den extremsten Situationen, meinen Geist abzuschalten. Konzentration war das wichtigste Element in der Durchführung magischer Beschwörungen.

Eine rasche Lautfolge drängte sich wie von selbst über meine Lippen. Eine Beschwörung, entliehen der längst untergegangenen Sprache der geheimnisvollen Goriten. Damit unterstützte ich den Schavall, regte ich ihn an.

Nichts geschah. Nichts veränderte sich auf dem Weg.

Ich schwitzte, und das nicht nur durch die unbarmherzige Sonne.

Noch zehn Yards.

Plötzlich flimmerte es über dem staubigen Weg. Alles erschien auf einmal wie ein großes Bild, aus dem sich ein leuchtender Bogen schälte.

Da qualmte etwas. Feuer knisterte in bösartiger Eindringlichkeit. Alles war undeutlich auszumachen. Metallteile lagen wahllos herum. Der Boden war aufgepflügt. In der Nähe standen Menschen. Erschrockene Ausrufe. Das Rasseln einer Alarmklingel. Bald würden Krankenwagen und Polizei die Stelle erreicht haben.

Ich wollte einen Schritt vor machen. Im gleichen Moment gab mir jemand einen fürchterlichen Stoß. Ich taumelte seitwärts, hatte Mühe, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Etwas sauste knapp an meinem Ohr vorbei. Ein schmerzhafter Ausruf. Ich ließ den Schavall nicht aus dem Griff.

Ein Schatten bewegte sich schnell auf das leuchtende Zeichen zu, das über dem Weg schwebte wie ein Bild aus einer anderen Welt. Und es war auch ein Bild aus einer Welt, die mit dieser hier nichts gemein hatte.

Endlich erwachte ich aus der notwendig gewesenen Trance. Das Tor auf dem Weg blieb. Ich erinnerte mich wieder an die beiden Reiter. Der eine hätte mich nur knapp verfehlt. Hätte mir Don nicht den Stoß gegeben, hätte mich das Schwert des Gegners in zwei Teile gespalten.

Der Angreifer war es auch gewesen, der weiterpreschte. Sein Schwung war zu groß. Er versuchte, sein Pferd vor dem Tor zu zügeln. Das Tier bäumte sich dabei auf und warf ihn im hohen Bogen ab. Er segelte durch die Luft, direkt auf das magische Tor zu. Ich hielt den Atem an. Alles spielte sich in Sekundenbruchteilen ab.

Er berührte das Tor.

Ein grausiger Schrei. Funken stoben. Das Bild waberte. Ein erneuter Schrei. Teilweise brach der Reiter durch das Tor. Er wurde hin und her gerissen. Seine Schreie gellten.

Ich warf einen kurzen Blick auf seinen Kumpan. Der hatte die Lust verloren, uns den Garaus zu machen. Fassungslos stierte er auf das, was vor ihm geschah. Sein Pferd scheute. Desgleichen das Tier des Abgeworfenen, das mit weiten Sätzen davongaloppierte.

Und der Reiter hing immer noch in dem Tor. Er schlug wie ein Berserker um sich und schrie wie am Spieß.

Und dann wurde er erlöst. Er schaffte den Durchbruch. Doch zu welchem Preis! Feurig glutete es auf, erfaßte seinen Körper und verwandelte ihn in eine bläuliche Fackel. Grotesk verzerrt konnte man die Konturen des Unglücklichen erkennen.

Die Flammen erloschen wieder. Eine Leiche, schwarz verkohlt, blieb am Boden liegen.

Der Zurückgebliebene wurde unser wieder gewahr. Er knurrte wie ein wildes, gereiztes Tier und hob das mächtige Schwert.

Ich konnte nicht anders. Welche Wahl blieb mir denn? Ich sprintete auf das Tor zu, das sich nur wenige Yards vor mir befand. Don Cooper tat es mir gleich.

Vor dem letzten Schritt zögerten wir einen halben Atemzug lang. Wir hatten das Bild vor Augen, wie der andere geendet war. Wir wollten nicht ein ebensolches Schicksal erleiden. Furchtbare Qualen mußte der Unglückliche erlitten haben.

Trotzdem durchschritten wir das Tor. Schwindel packten uns. In unseren Adern schien plötzlich an der Stelle von Blut flüssige Lava zu kreisen.

Alles dauerte nur Sekunden. Dann war es überstanden. Wir standen direkt neben den rauchenden Überresten von Dons Wagen. Zu unseren Füßen die verkohlte Leiche des Reiters, den diese Welt nicht gewollt und deshalb vernichtet hatte.

Benommen taumelten wir von der Unglücksstelle weg. Wie durch einen Schleier sah ich die Gaffer. Es waren Menschen, die das Feuer angelockt hatte. Das Feuer war es auch, das sie davon abhielt, sich dem Autowrack zu nähern. Es mußte jeden Augenblick in die Luft gehen.

Seltsamerweise hatte ich davor keine Furcht, obwohl ich mich in unmittelbarer Nähe befand. Mich konnte nunmehr nichts mehr erschüttern - dachte ich wenigstens.

Ich warf einen Blick zurück.

Der Schavall in meinen Händen schien direkt aus einem tätigen Vulkan gefallen zu sein. So fühlte er sich jedenfalls an. Doch schadete mir die Hitze nicht. Sie erfüllte mich vielmehr mit magischer Kraft und half, das Tor noch immer aufrecht zu halten.

Da war das verzerrte Gesicht des zweiten Reiters. Deutlich erkannte ich, daß er sich bemühte, sein scheuendes Pferd näher zu treiben. Er schwang sein Schwert, obwohl wir aus seiner Reichweite waren.

