The bridge above me - Lena Madlen Huth - E-Book

The bridge above me E-Book

Lena Madlen Huth

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Beschreibung

Issy Black und Kellan Withe fanden sich erst nach ihrem Tod. Issys Herz war leer und ihre Seele von Depressionen und Selbstmitleid gequält. Die Suche nach ihrem Vater, die Ignoranz ihrer egoistischen Mutter und das Gefühl allein zu sein, ließ sie verzweifeln. Nicht einmal ihre treueste Freundin Miranda konnte sie zum Lachen bewegen. Erst der Blick in Kellans wundervoll grüne Augen und der besondere Verbund mit seiner Seele erfüllte Issys Herz mit Wärme und ließ die Wunden ihrer verletzten Seele heilen. Jeder der beiden beginnt von ihrer romantischen, wundervollen und ergreifenden Liebesgeschichte zu erzählen. Dominique, Kellans treuester Freund, wirbelt die beiden mit viel Humor und Witz auf. Seine gute Laune und lustigen Sprüche stecken Issy und Kellan sofort an. Dominique steht den beiden immer zur Seite und schützt ihre Liebe vor denen, die sie verbieten und niemals erfahren dürfen. Eine Liebe, die in ihrer Welt eigentlich streng untersagt ist! Spannend. Gefühlvoll. Lustig! Das sind die Schlüsselworte für dieses Buch. Auch der interessante Aufbau des Buches lässt diese einzigartige Geschichte zum Leben erwachen: Zu Beginn wird von zwei voneinander unabhängigen Schicksalen berichtet, welche erst nach einigen Kapiteln zu einer Geschichte werden. Das Buch wird von zwei Charakteren erzählt. Der jeweilige Erzähler ist in Klammern neben den Kapiteln aufgeführt.

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Widmung

Ich widme dieses Buch meinen treuesten Freunden, meinen lieben Eltern, meinem Seelenverwandten, meiner kleinen Tochter und meiner Schwester Ann-katrin.

Fiktive Geschichte, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Die Charaktere des Buches sind frei erfunden. Kein Schicksal oder Erlebnis beruht auf einer wahren Begebenheit.

Vorwort

Welch lebendes Wesen auf der weiten Welt lechzt nicht

nach Liebe und Erfüllung seiner Seele.

Es gibt sie- die Seelenverwandten und treuesten

Freunde.

Ist es nicht von unfassbar großer Bedeutung, die

wahre Liebe zu finden?

Ist es nicht die Liebe, die über allem steht und das

Herz mit Glück erfüllt?

Egal ob Mensch oder Tier, jeder sucht sie.

Egal ob lebende Menschen…oder die toten Seelen, die

unbemerkt unter uns weilen….

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Vorwort

Kapitel 1: Mein Alptraum, die Realität

Kapitel 2: Ich wurde einfach stehen gelassen…

Kapitel 3: Unsichtbar wie… Geister

Kapitel 4: Fanden sich zwei Seelen, so veränderte dies die Welt

Kapitel 5: Mein Name ist Kellan White!

Kapitel 6: Sie kamen leise, vollzogen es still und nahmen mich schweigend mit…

Kapitel 7: Ein wahrer Freund ist immer dort wo du sein wirst, ist immer zur Stelle wenn du ihn brauchst. Er wird dir immer treu zur Seite stehen, nicht nur Freud und Leid mit dir teilen, sondern auch Glück und…Schmerz!

Kapitel 8: Lauf Issy! Lauf so schnell du kannst!

Kapitel 9: Es war kein Sog- es war ein Gefühl. Es war nicht die Kraft meines Verbandes, sondern der Ruf meines Herzens…

Kapitel 10: The bridge above medie Brücke über mir

Kapitel 11: Ein Geisterschloss für Dominique und mich!

Kapitel 12: Kellan…die Liebe meines Lebens

Kapitel 13: Eine Villa, zwei Kindsköpfe und meine große Liebe Issy. Eine wunderbare Zeit begann…

Kapitel 14: Teilzeitglück…

Kapitel 15: Von bunten Papageien und Rock´n´Roll!

Kapitel 16: Ein guter Freund zu sein ist nicht immer leicht. Freunde zu werden ist manchmal noch viel schwerer…

Kapitel 17: Wie konnte ich nur so naiv sein, warum waren wir so unvorsichtig? Ich hätte es wissen müssen!

Kapitel 18: Dessous??? – nein danke!

Kapitel 19: Der Charme von Venedig und die unendliche Leidenschaft mit Kellan…

Kapitel 20: Abschied… vielleicht für immer

Kapitel 21: Alles änderte sich

Kapitel 22: »Ich gebe dich wieder her, weil ich dich liebe…«

Kapitel 23: Zukunftspläne…

Kapitel 1

Mein Alptraum, die Realität.

Ich sitze unter einer Brücke. Allein. Unter einer großen, mächtigen Brücke. Tonnen von Stahl liegen über mir. Schwere, kalte, meterhohe Betonpfosten umgeben mich.

Es ist kalt-mir ist kalt. Hier ist es dunkel und unheimlich. Die frostige Nässe lässt mich zittern. Weit über mir, es sind bestimmt achtzig Meter, tobt das Leben.

Auf der anderen Seite scheint die Sonne. Sanft wärmt ihr helles Strahlen die rosigen Wangen der Menschen, die gut gelaunt von Seite zu Seite gehen. Dumpf höre ich kleine Kinder lachen. Sie tanzen fröhlich und vergnügt, singen und spielen mit ihren Müttern. Manche von ihnen stimmen mit leuchtenden Augen in das Lied ihrer Kinder ein. Zart nehmen sie ihre kleinen Schützlinge bei den Händen und drehen sich freudig im Kreis.

Der Duft von frisch Verliebten weht metertief zu mir nach unten- an die dunkelste Stelle unter der Brücke. Hier sitze ich-zusammengekauert und die Beine fest an mich gezogen. Verzweifelt umklammere ich meine zitternden Knie und weine. Ich bin untröstlich, in meinem Kopf dreht sich alles.

Ich kann die liebenden Blicke spüren, die sich die Pärchen schenken. Ich nehme das angenehme Schaudern war, das ihnen über den Rücken läuft, wenn sie sich gegenseitig in die Augen sehen. Ich spüre das laue Gefühl in ihren Bäuchen, das sie bekommen, wenn ihr Partner, ihr Seelenverwandter, auch nur ein einziges Wort spricht.

Die strahlenden Farben und das lebendige Treiben oben auf der Brücke kann ich nur erahnen. Ich stelle mir das Leuchten der Kleider vor, die von hübschen Mädchen getragen werden. Ich denke an den süßen Duft der Blumen, die an einer anderen Ecke angeboten werden.

Ganz bestimmt werden diese auch gekauft. Von den frisch verliebten Männern, angetrieben von ihrem überschwänglichen Liebesrausch. Mit einem simplen Strauß roter Blüten wollen sie ihre Liebste beeindrucken und schaffen dies auch. Liebe macht blind. Wer weiß was hinter den strahlenden Augen steckt, die zwischen den gebundenen Tulpen hervor zwinkern.

Die ausgelassene Freude, das unbeschwerte Lachen, die bunte Welt auf der Brücke, all das existiert nur in meinen Vorstellungen.

Das Leben existiert nur in meinen Vorstellungen.

So fühlte ich. So würde ich meine damalige Situation beschreiben. Oder besser- mein »vor-mich-hin- vegetieren«.

