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HADES UND DAS ZWÖLFTE MÄDCHEN Für immer und ewig ohne Liebe? Niemals! Hades alias Henry möchte seinem unendlichen Leben ein Ende bereiten. Doch davon will der Rat nichts wissen. Sie brauchen ihn, den Herrscher des Totenreichs! Göttin Diana beschließt, ihm eine Gefährtin zu suchen. Wenn Henry sich wieder verliebt, wird er weiterleben wollen … Ihre Wahl fällt auf Ingrid, ein Mädchen aus einem New Yorker Waisenhaus. Doch kaum hat Ingrid die Prüfungen des Olymps bestanden und könnte an Henrys Seite zu ihnen gehören, stirbt sie gewaltsam. Und nach ihr zehn weitere! Bis Diana selbst eine Tochter bekommt: Kate. Als Henry in ihre Augen blickt, weiß er: Dieses Mädchen ist ihm bestimmt. Kate muss seine Göttin werden - oder er stirbt mit ihr gemeinsam. DIE VOLLKOMMENE KÄMPFERIN Nachdem Kate die Prüfungen bestanden hat, muss sie Eden und ihren Ehemann Henry vorerst verlassen. Mit ihrem besten Freund James verbringt sie den Sommer in Griechenland - und wird prompt in eine Fehde zwischen den Unsterblichen hineingezogen. Seit Jahrhunderten sind Castor und Pollux auf der Flucht vor Zeus und Hades, und Kate, die angehende Königin der Unterwelt, ist mit Sicherheit die letzte Person, der die Brüder trauen. Trotz allem ist sie entschlossen, den beiden zu helfen. Bald muss Kate jedoch feststellen, dass sie im Umgang mit den Unsterblichen noch einiges zu lernen hat …
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Seitenzahl: 171
Aimée Carter
The Goddess Test - Kurzromane
IMPRESSUM
books2read ist ein Imprint der HarperCollins Germany GmbH, Valentinskamp 24, 20354 Hamburg, [email protected]
Copyright © 2012 Aimée Carter Originaltitel: “God of Darkness” Erschienen bei: Harlequin Teen, Toronto Published in Arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.ár.l Deutsche Erstausgabe Copyright © 2013 by darkiss® in der Harlequin Enterprises GmbH Übersetzung: Freya Gerke Copyright © Layout- und Covergestaltung 2016 by books2read in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Umschlagmotiv: DavidMSchrader, VBaleha, Justdd/ Thinkstock Umschlaggestaltung: Birgit Tonn
Veröffentlicht im ePub Format im 03/2016
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733785703
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. books2read Publikationen dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Als dem Herrn der Unterwelt war Hades die Furcht der Lebenden und die Ehrerbietung der Toten gewiss. Als Mitglied des ewigen Rats der Götter stand ihm unvorstellbare Macht zur Verfügung. Er war jederzeit bereit zu tun, was immer nötig war, um seine Pflichten zu erfüllen und seine Gesetze durchzusetzen. Und als Herrscher über die Seelen der Verstorbenen würde er ewig leben. Seine Verantwortung ihnen gegenüber garantierte ihm wahre Unsterblichkeit.
Doch all das hätte er aufgegeben, um sterblich werden zu können.
In den Äonen seines Daseins hatte Hades mehr Gesichter gesehen, mehr Geschichten gehört als der Rest des Rats zusammengenommen. Irgendwann betrat jeder Sterbliche sein Königreich, und auch wenn er nur einen Bruchteil von ihnen persönlich zu Gesicht bekam, spürte er die Gegenwart eines jeden Einzelnen. Jeden Augenblick waren ihm all diese verlorenen Leben gegenwärtig.
Das war es, worum er die Sterblichen beneidete: eine festgelegte Spanne zu haben und zu wissen, dass das Leben eines Tages aufhören würde, statt für immer in diesem endlosen Ozean von Zeit zu treiben … Das wäre wundervoll. Auf diese Weise wüsste er, auch wenn er für immer allein bliebe, dass es eines Tages vorbei wäre. Doch als Gott war ihm eine solche Erleichterung verwehrt.