Das Schwert! durchzuckte es mich. Wo war die Waffe des ersten Reiters? Jetzt erst wurde mir bewußt, daß er nach dem Passieren des magischen Tores keine Waffen mehr bei sich gehabt hatte.

Ich beschäftigte mich weiter nicht mehr mit dem Gedanken, schob ihn für später auf. Jetzt war keine Zeit mehr. Ich mußte endlich weg, außer Reichweite einer möglichen Detonation. Das Feuer schwelte noch immer.

Ich wandte mich ab und taumelte Don Cooper nach. Der Freund machte gleichfalls einen recht mitgenommenen Eindruck, als habe das magische Tor uns beiden Kräfte entzogen.

Vielleicht waren wir zwanzig Yards von dem Wrack entfernt. Die Einsatzwagen von Feuerwehr, und Polizei schossen heran. Auch die Ambulanz war vertreten. Die Gaffer hielten gebührenden Abstand. Aller weiterer Verkehr auf der Straße war ausgeschlossen.

Plötzlich ging ein Schrei durch die Menge. Ich sah das Grauen in den Augen der Leute. Es dauerte Sekunden, bis ich begriff, wohin sie stierten.

Ich folgte ihren Blicken, und auch mich fiel das Grauen an wie ein schrecklicher Dämon.

*

Der verkohlte Leichnam am magischen Tor bewegte sich.

Ich blieb wie angewurzelt stehen und war zu keiner Regung mehr fähig.

Mein Verstand wollte nicht begreifen, was meine Augen sahen. Der Leichnam hob zitternd einen Arm, tastete mit der verkohlten Hand über den Erdboden, richtete sich auf.

Er war kaum noch als Mensch erkennbar, konnte auch kein Mensch mehr sein. Was war das für ein Wesen, das solche Verletzungen überlebte?

Neue Kräfte schienen den Leichnam zu beseelen. Taumelnd kam er auf die Beine. Schwarze Kleiderreste hingen an ihm herab. Er wandte den Kopf hin und her. Dort wo die Augen waren, befanden sich dunkle Höhlen, in denen ein teuflisches Feuer glomm. Plötzlich wandte er sich ab und torkelte auf das magische Tor zu.

Die Leiche passierte das Tor. Es flackerte kurz auf. Dann erlosch es hinter ihm, als hätte es nie bestanden.

Don Cooper packte mich so fest am Arm, daß es schmerzte. Das brachte mich wieder zu mir.

»Mensch, Mark, sag mir, daß ich verrückt bin! Ich habe mir alles eingebildet, nicht wahr?«

Ich schüttelte den Kopf und drängte ihn vom Wrack weg. Wie durch ein Wunder war es bisher nicht zur Katastrophe gekommen.

Wir stolperten direkt hinein in die beginnende Hektik. Offenbar hatte nur ein Teil den Vorgang mit dem Toten mitbekommen. Dieser Teil war noch immer mit sich beschäftigt. Das Grauen würde diesen Menschen so schnell nicht mehr aus den Knochen weichen.

Die Feuerwehrleute sprangen von dem großen Mannschaftstransportwagen ab und machten sich sofort an die Arbeit, derweil die Polizei die Zuschauer noch weiter zurückdrängte.

Es zeigte sich jedoch, daß die Feuerwehr nicht schnell genug gewesen war.

Eben hielt uns ein Mann in weißem Kittel auf, als es geschah. Hinter uns entstand ein rasendes Inferno. Eine feurige Lohe jagte in den Himmel. Knatternd und knisternd setzte sich ein Teil des Waldes in Brand. Die restlichen Fetzen des Wracks flogen uns im wahrsten Sinne des Wortes um die Ohren.

Als die Druckwelle über uns hinweg war und ich es wieder wagte, aufzusehen, sah man niemanden mehr stehen. Automatisch hatten sich alle auf den Boden geworfen.

Die Feuerwehr hatte alle Hände voll zu tun, um den entstehenden Waldbrand wieder einzudämmen.

Zu dem Weißkittel gesellte sich ein Mann in Polizistenuniform.

»Sind das die Leute, die in dem Wagen saßen?«

Ich antwortete an der Stelle des Mannes.

»Ja, das sind wir.«

»War außer Ihnen noch jemand in dem Fahrzeug?«

»Nein, nur wir beide.«

»Da haben Sie noch gewaltiges Glück gehabt«, behauptete der Weißkittel und deutete auf die Explosionsstelle.

Ich folgte unwillkürlich seinem ausgestreckten Arm. Viel war nicht mehr von Dons Wagen übrig. Der Mann hatte recht.

Erbleichen konnte ich nicht mehr, denn noch blasser, als ich es war, konnte wohl kein Mensch mehr werden.

Der Polizist mischte sich wieder ein. Er zückte Notizblock und Schreiber.

»Kommen Sie bitte mit. Wir müssen die Sache aufnehmen.«

Hinten meldet sich eine laute Stimme: »So nehmen Sie doch Vernunft an!« Das galt den Gaffern.

Es war kaum vorstellbar für mich, daß die Sache einen solchen Wirbel verursachte, und doch war es so.

Die ersten Zuschauerkommentare plätscherten an meinen Ohren vorüber, ohne daß ich sie bewußt aufnahm. Ich konzentrierte meine angeknackste Aufmerksamkeit auf den Weißkittel, der beschwörend auf den Polizisten einredete.

