The Age of Sex - Katrin Hinrichs - E-Book

The Age of Sex E-Book

Katrin Hinrichs

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Beschreibung

Was geht ab in Deutschlands Betten? Frust oder Freude, Spielwiese oder Kuschelzone – oder doch nur noch schlafen?In ihrer Praxis berät die klinische Sexologin Katrin Hinrichs täglich Menschen, die den Spaß am Sex verloren haben. Das Erstaunliche dabei: Die Geschichten über Unlust, Langeweile und Enttäuschung ähneln sich je nach Alter: Teenager sind hilflos, weil ihr Sex nicht so ist wie im Porno. Junge Menschen geben im Beruf Vollgas und spüren vor lauter Stress keine Lust mehr. In der Familienphase fehlt die Zeit, die Menopause killt die Lust und im Alter spielt der Körper nicht mehr mit? Katrin Hinrichs kennt nicht nur alle Nöte, sie weiß auch, mit welchen Methoden man ein richtig erfülltes Sexleben entwickeln kann. Ob in den Zwanzigern, Fünfzigern oder im hohen Alter: Obwohl unser aller Sexleben individuell ist, wird es maßgeblich durch die Umstände geprägt: Stress im Beruf, ein fordernder Familienalltag oder hormonelle Veränderungen – über alle Lebensphasen hinweg lassen sich Muster erkennen, die sich in Lust oder Unlust, in körperlichen oder seelischen Phänomenen jedes Einzelnen widerspiegeln. Jedes Alter hat seine eigenen Herausforderungen für ein erfülltes Liebesleben, und die wenigsten haben gelernt, aktiv dafür sorgen. Schöner Sex läuft aber nicht immer von alleine! Katrin Hinrichs führt mit Wissen, Erfahrung und ihrer erfolgreichen Therapiemethode Approach Sexocorporel Paare und Einzelpersonen zu einem befriedigenden, glücklich machenden und lustvollen Sexleben. So anschaulich wie unterhaltsam schildert die erfahrene Sexologin, warum es sich lohnt, sich aktiv um sein Sexleben zu kümmern – denn das hat Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens.

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Seitenzahl: 267

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Katrin Hinrichs

The Age of Sex

Über Liebe und Lust im Laufe unseres Lebens

Impressum

Alle in diesem Buch veröffentlichten Aussagen und Ratschläge wurden von der Autorin und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann jedoch nicht übernommen werden, ebenso ist die Haftung der Autorin bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden aus­geschlossen.

Die Ereignisse in diesem Buch sind größtenteils so geschehen wie hier wiedergegeben. Für den dramatischen Effekt und aus Gründen des Personenschutzes sind jedoch einige Namen und Ereignisse so verfremdet worden, dass die darin handelnden Personen nicht erkennbar sind.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.

echtEMF ist eine Marke der Edition Michael Fischer

1. Auflage

Originalausgabe

© 2024 Edition Michael Fischer GmbH, Donnersbergstr. 7, 86859 Igling

Covergestaltung: Zoe Mitterhuber, unter Verwendung eines Motivs von © Bertold Fabricius

Text: Regina Carstensen

Redaktion: Bettina Traub

Layout und Satz: Zoe Mitterhuber

ISBN 978-3-7459-1771-0

www.emf-verlag.de

In Liebe für Antonia und Emilie

Inhalt

Von lustlos zu lustvoll – warum der Gang in die sexologische Praxis SINNVOLL ist

Teil 1

Eine kleine Einführung, die Hoffnung macht

1 Die große Lustlosigkeit

2 Therapie­methode: Mit Fokus auf dem Körper

3 Was Sexualität ausmacht

4 Wenn das Herz und die Seele mitsprechen

5 Im Kopf unterwegs

6 Sex in Beziehungen

Teil 2 

Lebensphasen, die es in sich haben

7 Teenies: Die Sache mit der Aufklärung

8 Zwanzigjährige: Prüderie, Porno­grafie und Druck

9 Die Art, wie Sie in Fahrt kommen

10 Sex, Liebe und Hormone

11 Fehlendes Steh­vermögen unter den Jungen

12 Sie wollen keinen Analsex?

13 Dreißigjährige: Stressige Zeiten und erogene Zonen

14 Orgasmus bei Frauen – und anderen

15 Vierzigjährige: Wo geht es jetzt hin?

16 Nein, ich will nicht!

17 Fünfzigjährige:Männer und Frauen in den Wechseljahren

18 Noch mal Erektionsstörungen! O ja!

19 Hilfe, ich komme zu früh!

20 Sechzig plus: Eine andere Qualität und zum Glück noch mehr

21 Vaginismus – das verschwiegene Thema

Ausblick

Ist lebenslange Lust möglich?

Vorwort

Von lustlos zu lustvoll – warum der Gang in die sexologische Praxis SINNVOLL ist

In Deutschlands Betten herrscht Sexflaute, dabei ist Sex wie Salat – es dauert, bis er geerntet werden kann. Ist es dann endlich so weit, ist er ungemein gesund. Gut, im ersten Moment denken wir bei Sex nicht unbedingt an die Gesundheit. Doch inzwischen ist nachgewiesen, dass sexuelle Aktivitäten die Durchblutung des Körpers fördern, denn sie trainieren das Herz-Kreislauf-System. Zudem wird bei angenehmem Sex das Hormon Oxytocin ausgeschüttet, das wiederum unser Stresslevel relativiert und damit positive Auswirkungen auf den Blutdruck hat. Es werden Endorphine aktiviert, die insgesamt schmerzlindernd wirken. Damit nicht genug: Durch den Austausch von Körpersäften wird unser Immunsystem gestärkt.

