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Mehr als 50 Jahre nach dem unvermeidbaren Ende der Fab Four verzaubert ihre Musik auch im Hier und Jetzt immer noch viele Menschen. Aber dem war nicht immer so. Auch die Beatles fingen einmal klein an, hatten wie viele andere Jugendliche ihre Idole und träumten megalomanisch davon, größer als Elvis zu werden. Und wenn man sich die zaghaften Anfänge anhört, weiß man, dass diese juvenilen Träume nicht mehr als ein Griff zu den Sternen war. Dieses Büchlein geht explizit der Frage nach, wie die Beatles den Sprung ganz nach oben geschafft haben. Wie war der Aufstieg von der engagierten Anfängergruppe zur größten Band der Welt möglich? War es pures Vermögen, die zahllosen Auftritte, ein ausgeprägter Geschäftssinn, ein cleveres Management, unglaubliches Glück, der passende Produzent - oder von allem etwas zur richtigen Zeit? Das Buch gibt eine Antwort!
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Seitenzahl: 431
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Inhalt
Einleitung
1960 – das Jahr der Wandlungen
Ein Vorspiel-Termin für Billie Fury
Die Beat Ballad Show-Tour
Gigs in Liverpool
Der erste Trip nach Hamburg
Die Setliste von 1960
Das Ende des ersten Hamburg-Trips
Der große Knall
Exkurs: Einstieg in die Drogen
Der zweite Besuch in Hamburg
Wie die Beatles zum Pilzkopf kamen
Erste Gehversuche im Schallplatten-Geschäft
Die Forthlin Road-Tapes
Erste Aufnahme in Hamburg
Die Setliste von 1961
Aufnahmen mit Tony Sheridan
Brian Epstein wird der Manager der Beatles
Die Decca-Tapes
Die Beatles in Hamburg, Teil 3
Die Setliste von 1962
Die Weichen werden gestellt
Der sechste Juni
Ein einschneidender Wechsel
Vierter September 1962 - die zweite Aufnahme-Session
Die Aufnahmen am 11. September
Die erste Single: „Love Me Do“
Zur Komposition
Die Single-Aufnahme zu „Please Please Me“
Der letzte Besuch in Hamburg
Die Bilanz des Jahres 1962
Zurück in England
Die Veröffentlichung der zweiten Single „Please Please Me“
Single-Analyse von: A. „Please Please Me“
B. „Ask Me Why“
Auftritte über Auftritte
Die Helen-Shapiro-Tour (Teil 1)
Entscheidende 585 Minuten am 11. Februar 1963
Die Helen Shapiro-Tour (Teil 2)
Die dritte Single: „From Me To You“
Die Tournee mit Chris Montez und Tommy Roe
Die Veröffentlichung des Albums „Please Please Me“
Ein böser Ausrutscher
Die Tour ging weiter
Nach der zweiten Tour
Die Roy Orbison-Tour
Eine neue Gitarre für George
Intermezzo: Die Single „How Do You Do It“
Immer weiter an die Spitze
Die Single „She Loves You“
Zur Liedstruktur von „She Loves You“
Die B-Seite: „I'll Get You“
Weiter nach oben
„With The Beatles“ - Aufnahmen für das zweite Album
Wieder on the road
Aufnahmen für „With The Beatles“, Teil zwei
Die Setliste von 1963
Der Sprung nach oben
Vor dem Sprung
Ganz oben – ein Fazit
Zeittafel – die wichtigsten Daten
Literaturverzeichnis
Selbst der größte Beatles-Gegner mit eiskaltem Blick, bar jeder emotionalen Bindung zum Objekt der Begierde, muss uneingeschränkt zugeben, dass diese Liverpooler Gruppe, was ihre Bedeutung für die Entwicklung der Pop- und Rockmusik anbelangt, im Ranking ganz oben steht – immer noch! 52 Jahre nach dem unvermeidbaren, offiziellen Ende der Fab Four zaubert ihre Musik auch im Hier und Jetzt einen schillernden Regenbogen über den Horizont zeitgenössischer Poplandschaft und leuchtet golden bis in ferne Enden die letzten Tiefen aus.
Aber dem war nicht immer so. Auch die Beatles fingen einmal klein an, hatten wie viele andere Jugendliche ihre Idole und träumten megalomanisch davon, größer als Elvis zu werden. Und wenn man sich deren zaghaften Anfänge anhört, weiß man, dass diese juvenilen Träume ein Griff zu den Sternen war.
Dieses Büchlein geht explizit der Frage nach, wie die Beatles den Sprung ganz nach oben geschafft haben. Wie war der Aufstieg von der engagierten Anfängergruppe zur größten Band der Welt möglich? War es pures Vermögen, die zahllosen Auftritte, ein ausgeprägter Geschäftssinn, ein cleveres Management, unglaubliches Glück, der passende Produzent, die perfekte Bandkonstellation, in der sich vier Individuen wunderbar ergänzten und eine Einheit bildeten, die für Großes geschaffen war – oder von allem etwas zur richtigen Zeit?
Wir starten im Januar 1960, als Stuart Sutcliff, Lennons bester Freund, in die Band eintrat und als erstes empfahl, den pennälerischen Bandnamen Quarrymen zu wechseln. Er erkannte sehr wohl, dass seine Freunde im Ungewissen schwebten. Weder in der Schule, noch auf dem College geschweige denn im Musikgeschäft waren sie bislang angekommen. Doch das sollte sich bald ändern. Denn ab diesem Zeitpunkt verfolgen wir, wie sich die Band kontinuierlich verbesserte, sich nach dem ersten schweißtreibenden Engagement in Hamburg ein lokaler Erfolg im heimischen Liverpool einstellte, der immer mehr anwuchs, sich in England ausweitete, bis schließlich eine Hysterie um die Beatles ausbrach, die es bis dato in der Weltgeschichte noch nicht gegeben hat. Das Buch endet am dritten August 1963, als die Beatles zum letzten Mal in ihrer Karriere im Liverpooler Cavern Club spielten. Nach knapp 300 Konzerten in diesem Club waren sie ihrer Heimatstadt endgültig entwachsen und auf dem Sprung zu internationaler Berühmtheit. Die Beatles hatten es endlich geschafft. Es war ein harter Weg, aber sie waren auf dem Sprung nach ganz oben.
Um diesen Sprung in seiner ganzen Gewichtung nachvollziehen zu können, werden wir die unzähligen Auftritte der Beatles verfolgen, werden dabei die unglaubliche Kraftanstrengung erkennen, die hinter all den Auftritten steckte. Es gab wohl keine Band zuvor und danach, die solch ein unglaubliches Pensum absolvierte. Aber die vielen Auftritte würden nicht allein den weltverändernden Sprung erklären, um den es in diesem Buch vornehmlich geht. Neben den vielen Auftritten verfolgen wir die Aufnahmen, mit denen die Beatles erste Studioerfahrungen sammeln konnten. Einher mit den Aufnahmen spielen natürlich auch die Manager Allan Williams und Brian Epstein eine wichtige Rolle, die wir beleuchten werden. Auch hier werden wir bei all diesen für die Entwicklung bedeutenden Stationen erkennen, wie John, George, Paul und Ringo an diesen Aufgaben wuchsen, sich den Gegebenheiten nicht nur anpassten, sondern in gewisser Weise dabei neue Maßstäbe setzten. Im gleichen Maß, wie sich die Beatles entwickelten, veränderte sich das Verhältnis der Medien ihnen gegenüber und mit ihnen schwoll die Resonanz des Publikums mächtig an. Pete Best, der vor Ringo die Trommelstöcke schwang, war, trotz seines nicht in Frage zu stellenden Engagements, den Entwicklungen und den einhergehenden Sprüngen nicht gewachsen. Bitter genug für ihn, kurz bevor alles losging, sich das harte Tourleben endlich auszahlte, abserviert zu werden. Die Beatles wollten es schaffen und schreckten vor diesem harten Schritt nicht zurück. Dieser unbeugsame Wille, verbunden mit der Leidenschaft zur Musik, verband die Beatles, brachte kollektive Leistungen hervor, die zuerst zu lokaler Akzeptanz führten, die sich zur nationalen und später zur globalen Hysterie ausdehnte.
