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"Wer bist du wirklich?", fauchte er sein Spiegelbild an. Und die Antwort, die durch seinen Kopf flirrte, schien eher eine erneute Frage zu sein. "Th'Ragon?" ... Die Ragwin sind die friedliebenden Bewohner des Landes Elvard. Sie leiden unter der unbarmherzigen Knute eines grausamen Herrschers. Als einige von ihnen den Auftrag erhalten ihren Retter aus alten Legenden zu suchen, ahnen sie nicht, dass sie am Ende in den Kampf zweier ungleicher Brüder geraten... Ein ganzes Volk vertraut in seiner Verzweiflung einem Fremden, bei dem unklar scheint ob er der ist, für den sie ihn halten. Oder ist er am Ende der Unheilsbringer? Nichts ist nur Schwarz oder Weiß, dazwischen liegen unendliche Stufen von Grau. So gibt es auch hier nicht nur Gut und Böse, weder in der fiktiven, noch in der realen Welt. Der Auftakt einer spannenden Fantasy-Saga mit unterschiedlichsten Charakteren und einem Crossover zur Science-Fiction! Die Geschichte spielt in ferner Zukunft auf einer dennoch mittelalterlichen Welt, in die es unseren Helden verschlagen hat. Der Roman wendet sich vor allem an ältere Jugendliche und junggebliebene Erwachsene, die allesamt das Interesse an fantastischen Erzählungen teilen. "Kannte den Autor bisher gar nicht. Aber Th'Ragon ist echt toll. Spannend und manchmal auch witzig. Ich hoffe, dass es ganz, ganz schnell eine Fortsetzung gibt."(Leser) "...Das ist eine Geschichte nach meinem Geschmack und ich hoffe, dass ein paar der Charaktere auch in späteren Romanen wieder auftauchen... " (Leserin) Th'Ragon ist binnen fünf Wochen nach Veröffentlichung auf einen der vorderen 3000 Plätze von über 50.000 Titeln bei Amazon gestiegen.
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Seitenzahl: 883
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Lorne King-Archer
Th'Ragon
- Der vergessene Krieger -
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Widmung
Karte Elvards aus alten Aufzeichnungen…
Verlorene Erinnerungen
Elvard
Die Botschaft
Beschlüsse und Pläne
Schmieden und studieren
Erinnerungen
Resultate
Der Aufbruch
Die Brücke von Corning
Die düstere Ebene
Das Lager
Die Mission geht weiter
Padleys Weg
Rückkehr ins Leben
Ein neuer Gefährte
Cladd
Erinnerungen
Fast vergessene Signale
Unerwünschte Begegnung
Der Ragwin
Eine ungewisse Zukunft
Die Festung
Feindkontakt
Gorrn
Die Verfolger
Noch mehr Trolle
Zwei ungleiche Paare
Aufstand
Alte Erinnerungen
Auf dem Fluss
Das Tal der Ödnis
Gefahr am Himmel
Verlust eines Gefährten
Drachenfeuer
Zwei Schmiede
Drachenkind
Vor dem letzten Kampf
Ungleiche Brüder
Ein alter Gefährte
Der Tyrann ist tot
Danksagung
Impressum neobooks
„Für meinen Funkelstern,
der immer an meiner Seite
weilt und mir ein strahlendes Licht
in jeder Stunde ist.“
Er saß an dem rechteckigen, kleinen Tisch in dem Raum, den sie ihm als Quartier zugewiesen hatten. Oder war es eher seine Zelle? Immerhin war er ja nicht freiwillig hier. Sie hatten ihn außerhalb von Hulgen aufgegriffen und einfach mitgenommen.
Mit aufgestützten Ellenbogen raufte er sich sein langes schwarzes Haar und kniff die Augen zusammen. Wenn er sie jetzt wieder öffnen würde, wäre dann einfach alles vorbei? Nur ein schlimmer Alptraum?
Wohl nicht. Vor ihm stand immer noch der metallene Becher mit der dampfenden, schwarzen Flüssigkeit. Nur, dass sie mittlerweile nicht mehr dampfte und bestimmt nur noch lauwarm sein durfte. Aber egal, er hatte sie eh nicht angerührt. Er hatte weder Appetit noch Durst, obwohl sie ihm alles Erdenkliche angeboten hatten.
Sein Blick fiel auf die rechteckige, kleine Tafel mit der matten Oberfläche, die auf dem Tisch lag.
Wie hatten sie das genannt?Daten-Pad?
Ein Begriff, der ihm völlig fremd sein müsste – aber er war es nicht. Und darauf sollte sich quasi seine komplette Vergangenheit befinden? Gespeichert hatten sie es genannt und irrsinniger Weise konnte er mit dem Begriff sogar etwas anfangen.
Warum?, dacht er. Haben die am Ende doch recht und ich bin dieser, dieser…? Wie war der Name?
Er schüttelte den Kopf und stand auf, weil es ihm nicht einfallen wollte… oder er diese Erinnerung einfach nur ablehnte.
Neben der sehr spärlichen Einrichtung gab es in dem Raum eine Waschgelegenheit mit einer spiegelnden Fläche in der Wand darüber.Er blieb davor stehen und sah sich selbst aus stahlblauen Augen an, die in einem kantigen Gesicht mit energischen Zügen standen. Ein großer Mann Mitte dreißig.
„Wer bist du wirklich?“, fauchte er sein Spiegelbild an.
Und die Antwort, die durch seinen Kopf flirrte, schien eher eine erneute Frage zu sein.
Th’Ragon?
Einige Wochen zuvor…
Mit ruhigen und gleichmäßigen Schritten folgte Burt Walden dem makellos sauberen Korridor, wobei die Absätze seiner polierten, schwarzen Stiefel ein gleichmäßiges Klacken auf dem mattgrau schimmernden Fußboden verursachten. In exakt gleichen Abständen waren Leuchtflächen in die Decke eingelassenen und erhellten die Umgebung gerade soweit, dass alles ausreichend mit Licht versorgt wurde, aber ohne zu blenden. Das war der Möglichkeit einer eventuellen Notsituation geschuldet, in der es fatal gewesen wäre zu viel oder zu wenig Licht zu haben. Eben Dinge, die an Bord eines Raumschiffs ebenso notwendig, wie unvermeidlich waren.
Er folgte der leichten Linksbiegung des Korridors, der dahinter nach nur wenigen Metern vor einer schlichten Metalltür endete.
Walden blieb davor stehen und strich noch einmal ein paar imaginäre Falten aus seiner dunkelblauen Uniformjacke und überzeugte sich davon, dass die vier dünnen, graumelierten Zöpfe hinter seinem linken Ohr geordnet über seine Schulter fielen. Erst nachdem er mit seiner äußeren Erscheinung zufrieden war, presste er seine rechte Handfläche gegen die etwa dreißig Zentimeter im Quadrat messende, leicht schimmernde Fläche neben dem Eingang.
Die Tür glitt mit einem kaum wahrnehmbaren Zischen zur Seite und gab den Weg auf das Observationszimmer des medizinisch-technischen Labors frei. Ein etwa zwanzig Quadratmeter großer Raum, mit einer durchgehenden und nach außen geneigten Sichtscheibe auf seiner linken Seite, der den typischen Geruch nach Desinfektionsmitteln, Arzneien und anderen Chemikalien verströmte.
Hinter dem einzigen Schreibtisch saß eine junge Uniformierte, die bei seinem Eintreten sofort aufsprang und zackig salutierte.
„Captain Walden!“, begrüßte sie ihn, vorschriftsmäßig.
Er winkte eher lässig ab und überlegte, ob er ihr Gesicht einordnen konnte, ohne auf das Namensschild an ihrer Uniformjacke schauen zu müssen. Ein kurzer, feuerroter Zopf lugte hinter ihrem linken Ohr hervor, der darauf schließen ließ, dass sie ihren Rang noch nicht lange innehatte. Das half seinem Gedächtnis auf die Sprünge.
„Fähnrich Selus?“
„Jawohl Sir!“
Walden konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Die junge Frau erinnerte ihn daran, wie er zu seiner Kadettenzeit gewesen war, was mittlerweile schon eine gefühlte halbe Ewigkeit zurücklag.
„Entspannen sie sich und stehen sie bequem.“
Selus quittierte das mit einem energischen Kopfnicken und versuchte zumindest den Anschein zu erwecken, nun wirklich eine etwas entspanntere Haltung einzunehmen, was ihr aber nicht wirklich gelang.
„Doktor Horn hat mir eine Nachricht auf die Brücke geschickt. Demnach sind die Untersuchungen soweit abgeschlossen. Ist er in seinem Büro?“
„Tut mir leid Captain, der Doktor ist in seinem Quartier. Sein Dienst ist seit einer halben Stunde vorbei. Soll ich ihn holen?“
Walden rieb sich mit der Hand das kantige Kinn, überlegte nur kurz und schüttelte dann den Kopf.
„Ich denke das wird nicht nötig sein, wenn sie mir ebenfalls Bericht erstatten können. Können sie?“
„Selbstverständlich, Captain Walden. Doktor Horn und ich haben die Untersuchung gemeinsam durchgeführt.“
„Sehr schön, dann legen sie mal los…“
Während Selus begann, diverse Dateien auf den großen Wandschirm zu laden, schritt Walden an die Sichtscheibe heran. Sie bot ihm Einblick in den eine Ebene tiefer liegenden Operations- und Untersuchungssaal des Schiffes. In der Mitte des mit diversen Diagnosegeräten ausgestatteten Raumes lag, ausgestreckt auf der OP-Liege, der Körper eines humanoiden Wesens. Es war aber nicht viel größer als ein menschliches Kind, vielleicht einen guten Meter groß. Allerdings waren seine Proportionen etwas anders. Verglichen mit einem Menschen hatte es deutlich längere Beine, also nicht ungefähr in einem Verhältnis fünfzig zu fünfzig, sondern eher sechzig zu vierzig. Die Gesichtszüge wirkten allerdings eindeutig erwachsen, wie die eines vielleicht Dreißigjährigen und auch sonst unterschied es sich äußerlich nicht von einem Menschen.