Ich war in einer anderen Welt gefangen. Ich saß unter einer stinkenden, kalten Brücke fest, auf der das Leben tanzte.

Es zog an mir vorbei, ohne mich zu beachten und keiner half mir auf das Dach des Lebens hinauf zu steigen. Ich wollte teilhaben! Ich wollte leben und mich an dem Lachen der Kinder erfreuen.

Ich sah mich fröhlichen tanzen, mich verlieben und mit Freunden ausgehen.

Ich sehnte mich nach dem Gefühl ein Mensch zu sein! Doch für all das fehlte mir eines: Lebensmut. Ich war eine leere Hülle von Frau. Einsam….

Ein kleiner Lichtblick in meinen dunklen Tagträumen, die ich seit Monaten, vielleicht sogar schon seit Jahren hatte, war, dass meine leere Hülle immerhin nach etwas aussah. Ich war wenigstens eine hübsche Hülle. Ich hätte allerdings viel mehr aus mir machen können.

Mein dunkles, langes Haar schrie nach einem Kamm und einer Wäsche. Meine Mascara war mittlerweile zu einem unförmigen See verlaufen. Ich hätte eine Dusche benötigt und dringend die Klamotten wechseln müssen.

Nur wozu? Oder besser : für wen? Ich sah keinen Sinn darin. Seit Monaten trug ich meine wallende Mähne zu einem struppigen Zopf zusammengeknotet. Naja, einen Zopf konnte man das nicht wirklich nennen. Es war eine Art Nest, das schon mehrere Jahre in einem Baum lag und in dem kein Vogel mehr nisten konnte. Seine gelegten, weißen Eier würden sofort durch das modrige Geäst zu Boden fallen und kläglich zerspringen.

Dieses besagte Nest trug ich gleichgültig auf meinem Kopf. Der Mascara-See, der sich unter meinen tiefblauen Augen fest eingebrannt hatte, war inzwischen so etwas wie mein Markenzeichen. Um genau zu sein waren es zwei Seen, einer links und einer rechts in meinem blassen Gesicht. Ich war ein Häufchen Elend, das vor sich hinvegetierte und trotzig unter seiner Brücke verharrte. Dort wartete ich, bis die Parade des Lebens endlich vorbei gezogen war. Dann konnte es endlich ganz dunkeln werden und mein schmerzliches Schluchzen würde für immer verstummen.

Kapitel 2

Ich wurde einfach stehen gelassen…

Meine Eltern nannten mich Ismey. Ein sehr seltsam klingender Name. Ich habe ihn meiner theatralischen Mutter zu verdanken. Sie brauchte immer, in allen Dingen des Lebens das Außergewöhnlichste was sie bekommen konnte. Wahrscheinlich konnte ich froh sein, dass manche Namen hier in Belville, North Carolina, und hoffentlich auch in allen andern Dörfern, Städten und Ländern dieser Welt, verboten waren.

Wer weiß auf welch seltsamen Titel sie sonst noch gekommen wäre.

Warum sie mir diesen Namen gab, konnte mir Gwen, meine Mum, auch nicht wirklich sagen.

»So heißt kein anderer Mensch auf der Welt, jedenfalls kenne ich keinen«, gab sie mir immer zur Antwort. Damals war ich noch sehr klein. Damals war sowieso alles ganz anders.

Ich hatte eigentlich eine sehr glückliche Kindheit. Die ersten fünf Jahre meines Lebens waren völlig unbeschwert und herzlich. Meine Eltern wollten immer nur mein Bestes. Sie beschützten und liebten mich.

Ja, kein anderer Mensch hieß wie ich, dachte so selbstzerstörerisch wie ich und litt wahrscheinlich auch nicht so sehr wie ich.

Ismey… das klang für mich immer wie »iss mich«! »Iss mich auf, dunkler Schatten!«, brüllte ich gelegentlich mein Spiegelbild an.

Die furchteinflößende Finsternis, unter meiner eingebildeten Brücke, sollte mich endlich auffressen und erlösen.

Mein seltsamer Name war also doch ganz gut gewählt und irgendwie passend. Als hätte meine Mum geahnt was für ein verbittertes, zerbrechliches Mädchen sie da in die Welt setzen würde.

Eine Welt, die für so etwas Zierliches einfach zu groß und zu mächtig war.

Vielleicht war das der Grund, warum ich meinen Platz im Leben einfach nicht finden konnte.

Mal abgesehen von dem, den ich mir unter meiner stinkigen Brücke ausgesucht hatte.

Das Leben war wohl einfach zu viel für mich. Es war ein ständiger Kampf gegen alles und mich selbst.

Auf meiner Seite des Krieges gab es nur einen Kämpfer- mich. Der Rest der Welt war mein Gegnermein Endgegner. Knapp neunzehn Jahre dauerte unser Krieg. Ob ich nun der Gewinner oder Verlierer war, konnte ich damals noch nicht sagen.

Ich musste sehr früh auf eigenen Beinen stehen.

Gwen hatte urplötzlich andere Pläne.

Sie hatte mich geboren und ich lebte- das sollte genügen. So dachte sie wohl ein paar Jahre nach meiner Geburt. Durch mich hatte sie ihren perfekten, durchtrainierten, ultraschlanken Körper verloren. Das war ihr Krieg. Den Modelkörper wieder herzustellen und dafür zu sorgen, dass jedes Stück Fleisch wieder an der Stelle saß, an der es einst seinen Platz hatte. Das Fleisch und die Muskeln waren ihre Soldaten. Sie hatten für immer still zu stehen! Stramm und gerade, auch wenn sie, des Alters wegen, gerne in die Knie gegangen wären.

Ständig stand meine Mum vor ihrem viel zu großen Kleiderschrank, der fast so hoch wie meine erfundene Brücke war, und kreierte neue, abstrakte Kunstwerke an ihrem, wieder erschlankten, Körper. Sie hatte ihren Krieg ohne weitere Komplikationen gewonnen.

Hautenge, knallige Schlauchoberteile wurden zu noch engeren Röcken. Durch die straffe Dehnung verlor der neonpinke Stoff wenigstens an Leuchtkraft und brannte nicht mehr so in den Augen. Gwens Schenkel wirkten gequetscht und wurden fest aneinander gepresst. Ihre Beine drohten fast zu ersticken, so tief schnitten die Ränder des grellen Stoffes in sie ein.

Große Halstücher wurden zu knappen Oberteilen. Ihre Frisur war absolut nicht alltäglich und glich einem frisch gerupften Vogel. Außergewöhnlich- das wäre ein perfekter Nachname für sie gewesen. Unser eigentlicher Nachname ist ganz und gar nicht außergewöhnlich und ebenfalls ziemlich zutreffend-Black! Schwarz und dunkel, so wie ich es war.

Mum zu sein heißt für die meisten Frauen, ihr Kind abgöttisch zu lieben und es zu leiten. Ihm beizubringen, wie man sich in der großen weiten Welt bewegt, wie man einen Schritt nach dem anderen in das Leben macht. Für Gwen hieß es nach nur wenigen Jahren, um genauer zu sein fünf, kehrt zu machen und in ihr altes Leben abzutauchen. Sie knüpfte da an, wo es das nervige Balg unterbrochen hatte. Ohne Rücksicht ließ mich Gwen mit nur fünf Jahren stehen und kümmerte sich nur noch um sich selbst.

Ich nannte sie nie wieder »Mum«, diese Bezeichnung war von da an absolut zu außergewöhnlich für sie. Kurz vor meinem fünften Geburtstag begann also mein Kampf. Mein grausamer Krieg gegen das Leben.