Er saß auf seinem Thron, hinter sich einen langen Tag des Urteilens über die Verstorbenen. Schwer wog die Stille auf seinen Schultern. Über die letzten Jahrhunderte schien die Zahl der Seelen exponentiell gewachsen zu sein. Vielleicht wirkte es aber auch nur so, weil Persephone nicht länger an seiner Seite war. Seine Frau, seine Freundin, seine Partnerin – er hatte sich weit mehr auf sie verlassen, als ihm bewusst gewesen war. Selbst in dem Wissen, dass sie ihn niemals so lieben würde wie er sie, bewahrte er sie im Gedächtnis, hütete die Erinnerung an sie wie einen Schatz, wie andere ein Leben der Glückseligkeit in ihren Herzen bewahrten.
Doch er hatte seinen stillen Schwur gehalten, hatte sie nie wieder aufgesucht. Das Wissen, dass sie so nah und doch so verliebt in einen anderen war, bedeutete die pure Qual, und einen solchen Schmerz konnte er sich nicht erlauben. Gerade erst hatten die Wunden zu verheilen begonnen, und auch wenn Narben unvermeidlich waren, würden sie sich niemals schließen, wenn sie durch Persephones Anblick immer wieder aufs Neue aufbrachen.
Stattdessen gestattete er sich, in den wenigen Stunden seines Schlafs von ihr zu träumen. Darin erlaubte er sich, in einem Leben zu versinken, das sie hätten haben können, hätte er nicht so furchtbar falsch gehandelt – hätte er getan, was sie wollte, das Richtige gesagt, gar nicht erst zugelassen, dass Demeter ihn zu dieser Heirat überredete. Wie es gewesen wäre, wenn er vor all diesen Äonen Persephone selbst gefragt hätte, was sie wollte, bevor sie einander so irreparablen Schaden zugefügt hatten. Und in diesen wenigen Traumstunden war er glücklich.
Er atmete aus und lehnte sich in seinem Thron zurück. Die Augen fielen ihm zu. Heute waren es fünfhundert Jahre. So lange war es her, dass er sie hatte gehen lassen, und es schmerzte immer noch genauso wie an jenem Tag, als er sie hatte sterben sehen. Von wegen Narben. In diesem Augenblick war er überzeugt, es würde nie besser werden, egal, wie viel Zeit verging.
Die Türen zum Thronsaal öffneten sich, und seufzend richtete er sich auf. Die nächste Ladung Seelen war erst für morgen früh vorgesehen, und James wäre nicht so töricht, ihn jetzt zu stören. Doch auch wenn er mit niemand Bestimmtem gerechnet hatte, dann am allerwenigsten mit dem Mädchen, das ihm jetzt in dem Torbogen am Ende des Mittelgangs gegenüberstand.
„Hera. Nein, Calliope“, korrigierte er sich und stand auf. „Es tut gut, dich zu sehen.“
„Gleichfalls, Hades.“ Sie beugte den Kopf, als sie auf ihn zukam, und er tat es ihr gleich. Es war Jahrtausende her, dass sie beide miteinander allein gewesen waren – noch vor seiner Hochzeit mit Persephone. Die Erinnerung versetzte ihm einen Stich.
„Ich störe doch nicht bei irgendetwas, oder?“
Er schüttelte den Kopf, ergriff ihre Hände und drückte sie zur Begrüßung. „Nein, nein. Ich bin hier fertig für heute. Ich wollte mich gerade zurückziehen.“
„Oh.“ Ihr Lächeln verblasste etwas. „Ich hatte gehofft, wir könnten reden.“
„Natürlich.“ Er bot ihr seinen Arm, und als sie sich unterhakte, führte er sie aus dem Thronsaal hinaus. Die Korridore waren von ewigen Fackeln erleuchtet, die seiner Wohnstatt etwas Unheimliches verliehen, doch ihm war es lieber so. Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, ein Licht zu schaffen, in dem die Schatten nicht so tanzten, doch das hätte seine Einsamkeit nur noch schlimmer gemacht.
Als sie gemeinsam ein gemütliches Wohnzimmer betraten, das er aus Mangel an Gelegenheit lange nicht mehr benutzt hatte, folgte er ihrem Beispiel und sah sich um, als sähe er den Raum zum ersten Mal. Seltsam, wie die Gewohnheit etwas einstmals Vertrautes fremd werden lassen konnte. Er rief Tee herbei und goss ihnen beiden ein, und als er sich neben ihr aufs Sofa setzte, bemerkte er, wie sie näher rückte. Vielleicht hatte sie ihn einfach vermisst. Oder sie spürte, wie sehr er irgendeine Form von Trost brauchte.
