TEUFELSJÄGER: Die 3. Kompilation - W. A. Hary - E-Book

TEUFELSJÄGER: Die 3. Kompilation E-Book

W. A. Hary

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Beschreibung

TEUFELSJÄGER: Die 3. Kompilation W. A. Hary: "Diese Kompilation beinhaltet die Bände 11 bis 15 der laufenden Serie!" Die Schatten der Nacht lauern überall. Und sie würden siegen. Würden! Doch es gibt sie tatsächlich - die Kämpfer des Guten. Nicht immer sind sie erfolgreich, denn selten haben sie Gelegenheit, sich im Kampf gegen das Böse zu trainieren. Weil zu oft der Tod sie vorzeitig ereilt, ehe sie aus ihren Fehlern zu lernen vermögen. Und nicht nur der Tod, denn es gibt Schlimmeres… Achtung: Alte Rechtschreibung, denn die Romane "spielen" in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts! Zur Erinnerung: Da gab es auch noch kein "Handy"! ________________________________________ Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie Teufelsjäger: Wilfried A. Hary! Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by hary-production.de Nähere Angaben zum Autor siehe hier: de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary

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W. A. Hary

TEUFELSJÄGER: Die 3. Kompilation

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Wichtiger Hinweis

Diese Serie erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Seit Band 21 wird sie hier nahtlos fortgesetzt! Jeder Band (siehe Druckausgaben hier: http://www.hary.li) ist jederzeit nachbestellbar.

 

TEUFELSJÄGER

 

Die 3. Kompilation

W. A. Hary: „Diese Kompilation beinhaltet die Bände 11 bis 15 der laufenden Serie!“

 

Die Schatten der Nacht lauern überall. Und sie würden siegen. Würden! Doch es gibt sie tatsächlich - die Kämpfer des Guten. Nicht immer sind sie erfolgreich, denn selten haben sie Gelegenheit, sich im Kampf gegen das Böse zu trainieren. Weil zu oft der Tod sie vorzeitig ereilt, ehe sie aus ihren Fehlern zu lernen vermögen. Und nicht nur der Tod, denn es gibt Schlimmeres…

 

Achtung: Alte Rechtschreibung, denn die Romane „spielen“ in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts! Zur Erinnerung: Da gab es auch noch kein „Handy“!

 

Impressum

Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

ISSN 1614-3329

Copyright dieser Fassung 2015 by www.HARY-PRODUCTION.de

Canadastr. 30 * D-66482 Zweibrücken

Telefon: 06332-481150

www.HaryPro.de

eMail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

Covergestaltung: Anistasius

 

Vorwort

 

Die Schatten der Nacht lauern überall. Und sie würden siegen. Würden! Doch es gibt sie tatsächlich - die Kämpfer des Guten. Nicht immer sind sie erfolgreich, denn selten haben sie Gelegenheit, sich im Kampf gegen das Böse zu trainieren. Weil zu oft der Tod sie vorzeitig ereilt, ehe sie aus ihren Fehlern zu lernen vermögen. Und nicht nur der Tod, denn es gibt Schlimmeres…

Einer von ihnen, einer der Kämpfer gegen das eigentlich Böse, hieß John Holleway, und er könnte jetzt bestätigen, was ich behaupte, wäre er hier und heute da.

Ob er damals mit seiner Mission scheiterte oder nicht - davon soll meine Geschichte berichten.

Und wenn er scheitern sollte, hätte dies nicht nur Folgen für ihn selber, sondern für einen ganzen Ort, und von hier ausgehend für das ganze Land und letztlich vielleicht sogar... für die ganze Welt!

Ja, ich berichte davon, denn es hat letztlich auch meinen Weg beeinflußt. Obwohl diese Ereignisse lange vor dem Zeitpunkt stattfanden, da die unergründliche Vorsehung mich mit ins Spiel gebracht hat. Ja, lange davor, und deshalb war John völlig auf sich allein gestellt.

Nun, nicht ganz so völlig allein, wie es sich noch herausstellen sollte, aber zumindest ohne meine Hilfe, der ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal etwas von diesen Vorgängen ahnte.

Drücken wir John und den Seinen die Daumen. Hoffen wir, daß er Gelegenheit haben wird, aus seinen Fehlern zu lernen, ehe es für ihn und alle anderen zu spät sein wird...

Euer Mark Tate

 

1

John Holleway warf einen Blick auf die Borduhr: Kurz vor sechs Uhr am späten Nachmittag. Er atmete tief durch. Feierabend. Bald würde er bei seiner Familie sein.

Er rekelte sich etwas im Fahrersitz und blickte hinaus. Die öde Landschaft der Ausläufer der Pennine Chaine wurde abgelöst von stärkerem Pflanzenbewuchs. Kein Fremder ahnte, daß sich inmitten der weiten Öde eine Insel befand: Bredhouse, ein Dorf, beherrschend ein Tal, das eingebettet war in die felsigen Ausläufer des Highlandes, die wie braune Krallenhände in das Land griffen. Bredhouse, zu dem nur eine schlechte Straße führte und wo sich laut der Meinung vieler, die in der Kreisstadt Furlington wohnten, Hase und Fuchs gute Nacht sagten. Bredhouse, in dem John Holleway seit Jahren mit seiner Familie wohnte.

Er selbst war gebürtiger Furlingtoner. Seine Frau hatte den größten Teil ihres Lebens in Bredhouse verbracht. Den restlichen Teil war sie in der Kreisstadt gewesen, wo sie sich kennengelernt hatten. Später, als ihre Eltern so plötzlich nacheinander gestorben waren, hatten sie das alte Haus in Bredhouse renoviert und waren eingezogen. Jahre lag das schon zurück. Zwei Kinder hatten sie inzwischen, und John Holleway fuhr jeden Werktag die über vierzig Meilen nach Furlington und zurück.

Die Landschaft bekam bäuerlichen Charakter. Holleways Wagen kletterte die letzte Steigung hinauf, und dann lag das offene Tal vor ihm. Mitten durch den Ort plätscherte ein breiter Bach, der außerhalb auf Nimmerwiedersehen einfach im Boden versickerte und um diese Jahreszeit eiskaltes Wasser mit sich führte. Die Bewohner von Bredhouse hatten ihm einen seltsamen Namen verliehen: Bloody River. John Holleway hatte bis dato noch nicht herausfinden können, was die Dörfler dazu bewegt hatte, ihn so zu nennen.

Das Verhältnis, das John zu den Menschen in Bredhouse hatte, konnte man als gut bezeichnen. Dennoch gelang es ihm nicht, etwas über die alten Mythen und Legenden, denen in solch ländlicher Umgebung stets große Bedeutung beigemessen wird, zu erfahren. Er war ihr Freund, aber er war trotzdem keiner von ihnen, obwohl sie ihm das nicht offen zeigten.

Das Tal mit dem Örtchen war eine Sackgasse. Manchmal auch eine Mausefalle, und zwar im Winter, wenn der Schnee den Minipaß, der einziger Zugang zu Bredhouse war, unpassierbar machte. Dann waren sie mitunter bis zu einem Monat lang von der Außenwelt praktisch abgeschnitten, denn die Straße war so schlecht, daß sich niemand mit einem Schneepflug hierher wagte.

Aber John Holleway hatte sich an diese Dinge inzwischen gewöhnt. Er redete sich ein, daß es nichts ausmachte, wenn er seinen Jahresurlaub den Umständen entsprechend nur während der schlimmsten Zeit im Winter nehmen konnte.

Er erwachte aus seinen Gedanken. Erstaunt warf er einen Blick in die Runde. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er den Wagen angehalten hatte. Er runzelte die Stirn. Warum hatte er das getan?

Er überlegte. Da war ein seltsam unruhiges Gefühl in ihm. Unwillkürlich stieß er den Wagenschlag auf und verließ das Fahrzeug. Weit vor ihm waren die mächtigen Rücken der Bergriesen. Sie beherrschten den gesamten Horizont. Der Wind war feucht und kühl, wie der Atem eines lebenden Toten. John Holleway schauderte es bei diesem Vergleich, obwohl er normalerweise eine ziemlich nervenstarke Natur war. Es gab praktisch nichts, was ihn erschüttern konnte.

Es war völlig still hier.

Der Wind wehte zum Dorf hin und verhinderte es, daß irgendein Laut zu dem einsamen Mann heraufdrang. Die Straße wurde sehr dünn frequentiert. John Holleway sah keine Menschenseele, und trotzdem hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Er konnte sich das nicht erklären, aber etwas Unbestimmbares lag in der Luft.

John wurde ärgerlich. Was sollte das Ganze? Was war mit ihm los? Es war Freitag, und er hatte sich auf das verlängerte Wochenende mit seiner Frau gefreut, denn am Montag war ein gesetzlicher Feiertag, und zwar wie hier in England üblich der letzte Montag im Mai anstelle des Pfingstmontags.

John setzte sich wieder in seinen Wagen. Erst jetzt merkte er, daß der Motor ausgegangen war. Er versuchte, ihn zu starten, aber es blieb bei dem Versuch. Es schien fast so, als wollte eine unsichtbare Macht verhindern, daß er nach Hause fuhr.

Der Zorn des Mannes wuchs. Gottlob hatte der Wagen die höchste Steigung der Straße erreicht. Es ging jetzt sanft abwärts in Richtung Dorf. Noch etwa zwei Meilen zu fahren und er hatte die ersten Häuser erreicht. Wenn der Wagen also absolut streiken wollte, konnte er ihn auch ohne Motorantrieb rollen lassen.

John stieg wieder aus, nachdem er den Gang herausgenommen hatte, und schob den Wagen an. Dabei hatte er fast den Eindruck, gegen eine Wand zu drücken. Das Fahrzeug ließ sich kaum bewegen, obwohl es hier schon leicht abschüssig war.

Plötzlich war das Hindernis weg. Der Wagen machte regelrecht einen Satz nach vorn.

John Holleway war ein sehr sportlicher Typ, und trotzdem gelang es ihm nicht, sich rasch genug hinter das Steuer zu werfen. Der Wagen war zu schnell geworden. John prallte ab, verlor den Halt und geriet beinahe unter die Räder. Im letzten Augenblick wich er aus. Haltlos kullerte er über die Straße und blieb erst nach mehreren Umdrehungen liegen.