Ungeachtet der gesunden Komponenten macht Sex viel Spaß, sorgt für Nähe, fasziniert, denn Philosophen und Dichter geraten seit Jahrtausenden ins Schwärmen, wenn sie sich dieses Themas angenommen haben. Ähnlich geht es der Wissenschaft, die sich intensiv mit Sexualität beschäftigt. Insbesondere die Neurowissenschaft will wissen, welche Boten­stoffe im Gehirn ausgeschüttet werden, wenn wir uns von einem anderen Menschen angezogen fühlen, warum es also „Zoom gemacht hat“.

Die erotischen Signale sind vielfältig, ziehen uns in ihren Bann. Heute ist Sex allerdings zu einer kulturellen Angelegenheit geworden: Er unterliegt Bewertungen, wie toll und aufregend er zu sein hat, wie oft wir ihn haben sollen, wie wir ihn zu praktizieren haben. Chemie im Kopf hin oder her, Sex ist beeinflusst von Erwartungen, Ängsten, Normen, Wünschen. Oder davon, wie er medial dargestellt wird, in Hollywoodfilmen oder in Pornos mit immens hohen Klickzahlen – durch das Internet ständig verfüg- und abrufbar. Sexuelle Lust wird hier großgeschrieben, und die sollen wir eigentlich ständig haben.

Doch was in der Traumwelt selbstverständlich aussieht, hat in der realen Welt keine Entsprechung. Aus meiner Praxis weiß ich, dass von Jahr zu Jahr die Lust auf Sex zu sinken scheint. Immer öfter höre ich den Satz: „Ich habe keine Lust mehr auf Sex – ist das jetzt normal? Und wenn es so ist, was kann ich dagegen tun? Früher habe ich Sex grandios gefunden …“

Warum ist das so? Warum haben wir trotz der gesunden Faktoren und all den anderen schönen Dingen, die in uns passieren können, wenn wir sexuell aktiv sind, trotzdem zu wenig Sex? All diesen Fragen möchte ich hier nachgehen. Sicher, zu wenig Sex ist normal, aber mehr zu haben würde in meinen Augen mehr Lebensqualität bedeuten.

Sex wird mit der Zeit, mit dem Älterwerden, mit der Dauer einer Beziehung zu einer Herausforderung, auch durch die vielen Glaubenssätze, die über Sex existieren: Sex muss von selbst passieren. Ohne Sex geht die Liebe verloren. Man kann nichts machen, wenn die Lust fehlt.

Doch all diese Glaubenssätze können über Bord geworfen werden, wenn es ein Bewusstsein darüber gibt, dass Sex eben nicht einfach nebenbei passiert. Über Sex müssen wir Bescheid wissen, uns austauschen und darum kümmern. Und das in jeder Altersspanne, in der wir uns befinden. Es sei denn, wir sind „frisch verliebt“, und selbst dann hapert es manchmal mit dem Hollywood-Sex.Hand aufs Herz und nicht gelogen: Haben Sie auch schon gedacht, dass es schade ist, wie sich Ihr Sexleben verlangsamt hat? Sind Sie in einer langjährigen Beziehung? Oder sind Sie eher ein Serientäter oder eine Serientäterin, sind quasi mitverantwortlich für das neue Wort LAP (Lebensabschnittspartner oder Lebensabschnittspartnerin)? Haben Sie etwa schon lange keinen Sex mehr, wollen aber gern Sex haben?

In meiner Praxis tauchen Ratsuchende auf, die ihre Probleme mit meiner Hilfe lösen wollen – und die, die einfach ihr Sexleben verbessern möchten, sich nach mehr Genuss sehnen. Es kommen Singles, Junge wie Alte, Menschen mit Fetischen oder andere, die immer mal wieder den kleinen Hunger zwischendurch woanders gestillt haben, und viele mehr.

Dieses Buch soll davon erzählen. Vielleicht hilft es dem einen oder der anderen, den Weg in die Beratung zu finden. Aber ich bin mir sicher, dass es auch ohne den Gang in eine sexologische Praxis bei einigen Menschen die ersten Schritte erleichtern kann, wo auch immer diese hinführen sollten.

Um es für Sie übersichtlicher zu machen, habe ich spezifische Schwierigkeiten nach bestimmten Altersphasen aufgeteilt. So finden Sie hier die jungen Erwachsenen, die älteren Erwachsenen, die jungen Alten und die alten Alten, also jene ab fünfundsiebzig aufwärts. Ich erzähle die Geschichten von meinen Ratsuchenden natürlich verfremdet, sodann anonym, und zeige auf, wie ich sie mit bestimmten Vorschlägen konfrontiere, um Lösungen und Veränderungen herbeizuführen. Denn selbst im höheren Alter ist sexuell noch vieles möglich. Dabei wende ich ein bestimmtes Therapiemodell an, das ich Ihnen auch vorstellen möchte: Approach Sexocorporel. Mag es auch ein wenig trocken anmuten, bei mir in der Praxis zeigt es wundersame Wirkungen.

Und eines garantiere ich Ihnen: Ein erfüllendes Sexualleben hat Auswirkungen auf alle Bereiche Ihres Lebens. Deshalb ist mir gesunder Sex so wichtig!