1960 war das Jahr, in dem die Band entscheidende Wandlungen durchmachte. Wie Paul McCartney sich erinnert, stieg Weihnachten 59 Stuart Sutcliffe, ein Freund und Kollege Lennons vom Liverpooler College of Art, in die Band ein. Stuart bekam aufgrund seines großen Talents die Chance geboten, bei einer Ausstellung des Künstlers John Moore in Liverpool, die vom 17. November 1959 bis 17. Januar 1960 in der Walker Art Gallery in Liverpool stattfand, eines seiner Gemälde auszustellen. John Moore war vom Schaffen Stuarts so beeindruckt, dass er das Gemälde für die stattliche Summe von 65 englischen Pfund (ca. 800 Deutsche Mark) abkaufte. Lennon überredete seinen Freund, sich für das Geld einen Bass der deutschen Firma Höfner zu kaufen. Er entschied sich für einen Höfner President, Modell 500/5. Stuart hatte zwar in jungen Jahren etwas Klavier und Gitarre spielen gelernt, aber seine Begabung und Interesse lag eindeutig im Bereich der Malerei. So war klar, dass Sutcliffe keine großen musikalischen Impulse in die aufstrebende Band bringen konnte, aber für ihn war das Banddasein ein gelungener Kontrapunkt zur Malerei, und die Band hatte nun zumindest einen festen Bassisten, der zwar weit davon entfernt war, solide zu spielen, aber auf seine Art und Weise kreativ war. So steuerte er den Einfall bei, sich vom Bandnamen Quarrymen zu trennen, da Lennon schon seit drei Jahren nicht mehr an dieser Schule eingeschrieben war. Wie das große Vorbild Buddy Holly, der seine Band The Crickets (zu deutsch: Grillen) nannte, sollten sich auch die Quarrymen einen Insekten-bezogenen Namen zulegen. Von den Beetles (Käfer) kam er auf die Abwandlung The Beatals, ein Name, der im Laufe der nächsten Monate von Lennon alteriert wurde in Silver Beats, Silver Beetles, Silver Beatles, bis schließlich Mitte August 1960 der Name endgültig unverrückbar feststand: The Beatles.
Zwar hatten die Beatles nunmehr einen festen Bassisten in der Band, aber es fehlte an Schlagzeugern. Wie sich Lennon später erinnerte, lag der Mangel an Schlagzeugern in Liverpool darin begründet, dass die Instrumente für die meisten unerschwinglich waren, und die wenigen Schlagzeuger, die sich das teure Equipment leisten konnten, bereits in Bands untergekommen waren. Trotz oft wechselnder Schlagzeuger gab es im Jahr 1960 dennoch eine kontinuierliche Entwicklung: Die Band sollte ihre erste organisierte Tour in Schottland bekommen, die Gagen erhöhten sich, so dass die Hoffnung aufglomm, von der Musik tatsächlich leben zu können; ab August gingen die Beatles für drei Monate nach Hamburg, um dort regelmäßig aufzutreten. Und schließlich kam es nach der Rückkehr aus Hamburg zu ersten Ansätzen einer Beatles-Begeisterung in Liverpool, knapp drei Jahren vor dem Einsetzen der landesweiten Beatles-Mania. Mitverantwortlich für diesen entscheidenden Schritt in die Professionalität war Allan Williams, Besitzer des Jacaranda Clubs, einer kleinen Kaffeebar in der Sales Street 23 im Zentrum Liverpools, der sich gelegentlich für Liverpooler Band einsetzte. John Lennon, Paul McCartney und George Harrison waren oftmals im Jacaranda-Club zugegen und traten dort auch ein paarmal auf. Der erste Gig war am 30. Mai – wie oft die Silver Beatles dort spielten, ist nicht bekannt. Es müssen etwa ein Dutzend Auftritte in diesem Jahr gewesen sein. Am Samstag, den 18. Juni, feierten die Silver Beatles Pauls 18. Geburtstag in Form eines Auftritts im Grosvenor Ballroom, Liscard, Wallasy, wo sie insgesamt in diesem Jahr neunmal auftraten, bis aufgrund von überhand nehmenden Schlägereien eine Stadtverordnung erlassen wurde, die besagte, dass in diesem Lokal nur noch langsamere Lieder gespielt werden durften, um die dort auftretende Gewalt einzudämmen. Rock' n'Roll war seitdem in diesem Lokal untersagt. Somit konnten die Silver Beatles dort nicht mehr auftreten.
Vor dem großen Hamburg-Abenteuer konnten die Silver Beatles auf einer neuntägigen Schottland-Tournee als Begleitband des 20-jährigen Sängers Johnny Gentle eine Vorstellung gewinnen vom glamourösen Rock'n'Roll-Dasein on the road. Wie kam es dazu? Vom 14. bis 20. März 1960 traten Eddie Cochran und Gene Vincent im Liverpooler Empire auf. Veranstaltet wurde dieser Event von Larry Parnes, dem erfolgreichsten Impressario Englands, der in London residierte. Den Shows war ein großer Erfolg beschieden, und Allan Williams kam auf die Idee, dieses Spektakel zu wiederholen und zugleich Liverpooler Künstler ins Show-Boot zu hieven. Er konnte bei dieser geplanten Aktion, wie er selber später genüsslich anmerkte, das große Geld riechen. Also kontaktierte er Parnes in London und vereinbarte mit ihm eine Wiederholungsshow mit den beiden US-Stars Eddie Cochran und Gene Vincent für den dritten Mai erneut in Liverpool, aber diesmal im Stadium in der Boxtet Street. Neben vielen Künstlern aus London und Amerika traten nun auch Liverpooler Künstler auf, darunter Cass & the Casanovas und Rory Storm and the Hurricanes. Der Vorverkauf der Tickets lief gut an, bis sich eine Tragödie ereignete. Am 17. April verunglückte Eddie Cochran auf dem Weg von Bristol zum Londoner Flughafen auf Höhe von Chippenham, Wilshire, bei einem Verkehrsunfall tödlich. Auch Gene Vincent, der mit Cochran im Wagen saß, wurde schwer verletzt. Neben einer Verletzung am Bein, die er sich als Jugendlicher bei einem Motorradunfall zugezogen hatte, kam nun eine Schlüsselbein-Fraktur hinzu.1 Zum Konzert waren es noch genau 16 Tage, und Parnes dachte daran, das Konzert abzusagen, aber als er hörte, dass Vincent auftreten würde, engagierte er für den verstorbenen Cochran kurzerhand Julian ,X‘ und Dean Webb. Allan Williams nutzte die Gelegenheit und lud für die Show weitere Liverpooler Acts ein: darunter Jerry and the Pacemakers2, Bob Evans and his Five Shillings, Mal Perry und die Connaughts. The Beatals, so hießen die Fab Four zu diesem Zeitpunkt, waren nicht im Aufgebot. Das hatte mehrere Gründe. Williams mochte die Band, fand aber, dass sie spielerisch für diese Herausforderung noch nicht so weit waren wie die anderen nominierten Bands. Der ausschlaggebende Fakt jedoch war, dass The Beatals zu diesem Zeitpunkt wieder einmal keinen Schlagzeuger hatten. So kam ein Auftritt bei diesem Groß-Event erst gar nicht in Frage. Dafür saßen die vier Jungs – John, Stuart, Paul und George – unter den begeisterten Zuschauern in der 30. Reihe und genossen die Show. Vor allem von Gene Vincents Show waren sie beeindruckt, besonders Lennon. Diesem Event war ein großer Erfolg beschieden und Parnes, der extra aus London angereist war, erkannte das große Potential an Merseyside-Künstlern. So erklärte er Williams gleich nach der Show im Jacaranda Club, dass er für seine Solo-Künstler, die bei ihm unter Vertrag standen, gerne Liverpooler Bands als Begleitgruppe verpflichten würde. Unter Parnes Künstlern waren sein Zugpferd Billy Fury, Duffy Power, Tommy Steele, Wickie Pride, Georgie Fame und der Liverpooler Johnny Gentle, um nur einige zu nennen. Billy Fury3 stand kurz vor einer großen England-Tournee, und da sich seine Begleitband The Blue Flames aufgelöst hatte, suchte Parnes für ihn händeringend nach einer guten Begleitband. Daher vereinbarten Williams und Parnes eine Woche später, am 10. Mai, einen