„Hier hat sich nicht viel verändert“, stellte sie fest, während sie an ihrer Tasse nippte. „Wie kommst du zurecht?“
„Es ist lange her, dass mich das jemand gefragt hat“, bemerkte er mit einem schwachen Lächeln, auch wenn weder ihre Anteilnahme noch seine Feststellung ihn mit Freude erfüllten. „Ich nehme an, es ging mir schon mal besser.“
Calliopes Miene verfinsterte sich. „Ja, vermutlich.“ Sie legte ihre Hand auf seine. „Gibt es irgendetwas, das ich tun kann?“
Er schüttelte den Kopf. „So mächtig und bezaubernd du auch bist, ich fürchte, es gibt nichts, das irgendjemand tun könnte.“
Sie errötete und senkte für einen Moment den Kopf. Bescheidenheit wirkte an ihr verkehrt. „Du bist zu gütig.“
„Kaum. Es ist nicht meine Schuld, dass Zeus – äh, Walter – nicht zu schätzen weiß, was er an dir hat.“
Verärgerung zuckte um ihre Mundwinkel – und vielleicht auch noch etwas Tiefergehendes. „Nein, das weiß er nicht. Hast du dir noch keinen neuen Namen ausgesucht?“
„Leider hatte ich noch nicht wirklich die Muße dafür. Noch scheint mir die Auswahl nicht besonders verlockend.“
Sie schnaubte tadelnd. „Du siehst hier unzählige Menschen durchkommen. Irgendeiner muss doch einen Namen gehabt haben, der dir gefällt.“
„Ihre Namen gehören ihnen. Ich könnte sie ihnen nicht stehlen, wie Diana es mit Ella getan hat.“
Calliope grinste. „Ich glaube, das hat sie nur gemacht, um ihr eins auszuwischen für die Kommentare, die Ella über sie und Walter gemacht hat.“
„Und du stimmst Ella nicht zu?“, fragte Hades. „Ich hätte gedacht …“
„Ich weiß, was Walter so treibt“, entgegnete sie schulterzuckend. „Jetzt hat es auch keinen Zweck mehr, dagegen anzugehen.“
Nachdem er Äonen lang Geschichten von Calliopes Eifersucht gehört hatte und sie teilweise selbst miterlebt hatte, war dies definitiv eine unerwartete Wendung. Schweigend nahm Hades ihren Gesinnungswandel in sich auf. „Hast du also auch jemanden gefunden?“
Über ihre Züge huschte ein seltsamer Ausdruck, und sie hielt das Kinn ein winziges Stück höher als sonst. „Und wenn ich sagen würde, dass es so ist?“
„Das würde mich freuen“, behauptete er trotz der Bitterkeit, die sich in seine Eingeweide fraß. Selbst Calliope fand Liebe, während er auf ewig in Einsamkeit gehüllt bleiben würde, bis ans Ende aller Zeiten. Und vielleicht würde er nicht einmal dann Erlösung finden. „Darf ich fragen, wer der Glückliche ist?“
Es entstand eine Pause. Hera – Calliope – sah es nicht ähnlich, so um den heißen Brei herumzureden, außer, sie wollte etwas. Aber was könnte sie von ihm schon wollen? War ihr neuer Geliebter sterblich? Wollte sie, dass Hades ihn verschonte, bis sie mit ihm fertig war?
„Du darfst“, murmelte sie schließlich zögernd, während ihre Hand sich wieder seiner näherte. „Aber nur, wenn du glaubst, dass du bereit für die Antwort bist.“
„Und warum sollte ich nicht …“
Ihre Finger streiften seine, und er hielt inne. Calliope hielt seinen Blick fest, Ernsthaftigkeit und Berechnung zugleich in ihren blauen Augen, und lehnte sich ihm entgegen. „Du weißt, warum“, sagte sie leise. „Du hast es immer gewusst.“
Hades erstarrte vollkommen, erlaubte nicht einmal mehr seinem Herzen zu schlagen. Vielleicht würde dann die Zeit nicht weiterlaufen, und er würde sich niemals den unausweichlichen Konsequenzen dieses Augenblicks stellen müssen.
Hera. Calliope. Seine Schwester liebte ihn. Sehnte sich nach ihm. Begehrte seine Nähe. Jetzt konnte er sie spüren, jene Fühler von Emotionen, die so alt waren wie die Herrschaft des Rats und sich jetzt in seine Richtung ausstreckten. Wie konnte ihm das vorher entgangen sein? War sie wirklich so gut, dass sie selbst ihre stärksten Empfindungen derart tief verbergen konnte?