»Sie können die beiden Gentlemen doch nicht jetzt schon vernehmen. Die müssen in ärztliche Obhut. Ich muß sie untersuchen. Sie müssen ins Krankenhaus.«

»Quatsch!« versetzte der Polizist. »Nun fangen Sie doch nicht an, zu übertreiben. Die stehen da herum, als sei nichts geschehen. Wenn die wirklich etwas hätten, dann...«

Der Weißkittel, allem Anschein nach ein Unfallarzt, fiel ihm ins Wort: »Wollen Sie die Verantwortung übernehmen?«

Das wollte der Sergeant nun doch nicht. Er lenkte ein: »Nun, ich werde dann auf alle Fälle zwei Leute mitschicken.«

»All right«, sagte der Arzt zufrieden, »damit bin ich einverstanden.« Er nahm uns beide an den Armen. Zwei Sanitäter eilten herbei. Es stellte sich jedoch heraus, daß ihre Sorge nicht uns galt, den eigentlichen Opfern. Ein Blick in die Runde überzeugte mich davon, daß wohl keiner der Gaffer zu nahe am Explosionsherd gewesen war. Daß ein paar umgekippt waren, hatte sicher andere Ursachen...

Der Mediziner, der bei uns war, sah das nicht so. Er maulte wieder: »Ich verstehe das nicht. Warum müssen solche Idioten ihre Nase immer ganz vorn haben? Kein Wunder, wenn sie dann einmal abreißt.«

4

Die Routineuntersuchung im Hospital ergab, daß ich persönlich völlig unverletzt war und Don Cooper ein paar Fleisch- und Schürfwunden abbekommen hatte. »Kratzer«, wie er sich ausdrückte. Sie behinderten ihn kaum. Der Arzt führte die Verletzungen auf den Verkehrsunfall zurück. Wir verschwiegen natürlich, daß sie in Wirklichkeit von einem kleinen Intermezzo mit Schwertkämpfern herrührten.

Nachdem man uns von ärztlicher Seite versichert hatte, nur unser Bestes zu wollen, blieben wir zur Beobachtung. Gottlob kamen wir in ein gemeinsames Zimmer.

Endlich hätten wir Gelegenheit gehabt, das Vorgefallene zu verarbeiten, aber da platzte der Sergeant dazwischen. Er stellte endlos lange Fragen über den Unfallhergang. Für uns war es ein Glück, daß nach solchen Vorkommnissen bei den meisten Menschen das Gedächtnis versagt. Darauf konnten wir uns berufen, auch wenn es für den Sergeanten noch so unbefriedigend war.

Wir atmeten auf, als er sich verabschiedete. Mit keinem Wort hatte er das magische Tor oder sonst etwas erwähnt. Nur hatte er mehrmals gefragt, ob wir nun zu zweit oder zu dritt gewesen wären. Also mußte ihm von dem wandelnden Leichnam doch etwas zu Ohren gekommen sein.

Unser Aufatmen kam leider zu früh. Ein Reporter begehrte Einlaß. Um es sich nicht schon von vornherein mit der Presse zu verscherzen, gewährten wir ihm das Vergnügen, uns ebenfalls auszufragen. Er stellte sich uns als Russ Coogan vor. Seine erste Frage war: »Wie standen Sie zu dem lebenden Toten von London?«

Das war eine Frage, die uns fast aus den Betten haute.

»Wie war das?« erkundigte ich mich ungläubig.

Russ Coogan lächelte wissend.

»Nun ja, ich bin zufällig vorbeigekommen, als es passierte.« Er lehnte sich vor und betrachtete uns lauernd.

»Legen wir die Karten offen auf den Tisch. Damit ihr seht, wie ehrlich ich es meine, werde ich damit den Anfang machen. Also, ich befand mich im Gegenverkehr, sah euren Wagen. Plötzlich scherte das Fahrzeug aus und raste auf die Bäume zu. Wißt ihr, das geschah mit einer Geschwindigkeit von schätzungsweise dreißig Meilen. Jetzt kommt es. Der Wagen prallte also ziemlich heftig gegen die Bäume. Ich reagierte sofort, stoppte, stieg aus und rannte zur Unfallstelle. Ja, ihr staunt, aber ich war der erste Mann an der Spitze. So ein Glück hat man nicht alle Tage.

Nun, was soll ich euch sagen: Der Wagen war leer!

Komisch, nicht wahr? Es war doch kaum anzunehmen, daß das Ding ohne Besatzung gefahren ist. Rausgeflogen konntet ihr nicht sein. Keine Automatiksicherheitsgurte, wißt ihr. Die Dinger sahen nicht unbenutzt aus. Aber lassen wir das. Gehen wir weg von der reinen Spekulation und bleiben wir bei den Fakten. Ich hielt mich auch weiterhin am Ort auf. Gaffer strömten herbei. Wieder war ich der erste, der das Feuer entdeckte. Einer ging mit seinem kleinen Feuerlöscher ran. Sinnlos. Die anderen wagten es nicht mehr. Das Ding konnte jeden Augenblick in die Luft gehen. Zu gefährlich. Weiter im Text. Seit dem Unfall waren keine vier Minuten vergangen, der Qualm verstärkte sich noch. Irgend jemand hatte die Polizei benachrichtigt. Die brausten schon, schnell wie sie sind, heran. Da tat sich etwas. Direkt am Unfallgeschehen, dort, wo der Wagen die Bäume getroffen hat - das Wrack war noch ein Stückchen weitergerutscht, muß ich der Vollständigkeit halber hinzufügen - genau an dieser Stelle also, wo es passierte, flimmerte die Luft, und schwupp war da ein Bild. Wie in Tausendundeiner Nacht sage ich euch. Hat mir glatt die Sprache verschlagen. Ich sah euch beide und zwei komische Typen hoch zu Roß. Einer war bemüht, euch den Kopf abzuschlagen, hatte sich jedoch verkalkuliert, wurde von Don Cooper abgewehrt, kam näher heran und verwandelte sich in eine rabenschwarze Leiche.

