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Vier Geschichten. Vier Paare. Vier Happy Ends? Das Leben nach dem College ist für Garrett und Hannah, Logan und Grace, Dean und Allie sowie Tucker und Sabrina nicht ganz so, wie sie es sich vorgestellt haben. Plötzlich stehen sie vor Problemen, auf die sie die Jahre auf dem Campus nicht vorbereitet haben. Wie geht es nach dem Abschluss weiter? Haben sie eine gemeinsame Zukunft? Schnell stellen sie fest, dass es leicht ist, einander zu lieben. Ein gemeinsames Leben zu beginnen, ist dagegen viel schwieriger. Im fünften und letzten Band der »Off-Campus«-Reihe finden die Liebesgeschichten der vier Vorgängerbände in jeweils einer eigenen Novella ihren krönenden Abschluss. »Witzig und herzerwärmend! Diese Sammlung ist ein echter Volltreffer! Unglaublich, was die Off-Campus-Crew alles anstellt!« Sarina Bowen, »USA Today«-Bestsellerautorin »Off-Campus«-Reihe, Band 5
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Aus dem Amerikanischen von Christina Kagerer
Ungekürzte Neuausgabe
© Elle Kennedy 2021
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Legacy«, EKI 2021
© der deutschsprachigen Ausgabe:
everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2024
Zuvor erschienen bei: © Piper Verlag GmbH, München 2023
Covergestaltung: zero-media.net, München, nach einem Entwurf von Bloom Books
Covermotiv: Aslihan Kopuz
Aus dem Amerikanischen von Christina KagererKonvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence, München mit abavo vlow, Buchloe
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Cover & Impressum
Teil 1
Der Pakt
Kapitel 1
Logan
Kapitel 2
Logan
Kapitel 3
Grace
Kapitel 4
Logan
Kapitel 5
Grace
Kapitel 6
Logan
Kapitel 7
Grace
Kapitel 8
Logan
Kapitel 9
Grace
23:59 Uhr
2 Uhr
2:42 Uhr
3:02 Uhr
3:46 Uhr
4:22 Uhr
4:49 Uhr
5:13 Uhr
Kapitel 10
Logan
Teil 2
Der Antrag
Kapitel 1
Dean
Kapitel 2
Allie
Kapitel 3
Dean
Kapitel 4
Dean
Kapitel 5
Allie
Kapitel 6
Dean
Kapitel 7
Allie
Kapitel 8
Dean
Kapitel 9
Allie
Kapitel 10
Allie
Kapitel 11
Dean
Teil 3
Die Flitterwochen
Kapitel 1
Tucker
Am Tag davor
Kapitel 2
Sabrina
Tag 1
Kapitel 3
Tucker
Erste Nacht
Kapitel 4
Sabrina
Zweiter Tag
Kapitel 5
Sabrina
Tag 3
Kapitel 6
Sabrina
Dritter Abend
Kapitel 7
Tucker
Tag 4
Kapitel 8
Sabrina
Tag 5
Kapitel 9
Sabrina
Fünfter Abend
Kapitel 10
Tucker
Tag 10
Teil 4
Das Vermächtnis
Kapitel 1
Hannah
Kapitel 2
Garrett
Kapitel 3
Garrett
Kapitel 4
Hannah
Kapitel 5
Garrett
Kapitel 6
Hannah
Kapitel 7
Hannah
Kapitel 8
Garrett
Kapitel 9
Hannah
Kapitel 10
Garrett
Kapitel 11
Hannah
Kapitel 12
Garrett
Epilog
Hannah
August
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
»Auf jeden Fall macht die mich an.«
»Klaaar, Bro.«
»Sie schaut die ganze Zeit her! Sie will mich.«
»Auf keinen Fall macht ein junges Ding wie sie einen alten Knacker wie dich an.«
»Ich bin erst achtundzwanzig!«
»Wirklich? Dann bist du ja sogar noch älter, als ich dachte.«
Ich unterdrücke ein Lachen. Seit zwanzig Minuten belausche ich nun schon dieses Trio von Börsenmaklern. Ich weiß natürlich nicht, ob sie wirklich Börsenmakler sind, aber sie tragen maßgeschneiderte Anzüge und trinken teure Drinks im Finanzenviertel der Stadt, also stehen die Chancen gut, dass sie irgendwas mit Finanzen zu tun haben.