Kapitel 3

Unsichtbar wie… Geister.

Erst rebellierte ich und versuchte alles, um mich meinem egoistischen Kanarienvogel Gwen zu wiedersetzen.

Ich nannte mich selbst einfach nur Issy. In der Schule und bei Freunden trug ich nur diesen Namen. So stellte niemand eine Frage über meinen seltsamen, wirklichen Namen. Es hätte mich sofort an das knallbunte Wesen Gwen erinnert und dies wollte ich vermeiden.

Freunde- hatte ich zu jener Zeit wahre Freunde? Freunde kamen und gingen in meinem Leben. Vermutlich war meine Art von Mensch einfach zu kompliziert für andere. Es passte einfach nicht. Mal wieder passte ich nicht in das Leben. Nicht in Gwens und auch nicht in das von anderen Menschen. Die meisten nannten sich nur kurz meine Freunde. Nach nur wenigen Tagen setzten sie sich in den Pausen an einen anderen Tisch. Nach wenigen Wochen wechselten sie dann kein Wort mehr mit mir.

Nur eine Freundin stand mir einfach immer zur Seite. Ich nannte sie liebevoll »meine Seelenverwandte«, in der Hoffnung, dass man Seelenverwandte nicht verlieren konnte- wie die, die sich Freunde nannten.

Dieser eine Mensch reichte mir Tag für Tag seine zarte Hand von der kalten, grauen Brücke und bat mich immer und immer wieder auf das Dach des Lebens zu steigen.

Mirandas zierliche Hand war wohl zu klein und zu schwach. Selbst sie, der liebste und treueste Mensch an meiner Seite, schaffte es nicht mich aus meinem Versteck zu locken. Stuhr blieb ich in meinem zusammengeträumten Schutzbunker sitzen!

»Gehe raus Issy! Verliebe dich, freue dich, habe endlich Spaß! Wie kann man sein Leben nur so den Bach runter gehen lassen? «, versuchte sie mich wieder mal zu ermutigen.

»Brücke«, antwortete ich gleichgültig, »es ist eine Brücke, auf der mein Leben vorbei zieht Miranda, kein Bach«.

Miranda verdrehte ihre dunkelbraunen Augen so als würde sie in das Innere ihres Körpers schauen wollen.

»Du und deine dämliche Brücke! Gibt es in deinem Kopf auch Kräne und Abrissbirnen? Wenn ja, dann gib in Auftrag, sie sollen die Brücke stürzen! Das wird ja immer schlimmer mit dir!«

Ihre Wangen glühten vor Wut und wurden schon ganz rot. Ihre ärgerlichen Worte dampften durch mein Zimmer. Sie klang wie eine uralte Lock, die vor lauter Schnauben kaum vom Fleck kam.

Entnervt stapfte sie zu meinem kleinen, alten Holzbett und setzte sich tiefseufzend. Auch heute, sowie gestern und vorgestern und überhaupt, versuchte sie mich aus meiner Traumwelt in die Realität zu holen.

Ich fragte mich immer, wie so viel Energie in eine so zierliche Person passen konnte. Rein äußerlich war Miranda das komplette Gegenteil von mir. Sie war immer adrett gekleidet und sehr gepflegt. Ihr stufiges, schulterlanges Haar glänzte in der Sonne und roch immer frisch als wäre es gerade erst gewaschen. Miranda war schon immer sehr quirlig und meistens ziemlich aufgedreht. Manchmal konnte ich ihren hektischen Worten kaum folgen.

Sie sagte immer, wie jung und dumm ich doch sei. Ich solle meine Zeit als hübsche Neunzehnjährige endlich genießen. Sie wollte, dass ich raus gehe und mir endlich meinen ersten Seelenverwandten suche. Miranda bezeichnete Jungs als Seelenverwandte, das verstand ich genau so wenig wie meinen eigenen Namen…wie konnte man ein kleines, zartes Babymädchen nur »iss mich« nennen?

Und wie kam Miranda auf den kuriosen Gedanken, dass ein Mann, ein Schleimer der mich mit kitschigen Blumen bedrängen würde, ein Seelenverwandter sein könnte. Noch absurder- mein Seelenverwandter, dessen Liebe genauso schnell dürr werden würde wie der Strauß Tulpen in seinen Händen.

Miranda, meine liebe Miranda, hatte das Glück einen solchen bereits gefunden zu haben. Keinen Schleimer, der von sich selbst mehr überzeugt war als von seiner Liebe zu ihr. Nein, sie hatte sozusagen »den Richtigen« gefunden. Einen wahren Seelenverwandten- Collin.

Er war ein großgewachsener, etwas schlaksiger Typ mit dunklem Teint und lockigen, schwarzen Haaren. Insgeheim hoffte ich, dass der zweite Teil meiner Seele genau das Gegenteil von Collins Gestalt sein würde. Sollte es diesen zweiten Teil überhaupt geben.

Miranda jedoch wurde von Collins Liebe ganz und gar erfüllt. Er machte sie glücklich und wog ihre Seele sanft in seinen Armen. Er zauberte ihr ein verliebtes Lächeln ins Gesicht, welches sie nur selten wieder ablegte. Sie glänzte und strahlte förmlich von innen heraus, was neben meiner erbärmlichen Fassade aber auch nicht besonders schwer war. Die wahre Liebe hatte sie irgendwie verändert. Es war komisch aber Miranda kam mir plötzlich noch viel schöner vor als sie es ohnehin schon war.

Ich gönnte meiner Freundin ihr Glück von ganzem Herzen. Sie musste ebenfalls viel Leid erfahren. Ihre Vergangenheit war von einem dunklen Schatten überzogen. Sie hatte sozusagen eine mittlere Lebenskriese. Nicht ganz so tiefgehen wie meine Brückenphase und mein wirrer Gedanken ein Nichts zu sein. Dennoch, wir hatten beide sehr viel durchgemacht und teilten unseren Kummer, was uns mehr denn je miteinander verband.

Wir waren ein Herz und eine Seele-bis zu jenem Tag, an dem Collin in ihr Leben trat und somit auch in meines.

Es war in der Schulcafeteria, der Laney High School North Carolina, die wir ab und an besuchten. Die Schule lag nicht direkt in Belville, sondern in der nächstgrößeren Stadt. Wie gewohnt legte ich die kurze Strecke, von zu Hause nach Wilmingthon, mit dem Bus zurück. Es war heiß, wir hatten Sommer. Ich sah Miranda gerade durch die große Eingangstür im Schulgebäude verschwinden. Sie nahm nie den Bus und war dennoch immer weit vor mir da. Ich wollte gar nicht wissen wie sie es schaffte, den Weg von sich bis zur Schule, in weniger als zwei Minuten zurück zulegen. Für mich war nur klar, dass ich wie immer aufgehalten wurde und mir irgendetwas das Leben wieder erschwerte.

In der großen Mensa, die eher einer gekachelten Sporthalle glich, stand die heiße, dicke Sommerluft. Sie war undurchdringlich und legte sich zäh auf meine Haut.

Miranda konnte sich sehr glücklicher schätzen, denn genau an diesem Tag erschienen wir auch tatsächlich zum Unterricht. Die Schulpflicht interessierte uns beide nicht besonders. Ich ging sowieso nur dann zur Schule, wenn ich ausnahmsweise dazu bereit war an der Realität teilzunehmen.