Teil 1

Eine kleine Einführung, die Hoffnung macht

1 Die große Lustlosigkeit

Die Flaute im Bett – eine Feststellung, die nicht nur ich gemacht habe, Fachleute in diesem Bereich kennen die Problematik. Für die steigende Unlust können wir vielerlei Gründe ausmachen. Die Menschen haben zu viel Stress, leiden unter dem sogenannten Mental Load. Da sind die äußeren, gesellschaftlichen Bedingungen aufzuführen, sei es in der jüngsten Vergangenheit die Pandemie, der Krieg zwischen Russland und der Ukraine, der sehr schnell grenzübergreifend werden kann, der Krieg im Nahen Osten oder die Inflation, die mit gestiegenen Lebenshaltungskosten einhergeht und zu Überlegungen führt, ob die Miete und die Kleidung für die Kinder noch bezahlbar sind. Weiterhin verängstigt die Klimakatastrophe mit den Auswirkungen für jeden Einzelnen. Zum Mental Load gehören auch die Karriereplanung und damit oft verbunden die Familienplanung, weiterhin Trennungen, Abschiede von lieben Menschen, nicht zu vergessen die bunte Welt der Werbung und Netflix-Serien, die uns dazu antreiben, unser Seelenheil in Konsum, Drogen, spektakulären Erlebnissen oder einem Beziehungs- und Körperperfektionswahn zu finden. All diese Dinge, die in unserem Gehirn herumgeistern, führen dazu, dass wir keine Zeit mehr haben, unser eigenes Leben zu leben. Alles muss optimiert werden, und wenn es keinen Kick gibt, stempeln wir unser Dasein als nicht besonders gut gelungen ab. Das wiederum verstärkt den Stress und führt zu weiteren Bemühungen, die Zustände zu verbessern. Letztlich endet auch das nur in Frustrationen. Noch reicher, noch intelligenter, noch attraktiver können wir auf Dauer nicht mehr werden. Es gelingt uns nicht, unsere Bedürfnisse zu befriedigen, und das hat Auswirkungen auf die Qualität unseres Lebens, aber auch auf unseren Sex. Die sexuelle Lust ist mit überzogenen Ansprüchen an die eigene Libido verbunden. Sie ist ein künstliches Idealbild, ein Konstrukt, das von der Mehrheit ebenso wenig erreicht wird wie die Figur eines Supermodels.

Ein weiterer Grund für die sexuelle Unlust ist etwas schwieriger zu fassen, weil komplexer und nicht so eingängig: Kaum jemand hat gelernt, wie ein gesundes, zufriedenes Sexualleben über die gesamte Lebensspanne zu realisieren ist. Wir sind von Beginn unseres Lebens an sexuelle Wesen – bis ins hohe Alter. Sehr früh beginnen wir den eigenen Körper wahrzunehmen und später bewusst zu berühren. Irgendwann verlieben wir uns. Der Knackpunkt: Am Anfang, in der ersten Phase des Verliebtseins, ist bei so gut wie allen der Sex super, wir können von der anderen Person gar nicht genug kriegen und hüpfen in der Regel bei jeder Gelegenheit in die Kiste oder wohin auch immer. Die Lust scheint grenzenlos zu sein. Frisch verliebt sind wir nämlich Dopamin-Junkies, und Dopamin ist das Hormon des Haben-Wollens, des Erreichen-Wollens, wir wollen immer mehr von der anderen Person. Wir werden süchtig nach dem Objekt der Begierde. Und irgendwann, wenn es gut weiterläuft, schwappt es in eine andauernde Beziehung über.

Doch der hohe Dopaminpegel ist nicht haltbar, es muss ruhiger in einem werden, da der Körper auf Dauer diesen schwindelerregenden Hormoncocktail gar nicht aushalten würde. Es wurden MRT-Untersuchungen mit Kokainsüchtigen gemacht, um zu erforschen, welche Teile im Gehirn getriggert werden, wenn sie die Droge nehmen – es sind die gleichen wie bei frisch Verliebten. Doch bei Letzteren wird das Dopamin irgendwann durch andere Hormone ausgetauscht, hier unter anderem das Oxytocin, das eigentliche Liebeshormon. Man könnte sagen, unsere körpereigene Chemie schafft unser Begehren ab. Bei dem Liebeshormon geht es nicht in erster Instanz um das Wollen, sondern um ein „Wir haben uns!“ oder „Wir haben eine gewisse Kontrolle, das beruhigt!“ oder „Wir lieben uns!“. Es handelt sich um ein Hormon, das mehr bei der Emotionalität und im Herzensbereich angesiedelt ist.

Der Prozess gehört zu einem evolutionär uralten Programm, denn schon bei den Steinzeitmenschen war es von der Natur vorgesehen, sich zu verlieben, sich fortzupflanzen und dann für die Kinder Sorge zu tragen, die man eben nicht nach ein paar Wochen oder einem halben Jahr einfach abschütteln konnte, sondern sich mindestens fünfzehn Jahre um sie zu kümmern hatte. Das ist auch heute noch so. Durch das Oxytocin wurden die Beziehungen, die eingegangenen Bindungen zur entscheidenden „Droge“ für ein soziales Miteinander.