Termin, bei dem Liverpooler Bands sich vorstellen konnten. Zum Glück hatte Williams fünf Tage zuvor den Beatals einen Schlagzeuger vermittelt. Tommy Moore war 28 Jahre alt und somit deutlich älter als die vier Beatals, aber er war ein solider Schlagzeuger, der beste, den die Band bis dato hatte, wie Lennon später erzählte, und so konnten die Jungs an dem wichtigen Vorspieltermin teilnehmen. Brian Cassar, Sänger und Gitarrist bei Cass and the Cassanovas, konnte ein paar Tage zuvor die Beatals überreden, ihren Namen zu überdenken, da er ihn lächerlich fand. Er schlug vor, die Band solle sich in Long John and the Silver Beetles umbenennen, aber Lennon war gegen den Vorschlag, weil er sich nicht Long John nennen wollte. Aber sie einigten sich zu diesem Zeitpunkt auf den Namen Silver Beetles. Am 10. Mai 1960 fuhren die Silver Beetles also mit dem Bus in die Seel Street 108 in Liverpool, um im Blue Angel Club, wo die Audition stattfinden sollte, vorzuspielen. Sie erkannten natürlich, welch große Chancen das Vorspielen bot und Lennon freute sich sehr, den Jung-Star Billy Fury kennenzulernen. Er hatte eigens ein Notizbuch für Autogramme bei sich, um sich eine Widmung von Fury zu sichern. Neben Veranstalter und Organisator Allan Williams und einem befreundeten Fotografen Cheniston Roland, der den Event aufnehmen sollte, waren insgesamt sechs Bands vor Ort, die vorspielten: Headliner Rory Storm and The Hurricanes, Cass & The Casanovas, Gerry and the Pacemakers, weiterhin spielten Cliff Roberts and The Rockers, Derry and the Seniors sowie The Silver Beetles. Etwas später erschienen Parnes, sein Assistent Mark Forster und natürlich der Star, um den sich alles an diesem Tag drehte: Billy Fury. Allan Williams hatte kurz zuvor auf einem Notizzettel die Reihenfolge der Bands festgelegt. Zuerst sollten die etablierten Bands spielen: Rory Storm and The Hurricanes, Cass and The Cassanovas, Derry and The Seniors, sowie Gerry and The Pacemakers. Diese vier Gruppen waren routiniert. Nach einer kurzen Pause folgten dann Cliff Roberts and The Rockers und schließlich zu guter Letzt the Silver Beetles. Grund für die Letztplatzierung war, dass die Silver Beetles ohne Schlagzeuger Tommy Moore erschienen und sie konnten nicht sagen, wann Moore aufkreuzen würde. So war Williams wegen des Fehlens des Schlagzeugers gezwungen, die Silver Beetles an letzter Stelle zu platzieren und war bestimmt irritiert ob der umprofessionellen Vorgehensweise der Band. Moore sammelte irgendwo in Liverpool Clubs diverse Schlagzeug-Utensilien auf, hatte sich im Zeitplan verschätzt und verspätete sich so zu dem bis dahin wichtigsten Termin der Band. Als die Silver Beetles am Schluss an die Reihe kamen, war Moore immer noch nicht aufgetaucht. Zum Glück konnte Williams Johnny Hutchinson, den Schlagzeuger von Cass & the Casanovas überreden, für Tommy Moore einzuspringen, der, wie man auf einem auf dem Showcase geschossenen Foto erkennen kann, sichtlich wenig erfreut war, für eine kleine Studentenband zu trommeln. Die Silver Beetles spielten vier Songs mit einer Spielzeit von etwa zehn Minuten. Während der Hälfte des Sets tauchte dann endlich Tommy Moore auf, der den gelangweilten Hutchinson ablöste. Williams, Parnes wie auch Künstler Fury beteuerten nach der Audition, dass ihnen die jungen Silver Beetles am besten gefallen habe, waren aber irritiert von der Vorstellung Stuart Sutcliffs am Bass wie auch von der Vorstellung des nervös wirkenden und zu spät gekommenen Schlagzeugers, der nicht richtig in das Gesamtbild passen wollte. Paul Mc-Cartney gab dem unsicheren Stuart vor dem Auftritt den Tipp, sich vom Publikum wegzudrehen und eine Elvis-Pose einzunehmen, um die gravierenden Schwächen am Bass besser zu kaschieren. Er war zu diesem Zeitpunkt immer noch Anfänger am Instrument. Natürlich fiel das mangelhafte Spiel auf. Angeblich wollte Parnes die Band überzeugen, sich von Sutcliffe zu trennen: Er bot ihnen hierfür 20 Pfund pro Kopf an sowie den Zuschlag als Begleitband für Fury, doch die Silver Beetles verhielten sich loyal und lehnten das Angebot ab. Sie standen geschlossen hinter Stuart Sutcliffe. Eine Begleitband für Fury wurde an diesem Tag nicht gefunden. Zwei Tage später bekam Williams jedoch die Nachricht, dass Parnes zwei weitere Solo-Künstler für die Bands anbietet. Unter den Künstlern war der 23 Jahre alte Liverpooler Sänger Johnny Gentle, für den eine kleinere Ballroom-Tour durch Nordengland und Schottland vorgesehen war. Die Silver Beetles waren die erste Wahl. Doch das erfuhren sie erst ein paar Tage später. Am 14. Mai hatten die Beatles ein Konzert in der Latham Hall in Seaforth, im Norden Liverpools. Veranstalter war diesmal nicht Williams sondern Brian Kelly. Wie Kollege Williams oder Agent Sam Leach erkannte er die große Chance, mit den Bands, die soeben den Sprung von Skiffle zu Rock'n'Roll wagten, großes Geld zu machen. An diesem Abend tauften sich die Silver Beetles um in Silver Beats. Sie waren nicht der Hauptakt des Abends, und auf den Plakaten gab es von ihnen keine Ankündigung. Attraktion des Abends waren Cliff Roberts and The Rockets, the Deltones sowie King Size Taylor and The Dominoes. Die Silver Beats spielten lediglich ein paar Songs in den Pausen, hauptsächlich um Veranstalter Brian Kelly von ihrem Können zu überzeugen. Es gibt zwei Berichte von diesem Abend, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ein Teilnehmer meinte, die Band spielte so miserabel, dass Kelly nach dem ersten Song der Silver Beats abwinkte und die Band bat zu gehen; die lokale Zeitung Bootle Times wiederum schrieb, dass die Silber Beats sensationell aufgespielt hätten. Tatsache ist, dass Kelly die Band für einen weiteren Auftritt buchte. Am 21. Mai sollten die Silber Beats zusammen mit King Size Taylor erneut in der Lathom Hall auftreten. Für dieses Konzert ließ Kelly eigens Plakate drucken, doch die Silver Beats konnten das Engagement nicht ausführen. Drei Tage zuvor, am 18. Mai rief Allan Williams Paul McCartney zu Hause in der Forthlin Street an und teilte ihm mit, dass die Silver Beetles (so hießen sie nun wieder) mit Johnny Gentle auf Tour gehen sollten; die neuntägige Tournee mit sieben Auftritten war durch Schottland geplant worden - die Silver Beetles konnten ihr Glück kaum fassen.
1 Eine tragische Geschichte, die auch hätte anders ausgehen können. Bei der letzten Show vor dem Unfall am 16. April in der Colston Hall in Bristol nahm auch Jung-Star Johnny Gentle teil, der Eddie Cochran anbot, ihn mit dem eigenen Auto nach London mitzunehmen. Da Eddie unbedingt mit Freundin Sharon, Gene Vincent und Manager Pat Thomkins reisen wollte, musste Gentle passen. Johnny Gentle hatte seine Freundin bei sich, so dass nicht genügend Plätze in seinem kleinen Auto vorhanden waren. So kam es dass Cochran, Vincent, Sharon und der Manager ein Taxi nahmen. Die letzten Worte Cochrans zu Gentle waren: „Hey, that's no problem - I'll get a rental“. Während der Fahrt zwischen Bath und Chippenham platzte dem Taxíauto ein Reifen und prallte gegen einen Laternenpfosten. Cochran erlitte eine schwere Kopfverletzung, an der er 16 Stunden später verstarb. Sein Einfluss auf die englische Jugend war immens. Die anderen Insassen überlebten.