Umso besser war es, dass sich darum kaum jemand scherte. Nicht der dicke Mister Humprey, der uns Biologie lehrte und auch nicht die alte Miss Beth, die uns weismachen wollte, sie spiele das Klavier nach Noten. Ihr grausames Geklimper ließ das alte Schulgemäuer noch viel unheimlicher wirken. In ihrem Unterricht fühlte ich mich wie in einem Geisterschloss gefangen.

Am wenigsten kümmerte es unsere Mütter, dass wir nur selten die Schulbank drückten. Und ganz zuletzt interessierte es meine Mum. Gwen, der bunte Papagei, der nur mit sich selbst beschäftigt war.

Zu Miranda, Collin und mir gehörten von nun an auch Sheyla und Fynn- ein Pärchen. Sie waren schon sehr lange zusammen und hatten Collin zwei Jahre zuvor kennengerlernt. Er und Fynn wurden schnell zu unzertrennlichen Freunden.

Wir fünf waren die Außenseiter der Schule. Die Unbeliebten, mit denen niemand etwas zu tun haben wollte. Keiner beachtete uns, keiner sprach mit uns. Es war mir ganz recht so. Niemand stellte sich zwischen mich und meine neugewonnen Freunde. Niemand wollte uns auseinander bringen und sie mir wieder wegnehmen. Sie waren mein Halt- der letzte Halt, den ich noch hatte, denn kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag wandten sich alle anderen dann endgültig von mir ab.

Und Collin war zu Mirandas Halt geworden. Er war ein absoluter Glückstreffer!

Ich kann mich noch genau daran erinnern, als es geschah.

An diesen besonderen Moment, als sich ihre suchenden Blicke in der dampfenden Schulcafeteria trafen. Ich konnte die Blitze, die zwischen ihnen funkten, fast hören und sehen. Es war ein unfassbar ergreifender Augenblick, der mich voll und ganz in seinen Bann zog. Es war, als hätten sich wirklich zwei Seelen gefunden…

Sheyla, ebenfalls eine zuverlässige Schulschwänzerin, unterbrach das funkelnde Feuerwerk in meinem Kopf.

»Na? Da knistert es wohl gewaltig«, lächelte sie und blickte zu Miranda und Collin, die in einem innigen Kuss versanken. Erschrocken drehte ich mich zu ihr. Sheyla stand urplötzlich neben mir. Ich hatte sie gar nicht rein kommen sehen.

»Ja…«, stammelte ich irritiert, »aber geht das nicht ein bisschen schnell?«

»Du meinst den Kuss? Wart nur ab Issy, irgendwann wird es dir genauso ergehen und dann wirst auch du von deinen Gefühlen überwältig«, sagte sie etwas ruhiger und legte freundschaftlich ihre Hand auf meine Schulter. Manchmal verwirrten mich die Worte meiner Freunde. Sie sprachen meistens in Rätseln und traten niemals einzeln auf. Sie verschwiegen mir etwas und hatten Geheimnisse vor mir, soviel stand für mich fest. Sie wussten etwas, das ich nicht wusste.

Ich fragte nicht weiter nach. Die Wahrheit hätte meinen Zustand sowieso nicht verbessert. Es war mir gleichgültig. So gleichgültig wie ich mir selbst war. Kein Wunder, dass ich keinen »Seelenverwandten« hatte, ich sah aus wie ein Penner!

»Wo ist Fynn«, fragte ich und blickte suchend in der überfüllten Mensa umher.

Ich hatte beobachtet, wie der gutaussehende Schönling fluchtartig das Gebäude verlassen hatte. »Wurde er von einem der Blitze getroffen?«, fragte ich nüchtern weiter und blickte wieder zu Sheyla.

»Von welchen Blitzen?«

»Die, die zwischen Miranda und Collin funken.«

»Du konntest es spüren? «, fragte sie ganz überrascht und trat ein Stück näher zu mir.

»Ja…nein, natürlich nicht. Es war nur

ein… Wortspiel.«

Sheylas Blick wirkte plötzlich enttäuscht, fast traurig. In meinen Augen verhielt sie sich ziemlich merkwürdig. So viel Dialog zwischen ihr und mir war ich gar nicht gewohnt. Eigentlich war sie immer sehr zurückhaltend und in sich gekehrt.

»Warum ist Fynn so plötzlich verschwunden? «, bohrte ich weiter.

»Ihm ging es plötzlich nicht gut. Ich werde mal nach ihm sehen«, sagte Sheyla mit ruhiger Stimme und ging zur Tür.

»Treffen wir uns nachher am Strand? «, rief ich ihr schnell hinterher.

»Aber natürlich«, rief sie von der Tür aus zurück. Ich blickte kurz zu Collin und Miranda, die sich noch immer küssten und dann wieder zur Eingangstür der Mensa.

Shleya war genauso urplötzlich verschwunden wie sie auch aufgetaucht war. Ein anderes Mädchen mühte sich bereits mit der schweren Glastür ab und schaffte es kaum diese zu öffnen. Sheyla musste ziemlich kräftig sein- dachte ich…

Ich mochte sie von Anfang an. Ich hatte sie und Fynn ebenso in mein Herz geschlossen wie Collin. Uns verband etwas Magisches, wie Magneten wurden wir voneinander angezogen.

Doch nichts stand über der Freundschaft zwischen Miranda und mir. Für mich war sie meine Seelenverwandte.

Wir verbrachten den Sommer zu fünft. Wir lernten uns immer besser kennen und wollten uns nie wieder missen. Unsere innige Freundschaft machte uns irgendwie… glücklicher. Sie weckte sogar in mir ein wohliges, geborgenes Gefühl. Es war schön endlich »dazu zu zugehören«.

Wir wurden zu einer unzertrennlichen Truppe: Miranda und Collin, Sheyla und Fynn- und ich, Issy. Ich war nicht mehr allein und trotzdem einsam. Ich ließ mir nie etwas anmerken und setzte immer ein fröhliches Lächeln auf. Ich machte jeden Spaß oder Ausflug mit und ließ mich von den anderen mitreißen.

Am Tag war es okay- es war erträglich. Doch in der Nacht kam sie zurück. Die unheimliche Finsternis, welche mich wieder unter meine Brücke zerrte. Noch immer musste ich qualvolles Leid ertragen. Der Schmerz ließ mich nicht schlafen. Er ließ mein Herz bluten und zerfetzte meine Seele.

So erging es mir jede Nacht, in der ich allein in meinem alten Holzbett lag und mit tränenden Augen aus dem kleinen Fenster sah.

Ich schlief überhaupt nicht mehr. Und wenn, dann lag ich in meinen Träumen unter meiner Brücke und weinte dem tobenden Leben nach.

Jeder hatte den zweiten Teil seiner Seele gefunden und wurde mit unendlicher Liebe erfüllt. Jeder hatte ihn- seinen Seelenverwandten.

In meinen Brückenträumen besuchte mich manchmal so einer. Er sah gut aus-sehr gut. Er war groß gewachsen und hatte einen muskulösen, breiten Oberkörper.

Seine sandfarbene, gebräunte Haut schmückte sein makelloses Gesicht.

Sein dunkelbraunes, dichtes Haar war feinsäuberlich frisiert und wehte leicht mit dem Wind.

Tief sah er mir in die Augen. Sie schimmerten grün und strahlten eine unglaubliche Wärme aus. Er verschwand mit seinem ergreifenden Blick in meinem Mascara- See und tauchte zum tiefsten Grund meiner Seele hinab.

Er heilte sie und pflegte sie zärtlich gesund.

Er wog sie sanft in seinen starken Armen, bis es mir wieder gut ging.