Es spielte keine Rolle, wie sie es hatte geheim halten können. Was eine Rolle spielte, war die Art, auf die sie ihn ansah, wie sie mit Hoffnung in den Augen und einem fast unmerklichen Lächeln auf den Lippen auf seine Antwort wartete. Es war so lange her, dass er sie so gesehen hatte – als sähe sie endlich etwas Gutes auf der Welt, das sie für sich haben wollte.
Und es versetzte ihn in pures Entsetzen.
Selbst wenn es für ihn infrage käme, mit ihr zusammen zu sein; selbst wenn er über seine erdrückende Liebe zu Persephone hinwegkäme, würde sein Bruder ihm niemals verzeihen. Zeus – Walter – so zu demütigen … Für ihn käme es einer Kriegserklärung gleich, und er würde bis zum Ende aller Zeiten kämpfen, um seinen Besitz zurückzugewinnen.
Doch das war alles, was Calliope für Walter darstellte – ein Besitztum. Eine Trophäe. Ein angeleintes Haustier, von dem er glaubte, er hätte es gezähmt. Doch hier saß sie, ihrem Käfig entflohen und verzweifelt auf der Suche nach Freiheit. Und Hades konnte sie ihr nicht geben.
Er wollte es. Nicht weil er sie auf dieselbe Weise liebte, wie sie ihn offensichtlich liebte, und sicherlich nicht, weil er einen Krieg anzetteln wollte. Sondern weil niemand ein Leben verdiente, wie Calliope es hatte leben müssen. Niemand verdiente es, seine Identität so zu verlieren wie sie, begraben unter dem Stolz ihres Ehemanns, ausgelöscht in seinem ewig andauernden Zorn. Nachdem er Persephone so lange bei sich behalten und ihr die gierig herbeigesehnte Freiheit verwehrt hatte, war die Vorstellung, Calliope genau das zu schenken, was er seiner Frau vorenthalten hatte, nur zu verlockend. Wiedergutmachung, zumindest auf seine bescheidene Weise. Eine Chance, sich – und auch Persephone – zu beweisen, dass er kein Monster war. Selbst wenn er wusste, dass es eine Lüge war.
Doch das reichte nicht aus. Es war nicht genug, um in Calliope die falsche Hoffnung zu wecken, er könnte sie eines Tages lieben; es war nicht genug, um sie so hinzuhalten, wie Zeus es getan hatte. Es war nicht genug, um einen Krieg zu beginnen, den der Rat niemals austragen könnte. Es war nicht genug, um die Existenz der Menschheit aufs Spiel zu setzen und jede Regel zu brechen, die er sich seit Persephones Tod auferlegt hatte.
Es war nicht genug, um sein Herz zu riskieren, so selbstsüchtig dieses dumme Ding auch sein mochte. Und es war nicht genug, um sich eine neue Chance zu gestatten, sein Glück zu finden. Calliope mochte es verdient haben, aber er definitiv nicht, und darüber würde er niemals hinwegsehen können, sosehr er es auch versuchen mochte.
„Ich bin geschmeichelt“, antwortete er also leise und war nicht mehr in der Lage, ihr in die Augen zu sehen. Sie würde sofort wissen, was diese Worte bedeuteten, doch er brachte es nicht über sich, ihr auch nur die geringste Hoffnung zu machen. Es wäre nur eine weitere Grausamkeit gewesen. „Aber du bist die Frau meines Bruders, und es gibt bestimmte Grenzen, die ich nicht übertreten kann.“
Statt empört oder verletzt aufzuspringen, schloss Calliope die Finger fester um seine Hand. „Bitte“, flüsterte sie. Seit Langem hatte sie nicht mehr so sehr wie ein junges Mädchen geklungen. „Ich erkläre Walter alles – ich mache ihm unzweifelhaft klar, dass es nicht deine Idee war. Es ist bloß – ich kann dort nicht länger leben. Ich liebe dich. Ich liebe dich bereits länger, als ich irgendjemand sonst geliebt habe, und alles, worum ich dich bitte, ist eine Chance.“
„Das ist eine Chance, die ich dir nicht geben kann“, beharrte er und sah auf ihre verschränkten Hände hinab. Eine ganze Welt von Was-wäre-wenn, zusammengefasst in einer einzigen Geste. „Es gibt keine Worte dafür, wie leid es mir tut, aber du hast etwas Besseres verdient als ein Leben in meiner Welt. An meiner Seite. Ich könnte dich nicht lieben, nicht so, wie du mich liebst, und lieber würde ich vergehen, als zuzusehen, wie dieser Ort dich langsam erdrückt, wie er es mit Persephone …“
„Persephone?“, unterbrach sie ihn mit erstickter Stimme. „Tust du es ihretwegen? Weil sie dich nicht geliebt hat?“
„Teilweise“, räumte er ein, und sie berührte ihn am Kinn, zwang ihn, sie anzusehen. Mittlerweile hätte er Tränen erwartet bei all der Frustration, die sie verströmte, doch ihre Augen waren trocken.