Das Tollste kommt noch. Gut, ich sage euch alles, damit ihr wißt, wie weit ich im Bilde bin - auch auf die Gefahr hin, euch mit Wiederholungen zu langweilen. Ihr folgtet dem Toten nämlich auf dem Fuße. Hat euch gar nichts geschadet, wie ich feststellte. Kamt lediglich etwas ins Stolpern. Ja, daß der Tote noch einmal aufgestanden ist, um von der Bildfläche zu verschwinden, brauche ich nicht näher zu erwähnen. Deshalb meine anfängliche Frage: Wie standen Sie zu dem lebenden Toten von London? Habt ihr etwa einen wirkungsvolleren Aufhänger für eine Bombenstory? Lebende Tote gibt es nicht alle Tage!«

Gäbe es einen Wettbewerb für Quasseler - ich hätte Russ Coogan bestimmt vorgeschlagen. Seine Chancen wären gut gewesen.

Ich überlegte, ob er als Reporter auch so tüchtig war.

Mußte er wohl sein. Immerhin war er schon wieder der erste. Es war mir klar, daß noch weitere seiner Kollegen folgen würden. Das bewog mich auch dazu, Russ Coogan nicht achtkant hinauszuwerfen. Lieber einen als alle auf der Pelle. Wenn Coogan abgefertigt war, würde es mir leichterfallen, die anderen fernzuhalten.

Das Ganze schmeckte mir überhaupt nicht. Ich sah schon im Geiste mein Konterfei in allen Boulevardblättern. Viel schlimmer konnte es nicht mehr kommen, denn ich hielt mich immer an den Grundsatz, daß ein Privatdetektiv dann am effektivsten tätig werden konnte, wenn er nicht bekannt war wie ein bunter Hund. Eine Veröffentlichung der unseligen Geschichte konnte mir eine Menge Schaden zufügen.

Es fragte sich, wie ich das alles vermeiden konnte.

Don Cooper jedenfalls hielt sich aus allem heraus und überließ mir das Wort und damit die Verantwortung.

Ich machte ein betroffenes Gesicht, was mir weiß Gott nicht schwerfiel.

»Sie sind verrückt!« entfuhr es mir. »Lebende Leichen?«

Der Reporter runzelte die Stirn. »Es haben genügend Leute die Sache mit ansehen können.«

Ich wischte mir mit einer fahrigen Bewegung über die Stirn.

»Das kann doch alles nicht sein«, murmelte ich verstört.

»Was kann nicht sein?« hakte Russ Coogan sofort nach.

»Ich - ich habe mir gedacht, alles nur geträumt zu haben. Sie wissen doch, Mr. Coogan - Schock und so.«

»Glauben Sie das?« Es klang ein wenig amüsiert, vielleicht auch etwas gelangweilt.

Ich bekam das Gefühl nicht mehr los, daß mir dieser Coogan keine Silbe glaubte, daß es mir nicht gelingen würde, ihm etwas vorzumachen.

Trotzdem mußte ich alles versuchen. Das war mir die Sache wert.

»Ja, das glaube ich!« behauptete ich mit Nachdruck.

»Na, dann erzählen Sie doch mal aus Ihrer Sicht. Meine Version kennen Sie ja.«

Ein spöttisches Lächeln stahl sich in die Züge des Reporters. Ich bemühte mich, es zu übersehen.

»Ich - ich weiß nicht recht. Plötzlich schüttelte sich der Wagen. Er brach aus, als hätte ein Unsichtbarer das Steuer übernommen.«

»Haben Sie das auch der Polizei erklärt?«

Ich tat erschrocken.

»Um Gottes willen, nein! Sie dürfen das auch niemals bringen, verstehen Sie? Ich will schließlich nicht meinen Führerschein verlieren oder gar für verrückt erklärt werden. Jedenfalls rasten wir in den Wald. Ich verlor das Bewußtsein. Als ich erwachte, lag ich auf einem staubigen Weg. Mein Freund befand sich bei mir. Wir standen auf. Zwei Reiter preschten heran. Uns gelang es, den beiden zu entkommen. Hinter uns ging das Wrack in die Luft. Gut, zugegeben, da waren ein paar unerklärliche Dinge. Ich zermartere mir beispielsweise den Schädel, wo der Weg plötzlich herkam. Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist es müßig, über alles nachzudenken. Besser ist, wir vergessen das Ganze.«

Russ Coogan sprang auf. Seine Miene wurde grimmig.

»Das würde Ihnen so passen, Mr. Tate. «

Jetzt erschrak ich aber wirklich. Erst hatte der Mann Don beim Namen genannt und jetzt mich. Er wußte mehr, als uns lieb sein konnte.

Daß er sogar mehr wußte, als ich je für möglich gehalten hätte, stellte sich gleich raus.

»Ich habe Ihnen den Vorschlag gemacht, offen die Karten auf den Tisch zu blättern. Das haben Sie nicht getan. Im Gegenteil. Sie tischen mir hier eine völlig unglaubwürdige Geschichte auf. Vielleicht wäre ich so vertrottelt, darauf hereinzufallen, wenn ich nicht wüßte, wer Sie sind, Mr. Tate. Sie fielen mir vor zwei Tagen auf. Aus unerfindlichen Gründen ging ein Haus in die Luft. Pressenotiz. Es war das Haus einer gewissen May Harris. Man munkelte, ihr bei einem Unfall verstorbener Mann sei wieder aufgetaucht. Wissen Sie, ich glaubte die Geschichte nicht. Dafür war ich zu nüchtern. Aber ich wurde neugierig. Aus einem Reporter wird nie etwas, wenn er seine gute Nase unterdrückt. Also klemmte ich mich dahinter und wühlte in den Archiven.