Walden riss sich wieder von dem Anblick los, als sich Selus leise hinter ihm räusperte. Er wandte sich ihr wieder zu und machte eine auffordernde Geste.
„Nun Sir, die Wesen nennen sich selbst Ragwin und sind nach Angaben unseres Probanden, dessen Name übrigens Gwim Pineland lautet, seit jeher Einwohner des Landes, das sie Elvard nennen. Mehr scheinen sie von ihrem Planeten aber auch nicht zu kennen.“
„Was wissen wir über dieses Land, Elvard?“
Selus’ Finger flogen behände über die Sensorfelder auf ihrem Schreibtisch und riefen damit eine Orbitalaufnahme der Landmasse auf. Ein paar weitere Fingertipps ließen Beschriftungen und Markierungen in verschiedenen Farben darauf erscheinen.
„Aus unseren eigenen Scans und dem Ergebnis der Befragung konnten wir folgendes Bild ermitteln: Elvard ist durchaus als reich und üppig zu bezeichnen, zumindest in Bezug auf die recht urwüchsige Natur. Im Westen liegt der Rh’Thannische Ozean. In weiten Teilen des Ostens und des Nordens gibt es ziemlich unwirtliche Gebirgsmassive. Zum einen Gar’Khans-Wall und dieses hier, mit dem wie eine Klaue geformten nördlichen Ausläufer, wird Ngushias Arm genannt.“, führte Fähnrich Selus aus, die nun direkt vor dem Wandschirm stand und ihre Erklärungen untermauerte, indem sie immer wieder auf die eine oder andere angesprochene Stelle deutete.
„Interessante Namensgebungen und eine leicht kompliziert Sprache?“, mutmaßte Walden.
„Richtig Sir. Es war nicht ganz einfach eine Verständigung mit dem Ragwin herzustellen. Aber ein paar kleinere, neurale Eingriffe waren durchaus hilfreich. Die Namen sind übrigens zum Teil auf die Mythologie der Ragwin zurückzuführen, ihre Götter wenn man so will.“
„Ah verstehe, bitte fahren sie fort…“
„Nun, die südlichen Grenzländer, hier unten, sind weite fruchtbare Ebenen. Dahinter beginnt ein Land, dass die Ragwin Galgard nennen, das ihnen aber offenkundig weitgehend unbekannt ist. Für sie also noch ein weißer Fleck auf ihrer Welt, wenn man so will. Wir sehen da ja durchaus mehr. Insgesamt haben wir eine West-Ost-Ausdehnung von 2100 Meilen und in Nord-Süd-Richtung von rund 1400 Meilen. Darüber hinaus gibt es zumindest drei größere Flüsse, die eine nicht unwichtige Rolle spielen, da die meisten Ragwin-Siedlungen an ihren Ufern angelegt wurden. Das wären einmal der Ph’Dang, der Ph’Drahn und der Ph’Ling, die übrigen sind eher unbedeutend.“
Walden schmunzelte.
„Diese Namen sind durchaus dazu angetan einem einen Knoten in die Zunge zu zaubern, oder?“
„Äh, tatsächlich Sir, aber man gewöhnt sich daran…“
Der Captain zog sich den freien Stuhl der am Schreibtisch stand ein wenig vor, ließ sich gemessen darauf nieder und bedeutete Selus es im gleichzutun. Der Fähnrich folgte seinem Angebot aber nur sichtlich zögernd. Sie war es vermutlich nicht gewohnt in Gegenwart eines vorgesetzten Offiziers sitzen zu dürfen.
Aber Walden machte es zunehmend nervös, dass sie dauernd vor ihm hin- und herlief.
„Nun, was hat unser Gast in unserer Angelegenheit preisgegeben?“, fragte er sie.
Selus räusperte sich und griff nach dem vor ihr auf dem Schreibtisch liegenden Pad mit ihren Aufzeichnungen. Sie überflog die ersten Zeilen mit gerunzelter Stirn und räusperte sich noch einmal.
„Er hat uns von diversen Legenden berichtet, die unsere bisherigen Vermutungen untermauert haben. Darüber hinaus gab es in der jüngeren Vergangenheit Ereignisse, die ebenfalls dafür sprechen.“
Jetzt erhöhte sich Waldens Aufmerksamkeit und er beugte sich gespannt ein wenig vor.
„Und die Oberflächen-Scans? Was haben sie ergeben?“
Selus holte tief Luft.
„Es ist nach all dieser Zeit kaum zu glauben, aber die Bio- Signaturen sind mit fast fünfundneunzig Prozent so gut wie sicher…“
Walden war sprachlos. Einen Moment blieb er einfach schweigend sitzen und grübelte, wobei tiefe Falten seine Stirn durchzogen. Schließlich stand er auf und verließ das Observationszimmer. Auf dem Weg zur Tür rief er Selus noch einen kurzen Dank zu, dann war er wieder auf dem Korridor.
Er würde sich jetzt mit der Planung der Außenmission beschäftigen müssen. Das war alles so unwahrscheinlich, wie es nur hätte sein können…
Die strahlende Sonne hatte ihren Zenitstand noch nicht ganz erreicht, aber die Mittagsstunde rückte schnell näher. Es war ausgesprochen warm für diese Jahreszeit und die Luft trocken. Eine leichte Brise strich durch die Wipfel der hohen Cossabäume und erzeugte ein andauerndes, leises Rauschen und Rascheln, das sich mit dem Zwitschern der Vögel vermischte.
Padley Barleycorn stand in seinem Heim und blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Schwarzes, langes Haar umrahmte sein energisches Gesicht mit dem kleinen Kinnbart und mit seiner Größe von fast vier Fuß war er ein wahrer Hüne für einen Ragwin. Sein Haus war klein und bestand wie die meisten Häuser des Dorfes Fildrem nur aus drei Räumen. Einer größeren Wohnstube mit dem Kamin und der Kochstelle, einem kleinen Schlafgemach und einem Vorrats– und Lagerraum. Die einzelnen Kammern waren durch offene Durchgänge miteinander verbunden und hatten keine Türen. Nur vor dem Schlafraum hing ein schweres Tuch aus dunklem, gewebtem Stoff. Padley war durchaus stolz auf sein Haus. Es war aus gutem, langlebigem Holz gebaut und gegen Wind, Regen und Kälte mit Häcksel und Flussschlamm verputzt. Das Dach hatte er selbst gedeckt, mit einer vielschichtigen Lage aus miteinander verflochtenen, belaubten Cossaästen. Die hielten etliche Jahre und er musste wirklich nur gelegentlich einmal nachbessern, so wie nach dem letzten großen Unwetter. Padley schaute gerne hinaus und ließ seinen Blick umherschweifen.
Gleich hinter dem Haus begann ein großes Kornfeld, dessen Ähren wie ein goldenes Meer im stetigen Wind wogten. Ihm kamen die Zeilen aus einem alten Buch in den Sinn, das er vor vielen Jahren einmal gelesen hatte.
Wir sind alle wie die Halme auf dem Feld; vom Wind des Schicksals umspielt und seiner Kraft ausgeliefert, hatte da gestanden. An den Verfasser konnte er sich nicht mehr erinnern, aber irgendwie passten seine Worte zu diesem Anblick.
Padley schreckte aus seinen Gedanken auf, als es an der Tür laut und hektisch klopfte. Er wandte sich vom Fenster ab, nahm die Pfeife aus dem Mund, die er eigentlich noch gar nicht richtig angezündet hatte, und legte sie auf der flachen Kommode ab. Rasch durchquerte er den Raum und öffnete die Tür. Draußen, auf der nur wenige Schritte breiten Veranda, stand sein ältester Freund Boggy Grainfield.
„Hallo, ich grüße Dich.“, sagte Padley erfreut und lächelte seinen Besucher an.
Boggy nickte nur kurz, wobei sein schon etwas lichtes, braunes Haar hin und her flog. Er schien aufgeregt zu sein und keuchte, als sei er gerannt. Seine Hände fuhren nervös über sein Hemd und versuchten erfolglos ein paar Falten zu glätten.
„Komm mit Padley! Ein Scherge unseres wunderbaren, selbsternannten Herrschers ist auf dem Weg zum Dorf.“, sagte er und Sarkasmus klang in seiner Stimme mit.
„Wir haben schon vor ein paar Augenblicken erfahren, dass er kommt. Der Sohn vom alten Huggley kam wie der Wind aus Corning herüber und hat es den Ältesten berichtet. In Corning war der grässliche Mensch bereits heute Morgen. Ich glaube unsere Brüder und Schwestern versammeln sich schon auf dem Dorfplatz.“
„Was will denn dieser verfluchte Nachthund von uns? Wäre das erste Mal, dass ein Handlanger Kh’Rhyboks mit guten Nachrichten käme...“ Padley spie aus.
„Ich weiß es nicht Pad, aber wir werden es sobald nicht erfahren, wenn du dich nicht von der Stelle bewegst und mitkommst!“
„Ja, ja, ist ja schon gut...“, schnaubte Padley, wobei er die Augen verdrehte.