2 Auf den Plakaten für die Show stand tatsächlich Jerry und nicht Gerry
3 Sein bürgerlicher Name war William Wycherley ,und er war Jahrgang 1940 und somit im gleichen Alter wie Lennon und Sutcliffe. Er wurde 1959 bei einem Konzert im Essoldo Theater in Birkenhead von Larry Parnes unter Vertrag genommen. Seine erste Single „Maybe Tomorrow“ blieb neun Wochen in den UK-Charts und erreichte Platz 19. Für McCartney war Billy Fury der erste Liverpooler Lokalmatador, der den Sprung ins nationale Show-Business schaffie.
Dass die Tour unter dem Namen Beat Balls Show laufen sollte, kam nicht von ungefähr. Beat war 1960 durch die Popularität der Beat-Generation, allen voran natürlich Kerouac, in aller Munde. Nicht umsonst kocketierten die Silver Beetles, aka Beatals, aka Silver Beats etc mit diesem lodernden Wort. Der Begriff stand für Jugend, Abenteuer, Leidenschaft und ungezügelter Musik, die nach der Ablöse von Skiffle im Rock'n'Roll ungehemmt zur Geltung kam. Beat war hip! Und die Silver Beetles sollten zum ersten Mal bei einer richtigen Tournee mitwirken, noch dazu mit einem Star, was ausverkaufte Häuser garantierte. Für Liverpooler Bands war es in diesen Tagen eine große Sache, mit einem Star auf Tour zu gehen. Noch dazu auf eine Rock'n'Roll-Tour: wilde Musik, Mädchen, Bier in Strömen, und das zu tun, was man am liebsten tut: Musik machen. Die Silver Beetles bekamen den Zuschlag als einzige Band aus Allan Williams Stall. Trotz des nicht überzeugenden Bass-Spiels von Stuart und der Verspätung des Schlagzeugers hatte Larry Parnes Vertrauen in die Silver Beetles gefasst. Vermutlich waren es der Charme und das Auftreten, die Parnes das insgesamt unprofessionelle Rundherum vergessen ließ. In der festen Überzeugung, nun groß ins Pop-Geschäft einzusteigen, legten sich die Silver Beetles eigens für die Tour Pseudonyme zu: Paul nannte sich Paul Ramon, George nahm in seiner Verehrung für Carl Perkins dessen Vornamen an: Carl Harrison, Stuart Sutcliffe wurde zu Stuart de Stael, nach dem russischen Künstler Nicholas de Stael. Lennon hieß nun Johnny Lennon und aus Tommy Moore wurde Thomas Moore (wie der Schriftsteller). Harrison, der zu dieser Zeit als Lehrling bei der Firma Blackler in der Great Charlotte Street arbeitete, konnte sich für die geplante Tour frei nehmen. Bei McCartney war es etwas komplizierter: bei ihm standen die entscheidenden A-Level-Prüfungen an, für die er, mit der Duldung seines Vaters, nicht antrat. James McCartney war selbst Musiker, spielte lange in einer kleinen Jazz-Kombo (Jim Mac's Jazz Band) und wusste genau, wie wichtig dieses Engagement für seinen Sohn war. Lennon und Sutcliffe schwänzten die Kurse im College of Art. Die Tour wurde zusammengestellt und organisiert von Duncan McKinnon, der bekannt war als „drunken Duncan“ und der, wie die Silver Beetles später feststellen sollten, keine Ahnung vom Booking-Geschäft hatte. Für die Tour mit Johnny Gentle sollten die Musiker in den neun Tagen knapp 2000 km mit einem alten Bus herumreisen.
Die fünf Silver Beetles trafen sich am 20. Mai um 11.45 Uhr im Punch and Judy-Cafe in der Lime-Street, gleich um die Ecke vom Bahnhof in Liverpool. So war noch genug Zeit für einen Drink. Der Zug nach Glasgow ging pünktlich ab um 12.25 Uhr. Sie hatten ihre Instrumente und Verstärker mit an Bord. George Harrison war als Elektrik-Lehrling der Technik-Chef der Band. Im Falle eines Ausfalls der anfälligen Gitarrenverstärker hatte er Lötkolben, Sicherungen und ein Schraubenzieher-Set dabei. Der Zug hielt in Stirling, dort nahmen sie den Anschlusszug, der sie nach Alloa am Fluss Forth in Clackmananshire brachte, dem ersten Auftrittsort. Dort vereinbarten die Silver Beetles, ihren Namen erneut zu ändern. Während der Tour wollten sie sich schlichtweg The Beatles nennen – gemäß dem Vorbild von Buddy Holly and The Crickets. Auf den Plakaten war diese Änderung nicht festgehalten; dort stand lediglich Johnny Gentle and his Backing Band. Weder gaben sie Allan Williams über die Namenänderung Bescheid, der ihnen unter dem ihm bekannten Namen Silver Beetles in deren Abwesenheit im Grosvenor Ballroom einen Auftritt verschaffte. Auch Brian Kelly informierten sie nicht, dass der Gig in der Lathom Hall nicht klappen sollte. Promoter Kelly schaltetet eigens für den Gig eine Anzeige in der lokalen Zeitung Bootle Times. Es war das erste Mal, dass die Silver Beatles in einer Zeitung erwähnt wurden.
Die Beatles kamen gegen 19.30 Uhr in Alloa an und gingen stracks ins Alloa Minicipal Headquarter, wo das Konzert stattfinden sollte. Der Star und Headliner der Tournee, Johnny Gentle, war bereits anwesend. An diesem Abend war auch Alex Harvey zugegen, der ebenfalls auftreten sollte, wie auch Babby Tankine, ein schottischer Lokalheroe. Manager Duncan schickte die Beatles und Gentle in einen Nebenraum. Dort konnten sie kurz die Songs proben, die auf dem Programm standen. Sie übten „Poor Little Fool“ und „Mary Lou“ von Ricky Nelson, „He'll Have To Go“ und „Have I Told You Lately“ von Jim Reeves, von Clarence Henry spielten sie „I Don't Know Why I Love You“. Elvis durfte nicht fehlen: von ihm übten sie „I Need Your Love Tonight“. Die letzte Nummer des Abends, der vermeintliche musikalische Höhepunkt des Abends, war „OK, You Win“, ein Song von Peggy Lee. Nach knapp einer Stunde war die Probe zu Ende. Die Beatles sollten auch ein eigenes Set am Abend haben: Sie hatten folgende Songs im Programm: „Hello Little Girl“, „The One After 909“, „Bye Bye Love“ von den Everly Brothers, „Tutti Frutti, „Lucille“ und „Long Talk Sally“ von Little Richard, „Twenty Flight Rock“ und „Halleluja I Love Her So!“ von Eddie Cochran, „Stuck On You“ von Elvis, „That'll Be The Day“ von Buddy Holly, „Be Bop A Lula“ und „Wild Cat“ von Gene Vincent, „What I'd Say“ von Ray Charles, „Little Queenie“ von Chuck Berry und schließlich „Hully Gully“ von den Olympics. Das Konzert verlief so weit gut, alle Künstler wurden vom Publikum begeistert aufgenommen, auch das Set der Beatles überzeugte. Einzig Promoter Duncan fand den Auftritt der Beatles ungenügend. Für ihn war die Band eine Horde schäbig gekleideter Teenager. Am nächsten Morgen telefonierte er mit Larry Parnes, um ihm seinen negativen Eindruck mitzuteilen, die die Beatles bei ihm hinterlassen hatten. Parnes blieb gelassen, beruhigte den aufgebrachten Duncan und sprach kurz darauf mit Gentle. Der Solo-Künstler sah kein Problem, fand das Set der Beatles großartig. Er wusste genau, dass die Probe mit seinem eigenen Programm zu kurz war.
Am nächsten Tag ging es für den zweiten Gig über 200 Kilometer weiter nach Inverness, in den Northern Meeting Ballroom in der Church Street. Die Show ging über vier Stunden. Mit dabei waren erneut Alex Harvey und seine Band sowie Ronnie Watt and his Cheekers. Enttäuscht stellten sie fest, dass sie im Gebäude in der oberen Nebenhalle spielten, während in der unteren Haupthalle zur gleichen Zeit die traditionelle Lindsay Ross Band spielte zum „Oldtyme“-Tanz. Jedoch war die musikalische Präsentation der Beatles an diesem zweiten Tourtag deutlich besser als in Aloa. An diesem Abend, dem 21. Mai, hätten sie ihren ersten offiziell in der Presse angekündigten Auftritt in der Latham Hall gehabt. Der Veranstalter, der nicht wusste, dass die Beatles auf Tour waren, war mit Sicherheit nicht erfreut. Die Beatles hatten jedoch am zweiten Tag der Tour ganz anderes im Sinn. Die Nähe zu Gentle und Parnes brachte sie auf den Geschmack. Liebend gerne wären sie bei dem Londoner Impressario unter Vertrag gekommen und hofften insgeheim, dass Johnny Gentle, mit dem sie sich auf Anhieb gut verstanden, ihnen dabei helfen könnte.