Durch Dopamin und Oxytocin kämpfen wir um Anerkennung. Anerkennung ist die Währung für Bindung. Wir sind alle Bindungstiere. Ohne Bindung hätte der Mensch in der Steppe nicht überlebt. Aber das ist den meisten nicht bewusst. Wenn ich in meiner Praxis erkläre, was es mit diesen beiden Hormonen auf sich hat und dass es normal ist, wenn sich die Beziehung nicht mehr anfühlt wie in der Anfangsphase, reagieren viele mit Unverständnis: „Es soll sich aber wieder wie früher anfühlen. Das geht doch hoffentlich noch?“

Mich irritiert das immer ein wenig. Alles verändert sich beim Menschen durch das Älterwerden, aber die Sexualität soll immer gleich bleiben? Klienten und Klientinnen wollen nach einer Praxisstunde nach Hause gehen, in der Hoffnung, gleich schon aus dem Flur ins gemeinsame Schlafzimmer gezogen zu werden, für eine Runde Bettsport. Dass dies nach vielen Jahren des Zusammenlebens nicht von allein passiert, möchten sie gern ausklammern. Erst recht wollen sie nicht hören, dass etwas getan werden muss, um sich den Gang in eine sexologische Praxis zu ersparen.

Immer wieder werde ich gefragt, wie ich denn überhaupt dazu gekommen sei, als gelernte Betriebswirtin Sexologin zu werden, das sei doch etwas ungewöhnlich. Die Antwort ist eher schlicht: Während meiner Ausbildung studierte ich im Nebenfach Psychologie, und das Fach hatte mich im Grunde immer viel mehr interessiert als die Betriebswirtschaft. Aber als ein Hamburger Fischkopf – obendrein war mein Vater auch noch Wirtschaftsprüfer und Steuerberater – wird zu Ende gebracht, was einmal angefangen wurde. Grundsätzlich war das für mich in Ordnung, weswegen ich auch lange als Betriebswirtin gearbeitet habe. Zusammen mit meiner Schwester managte ich über viele Jahre eine Agentur, und als wir sie schließlich verkauften, dachte ich: Halt, da war doch noch was! Habe ich mich nicht immer für die Seele und das Unterbewusste interessiert? Für die Energien, die mit unserer Psyche zu tun haben?

Durch meine Berufszeit, meine Heirat und meine zwei Töchter hatte ich längst begriffen, dass Sexualität neben der Liebe zu den Partnern und Kindern eine immense Kraft hat, die mit nichts zu vergleichen ist und in jeder Hinsicht weltbewegend sein kann. Ich hatte beobachtet, was die Fünfzigerjahre voller sexueller Tabus mit den Menschen, die in der Nachkriegszeit erwachsen wurden, gemacht hatten, all die Verklemmtheiten, all die Sprachlosigkeit. Für die Sexualität hatte das jedenfalls fürchterliche Konsequenzen mit sich gebracht. Dann folgte mit den Achtundsechzigern eine Art Sex-Revolution, insbesondere für die Männer. Die Frauen sah man immer noch von der Seite an, wenn sie ein angeblich zu „wildes“ Sexualleben hatten.

Dann, mit der Erfindung und der Ausbreitung der Antibaby­pille, wurde einfach freiheitlicher gelebt – unglaublich, dass nun das Risiko vorbei war, als Frau ungewollt schwanger zu werden. Die freie Liebe wurde praktiziert und proklamiert, wobei sicherlich vielfach übertrieben wurde, was manchmal zu belanglosem Sex führte, Hauptsache man hatte welchen. Oder man dachte: Oje, jetzt muss ich alles mitmachen, sonst gelte ich noch als verklemmt oder spießig.

In den Achtzigerjahren gab es einen kleinen Rückschritt hinsichtlich eines gelockerten Sexuallebens, was mit dem HI-Virus zu tun hatte: Auf einmal hatten alle Angst, sich mit einer tödlichen Immunerkrankung beim ungeschützten Sex anzustecken.

Die eigentliche sexuelle Revolution startete dann Anfang der Zweitausenderjahre mit der Einführung und der Verbreitung des Internets, mit Social Media und den entsprechenden Konsequenzen. Bücher zum Thema Sex, die 2010, 2011 geschrieben wurden, hielten mit dem, was im Netz kursierte, längst nicht mehr stand und waren schon nach kürzester Zeit überholt. Durch das Internet war auf einmal alles denkbar, alles war – und ist heute noch – möglich. Jede und jeder konnte sich über sämtliche Sexualpraktiken informieren, die zuvor, wenn überhaupt, nur hinter vorgehaltener Hand oder in speziellen Kreisen zur Sprache kamen – ansonsten waren derartige Dinge tabu gewesen. Alles öffentlich zu machen und dabei alle umfassend in Kenntnis zu setzen war auf der einen Seite gut, aber im Gegensatz zu der eher begrenzten sexuellen Revolution der Achtundsechziger gerieten die Kinder und Jugendlichen nun unter einen immensen Druck. Sie wurden mit einem Wissen konfrontiert, das sie anders und mehr überforderte als in früheren Zeiten. Und dieser Druck, genauso erfahren zu sein, wie sie es zum Beispiel in Pornos oder Kinofilmen gesehen hatten, setzte und setzt sich bei den jungen Erwachsenen in einem nie zuvor gekannten Ausmaß fort.