Ich hingegen passe da überhaupt nicht rein – so als bulliger Sportler in zerrissenen Jeans und einem Under-Armour-Sweatshirt, der am Ende des Tresens ein Bier trinkt. Ich hatte Glück, einen freien Platz zu finden – hier ist es heute Abend nämlich rappelvoll. Es ist gerade Urlaubssaison, und die Bars in Boston sind brechend voll mit Gästen, die ihre Auszeit von der Arbeit oder der Uni genießen.
Die drei Kerle, die ich beobachte, haben mich kaum eines Blickes gewürdigt, als ich mich auf den Barhocker neben sie gesetzt hab. Nicht schlimm, das macht es mir einfacher, ihre bescheuerte Unterhaltung mitzukriegen.
»Wie hoch stehen die Chancen für Baker?«, fragt einer der Männer.
Er und sein blonder Freund schauen ihren dunkelhaarigen Freund – den Alten – an. »Acht Prozent«, sagt der Erste.
Der Blonde ist etwas großzügiger. »Zehn Prozent.«
»Nehmen wir den Mittelwert und geben ihm neun. Dann stehen die Chancen neun zu eins.«
Ich versuche, ihre Berechnungen zu verstehen, aber sie scheinen total willkürlich zu sein und mit Mathematik absolut nichts zu tun zu haben. Vielleicht haben die drei ja doch nichts mit Finanzen zu tun.
»Fickt euch alle beide. Ich hab sehr viel bessere Chancen«, protestiert Baker. »Habt ihr diese Uhr gesehen?« Er hebt sein linkes Handgelenk, um ihnen seine glänzende Rolex unter die Nase zu halten.
»Neun zu eins«, beharrt der erste Kerl. »Besser wird’s nicht, Mann.«
Mr Rolex brummt verärgert vor sich hin, als er ein paar Geldscheine auf den Tresen legt. Der andere Kerl tut es ihm gleich.
Von dem, was ich bisher gehört hab, läuft ihr Spiel in etwa so ab:
Schritt 1: Einer von ihnen sucht sich eine Frau in der Bar aus.
Schritt 2: Die anderen zwei berechnen (ich benutze dieses Wort jetzt mal mit einem
sehr
breiten Definitionsspielraum) die Chancen des Ersten, dass er ihre Nummer bekommt.
Schritt 3: Sie werfen Geld auf den Tresen.
Schritt 4: Der Kerl geht zu dem Mädchen und bekommt einen Korb. Er verliert das Geld, das er eingesetzt hat, nur, um es in der nächsten Runde zurückzugewinnen, wenn der nächste Kerl ebenfalls einen Korb bekommt.
Dieses ganze Spiel ist total sinnlos und dämlich.
Ich nippe an meinem Bier, als ich amüsiert beobachte, wie Mr Rolex zu einer atemberaubenden Frau in einem hautengen Designerkleid hinüberschlendert.
Als er sich ihr nähert, rümpft sie die Nase, was mir sagt, dass seine Kumpel dabei sind, Geld zu gewinnen. Diese Typen tragen vielleicht teure Klamotten, aber sie spielen trotzdem noch lange nicht in derselben Liga wie die Frauen in dieser Bar. Und stilvolle Frauen haben kein Mitleid mit unreifen Idioten, weil sie wissen, dass sie was Besseres kriegen können.