Sofort sprang er wieder auf die Beine. Mit geweiteten Augen starrte er dem herrenlos davonfahrenden Auto nach. Jetzt schlug auch noch die geöffnete Fahrertür zu, wie von einer unsichtbaren Geisterhand bewegt.

Johns Verstand kapitulierte, als er nach einer vernünftigen Erklärung suchte.

Das Zuschlagen der Tür konnte man noch dem Fahrtwind zuschreiben, aber ansonsten...?

Er sprintete endlich los. Es mußte ihm gelingen, das Fahrzeug einzuholen, ehe ein Unglück passierte. Trotz des recht dürftigen Verkehrs konnte ausgerechnet jetzt ein Auto aus Richtung Dorf kommen. Nicht auszudenken, welche Folgen das haben konnte.

John Holleway keuchte sich schier die Lunge aus dem Leib, aber er kam dem Wagen nicht nahe genug.

Die erste Kurve kam. Außerhalb steiniges Gelände, nach wenigen Yards in Ackerboden übergehend. Es hatte gestern geregnet, weshalb der Boden durchgeweicht war. Wenn der Wagen von der Straße abkam, mußte er unweigerlich steckenbleiben.

Aber er kam nicht von der Straße ab. Er war führerlos, und trotzdem steuerte er zielsicher durch die Kurve.

Jetzt mochte John Holleway nicht mehr an einen Zufall glauben. Aber er machte sich weiter keine Gedanken über die unbegreiflichen Vorgänge, sondern bemühte sich vielmehr, sein Auto einzuholen.

Hundert Yards weiter gab es die nächste Kurve.

Ohne zu zögern, verließ John die Straße, um dem Fahrzeug den Weg abzuschneiden. Er hetzte über den Acker. Schon nach wenigen Schritten hatten sich an seinen Füßen dicke Erdklumpen gebildet, die Zentner zu wiegen schienen. Der gute Anzug war bis zum Kragen dreckverspritzt, und bei jedem weiteren Schritt gab es platschende und saugende Geräusche.

Aber John Holleway gab nicht auf. Er gab nie auf, so lange es noch eine Chance gab.

Ohne sich darüber zu wundern, zweifelte er keinen Augenblick daran, daß sein Wagen auch die nächste Kurve sicher passieren würde. Es mußte ihm gelingen, auf dieser Abkürzung schneller zu sein.

Ein Blick zur Seite. Eben erreichte das Fahrzeug die zweite Kurve. Wie er sich gedacht hatte: Ein Unsichtbarer schien das Steuer übernommen zu haben.

Einen anderen Menschen hätte bei diesen Vorgängen das Grauen angefallen, nicht so John Holleway. Er war absoluter Realist. In seinem Denken hatten Spekulationen und Phantasiegebilde keinen Platz.

Er gehörte zu dem Typus, der behauptete, nur zu glauben, was seine fünf Sinne wahrnehmen konnten - und damit auch die Wahrheit sprach. Er sah, daß sich sein Wagen selbstständig gemacht hatte. Egal, warum dies so war und wer solches bewerkstelligt hatte, es wurde als gegeben akzeptiert.

Endlich hatte John Holleway das Ende des Ackers erreicht. Die feucht-kühle Luft, die ihm bis auf die Haut ging, konnte ihn nicht abkühlen. Sein Atem ging schwer, und das Herz schlug wie rasend. Aber John Holleway hatte es geschafft. Er schaffte meistens, was er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte.

Mitten auf die Straße stellte er sich. Der Wagen kam mit ständig steigender Geschwindigkeit auf ihn zu.

John Holleway zögerte. War es nicht Wahnsinn, wenn er sich dem Wagen entgegenwarf? War er nicht schon zu schnell geworden?

Dann blieb keine Zeit mehr, weiter über dieses Problem nachzudenken. Das Auto war heran.

John Holleway sprang einfach auf die Kühlerhaube. Einen Moment lang meinte er, sämtliche Knochen würden ihm im Leib brechen. Es gab einen furchtbaren Schlag. Dann wurde John gegen die Windschutzscheibe gefegt. Sie hielt dem Aufprall stand, ebenso wie Johns Körper.

Also ist die Geschwindigkeit geringer gewesen als ich sie eingeschätzt habe, fuhr es ihm durch den Kopf.

Mit den Händen hielt er sich an der Dachrinne fest. Er hätte nie artistische Veranlagung in sich vermutet, aber jetzt bewies er welche. Es gelang ihm, den Türgriff zu erreichen.

Aber es gelang ihm nicht, zu öffnen, denn von innen war die Tür verriegelt!

Nachdem John Holleway diese Erkenntnis gewonnen hatte, konnte er sich nicht mehr länger halten. Das Auto bewegte sich durch eine weitere Kurve, und John wurde durch die Fliehkraft abgeworfen.

In ohnmächtiger Wut ballte er die Hände zu Fäusten. Jetzt konnte er nichts mehr tun. Jetzt konnte er sich nur noch aufrappeln und dem Wagen nachsehen, dabei hoffend, daß das immer schneller werdende Fahrzeug keinen größeren Schaden anrichtete.

John hatte Glück gehabt. Er war genau in einem Gebüsch gelandet, das man am Straßenrand gepflanzt hatte. So waren nur der Anzug verdorben und seine Hände zerschunden.

Mehr war ihm nicht passiert. Der Wagen verschwand hinter einer Baumgruppe.

Unwillkürlich hielt John den Atem an, denn das Fahrzeug mußte jeden Augenblick die ersten Häuser von Bredhouse erreichen.

Der von ihm erwartete furchtbare Krach blieb aus. John Holleway setzte sich in Bewegung. Sein Lauf wurde schneller. Dann hatte er die Baumgruppe erreicht und umrundete sie.

Wie angewurzelt blieb er stehen. Er traute seinen Augen nicht.

Und zum ersten Mal in seinem Leben zweifelte er an seinem Verstand.

*

Sie hatten sich im Hotelzimmer versammelt, und zwar im Zimmer von Raymond Walsh und Anne Rhodes.

»Mensch, wo bleibt Ray denn?« meckerte Guy Slayton.

»Daß du immer so ungeduldig sein mußt«, meinte seine Freundin Fran Nichols vorwurfsvoll. Sie saß neben Guy auf dem Bett.

»Hört auf!« Anne Rhodes winkte ab. »Ihr wißt doch, wie Ray ist. Er tut immer so geheimnisvoll, und wenn er dann kommt, meint er, etwas besonders Tolles auf Lager zu haben.«

Fran kicherte, und Guy Slayton kratzte seinen Vollbart. Dann nahm er die Nickelbrille ab und begann sie zu putzen.

Seit über einer Stunde saßen sie nun schon hier. Die beiden jungen Pärchen waren befreundet. Sie studierten alle vier Chemie an der Universität in London. Raymond Walsh stammte aus sehr wohlhabendem Hause und war somit automatisch zu ihrem Chef avanciert.

Schließlich finanzierte er ihren gemeinsamen Urlaub. Guy Slayton bereute das zum ersten Mal.

Bisher war alles recht schön gewesen. Eines Tages, kurz vor Beginn der Semesterferien, hatte Raymond die Katze aus dem Sack gelassen.

Er hatte einen Kleinbus gekauft, und mit diesem hatten sie einen Trip kreuz und quer über die Insel machen wollen. Überall hatten sie nur kurz Station gemacht. Heute waren sie hier in Furlington angekommen. Wie immer hatte Ray ein billiges Hotel ausgesucht und zwei Doppelzimmer gemietet. Und hier saßen sie nun, nachdem Ray die kleine Versammlung einberufen hatte.

Fran Nichols stand auf und zog den Reißverschluß ihrer grünen, verwaschenen Armeejacke auf.

»Ganz schön warm hier«, kommentierte sie ihr Tun. Dann zerrte sie die Jacke von den Schultern und legte sie auf das Bett. Darunter hatte sie einen wollenen Rollkragenpulli an. Auf einen BH hatte sie verzichtet. Deutlich zeichneten sich die jungen Knospen ihrer festen Brüste unter dem Pulli ab.

Fran schritt zum Fenster. Guy setzte seine Brille auf und schaute seiner Freundin nach. Fran war sehr schlank. Ihre Hüften waren schmal, die Beine lang. Sie steckten in engen, verwaschenen Jeans.

»Wo gehst du hin?« erkundigte sich Guy Slayton und zog ebenfalls seine Militärjacke aus. Er war ähnlich gekleidet wie seine Freundin.

Fran Nichols antwortete nicht. Sie zog die Gardine beiseite und spähte auf die Straße hinunter. Es herrschte kaum Betrieb.

»Möchte wissen, wieso es dieses Jahr nicht warm wird«, murmelte sie. »Jetzt haben wir schon den achtundzwanzigsten Mai, und der Frühling kommt hier nur sehr zögernd.«

Anne zuckte die Achseln.

»Mir egal. Vielleicht liegt es daran, daß dieses Furlington relativ hoch liegt?«

Auch sie hatte eine grüne Militärjacke und verwaschene Jeans an. Diese Kleidung schien bei ihnen obligatorisch zu sein.

Annes Kurven waren etwas ausgeprägter. Ihr Busen war schwer und die Hüften breiter. Die Lippen waren sinnlich und der Blick leicht verschlafen. Sie war ein Mädchen, das das Blut der Männer zum Wallen bringen konnte. Ihr gegenüber erschien Fran blaß und zerbrechlich. Trotzdem hätte Guy Slayton nie getauscht. Er liebte seine Freundin.

Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen. Ein großer, breitschultriger junger Mann polterte herein: Raymond Walsh.

Er war mit seinen fünfundzwanzig Jahren der Älteste der Vierergruppe, obwohl in seinen Augen der Schalk eines Sechzehnjährigen blitzte. Seine Militärjacke stand vorn offen und gab einen breiten, stark gewölbten Brustkorb frei. Er hatte die Figur eines Modellathleten und auch die gleiche Kraft. Ihm gegenüber wirkte Guy Slayton eher wie ein Langstreckenläufer.

»Hallo, Fans, da bin ich wieder!«

Anne Rhodes sprang freudig auf und lief ihm entgegen. Mit dem linken Arm griff er besitzergreifend nach ihr, den rechten stieß er gegen die Decke.