„Was, wenn … was, wenn sie nie dafür gemacht war, dich zu lieben?“ In ihrem Ton schwang etwas Unbestimmbares mit, als wollte sie ihn in mit der Nase auf etwas stoßen, das er nicht sehen konnte. „Was, wenn es weder deine Schuld war noch ihre?“
In ihm keimte ein schrecklicher Verdacht. „Was willst du damit sagen?“, hakte er nach. „Willst du andeuten, dass jemand Persephone manipuliert …“
„Was? Nein, nein, natürlich nicht“, wiegelte sie schnell ab. „Ich meine nur – was, wenn ihr einfach nicht zusammengepasst habt? Was, wenn du dich in ein Mädchen verliebt hast, das einfach nicht die Richtige für dich war? Die Falsche? Das ist alles, was ich meinte.“
Für einen langen Moment betrachtete er sie, suchte nach der Lüge, von der er wusste, dass sie da war. Doch weil er sie liebte, weil er das Beste in ihr sehen wollte, wenn niemand anders dazu bereit war, weil die Vorstellung, sie könnte ihn verraten haben, unerträglich war, glaubte er ihr. Seine Schultern sackten herab, und er löste seine Hand aus ihrem Griff. „Aus welchem Grund auch immer, die Vergangenheit ist vergangen, und es gibt nichts, was ich tun könnte, um sie zu ändern. Es tut mir leid, dass du so ein schweres Los tragen musst, Calliope. Ich hoffe, eines Tages wirst du einen Weg entdecken, es hinter dir zu lassen und das Leben zu finden, das du verdienst. Aber ich kann dich nicht so lieben, wie du es dir von mir wünschst, und ich kann dich nicht noch mehr verletzen, als ich es sowieso schon getan habe. In mir wirst du immer einen Verbündeten und Freund haben. Aber das ist alles, was wir je sein werden.“
Und da war sie – die Qual, von der er gewusst hatte, dass er sie ihr irgendwann zufügen würde, egal, wie seine Antwort auch lauten mochte. Sie brannte wie Feuer in ihren Augen, und mit dem Stolz und der Grazie einer Königin erhob sie sich. Sie war bemerkenswert, hatte so viel mehr verdient als ihn oder seinen Bruder, und vielleicht würde sie es eines Tages finden. Doch heute war nicht jener Tag.
„Bist du dir sicher?“, fragte sie und krampfte ihre Hände ineinander. „Ich werde mich dir nicht noch einmal anbieten, Hades, so tief meine Gefühle auch bleiben werden.“
Er stand auf und beugte den Kopf, zum Zeichen seines Respekts vor ihr und dem, was sie war, auch wenn der Rest des Rats sich nicht länger dazu herabließ, es anzuerkennen. „Ich werde immer für dich da sein, wie schon vor so vielen Jahren. Aber sosehr ich deine Gesellschaft auch schätze: Ich fürchte, wir können nie mehr sein als das, was wir jetzt sind. Ich habe unserer Familie schon genug Schmerz bereitet, ich kann mir nicht erlauben, bei irgendjemandem noch mehr Unfrieden zu säen. Vor allem bei jemandem, der mir so sehr am Herzen liegt wie du.“
„Und was ist mit meinen Gefühlen?“, wisperte sie. „Haben die gar keine Bedeutung?“
Sanft nahm er ihre Hand und streifte mit den Lippen ihre Fingerknöchel. „Sie haben wesentlich mehr Bedeutung als meine, und aus genau diesem Grund muss ich dein Angebot ablehnen. Ich bin eine leere Hülle. Ich bin ein Schatten meiner selbst. Ich bin nichts, und du bist alles.“
„Du bist nicht nichts, und du hast genauso sehr Liebe verdient wie ich. Willst du sie denn nicht?“ Jetzt bettelte sie, auch wenn sie es bewundernswert hinter dem Befehlston einer Königin verbarg. Doch sie war nicht seine Königin, und er würde ihr nicht gehorchen, denn dadurch würde er sie alle vernichten.