Für den nächsten Tag war kein Konzert geplant, aber interessant ist, dass Johnny Gentle im Hotel eine Eigenkomposition anstimmte, die seines Erachtens noch nicht ganz stimmig war. Lennon sprang sofort ein und half ihm, den B-Teil des Songs fertigzustellen. „I've Just Fallen For Someone“ sollte zwei Jahre später eine Single werden, allerdings nicht unter dem Namen Gentle, sondern unter dem neuen, vielversprechenderen Namen Darren Young. Es war die erste veröffentlichte Aufnahme, an der John Lennon beteiligt war.
Am 23. Mai wanderte die Beat Ballad Show weiter nach Frazerburgh, in die Dalrymple Hall, 140 Kilometer westlich von Inverness. Vor der Fahrt machten die Beatles einen Ausflug ins Grüne zusammen mit McKinnon und kamen leicht betrunken zurück. Vor der Abfahrt wurde beschlossen, dass nicht der Fahrer Gerry Scott am Lenkrad sitzen soll, da er zu betrunken war, sondern Johnny Gentle – keiner der Beatles hatte einen Führerschein, was sich erst drei Jahre später ändern sollte. Auf der Hälfte der Strecke kam es zu einem Unfall. Gentle saß am Steuer, neben ihm saß Lennon, der schlief, der Rest war im hinteren Ende des Transporters. Kurz abgelenkt, übersah Gentle einen Austin an der Kreuzung und donnerte direkt in den Wagen, in dem ein älteres Ehepaar saß. Zum Glück blieb das Paar unverletzt und kam mit dem Schrecken davon, jedoch im Bus sausten durch den harten Aufprall Gitarrenkoffer durch die Luft, einen davon bekam Tommy Moore ab, direkt ins Gesicht. Seine Lippe platzte auf, und er verlor einen Vorderzahn. Im Krankenhaus wurden Moores Risse genäht. und er konnte trotz seines lädierten Aussehens und trotz eingenommener Schmerztabletten auftreten. Die anderen Insassen blieben zum Glück unversehrt. Der Gig verlief ungeachtet des Unfalls erstaunlich gut, aber die Beatles hatten ein weiteres Problem: sie waren völlig pleite und konnten sich weder Hotel noch Verpflegung leisten. Daher baten sie Parnes, die Gage früher als vereinbart zu schicken. Zum Glück hatten sie wieder einen freien Tag, so konnte sich Moore vom Unfall etwas erholen.
Am 25. Mai fuhren die angehenden Künstler mit dem alten Van weiter Richtung Keith. Dort, in dem 5000-Seelen-Nest, fand der Auftritt in der St. Thomas Hall, Chanel Street, statt. Es war der kleinste Ort auf der Tour. Die Beatles wollten an diesem Tag neue Songs im Programm aufnehmen. So probten sie „Words Of Love“ von Buddy Holly, „Kansas City“ und „Jenny Jenny“ von Little Richard. So unscheinbar der Ort war, so spektakulär muss der Auftritt der Beatles an diesem Abend gewesen sein. Die eigenen Songs wie „One After 909“ wurden begeistert vom Publikum aufgenommen. Höhepunkt des Abends war die ekstatische Darstellung von „Hey Hey Hey“ und „Kansas City“ der Komponisten Leiber und Stoller. Ein Song, den die Beatles noch weitere fünf Jahre immer wieder spielen sollten. Allen Anwesenden, darunter Johnny Gentle und McKinnon, war klar, dass sie an diesem Abend die Zukunft des Rock'n'Roll gesehen und gehört hatten. Auch Williams hörte von dem Erfolg der Beatles und machte sich unverzüglich an die Arbeit, der Band nach Tourende ein paar Konzerte zuzuschanzen. So vereinbarte er sechs Konzerte im Institute in Wirral, Liverpool. An sechs Donnerstagen hintereinander sollten die Beatles dort spielen, beginnend ab 02. Juni.
Donnerstag, den 26. Mai, landete die Crew in Forres, Morayshire in der Town Hall. Rikki Barnes and The All Stars leiteten den Abend ein. Zum ersten Mal wurden die Beatles auf der Tour von Johnny Gentle mit deren Namen vorgestellt und erhielten tosenden Applaus.
Den nächsten Tag, es war Freitag, der 27. Mai, folgte die Show in Nairn, Nairnshire, in den Regal Ballroom. Nach einem 30-minütigen Auftritt von Gentle spielten die Beatles ihr eigenes Programm, spielten wie am Vorabend gut, das Publikum war begeistert, vor allem die Mädchen – es war ein kleiner Vorgeschmack, auf das, was knapp drei Jahre später zur Regel werden sollte.
Am Samstag, den 28. Mai, endete die Beat Ballade Show-Tour. An diesem finalen Tag spielten sie in der Rescue Hall in der Prince Street, in Peterhead, Gespannschaft Aberdeenshire. Johnny Gentle wurde vom öffentlichen DJ angekündigt, und dann ging es los. Die Beatles begleiteten ihn. Sie starteten mit „Poor Little Foot“ und „I need Your Love Tonight“, am Ende des Sets kam wie an jedem Abend „Well OK, Alright You Win“. Gentle gab anschließend, wie an den anderen Abenden auch, Autogramme, aber an diesem Abend merkte er, dass er nicht die Hauptattraktion in den Augen der Mädchen war, sondern dass sie auf jemand anderen warteten. Diese „Anderen“ waren die Beatles, die im Anschluss auftraten. Die Band startete mit „Kansas City“, und die Menge tobte. Die Mädchen hatten nur Augen für Paul. Er sang wie entfesselt und auch John, Stewart und George sah man die Spielfreude an. Sie waren in ihrem Element, und man merkte am Ende der Tour, dass die Spielpraxis den Beatles einen Schub gegeben hatte. Sie hatten sich zum ersten Mal auf der Bühne zu Höchstleistungen anspornen können. Dieser Abend war die Krönung des bisherigen Band-Daseins. Das letzte Lied, das sie anstimmten, war „Jenny Jenny“, dann gingen sie von der Bühne, verschwitzt aber glückselig.
Am nächsten Tag fuhr Gerry die Beatles um neun Uhr nach Aberdeen; der Zug von dort Richtung Liverpool ging um 10.45 Uhr ab. Johnny Gentle nahm einen späteren Zug nach London.
Der ersten Tour der Beatles durch Schottland war zwar kein finanzieller Erfolg beschieden, musikalisch betrachtet waren diese sieben Termine aber ein großer Schritt in Richtung Professionalität. Sie hatten sich als Begleitband wie auch als selbständiger Akt behaupten können und den Respekt der Veranstalter gewonnen. Nach dieser Tour wurden die Beatles von Allan Williams wesentlich ernster genommen als vor der Tour. Die Anzahl der Auftritte nach dieser Tournee potenzierte sich deutlich. Und nicht zu vergessen, die Beatles hatten seit Wochen mit Tommy Moore einen festen Schlagzeuger, der, wenn er auch vom Alter her nicht passte, doch in gewisser Weise ein Garant dafür war, vermehrt Gigs zu bekommen, besonders in größeren Dance-Halls. Obgleich auf der Tournee deutlich wurde, dass Moore aus den gehobenen Gesprächen über Beat-Literatur und Kunst ausgeschlossen war. Nicht allein das Alter war für eine gewisse Distanz ausschlaggebend. Alles in allem sah es im Frühjahr so aus, als ob die Beatles allmählich ins Geschäft kamen.