»Freunde, wir haben das Große Los gezogen!« verkündete er theatralisch.

Guy verzog das Gesicht.

»Mach es kurz, wir haben lange genug gewartet!«

Raymond Walsh ging nicht auf die Bemerkung ein. Sein Gesicht verzog sich zu einem jungenhaften Lächeln.

»Der Geheimtip des Jahrhunderts!«

Er machte eine Kunstpause.

Fran betrachtete ihn. Es sah so aus, als himmelte sie Walsh an, aber Guy Slayton wußte, daß dem nicht so war. Ray hatte keine Chance bei ihr. Sie waren nichts weiter als gute Freunde.

»Geheimtip?« fragte sie neugierig.

Raymond Walsh warf sich in die Brust. »Ja, er heißt Bredhouse! Das ist ein winziges Örtchen. Angeblich sagen sich dort Hase und Fuchs gute Nacht. Ich sage euch, das ist genau das, was wir gesucht haben.«

»Was sollen wir dort?« erkundigte sich Guy mit einem gelangweilten Unterton in der Stimme.

»Das fragst du noch?« rief Ray. Er ließ sein Mädchen stehen, ging zum Bett und hieb Guy auf die Schulter, daß dieser drohte, zu Boden zu gehen.

»Mensch, was bist du nur für ein Schlappschwanz? Dieses Bredhouse ist urwüchsige Natur!«

Guy ärgerte sich im stillen über den »Schlappschwanz«, ließ sich aber nichts anmerken.

»Also gut, wenn du meinst. Gehen wir hinaus in die Natur, atmen wir frische Luft ein, geschwängert mit dem Duft von Kuhmist und, und, und...«

»Na, siehst du. Dann ist ja alles in bester Butter«, sagte Ray mit seiner lauten Stimme.

»Und wann soll die Reise beginnen?«

Ray zog seine Jacke aus und warf sie auf das Bett. Sein Pullover steckte in den Jeans, die von popfarbigen, superbreiten Hosenträgern gehalten wurden. Er hakte seine Daumen dahinter und ließ die Hosenträger schnellen. »Morgen, mein Freund«, versprach er. »Heute abend wollen wir uns erst einmal dieses Nest hier namens Furlington ansehen und uns einen ordentlichen hinter die Binde gießen.«

Anne Rhodes lachte. »Aber nicht, daß ich dich wieder den ganzen Weg zum Hotel schleppen muß«, rief sie. »Du bist mir zu schwer.«

Sie lachten alle.

Guy Slayton hatte seinen leisen Groll vergessen. Er war jetzt selber neugierig auf dieses Bredhouse.

Aber irgendwo in seinem Innern meldete sich eine warnende Stimme, die allerdings zu leise war, um von ihm beachtet zu werden.

Welche Gefahren sollten ihnen schon in einem kleinen, abgelegenen Dörfchen wie Bredhouse drohen?

*

John Holleway rieb sich die Augen, aber das Bild blieb unverändert: Der Wagen war nicht weitergerollt! Im Gegenteil: Er hatte gewendet!

Das setzte dem unglaublichen Vorgang die Krone auf.

Das Fahrzeug stand jetzt mit dem Kühler in Richtung Furlington. Die Fahrertür hatte sich geöffnet. Sie stand einladend weit offen.

Vorsichtig kam John Holleway näher. Er traute dem friedlichen Bild nicht. Dafür hatte er in den letzten Minuten zuviel Unmögliches erlebt.

Unschlüssig blieb er neben dem Wagen stehen. Er versuchte, hinter dem Ganzen einen Sinn zu erkennen.

Eigentlich lag es klar auf der Hand: Irgendwer hatte irgendwie den Wagen gelenkt.

Es war eine unmißverständliche Aufforderung für John Holleway, die Rückkehr nach Furlington anzutreten!

Aber warum?

Diese Frage mußte vorerst ungeklärt bleiben.

Und John Holleway war ein sturer Kopf. Jetzt würde er erst recht dem Ort nicht den Rücken kehren. Wenn der Wagen verrückt spielte, dann mußte er halt darauf verzichten. Er konnte sich auch zu Fuß auf den Weg machen.

Kaum hatte er diesen Entschluß gefaßt, als er sich auch schon in Bewegung setzte.

Es war sein Glück, daß er dabei den Wagen nicht aus den Augen ließ.

Das Fahrzeug hatte ein gespenstisches Eigenleben. Es schlug mit der Tür nach ihm. Das Lenkrad bewegte sich, und der Wagen kam ins Rollen. Mit einem gewaltigen Sprung brachte sich John Holleway in Sicherheit.

Der Spieß wurde umgedreht: Hatte er vorher Jagd auf sein Auto gemacht, so machte jetzt der Wagen Jagd auf ihn! Es gab für John nur eine Möglichkeit: Er mußte zwischen die Bäume. Dorthin konnte ihm das verrückt gewordene Fahrzeug nicht folgen.

Es tat es dennoch. John hörte hinter sich ein Krachen und Bersten. Die Bäume schüttelten sich.

Er blickte über die Schulter. Der Wagen versuchte, durch den viel zu schmalen Durchlaß zwischen zwei Bäumen zu kommen. Die Haube und die beiden vorderen Kotflügel waren nur noch Schrott. Die Hinterräder mahlten hilflos. Sie gruben sich in den Untergrund.

John Holleway stand stocksteif da. Nicht nur, daß er Angst hatte, sondern es war ihm bewußt, daß er nur hier, zwischen den Bäumen, in relativer Sicherheit war.

Etwas bohrte sich in sein Gehirn. Er spürte den unbändigen Wunsch, in Richtung Furlington zu fliehen, aber es gelang ihm, sich dem stummen Befehl zu widersetzen.

Daraufhin rollte der Wagen zurück. John wußte sofort, was das zu bedeuten hatte: Er nahm Anlauf!

Das Ding beschleunigte wie eine Rennmaschine. In den nächsten Sekunden mußte es die Baumgruppe erreicht haben.

John warf sich herum und ergriff die Flucht.

Hinter ihm entstand ein Inferno. Der Wagen hatte die Bäume erreicht.

Mit unvermindert hoher Geschwindigkeit traf er auf das Hindernis. Das Metall kreischte protestierend. Fetzen lösten sich und flogen dem fliehenden John Holleway um die Ohren.

Erst als er über fünfzig Yards zwischen sich und der Baumgruppe zurückgelegt hatte, wagte er, langsamer zu werden. Vorsichtig warf er einen Blick zurück.

Nein, das verhexte Fahrzeug konnte ihm nicht mehr gefährlich werden. Es war nur noch ein Häufchen verbeultes Blech, auf ein Drittel seiner ursprünglichen Länge zusammengeschoben.

Mit gemischten Gefühlen kam John Holleway wieder zurück. Erst als er sicher war, daß ihm keine Gefahr mehr drohte, wagte er aufzuatmen. Dann machte er sich zu Fuß auf den Weg nach Bredhouse.

Es war nicht mehr weit. Nur noch ein paar hundert Yards.

Die Sonne stand über dem Horizont, als er die ersten Häuser erreicht hatte. Eine unnatürliche Stille herrschte in dem Dorf. Und da war wieder das mulmige Gefühl in Johns Magengegend. Er wußte, daß hier etwas nicht stimmte, konnte aber nicht sagen, was es war. Das Erlebnis mit dem Auto verdrängte er vorläufig. Es war abgeschlossen. Was würde ihn hier noch erwarten?

Er betrat das Dorf. Kein Mensch auf der gepflasterten Straße. John verstand das nicht. Unaufhörlich ließ er seine Blicke kreisen. Nicht einmal an den Fenstern zeigte sich jemand. Wieso war niemand auf den Lärm aufmerksam geworden?

Ein Motorgeräusch.

John Holleway zuckte zusammen.

Das Geräusch kam von außerhalb.

Er fuhr herum. Noch war nichts zu sehen. Er erkannte nur das Wrack seines Fahrzeuges bei der Baumgruppe, die die Sicht auf den weiteren Verlauf der Straße verbarg.

Und dann bog ein Wagen um die Kurve. Es war ein klappriger Ford. Ein amerikanischer Straßenkreuzer, der kaum durch die Straßen des Dorfes paßte. Das Ding war mindestens zwanzig Jahre alt, und jeder kannte den Besitzer: Sean Thompson, der Bürgermeister des Örtchens. Sean war gleichzeitig auch der Polizist, und für manche hatte er sogar die Rolle des Geistlichen übernommen, denn einen solchen gab es seit Jahren nicht mehr in Bredhouse.

Sean Thompson hing mit abgöttischer Liebe an seinem alten Auto. Er hängte einen Großteil seiner Freizeit daran, um es immer wieder auf Vordermann zu bringen. John Holleway mußte fast bei dem Gedanken grinsen, wie Thompson wohl reagiert hätte, hätte sich sein Ford so benommen wie das Auto, das jetzt als Wrack eingekeilt zwischen den Bäumen hing.

Das machte ihm bewußt, daß Sean Thompson diese Sorge offenbar nicht zu haben brauchte. Der Bürgermeister setzte nur seine Geschwindigkeit herab, als er des Wracks ansichtig wurde. Dann fuhr er weiter. Sein Blick heftete sich auf die einsame Gestalt von John Holleway. Der klapprige Ford hielt bei ihm an. Sean kurbelte die Fensterscheibe herunter.

»He!« machte er.

»He!« antwortete John. Sonst sagte er nichts. Er überließ Sean Thompson die Initiative.

»Was'n passiert? Unfall gehabt, wie?« Das war die typische, abgehackte Sprechweise des Bürgermeisters und Dorfpolizisten.

»Wie man es nimmt«, sagte John vorsichtig. »Der Wagen hat sich sozusagen selbständig gemacht.«

»Hast aber ganz schön Glück gehabt. Sehe, daß du nicht verletzt bist. Nur Anzug kaputt.«

John Holleway mußte jetzt doch und trotz allem unwillkürlich grinsen, obwohl er sich in den Jahren seines Hierseins längst an die Sprechweise des Mannes gewöhnt hatte.

»Kommst du aus Furlington?« fragte John.