Als ich später meine Praxis als Sexologin eröffnet hatte, wurde ich immer häufiger mit Männern in den Zwanzigern konfrontiert, die eine Weile herumdrucksten, bis sie schließlich gestanden, was sie bewegte: „Mein Penis ist nicht lang genug.“

Ich fragte nach, was sie zu dieser Ansicht gebracht hätte, und immer ging es dabei um einen Vergleich zu den Penislängen, die sie in Pornos wahrgenommen hatten, und was mit einem solchen Penis alles möglich sei (Klienten mit diesem Problem habe ich heute noch, sie sind nicht weniger geworden). Bei fast allen war und ist, wie sich dann nach einer Hausaufgabe zum Nachmessen herausstellte, der Penis okay. Wenn diese jungen Männer aber einige Jahre lang Pornos angeschaut und damit viele Porno-Penisse gesehen haben, glauben sie, ein Penis müsste aussehen wie in diesen Filmen, das wäre die normale Gestalt.

Bei mir sitzen auch junge Männer, die mir erzählen, dass sie nach zehn (oder weniger!) Minuten intensivem Sex leider schon kommen würden, das sei doch sicher nicht normal. Normal wären doch zwei Stunden, so wie sie das von den Pornos kennen würden.

Das ist die Moderne, wenn es um Sexualität geht. Der Druck wird verstärkt, indem das Internet die Suchenden auch alles finden lässt, es ihnen sogar regelrecht aufdrängt. Wenn ein Kind mit elf Jahren nach „Möpsen“ googelt, werden als Ergebnis nicht unbedingt süße kleine Hundewelpen präsentiert, sondern da kommt etwas ganz anderes hochgeschwappt.

Die Vielfältigkeit und Überfülle von Informationen darüber, was alle anderen machen, im Gegensatz zu den vielen Verboten der Fünfzigerjahre, hat zu einer sogenannten Gebotsmoral geführt. Was heißt das? Die Jungen haben das Gefühl, ich muss Sex haben und ich muss gut performen können. Anders gesagt: Wir müssen im sexuellen Bereich alles gemacht und ausprobiert haben, weil die anderen es auch praktizieren. Das sagen nicht nur die Peergroups, sondern auch die sozialen Plattformen haben dazu wesentlich beigetragen. Jedenfalls wird das so angenommen und löst genau diesen offensichtlichen Druck aus. Man möchte nicht zu den Uncoolen zählen.

Sexualität ist etwas Wandelbares. So wurde und wird es mir immer deutlicher, dass sie abhängig von ihrer jeweiligen Zeit ist, den Bedingungen der Gesellschaft, wie diese sich entwickeln, aber auch von der eigenen Biografie, also den gemachten Erfahrungen. Hoch spannend ist das alles! Es geht bei der Sexualität nicht allein – und oft auch nur begrenzt – um Fortpflanzung. Vielmehr stehen in ihrem Zentrum Dinge wie „Ich werde begehrt“ oder „Ich werde gesehen“. Mit anderen Worten geht es hierbei um die ganze Bandbreite der Urbedürfnisse, aber auch um die Entwicklung einer Persönlichkeit, also wie jemand liebt, wie eine Person ihre Sexualität ausdrückt. Für mich beinhaltet das den Mikrokosmos unseres Seins. So wie sich jemand in der Sexualität zeigt, so zeigt sich die- oder derjenige oft auch im Leben. Das ist das, was ich in meiner Praxis immer wieder höre.

Die Ausbildung zur Sexologin war eine langwierige Sache, mich nochmals hinzusetzen, um über sechs Jahre zu lernen, das war ein Marathon. Zwischendurch war ich verunsichert, ob ich überhaupt auf dem richtigen Weg war, war ich doch bislang eher eine Buchhalternase gewesen. Vielleicht war es auch eine innere Rebellion – nämlich etwas zu machen, von dem ich genau wusste, dass mein Umfeld die Ausbildung eher „Mmh“ finden würde. Aber die Sexologie hatte etwas mit mir zu tun, und so hielt ich durch, zumal mich die Seminare, die ich besuchte, mehr und mehr zu interessieren begannen und ich immer tiefer eintauchte. Tatsächlich schien ich dieses Thema auf einmal förmlich anzuziehen. Ich erzähle Ihnen, was mir damals in New York passierte. Auf einer Familienreise gingen wir kurz vor meinem Abschluss zum Essen ins renommierte Steakhouse Smith & Wollensky. Als wir zu unserem Tisch geführt wurden und ich vor meinem Platz stand, sah ich zu meiner großen Überraschung vor mir ein kleines am Tisch festgeschraubtes Messingschild: Offenbar war dies der Stammplatz einer Pionierin in meinem Fachbereich – in eingravierten Lettern stand da: Ruth Westheimer.

Ich war im ersten Jahrgang einer neu gegründeten Fachrichtung in Merseburg, alles war hochinteressant. Insgesamt fußte meine Ausbildung auf einem Ansatz, der sich Sexocorporel nennt, ausgearbeitet von dem kanadischen Psychologen und klinischen Sexologen Jean-Yves Desjardins (1931–2011).

Als klinische Sexologin, die ich heute bin, höre ich zu, frage nach, erkläre, gebe Anleitungen und Übungen, manchmal wie eine Tennis- oder Golflehrerin. Doch im Gegensatz zu diesen kann ich mir nicht angucken, wie Menschen ihre Sexualität wirklich leben, ich kann es mir nur berichten lassen. Die Aufgaben, die ich ihnen mit auf den Weg gebe, damit eine Veränderung eintritt, können Klienten und Klientinnen nur in ihren privaten vier Wänden absolvieren oder erledigen. Oft gelingt es ihnen, sich mit den Übungen neu wahrzunehmen und kennenzulernen, und das ist jedes Mal eine wunderbare Erfahrung.