Ich war sein Leben, er trug mich auf Händen und liebte mich bedingungslos.

Er musste nichts sagen-seine Seele sprach durch seine strahlenden Augen zu mir und versprach, mich für immer zu beschützen…

Er gab meinem Leben gerade erst wieder einen Sinn, als mich Mirandas grelle Stimme aus den Gedanken riss. Sie wechselte in eine noch höhere Tonlage und vertrieb den Schönling endgültig aus meinen Träumen.

»Geh nur«, dachte ich wehmütig an ihn zurück, »du bist sowieso nur eine Gestalt in meiner Brückenfantasie und das wirst du auch immer bleiben«.

»Würdest du jetzt endlich aufstehen?«, rief Miranda noch etwas lauter und zog mir wutentbrannt die Bettdecke weg.

Sie sprach nicht mehr-sie keuchte! Der dampfenden Lock ging nun endgültig die Puste aus.

Wie immer ließ ich mich dazu überreden nach draußen zu gehen.

Der Tag hatte gerade erst begonnen und die Sonne strahlte vom Himmel. Den Weg zur Schule ersparten wir uns mal wieder.

Ein kurzer Blick in den Spiegel, das Vogelnest zurecht gezupft und meine Morgenwäsche war nach wenigen Sekunden beendet.

Schnell ging ich an der geöffneten Tür des Wohnzimmers vorbei und erhaschte einen Blick auf das Geschehen darin. Gwen stand reglos in der Mitte des kleinen Raumes und hielt ein Foto in den Händen. Sie starrte es an, sprach kein Wort und verzog keine Miene.

Der unförmige Rahmen des Bildes war aus weißem Ton gefertigt. Ich hatte diesen für Gwen gebastelt, als ich noch klein war.

Es war ein Bild von mir, welches nun von Tränen geflutet wurde. Gwen weinte.

»Ich gehe«, rief ich schnell und mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Wie immer kam keine Reaktion von ihr zurück, wie gewohnt ignorierte sie mich.

Seit meinem achtzehnten Geburtstag wurde unser Verhältnis nicht mehr schlechter.

Nein-es gab einfach keines mehr! Sie würdigte mich keines Blickes mehr, sprach kein Wort mit mir und kümmerte sich nicht mehr um den Haushalt.

Für mich war sie eine genauso leere Hülle wie ich es war. Das Haus wirkte verwahrlost und dreckig. Überall lagen Staubflusen und das schmutzige Geschirr türmte sich in der Spüle. Die Wände waren feucht, in den Ecken schimmelte es bereits. Gwen war das wohl egal. Sie sorgte sich einfach um gar nichts mehr.

Ich akzeptierte es.

Das Einzige was ich von ihr brauchte war ein Bett zum Schlafen und ein Dach über dem Kopf.

Zu meiner eigenen Überraschung duldete sie dies auch.

Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie aus meinem kleinen Zimmer einen begehbaren Kleiderschrank gemacht hätte mit Schuhregalen, die bis zur Decke reichen würden.

Für sie existierte ich einfach nicht mehr.

Ich gewöhnte mich daran keine Mutter mehr zu haben. Ich gewöhnte mich an den Kampf, welcher sich wie ein roter Faden durch mein Leben zog.

Kurz vor meinem fünften Geburtstag verließ mich auch mein Dad. Er trennte sich von Gwen und ging. Ich verstand erst mit den Jahren warum er das tat.

Er musste gehen, um nicht so zu enden wie ich.

Ich war ihm nie böse.

Er konnte ja nicht ahnen was mir bevorstand, als er mich bei Mum zurück gelassen hatte. Sie war mir sonst immer eine gute Mutter.

Er wusste nicht, dass ich mit fünf plötzlich zehn sein musste und mir mein Frühstückbrot selbst beschmierte.

Er hatte keine Ahnung, dass ich mit zehn, fünfzehn sein musste und meine Klassenarbeiten selbst unterschrieb. Damals ging ich noch regelmäßig zum Unterricht. Ein bisschen komisch war es schon, dass Miranda und ich nun unbemerkt die Schule schwänzen konnten…

Mein Dad wusste auch nicht, dass ich mit neunzehn nicht neunzehn sein konnte, weil mir die Welt zu viel geworden war.

Nein- Dave, mein lieber Dad, trug keine Schuld an meiner Verzweiflung.

Ich hatte ihn nie wieder gesehen. Er war genauso plötzlich verschwunden wie mein Lachen und meine Lebensfreude, die ich mit fünf Jahren noch hatte. Dennoch hoffte ich, dass es er sein würde, der mir eines Tages seine starke Hand vom Rande der Brücke reichen würde, um mich endlich hinauf zu ziehen.

Ich war mir immer sicher, dass sein Verschwinden einen tieferen Grund hatte. Es gab einen Sinn dahinter. Dad tat niemals etwas Sinnloses. Im Nachhinein wäre besser gewesen, wenn ich sein dunkles Geheimnis niemals erfahren hätte…

»Was träumst du denn schon wieder?«, riss mich Miranda aus meinen Gedanken und schob mich eilig zur Tür hinaus, »willst du den ganzen Tag in dieses verwahrloste Wohnzimmer starren? Collin und die anderen warten unten am Strand auf uns. Lass uns endlich verschwinden, äh- gehen!«

Wir hatten uns am wunderschönen Sandstrand von Belville verabredet. Auch das zählte zu den schönen Dingen in meinem Leben-wir wohnten an einem unglaublich idyllischen Fleck der Erde. Für mich war es der Schönste auf der ganzen Welt.

Der weite Strand lag wie gemalt unter der wärmenden Sonne. Das tiefblaue Meer lag friedlich in seinem sandigen Bett und rauschte gemütlich vor sich hin.

Der lange, alte Steg führte auf das offene Meer hinaus.

Genau hier war unser gemeinsamer Treffpunkt. Hier hatten wir den Sommer verbracht, uns viel erzählt und gemeinsam gelacht. Ich konnte einen kurzen Blick über die Brücke werfen, unter der ich kauerte. »Hey, da seid ihr ja endlich«, rief Collin freudig und schlang Miranda in seine Arme. Etwas betrübt blickte ich zu Sheyla, die direkt auf mich zukam und mich dann herzlich begrüßte.

Sie nahm mich zart bei der Hand und begleitete mich zu Fynn. Gemütlich saß er unter dem alten Steg im Sand und winkte mir lächelnd zu. Er kam meinem Traumseelenverwandten optisch schon ziemlich nahe. Sein Körper war muskulös, seine dunklen Augen lagen wohlgeformt in seinem markanten Gesicht. Als einen »Surferboy« würden ihn die anderen Mädchen der High School wohl beschreiben.

Ein Gefühl der Geborgenheit trat ein, als ich mich zu dem blonden, warmherzigen Schönling in den Sand setzte. Bei meinen Freunden fühlte ich mich wohl.

Bei Sheyla, mit den Sommersprossen im Gesicht und dem leicht rötlichen Haar. Sie fand immer die richtigen, lieben Worte und entlockte meinen Lippen ein zaghaftes Lächeln.

Bei Collin, der nicht fragte, sondern einfach zuhörte, wenn ich mich von meinem Kummer befreien wollte. Und natürlich bei Miranda, meiner treuesten Freundin.

Dass sich diese vier Schönheiten mit mir, dem Vogelnestmädchen, abgaben konnte ich fast nicht glauben. Mit ihrem umwerfenden Aussehen müssten sie, die zwei perfekten Traumpaare, eigentlich die Stars der Laney High School sein. Doch sie waren für den Rest der Welt genauso unsichtbar wie ich. Hing dies vielleicht mit unserer Vergangenheit zusammen?