Er ließ es sich aber nicht nehmen noch einmal zur Kommode hinüber zu laufen. Dort nahm er seine Pfeife an sich und steckte das abgegriffene, lederne Tabaksäckchen hinter seinen Gürtel. Geschickt fischte er einen glimmenden Span aus dem langsam erkaltenden Kamin und entzündete seine geliebte Pfeife, die er irgendwann heute nach dem Aufstehen bereits gestopft hatte. Er tat ein paar tiefe, genussvolle Züge, verließ dann aber gleich das Haus und zog die Tür hinter sich zu. Boggy war bereits ein Stück vorausgelaufen, verlangsamte aber seine Schritte, damit sein Freund aufschließen konnte.
Da Padleys Haus weit am Rande lag, führte sie ihr Weg nun fast durch ganz Fildrem. Der Ort mit den kleinen, geduckten Häusern lag direkt am Rande des großen Frindel-Forstes und war ansonsten fast komplett von weitläufigen Getreidefeldern umgeben.
Trotz der Wärme der nahen Mittagsstunde war die Luft, die durch die Gassen strich, frisch und würzig. Aus den Heimen der Ragwin drang der Geruch von Holzfeuern und heißem Essen in ihre Nasen.
Padley überlegte… Dem Grunde nach lebten die Ragwin schon seit Generationen hier; zumindest so lange er denken konnte. Sie waren zu einer verschworenen Gemeinschaft verschmolzen, auch mit den anderen Dörfern. Das mochte auch an ihrem Glauben an die tiefe Erdverwurzelung allen Seins liegen und an ihrer bodenständigen Art.
Das Volk der Ragwin wurde von den Menschen wegen ihres geringen Wuchses immer wieder als die Kleinen Bauern bezeichnet. Kein Ragwin hörte diesen Namen gerne, aber verglichen mit den Menschen wurde kaum einer von ihnen größer als ein vielleicht fünfjähriges Menschenkind. Allerdings waren sie eindeutig ausdauerndere Wanderer und Läufer. Nicht so, wie diese kurzbeinigen Menschen mit ihren merkwürdigen Proportionen. Aber so unterschieden sie sich halt…
Die Ragwin bauten mit einigem Erfolg und Stolz Getreide und Gemüse an, während die Viehzucht nicht so ihre Domäne war, wobei ein paar Einwohner von Borbath sich redlich bemühten ein paar Nutztiere zu halten. Aber die Wälder boten ja auch ausreichend Jagdmöglichkeiten, so dass es dafür auch nie eine dringliche Notwendigkeit gegeben hatte. Insgesamt hätten sie alle also sehr wohl in Frieden und Ruhe ein erfülltes und arbeitsames Leben führen können, wenn da nicht Kh’Rhybok gewesen wäre.
Dieser Tyrann, beutete die Ragwin aus und hatte sich bereits vor Jahren selbst zum Herrscher über alles Leben in Elvard erhoben. Und der Kraft und der Macht der Menschen hatten sie leider nichts entgegenzusetzen.
Die Ragwin waren fest davon überzeugt, dass Kh`Rhybok ein Verirrter, ein armer Entwurzelter sein musste, der jede Achtung vor der Erdschöpfung verloren hatte und dem es an Bodenständigkeit fehlte.
Kurz gesagt:Ein gefährlicher Irrer!, dachte Padley.
Und nun sandte eben dieser seinen Diener; seinen Schergen. Wieder einmal ... und das verhieß leider niemals etwas Gutes.
~
Als die beiden Freunde auf dem Dorfplatz eintrafen, hatte sich dort bereits eine ansehnliche Traube von Bewohnern gebildet.
„Seht mal, da kommen Padley und Boggy!“ rief jemand aus der Menge. Ein rothaariger, dicklicher Kerl, dessen Name Padley gerade nicht einfallen wollte.
„Es wurde auch Zeit“, sagte ein anderer älterer Ragwin mit ergrauten Schläfen, als er den beiden ein wenig Platz machte. Er deutete zum anderen Ende des Platzes.
„Da kommt gerade Kh’Rhyboks verdammter Aasfresser angeschlichen.“
Padley und Boggy gesellten sich zu den anderen und blickten dem sich ohne große Eile nähernden Boten mit einem flauen Gefühl in der Magengegend entgegen.
Die Menge wurde unruhig, als er den Rand des Platzes erreichte. Leises Gemurmel und ein Raunen zogen wie Wellen durch die Reihen. Teils finstere und teils verängstigte Blicke wanderten umher. Eine Aura der Feindseligkeit schwängerte die Luft um Padley herum und ließ ihn ein wenig frösteln.
Er betrachtete den Mann der nun vor ihnen stehengeblieben war und sich zu seiner vollen Größe aufrichtete. Ein Mensch von fast sechs Fuß Größe. Alte Legenden sagten, dass die Menschen nur durch eine unglückselige Fehlleitung der Natur aus den Ragwin hervorgegangen waren; wenn man ihn so ansah, mochte man das kaum glauben. Vermutlich war das auch völliger Unsinn…
Der Mann war kantig und dürr und konnte mit seinem pockennarbigen Gesicht nicht anders als einfach nur als hässlich bezeichnet werden.
Ungelenk erklomm er einen herumliegenden Hackklotz und warf dabei seinen braunen, derben Umhang zurück. Vielleicht wollte er sich einen besseren Überblick verschaffen, was angesichts seiner Größe ein völlig überflüssiges Unterfangen war. Die Wahrscheinlichkeit sprach dafür, dass er damit nur einen Zweck verfolgte, nämlich Überlegenheit zu demonstrieren. Schließlich vertrat er hier die Macht Kh’Rhyboks; als seine rechte Hand sozusagen.
Der Kerl räusperte sich.
„Schweigt!“, rief er mit einer trockenen, heiseren Stimme, die für einen Mann seiner Statur viel zu hoch erschien.
Er unterstrich dies mit einer Handbewegung, die klar machte, dass er keinen Widerspruch dulden würde.
Fast schlagartig verstummten daraufhin die anwesenden Ragwin und viele Augenpaare wandten sich ihm zu.
„Ich habe im Namen unseres geliebten und gerechten Herrschers eine Mitteilung zu machen.“
Er räusperte sich abermals und zog ein Pergament aus einer abgewetzten Gürteltasche, das er sorgsam entfaltete und dicht vor seine zusammengekniffenen Augen hob, wahrscheinlich weil er schlecht sah.
„Es ist eine Nachricht für dich!“, sagte er und deutete mit der rechten Hand auf Guntrall Earthland, den Dorfältesten.
„Also höre gut zu!“
Ich, Kh’Rhybok, Herrscher der bekannten Lande verfüge, dass ab heute und für die Zukunft zwei Drittel eures Ernteertrages als Steuer an mich abzuführen sind.
Als großzügige Gegenleistung biete ich Dir und den Deinigen auch weiterhin ein Leben unter meinem Schutz an. Wie ein Vater werde ich meine Hand über Euch halten und sie soll Euch ein Dach des Schutzes sein. Doch wenn Ihr meine Großmut ausschlagt und Euch verweigert, wird sie sich zur Faust ballen und Euch in den Dreck stampfen.
Ewige Verderbnis wird Euer Land überkommen, die Ernten werden verfaulen. Tod wird Euch ereilen.
„Aber lest selbst…“, schloss der Mann seinen Vortrag. „Ich will euch den Erlass nicht vorenthalten“.
Mit diesen Worten warf er das Pergament dem Ältesten und den Dorfbewohnern vor die Füße.
Ein aufgebrachter, junger Mann stürzte hervor, sichtlich außer sich vor Wut und stieß den Menschen von dem Holzklotz.
„Halsabschneider! Ausbeuter! Wovon sollen wir dann leben?“, schrie er.
Unerwartet behände kam der Mensch wieder auf die Füße. Er packte den Angreifer am Kragen und hob ihn wie ein Spielzeug in die Luft.
„Was sagst du da, du stinkende, kleine Kröte?“, fragte er und seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Die anderen starrten wie gelähmt vor Entsetzen auf die sich abspielende Szene; unfähig etwas zu tun.
„Dein verdammter Herrscher ist ein ekelhafter Parasit, der sich auf unsere Kosten fett frisst!“ brüllte der zappelnde Ragwin und spie dem Mann ins Gesicht.
„Hör zu du lebensmüder Gartenzwerg; für deine Frechheit sollte ich dein wertloses Leben hier und jetzt auf der Stelle beenden. Aber Kh’Rhybok ist zu gnädig und ich musste ihm versprechen jede Konfrontation mit euch zu vermeiden. Das ist dein Glück!“ Mit diesen Worten stieß er den Ragwin von sich und der junge Mann landete schwer am Boden, wo er sich ächzend auf die Seite rollte.
Der Mensch wischte sich angewidert mit dem Ärmel den Speichel aus dem Gesicht.
Er wandte sich wortlos ab und stapfte davon.
„Sag Kh’Rhybok, dass Jeppy Wheatland keine Angst vor einem Blutegel hat!”, knurrte der am Boden liegende Ragwin.
Kh`Rhyboks Bote blieb noch einmal abrupt stehen und drehte den Kopf mit gebleckten Zähnen zu Jeppy herum.
„Das werde ich! Darauf kannst du dich verlassen! Eines kann ich dir versichern; er wird das nicht einfach so hinnehmen. Wer ihn kennt, weiß dass er Beleidigungen nie vergisst und nie vergibt. Er liebt es, sich ausgiebig zu rächen. An deiner Stelle würde ich im Dunkeln keinen Schritt mehr vor die Tür setzen, zumindest wenn dir an deinem wertlosen Leben etwas liegen sollte.“
Jeppy war totenblass geworden und feine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.
„Keine Angst, wie?!“, höhnte der Mensch und grinste, wobei er abermals seine schiefen, gelben Zähne entblößte und warf Jeppy einen Blick zu, als hätte er in eine faule Rakata-Nuss gebissen.
