The Dark Tape: The Disappearance of Michael F. - The Cornflex - E-Book

The Dark Tape: The Disappearance of Michael F. E-Book

The Cornflex

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Beschreibung

. ECHTE . DEUTSCHE . ÄNGSTE . Kälte und Dunkelheit umgeben das Waldgebiet im Oberharz. Michaels Leben gerät eines gewöhnlichen Tages aus den Fugen und er verschwindet. Durchlebe mit ihm den absoluten Horror. . BEFREMDLICH . ANDERS . Mit "The Disappearance of Michael F." startet die erste Novelle der Anthologie-Serie: "The Dark Tape" von Cornflex. Es ist in Ordnung, nicht zu verstehen. Aber nicht in Ordnung, aufzugeben.

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Die Zimmertemperatur sinkt von Minute zu Minute. Die nächtliche Kälte frisst sich durch die nicht geschlossene Haustür eines alten Fachwerkhauses am Stadtrand. Genauso auf der anderen Hausseite, wo der Zugang vom Garten aus möglich ist. Es ist ruhig. Menschenleer. Jedes einzelne Fenster ist geöffnet und nur der heizende Ofen brummt als einzige Soundquelle neben dem Windzug im Gebäude. Blutspritzer sind auf diversen Möbeln verteilt. Ebenso befleckt sind die dunklen Zimmerwände und der Parkettboden.

Wohl hundertmal schlägt das Wetter um, das ist des Aprils Privilegium.

Der April neigt sich dem Ende zu. Die letzten Schneereste schmelzen dahin und mischen sich mit dem Dreck auf den Fußwegen. Die Luft ist noch kalt und jeder Atemzug resultiert in einem sichtbaren Ausstoß von Wasserdampf. Von den Tieren ist in den umliegenden Wäldern noch nichts zu hören, stattdessen nur der eisige Wind in Kollision mit der Flora. Die Wolkendecke ist dicht, aber sie bewegt sich ununterbrochen weiter. Es ist schwer zu sagen, ob es idyllisch ist.

Michael ist in seinen Zwanzigern und besten Lebensjahren. Jung, energetisch, motiviert und mit reichen Plänen für die Zukunft. Vor wenigen Jahren hat er sein elterliches Zuhause verlassen, um sich selbst zu verwirklichen und festen Fuß in der Erwachsenenwelt zu fassen. Mit dem hoffentlich baldigen Masterabschluss in der Tasche, soll das eigentliche Leben für ihn dann richtig starten. Aber bis dahin sind es wohl noch zwei bis drei Semester. Solange kann er sich noch Gedanken machen. Beziehungsweise Gedanken um Dinge, die weder ein geregeltes Einkommen, langfristige Bindungen noch eine finale Perspektive betreffen.

Die elterliche Unterstützung sowie das Kellnern und Barkeepern in einer traditionellen deutschen Kneipe im Oberharz regeln die aktuelle Situation und das Leben des Heranwachsenden noch verhältnismäßig gut. Es geht ihm gut, bis auf ein paar Kleinigkeiten.

Aktuell lebt Michael in einer kleinen Miethütte nahe der Wälder. Die Gegend ist ruhig oder trist, fast schon leblos, je nachdem, wie man es auffasst. Im Sommer und im Winter verirren sich Touristen dennoch ab und an in die Nachbarschaft, sind aber meistens unterwegs auf Erkundungstouren und Wanderungen. Jetzt, gerade zum Übergang in den Frühling, ist jedoch wirklich nicht viel los hier.

Michael kramt in seiner Jeans. Er ist genervt, weil der Schlüsselbund sich nicht sicher fassen lässt und durch den engen Taschenschlitz hervorkommen möchte. Er hatte extra die Handschuhe ausgezogen und nun beginnt der Handrücken in der Kälte zu schmerzen. Endlich! Der Schlüsselbund fühlt sich schon schwer an, wenigstens findet er den Passenden unter der sich ähnelnden Menge auf Anhieb, um den Eingang seiner lodgeartigen Unterkunft zu entriegeln.

Die Holztür knarzt und Michael tritt in den geräumigen und ferienartigen Wohnbereich, in einem hölzernen Fassaden-Look mit dunkelbraunen Stand- und Querbalken, großen und bunten Wollteppichen plus einem kombinierten Küchen-, Ess- und Wohnzimmer. Durch die hohen Fenster und der Terrassentür auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes erblickt sich der kleine Gartenbereich und gute 50 Meter weiter die ersten Tannen des Nadelwaldes. Gepflegt ist ab hier aber nichts mehr, nicht wirklich für die Touristen gedacht und auch kein offizieller Zugang zum Wald des Harzes. Vielmehr wirkt es nach einsetzender Wildnis.