Während einem sehr tiefgründigen Gespräch hatten wir mit Schrecken festgestellt, dass wir alle von schlimmen Schicksalen geprägt wurden vor unserem Tod.

Jeder von uns war schon einmal in tiefe Depressionen verfallen und hatte den Lebenswillen verloren.

Vielleicht war es das, was uns zu Magneten machte, die sich unwillkürlich anzogen und sich blind verstanden- dachte ich!

Jeder wurde auf eine andere Art und Weise aus dem Glück gerissen.

Fynn zum Beispiel- er verlor seine Familie bei einem tragischen Autounfall.

Sheylas Mutter wurde das Opfer eines grausamen Verbrechens. Nach ihrem Tod fand Shelyas Verzweiflung kein Ende mehr.

Erst der Blick in Fynns Augen ließ sie wieder zu

Verstand und zur Ruhe kommen. Seine Liebe heilte die Wunden ihrer blutenden Seele.

Collin wurde von Heim zu Heim gereicht. Er fühlte sich immer unerwünscht und verstoßen. Er rebellierte und hielt sich an keine einzige Regel. Mit achtzehn wurde er dann auf die Straße gesetzt. Er war obdachlos, hilflos, einsam und ausgehungert. Wie ein ausgesetzter Hund trottete er dann weitere Jahre umher. Er suchte nach seinem Platz im Leben. Bis-ja, bis er mir meine Miranda nahm. Ein wahres Glück für ihn, denn sie war es, die ihm wieder Leben einhauchte.

Die Liebe war also das Heilmittel. Sie führte zur Erlösung, zum Ziel, zum Leben- dachte ich...und dies entsprach auch der Wahrheit- irgendwie.

Miranda hatte ebenfalls weder Kindheit noch Jugend. Ihre Eltern hatten sie im Stich gelassen, als sie noch gar nicht auf eigenen Füßen stehen konnte. Ihre lieben Nachbarn nahmen sie damals bei sich auf, als Miranda weinend, mitten auf der Straße stand.

Sie boten ihr ein Bett zum Schlafen an für diese Nacht, für ein paar Tage, für Wochen, Jahre, für immer….

Verstoßen und verlassen –das waren Miranda und ich.

Das war nur noch ich. Mirandas Herz verband sich mit Collins, um aus Leid Liebe und aus Trauer Glück zu machen. Wir waren nicht »wir«. Wir waren die zwei Paare und ich. Ich- die den alten Steg plötzlich als die dunkle, kalte Brücke wieder erkannte.

Auch wenn ich meinen Freunden ihre Liebe von Herzen gönnte, fühlte ich mich irgendwie überflüssig.

Die dicken, kahlen Betonpfosten drohten mich zu erschlagen, als sich Miranda und Collin in die Arme schlangen und sich sanft küssten. Ich saß wieder im kalten Nass und über mir tanzten die vier, mich ließen sie in der Gosse sitzen!

»Ismey!«, erklang es plötzlich. Es konnte nur Collin sein, der es wohl witzig fand meinen absurden Namen in ungekürzter Form auszusprechen. »Was hast du? Warum starrst du so angestrengt in den Sand? Entspann dich. Kuschel dich in unser Sandsofa und genieße die Sonne.«

Ich fühlte mich plötzlich nicht mehr wohl in meiner blassen Haut und wollte gehen.

Ich wollte weg rennen-ganz schnell und ganz egal wohin. Vielleicht den morschen, fauligen Steg entlang in der Hoffnung, er bricht unter meinen Beinen zusammen und begräbt mich unter seinen schweren Brettern, schoss es mir durch den Kopf. »Nein, Collin. Es…es tut mir leid, ich kann nicht. Ich muss, ich muss Toastbrot kaufen hat Gwen gesagt«, stotterte ich bedrückt und erhob mich aus meinem Sandsessel.

»Du musst was?«

Collin schaute mich an als wäre ich ein Geist, der sich als Komiker versuchte.

»Spinnst du jetzt komplett? Deine Mum spricht seit zwölf Monaten kein Wort mit dir und dann sagt sie das? Willst du mich veräppeln? Außerdem isst du nicht«, lachte er.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Miranda ihm einen kleinen Stoß in die Rippen verpasste.

Collin schreckte auf und blickte hektisch umher. Er wirkte plötzlich so…ängstlich.

»Wann haben wir eigentlich zum letzten Mal so richtig reingehauen und uns die Bäuche vollgeschlagen? «, sagte er dann schließlich und schenkte mir ein zögerndes Lächeln. Seine Worte klangen gekünstelt als hätte er sie von einem Zettel abgelesen. Wie gesagt- meine Freunde sprachen manchmal in Rätseln.

Auch Sheyla und Fynn blickten mit großen, gespannten Augen zu mir und warteten auf meine Antwort. Es herrschte eine nervös Stille. Eine ungeduldige Anspannung lag in der Luft.

»Tut mir leid, ich muss wirklich noch etwas Dringendes erledigen. ICH kann heute nicht bei EUCH sein«, sprudelte es aus mir heraus. Langsam

ging ich zwei Schritte zurück und blickte auf die besorgten Gesichter meiner Freunde. Schnell wand ich mich dann um und lief davon.

Hastig trugen mich meine zierlichen Beine nach Hause. Ich hatte nur ein Ziel. Ich wollte laufen, laufen, laufen, laufen! Nein- ich wollte rennen, so schnell ich nur konnte. Joggen war das Einzige, was ich überhaupt noch regelmäßig machte. Nur dann, wenn meine Füße schmerzten und ich kurz vor der Ohnmacht stand, spürte ich mich meinen Körper und den letzten Funken Leben darin.

Ich wusste nicht mehr wann ich aß, wann ich schlief, trank oder mich duschte. All das war unwichtig geworden. Nur das Laufen hatte ich nicht aufgeben.

Es half mir, befreite mich von meinem Kummer und sorgte für Klarheit in meinem Kopf. Es war mir egal, dass es in Wirklichkeit eher ein Weglaufen war. Ich wollte mir das selbst nicht eingestehen und mir somit auch noch die letzte Freude nehmen.

Es dauerte nicht lange, bis ich meine alten Laufschuhe an den Füßen trug und an der wortlosen Gwen vorbei gegangen war. Sie stand gerade mitten in der Diele und probierte ihren neuen, grellpinken Bikini an.

Ich blieb kurz an der offenen Haustür stehen und rollte genervt mit den Augen.

»Herr Gott! Sie könnte wenigstens so viel Anstand aufbringen und sich mir nicht halb nackt in der Eingangsdiele präsentieren! Was wenn ich Freunde dabei gehabt hätte! Bin ich denn jetzt komplett unsichtbar für sie? «, dachte ich wütend und kniff die Augen zusammen. Ich schüttelte ungläubig meinen Kopf, dann fing ich an zu laufen.

Meine Beine hasteten über den feuchten Asphalt, es hatte zu regnen begonnen. Es machte mir nichts und ließ mich nur noch schneller laufen. Meine Gedanken passten sich meinem Tempo an, ich konnte nicht aufhören zu denken.

»Wieso ich? Wieso bin ich auch in meiner neuen Familie die Außenseiterin? Die, die alleine in ihrem Sandsofa sitzen muss?«, fragte ich mich selbst immer und immer wieder.