»Ja, hatte was zu erledigen.« Sean runzelte nachdenklich die Stirn. »Warst'e nicht arbeiten heute?«

»Warum?«

»Wrack steht falsch. Kamst'e nicht aus Furlington?«

»Doch. Der Unfall war ziemlich kompliziert.'«

»Ansprüche?«

»An keinen. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich war ganz allein.«

John Holleway hatte beschlossen, nicht die ganze Wahrheit zu sagen. Das hätte ihm sonst vielleicht ein paar Jährchen in der Klapsmühle eingebracht.

Sean Thompson atmete sichtbar auf. »Willste mitfahren?« erkundigte er sich.

John winkte ab.

»Nein, danke. Es macht mir nichts aus, wenn ich einmal zu Fuß laufen muß.«

Er hatte sich rechtzeitig daran erinnert, was passiert war, als ihn Sean Thompson das letzte Mal mitgenommen hatte. Der Ford hatte plötzlich gestreikt, und John hatte dem stolzen Besitzer dabei helfen müssen, den Wagen wieder flottzubekommen. Das hatte über zwei Stunden in Anspruch genommen, und als er endlich wieder zu Hause gewesen war, hatte ihn seine Frau nicht wiedererkannt, so war John mit Öl und Schmierfett verschmiert gewesen. Nein, da ging er wirklich lieber zu Fuß.

Sean Thompson zuckte die Achseln und fuhr weiter.

John Holleway schaute nachdenklich hinterdrein und wunderte sich, warum die fremde Macht ausgerechnet von seinem Wagen Besitz ergriffen hatte.

*

Es war noch immer unnatürlich ruhig in dem Ort. Nachdem das Motorengeräusch von Thompsons Wagen sich verloren hatte, waren nur noch das traurige Heulen des Windes in den Dachschindeln der Häuser und Johns Schritte auf dem Kopfsteinpflaster zu hören.

John schaute sich immer wieder aufmerksam um. Die Unruhe, die von ihm Besitz ergriffen hatte, nahm zu.

Er kam am Dorfkrug vorbei. Auch hier alles ruhig.

Im nächsten Augenblick spürte John ein scharfes Ziehen in seinem Kopf. Gleichzeitig damit kamen aus dem halb geöffneten Fenster des Dorfkruges Stimmengewirr, Lachen und Musik.

John Holleway runzelte verwundert die Stirn. Er zögerte, weiterzugehen. Der kurze Schmerz in seinem Kopf war wieder verebbt.

Einem inneren Antrieb folgend ging John zur Tür. Der Eingang war durch ein großes L gekennzeichnet.

Das bedeutete fully licensed. Also durfte dieser Pub alle alkoholischen Getränke ausschenken, während Pubs mit dem Zeichen U (unlicensed) bestimmten Beschränkungen unterworfen sind.

John Holleway öffnete und trat ein. Das Innere des public houses war gut besucht. Das wunderte John, denn normalerweise begann der Betrieb freitags abends erst eine Stunde später.

Ein paar der Anwesenden erkannten ihn und winkten ihm zu.

Mechanisch schritt John zur Theke. Er fühlte sich nicht recht wohl in seiner Haut. Irgend etwas war anders als sonst.

Er bestelle sich ein Ale und mußte darauf warten. Diese Zeitspanne benutzte er dazu, sich umzusehen.

Alles war scheinbar so wie sonst, und doch gab es ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal. John kam nur nicht dahinter, was das sein könnte.

Und dann wußte er es.

Er kannte jeden einzelnen der Anwesenden persönlich. Es gab fröhliche Gemüter darunter, eher muffige, aber auch gelassene. Im Moment aber benahmen sich alle gleich! Alle legten dieselbe Fröhlichkeit an den Tag.

John schüttelte den Kopf über sich selbst. Was waren das für Gedanken, die sich da in sein Gehirn einnisteten?

Sein Bier kam. Er griff automatisch danach und trank es zur Hälfte leer. Das Bier hatte einen seltsamen Nachgeschmack. Aber er maß dem keine Bedeutung zu. Ein Blick auf die Uhr hinter dem Tresen. Es war inzwischen schon fast sieben.

John erschrak. Hatte er schon soviel Zeit verloren?

Er griff wieder nach seinem Bier. Er mußte sich beeilen. Seine Frau würde sich gewiß schon Sorgen um ihn machen. Es wäre das erste Mal, daß John freitags später nach Hause käme.

Er war Abteilungsleiter bei einer Bank in Furlington und als solcher stets bemüht, daß es vor dem Wochenende keine Überstunden gab. Das war zu einer Art Tradition bei ihm geworden.

John hob das Glas an die Lippen.

Riecht auch komisch, registrierte er unwillkürlich.

Er setzte das Glas wieder ab und stellte es auf den Tresen zurück. Mißtrauisch beäugte er es.

Plötzlich begann sich alles um ihn zu drehen.

Verdammt, durchschoß es ihn, was hat mir der Wirt in das Glas getan?

Jedes Geräusch um ihn erstarb. Die Gesichter rotierten. Johns Hände krampften sich um den Rand der Theke. Er bekämpfte die Schwindel. Die wilden, kreisenden Bewegungen verlangsamten sich etwas. Deutlich erkannte er jetzt die Gesichter. Sie waren ohne Ausdruck. Alle Augen waren lauernd auf ihn gerichtet. Eine eisige, fast feindliche Atmosphäre schlug ihm entgegen.

Heißer Zorn stieg in John auf. Aber er merkte, daß dabei die Schwindel stärker wurden. Deshalb beherrschte er sich.

Plötzlich eine Stimme. Sie schien ihm ins Ohr zu flüstern, aber nein, sie erklang direkt in seinem Gehirn!

»Verschwinde, ehe es für dich zu spät ist, ehe du zuviel weißt! Verschwinde, sonst muß ich dich vernichten!«

John kniff die Augen krampfhaft zusammen und öffnete sie wieder. Nichts hatte sich verändert.

Die Männer an den Tischen erhoben sich lautlos. Wie abwartend blieben sie stehen.

Kein Laut drang an die Ohren Johns, außer dem hechelnden Geräusch seines eigenen Atems.

Seine Hände packten den Tresen fester. Er richtete sich auf, die Zähne zusammenbeißend. Er wußte, daß er ein Mensch mit einem stählernen Willen war. Bisher war es noch niemandem gelungen, ihn unterzukriegen, auch beim Militär nicht. Obwohl er vor dem Aufheben der allgemeinen Wehrpflicht sogar Offiziersanwärter gewesen war, war er stets nur der eigenen Vernunft gefolgt und nicht der Willkür anderer.

Das hatte ihm sogar einen Spitznamen eingebracht: Ire. Obwohl er kein Ire war, aber denselben sturen Kopf besitzen konnte, wenn es darauf ankam.

Und jetzt setzte er seinen Willen ein. Er spürte, daß ihn jemand beeinflussen wollte. Instinktiv begehrte alles in ihm dagegen auf, auch wenn das Teufelszeug, das man ihm ins Bier geschüttet hatte, seine Widerstandskräfte schwächte.

»Ihr Schweine!« lallte er. Ein erneuter Schwindelanfall warf ihn fast zu Boden. »Ihr verdammten Schweine! Was habt ihr mit mir vor?«

Die Tür öffnete sich.

John hörte es deutlich, obwohl in seinen Ohren ein eigenartiges Brausen entstanden war, das sich mehr und mehr verstärkte. Es war das Rauschen des eigenen Blutes.

Er brauchte allen Willen, um den Kopf zur Tür zu wenden. Alles war verschwommen und taumelte hin und her, obwohl in Wirklichkeit er selbst es war, der an der Theke hin und her schwankte.

Da war eine Gestalt, die sich auf ihn zu bewegte. Aus dem verschwommenen Zerrbild schälte sich ein verwaschenes Gesicht. Es war das von Sean Thompson.

»Na, noch einen zur Brust genommen?«

Klang es nicht ironisch? Nein, da war doch ein leutseliger Unterton.

Mißtrauen entstand in John Holleway. Er bekämpfte weiterhin seine Schwindel und wollte etwas sagen, aber nur ein Lallen kam über seine Lippen.

Sean Thompson hob erstaunt die Augenbrauen.

»Nanu, was ist denn los, John? Verträgst du nichts mehr? Du kannst doch nicht in der kurzen Zeit so betrunken sein.«

Wieder machte John den vergeblichen Versuch, etwas zu sagen.

»Na, laß mal, Mann«, rief Sean Thompson und klopfte ihm auf die Schulter. »Kann jedem mal passieren. Manchmal trinke ich auch einen über den Durst. Was ist übrigens mit dem Wrack draußen vor dem Dorf? Willst du dafür sorgen, daß es entfernt wird?«

Der redet anders, flüsterte eine innere Stimme. John horchte unwillkürlich auf. Für einen Augenblick war sein Blick klar. Und in diesem Augenblick löste sich die Gestalt von Sean Thompson in Nichts auf. An ihre Stelle trat eine ungefähr gleichgroße Strohpuppe. Ja, eine Strohpuppe. Ganz primitiv. Billiges, grob gewebtes Sackleinen, einfach mit Stroh vollgestopft. Der Kopf war durch Abbinden mit einer Schnur entstanden. Die Arme und Beine hatte jemand angenäht.

Und diese Strohpuppe redete mit der Stimme Thompsons, dabei aufrecht neben John stehend.

Erneute Schwindel setzten John zu. Seine Hände krallten sich fest um den Rand des Tresens, daß das Weiße der Knöchel hervortrat.

2

Guy Slayton zwirbelte unaufhörlich seinen Bart. In seinen Augen stand ein wildes Flackern. Er konnte sich nicht mehr beherrschen und griff nach Rays Arm.

»Laß uns morgen nicht hingehen!« sagte er beschwörend.

Raymond Walsh, der gerade einen Witz erzählt hatte, dessen Pointe Guy entgangen war, wandte sich ihm lachend zu. Das halbe Lokal dröhnte vor Lachen.

Aber als Ray das Gesicht seines Freundes sah, wurde er sofort ernst.

»Was ist los, alter Junge? Ist dir nicht gut?« erkundigte er sich besorgt.