Die prägnante dunkle Wanduhr neben dem Fernsehschrank ertönt durch einen tiefen Schlag. Ein Gong. Michaels Augen wandern in dessen Richtung. Das Geräusch ist weder laut noch erschreckend, aber durch die vorherrschende Stille sägt es sich dennoch kompromisslos. Mitternacht. So läutet die Uhr immer, wenn der nächste Tag eingeleitet wird. Für Michael ist der Sound aber vielmehr eine Erinnerung, zuhause angekommen zu sein. Seine Arbeitszeit in der wortwörtlich genannten “Schenke” dauert in der Regel bis 23 Uhr an. Danach begibt er sich, gewohnt zu Fuß, auf direktem Weg zurück nach Hause, um seinen Tag zu beenden und Kraft für den nächsten zu schöpfen. Erholung ist die oberste Prämisse.

Er hat es zum Glück nicht allzu weit zur Universität, in der Kleinstadt, an der er studiert. Keine Vorlesung, die er besucht, fängt vor der Mittagszeit an, sodass er sich regelmäßig eine oder zwei Extrastunden Schlaf am Morgen gönnen kann, während andere bereits an ihren Arbeitsplätzen eingetrudelt sind. Dann liegt Michael mit leichtem Grinsen gemütlich unter der dicken und kälteisolierenden Bettdecke und genießt den Blick auf den Lockscreen seines Smartphones mit der digitalen Uhrenanzeige, die er noch ein paar weitere Minuten sorglos ignorieren darf, ohne sich zu verspäten. Dieser Bonus wird aber meistens bis zur letzten Sekunde ausgekostet, wodurch, im Endeffekt, doch Eile entsteht, auf dem Weg in die Vorlesungsräume seiner Universität. Seine Mutter hat es immer als ein Anzeichen von Faulheit und mangelnder Tagesstruktur angesehen.

Die Sonnenstrahlen kämpfen sich vereinzelt durch die raren Lücken der dichten Wolkendecke über dem Oberharz. Sie gelangen manchmal auch durch das Schlafzimmerfenster der Hütte und prallen auf die Stirn von Michael. Es ist ein sanftes Gefühl, ein wohlwollendes. Der Kuss eines guten Morgens.

Sein Smartphone im Bett vibriert und spielt den Standard-Alarm-Sound eines Samsung Gerätes bereits in Dauerschleife. Womöglich das achte oder neunte Mal an diesem Morgen. Beirren lässt sich Michael davon aber nicht. Er stellt die Alarme am Vorabend immer im Fünf-Minuten-Takt, eine ganze Stunde vor seiner eigentlichen Aufwachzeit, aktiv, um sie dann bewusst am Folgetag zu ignorieren. Dann wird es aber wirklich Zeit diese wahrzunehmen, denn, sobald die einstündige Klingelperiode durchlaufen wurde, bleibt es still. Keine Geräte, die ihn wecken, keine Mitbewohner, die nochmal seine Aufmerksamkeit suchen würden.

“Uh”, ertönt es ausdruckslos und erschöpft aus seinem Mund. Er reißt die Bettdecke schlagartig von seinem Körper und dreht sich in die entgegengesetzte Richtung. Seine langen Glieder setzen plump auf dem knarrenden Holzboden auf, als würde dieser fast nachgeben. Aber er hält stand, genauso wie der menschliche Körper, den er nun trägt.

Die Gänsehaut wird prägnant und Michael navigiert im Zimmer, ums Bett herum, durch die Tür in den Wohnbereich und schließlich ins kleine Bad. Die Zahnbürste wird sich beim Vorbeigehen geschnappt, rasch mit Zahncreme befleckt und die Beine von Michael ruckartig, aber mit Vorsicht durchs Abstützen über den Badewannenrand gehievt. Das 40 Grad warme Wasser schießt aus dem Duschkopf heraus, direkt ins Gesicht des jungen Mannes, dessen Augen sich nun erst vollends öffnen. Er wirkt paralysiert und hält inne für ein, zwei Minuten, bis plötzlich die altbekannte Melodie aus dem Schlafzimmer ertönt.

“Der Wecker klingelt jetzt vielleicht zum letzten Mal. Penn hier bloß nicht ein”, denkt er und widmet sich nun ganz seiner Körperpflege. Ein feuchter Dunst sammelt sich im Badezimmer, den Michael sichtet. Er dreht die Wasserzufuhr ab, steigt aus der Wanne und wandert weiterhin nackt durch die Hütte auf dem Weg zur sauberen Kleidung, die er sich direkt vom Wäscheständer zusammensucht. Sie ist hier und da noch etwas feucht, aber ohne festlichen Anlass am Morgen sollte das in Ordnung gehen. Die Jeans ist dagegen dieselbe wie fast jeden Tag, die leicht ausgewaschene im hellen Vintage-Look. Sie hängt wie immer über der Rückenlehne seines einfachen Schreibtischstuhles im Schlafzimmer. Alles beisammen, greift Michael nach den restlichen Outdoor-Klamotten: der Winterjacke, Puma-Handschuhen, den beigen Boots und einer schlichten, schwarzen Mütze, sowie einem kleinen Päckchen auf der Ankleidebank.