Er spie aus und wandte sich nun endgültig ab. Raumgreifend schritt er aus und war kurze Zeit später aus ihrem Sichtfeld verschwunden. Niemand wusste wohin er ging, denn niemand hatte je herausfinden können, wo überhaupt Kh’Rhybok seinen Sitz, seine Festung oder was auch immer hatte. Alle, die je versucht hatten dies zu ergründen, waren niemals zurückgekehrt.
Padley war mittlerweile zum jungen Jeppy hinübergelaufen und kniete sich neben ihm nieder.
Er legte seine Hand auf dessen Schulter und drückte sie leicht.
„Das hättest du nicht tun sollen du Hitzkopf!“
„Er wird mich umbringen“, murmelte Jeppy der sich mühsam auf die Füße stemmte und wie in Trance den Staub von seiner Kleidung klopfte.
Verstört schlurfte er davon. Padley wollte ihm noch etwas nachrufen, doch er bezweifelte, dass Jeppy im Moment für Aufmunterungen empfänglich war. Also hielt er lieber den Mund und schaute ihm nachdenklich hinterher. Schließlich schüttelte er den Kopf und verließ ebenfalls den Platz, wobei sich ihm Boggy Grainfield wortlos anschloss.
Nach und nach zerstreuten sich auch die anderen wieder; viel zu entsetzt und unfähig zu sprechen. So verstrich der Tag ohne die sonst üblichen fröhlichen Gespräche, ohne Gelächter und ohne dass spielende Kinder in den Gassen zu sehen gewesen wären. Fildrem steuerte einem Abend düsterer Stimmung und einer eben solchen Nacht entgegen...
~
Am nächsten Morgen wurde Padley sehr früh und vor allem jäh aus dem Schlaf gerissen. Der Nachhall eines tiefen Donnergrollens drang an seine Ohren und war noch als deutliches Vibrieren zu spüren, als er blinzelnd die Augen aufschlug. Brummend und benommen wälzte er sich aus seinem Bett, wobei er die Wolldecke zu Boden riss, in der er sich irgendwie verfangen hatte. Mehr mühsam befreite er seinen Fuß und schlurfte hinüber zum Fenster. Mit der linken Hand schob er den Vorhang zur Seite, während seine Rechte erfolglos versuchte den Schlaf aus seinen Augen zu reiben.
Es war noch nicht einmal richtig hell draußen und Schwaden von Frühnebel zogen träge durch das Dorf. Ein eigenartiger, schwefeliger und auf unbeschreibliche Weise sehr unangenehmer Geruch drang mit der Morgenkühle herein und ließ seinen nüchternen Magen dabei leicht rebellieren. Unwillkürlich fuhr sein Handrücken unter die Nase. Es schien, als wäre die Sonne gerade erst aufgegangen, so dass vor dem Haus noch ein diffuses Zwielicht herrschte, während von irgendwo her Stimmen zu ihm durchdrangen. Padley beschloss kurzerhand nachzusehen, was da los war. Er zog sich rasch etwas über und fuhr einmal mit der angefeuchteten Hand durch sein Haar. Er verließ das Haus nicht, ohne zu seiner erloschenen Pfeife zu greifen und sie in den Mundwinkel zu verfrachten.
Noch leicht schlaftrunken ging er durch den Ort; immer den Stimmen folgend.
Vor Falkney Wheatlands Haus traf er auf eine ganze Reihe andere Dorfbewohner, die sich alle um eine Stelle herum drängten. Unter gemurmelten Entschuldigungen und flüchtigen Morgengrüßen schob er sich zwischen ihnen hindurch. In der Mitte der Menge fand er, von den anderen umringt, Falkney und Mindera Wheatland. Beide hockten am Boden, vor einem rauchenden Häufchen aus Asche. Mindera hatte ihre Finger schmerzhaft in den Oberarm ihres Mannes gegraben, der es aber gar nicht zu spüren schien oder die Schmerzen, die das sicherlich verursachen musste, einfach ignorierte. Tränen standen in seinen Augen und sein Gesicht hatte alle Farbe verloren; wirkte gerade jetzt grau wie der Nebel.
„Was ist denn hier geschehen?“, fragte Padley und es keimte bereits ein böser Verdacht in ihm auf.
„Jeppy, mein Sohn...“, krächzte Falkney und seine Hände deuteten zitternd und fahrig auf das rauchende Häufchen.
„Mein Junge!“, schluchzte Mindera verzweifelt.
Der Klang ihrer Stimme ließ Padley fürchten, sie könne jeden Moment den Verstand verlieren.
„Bei allen Göttern und Dämonen Elvards, wie ist das möglich?“, flüsterte er und seine Stimme stand kurz davor ihm den Dienst zu versagen.
Etwas legte sich wie eine Hand um seinen Hals und nahm
ihm die Luft. Er war bis ins Mark erschüttert. Seine Finger tasteten zittrig nach seiner Pfeife, nahmen sie ohne sein bewusstes Zutun aus dem Mund und ließen sie irgendwo in einer Hosentasche verschwinden.
Guntrall Earthland, der Vorsitzende und Älteste des Rates, schob sich schnaufend an Padleys Seite. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. Padley sah ihn an und registrierte erst jetzt wirklich wieder die anderen Personen um ihn herum. Die Berührung der Hand ließ seinen Geist aus einer Welt rasender Gedankenfetzen in die kühle, morgendliche Wirklichkeit zurückkehren.
„Das…“, sagte Guntrall und deutete auf die Asche zu ihren Füßen „ …war die Rache Kh’Rhyboks! Du hast gehört, was dieser verfluchte Mensch gestern gesagt hat!?“
„Ja verdammt!“, knurrte Padley.
Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er stieß Guntralls Arm zur Seite.
„Beruhige dich Junge! Wir können es nicht mehr ungeschehen machen. Kein Sterblicher bringt aus Staub und Asche wieder Leben hervor, wenn es erst einmal verloren ist.“
„Viel zu viel, ist viel zu oft, an zu vielen Orten und zu vielen Ragwin geschehen! Wir müssen endlich etwas unternehmen! Das hört jetzt auf!“ Die letzten Worte schrie Padley beinahe.
„Du hast völlig recht.“, stimmte Falkney zu, der jetzt an ihrer Seite stand.
Mindera war nicht mehr zu sehen. Vielleicht war sie ins Haus zurückgegangen und suchte Trost im Allein-Sein.
„Was denkst du denn, was wir tun könnten?“, fragte Guntrall Earthland mit einer Stimme, die von Bitterkeit gezeichnet und dünn wie Blech war.
„Ich habe noch keine konkrete Idee, aber ich weiß, dass ich nicht länger erdulden kann, was hier mit uns geschieht. Irgendetwas wird mir schon einfallen.“ Padley sprach leise und mit gesenktem Kopf.
Guntrall ergriff ihn bei den Schultern und diesmal ließ Padley ihn gewähren. Ihre Blicke trafen sich.
„Siehst du, mir geht es ebenso wie dir! Wir alle suchen seit Jahren nach einem Ausweg. Denkst du wir hätten ihn nicht schon längst beschritten, wenn wir ihn gesehen hätten?! Alle Bewohner Fildrems sind bestürzt, zornig und aufgebracht über dieses Unglück und wollen Vergeltung und ein Ende all dessen, genau wie die alle anderen Ragwin auch! Wir müssen aber auch einsehen, dass wir alleine weder zahlen- noch stärkemäßig etwas gegen Kh’Rhybok unternehmen können. Jeder Versuch würde doch nur unser sicheres Ende bedeuten!“
„Das Abwarten und das Schweigen bedeutet ebenfalls unser Ende!“, knurrte Padley.
„So oft habe ich mir schon den Kopf zermartert. Aber ich weiß einfach nicht, was wir unternehmen sollen!“
„Guntrall, wir müssen darüber beratschlagen. Wir alle hier im Dorf. Wir müssen eine Lösung finden.“
Guntrall spürte wie wichtig seinem Gegenüber dieses Anliegen war und wie sehr es ihn drängte etwas zu verändern.
„Padley, ich sehe leider keinen Ausweg aus unserer Situation. Sicher ist Kh’Rhybok ein schlimmer Tyrann und eine ernste Bedrohung. Doch was sollen wir denn tun?“
Guntrall senkte den Kopf und schien kurz nachzudenken. Schließlich seufzte er resigniert.
“Ich werde eine Versammlung des Ältestenrates einberufen. Sei bitte dabei mein Guter. Ich werde dich rechtzeitig rufen lassen.“
Damit wandte er sich von Padley ab und schob Falkney auf dessen Haus zu, in dem sie beide zusammen kurz darauf verschwanden.
Ich hoffe du kannst ihm Trost spenden, dachte Padley.
„Und du, Kh’Rhybok...“, und das sprach er laut und für alle hörbar aus. „...solltest wissen, dass du zu weit gegangen bist! Ich bereite dem ein Ende. Bei den Dämonen des Feuers; und wenn es das Letzte ist was ich tue!“
Er stapfte los, um zu seinem Haus zurückzukehren. Dass die Sonne mittlerweile vollends aufgegangen war bemerkte er nicht einmal. Auch nicht die allmählich verfliegenden letzten Nebelschwaden...
Der Tag nach Jeppys Tod war irgendwie vergangen, so wie Sand durch die Uhr rinnt, kontinuierlich und unaufhaltsam. Niemand hatte viele Worte gewechselt. Nur ganz wenige konnten ihrer Arbeit mit dem gewohnten Elan nachgehen. Viel zu tief saß der Schock in den Gliedern der Ragwin.
Der Rat aus Corning hatte eine Beileidsbekundung senden lassen und alle nur erdenkliche Hilfe angeboten, nachdem Huggleys Sohn die Hiobsbotschaft dorthin überbracht hatte. Mittlerweile würde er sicherlich auch schon Kastal erreicht haben und danach auch noch die anderen Dörfer aufsuchen.