Sie befanden sich dort in guter Gesellschaft, Mr. Tate. Ich las einen älteren Artikel, laut dem es Ihnen schon einmal gelungen war, einer Gruppe von sogenannten Teufelsanbetern das Handwerk zu legen. Zunächst einmal teilte ich die Meinung des Artikelschreibers, der die Teufelsanbeter als dekadente, gemeingefährliche Individuen bezeichnete. Heute weiß ich, daß sie mehr waren. Sicher haben sich noch mehr Leute für Ihre Person in den letzten Jahren interessiert. Publik ist nichts geworden - bis heute, denn ich hatte das unwahrscheinliche Glück, vor Ort Ihr Wirken zu verfolgen. Ich sah, wie der Unfall geschah. Ich sah plötzlich einen Weg und eine Art Tor am Waldrand - dasselbe Tor, durch das Sie Minuten später zurückkamen. Was sagen Sie nun, Mr. Tate? Bleiben Sie bei der Geschichte?«

»Nein«, antwortete ich zum Erstaunen Dons. Mir blieb einfach nichts anderes übrig.

»Was werden Sie jetzt tun, Mr. Coogan?«

»Das hängt ganz von Ihnen ab.«

»Hören Sie, Mr. Coogan. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Schreiben Sie meinetwegen alles, was sie gesehen haben. Bringen Sie meine Person. Alles in Ordnung. Was ich allerdings unter keinen Umständen haben möchte, ist die Veröffentlichung meines vollen Namens und mein Bild.«

Der Reporter grinste über das ganze Gesicht.

»Nur unter einer Bedingung, Gentlemen: Sie erzählen mir etwas mehr über die Hintergründe!«

Und genau das hatte ich vermeiden wollen!

»Sie werden von meinen Ausführungen enttäuscht sein«, warnte ich.

»Würden Sie das bitte mir selber überlassen, Mr. Tate?« meinte Russ Coogan höflich, aber bestimmt.

»Ich will von vorn beginnen. Ich befand mich mit Don Cooper auf einer Indienreise. Auf dem Rückweg hörte ich von May Harris - bis zu dem Zeitpunkt kannte ich sie nicht - eine seltsame Geschichte. Sie behauptete, ihr verstorbener Mann sei zurückgekehrt und treibe vorwiegend auf dem Friedhof sein Unwesen. Mehrere Menschen seien bereits tot. Ich versprach, ihr zu helfen, geriet jedoch gemeinsam mit May Harris in die Fänge von Teufelsanbetern. Tatsächlich war Edgar Harris ihr Anführer. Er war zu einem sogenannten Wiedergänger geworden. Bei einer Teufelsmesse, bei der wir geopfert werden sollten - übrigens befand sich auch ein Inspektor vom Yard dabei, den wir um Hilfe gebeten hatten -, kam es zur Katastrophe. Bitte lassen Sie mich nicht in Details verfallen. Auf jeden Fall haben wir unsere Rettung Don Cooper zu verdanken. Er kam gerade rechtzeitig. Wir brachten uns in Sicherheit, die Teufelsanbeter fanden hinter uns den Tod.

Soweit dieses. Die Sache dürfte abgeschlossen sein. Heute bekam ich einen Anruf. Es war deutlich die Stimme von May Harris. Die Frau wohnt bei mir seit den Ereignissen vor zwei Tagen. Sie war völlig außer sich und behauptete, aus dem Jenseits anzurufen. Ich fuhr eine von ihr angedeutete Strecke, kam an dem Wäldchen vorbei. Da geschah es. Das Weitere haben Sie selbst mitbekommen.

Russ Coogan schüttelte den Kopf.

»Ich kann es einfach nicht fassen. Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen...«

»Werden Sie jetzt dies alles veröffentlichen?« fiel ich ihm ins Wort.

»Natürlich nicht, Mr. Tate. Ich werde zwar einen Bericht bringen, der sich gewaschen hat. Fast nichts wird fehlen, außer der Wahrheit, denn wenn ich die bringe, bin ich geliefert. Nein, meinen Job will ich nicht verlieren.«

Er reichte mir spontan die Hand.

»Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit. Ich weiß, daß Sie mich nicht belogen haben. Wissen Sie, dafür habe ich in meinem Beruf ein Gespür entwickelt. Kann ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein?«

Er schüttelte auch Don Cooper die Hand. Ein seltsamer Bursche war dieser Coogan schon. Seine direkte Art war berückend. Ich wußte tatsächlich nicht, ob ich jetzt Sympathie oder Antipathie für ihn empfinden sollte. Zunächst einmal wollte ich abwarten.

»Sie können im Moment nur eines tun, Mr. Coogan«, antwortete ich: »Sorgen Sie bitte dafür, daß wir unsere Ruhe haben! Wahrscheinlich werden noch einige Ihrer Kollegen aufkreuzen. Wir...«

Er machte eine wegwerfende Geste.

»Sie werden in Ruhe gelassen werden. Das verspreche ich Ihnen! Persönlich werde ich mich darum kümmern.«

Er winkte uns zu.

»So long!«

Ziemlich geräuschvoll fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.

Wir lauschten eine Weile.

Draußen klangen Stimmen auf. Eine war gut als die von Russ Coogan zu identifizieren. War er dabei, seine Pressekollegen abzuwimmeln?

Ich befand mich noch immer im Zwiespalt und wußte den Mann nicht recht einzuordnen.

Don Cooper erging es nicht anders.