Die Gigs häuften sich und die Silver Beetles – so hießen sie nun wieder nach der Tournee, weg vom Beat, dem großen Mode-Wort - etablierten sich neben Gerry and The Pacemakers, mit denen sie immer häufiger Abende bestritten, in der Liverpooler Club- und Dancehall-Szene. Ein wichtiger Indikator für den Ein- und Aufstieg war, dass sie nun in Clubs Folgegigs bekamen. Das bedeutete, dass die Veranstalter in den Silver Beetles einen Garanten für einen erfolgreichen Abend sahen. Sie spielten im Grunde nur in drei Clubs, dafür aber dort regelmäßig: immer montags im Jacaranda Club bei Allan Williams. Sie bekamen zwar keine Gage im Club, dafür konnten sie nach Belieben essen und trinken. Sodann im Institute in der Hinderton Road in Wirral, Chesire, wo sie insgesamt sechsmal auftraten. Hinzu kam, dass die Silver Beetles auch oft im Grosvenor Ballroom auftraten, dort gab es die „Big Beat-Nights“, wo nicht nur das Tanzbein geschwungen wurde, sondern auch leider die Fäuste. Schlägertrupps tauchten unvermittelt auf und machten Ärger. Mit Schrecken sah die Band dort Massenprügeleien, die Tanzfläche war in Blut getaucht.
Am 11. Juni war ein erneuter Gig im Grosvenor Ballroom vorgesehen. Die Silver Beetles bauten ihre Verstärker auf und stellten fest, dass Tommy Moore fehlte. Gemeinsam fuhren sie zu seiner Wohnung. Dort empfing sie seine Freundin Veronica Hughes, die mitteilte, dass Moore keine Lust mehr hätte, in der Band weiterhin zu spielen und er einen Job als Gabelstapler in der Nachtschicht bekommen habe. Die Silver Beetles versuchten, auf die Freundin gut einzureden, doch sie beschimpfte die Band. So fuhren die Silver Beetles zur Flaschenfabrik Gaston, wo Moore als Gabelstapler-Fahrer beschäftigt war und versuchten ihn zu überreden. Vergebens. Moore stieg nicht einmal von seinem Gabelstapler ab. Er hatte genug von Lennons zynischen Attacken, mit denen er schon auf der Tournee seine Probleme hatte. So fuhren die Silver Beetles ohne Schlagzeuger zurück in den Ballroom. Als das Publikum feststellte, dass die Band zwar mit Schlagzeug, dafür aber ohne Schlagzeuger auf der Bühne stand, kippte die Stimmung. Um das Publikum in den Griff zu bekommen, ging Lennon ans Mikrofon und fragte nach, ob jemand im Saal das Schlagzeug spielen könne. Tatsächlich meldete sich jemand aus dem Publikum. Es war leider kein Schlagzeuger, sondern ein Hooligan namens Ronnie. Er war groß und angsteinflößend, und er war der Anführer einer Gang im Liverpooler Distrikt Wallasey. Während dieser Hooligan am Schlagzeug herumstocherte – spielen konnte er nicht, – rief Lennon in seiner Verzweiflung Allan Williams an und bat ihn schnell zu kommen, um das Equipment inklusive Schlagzeug zu retten. Williams eilte tatsächlich heran und erlöste die Band aus dieser beklemmenden Situation. So standen die Silver Beetles erneut ohne Schlagzeuger da. Und ein Entschluss stand für sie nach diesem Abend fest: Sie wollten sich nicht mehr der Gefahr einer Schlägerei aussetzen. Dazu kam es auch nicht mehr, denn weitere Engagements blieben aus. Kein Veranstalter wollte für einen Tanz-Abend eine Band ohne Schlagzeuger engagieren.
Tommy Moore spielte noch einen Gig mit den Silver Beetles vor deren Abreise nach Hamburg; danach fasste er nicht mehr Fuß im Musikgeschäft. Acht Jahre später veröffentlichte eine portugiesische Zeitschrift ein Porträt des ehemaligen Silver-Beetles-Drummers. Auf den Bildern war ein verhärmter Mann in ärmlichen Verhältnissen zu sehen, der täglich zehn Stunden für geringen Lohn in der Fabrik schuftete. Am 29. September 1981 starb Moore kurz vor seinem 51. Geburtstag an einer Hirnblutung.
Ein Kuriosum ist erwähnenswert. Zusammen mit einem indischen Geschäftsmann, der aufgrund seines Aussehens Lord Woodbine genannt wurde, da ihm immer und überall eine Zigarre aus dem Mundwinkel hing, öffnete Williams einen Stripclub namens New Cabaret Artistes in der Upper Parlament Street 174 a, dem Rotlichtviertel Liverpools, wo sich Prostituierte feilboten. Eigens für den Club engagierte Williams eine üppig ausgestattete Stripperin namens Janice, die ihm einen guten Umsatz versprach. Allerdings, so meinte sie, würde sie nur auftreten mit einer Band, die sie musikalisch unterstütze. Mit einer Jukebox-Beschallung im Rücken wolle sie nicht tanzen. Sie brauche für ihre Show eine richtige Live-Band. Da Williams wusste, dass die Silver Beetles ohne Schlagzeuger keine Auftritte hatten, buchte er sie für eine ganze Woche. Zuerst weigerten sich die Silver Beetles, diese Aufgabe zu übernehmen. Aber als sie hörten, dass sie für den Job pro Mann täglich 10 Schilling bekämen, sagten sie zu. Dieses Wochenengagement muss irgendwann im Juli 60 stattgefunden haben. Das genaue Datum lässt sich nicht mehr eruieren. Die Silver Beetles bauten ihre kleinen Verstärker auf, und die Stripperin übergab ihnen vor ihrem Auftritt Notenblätter von Beethoven und Khachaturian. Da keiner der vier Noten lesen, geschweige denn vom Blatt spielen konnte, spielten sie stattdessen alte Standards: „Harry Lime“ (Third Man Theme), „Summertime“, „Moonglow And The Theme From Picnic“, „September Song“, „It's A Long Way To Tripperary“ und „Begin The Beguine“. Diese Woche war ein Rückschlag in der Karriere der Schlagzeuglosen Silver Beetles.
Die vier Silver Beetles blieben zum Glück nicht lange ohne Schlagzeuger. Kurz nach dem Stripclub-Engegement hörten sie in der Slater Street gegenüber dem Jacaranca Club beim Verlassen des Lokals, wie jemand Schlagzeug übte. Nach einigem Suchen fanden sie Norman Chapman, dem sie die freie Stelle als Schlagzeuger anboten. Der Schlagzeuger willigte ein, in die Band einzusteigen unter der Bedingung, dass nicht mehr als drei Samstag-Gigs pro Monat gespielt werden sollten. Chapman war von Beruf Möbelrestaurator und Schlagzeug spielen betrachtete er als nettes Hobby nebenbei. Lange blieb Norman nicht in der Band. Er spielte mit den Silver Beetles insgesamt drei Mal im Grosvenor Ballroom, dann stieg er aus, weil er seinen zweijährigen Wehrdienst in Kenya und Kuwait ableisten musste. So fand seine Karriere bei den Silver Beetles ein jähes Ende.