Nun war es bereits früher Abend und die Mitglieder des Rates fanden sich allmählich einer nach dem anderen zusammen.
Die letzten Strahlen der Sonne lugten über den Horizont und tauchten den Himmel in ein langsam dunkler und blutiger werdendes Orangerot. Die Hitze des Tages verblasste ohne eine Erinnerung an Wärme zu hinterlassen. Die Sommer in Elvard waren schon immer charakteristisch für ihre heißen Tage und die kühlen Nächte gewesen. Deswegen gab es auch zu dieser Jahreszeit kaum ein Haus in dem nicht am Abend der Kamin oder der Herd angefeuert wurden.
Um die sich wie ein räudiger Köter anschleichende Kälte ein wenig fernzuhalten hatte man auf Fildrems Marktplatz Holzscheite aufgeschichtet und ein großes Lagerfeuer angefacht. Die Glut knisterte Teils laut und gelegentlich stoben Funken auf, die wie Glühkäfer durch die Luft schwirrten, bevor ihr Licht erlosch und sie als Asche zu Boden rieselten. Der angenehme Duft verbrennenden Bheda-Harzes lag in der Luft und die Flammen schufen einen Kreis tanzender Schatten von eigenartiger Lebendigkeit im abendlichen Zwielicht.
Entlang der Feuerstelle war eine lange, schwere Tafel aufgestellt worden an der nun der versammelte Rat Platz genommen hatte. Neun Mitglieder, wie es die Tradition der Ragwin verlangte. Sie waren die Stimme allen Seins, der Welt und der Elemente. So fand sich also immer einer für jede Himmelsrichtung, einer für den alles überspannenden Himmel, einer für die Erde, einer für das Feuer und einer für das Wasser und schließlich der Vorsitzende als das Lot; das Zünglein an der Waage.
Die meisten von ihnen hatten steinerne Trinkkrüge oder Lederbecher mitgebracht und nun vor sich stehen in denen sich je nach Geschmack des einzelnen entweder Bier, Beerenwein oder schlicht nur Wasser befand.
Doch an diesem Abend setzte kaum einer seinen Becher an die Lippen. Es war nichts von der fröhlichen Ausgelassenheit zu spüren, der sich die Ragwin sonst so gerne bei solchen Anlässen hingaben. Nur einige wenige von ihnen rauchten und gesprochen wurde bisher kaum ein Wort.
Guntrall Earthland blickte in ernste Gesichter. Bei manch einem waren da auch Trauer oder gar Bitterkeit zu erkennen. Er nahm seine bereits erloschene Pfeife aus dem Mund und klopfte sie sorgfältig an der Tischkante aus, sah der zu Boden rieselnden Asche einen Moment lang nach, und legte sie schließlich aus der Hand. Er holte tief Luft und es fühlte sich an, als würde ein schwerer Stein auf seiner Brust liegen. Während er sich erhob, nahm er drei oder vier tiefe, schwere Atemzüge und setzte seinen Schemel ein wenig zurück, um ihn nicht umzuwerfen. Er fühlte sich alles andere als wohl in diesem Moment.
„Freunde und Ratsmitglieder“, begann er schließlich seine Ansprache. “Wir haben uns heute Abend hier nicht versammelt, um wie sonst bei einem guten Kraut und einem starken Bier die alltäglichen Dinge Fildrems zu debattieren. Die jüngsten Ereignisse machen mit erschreckender Deutlichkeit klar in welcher Gefahr wir tagtäglich schweben. Letztlich kann es so wohl einfach nicht mehr weitergehen! Jeder von euch weiß natürlich, was dem armen Jeppy Wheatland gestern Morgen widerfahren ist. Eine schlimme und bittere Tragödie für seine Eltern und jeden einzelnen von uns. Es scheint mir nun doch unerlässlich, dass wir irgendetwas unternehmen, auch wenn ich nicht weiß was das sein könnte.“
Er atmete erneut schwer ein und aus und seufzte; fast schon klang es wie ein Stöhnen. Seine sonst so wachen Augen wirkten auf einmal sehr müde.
„Padley hatte Recht! Kh’Rhybok ist ein Parasit, der uns nicht länger tyrannisieren darf. Zu lange schon halten wir still. Zu viel ist schon passiert. Jeppy war nur die heißeste Flamme, die unsere Seelen ansengt...“
Guntrall zog den Schemel wieder heran und setzte sich. Er wirkte als hätte er auf einmal nicht mehr die Kraft noch länger zu stehen. Bilder aus der Vergangenheit wogten hinter seiner Stirn, von denen er geglaubt hatte, dass er sie endlich in einer tiefen Schublade seiner Erinnerungen vergraben hätte. Die Wucht mit der sie nun auf einmal wieder auf ihn einströmten, ließen ihn schwanken. Er hoffte inständig, dass es die anderen nicht bemerken würden. Drei, vier tiefe Atemzüge brachten sein Gleichgewicht zurück und er blickte erneut in die Runde.
„Liebe Freunde, ich weiß einfach keine Antwort auf unser Problem! Das ist mit der Grund, warum wir hier heute zusammengekommen sind: Die Suche nach einer Antwort! Wenn einer von euch einen Vorschlag hat, dann soll er bitte nicht zögern ihn zu äußern. Wir werden jede Möglichkeit mit dem nötigen Ernst besprechen!“
Ein grauhaariger Ragwin mit einem Gesicht voller Runzeln und Falten, das ihn deutlich älter wirken ließ als Guntrall, räusperte sich und stand auf. Seine Augen, eines davon blind, richteten sich auf den Vorsitzenden.
„Ich bin dafür, dass wir alle Dorfräte zusammenrufen, um alle Ragwin zu vereinen. Gemeinsam sind wir eine nicht zu unterschätzende Streitmacht. Mit den Leuten aus Corning, Borbath, Hulgen, Kastal und den anderen Siedlungen sind wir sicherlich rund dreieinhalbtausend Ragwin. Schließen wir uns zusammen und greifen wir den Tyrannen an...und tilgen ihn vom Antlitz Elvards!“
„Wrigley, Kh’Rhybok ist kein gewöhnlicher Gegner. Du kannst ihn nicht einfach jagen, wie einen Präriebären!“, unterbrach ihn Guntrall Earthland. „Zu viele unserer Brüder und Schwestern würden ihr Leben verlieren, vielleicht sogar alle! Das ist ein Preis, der uns selbst für die Freiheit zu hoch sein muss! Und wie viele von uns sind entweder noch Kinder oder bereits zu alt für so etwas?“
Einige der anderen am Tisch nickten oder murmelten Worte der Zustimmung.
„Pah!“ stieß der grauhaarige Wrigley hervor. „Was ist dieses Leben schon wert? Mein Leben währt schon fast achtzig Sonnenwenden und ich kenne nur noch die Knechtschaft. Alle anderen Erinnerungen an bessere Zeiten sind verblasst. Ich bin es leid! Lieber im Kampf sterben, als Kh’Rhybok noch länger unterworfen sein. Wenn meine Zeit gekommen ist, will ich als freier Geist in das ewige Feuer zurückkehren.“
Guntrall griff zur Pfeife ohne sie jedoch in den Mund zu stecken. Er ließ sie lediglich zwischen den schwieligen Fingern seiner rechten Hand hin und her wippen.
„Bedenke doch, unser Leben ist annähernd alles was wir jetzt noch haben. Wir sind noch nie wohlhabend gewesen, haben nie Schätze gehortet. Wir genügen uns selbst. Das Land bestellen und davon leben ist alles was wir je wollten. Wir dürfen all das nicht einfach wegwerfen. Unsere Chancen auf einen Sieg sind bei einem Kampf viel zu gering; dem Grunde nach nicht vorhanden. Ein Mensch nimmt es an Größe und Stärke bequem mit zweien oder dreien von uns auf. Ein ausgebildeter Soldat oder Krieger dürfte sogar eine viel höhere Zahl an Ragwin bezwingen können. Und… wir wissen ja nicht einmal genau, wo wir den miesen Knechter ausfindig machen könnten. Wir wissen nichts über die Menge seiner Gefolgsleute. Viele von uns haben in den vergangenen Jahren bereits nach Kh’Rhyboks Aufenthaltsort gesucht, aber ist je einer zurückgekehrt? Nein! Ich hoffe du erkennst, wie wenig aussichtsreich dein Ansinnen ist!?“
Diesmal bekräftigten die anderen lautstark ihre Zustimmung.
Wrigley setzte sich kopfschüttelnd wieder hin. Dennoch schien es, als teile er die Meinung der anderen durchaus zum Teil. Aber er war sichtbar schlichtweg resigniert. Verständlich! Immerhin versuchten sie seit vielen Jahren immer wieder Wege aus der Unterdrückung zu finden. Es war zuletzt nur nicht mehr so vordergründig gewesen. Irgendwie hatten sie sich in den letzten Jahren still in ihr Schicksal gefügt, es einfach ertragen. Erst Jeppys Tod brachte neue Wogen hervor.
Guntrall bemerkte, dass das Feuer bereits weit heruntergebrannt war. Unwillkürlich fröstelte er, obwohl es noch genug Wärme abstrahlte. Trotzdem winkte er ein paar abseits wartenden Dorfbewohnern zu und bat sie noch etwas Holz nachzulegen. Erst dann wandte er sich wieder dem Tisch und den Anwesenden zu.
„Entschuldigt die Unterbrechung. Gibt es noch weitere Gedanken, Freunde?“, und in seiner Stimme war ein fast flehender Ton, der ihn beinahe selbst erschreckte.
Bin ich der Verzweiflung schon so nah und bemerke es selbst nicht einmal?