Dieses Gefühl der Leere und Traurigkeit war nun fast nicht mehr auszuhalten, ich lief noch schneller. Ich beneidete meine Freunde zutiefst. Sie waren glücklich! Sie durften am Leben teilhaben! Sie waren auf der Brücke! Sie hatten es bereits geschafft! Sie liebten…sie lebten- dachte ich.

Noch viel schneller rannte ich nun durch den Wald, der an das Ortsende grenzte. Ich konnte den warmen Wind in meinem Gesicht nicht spüren, die Blätter und Äste unter meinen Schuhen nicht knacken hören. Ich musste darauf achten mich nicht zu verschlucken, so sehr japste ich nun nach Luft. Ich rannte und rannte, wollte die Erschöpfung spüren! »Schneller! Lauf schneller Issy! Renn ISMEY!«, schrie ich mich selbst an. Ein älteres Ehepaar kreuzte meinen Weg und unterbrach meinen Wettlauf mit mir selbst für einen kurzen Moment. Sie schienen mich nicht bemerkt zu haben, mein Schreien nicht gehört zu haben.

»Alt und wohl schon taub«, nuschelte ich vor mich hin und setzte erneut zum Sprint an. Diesmal bergauf!

Mein Körper brannte, ich konnte meine Beine nicht mehr spüren.

Gleich falle ich, gleich ist es soweit, gleich….gleich versage ich, raste es durch meinen Kopf.

Wenn ich versage spüre ich, dass ich lebe. Doch nur wer »lebt« kann versagen…

Doch soweit kam es nicht.

Mein irres Spiel mit mir selbst wurde wieder unterbrochen. Er tauchte wie aus dem Nichts auf. Dieser andere Läufer, der sich im dichten Wald verausgabte, rannte mir plötzlich entgegen. Von weitem musterte ich seinen starken, männlichen Körper. Er…er war wunderschön anzusehen. Groß gewachsen, Muskeln zeichneten sich unter seinem weißen Shirt ab. Sein dunkelblondes Haar umrahmte sein vollkommenes, schmales, ausdrucksstarkes Gesicht. Geheimnisvolle, grüne Augen kamen mir näher und näher. Er rannte so schnell wie ich und schwitzte dabei so wenig wie ich.

»Lauf einfach Issy«, sagte ich zu mir selbst, »er sieht genauso durch dich hindurch wie das alte Paar von vorhin. Er wird dich ignorieren wie deine eigene Mutter!«

Er kam immer näher und näher, nur wenige Meter lagen noch zwischen uns. Dicht an dicht lief er dann an mir vorbei. Ich konnte seinen schweren Atem hören. Es war, als bewege er sich in Zeitlupe. Ich sah seine angespannten Muskeln zucken, ich sah den Wind durch sein glänzendes Haar wehen. Ich hörte den Kies unter seinen Laufschuhen krachen, sobald er auftrat. Er drehte sein bildschönes Gesicht zu mir, als er direkt neben mir lief. Unsere Augen trafen sich und versanken kurz ineinander. Es war wie eine Auszeit. Eine Auszeit von all der schlechten Zeit, all den bösen Gedanken und der Trauer, die mich von innen auffraß. All das war plötzlich verschwunden. Ich fühlte einfach gar nichts mehr, war wie gelähmt. Ein angenehmer Schauder ergriff mich und bohrte sich tief in meinen Körper. Ein irres Kribbeln fuhr durch meinen Magen. Sekunden waren plötzlich Minuten. Minuten waren nun Stunden.

Sein grüner Blick wurde intensiver und irgendwie auch…trauriger als hätte er geahnt, was sich hinter meinen starren Augen verbarg. Als hätte er den Schmerz meiner Seele gespürt.

Er schenkte mir eine unglaubliche Wärme, die unaufhaltsam durch meine kalten Adern strömte.

Dann trennten sich unsere Blicke. Sie rissen sich förmlich voneinander los. Er lief weiter, drehte sich nicht noch einmal um.

Die plötzliche Stille und meine Starre nahm er mit. Das angenehme, warme Gefühl in meinem Herzen ließ er bei mir.

Langsam sank ich auf den feuchten Waldboden und blieb reglos auf meinen Knien sitzen. Jeder einzelne Muskel spannte sich in mir an, ich starrte ins Nichts. Ich suchte die Traurigkeit in mir, fand sie aber nicht. Ich wusste nicht was ich da spürte aber es war kein Schmerz, keine Verzweiflung, keine Leere…

Es war etwas Wunderschönes und mir völlig Unbekanntes.

Ich fragte mich, was er mit mir gemacht hatte, welche Mächte plötzlich über meinen Körper herrschten und- wer er war?

Ich hatte ihn noch nie zuvor hier in Belville gesehen. Noch immer kniete ich auf dem kalten, feuchten Kies. Ich atmete schwer und doch irgendwie mit einer unfassbaren Leichtigkeit. Mein Herz raste. Nicht, weil ich Stunden gerannt war, sondern vor Freunde und vor…Glück. Ja- ich, ich war glücklich. Eine undefinierbare Zuckung huschte über meine Lippen.

»Lächele ich etwa? Ja, das war tatsächlich ein Lächeln!«, flüsterte ich ergriffen.

Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal geschlafen, gegessen, getrunken hatte und schon gar nicht, wann ich das letzte Mal gelächelt hatte. Nicht gekünstelt, sondern aus vollem Herzen. An keiner dieser menschlichen Aktivitäten konnte ich mich erinnern. »Dieses Gefühl, so warm und sanft zugleich«, grinste ich liebestrunken vor mich hin.

Langsam hob ich meine zerbrechliche Hand aus dem nassen Laub. Ungläubig fuhr ich mir mit den Fingerspitzen über meine bleichen Lippen. Erneut entwich mir ein zaghaftes Lächeln. Ein warmer Schauder, breitete sich in meinem Innersten aus. Er ging von meinem Herzen aus direkt in meinen leeren Magen, bis hinunter zur Fußspitze. Was hatte der schöne Unbekannte nur in mir ausgelöst?

Lag dieses urplötzliche Wohlempfinden überhaupt an ihm und seinem ergreifenden Blick? Tausende von Fragen schossen mir durch den Kopf. Er ließ mich nicht wieder los! Er war jetzt mein einziger Gedanke. Ich wollte Miranda von ihm erzählen-jetzt sofort!

Mit einem kraftvollen Sprung war ich wieder auf meinen Beinen. Mir war etwas schwindelig zu Mute und ich schwankte leicht nach. Ich musste mich einfach umdrehen. Ich wollte ihn noch einmal sehen. Doch er war verschwunden, rannte wahrscheinlich denselben Berg hinunter, welchen ich zuvor qualvoll bezwungen hatte.

Ich lächelte glücklich ins Nichts. Ich hatte nicht versagt und dennoch spürte ich mich. Es war, als würde sich meine kaputte Seele selbst wiederbeleben.

Ich ahnte nicht was sich zur selben Zeit am Strand abspielte…

Kapitel 4

Fanden sich zwei Seelen,so veränderte dies die Welt.

Benommen lief ich nach Hause. Zahllose Äste und Büsche streiften mein Gesicht. Manche hatten spitze Dornen und trafen mich an den Armen. Ich spürte sie nicht, so benebelt war ich.

Immer wieder berührte ich zart meine Lippen und lächelte dabei.

Einen Augenblick überlegte ich, ob ich Gwen von meinem neuerworbenen Gefühl erzählen sollte. Vielleicht war es ein Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass meine schwere Depression endlich ein Ende fand, dass wieder Leben in meinen Körper zurückkehrte. Vielleicht würde es Gwen und mich wieder näher zusammenbringen.