Erwarten Sie jetzt aber keine Betriebsanleitungen à la Oswald Kolle, der in Zeiten der „sexuellen Revolution“ experimentierfreudigen Paaren „höchste Ekstase durch perfekte Rubbeltechnik“ versprach. Beteuerungen dieser Art finden sich heute kaum in den sexologischen Praxen – aber immerhin wird manchmal schon die eine oder andere Technik besprochen.

2 Therapie­methode: Mit Fokus auf dem Körper

Sexocorporelist das Modell, nach dem ich therapiere. Ich kann damit sexuelle Phänomene beschreiben, eine Diagnose stellen und eine darauf aufbauende Behandlung durchführen. Das Ziel dabei ist die sexuelle Gesundheit. Allen Menschen soll ein befriedigendes und erotisches Erleben und Handeln ermöglicht werden – und zwar auf der persönlichen wie auch auf der Beziehungsebene.

Das Fundament bei diesem Ansatz ist die Entität von Körper und Geist – oder Körper und Hirn –, beide sind neurophysiologisch untrennbar miteinander verbunden.

Jede Wahrnehmung, jede Emotion, jeder Gedanke spiegelt sich auf der neurophysiologischen Ebene wider. Was letztlich heißt: Mit unseren Gedanken und Emotionen beeinflussen wir unseren Körper. Und umgekehrt:Durch die Veränderung des Körpers ist es möglich, ebenso die Emotionen und die Wahrnehmung zu verändern. Ratsuchende in meiner Praxis spüren das meist schon in der ersten Stunde, wenn ich mit ihnen nach diesem Modell arbeite. Viele haben schon einen längeren Leidensweg hinter sich, meistens um die fünf, sechs Jahre, manche sogar noch länger. Sie sind im wahren Sinn des Wortes geknickt, was einen Ausdruck in ihrer Körperhaltung findet: Die Schultern sind sichtbar nach vorne ((einheitlich)) gefallen, der Kopf ist leicht gesenkt, sie sind kurz davor zu resignieren, haben aber nicht ganz aufgegeben und wollen es noch einmal versuchen.

Oftmals beginne ich mit bestimmten Körperübungen, damit deutlich wird, wie ich arbeite. Die meisten können danach gleich nachvollziehen, was sie erwartet. So wird mein Vorgehen klar.

„Kennen Sie Charlie Brown?“, frage ich zum Beispiel.

„Ja, den von den Peanuts“, lautet meist die einhellige Antwort. „Mit seinem Hund Snoopy, Charlie, der ewige Verlierer und Pechvogel, der immer so unglücklich dasteht.“

„Gut, dann stellen Sie sich jetzt mal hin wie Charlie Brown, so wie Sie ihn sich vorstellen.“

Augenblicklich spannen alle alles an, ziehen die Schultern zwischen die Ohren und schauen zu Boden, machen sich ganz klein und sind fixiert auf ihre Füße oder den Teppich.

„Okay“, sage ich nun. „Bleiben Sie einen Moment so stehen und spüren Sie in sich hinein.“ Nach einer Weile fahre ich fort: „Und jetzt bewegen Sie sich, öffnen Sie sich nach oben hin, atmen Sie tiefer, die Schultern sind eher in der Hosentasche (oder auf Höhe des Rockbundes). Sie erden sich neu, stellen sich einfach anders hin.“ Augenblicklich verwandelt sich der Klient oder die Klientin auch emotional in einen anderen Menschen.

Oft lasse ich jemanden auch die Schuhe ausziehen und auf einem Stuhl in Socken oder Strümpfen Platz nehmen, so spüren sie mit den Füßen den Boden. Ich erkläre: „Schauen Sie bitte geradeaus, schauen Sie mich an, holen Sie dann tief Luft, und vergessen Sie nicht, auch wieder tief auszuatmen.“ Für viele fühlt sich ihr Körper auf einmal anders an, und damit bekommen sie eine Vorstellung davon, dass sie auch anders denken können. Wer anfängt, die Umgebung anders wahrzunehmen, wird auch sich selbst anders wahrnehmen. Das ist wichtig, denn viele, die in der Praxis erscheinen, haben nicht wirklich Lust auf den Termin mit mir. Viele denken: Diese Frau wird mich sicher nerven!

Bei diesen Übungen geht es mir also in erster Instanz um einen Klick-Effekt, um ein Aha, ein „Hm“, damit die Motivation steigt und die Menschen gern bei mir in der Praxis sind. Es schafft auch Vertrauen in meine Arbeit. Rein körperlich betrachtet sind es zwar Mini-Interventionen, aber entscheidend ist, dass die Ratsuchenden dadurch begreifen, dass sie den Blick verändern, den Blick auf die eigene Person und damit auf die eigene Denkweise.

Das Wichtige bei Sexocorporel ist, dass durch die Körperlichkeit ungemein viel modifiziert werden kann. Der Körper ist nach diesem Modell etwas Explizites, und die Emotionen im Gehirn sind etwas Implizites, aber wie schon erklärt, sind das nicht zwei unterschiedliche, zwei voneinander trennbare Einheiten, sondern sie bilden eine Ganzheit – mit dem Körper als Spiegel. Alles, was wir im implizierten Körper erleben, also alle Emotionen, spiegelt sich im explizierten Körper wider und umgekehrt. Das heißt, wenn ich Angst habe oder mich schlecht fühle oder mir etwas unangenehm ist, bekomme ich einen knallroten Kopf beziehungsweise schweißnasse Hände. Das Gefühl und die physiologische Reaktion bilden eine Einheit.