Für diesen für die Beatles essentiellen Sprung war erneut, wie bereits bei der Gentle-Tournee, Allan Williams maßgeblich beteiligt. Er brachte den Stein ins Rollen. Wie kam es dazu? Die Hausband im Jacaranda Club war die Royal Caribbean Steel Band, die von einem Tag auf den anderen sich davonschlich. Williams hatte keine Ahnung, wohin die Bandcrew gegangen war. Bis er ein paar Tage später Post bekam. Ein Mitglied der Steel Band schrieb ihm, dass die Band nun in Hamburg sei, genauer gesagt auf der Reeperbahn. Dort sei es ein leichtes, viel Geld zu verdienen und obendrein gäbe es viele freizügige deutsche Mädchen. Mit anderen Worten: Ein Traum für jeden Musiker. Und Williams wurde im Brief aufgefordert, vorbeizukommen und sich die Hamburger Clubszene persönlich anzuschauen. Da Williams immer offen war für lukrative Geschäftsmodelle, charterte er einen Flug von Liverpool nach Amsterdam, zusammen mit Lord Woodbine, seinem Kompagnon des Nachtclubs. Von dort reisten sie weiter per Bus nach Hamburg. Kurz vor der Reise lud Williams mehrere Bands für Aufnahmen ein. So kamen zu ihm die Silver Beetles, Gerry And The Pacemakers Cass and The Cassanovas, The Spinner's Folk Group sowie Noel Walker's Stompers, eine Jazz-Kombo. Er nahm die Bands auf einem Stereo-Tonbandgerät auf und gedachte, mit den Aufnahmen seine Bands vorzustellen und auch auf Vinyl zu pressen und die Scheiben in seinen Clubs zu verkaufen. Doch als er in Hamburg Bruno Koschmider, dem Manager des Kaiserkellers, gegenübersaß und das Band vorspielen wollte, hörte man nur undefiniertes Rauschen. Ohne den Demo-Aufnahmen platzte das Geschäft, bevor es angefangen hatte. So fuhren Williams und Lord Woodbine enttäuscht mit dem Zug zurück nach Liverpool. Sein Plan, Liverpooler Bands nach Hamburg zu exportieren, schien nicht aufzugehen. Doch Rettung kam in Form von Manager Larry Parnes, durch den die Idee des Band-Exports nach Hamburg dann doch realisiert wurde. Parnes hatte Williams versprochen, dass er ein oder zwei seiner Bands als Begleitgruppe für Solo-Künstler nehmen würde. Während der Sommersaison sollten Derry And The Seniors in Blackpool und Great Yarmouth auftreten. Mit dieser Zusage kündigten die Bandmitglieder ihre Jobs, doch dann kam plötzlich wie aus dem Nichts eine Absage von Parnes. Denny and The Seniors waren natürlich verärgert. Um die Wogen zu glätten, packte Williams am 24. Juli die Band kurzerhand in seinen Wagen und fuhr sie nach London, Soho, in die Two I's Coffee Bar, in der unter anderem Tommy Steel entdeckt worden war. Der Clubbesitzer Tommy Littlewood war ein alter Bekannter von Williams und gestattete daher, dass die Band in seinem Lokal für ein Set spielen dürfte. Und wie es der Zufall haben wollte, saß just, als die Band spielte, Bruno Koschmider im Lokal, der extra aus Hamburg angereist war, um sich englische Bands anzuhören. Williams' Kurzbesuch in Hamburg hatte ih beeindruckt, und obwohl das mitgebrachte Band nichts Hörenswertes geboten hatte, weckte Williams Promotionfeldzug sein Interesse an englischen Musikgruppen. Leider sprach Bruno Koschmider kein Wort Englisch, daher holte man vom Nebentisch einen Österreicher namens Steiner, der in der Lage war, zu dolmetschen. Denny and The Seniors, die soeben im Club aufspielten, bekamen den Zuschlag für ein Engagement im Kaiserkeller ab dem 31. Juli für eine tägliche Gage von 30 DM pro Mann.
Wie zuvor die Carribean Steel Band schrieben auch Derry and The Seniors begeisterte Briefe aus Hamburg. Und auch Koschmider teilte in einem Brief mit, dass das Geschäft boomte und er sich entschieden hatte, einen weiteren Club zu eröffnen, ganz in der Nähe des Kaiserkellers. Es handelte sich um das Indra, einem ehemaligen Striptease-Lokal. Also gab es nun die Gelegenheit, eine zweite Liverpooler Band nach Hamburg zu schleusen. Aber welcher Band sollte Williams den Zuschlag geben? Rory Storm and The Hurricanes waren zu diesem Zeitpunkt in Wales beschäftigt, Cass and The Cassanovas waren mit Duffy Power auf einer Schottland-Tournee. So offerierte Williams das Angebot an Gerry and The Pacemakers, die jedoch ablehnten. (Sie gingen ein paar Monate später nach Hamburg). So blieben nur noch die Silber Beetles übrig. Williams informierte Derry and The Seniors, dass die Silver Beetles nach Hamburg kämen. Unverzüglich kam ein Protestbrief zurück, in dem gewarnt wurde, diese Band zu schicken. Die Siiver Beetles wären zu umprofessionell und würden das Geschäft verderben. Fast die gesamte Band unterschrieb den Brief – außer Derry Wilkie, der schwarze Sänger der Band.
Die Silver Beetles sollten am 6. August im Grosvenor Ballroom in Giscard spielen, aber der Auftritt wurde kurz zuvor abgesagt: Wegen zunehmender Proteste aus der Nachbarschaft wegen Lärmbelästigung und häufiger Prügeleien wurden weitere Auftritte untersagt. So zogen die vier Gitarristen an diesem Abend weiter in den Casbah Club in West Derby. Dort spielten the Blackjacks, einige Bandmitglieder dieser Band kannten sie gut. Gitarrist Ken Brown war Mitglied der Quarrymen, und am Schlagzeug saß Randolph Peter Best, der Sohn von Mona Best, der Besitzerin des Ladens. Die weiteren Mitglieder waren Chas Newby und Bill Barlow. Pete Best war auf dem Sprung, ins Musikgeschäft einzusteigen, doch die anderen Bandmitglieder waren bereits in einem Alter, in dem man sich für einen sicheren Beruf entscheiden musste. Die Blackjacks waren kurz davor, auseinander zu brechen. Den Silver Beetles war ein Engagement in Aussicht gestellt in Hamburg, aber ohne Schlagzeuger konnten sie das Angebot nicht annehmen. Natürlich stach ihnen Pete Bests brandneues Schlagzeuge ins Auge, und als sie herausfanden, wie es um die Blackjacks stand und vor allem, dass Best gewillt wäre, ein professionelles Engagement zu übernehmen, boten sie ihm an, bei ihnen zu spielen. Pete Best war im gleichen Alter wie sie, er sah toll aus, und er strebte wie sie eine Musikkarriere an. Besser hätte es nicht laufen können. Am 12. August gab es eine flüchtige Audition im Blue Angel-Club – dort, wo die Silver Beetles ein paar Monate zuvor für Billy Fury vorgespielt hatten – Pete Best spielte den Silver Beetles vor, und es war klar, dass eine Absage von vornherein ausgeschlossen war. Das Angebot, nach Hamburg zu gehen, war zu verlockend. Also hatten sie endlich wieder einen festen Schlagzeuger in der Band, und das Abenteuer konnte beginnen.
Die kommenden Tage verschafften sich die fünf Beatles – so hatten sie sich währenddessen endgültig entschieden zu heißen – Visas und brachten ihre Pässe in Ordnung. An die Beschaffung einer mehrmonatigen Arbeitserlaubnis dachten sie nicht, und Koschmider unternahm seinerseits auch nichts in dieser Richtung. Am 16. August ging die Reise los. Allan Williams stellte seinen grünfarbenen Austin-Transporter zur Verfügung. Mit dabei an Bord waren seine Frau Berry, ihr Bruder Barry Chang sowie Lord Woodbine, also insgesamt neun Personen plus das gesamte Equipment der Beatles. Zuerst fuhren sie nach London, wo sie Herrn Steiner, den Österreicher, aufpickten, der bei der Übersetzung des Gesprächs zwischen Koschmider und Williams behilflich gewesen war. Dann tuckerten sie weiter nach Harwich, wo sie die Fähre nach Hoek van Holland nahmen. In Arnheim, Holland, wo Hunderte von britischen Soldaten während des Zweiten Weltkriegs gefallen waren, wurde ein Foto vor einem Denkmal geschossen. John Lennon ist auf dem Foto nicht zu sehen. Er ging in einen Musikladen und klaute kurzerhand eine Mundharmonika. Williams war über den Vorfall verärgert, da er befürchtete, dass die Band wegen des Diestahls verhaftet werden könnte. Zum Glück passierte es nicht. Dann nahm der übervolle Bus Fahrt Richtung Deutschland auf. Sie kamen am frühen Abend des 17. August in Hamburg an. Rings um die Große Freiheit erwachte das Nachtleben, überall ging die Leuchtreklame an. Zuerst besuchten die Beatles und ihre Begleitung den Kaiserkeller, wo Derry and The Seniors gerade auf die Bühne gehen wollten. Der Empfang war alles andere als herzlich. Die Seniors hielten nichts von den Beatles und hätten es besser gefunden, wenn eine andere Band nach Hamburg gekommen wäre.