Einige Augenblicke, die sich zur Ewigkeit zu dehnen schienen, geschah nichts. Doch dann meldete sich Hadley Cornpie zu Wort.
„Ich glaube mir ist noch etwas eingefallen, auch wenn's vielleicht ein alter Hut ist...“, eröffnete er den anwesenden Ratsmitgliedern.
Es schien als könne er sich nicht recht entscheiden, erhob sich aber schließlich doch von seinem Stuhl. Hadley war der jüngste im Rat und seine Stimme war die des Nordens. Er war erst vor einem halben Jahr zu den Neun gestoßen, kurz nachdem sein Vater gestorben war und die Stimme an ihn vererbt hatte. Üblicherweise schieden Ratsmitglieder mit spätestens fünfundachtzig Jahren aus dem Rat aus und der nächstälteste Dorfbewohner erhielt dann seinen Platz. Lediglich der Vorsitzende behielt sein Amt auf Lebzeiten, es sei denn er trat vorher aus freien Stücken zurück. Hadleys Vater war jedoch erst siebenundsechzig, als er in das ewige Feuer zurückkehrte, so dass es nach Ragwin-Tradition eine Erbfolge auf das erstgeborene Kind für den Ratssitz gab.
Hadley Cornpie war wie sein Vater groß gewachsen und ausgesprochen kräftig. Dunkles, glattes Haar zierte sein Haupt und an Unterlippe und Kinn spross ein wohlgestutzter Bart.
Guntrall bemerkte sein Zögern und ermunterte ihn mit einer entsprechenden Geste zu sprechen.
„Also schön. Ich musste an eine alte Legende unserer Urahnen denken, die mir meine Eltern immer erzählten als ich noch ein Kind war. Wisst ihr was ich meine?“
Wrigley schaute mürrisch drein und machte seiner Ungeduld Luft.
„Hör auf Geschichten zu erzählen und komm lieber zur Sache“, brummte er.
„Heh, ganz ruhig. Lass ihn erzählen“, schnaufte dessen Sitznachbar und stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Rippen.
Hadley sammelte sich.
„Ich meine die Legende vom Vergessenen Krieger! So nun ist es raus.“
Erleichterung war auf seinem Gesicht zu sehen; Erleichterung darüber, dass er den Mut gefunden hatte das nun auszusprechen; leicht war es ihm nicht gefallen. Er ließ seinen Blick über die Gesichter der anwesenden schweifen und sah fast ausschließlich Skepsis. Der eine oder andere verdrehte die Augen oder schien ihn für verrückt zu halten. Vereinzelt schlug ihm durchaus auch unverhohlener Spott entgegen.
„Blödsinn“, „Was denkt er nur...“, „Ach!“ Die anwesenden Ragwin begannen durcheinander zu sprechen und zu debattieren. Unruhe machte sich breit. Die Aufmerksamkeit wandte sich von ihm ab.
Hadley schloss die Augen, holte tief Luft. Er schluckte den Kloß, der plötzlich in seiner Kehle saß, mühsam herunter, hob seinen Becher an die Lippen und nahm einen kurzen aber entschlossenen Schluck des herben, schon etwas schalen Bieres. Ein deutliches, lautes Pochen erscholl, als er das Gefäß wieder hart auf die Tischplatte setzte. Einige Köpfe ruckten zu ihm herum und er erntete strafende Blicke.
„Bitte“, sagte er betont, langsam, nicht allzu laut.
„Bitte hört mir noch einen Moment zu! Lasst mich zunächst weiter erzählen, bevor ihr beurteilt ob es Grund zum lachen gibt.“
Und plötzlich schlug die Cornpie'sche Art durch. Er richtete sich zu voller Größe auf und wirkte dabei durchaus imposant. Jede Unsicherheit schien verflogen. Trotzig streckte er sein bärtiges Kinn vor. Alle Augen und Ohren konzentrierten sich nun wieder auf ihn. Auch ohne eine Bestätigung der anderen wusste Hadley, dass man ihm nun ungeteilte Aufmerksamkeit schenken würde.
„Ihr kennt die Legende vermutlich so gut wie ich, wenn nicht sogar besser. Schließlich werdet ihr sie in eurem Leben schon unzählige Male öfter gehört oder gelesen haben. Danach ist nichts in der Welt ohne Gegengewicht! Wasser bändigt das Feuer, die Erde hält den Himmel, der Süden ist Gegenstück zum Norden, der Osten zum Westen und so weiter. Bereits die alten Schriften verhießen dem Volk der Ragwin eine gewaltige Bürde in Gestalt einer Person. Wie stand es dort geschrieben?
Und es wird einer kommen, der nimmt ihnen die Leichtigkeit des Seins. Dafür legt er das Gewicht von Knechtschaft und Gewalt auf ihre Schultern. Er nimmt der Welt, was die Götter ihr gaben. Doch die große Waage des Lebens wird die Schale mit dem passenden Gegenstück befüllen. Und es wird einer kommen, der gibt ihnen wieder, was ihnen genommen wurde. Er hebt eine Last von ihren Herzen. Doch die Zeit der Bürde wird lang und unerträglich sein, denn er wird nicht unter den Lebenden wandeln. Er wird viele Lebensspannen ruhen und in Vergessenheit geraten. Aber der Tag wird kommen und seine Augen werden wieder das Licht sehen und seine Hand wird unbarmherzig alles Dunkle schlagen...
Diese Legende begleitet die Ragwin seit Anbeginn der Zeit. Ich bin überzeugt, dass Kh’Rhybok die gewaltige Bürde verkörpert. Es ist zu viel Sinnhaftigkeit in den Zeilen, um sie als reine Phantasie abzutun. Demnach muss es jemanden geben, der ebenso mächtig ist wie er. Diesen Einen gilt es zu finden und für uns zu gewinnen.
Unsere Geschichtsschreiber haben lange darüber nachgegrübelt, geforscht und recherchiert. Nach ihrer Auslegung der Legende muss es einen Gegenpart zu Kh’Rhybok geben. Vielleicht liegt er in einer Art magischem Tiefschlaf, in dem er nun schon seit einer Ewigkeit verharrt.“
„Glaubst du ernsthaft, dass es ihn gibt, diesen Sagenhelden?“, fragte die schlanke und asketisch wirkende Drisenda Sandhill.
Sie vertrat im Rat den Westen. Ihr Haar war lang und grau, mit vielen schlohweißen Strähnen.
Hadley sah sie an. Unwillkürlich glitt sein Blick auf ihre rechte Hand und den dort fehlenden Ringfinger. Ebenfalls ein Relikt das von Kh’Rhyboks Missetaten herrührte. Seine Augen fanden die ihren. Tiefes, durchdringendes Blau.
„Es ist das Einzige woran ich noch glauben kann! Alle anderen Hoffnungen gingen dahin wie das Wasser im Ph´Dang.“
„Also ich weiß nicht so recht“, begann jetzt auch Guntrall Earthland und verzog skeptisch das Gesicht.
Er musste zwischenzeitlich seine Pfeife neu gestopft haben, denn sie klemmte nun wieder in seinem Mundwinkel und feine Rauchkringel stiegen daraus auf.
„Bei Kosâllah! Uns bleibt doch gar keine andere Hoffnung! Du hast doch selbst gesagt, wie aussichtslos ein offener Kampf gegen Kh’Rhybok wäre!“
Hadley warf die Arme in die Höhe als beschwöre er die Götter.
„Seht ihr denn nicht ein, dass dies die letzte Ähre auf einem abgeernteten Feld ist; unsere letzte Option?! Wir müssen doch noch an irgendetwas glauben, sonst gibt es keine Rettung mehr. Von allein wird sie jedenfalls nicht kommen!“
Guntrall trat um den Tisch herum und legte Hadley die Hand auf die Schulter und drückte ihn sanft auf seinen Stuhl zurück. Er sah auf ihn herab und seine Augen waren traurig, als er leise zu ihm sprach, doch alle hörten was er sagte.
„Du hast vermutlich Recht, mein lieber Hadley. In unseren Herzen wissen wir das vielleicht alle. Ich habe nur Angst davor, dass das alles am Ende doch nur eine Sage, ein Märchen ist. Ich fürchte mich vor der Wahrheit.“
Drisenda hob die Hand mit dem fehlenden Finger und bat um Gehör.
„Liebe Mitglieder des Rats! Es scheint mir, als bliebe uns tatsächlich kein all zu großes Füllhorn an Alternativen, aus dem wir noch schöpfen könnten. Es kann nicht mehr weitergehen, was jetzt schon zu viele Tage, Wochen und Monate währt. Letztlich scheinen wir doch nur zwischen fortwährender Unterdrückung, Kampf und Tod oder ungewisser Hoffnung auf etwas Wahrheit in einer alten Legende wählen zu können.“
Guntrall legte seine Pfeife vor sich hin und ein kleiner Krümel glimmenden Tabaks fiel heraus, nur um gleich darauf in einer kleinen Bierpfütze zischend zu verlöschen.
„Aus Drisendas Worten höre ich mein Herz und meine Seele sprechen. Es widerstrebt mir hier eine Wahl treffen zu müssen. Und doch scheint es mir unerlässlich! Lasst uns abstimmen.“
Mit den letzten Worten erhob er sich nun wieder und breitete seine Arme ein wenig aus, als müsse er unsichtbare Lasten auf seinen Handflächen aufwiegen.
„Mitglieder des Ältestenrates. Wrigley Saltstones Vorschlag war der offene Kampf. Lasst uns zuerst darüber abstimmen. Wer ist dafür?“
Zwei Senatsmitglieder hoben den Arm, einer davon natürlich Wrigley selbst, dem aber nicht recht wohl dabei zu sein schien.
„Wer ist dagegen?“
Fünf der verbliebenen sechs Anwesenden gaben ihr Votum ab.