»Ach was, mir geht es großartig, nur... Ich beschwöre dich, Ray. Wir dürfen nicht nach Bredhouse.«

»Ich verstehe nicht ganz, Guy. Was hast du? Hast du zu tief ins Glas geguckt? Du bist doch sonst so standfest. Eine alte Biereiche läßt sich doch nicht so schnell fällen, oder?«

Die Rechte Guys krallte sich um den ungewöhnlich voluminösen Oberarm des Freundes, so daß dieser schmerzhaft das Gesicht verzog.

»Bitte, nimm es nicht auf die leichte Schulter, Ray. Ich kann dir nur sagen, daß...«

Unwillig schüttelte Ray die Hand ab. »Mann, du tötest mir den Nerv.« Er schnappte sein Bierglas und schüttete einen Teil des Inhalts in sich hinein. »Die ganze Laune kannst du einem verderben.«

Nun, das war zweifelsohne übertrieben, denn ein Raymond Walsh verlor die gute Stimmung normalerweise nur durch Krankheit und Tod. Aber Guy sagte lieber nichts mehr.

»Was hast du überhaupt?« fuhr Ray ihn an. »Wenn es dir nicht paßt, brauchst du nicht mitzugehen, hörst du? Du kannst im Hotel warten, wie ein kleines Mädchen, das sich fürchtet, und ausharren, bis die Erwachsenen von ihrem Ausflug zurückkommen.«

Ein Schatten huschte über Guys Gesicht. Für einen Moment sah es so aus, als wollte er sich auf seinen Freund werfen. Da spürte er die Rechte seiner Freundin an seiner Schulter. Das half ihm, die Beherrschung zu wahren.

»Ich kann es nicht näher erklären«, murmelte er. »Es ist so ein Gefühl, das in meinem Innern hockt wie ein gefräßiges Tier und die Zähne bleckt, wenn ich nur an dieses Bredhouse denke. Nenne es eine Ahnung oder wie immer du willst, aber höre auf mich!«

»Hört, hört, unsern Poeten«, höhnte Raymond Walsh, aber sein Lachen klang unecht. Offenbar ging ihm das eindringliche Zureden seines Freundes doch etwas unter die Haut.

Dann schüttelte er den Kopf wie ein begossener Pudel, und im nächsten Augenblick war seine gute Laune wiederhergestellt, als sei nichts geschehen.

Das war typisch für ihn.

Er hob das Glas zu einem Toast, kam aber nicht mehr dazu. Die anderen waren auf den kurzen Zwischenfall aufmerksam geworden. Das war kein Wunder, denn seit zwei Stunden waren Raymond Walsh und seine Freunde der Mittelpunkt.

»Hörte ich Bredhouse?« fragte einer der umstehenden Männer.

Ray machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Ja, wir wollen morgen einen Abstecher dahin machen. Geheimtip. Jemand hat mir erzählt, die Erde in Bredhouse hätte noch kaum eines Touristen Fuß geschändet.«

»Also, wenn das nicht poetisch war«, sagte Guy verkrampft. Er wollte sich revanchieren und seine Unruhe hinter der Maske der Ausgelassenheit verbergen, was ihm aber nicht gelang.

»Ja«, fuhr Ray unbeirrt fort, »und unser Kleiner hier macht sich in die Hosen.«

Ein paar der Umstehenden lachten.

»He«, rief einer, »ich habe doch vorhin noch den alten Cummings gesehen. Wo versteckt er sich?« Der Sprecher wandte sich an Ray. Seine Stimme nahm einen vertraulichen Ton an. »Das ist der richtige Mann, mein Junge. Total abgewrackt. Kommt aus Bredhouse. Vor Jahren hat er dem Ort den Rücken gekehrt, um nie mehr nach Hause zurückzukehren. Hier in Furlington ging er sozusagen vor die Hunde. Für 'nen Schnaps macht der alles, sage ich dir. Laß ein paar Münzen springen, und Cummings wird zum wandelnden Lexikon für die Bredhouselegenden. Dann brauchst du nur die Seiten aufzublättern.

»Cummings«, rief ein anderer, »komm her! Alter, dein Typ wird verlangt!«

Und Cummings kam. Er war angetrunken. Daß dieser Zustand bei ihm nichts Ungewöhnliches war, zeigten seine dicke, rote Nase, das aufgedunsene Gesicht und die wässrigen Augen. Die Kleidung des Mannes sah recht mitgenommen aus. Es tauchte unwillkürlich die Frage auf, wann Cummings sie zum letzten Mal zwecks Waschung abgelegt hatte.

Ray Walsh kümmerte das nicht. Er sprang auf, nahm den Alten am Arm und führte ihn zu ihrem Tisch. Mit einer kleinen Verbeugung rückte er einen Stuhl zurecht. Cummings ließ sich schwer nieder. Seine kleinen wässrigen Augen huschten wieselflink hin und her.

Sie verharrten erst, als ein Schnapsglas vor ihm stand. Mit zittriger Hand griff er danach. Sobald die Hand das Glas berührt hatte, erstarb das Zittern. Gierig leckte sich der Alte die Lippen. Er wollte das Glas heben, aber die gebräunte, kräftige Hand Rays verhinderte es.

»Ich habe gehört, du bist ein Experte für Bredhousefragen«, murmelte er. »Den Schnaps als Vorschuß, wenn du dies unter Beweis stellst!«

Sofort zog der Alte seine Hand zurück. Sein Blick wurde wieder unstet. Plötzlich zitterte er, als fröstele ihn. Oder hatte er etwa Angst?

Die Umstehenden belauerten die Szene. Es war auf einmal totenstill in dem Pub. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

»Ich - ich kann nicht«, krächzte der Alte heiser.

Anstatt einer Antwort schob ihm Ray das Schnapsglas hin.

Ray gab sich anders als gewohnt. Er erschien ungewöhnlich ernst. Und war sein Gesicht nicht seltsam bleich? Was war es, was Rays sprichwörtliche Ruhe erschüttert hatte?

Es konnte nur der Alte sein.

»Nein«, krächzte dieser kläglich. Jetzt war offensichtlich, daß er Angst hatte. »Die Kräfte der Vergangenheit sind wieder wach. Der Bloody River wird wieder seiner Bestimmung folgen. Ich spüre es deutlich. Viele Menschen werden diesmal die Opfer sein - mehr als jemals zuvor. Die Geisterarmee sucht noch Rekruten.«

Das senile Geschwätz eines trunksüchtigen, abgewrackten Mannes?

Die Gesichter der Umstehenden zeigten deutlich, daß sie anders darüber dachten. Sie alle waren in einer Umgebung aufgewachsen, in der der Aberglaube noch tiefe Wurzeln besaß. In ihren Köpfen wurden alte Geschichten wach, die sie schon als Kinder gehört hatten. Und der eine oder andere erinnerte sich vielleicht, daß er schon einmal vernommen hatte, welche traurige und schaurige Geschichte sich hinter dem Namen Bloody River verbarg.

Ray warf einen schnellen Blick in die Runde. Er wußte, daß niemand lachen würde, wenn der Alte seine Geschichte los wurde.

Guy hatte richtig gesehen.

Rays Inneres war aufgewühlt, und es gab niemanden, der sich mehr darüber ärgern konnte als Ray selber.

Was ist los mit mir? fragte er sich und fixierte wieder den Alten. Was meinte Guy, als er mich warnte? Was geht in diesem Bredhouse vor? Ist es wirklich nur ein normales Dörfchen, das ein wenig abgelegen liegt und selten einen Fremden zu Gesicht bekommt?

Gewißheit, ja, Gewißheit brauche ich. Und die kann mir nur der Alte hier geben. Es gibt nur eine Alternative. Entweder alles entpuppt sich als eine der üblichen Spukgeschichten, die nur noch alte Weiber beim Stricken stören können, oder aber es zeigt sich, daß zumindest ein Körnchen Wahrheit drinsteckt. Im ersteren Falle werde ich befreit lachen können. Eines aber steht jetzt schon fest: Von einem Besuch in Bredhouse kann mich nichts mehr abbringen. Meine Neugierde ist dafür schon zu sehr geweckt.

Er schob das Schnapsglas noch näher an den Alten heran. Ja, er ging noch einen Schritt weiter. Er nahm die Hand des Alten und führte sie zum Glas. Je näher die Hand ihrem Ziel kam, desto schwächer wurde die Abwehr des Alten, und als sie gar das Glas berührt hatte, gab es kein Halten mehr.

Das Zittern erstarb wie auf Kommando. Mit einer geübten Bewegung brachte Cummings das Glas an die Lippen. Ein Ruck und der scharfe Inhalt floß wie ein Lavastrom hinunter, um sich in den bereits vom Alkohol angefressenen Gedärmen zu sammeln.

Cummings spürte die Wärme in seinem Innern und das unbändige Verlangen nach mehr.

Seine Hand zitterte noch stärker als zuvor, als er das Glas absetzt. Dabei glitt es fast aus den klammen Fingern.

»Flasche!« rief Ray, und das Bestellte wurde sofort gebracht. Der Wirt selbst bemühte sich. Er öffnete die Whiskyflasche sogar.

»Hier, Alter, echter Schottischer!« murmelte Ray beschwörend und schenkte das Glas randvoll.

Prompt wollte Cummings danach greifen, aber Ray verhinderte es.

»Was ist nun? Schau dich um, Cummings. Alle warten. Willst du uns nicht die Freude machen? Alle warten begierig auf deine Geschichte.«

Der Alte leckte sich verlangend über die Lippen und stierte wie ein von einer Schlange hypnotisiertes Kaninchen auf das volle Glas. Aber er sagte nichts. Noch war die Angst stärker als die Sucht.

Ray knallte die Flasche auf den Tisch und zog seine Hände zurück.

Blitzschnell leerte Cummings das Glas. Und während er sich erneut einschenkte, begann er zu erzählen.

*

»Es ist lange her, und ein großer Teil der Erinnerungen an das Vergangene ging verloren. Es gibt auch keine Aufzeichnungen darüber.« Der Alte leerte das dritte Glas innerhalb kurzer Zeit. Seine Stimme bebte.