Bevor wir es wagten, uns zu unterhalten, stieg ich aus dem Bett und ging zur Tür. Die Stimmen entfernten sich. Ich öffnete leise. Da waren die Rücken einiger gestikulierender Männer. Inmitten von ihnen befand sich Russ Coogan - triumphierend, wie es schien. Er winkte mit seinem Notizblock und rief nach einem Telefon. Die anderen bedrängten ihn mit Fragen. Es war ihm gelungen, die ganze Aufmerksamkeit von uns auf sich zu lenken.

Ich war erleichtert, schloß die Tür und kehrte zum Bett zurück. Kaum war das geschehen, wurde wieder geöffnet. Ein Arzt fragte besorgt nach unserem Wohlbefinden. Wir sagten ihm, daß es keine Befürchtungen geben würde, wenn es ihm endlich gelänge, uns ein wenig Ruhe zu gönnen.

Der Arzt entschuldigte sich wortreich und verschwand.

Don Cooper und ich sahen uns an. Ich erkannte im Gesicht des Freundes die Spuren des Erlebten und konnte mir vorstellen, daß auch an meinem Aussehen die Ereignisse nicht ganz spurlos vorübergegangen war.

»Was hältst du von der Sache?« eröffnete Don Cooper das Gespräch.

Ich zuckte die Achseln.

»Ich weiß nicht recht. Dieser Coogan wird hoffentlich keinen Mist und uns für kurze Zeit zu Berühmtheiten machen.«

Don schüttelte den Kopf.

»Nein, das meinte ich gar nicht. Ich zielte auf die Dinge ab, die wir erlebt haben.«

»Da kann ich leider auch nur Spekulationen anstellen. Vielleicht nützt es dir etwas, wenn ich sage, daß ich noch nie im Leben etwas Ähnliches erlebt habe.«

»Möglicherweise wäre es sinnvoll, einmal bei dir zu Hause anzurufen. May könnte da sein.«

Ich winkte ab.

»Das glaube ich einfach nicht. Jemand hat sie in seiner Gewalt, und dieser Jemand verfügt über beträchtliche magische Fähigkeiten.«

»Wer ist es?«

»Ich habe keine Ahnung - weiß nur, daß ich mehr Feinde habe, als mir lieb sein kann. Die Schwarzen Mächte sind stark - nicht nur hier in England, sondern überall in der Welt. Wir dürfen sie nicht unterschätzen. Und wer sich einmal mit ihnen angelegt hat, wird es immer wieder tun müssen. Daran führt kein Weg vorbei. Du weißt, daß die Welt der Dämonen und Magiere ähnlich beschaffen ist wie die Welt der normalen Menschen. Es gibt positive Magiere und negative - und auch einige, bei denen es schwerfällt, sie einzuordnen. Was sie von den normalen Menschen unterscheidet, ist lediglich ihre größere Macht. Sie beherrschen Kräfte, von denen sich niemand eine Vorstellung machen kann - auch dann nicht, wenn er persönlich schon einmal damit zu tun hatte. Ich weiß bis heute nicht schlüssig, wie diese Kräfte entstehen. Ich habe nur im bescheidenen Maße gelernt, mit ihnen umzugehen und sie, falls sie negativer Natur sind, zu bekämpfen. - Möglicherweise habe ich einmal einem bösen Geist das Handwerk gelegt, der einen rachsüchtigen Verbündeten hatte. Obwohl die Mächte des Jenseitigen in den seltensten Fällen ein gemeinsames Ziel verfolgen. Das ist auch unser Glück. Es hält die Kräfte einigermaßen im Gleichgewicht.«

»Wie kommst du darauf, daß dein neuer Gegner über beträchtliche magische Kenntnisse verfügt?«

»Überlege einmal. Da war der Trick mit dem Telefon.«

»Du nennst es einen Trick?« erstaunte sich Don Cooper.

»Ja, ich nenne es so. Es steht noch immer nicht hundertprozentig fest, ob May wirklich die Anruferin war. Aber lassen wir dieses Detail einmal beiseite. Wenden wir uns einem weiteren Punkt zu: Wir kamen der Aufforderung nach und verließen London in Richtung St. Albans. Da geschah es. - Was hast du gesehen von dem magischen Tor?«

Don zuckte die Achseln.

»Ehrlich gesagt überhaupt nichts. Ich achtete nicht darauf. Reiner Zufall.«

»Also gut. Man sah einen Teil des staubigen Feldweges. Am Ende erst öffnete sich das eigentliche Tor. Das deutet darauf hin, daß dieses Tor auch erweiterungsfähig ist. Der Unbekannte im Hintergrund, mein Gegner, bastelte mir eine Falle, in der wir beinahe beide unser Leben gelassen hätten. Er mußte die Spuren deutlich werden lassen, damit wir nicht daran vorbeifuhren. Deshalb ließ er auch ein Stück des Weges sichtbar werden.

Und jetzt kommt es: Durch das Tor gehen nur Dinge, die entweder organischer Natur sind oder auch direkt mit dem Körper in Berührung stehen. Du kannst dich an den Reiter erinnern. Auf dieser Seite des Tores war er unbewaffnet. Er hat seine Waffen nicht mitnehmen können. Erinnere dich des Wagens. Er blieb hier, raste gegen die Bäume, machte dem Übergang nicht mit. Nur wir taten das.

Es gäbe noch mehr Beispiele, doch lassen wir das. Entscheidend ist die Tatsache, daß man sich mit uns eine Menge Mühe gemacht hat, um uns aus dem Weg zu räumen. Und spätestens da erwacht mein Mißtrauen. Ich frage mich nach dem Motiv von allem.«

»Und die Antwort?«

»...habe ich leider noch nicht gefunden. Eines jedenfalls steht für mich fest: May befindet sich in einer schrecklichen Gefahr. «

»Das kannst du so ruhig dahersagen? Ich wundere mich, daß du nichts dagegen unternimmst.«

»Das hat seinen guten Grund. Ich bin sicher, daß man May bei Gelegenheit als Druckmittel gegen mich verwenden will. Das kann man allerdings nur, wenn sie dann noch lebt.«

Mein Verhalten ging offenbar über Dons Horizont. Er schüttelte den Kopf.