Ein stummer Seufzer kam über Guntrall Earthlands Lippen und hatte dabei seine Hände auf die Tischplatte gestützt, als könne er sonst nicht länger stehen. Doch er war erleichtert über dieses Ergebnis und ein wenig von seiner Beklemmung wich von ihm.
Er blickte noch einmal alle Anwesenden der Reihe nach an, Hadley vielleicht ein wenig länger als die anderen.
„Also gut, lasst uns über den zweiten Vorschlag nachdenken! Wer hält die Suche nach dem vergessenen Krieger für die richtige Wahl?“
Die Abstimmung brachte sieben Stimmen für Hadleys Plan. Guntrall registrierte mit Erstaunen das unerwartete Handzeichen von Wrigley Saltstone.
Hadley schien ebenfalls überrascht zu sein; gleichzeitig aber auch erleichtert. Er tat einen tiefen Atemzug und lehnt sich in seinem Stuhl zurück.
„So sei es!“, schloss der Älteste. „Damit dürfte unser weiteres Vorgehen wohl jedem von Euch weitestgehend klar sein!“
„Inwiefern?“, fragte Lodley Diggwell, der die Stimme der Erde im Rat repräsentierte.
„Insofern, dass wir in irgendeiner Form versuchen werden, den vergessenen Krieger zu finden und ihn für unsere Sache zu gewinnen. Wie es die Prophezeiung andeutet!“
Zustimmendes Gemurmel erklang. In einigen der wettergegerbten Gesichter glomm ein Funke Hoffnung und Zuversicht auf. Hier gab es auf einmal einen winzigen Strohhalm an den man sich klammern konnte.
Nur Lodley verzog verärgert das Gesicht. Er spie auf den Boden und verließ murmelnd die Versammlung. Guntrall wollte ihm erst noch nachrufen, doch er stieß die angestaute Luft einfach wieder zischend aus. Er blickte dem alten Diggwell noch einen Moment nach. Eigentlich mochte er den knorrigen Griesgram sehr gerne. Er war es, der ihm und vielen anderen Fildremern beigebracht hatte, wie man ein Feld richtig bestellt und das kräftigste Saatgut auswählt. Guntrall bedauerte es zutiefst, dass die Abstimmung am Ende zu diesem kleinen Eklat geführt hatte. Er zuckte mit den Schultern. Werde bei Gelegenheit ein paar versöhnliche Worte mit ihm reden und ihm einen Selbstgebrannten abschwatzen..., dachte er sich.
Als er seine Aufmerksamkeit wieder der Versammlung widmete, fand er sie alle in rege Diskussionen vertieft. Er nahm seine Pfeife in die Hand und klopfte auf die Tischplatte. Dann noch einmal etwas vehementer, als niemand reagierte.
Die Gespräche verstummten und die Köpfe ruckten zu ihm herum. Auch Hadley, der irgendwie in Grübelei versunken schien, schaute wieder auf.
„Freunde! Eine Frage bleibt natürlich noch. Und ich meine wir sollten sie beantworten, solange wir hier noch beisammen sind!“
„Lass hören!“ verlangte Lorna Rivergrass, deren Wangen wie üblich die gleiche Farbe wie ihr feuerrotes Haar angenommen hatten.
„Nun... jemand muss sich der Sache natürlich auch annehmen. Die Forschung; die Suche beginnen!“
Hadley Cornpie erhob sich von seinem Stuhl und nahm einen tiefen Zug aus seinem Bierkrug. Er streckte seine dreieinhalb Fuß zu voller Größe aus.
„Ich bin ja auf die dumme Idee gekommen ... also ich meine damit, dass es mir eine große Ehre wäre, das zu übernehmen!“
Guntrall schmunzelte ein wenig in der Hoffnung, dass es niemand bemerkt hatte.
„Das habe ich bereits vermutet, Hadley. Aber du kannst das natürlich nicht alles alleine bewältigen. Es ist noch einiges zu tun und vieles zu erforschen, bevor eine solche Suche beginnen kann. Das wäre zu viel für einen alleine. Du solltest dich noch nach ein paar Begleitern umsehen. Mach Dir darüber Gedanken und lass mich bald wissen, auf wen deine Wahl fällt.“
„Ich weiß Guntrall. Es gibt da auch schon den einen oder anderen, den ich ins Auge gefasst habe.“
Guntrall Earthland trat um den großen Tisch herum und die anderen machten ihm respektvoll Platz. Vor Hadley blieb er stehen und legte eine Hand auf dessen Schulter. Sie zitterte ein wenig als er sprach.
„Ich vertraue dir, als wärst du mein eigener Sohn mein Junge! Ich bin überzeugt, dass du die richtigen auswählst; genau wie du der richtige bist!“
„Bei der Faust Kosâllahs, ich tue alles was in meiner Macht steht!“, sagte er. Und in Gedanken: Und wenn es mein Leben kostet ...
„Eines musst du noch wissen, Hadley. Seit heute Abend bist du zum Hoffnungsträger für alle Ragwin geworden. Nicht nur in Fildrem; auch für Corning, Hulgen und alle anderen Orte an denen Ragwin leben mögen. Ich werde die Räte der anderen Siedlungen schnellstens unterrichten lassen. Es ist eine große Last, die nun auf deinen Schultern ruht. Aber du bist stark und ausdauernd. Ich bin überzeugt, dass du alle Schwierigkeiten meistern wirst. Und sei dir einer Tatsache bewusst! Der Rat wird dir alle Hilfe zuteil kommen lassen, die er dir geben kann. Nun geh und triff deine Vorbereitungen!“
„Danke für Euren Beistand.“, sagte Hadley.
Für einen kurzen Moment schauten sich Guntrall und er noch schweigend an, dann verließ er die Runde. Schließlich wartete jetzt ein gutes Stück Arbeit auf ihn...
~
Es wieder einer dieser kühlen Abende in Fildrem. Leichter Nebel zog um die Häuser und wer nicht nach draußen musste wärmte sich am heimischen Kamin.
Padley Barleycorn, Boggy Grainfield und Flad Pepper saßen gemeinsam am Tisch. Sie hatten sich in Boggys Haus getroffen, um eine gute Pfeife zu rauchen, ein Bierchen zu genießen und die eine oder andere Runde Bären-Trumpfen zu spielen. Das Feuer im Kamin knackte und knisterte. Die Flammen verströmten eine angenehme Wärme. Der Duft der Kräuterzweige die Flad hineingeworfen hatte, schwängerte die Luft mit wohlriechenden Aromen.
Es war bestimmt schon die siebte oder achte Runde Karten, die die drei gerade spielten. Vor Padley türmten sich bereits einige Häufchen goldener Münzen auf. Es schien als bewegten sie sich im flackernden Kerzenschein.
Padley zog grinsend an seiner Pfeife, als er das vierte Kartenpäckchen vor sich auf die glatt gescheuerte Tischplatte legte.
„Das ist doch unmöglich, Du hast schon wieder gewonnen Pad!“ Boggy schüttelte den Kopf.
„Tja ! Ich hab´ euch ja gleich gesagt, ihr Anfänger sollt euch nicht mit 'nem großen Bären-Trumpfer anlegen.“ Er grinste noch breiter und raffte die Münzen in ein kleines Ledersäckchen, das er von seinen Gürtel losband. Verschmitzt zwirbelte er seinen schwarzen Kinnbart.
„Du hast unverschämtes Glück! Fast fünfundsechzig Ucan hast Du uns abgeknöpft. Machst uns noch arm.“
„Vielleicht schummelt er ja auch!?“, kicherte Flad.
„Also ich bitte Dich! Traust Du mir so etwas zu? Außerdem, würde ich schummeln, hätte ich euch schon den letzten Twilly abgeluchst ...!“
Als Flad gerade zu einer Antwort ansetzen wollte, klopfte es an Boggys Haustür.
Er warf seine Karten auf den Tisch und schob seinen Stuhl zurück.
„Wer mag das so spät noch sein?“ sagte er über die Schulter zu seinen Freunden, während er zur Tür ging. Flad zuckte die Schultern und sah Padley an, der auch keine Ahnung zu haben schien.
Boggy schob den stabilen Holzriegel zur Seite und öffnete dem abendlichen Besucher.
Er erblickte das ernste Gesicht von Hadley Cornpie, das halb hinter einem kleinen Rauchwölkchen verborgen war. Er fragte sich, ob er ihn jemals ohne Pfeife im Mundwinkel gesehen hatte.
„Guten Abend Hadley“, sagte er. „Was kann ich für Dich tun?“
Der nahm die Pfeife aus dem Mund und klopfte sie am äußeren Türrahmen aus, bevor er sein Gegenüber wieder anblickte.
„Mich herein bitten, wäre schon mal eine Möglichkeit. Es ist nicht gerade eine laue Sommernacht hier draußen!“
„Oh sicher ! Wie unaufmerksam von mir. Äh... du siehst, wir hatten nicht unbedingt mit Besuch gerechnet.“
„Du bist nicht allein?“, fragte er und lugte an Boggy vorbei ins Haus.
„Äh...nein. Padley und Flad sind da. Aber komm erst mal rein!“
Boggy trat einen Schritt zur Seite und ließ Hadley vorbei. Hinter ihm verriegelte er die Tür schnell wieder und sperrte die Kälte aus. Hadley hatte sich zwischenzeitlich schon zu den anderen an den hölzernen Tisch gesetzt.
„Seid gegrüßt Padley Barleycorn und Flad Pepper.“
Boggy zog für sich selbst einen weiteren Stuhl heran, während sich die anderen die Hände schüttelten.
Hadley begann geistesabwesend mit den Karten zu hantieren, die auf dem Tisch lagen. Seine Gedanken waren woanders.