Ein bitteres, leeres Lächeln huschte über seine Züge, bevor er ein weiteres Mal den Kopf beugte. „Liebe ist alles, wonach ich mich in diesem unsterblichen Leben je gesehnt habe. Aber ich habe meine Chance verspielt, und damit habe ich meinen Frieden gemacht. Ich flehe dich an, ihn mir zu lassen.“
Es verging ein Moment. Schließlich trat sie mit unlesbarer Miene von ihm zurück. Fort waren jene Fühler der Emotion, sicher versteckt hinter den Barrieren, die sie so gekonnt aufgebaut hatte. Wie lange hatte sie gebraucht, um sich so vollkommen in sich zurückzuziehen? Wie lange war sie so geblieben, bis zu diesem Augenblick, in dem sie ihm genug vertraut hatte, um ihn an sich heranzulassen?
Es spielte keine Rolle. Der Schaden war angerichtet, er würde seine Meinung nicht ändern. Der Stich der Zurückweisung, den sie heute spürte, war nichts im Vergleich mit dem qualvollen Verlust, den sie nach Jahrhunderten oder gar Äonen erlitten hätte, wenn er ihr Angebot angenommen hätte. Damit würde er sich trösten müssen. Dankbarkeit konnte er jetzt nicht erwarten, wohl auch nicht in näherer Zukunft. Aber er hoffte, dass sie eines Tages, wenn sie ihr Glück gefunden hatte, an diesen Moment zurückdenken würde. Dass sie die Zukunft sehen würde, die er ihr ermöglicht hatte. Die Zukunft, die er ihr gewünscht hatte.
„Ich hoffe, du kommst mich besuchen, auch wenn ich es verstehen würde, wenn du es nicht tust“, sagte er leise.
Sie schluckte. „Ich werde mein Bestes tun“, entgegnete sie unverbindlich. „Aber jetzt muss ich gehen.“
Knapp nickte er. „Ich bringe dich nach draußen.“
„Ich kenne den Weg.“ Sie knickste, und er antwortete mit einer tiefen Verbeugung. „Pass auf dich auf, Hades. Und leg dir einen Namen zu, bevor Walter noch wütender wird, als er es sowieso schon ist.“
„Ich werde mein Bestes tun“, murmelte er. „Hast du irgendwelche Vorschläge?“
Calliope musterte ihn, und in ihrem Blick lag etwas Berechnendes. Aber wann war das nicht der Fall? Wenigstens war ihr Herzschmerz an einen Ort verschwunden, an dem Hades ihn nicht sehen konnte. „Ich hatte das Privileg, einige Zeit in England zu verbringen, wo ich viele Könige habe aufsteigen und fallen sehen. Manche waren albern, aufgeblasen und viel zu verliebt in ihren Titel und die Kunst des Krieges, aber manche haben ihr Volk auch wirklich geliebt. Ihnen lag am Wohlergehen ihres Landes. Einer meiner Lieblinge hat mich ein wenig an dich erinnert. Sein Name war Henry.“
„Henry.“ Leise sprach er den Namen ein paarmal vor sich hin, um sich an seinen Klang zu gewöhnen. Natürlich waren ihm schon viele Henrys begegnet, wenn auch vielleicht nicht der, von dem Calliope sprach. Aber der Name war verbreitet genug, dass er sich sicher sein konnte, damit nicht aufzufallen. Er könnte er selbst sein, ohne all die Mythen, die jeden seiner Schritte überschatteten. Niemand würde seinen Namen hören und sofort den Tod fürchten. Es wäre eine Erleichterung, sich von einer solchen Bürde zu befreien. „Also dann. Von jetzt an heiße ich Henry.“
Calliope lächelte, und diesmal war es ein ehrliches Lächeln. Doch schon kurze Zeit später wich es wieder einer traurigen Miene, und sie seufzte. „Pass auf dich auf, Henry.“