Dann wandte auch er sich meiner Theorie zu.

»Du hast recht. Die ganze Sache ist nicht schlüssig. Es fehlt ein deutliches Motiv. Der Gegner hat beträchtliche Möglichkeiten. Das konnte er uns hinlänglich beweisen. Warum aber hat er seine Fähigkeiten nicht anders eingesetzt? Warum vernichtet er uns nicht einfach? Warum spielt er mit uns dieses makabre Spiel?«

»Es gibt eine Möglichkeit, mehr zu erfahren«, sagte ich geheimnisvoll.

Don Cooper zeigte sich nicht überrascht. Er nickte mir zu.

»Ja, natürlich. Wir müssen uns aufmachen und jenes seltsame Land wieder besuchen.« Es klang grimmig.

»Genau das werden wir, mein Freund. Es bleibt uns im Moment nichts anderes übrig, als das Krankenbett zu hüten, wollen wir nicht noch mehr Aufsehen erregen. Wenn wir versuchen, hier gewaltsam herauszukommen, kann das schlimme Folgen haben. Ich erinnere nur an die Reporter.«

Abermals nickte Don.

»Also werden wir schön brav hier bleiben, den morgigen Tag abwarten und dann wieder auf Wanderschaft gehen - diesmal ohne einen Unfall zu bauen, wie ich hoffe.«

Ich brachte ein Lächeln zustande.

»Grundbedingung ist, daß morgen das Tor noch besteht. Ich darf mich da nicht so sehr auf meine kleinen magischen Hilfsmittel verlassen, glaube ich. Der Gegner hat die Fäden in der Hand, und wir sind die Marionetten.«

Don Cooper grübelte.

»Ich möchte nur den seltsamen Vorgang mit dem Reiter einordnen können. Er überstand den Übergang in unsere Welt nicht. Als Toter schließlich kehrte er zurück.«

Ich beschloß, Don Cooper etwas zu sagen, was auch für mich bis zu diesem Zeitpunkt unbewiesene, graue Theorie gewesen war. Allerdings konnte ich jetzt nicht mehr die Augen davor verschließen und mußte es in Erwägung ziehen.

»Es gab eine Reihe von Leuten in der Vergangenheit, die behauptet haben, es existiere ein sogenanntes Zwischenreich zwischen dem Diesseits und dem Jenseits. Das ist nicht neu. Es gibt jedoch auch welche, die neben diesen drei Hauptwelten noch andere sehen. Man spricht auch von sogenannten Parallelwelten, im gewissen Sinne Spiegelbilder von unserer Welt. Möglicherweise waren wir in einer solchen. Dort haben die Dämonen und andere Geister als Vollstrecker der Magie die Macht übernommen. Sie beherrschen diese Welt. Denke an den eigenartigen Ausspruch: Seien die Dämonen mit uns. Und noch etwas ist mir aufgefallen: Es gibt eine andere Zeit. Die Sonne stand hoch im Zenit, obwohl wir hier bereits Nachmittag hatten. Wir befanden uns mindestens eine halbe Stunde drüben. Hier jedoch vergingen in derselben Zeit laut dem Reporter nur wenige Minuten. Es handelt sich also nicht wirklich um eine solche theoretische Parallelwelt, sondern...«

Ich verhielt und schaute Don Cooper an.

Es zeigte sich, daß ich ihn nicht überschätzt hatte. Er vollendete den Satz für mich: »...sondern um eine Welt, die möglicherweise von Dämonen geschaffen wurde, also doch ein Teil des Zwischenreiches zwischen Diesseits und Jenseits ist.«

Ich bestätigte.

»Ja, und dieses Zwischenreich werden wir wieder aufsuchen müssen. Ich bin sicher, daß der Herr der magischen Welt, um einmal diesen Ausdruck zu prägen, unser Gegner ist. Die Reiter sahen aus wie normale Menschen und haben drüben wahrscheinlich auch keine größeren Einflußmöglichkeiten. Sie sind Spielbälle der Dämonen. Trotzdem handelt es sich unzweifelhaft um nichtirdische Geschöpfe. Sie sind selber Dämonen, nur mit kaum ausgeprägten Fähigkeiten. Wären sie stärker, würde es ihnen weniger ausmachen, dem Diesseits ausgesetzt zu werden. So aber bedeutet das fast ihre völlige Vernichtung. Ausgerechnet geschah dies mit Feuer, und wir wissen, daß Feuer die schlimmste Waffe gegen die Jenseitigen ist.«

5

Zur Ruhe kamen wir trotzdem nicht. Kaum war das Licht aus und Ruhe im Zimmer eingekehrt, als sich leise die Tür öffnete.

Unwillig sah ich auf.

Ein Schatten schob sich herein. Ein eigenartiges Gefühl beschlich mich. Meine Faust schloß sich um den Schavall, der an einer Halskette hing. Blitzschnell nahm ich ihn ab.

Ich wartete, bis die Gestalt ganz herein war. Es fiel zu wenig Licht durch das unverhangene Fenster, als daß man viel hätte erkennen können. Außerdem war die Gestalt bemüht, auch das vom Flur durch die Tür kommende Licht so zu reduzieren, daß es sie nicht verriet.

Mein Finger lag schon auf dem Knopf zum Einschalten der Deckenbeleuchtung.