»Nein Issy. Mach das nicht. Zerstöre nicht was du eben erst gewonnen hast. Sie beachtet dich seit zwölf Monaten nicht mehr…warum sollte sie es dann jetzt tun«, sprach ich zu mir selbst und seufzte tief. Wortlos ging ich die Diele entlang und verschwand schnell in meinem Zimmer. Es sah genauso verwahrlost aus wie der Rest des kleinen Hauses. Nichts war an seinem Platz. Meine Klamotten hingen nicht an der Kleiderstange, sondern lagen lose im Schrank. Es glich dem Chaos in meinem Kopf und in meinem Herzen. Zum Aufräumen fehlte mir meistens die Lust und Motivation.

Und dann kam noch ein neues Gefühl über mich! Oder besser- ein wiedererwachtes Verlangen.

Ich sehnte mich nach einer Dusche! Nach dem angenehm warmen Strahl des Wassers, doch irgendetwas hielt mich zurück. Ich fühlte mich sauber und frisch, duftete nach Wald und Grün. Während ich wie eine Verrückte durch den Wald gerannt war, hatte sich keine einzige Schweißperle auf meiner Haut gebildet. Kurz fragte ich mich, wie das nur möglich war und wann ich zuletzt einen Bissen zerkaut hatte. Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern und verzichtete auf das warme Nass.

Ich fühlte mich rein, ausgeschlafen und gesättigt. Plötzlich kippte meine gelassene Stimmung. Ein anderes, weniger schönes Gefühl glitt durch mich hindurch. Ich wusste nicht woher es kam aber es ergriff mich voll und ganz! Es war ein wehmütiges, angespanntes Zittern, das sich unaufhaltsam in meinem Körper ausbreitete. Die Angst kroch an meinen Beinen empor und ich wusste genau wem sie galt.

»Miranda«, flüsterte ich. Mein Herz begann zu rasen, ich bekam Panik. Irgendetwas stimmte nicht mit ihrich konnte es fühlen!

Ruckartig befreite ich mich aus meiner Starre und rannte los. Wie ein Magnet zog es mich an den Strand. Meine Gedanken befahlen mich zu Miranda. Sie drängten mich regelrecht zu ihr!

»Miranda, ganz ruhig!«

Ich konnte Collins unmännlich hohe Stimme schon von weitem hören. Schnell rutschte ich die sandige Düne hinunter und eilte zu ihm.

»Beruhige dich mein Schatz, es wird gleich besser«, sagte er nervös. Seine Stimme zitterte und er atmete hektisch. Er hielt Mirandas krampfenden Körper in den Armen.

»Collin! Was…was ist mit ihr? Was hat sie?«, rief ich verzweifelt und kniete mich zu ihm in den Sand. Erst jetzt konnte ich Mirandas Gesicht gesehen. Es war schmerzverzogen, ihre Lippen waren ganz blau und fest aufeinander gepresst.

Vor Schreck riss ich mir die Hände vor mein erstarrtes Gesicht. Ich verstand nicht was passiert war und keiner sagte mir etwas.

»Geh weg! Hau ab Issy«, schrie Fynn und zog mich an meinen Schultern zurück.

Ich ignorierte seine strengen Worte und versuchte mich aus seinem festen Griff zu befreien. »Miranda, brauchst du einen Arzt?«, rief ich panisch zu ihr. »Oh Gott sie hat Fieber! Collin sie glüht ja, mach doch etwas! Fynn, Sheyla helft ihr doch endlich!«

Sheyla stand in der Nähe des alten Stegs. Fynn war wieder bei ihr und hielt sie tröstend im Arm. Er drückte sie immer fester an sich und streichelte ihr beruhigend über das Haar. Was Fynn zu diesem Zeitpunkt schon wusste, sollte ich schon sehr bald erfahren…

Er wusste welche Qualen Miranda ertragen musste. Und er wusste auch warum!

Gerade wollte ich über ihre Stirn streicheln, als Collin blitzschnell meine Hand ergriff.

»Lass sie in Ruhe Issy! Zisch ab! Mach schon, bitte deine Nähe macht alles nur noch schlimmer! Fynn, komm her und hilf mir! Es dauert schon viel zu lange!«, fauchte er.

»Meine Nähe? Hat er das wirklich gesagt? Bin ich Schuld an dieser Situation? Und was dauert schon viel zu lange?«, überlegte ich irritiert.

Miranda kam wieder zu sich und versuchte mit rauer Stimme einen Satz zustande zu bringen. »Sie…sie, hat…ihn gesehen«, stammelte sie und zwang sich zu einem mühevollen Lächeln, »sie hat…ihm direkt in die Augen gesehen.«

Wenn eine verlorene Seele seinesgleichen findet und sie miteinander verschmelzen, so durchlebt der treueste Freund an deiner Seite deine ganzen Qualen noch einmal. Er fühlt die dunkelsten Ängste und schlimmsten Schmerzen, die deine Seele jemals ertragen musste. All deine leidvollen Jahre spürt er binnen Sekunden.

Miranda. Meine treueste Freundin, mein zweites Ich, war es, die nun wegen mir leiden musste. All meine Qualen trafen sie mit voller Wucht! Die unerträgliche Ignoranz meiner Mutter schlug ihr mit voller Kraft ins Gesicht! Das schreckliche, herzzerreißende Gefühl, als mein Dad ging, trat ihr rücksichtslos in den Magen!

Sie durchlitt meinen ganzen Schmerz noch einmal, sie spürte meine allerschlimmsten Qualen!

Die, die ich seit einem Jahr ertragen musste.

Die, die mein Herz sprengten und mich weinen ließen.

Die, die mich unter meine kalte Brücke zerrten.

Es waren die Qualen meiner Seele…weil sie nach meinem Tod ihren Platz nicht fand!

Weil ich nicht wusste als was ich sozusagen »wiederauferstanden« war…, weil ich nicht wusste, dass ich überhaupt gestorben war!

Meine Seele, verlangte nach ihm. Sie brauchte ihn, um ihren Frieden zu finden. Sie schrie förmlich nach ihm, nach meinem Seelenverwandten! Noch blieb mir all das verborgen…

Bitterlich weinend kniete ich vor meinem hölzernen Bett und konnte mein Schluchzen kaum mehr bändigen.

»Was?«, schrie ich. »Was hab ich getan? Warum werden mir jetzt auch noch meine Freunde genommen? Warum verstoßen sie mich? Warum verlässt mich nun auch noch Miranda?«

Ich war zutiefst verzweifelt und konnte mich nicht mehr beruhigen. Der Damm des Mascara- Sees brach nun. Meine bitterlichen Tränen fluteten mein geschwollenes Gesicht.

Ich verstand nicht was mit Miranda geschehen war. Ich verstand nicht, warum ich fortgeschickt wurde. Das Einzige was ich wusste war, dass ich nicht normal war- dass wir nicht normal waren.

»Dad«, schluchzte ich, »ich brauche dich. Warum bist du jetzt nicht hier? Bitte, bitte komm und rette mich… ich kann… nicht mehr!«

Die Tür im Wohnzimmer klapperte. Gwen war nach Hause gekommen. Sofort versuchte ich mich zu beherrschen. Ich wollte nicht, dass sie mein Weinen bemerkte.

Es wunderte mich, dass sie überhaupt zu Hause war und nicht, bis zur Unkenntlichkeit geschminkt, durch die Nacht zog.

Ich hielt kurz inne und ließ meinen Monolog verstummen.