»Der Lord, der diese Gegend beherrschte, fiel bei der Königin in Ungnade. Er war ein Tyrann und die Königin eine gute Frau. Er mußte Abbuße tun und zog sich in das damalige Bredhouse zurück, wo er ein Jagdhaus besaß. Lange schon gibt es dort nichts mehr zu jagen, und das Haus ist teilweise verfallen. Aber es steht noch. Es fand sogar vor vielen Jahren einen Käufer. Jemand zog ein. Kaum einer hat ihn je zu Gesicht bekommen. Was er zum Leben braucht, läßt er sich bringen. Er hat viel Geld und zahlt gut. Aber er ist ein Einsiedler. Die Lage des einstmals herrschaftlichen Hauses und jetzigen düsteren Gemäuers erlaubt es ihm. Es steht weit außerhalb des Dorfes, eingebettet zwischen Felsen, so daß man es nicht einmal von einem Hubschrauber aus sehen kann, wenn man nicht die Augen eines Adlers und den Spürsinn eines Wolfes besitzt.«

Jemand maulte: »Was soll die Geschichte'? Wir wollen etwas vom Bloody River hören!«

Zustimmendes Gemurmel. Raymond Walsh und seine Freunde hielten sich da raus. Ray hatte sich wieder auf seinen Platz gesetzt und ließ Cummings nicht aus den Augen. Die beiden Mädchen drängten sich bebend gegen ihre Freunde.

Lichtreflexe in Guys Brille machten seine Augen unsichtbar, aber sein Gesichtsausdruck, teilweise verborgen durch den wild wuchernden Bart, sprach Bände.

Der Alte genehmigte sich ein viertes Gläschen, bevor er fortfuhr.

»Niemand weiß genau, was sich damals ereignete. Aber man munkelt, daß der böse Lord auch in Bredhouse seinem teuflischen Trieb gehorchte. Die Bewohner des Dorfes wurden von ihm verschont. Er brauchte sie, damit sie ihm einen guten Leumund verschafften, wenn die Getreuen der Königin kamen, um ihn zu überprüfen. Was er getan hat, ist trotzdem an die Öffentlichkeit gesickert. Seitdem ist sein Name ausgelöscht in den Annalen der britischen Adelsgeschichte. Niemand mehr will mit ihm etwas zu tun haben. Niemand will verwandt mit ihm sein. Niemand will von ihm abstammen.«

Abermals schüttete er sich von dem scharfen Zeug ins Glas. Dabei verschüttete er ein paar Tropfen. Wieselflink huschte seine Zunge über die Tischplatte, um das kostbare Naß aufzuwischen. Die Freunde mußten sich einen Moment lang angewidert abwenden.

Cummings trank zum fünften Mal.

Als er danach weitersprach, hatte seine Stimme gewaltig an Festigkeit verloren. Er lallte mehr als daß er sprach.

Mehrmals wischte er sich über den Mund.

»Der Lord hielt wüste Feste und wildeste Orgien ab. Seine Gäste, die geladenen wie die ungeladenen und mit Gewalt herbeizitierten - kamen alle von außerhalb. Er hatte seine Helfer, die seine Verbindung mit der Welt waren. Er selbst hatte sich in dem Jagdhaus regelrecht vergraben.

Und in manchen Nächten, während er seine Feste abhielt, färbte sich das kleine Flüßchen, das quer durch Bredhouse verläuft, blutigrot. Es ist Wasser, das direkt aus dem Felsen geboren ist. Es sprudelt mächtig schäumend hervor und fraß sich im Laufe der Jahrtausende einen Weg durch das Tal. Aber es verläßt das Tal nicht auf normalem Wege. Der Fluß endet wie abgetrennt. Das Wasser verschwindet scheinbar im Nichts - und mit ihm das Blut jener schrecklichen Nächte, in denen furchtbare Schreie bis zu den Häusern der Dorfbewohner drangen. Die Menschen von Bredhouse wollten es nicht wahrhaben. Sie stopften ihre Ohren zu, um nicht Zeugen zu werden.

Und in ihren Herzen nistete sich das Grauen ein. Sie hatten Angst, daß sich der Lord anders besinnen würde, daß die nächsten Gäste für seine Blutorgien - vor allem die unfreiwilligen - Mitglieder der dörflichen Gemeinschaft sein könnten.

Wie dem auch sei: Die Bredhouser haben zu dieser Zeit schwere Schuld auf sich geladen. Und diese Schuld wuchs schließlich, als viele Helfer des Lord abgesprungen sind, weil sie selber das wüste Treiben nicht mehr mitmachen wollten und sich unter den Fittichen der Königin Schutz vor der Rache ihres Herrn erhofften. Dem Lord blieb nichts anderes übrig, als die Bewohner von Bredhouse zu seinen direkten Helfern zu machen. Sie machten ihre Sache gut. Und immer wieder färbte sich der Fluß blutigrot, so daß ihm jemand den Namen gab: BLOODY RIVER.

Eines Tages machte die Garde des Königshauses dem Treiben ein jähes Ende. Plötzlich waren sie da. Niemand kam dazu, den schrecklichen Lord zu warnen. Die Garde der Königin richtete ein schreckliches Blutbad an. Jeder, der im Hause angetroffen wurde und sich wehrte, wurde getötet - und das waren praktisch alle. Niemand weiß bis heute so genau, warum sich der Fluß immer verfärbte, wie also das Blut in das Wasser kommen konnte. An jenem Tag färbte er sich zum letzten Mal bis heute, und die Gardesoldaten nahmen das Geheimnis, wie das geschehen konnte, mit sich.

Das Jagdhaus blieb leer bis vor ein paar Jahren.

Durch das Vorgehen der Dörfler entstand aber ein Fluch, der noch immer unerfüllt ist, da damals keiner der überlebenden Bredhouser zur Rechenschaft gezogen wurde.«

Das sechste Glas wurde geleert. Danach war es Cummings nicht mehr möglich, die Geschichte weiter zu erzählen. Aber er hatte eigentlich schon alles erzählt, wie es den Umstehenden erschien.

Raymond Walsh hielt mit seiner Enttäuschung nicht hinter dem Berg.

»Das war alles?« fragte er laut, und als er das Grauen in den Gesichtern der Männer sah, mußte er fast lachen. Aber er hütete sich natürlich davor, weil er sich keine Feinde schaffen wollte.

Trotz seiner Enttäuschung ließ er Cummings die Flasche.

Ja, er ging sogar einen Schritt weiter und steckte dem Alten ein paar Geldscheine bei, weil ihm der Mann leid tat.

Der Wirt war nicht wieder hinter seinen Tresen zurückgekehrt, nachdem er die Flasche gebracht hatte. Atemlos hatte er wie alle anderen die Geschichte verfolgt. Jetzt schärfte ihm Raymond ein, daß er Cummings an diesem Abend nichts Alkoholisches mehr geben sollte.

»Ich will nicht an dem Tod dieses Alten schuld sein«, begründete Ray das.

Guy kratzte sich verlegen an seinem bärtigen Kinn, als er Zeuge davon wurde. Er wußte, was Raymond Walsh für ein Mensch war. Trotzdem fühlte er sich immer wieder betroffen. Niemand ahnte hinter dem großspurigen Gebaren des Freundes das gute Herz.

Cummings zog sich in seine Ecke zurück. Niemand achtete mehr auf ihn. Er hatte seine Schuldigkeit für heute getan und fühlte sich mit seiner Flasche anscheinend rundherum glücklich.

Und Ray folgte wieder seiner Bestimmung. Er begann, den Leuten das Grauen aus dem Sinn zu treiben und die gute Laune wieder zurückkehren zu lassen.

Guy war es wieder, der ihn dabei störte.

»Was ist nun morgen?«

Ein vernichtender Blick traf ihn.

»Jetzt ist aber genug, Guy«, knurrte Ray. »Ich will davon nichts mehr hören. Du hast doch selbst mitbekommen, welche Legende dieses Bredhouse hat. Jeder Ort dieser Art hat eine solche oder ähnliche Legende. Was willst du überhaupt? Was soll an Bredhouse gefährlich sein?«

Guy Slayton sagte nichts mehr in dieser Richtung.

Auch er wußte jetzt, daß ihn nichts mehr davon abhalten würde, diesem Bredhouse einen Besuch abzustatten, komme, was da kommen mag. Und diese seltsame Unruhe war doch wirklich mehr als lächerlich, oder?

Nachdem der Entschluß einmal gefaßt war, schwieg die innere, warnende Stimme der Intuition, als hätte sie eingesehen, daß es ohnehin hoffnungslos war.

Zum ersten Mal für diesen Abend konnte auch Guy Slayton so richtig ausgelassen sein.

Raymond Walsh registrierte das mit Genugtuung.

Keiner der Anwesenden dachte mehr an die verworrene Geschichte des Trunksüchtigen.

Seniles Geschwätz oder bestenfalls ein wenig Nervenkribbeln. Mehr war es nicht gewesen.

Die Freunde feierten, bis der Wirt sie gewaltsam auf die Straße setzte, denn in England hielt man viel von der Sperrstunde - mehr als in den meisten anderen europäischen Ländern.

*

Ein gurgelnder Laut entrang sich Johns Kehle. Mit einem letzten Aufbäumen seines Willens griff er nach dem halbgeleerten Bierglas.

Er kniff fest die Augen zusammen und schüttete sich das Ale mit einem Ruck mitten ins Gesicht. Egal, ob mit Gift oder ohne, dachte er dabei grimmig, auf jeden Fall ist das Zeug eiskalt und schadet mir nur, wenn ich davon trinke, was leider passiert ist.

Das kalte Bier verfehlte seine Wirkung nicht. Als John die Lider wieder öffnete, kam es ihm in die Augen und brannte höllisch.

Aber er hatte in die Wirklichkeit zurückgefunden - wenigstens zu einem Teil, und dieser Teil war entscheidend.

Das leere Glas schleuderte er gegen die Strohpuppe neben ihm. Es erreichte die Puppe nicht ganz. Kurz vorher gab es ein dumpfes Geräusch, als hätte es ein unsichtbares Hindernis getroffen. Dann fiel es herunter und zerschepperte am Boden.

Die Puppe neben John verwandelte sich teilweise in Sean Thompson. Das Gesicht war verzerrt.