Der Körper als Spiegel der Emotionen funktioniert in drei Dimensionen. Da ist zum einen der Tonus, die Veränderung der Muskelanspannung. Zweitens gibt es den Rhythmus (das Tempo), den zeitlichen Ablauf der körperlichen Reaktionen. Also verläuft die Bewegung, wenn sie da ist, zügig oder langsam. Und drittens wird von einem inneren und einem äußeren Raum ausgegangen. Muskelanspannung und Rhythmus sind leicht verständlich, der innere und der äußere Raum sind eher erklärungsbedürftig. Der innere Raum ist die Atmung, der äußere Raum die Bewegung. Diese drei Dimensionen gezielt zu beeinflussen ermöglicht eine wesentliche Veränderung unserer Haltung und damit auch unserer Emotionen und Gedanken.

In den ersten Übungen, die ich mit den Klienten und Klientinnen durchführe, sind diese drei Dimensionen immer berücksichtigt. Damit verständlicher wird, was ich meine, können Sie die folgende Übung machen: Nehmen Sie Ihren rechten Arm und ziehen Sie das, was Sie gerade tragen, bis nach oben zum Ellbogen (falls Sie nicht gerade etwas Kurzärmeliges anhaben). Manchmal sage ich zur Beruhigung: „Mehr müssen Sie nicht frei machen, Sie sind hier ja nicht beim Striptease.“ Das ist kein genialer Einfall, aber viele fangen an zu lachen, und wenn sie lachen, freue ich mich, weil ich weiß, dass sich dabei der Beckenboden löst und die Anspannung im Körper nachlässt.

Danach ist Folgendes zu tun: Machen Sie nun eine Faust und spannen den Arm richtig fest an, so sehr, dass es fast unangenehm wird. Dann legen Sie zwei Finger der anderen Hand auf eine kleine Fläche Ihres Arms, höchstens ein, zwei Zentimeter groß. Anschließend streicheln Sie auf der Fläche mit den Fingern hin und her. Achten Sie darauf, wie der Körper reagiert, mit dem angespannten Arm und den streichelnden Fingern. Sie können dabei auch die Augen schließen. Horchen Sie in sich hinein. Spüren Sie etwas, und wenn ja, was spüren Sie? Wahrscheinlich nehmen Sie nicht viel wahr, weil Sie viel zu angespannt und angestrengt sind.

Machen Sie nun eine kleine Pause und schütteln Sie den Arm aus. Jetzt wiederholen Sie die Übung, aber spannen den Arm, den Sie gerade gestreichelt haben, nicht mehr an. Nehmen Sie wieder zwei Finger und gehen erneut auf die Stelle am Arm und streicheln ein bisschen darüber. Auch hier können Sie die Augen schließen, es ist immer gut, wenn es taktil wird. Sie können besser in sich hineinspüren, wenn das Sinnesorgan Auge aus dem Spiel genommen wird. Nun sollten Sie wesentlich mehr wahrnehmen als bei der ersten Variante.

Setzen Sie sich nun auf einen Stuhl, ganz gerade auf beide Sitzbeinhöcker – ich mache das genau so in der Praxis, weil ich den ganzen Körper der jeweiligen Person anschauen will. Ich möchte sehen, was sich am Körper im Nachhinein verändert hat. Sie können sich auch so hinsetzen, dass Sie sich in einem Spiegel sehen, wenn Sie seitlich hineinschauen. Bei dieser dritten Option widmen Sie sich abermals dem rechten Arm, jenem, der bis zum Ellbogen frei ist. Nun nehmen Sie die andere Hand, nicht nur zwei Finger, sondern die ganze Handfläche, und streicheln von oben bis unten über den Arm, der jetzt nicht mehr angespannt ist, sondern mitbewegt wird. Insgesamt sind Sie dadurch mit ihrem Oberkörper, vielleicht sogar mit Ihrem ganzen Körper, in leichter Bewegung. Alles gleicht einem ruhigen und beweglichen Prozess – fluide, wie wir es im Sexocorporel nennen. Sie spüren das Taktile in der Hand, aber auch am nicht angespannten Arm.

Anschließend frage ich, wie die einzelnen Übungen empfunden wurden. Meist bekomme ich zu hören: „Beim ersten Mal habe ich kaum etwas, beim zweiten Mal schon ein bisschen mehr gespürt, das war ganz gut. Aber zuletzt war es am besten.“

„Und weshalb war das so? Was denken Sie?“

„Ich habe den Arm nicht angespannt, ach ja, und ihn auch noch bewegt.“

„Stimmt, Sie haben den äußeren Raum vergrößert.“

Dabei ging es jetzt nur um die Anspannung, zu den drei Dimensionen des Körpers gehört natürlich auch noch die Atmung, der innere Raum.

„Haben Sie bei den Übungen verfolgt, wie Sie atmen?“, frage ich deshalb.

„Oh, weiß ich nicht, darauf habe ich nicht geachtet.“

Nach dieser Antwort lasse ich die drei Übungen noch einmal durchführen, wobei sich Klient oder Klientin bei diesem Durchgang darauf konzentrieren sollen, wie sie atmen. Das können Sie jetzt genauso tun.