Ich drückte.

Gleißende Helligkeit. Ich blinzelte und zwang mich, die Augen offenzuhalten. Noch immer hielt meine Rechte den Schavall umklammert.

Meine Überraschung war echt.

Russ Coogan stand neben der Tür!

Verlegen trat er von einem Bein auf das andere. Dann kam er näher und griff unter das Fußende meines Bettes. Ein kleiner Kassettenrekorder kam zum Vorschein.

Ich begriff nicht sofort. Russ Coogan mußte es mir sagen: »Ich bitte um Entschuldigung, aber ich komme nur, um das Ding hier wieder abzuholen. Ich hatte es zurückgelassen, damit es euch belauscht. Bin gespannt auf die Aufnahme. Immerhin hattet ihr Gelegenheit genug, euch auszusprechen.«

Die Dreistigkeit dieses Menschen kannte offenbar keine Grenzen mehr - ebenso wie mein aufkeimender Zorn.

Ich beschloß zu handeln.

Russ Coogan hatte sich sofort, nachdem er den Rekorder an sich genommen hatte, wieder zur Tür zurückgezogen.

Ich war näher dran als Don Cooper. Trotzdem wäre es mir kaum gelungen, den Reporter anzugreifen. Er wäre auf jeden Fall schneller gewesen und hätte sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Er gab sich zwar lässig, indessen, seine Augen lauerten auf jede unserer Bewegungen.

Aber ich hatte ohnehin nicht vor, ihn körperlich anzugreifen. Meine Attacke würde anders aussehen.

Noch wußten wir nicht, wie wir mit dem Mann dran waren. Es mußte sich in den nächsten Sekunden entscheiden.

Die Rechte umschloß fest den Schavall. Ich wußte, welche ungeheure magische Kraft in ihm steckte, aber auch, daß er unberechenbar war. Würde er mich im Stich lassen? Es wäre nicht das erste Mal.

Bevor der Reporter die Tür aufgerissen hatte, um wieder zu verschwinden, machte ich eine blitzschnelle Bewegung.

Das Dämonenauge flog auf ihn zu.

Ich erlebte es wie in Zeitlupe. Es schoß mir durch den Kopf, was ich über den Schavall wußte. Viel war es nicht, obwohl er mein Eigentum war.

Ich hatte ihn von einer Hexe in Indien bekommen. Damit hatte diese ihr eigene Schicksal besiegelt. Eine Rivalin, die ihr bisher wegen des Dämonenauges nichts hatte anhaben können, vernichtete sie.

Der Verlust war bedauerlich, denn die Hexe war keine reine Dienerin der Finsternis gewesen. In ihr waren die Welten des Guten und des Bösen vereint. Sie marschierte auf dem schmalen Grat der Mitte.

Es war vorbei. Der Schavall gehörte jetzt mir und würde das bleiben, bis ich nicht mehr war oder bis ich ihn weitergegeben hatte. Letzteres würde wohl nie geschehen, denn ich wäre ohne ihn verloren gewesen.

Die Hexe hatte mir auch gesagt, was sie über die Entstehung der Bezeichnung Schavall gewußt hatte. Sie machte die Andeutung, daß der Stein von den Händen der sagenhaften Goriten stammte. Das war ein Stamm von Zauberern, Magiern und Priestern gewesen, die, aus allen Rassen des allerfrühsten Altertums stammend, sich zusammengeschlossen hatten, um gemeinsam die Rätsel des Un- und Übernatürlichen zu erforschen. Durch irgendeinen Umstand waren sie von der Bildfläche verschwunden - fast spurlos. Die einzigen Hinweise, die es auf ihr Wirken gab, waren verschlüsselt. Es gab nur noch wenige Menschen, die mit Sicherheit wußten, daß es sie überhaupt gegeben hatte. Sogar die Bezeichnung Goriten war für die meisten Menschen unbekannt. Sie fehlte in den magischen Büchern, die meines Erachtens ohnehin fast ausschließlich von Spinnern und Scharlatanen stammten.

Der Schavall wurde zusehends größer. Er glühte auf.

Plötzlich brach gleißendes Licht aus seinem Inneren, strahlte in Richtung des Reporters.

Die Luft war von Wispern erfüllt. Die Wände erschienen auf einmal seltsam verschwommen.

Ich wußte die Zeichen zu deuten. Der Schavall hatte den Raum aus dem Diesseits gerissen. Alles, was hier vorfiel, blieb vor der Wirklichkeit verborgen.

Das Licht, das von dem Dämonenauge ausging, war kalt. Es traf die Brust des Reporters und bohrte sich mit einem schrillen Laut hinein. Es klang fast wie das Kreischen einer Kreissäge. Und dieses Geräusch fand auf den Lippen von Russ Coogan seinen Widerhall.

Meine Augen weiteten sich. Das gleißende Licht konnte mir und Don Cooper nichts anhaben. Ich konnte alles genau erkennen, ohne geblendet zu werden.

Die Brust des Reporters öffnete sich. Ein schwarzer Schlund wurde sichtbar, in dem Finsternis und Grauen nisteten. Dort hinein grub sich das Licht. Das Loch schien viele Yards tief zu sein, obwohl das jeglicher Logik widersprach, aber ich hatte es im Umgang mit der Magie längst schon aufgegeben, etwas logisch erklären zu wollen. Besser war es, die Dinge zu akzeptieren, wie sie waren.

Das Licht drang wie in Zeitlupe vor. Es brauchte unglaublich lange, bis es die Finsternis vertrieben hatte. Das schrille Kreischen wurde zu einem dumpfen Dröhnen, erreichte fast die unterste Schwelle der Wahrnehmungsskala und verebbte schließlich.