So hell beleuchtet die Gegend um den Kaiserkeller in der Großen Freiheit 36 war, so dunkel und abgelegen erschien das Indra in der Großen Freiheit 58. Koschmider investierte so gut wie nichts in den Club. Das Interieur war in die Jahre gekommen und kitschig, die Bühne winzig, und der Raum war gefüllt mit kleinen Tischen, auf denen eine kleine Lampe stand. Noch immer sah das Indra aus wie ein Nacht-Club. Die Unterkunft der Beatles wirkte noch armseliger. Am ersten Abend übernachteten die Beatles in Bruno Koschmiders Wohnung. Ab Tag zwei waren sie im Bambi-Kino untergebracht, einem weiteren Besitz Koschmiders. Dort zeigte er den Beatles den Schlafraum: es war ein kleiner, stickiger Raum hinter der Kinoleinwand. Waschen konnten sich die Jungs in der Kino-Toilette. Bevor es auf die Bühne ging, unterschrieben die Beatles den Vertrag, der vom 17. August bis 16. Oktober laufen sollte. Jeder Musiker bekam 30 DM am Tag, zahlbar jeden Donnerstag. Zusätzlich überwies Koschmider wöchentlich zehn Pfund auf das Konto von Williams als Provision. Die Spielzeiten waren festgelegt: jeden Tag sollten sie viereinhalb Stunden spielen, sonntags sechs Stunden. Ab 20 Uhr jeweils 30 Minuten mit 30 Minuten Pause bis zwei Uhr. Samstags spielten sie im 30 Minuten-Modus von 19 Uhr bis drei Uhr, wobei die letzten eineinhalb Stunden ohne Pause durchgespielt wurden. Sonntag ging es bereits um 17 Uhr los, und die Spielzeit dauerte bis 1.30 Uhr. Auch hier musste die letzte Stunde durchgespielt werden.
In Hamburg begann für die Beatles ein völlig neues Leben. Als sie am 17. August, gleich nach Ankunft zum ersten Mal die Bühne des Indra Clubs bestiegen, waren sie von der langen Reise zu müde und erschöpft, um sich richtig behaupten zu können. Nur wenige Besucher waren an diesem Abend gekommen. Aber sie kamen von Tag zu Tag besser ins Spiel, nur ein Problem zeigte sich bald. Eine ältere Dame, die gegenüber dem Club wohnte, beschwerte sich wegen der Lautstärke. Als das Indra noch ein Strip Club war, gab es dieserart keine Probleme. Aber nun, mit einer lauten Rock'n'Roll-Kapelle, war Ärger vorprogrammiert. Die Dame beschwerte sich bei Koschmider, wie auch bei der Polizei. Ihr Vorschlag, die Lautstärke so zu reduzieren, dass sie nicht mehr belästigt wurde, ließ sich nicht realisieren. Allein das Schlagzeug mit Pete Bests „Atomic Beat“ war vermutlich krachend laut und tönte auf die Straße. Und die Beatles waren gewillt, den Rock'n'Roll kompromisslos laut zu präsentieren. So blieb Koschmider nichts anders übrig, als den neu eröffneten Club wieder zu schließen. Am 4. Oktober wechselten die Beatles zum wesentlich größeren Kaiserkeller, sie spielten 48 lange Nächte im Indra Club. Das Repertoire der Beatles umfasste an die 100 Songs. Eine stattliche Sammlung an Liedern, die dringend für die langen Abende benötigt wurde. Obgleich Lennon und McCartney stolz auf ihre Eigenkompositionen waren, spielten sie hauptsächlich Lieder bekannter Bands nach. Lediglich fünf eigene Songs nahmen sie im Repertoire auf: „The One After 909“, „Love Of The Loved“, „Like Dreamers Do“, „Hello Little Girl“, sowie das Instrumental „Catswalk“. Ansonsten gab es eine Mischung aus aktuellen Rock'n'Roll-Nummern und traditionellen Standars. Die Beatles waren zu diesem Zeitpunkt stolz auf deren breites musikalisches Spektrum und noch weit davon entfernt, ein Konzert mit eigenen Nummern zu bestreiten.
Hier eine Liste der Lieder, die die Beatles 1960 im Repertoire hatten4:
Lied
Lead- Sänger
Komponist
Interpret
Ain't She Sweet
John
Yellen/Ager
——
All Shook Up
Paul
Blackwell/Presley
Elvis Presley
Apache
Instrum ental
Lordan
The Shadows
Bad Boy
John
Williams
Larry Williams
Be-Bop-A-Lula
John
Vincent/Davies
Gene Vincent and his Blue Caps
Begin The Beguine
?
Porter
Pat Boone
Blue Moon Of Kentucky
Paul
Monroe
Elvis Presley
Blue Suede Shoes
John
Perkins
Carl Perkins
Bony Maronie
John
Williams
Larry Williams
Carol
John
Berry
Chuck Berry
Cathy's Clown
?
Everly/Everly
Everly Brothers
Catswalk
Instru- mental
McCartney
———
Clarabella
Paul
Pingatore
The Jodimars
C'mon Everybody
?
Cochran/Capehart
Eddie Cochran
Corinne, Corrina
?
McCoy/Chatman/Williams/Parish
Joe Turner oder Ray Peterson
Crying, Waiting, Hoping
George
Holly
Buddy Holly
Dance In The Street
?
Davis/Welch
Gene Vincent and his Blue Caps
Darktown Strutters Ball
?
Brooks
Joe Brown
Dizzy Miss Lizzy
John
Williams
Larry Williams
Don't Forbid Me
George
Perkins
Carl Perkins
Don't Let The Sun Catch You Crying
Paul
Greene
Ray Charles
Fools Like Me
John
Clement/Maddux
Jerry Lee Lewis
Glad All Over
George
Schroeder/Tepper/ Bennett
Carl Perkins
Gone Gone Gone
?
Perkins
Carl Perkins
Good Golly Miss Molly
Paul
Blackwell/Marascal- co
Little Richard
Gypsy Fire Dance
Hallelujah, I Love Her So
Paul
Charles
Ray Charles / Eddie Cochran
Heavenly
?
Twitty/Nance
Conway Titty
Hello Little Girl
John
Lennon/McCartney
—
Hey, Good Looking
?
Williams
Larry Williams
High School Confidential
Paul
Lewis/Hargrave
Jerry Lee Lewis
Home
?
Van Steeden/Clark- son
?
Honey Hush
?
Turner
Joe Turner
Hound Dog
John
Leiber/Stoller
Elvis Presley
Hully Gully
Paul (?)
Smith/Goldsmith
The Olympics
I Forgot To Remember To Forget Her
George
Kesler/Feathers
Elvis Presley
I Got A Woman
John
Charles/Richards
Ray Charles
I Remember
?
Cochran/Capehart
Eddie Cochran
I'm Gonna Sit Right Down and Cry Over You
John
Thomas/Biggs
Elvis Presley
It's A Long Way To Tipperary
?
Judge/Williams
Tradittonal
It's Now Or Never
?
DiCapua/Schroeder Gold/Capurro
Elvis Presley
It's So Easy
?
Holly/Petty
Buddy Holly
Jailhouse Rock
John
Leiber/Stoller
Elvis Presley
Johnny B. Goode
John
Berry
Chuck Berry
Lady Miss Clawdy
?
Price
Lloyd Price
Lend Me Your Comb
John/ Paul
Twomey/Wise/ Weisman
Carl Perkins
Like Dreamers Do
Paul
Lennon/McCartney
——
Little Queenie
Paul
Berry
Chuck Berry
Long Tall Sally
Paul
Johnson/Penniman/ Blackwell
Little Richard
Love Me Tender
Stuart
Presley/Matson
Elvis Presley
Love Of The Loved
Paul
Lennon/McCartney
——-
Lucille
Paul
Penniman/Collins
Little Richard
Maybe Baby
?
Holly/Petty
Buddy Holly
Mean Woman Blues
?
Demetrius
Jerry Lee Lewis
Lied
Lead- Sänger
Komponist
Interpret
Midnight Special
?
Traditional
Lonnie Donegan
Money (That's What I Want)
John
Gordy/Bradford
Barret Strong
Moonglow and the Theme of Picnic
?
Hudson/De Lange/Mills/Duning/Allen
The McGuire Sisters
Nothin' Shakin' But The Leaves On The Trees
George
Colacrai/Fontaine/Lampert/Cleveland
Eddie Fontaine
The One After 909
John
Lennon/McCartney
——
Ooh! My Soul
Paul
Penniman
Little Richard
Over The Rainbow
Paul
Harburg/Arlen
Gene Vincent
Peggy Sue
John
Holly/Allison/Petty
Buddy Holly
Ramrod
Instru- mental
Casey