Soweit ist alles wie immer. Sein Start in den Tag und auch jetzt der Fußweg zur Universität. Derselbe graue Himmel wie die letzten 20 Wochen. Dieselben ungepflegten Straßen und Fußwege. Dieselben kleinen und simplen Häuser und Geschäfte, die Michael von innen nur durch Einsicht in deren Fensterscheiben kennt. Dieselben paar Personen, die ihm vom Anblick bekannt vorkommen, aber vom Namen nicht, obwohl er sie teils in der Schenke schon mehrfach bedient hatte.

Nach wenigen Minuten Gehweg verwinkeln sich die eben noch langen und geraden Straßen immer mehr und Gemurmel und Getöse nehmen allmählich zu. Einige schöne alte Fachwerkhäuser können die Aufmerksamkeit von Michael hier und da gewinnen. Die Innenstadt, sofern man das in der Größe dieses Ortes von rund 20.000 Menschen so festmachen kann, hat schon was. Charme. Vor allem das zentral gelegene Amts- und Kirchengebäude, dessen große weiße Uhr analog die Zeit präsentiert, ragt über alles andere hinaus. Sie kann aus vielerlei Perspektiven und Blickwinkel eingesehen werden, so, als müsse sie Michael konstant an seine Termine, wie nun an den Beginn seiner Vorlesungsstunde, erinnern müssen.

Pechschwarze Krähen verweilen an manchen Tagen auf der Gebäudespitze und blicken über das Zentrum, die Wälder bis hinaus aufs Gebirge. So auch heute. Und mehr als gewöhnlich, als wäre Brut frisch geschlüpft. Ein paar weitere Bauten gibt es noch zu umwinden, bis das ebenfalls ansehnliche, aber kleine Universitätsgebäude in den Augenschein tritt. Viel mehr als die Außenbereiche vorne und hinten, die Bibliothek, die Mensa, die Räume der sozialwissenschaftlichen, sowie kulturwissenschaftlichen Fakultäten scheint es nicht zu geben. Zumindest nichts, was Michael tiefer interessiert. Bis auf die kleine, zierliche Blondine aus dem Bachelorstudiengang der Sozialwissenschaften vielleicht.

Richtig angenähert haben sich die beiden aber noch nicht, dafür hat er noch keinen genauen Plan schmieden können. Er möchte eigentlich nur sein Studium hier beenden und sich endlich auf eine ausfüllende Arbeit stürzen.

Langsam kommt auch die Motivation und Energie zurück, die ihn eigentlich durch den Tag begleitet, aber morgens wohl noch eine weitere Stunde länger schläft, als er selbst. Er denkt ans Essen, seinen heißen Lieblingscappuccino von der Bäckerei direkt neben der Uni. Der Magen knurrt simultan.

“Halbe Stunde nach der zweiten Vorlesung sollte ausreichen”, vereinbart er mit seinen Gedanken und plant die Besorgung seines Frühstücks.

Für seine Kommilitonen ist hier bereits Mittagszeit, aber das sind sie von dem Langschläfer bereits gewohnt, dass bei ihm alles etwas zeitversetzt ist. Sie können ihm dennoch viel abgewinnen mit seiner lässigen und ruhigen Art durchs Leben zu treten, der Aufmunterung und dem Antrieb hinter seiner Stimme, die jeglicher Negativität entgegenrückt, welche Michael niemals zu nah an sich ranlassen möchte. Die Möglichkeiten und Freiheiten, die ihm in seiner gedachten Zukunft zugrunde liegen, sind grenzenlos und werden nicht durch Hindernisse blockiert. Keinesfalls.

Der leicht gekrümmt gehende Professor Seelen schlägt sein altes, fülliges Buch zu und verabschiedet sich von seinen Gästen. Eine Handvoll Stühle kratzen unkoordiniert über den Boden und Unruhe breitet sich aus. Die Gesprächslautstärke zwischen den einzelnen Studenten und Studentengruppen verstärkt sich. Auch bei Michael und seinen Kursfreunden, die sich herzhaft amüsieren und spöttisch über den einen oder anderen Stereotyp ihrer Professoren und deren Hiwis herziehen.