John Holleway sah die Scherben am Boden und bückte sich blitzschnell. Beinahe zu schnell, denn die Schwindel, die erneut nach ihm griffen, machten fast sein Vorhaben zunichte. Dann aber hatte er den Boden des kaputten Glases fest in der Hand. Der Rand war mit scharfkantigen Zacken versehen. Diese Zacken drückte er Sean Thompson mitten ins Gesicht und vollführte eine Drehbewegung.

Bei einem normalen Menschen hätte das eine furchtbare Wirkung gehabt, nicht aber bei diesem Schauerwesen. Es gab nur ein schrilles Kreischen von sich und taumelte zurück. Die Umrisse verflossen. Immer wieder kamen die Konturen der Strohpuppe durch. Zuletzt war das Ding nur noch eine formlose Masse, die erneut auf John Holleway zutappte.

Die anderen Angreifer waren inzwischen heran.

Alles hatte sich in Bruchteilen von Sekunden abgespielt.

John sah die Tür, den rettenden Ausgang. Ein paar der Puppen, immer wieder auf magische Weise das Äußere eines normalen Menschen vorgaukelnd, verbargen ihm den Weg dorthin. Eine der Puppen griff nach ihm. Deutlich spürte John eine zupackende Krallenhand an seinem Oberarm, obwohl keine Hand zu sehen war. Er riß sich los. Dabei zerfetzte die unsichtbare Hand den Jackenärmel. Es war ein scharfes, reißendes Geräusch, das John durch und durch ging und ihn zu Höchstleistungen anspornte.

Mit einem wütenden Knurren warf er sich gegen die Gegner. Die unsichtbare, unheimliche Macht vermochte es zwar, die primitiven Strohpuppen mit unwirklichem Leben zu erfüllen und sogar die Erscheinung von richtigen Menschen vorzugaukeln, ja, es gelang ihr sogar, den vorgegaukelten Konturen bis zu einem gewissen Grad Festigkeit zu verleihen, was die Krallenhand bewiesen hatte, aber sie hatte nicht die Möglichkeit, das Gewicht der Puppen zu vergrößern - oder hatte der unbegreifliche Puppenspieler daran nicht gedacht? Jedenfalls flogen die Gegner nach allen Seiten, als John Holleway mit den Fäusten mitten hineinfuhr.

Immer wieder griffen unsichtbare Hände nach ihm, packten nach seiner Kehle, wollten ihn festhalten, ihn in Stücke reißen. Dabei ging jedoch nur die Kleidung in Fetzen. John verstand es, sich jedesmal im letzten Augenblick loszureißen.

Und dann hatte er die Tür erreicht und riß sie auf. Ein Satz hinaus. Die Tür wieder zumachen.

Drinnen kratzte es am Holz, als würden sich Katzen daran zu schaffen machen.

Dann kamen die Unheimlichen auf die Idee, durch das Fenster ins Freie zu gelangen.

Gehetzt blickte sich John Holleway um.

Da hörte er Schritte.

Sein Blick ging in die Richtung, aus der das Geräusch kam.

Ein Mann kam die Straße entlang. Er bewegte sich zielstrebig. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet, heftete sich auf John Holleway. Er kam genau auf ihn zu. John kannte ihn. Es war Jesse Rypdahl, ein ehemaliger Schmied, der in den letzten Jahren in seinem Beruf arbeitslos geworden war. Heute übte er sich nur noch in seiner Freizeit als Schmied. Doch seine Kraft war ihm geblieben.

Rypdahl schritt immer schneller aus. Seine mächtigen Hände, die fast Schaufeln glichen, hoben sich. Sie öffneten und schlossen sich, als könnten sie es kaum erwarten, den Hals von John Holleway in den Griff zu bekommen.

John Holleway spürte die Angst in sich emporkriechen. Er würde keine Chance gegen den Schmied haben, vor allem jetzt nicht, wo ihm noch immer das Gift zusetzte, das in dem Bier gewesen war.

John wich vor Rypdahl oder dem, was er für diesen hielt, zurück.

Doch da hatten die Puppenwesen den Pub verlassen und wandten sich ihm zu. Es gab kein Entrinnen mehr. Die Unheimlichen griffen an. Sie waren jetzt schaurig anzusehen. Verschiedene Körperteile glichen denen von Menschen, aber überall schimmerte ein Teil Sackleinen durch.

Jetzt war John überzeugt, daß das vor ihm nicht der echte Rypdahl war. Auch er mußte eine dieser Puppen sein. Wenn dies aber zutraf, dann war es sicherer, wenn er sich in diese Richtung wandte. Der Gegner in seinem Rücken war in der Überzahl.

John begann zu laufen. Rypdahl war nur noch zwanzig Schritte von ihm entfernt, und John rannte genau auf ihn zu. Lautlos schoben sich die Unheimlichen nach, die Arme ausgestreckt, und Rypdahls mächtige Hände öffneten und schlossen sich unaufhörlich. Seine Bewegungen waren seltsam marionettenhaft, das Gesicht totenblaß. Die Augen erschienen wie glühende Kohlestücke in diesem ausgebleichten Antlitz. Sie fixierten John Holleway, erwarteten ihn.

Dann war John heran. Die Arme des Schmiedes zuckten hoch.

Aber John gab nicht so schnell auf. Die letzten Schritte waren sein Anlauf gewesen. Er sprang in die Luft nach Manier eines Kung-Fu-Fighters.

Der rechte Schuh traf genau das Gesicht des Schmiedes.

mußte John die Erkenntnis machen, daß er sich geirrt hatte. Er hatte nicht eines der furchtbaren Wesen vor sich, sondern den echten Schmied, obwohl der Mann offensichtlich nicht Herr seiner Sinne war.

Es gab ein Geräusch, als würde sich jemand in einen Korb mit Eiern setzen. Plötzlich war überall Blut.

Doch der Schmied zeigte sich davon wenig beeindruckt. Er griff an mit der Präzision einer Kampfmaschine. Seine Schaufelhände zuckten vor, und John wußte, daß sie ihm ohne große Mühe sämtliche Knochen im Leib brechen konnten, wenn es darauf ankam.

Da warf ihn ein erneuter Schwindelanfall fast zu Boden. Je mehr er sich anstrengte, desto aktiver wurde das Gift in seinem Körper.

Die Hände des mächtigen Schmiedes gingen ins Leere. Das hatte John nur dem Schwindelanfall zu verdanken.

Doch die Bedenkzeit, die er dadurch bekam, war nicht von langer Dauer.

Blitzschnell warf er sich beiseite. Sein rechter Fuß trat ein zweites Mal zu und traf voll in die Magengrube Rypdahls. Ein ächzender Laut brach über die Lippen des Schmiedes. Die Augen blieben starr nach vorn gerichtet. John erschienen sie auf einmal wie glitzernde Diamanten.

Er spürte die eine der mächtigen Hände am Rockaufschlag. Das Gesicht Rypdahls raste auf ihn zu, als ihn der Mann zu sich hoch riß.

Geistesgegenwärtig hob John seine Hand. Die Mittelgelenke seines Zeigefingers und Mittelfingers trafen genau in die starren Augen. Hätte er die Finger ausgestreckt, wäre Rypdahl für immer blind geworden. So aber dauerte die Blindheit nur Minuten an.

John Holleway genügte es. Die menschliche Kampfmaschine kam ins Stocken. Trotzdem gelang es John nicht, den eisernen Griff an seinem Jackenaufschlag zu lösen.

Er warf einen schnellen Blick zurück. Die schweigende Gruppe der Unheimlichen hatte ihn fast erreicht. Die Hände hatten sie vorgestreckt, und sie hatten sich erschreckend geändert. Es waren die Krallen von wilden Bestien.

Mit aller Kraft, deren er fähig war, drückte sich John Holleway von seinem Gegner ab. Dabei ging die Jacke vollends in Fetzen. Aber er war frei.

Er schob sich an der mächtigen Gestalt des Schmiedes vorbei und begann zu laufen. Die Straße führte immer tiefer ins Innere des Dorfes.

Tausend Messer schienen in Johns Lunge zu stechen. Nur unter Aufbietung aller Willenskraft gelang es ihm, sich aufrecht zu halten und nicht im nächsten Moment hinzustürzen. Nein, wenn er erst einmal den Boden unter den Füßen verloren hatte, gab es für ihn keine Rettung mehr. Der Gegner würde aufholen, und es würde ihm nicht gelingen, den alten Vorsprung wieder herzustellen.

Gehetzt schaute John Holleway über die Schulter. Der Gegner holte auf.

Auch der Schmied hatte sich in die Reihen eingeordnet, obwohl er blind war. Eine unsichtbare Macht führte ihn sicher.

Jetzt blieb Rypdahl deutlich zurück. Auch der Unsichtbare vermochte es nicht, aus dem Körper Rypdahls mehr herauszuholen, als herauszuholen war. Der Schmied war unbeholfen und hatte keine große Ausdauer. Außerdem setzte ihm der Blutverlust zu.

Immer weiter blieb er zurück.

Und John Holleway erkannte mit Entsetzen, daß sich der Abstand zwischen ihm selbst und den Unheimlichen merklich verringerte. Er wollte seinen schnellen Lauf noch beschleunigen, was ihm aber nicht gelang.

Dann erreichte John den Marktplatz des Dorfes. Die Laternen waren bereits angezündet. Die Sonne tauchte tief in den Horizont.

Kein Mensch war auf dem Platz. Kein Fenster der umliegenden Häuser öffnete sich: Kein Geräusch drang an Johns Ohren, außer seinem eigenen hechelnden Atem und dem Hallen seiner Schritte. Die Unheimlichen bewegten sich völlig lautlos, aber unbeirrbar. Das war das Schlimmste daran. Außerdem schienen sie keinerlei Müdigkeit zu kennen.

John wollte um Hilfe schreien, hatte aber nicht genügend Luft, um auch nur ein Krächzen hervorzubringen.

Er mußte weiterrennen.

Auf einmal wurde ihm bewußt, in welche Richtung er sich wandte. Er überquerte den Dorfplatz, passierte den Brunnen und steuerte auf eine der Straßen zu, die von dieser zentralen Stelle abführten. Ja, und diese Straße führte direkt zu seinem Haus!

Seine Frau wartete noch immer auf ihn.