Er blickte auf, als Flad ihn ansprach. Oder hatte er das schon wiederholt getan?
„Wie bitte ?“
„Was ist los; wollte ich wissen.“
Hadley sah ihn an, antwortete aber nicht gleich. Er stand auf und begann im Raum umher zu wandern. Die Blicke der drei Freunde folgten ihm auf jedem seiner Schritte.
Als er endlich stehen blieb, sagte er:
„Ich war gestern auf der Versammlung des Ältestenrates.“
„Aha...“, sagte Boggy und drückte Hadley ungefragt einen Krug Bier in die Hand.
Der nickte dankend und nahm einen kräftigen Schluck, bevor er fortfuhr.
„Wir haben einen Beschluss gefasst, der uns letztlich von Kh’Rhyboks Joch befreien soll. Wir sind mehrheitlich zu dem Entschluss gekommen, dass unsere letzte Hoffnung in der Suche nach dem Schlafenden Krieger liegt. Wir kommen aus unserer Misere wohl nur noch so heraus!“
Padley lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Seine linke Hand wog den kleinen Lederbeutel mit den gewonnenen Münzen auf und ab, die gelegentlich leise klimperten.
„Hm und was haben wir damit zu tun?“
„Ich denke dir ist klar, dass ich diese Suche nicht alleine angehen kann?!“
„Ah natürlich ... ich beginne zu verstehen“, meinte Padley.
„Gut.“, sagte Hadley und setzte sich nun wieder zu den anderen an den Tisch. Etwas Bier schwappte über den Rand des Kruges, als er ihn absetzte. Die kleine Pfütze lief in einer Delle in der Tischplatte zusammen und bildete dort einen funkelnden kleinen See im Kerzenlicht.
„Eigentlich war ich hierher gekommen, um Boggy zu fragen, ob er mich unterstützen würde. Aber da ihr beide nun auch hier sitzt ...“
„Dachtest du, frag´ ich Flad und Padley halt auch gleich.“, vollendete Padley den Gedanken.
„Du liest meine Gedanken, wie ein gutes Buch Pad!“
„Dazu gehört nicht gerade viel Talent.“, entgegnete der.
Hadley schmunzelte. Er hatte die drei wohl richtig eingeschätzt. Schließlich hatte er sich einen ganzen Tag darüber Gedanken gemacht, wen er letztendlich ansprechen wollte. Schließlich kam er bei seinen Überlegungen genau auf Boggy und die beiden anderen waren ihm auch gerade recht. Das sie nun alle beieinander saßen, war ein echter Glücksfall. Das würde es ihm wohl leichter machen, so hoffte er zumindest. Noch einmal passierten seine Gedanken sein inneres Auge...
Also da war zuerst Boggy Grainfield. Getreide– und Gemüsebauer, wie sein Vater Boddley und sein älterer Bruder Gryndall. Seine sehr ansehnliche Schwester Deghla hatte vor drei oder vier Jahren nach Corning geheiratet und solle mittlerweile wohl selbst einige Kinder bekommen haben. Die Mutter war schon lange tot und Hadley hatte keine rechte Erinnerung mehr an sie. Er kannte Boggy als eher ruhigen jungen Mann, der bei der Arbeit hart zupacken konnte und niemals lange fackelte.
Dann der zweite im Bunde; Flad Pepper. Nachdem seine Eltern vor ungefähr acht Jahren gestorben waren siedelte er von Borbath nach Fildrem über. Seit diesen Tagen hatte Fildrem einen Schmied und Bootsbauer. Denn von beiden Handwerken verstand Flad durchaus einiges. Wie man es von einem Schmied erwarten konnte, war er ein recht kräftiger Ragwin. Man sagte im Scherz immer: Wo sein Hammer hinlangt, kannst Du kein Samenkorn mehr in die Erde stecken.
Und letztlich der letzte in der Runde der Anwesenden! Padley „Pad“ Barleycorn. Viele im Dorf nannten ihn einen Tunichtgut, aber das war er gewiss nicht. Für einen Ragwin war er ein wahrer Hüne mit seinen fast vier Fuß Größe. Zwar war er lange nicht so bepackt wie Flad aber doch sehr kräftig. Normalerweise bezeichnete er sich ebenfalls als einen Bauern. Da er aber ein gewisses Geschick für die Jagd entwickelt hatte, verlegte er sich lieber darauf. So tauschte er im Dorf das meiste was er für sein Leben brauchte, gegen das von ihm erlegte Wildbret.
Eines hatten Sie aber alle gemeinsam! Egal was andere sagen mochten; Hadley hielt die drei jungen Männer für äußerst zuverlässig. Doch der entscheidende Faktor war, dass sie allesamt – von ihm selber mal abgesehen - unverheiratet und ungebunden waren.
Hadley hätte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können, sich Begleiter zu suchen, die eine Frau oder gar Kinder zurücklassen müssten. Das würde für ihn selbst bereits schwer genug werden und er mochte dabei gar nicht an Flindha denken. Denn eines war gewiss! Was immer vor ihnen liegen mochte; ungefährlich würde es bestimmt nicht werden.
Er blickte sie einen nach dem anderen an, bevor er fortfuhr.
„Ich habe lange hin und her überlegt. Ich hielt es letztlich nicht für ratsam, das Unterfangen mit einer ganzen Horde von Ragwin anzugehen. Meine Überzeugung gilt dem Gedanken, dass eine kleine Gruppe von vier, fünf oder maximal sechs Männern größere Chancen hat, weil sie weniger auffällt. Deswegen bin ich hier. Meine Frage galt zunächst nur Boggy, denn nur ihn hatte ich hier erwartet. Aber wenn ich euch alle so schön beieinander habe... Wollt ihr mir zur Seite stehen, wenn es gilt den Schlafenden Krieger zu finden?“ Hadleys Blick wanderte erwartungsvoll in die Runde.
Padley war der erste, der sich rührte. Vehement schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch, so dass die kleine Bierpfütze einen Hüpfer machte.
„Selbstverständlich werde ich dich begleiten! Schließlich hängt unser aller Zukunft davon ab, ob und was diese Mission bringen wird! Und ich denke, dass Flad und Boggy der gleichen Meinung sind, oder?“
Flad rang die schwieligen Hände, als könne er sich nicht entscheiden. Doch als er Hadley in die Augen sah, sagte er: „Es ist gar keine Frage, dass du meine volle Unterstützung bekommst!“
Boggy sagte nichts, aber er nickte zustimmend und Hadley wusste, dass auch er dabei sein würde.
Unvermittelt erhob sich Flad von seinem Sitzplatz.
„Erhebt Euch bitte! Wir sind ab sofort an eine gemeinsame Mission gebunden. Und es gibt da ein paar Worte, die ich mal von meinem Vater gelernt habe. Legt eure Hände übereinander und lasst sie mich sprechen.“
Die anderen erhoben sich von ihren Stühlen und legten über der Tischplatte ihre Hände übereinander.
Flad Pepper holte tief Luft und sprach den alten Schwur:
Hand in Hand, durchs ganze Land !
Arm an Arm, trotzt allen Gefahr ‘n!
Fuß bei Fuß, durch jeden Fluss!
Schritt für Schritt, nie aus dem Tritt!
Herz an Herz, teilt jeden Schmerz!
Hand in Hand, in Kriegers Gewand !
„Mein Vater sagte, dies wäre ein Kriegerschwur aus längst vergessenen Zeiten. Wo immer er ihn auch her haben mag. Ich finde ihn gerade sehr passend!“
Hadley drückte die Hände der anderen, bevor er seine wieder zurückzog.
„Ja, Flad ! Das ist er, fürwahr. Ich danke Dir für diese Worte. Ich hätte nichts Besseres zu sagen gewusst!“
„Also, lasst uns über Pläne reden ...“, sagte Hadley und zog seinen Stuhl wieder heran. Er stopfte noch einmal seine Pfeife und wartete, bis Boggy noch etwas Bier und Brotfladen gebracht hatte.
Diese Nacht war noch lange nicht zu ende und es gab noch viel zu besprechen...
~
Padley erwachte erst spät am nächsten Morgen, vielmehr war es schon eher Vormittag. Die lange Nacht und die aufwühlenden Gespräche hatten dafür gesorgt, dass er lange Zeit erst nicht einschlafen konnte. So war er trotz der späten Stunde noch sehr müde und fühlte sich als surrte ein Schwarm Ghora-Hummeln durch seinen Schädel. Mühsam wälzte er seine Decke zur Seite und hievte sich aus dem Bett. Er schüttelte die Strohmatratze ein wenig auf und zog dann die wollene Zudecke glatt darüber. Ein allmorgendlicher Usus, den er nie ablegte und wenn er noch so müde war. Er gähnte ausgiebig bei diesem Gedanken.
Ist wohl bald mal wieder eine neue Füllung fällig für die Matratze ..., dachte er.
Na ja, ein paar Nächte wird´s noch gehen.
Er raufte sich genüsslich die vom Schlaf verstrubbelten schwarzen Haare, die ihm schon bis über die Schultern reichten. Barfuß schlurfte er zur Waschschüssel hinüber. Es war natürlich kein Wasser darin; in der tönernen Kanne die daneben auf dem Tischchen stand auch nicht. Natürlich! Gestern Nacht war er viel zu müde, um noch mal Wasser herein zu holen. Vom Waschen gar nicht zu reden! Er wunderte sich selbst, dass er es überhaupt fertig gebracht hatte, sich vor dem Schlafengehen noch zu entkleiden. Also grabschte er nach dem Tongefäß und stieß es mit einem unheilvollen Klonk gegen die Waschschale, die dadurch noch beinahe heruntergefallen wäre. Doch sie blieb zum Glück an ihrem Platz und auch der Krug blieb heil.