„Was macht die Atmung, wenn wir uns angespannt haben, wo geht sie hin?“

Viele stellen erstaunt fest, dass sie im angespannten Zustand nur in den Brustkorb atmen. Sind wir verkrampft, spannen wir die Brust und die Schultern an – die meisten haben zudem noch den Mund stramm geschlossen und den Kiefer zusammengebissen. Das heißt, bei einer solchen Haltung bleibt die Atmung im Oberkörper hängen, und der Bewegungsradius mit zwei Fingern auf mehr oder weniger einer Stelle kann auch nicht wesentlich dazu beitragen, dass tiefer geatmet wird. Nur bei der dritten Übung, bei einem größeren Bewegungsradius des Oberkörpers und ohne Anspannung, kann die Atmung fließen, sie kann kreisen. Wir haben den Arm mit der ganzen Handfläche gestreichelt, er wurde also mehr berührt und bewegte sich sowieso von selbst, Sie oder die Person bei mir in der Praxis haben sich mehr gedreht. Mit der fließenden Atmung wurden auch Tonus und Rhythmus im ganzen Körper in Gang gesetzt, einzig weil wir nicht mehr auf der Stelle blieben, sondern richtig Raum einnahmen.

Atmen ist das Erste und das Letzte, was wir Menschen tun. Die Atmung ist zentral für das Leben, aber sie verbindet auch die Herzgegend mit dem Genitalbereich. Dieses fundamentale Atmen, also dass man den Atem durch den ganzen Körper schicken kann, ist dafür entscheidend. Wenn der Atem jedoch im Brustkorb hängen bleibt, bleibt auch die Anspannung bestehen, und sexuell (also im unteren Bereich) passiert nicht mehr viel.

Bei den Menschen, die zu mir in die Praxis kommen, ist gewissermaßen die Genussfähigkeit ins Stocken geraten oder hat sich nie richtig ausgebreitet. Das Wissen, dass es bestimmte Lernschritte zu einer genussvollen Sexualität braucht, ist nicht vorhanden. Bei Sexcorporel sprechen wir immer über die fördernden und die hemmenden Faktoren. Hemmende Faktoren haben die Auswirkung, dass etwas nicht mehr funktioniert, also Sex keinen Spaß mehr macht oder schlichtweg wehtut. Diese hemmenden Faktoren bringen fast alle Klienten und Klientinnen in irgendeiner Form mit, sonst würden sie mich nicht aufsuchen. Und um es anders zu verdeutlichen: Eine Person kann Sex haben, ohne dass sie dabei besonderen Genuss empfindet. Deswegen wird im Sexocorporel zwischen schlichter genitaler Erregung (körperlich) und emotionalem Genuss (Lust) unterschieden.

Das A und O der Sexocorporel-Therapie ist, die drei Dimensionen des Körpers zu verändern, sie zu modifizieren. Das Gute dabei: Die meisten haben noch nie infrage gestellt oder sind sich darüber bewusst, wie sie beim Sex (und im Leben) den Körper einsetzen, und somit profitieren sie hochgradig von dem neuen Wissen zu den drei Dimensionen des Körpers.

3 Was Sexualität ausmacht

Bei der Therapie werden alle Komponenten berücksichtigt, die an unserer Sexualität beteiligt sind. Nach dem Modell von Sexo­corporel sind es vier Bereiche:

Physiologische Komponenten:

Hierzu gehört der Körper, also auch die Genitalien. Der Bereich umfasst des Weiteren die sexuelle Erregung und die Art, sich zu erregen. Aber auch alle körperlichen Gegebenheiten sowie Medikamente etc.

Emotionale Komponenten:

Auch die eigene Wahrnehmung und die Emotionen fallen darunter. Das Gefühl, Mann, Frau oder divers zu sein, das sogenannte „Gefühl der Geschlechtszugehörigkeit“, u. a. sexuelles Lusterleben, sexuelles Begehren, sexuelle Fantasien, Auslöser für sexuelle Lust und die sexuelle Selbstsicherheit.

Kognitive Komponenten

: Dazu zählen Wissen, Ideologien, Glaubenssysteme, Einstellungen, Werturteile und Idealisierungen.

Beziehungskomponenten

: Hier wird die sexuelle Kommunikation erfasst, aber nicht weniger wichtig sind das Liebesgefühl, die erotischen Kompetenzen und Verführungsfähigkeiten.

Mag sein, dass die Einteilung etwas künstlich wirkt, aber in der Praxis hat sich gezeigt, dass es diese Unterteilung Ratsuchenden leichter macht, über Sexualität zu sprechen. Denn wer zu mir kommt, ist es meistens nicht gewohnt, sich bei diesem Thema zu öffnen. Viele Menschen sprechen kaum über ihre Sexualität beziehungsweise über ihre sexuellen Probleme, obwohl sie ansonsten ziemlich kommunikativ sind. Das Thema „eigene Sexualität“ ist immer noch äußerst schambehaftet, mehr noch als das Thema Sex im Allgemeinen, nicht nur bei den älteren Generationen, sondern bei allen. Die Einteilung in Komponenten hilft, im Gespräch sachlich, fast wissenschaftlich damit umzugehen. Als Sexologin mit einer klaren Vorgehensweise bin ich persönlich kein Gegenüber, das in Lachen ausbrechen oder rot werden würde. Ich bin für die Klienten und Klientinnen jemand, die sich auskennt, zuhört und gelassen mit Schwierigkeiten umgehen kann.

In diesem Kapitel konzentriere ich mich auf den ersten Bereich, diephysiologischen Komponenten.