Auch wenn er es schaffte, bis dorthin zu kommen, gab es keine Rettung für ihn. Die Unheimlichen waren ihm zu dicht auf den Fersen. Im Gegenteil, er würde auch noch seine Frau und die beiden Kinder gefährden.

Aber was, zum Teufel, soll ich denn anderes tun? Wohin soll ich mich wenden? dachte er verzweifelt.

Ein Fenster wurde aufgerissen. Es war weiter vorn, an einer Stelle, auf die John zulief.

Ein Hoffnungsschimmer glomm in ihm auf, als in dem geöffneten Fenster ein Mann sichtbar wurde. Der Mann blickte auf John herab. Noch verhielt er sich abwartend.

John fuchtelte wie wild mit den Armen.

Er warf eine Blick zurück. Ja, die Unheimlichen waren noch da. Der Mann mußte sie deutlich sehen.

Aber er schien sich nicht dafür zu interessieren. Er hatte nur Augen für John.

Dann tat er etwas Seltsames.

Das Fenster befand sich im zweiten Stockwerk des Hauses, also etwa sechs oder mehr Yards über der Straße.

Der Mann stieg auf die Fensterbank, als wollte er sich hinausschwingen.

Johns Augen weiteten sich unwillkürlich. Er wollte nicht fassen, was sie sahen.

Der Mann wollte sich tatsächlich über die Fensterbank schwingen!

John Holleway war ganz nahe heran, als der Mann sprang. Dabei war sein Blick starr auf John gerichtet.

Der Mann fiel allerdings nicht wie ein Stein herab, wie es zu vermuten gewesen wäre, sondern schien fast zu schweben.

John begriff sofort: Auch das war eine Strohpuppe, von einem Unbekannten mehr notdürftig geformt und mit einer magischen Kraft versehen, der ihr Leben verlieh.

Der Mann schwebte wie an einem Seil heruntergelassen direkt auf John zu. Der Fallwinkel war genau berechnet. Der Zusammenprall war unvermeidlich - auch von Seiten Johns, denn der ausgepumpte und ausgelaugte Mann konnte nur noch eins: stur in eine Richtung laufen. Das war das einzige, was sein starker Wille dem gemarterten Körper noch abverlangen konnte.

Noch im Fallen verwandelte sich der Mann in eine Schauergestalt, wie sie furchtbarer und bestialischer nicht mehr aussehen konnte.

Und die Verfolger kamen lautlos näher. Ihre Füße, die in Wirklichkeit gar keine waren, schienen nicht den Boden zu berühren.

Der Wind heulte in den Dachschindeln, und es war das einzige Geräusch außer denen, die John Holleway verursachte.

Der Zusammenprall kam, aber er verlief anders, als es sich der unsichtbare Puppenspieler wohl erhofft hatte. Bevor die Krallenhände des Furchtbaren zupacken konnten, glitten sie wieder ab. Etwas kratzte über Johns Gesicht. Es roch modrig und hinterließ eine dünne Blutspur. Dann wurde die Schauergestalt wie ein Ball weggeprellt und flog empor.

John Holleway war wieder frei.

Der Wind in der schmalen Gasse verstärkte sich noch. Die Gasse mit den dicht zusammengerückten Häusern wirkte fast wie ein Windkanal, der die Luftbewegung beschleunigte.

John kam ein Gedanke. Er drehte sich im Laufen herum.

Er hatte sich nicht geirrt. Der heftige Wind blieb nicht ohne Wirkung auf seine Verfolger.

Von dem Schmied war nichts mehr zu sehen. Er war weit zurückgeblieben. Nur die Unheimlichen aus dem Pub waren noch da.

John kannte die Gesichter, und er hätte die einzelnen Namen sagen können.

Mein Gott, dachte er verzweifelt, waren das denn immer solche Schauerwesen gewesen? Besteht am Ende das ganze Dorf nur aus solchen Menschen, die in Wirklichkeit keine sind? Aber warum haben sie nicht schon früher ihre Masken fallen gelassen?

Und er merkte, daß sich seine Gedanken in einer Sackgasse bewegten. Nein, so kam er nicht weiter. Es konnte nicht immer so gewesen sein. Es mußte etwas im Verlaufe des vergangenen Tages passiert sein, was von immenser Wichtigkeit war. Dieses Ereignis hatte alles verändert, hatte alles umgekrempelt.

Eine Sackgasse? Erst jetzt nahm dieser Gedanke Formen an. Ja, nicht nur seine Gedanken bewegten sich in einer Sackgasse, sondern auch er selber! Es gab kein Entrinnen mehr für ihn. Die Verfolger hatten ihn in die Enge getrieben.

Das ganze Dorf, das ganze Tal war eine Sackgasse, mit nur einem Zugang über den Minipaß, wie ihn John bei sich immer spöttisch nannte. Der Weg über den Paß aber war ihm verwehrt. Die Demonstration des Unsichtbaren, der seinen Wagen demoliert hatte, war eindrucksvoll und eindeutig genug gewesen. Er beherrschte den Zugang und Ausgang zum Dorf.

Johns Haus lag etwas außerhalb und erhöht. Von hier aus konnte er es fast sehen.

Es wurde deutlicher als je zuvor für ihn, daß es sinnlos war, wenn er das Haus erreichte.

Unwillkürlich verlangsamte sich sein Schritt.

Aber auch seine Verfolger wurden langsamer, wenn auch nicht freiwillig.

Der Wind, der wütend in Johns Haaren riß, machte den Unheimlichen zu schaffen.

In Wirklichkeit waren sie doch nur Strohpuppen, wenn sie auch jemand beseelt hatte. Der Wind trieb sie zurück. Einige vollführten grotesk anmutende Sprünge.

John Holleway hätte laut jubeln können. Allein, es fehlte ihm die Kraft dazu.

Er dankte dem Himmel und den Naturgesetzen, die diesmal auf seiner Seite standen und ihn vor dem Zugriff der Unheimlichen schützten.

Da hörte er Stimmen hinter seinem Rücken.

3

Sie wußten nicht, wieviel Uhr es war, als sie im Hotelzimmer angelangt waren. Der Portier am Empfang hatte sie noch ermahnt, leise zu machen, da es noch mehr Gäste gäbe.

Raymond Walsh hatte den Vorweg gemacht. Immer wieder hatte er den Mund gegen den erhobenen Zeigefinger gespitzt und Ruhe mahnend gezischt, was die anderen sehr lustig fanden.

Auch Guy Slayton hatte ordentlich geladen. Die beiden Mädchen kicherten ständig. Auf Zehenspitzen gingen sie nach oben.

Vor den Hotelzimmertüren verabschiedeten sie sich voneinander. Guy und Fran zogen sich auf ihr Zimmer zurück.

Bevor sie sich ins Bett legten, duschten sie noch. Es tat ihnen gut. Guy spürte, daß er wieder etwas nüchterner wurde, als er kurz das warme Wasser abdrehte. Die eisigen Strahlen traktierten wie tausend Nadeln seine Haut, so daß diese sich rötete. Fran tat es ihm anschließend gleich.

Nackt stand Guy Slayton am Fenster und blickte auf die nächtliche Straße hinunter. Ein nachdenklicher Zug war in seiner Miene entstanden. Er dachte über alles nach. Da war die Erzählung dieses Cummings. Wirklich nur sinnloses Geschwätz?

Guy grübelte, woher dieses seltsame Gefühl der Unruhe kam.

Er schüttelte benommen den Kopf, als er merkte, daß es noch nicht völlig verschwunden war. Er hatte vor dem kommenden Tag Angst, ohne es sich recht erklären zu können. Gab es wirklich so etwas wie Schwarze Magie? Waren alte Kräfte in diesem Dorf wiedererwacht, und spürte er, Guy Slayton, ihre Ausstrahlungen?

Bisher hatte er sich damit noch nie ernsthaft beschäftigt. Vielleicht wäre es ganz nützlich, das nachzuholen.

Und dann faßte Guy Slayton einen Entschluß, der bedeutsame Folgen haben würde.

Fran Nichols war fertig mit duschen. Im Bad hörte es auf zu plätschern. Die Chemiestudentin rumorte noch etwas herum. Dann trat sie ins Zimmer zurück.

Ihr Oberkörper war nackt. Um die wiegenden Hüften hatte sie ein Handtuch gebunden. Sie lächelte, und Guy wußte den Ausdruck ihrer Augen zu deuten. Ihm wurde unwillkürlich heiß, und er spürte, daß sich seine Männlichkeit regte.

Fran kam auf ihn zu. Der frische Duft ihrer Haut stieg ihm in die Nase und verwirrte seine Sinne.

Fran ließ das Handtuch zu Boden gleiten. Nackt, wie Gott sie geschaffen hatte, blieb sie vor ihrem Freund stehen.

Guy betrachtete ihren schlanken Körper. Die Schultern waren schmal, die Arme fast dürr. Der Busen war für die Gesamterscheinung eigentlich zu groß. Der Bauch wölbte sich leicht nach außen. Die Beine waren sehr lang.

Guy Slayton griff nach dem schönen Busen und knetete ihn sanft. Er merkte, wie sich der Atem des Mädchens dabei beschleunigte. Sie flog in seine Arme und preßte sich fest gegen ihn. Sie waren beide nackt, und so fielen sie auf das Bett. Für Minuten vergaß Guy den Ort namens Bredhouse und alles, was damit zusammenhing. In seinem Kopf hatten nur Gedanken Platz, die der Liebe gewidmet waren.

*

Die Bewußtlosigkeit hatte bestimmt nicht lange gedauert. Als John Holleway zu sich kam und langsam die Augen öffnete, lag er auf dem Rücken. Die Umgebung war verschwommen, als würde sie im Nebel liegen. Und in diesem Dunst schwammen Gesichter, die John undeutlich erkannte. Aber sie schreckten ihn nicht. Er fühlte lähmende Lethargie, die sich seiner bemächtigt hatte. Warum sollte er sich zur Wehr setzen? War nicht alles sinnlos geworden?

Er hörte Stimmen, scharrende Geräusche. Er vermochte es nicht, zu verstehen, was die Stimmen sprachen.

Und dann griffen Hände nach ihm. Die Gesichter schwangen hin und her. Sein Körper wurde in eine andere Lage gebracht.