Mr Rolex kommt mit zusammengepressten Lippen zu seiner Gruppe zurück. Und mit leeren Händen. Seine Freunde johlen und freuen sich über ihren Gewinn.
Gerade als der blonde Typ ein neues Ziel aussuchen will, stelle ich mein Glas auf dem Tresen ab und sage: »Kann ich mitspielen?«
Drei Köpfe drehen sich abrupt in meine Richtung.
Mr Rolex betrachtet meine legeren Klamotten und grinst dann. »Tut mir leid, Kumpel. Aber das Spiel kannst du dir nicht leisten.«
Ich verdrehe die Augen, hole meinen Geldbeutel hervor und blättere durch die Geldscheine darin, damit sie sehen, wie viel ich in etwa dabeihabe. »Wetten, dass …?«, sage ich gnädig.
»Hast du jetzt die ganze Zeit hier gesessen und uns belauscht?«, will der Blonde wissen.
»Na ja, ihr habt ja nicht gerade leise geredet. Außerdem bin ich ein Spieler. Egal, worum wir wetten – ich bin dabei. Was meint ihr, wie stehen meine Chancen bei …« Mein Blick schweift durch den vollen Raum. »… ihr«, beende ich den Satz.
Anstatt meinem Blick zu folgen, bleiben ihre drei Augenpaare auf mir haften.
Sie begutachten mich ein paar Momente, als ob sie überlegen müssten, ob ich sie verarsche. Also hüpfe ich vom Barhocker runter und gehe näher zu den drei Typen. »Schaut sie euch an. Sie ist heiß. Denkt ihr, ein Gammler wie ich könnte ihre Nummer bekommen?«
Mr Rolex ist der Erste, der nachgibt. »Sie?«, fragt er und nickt nicht ganz so diskret in Richtung der hübschen Frau, die gerade beim Barkeeper einen Drink bestellt. »Du meinst die kleine Miss Unschuldig?«
Er hat nicht unrecht. Sie hat definitiv was Unschuldiges an sich, ein zierliches Profil mit einer Ansammlung von Sommersprossen auf der Nase, hellbraunes Haar, das ihr lose über die Schultern fällt, anstatt in einer komplizierten Frisur nach oben gesteckt zu sein, wie es bei manch anderen Frauen in der Bar der Fall ist. Trotz ihres eng anliegenden schwarzen Oberteils und dem kurzen Rock ist sie eher das nette Mädchen von nebenan als eine Sexbombe.
Der Dunkelhaarige schnaubt. »Ha, viel Glück dabei.«
Ich ziehe die Augenbrauen nach oben. »Was? Denkst du, ich komme nicht zum Zug?«
»Schau sie dir an, Mann. Du bist Sportler, richtig?«
»Entweder das, oder er ist auf Drogen«, sagt der Blonde lachend.
»Ich bin Sportler, ja«, bestätige ich, gehe aber nicht ins Detail. Diese Typen sind offensichtlich keine Eishockeyfans, sonst würden sie mich als den letzten Neuzugang des Bostoner Teams erkennen.
Oder vielleicht auch nicht. Es ist ja nicht so, als hätte ich schon viel Zeit auf dem Eis verbracht, seit ich von der Amateurmannschaft zu den Profis gekommen bin. Ich muss mich immer noch bei meinem Coach und meinen Mitspielern beweisen. Aber beim letzten Spiel hab ich zumindest schon mal einen Assist bekommen, was sehr cool war.
Aber ein Tor wäre cooler gewesen.
»Ja, so ein süßes Ding wie die wäre zu eingeschüchtert«, verkündet mir Mr Rolex. »Ich denke, die Chancen, dass du ihre Nummer bekommst, stehen bei zwanzig Prozent.«
Seine Freunde stimmen ihm zu. »Vielleicht sogar fünfundzwanzig«, sagt einer. Wieder mal ergeben ihre Berechnungen keinen Sinn.
»Was, wenn ich mehr will als ihre Nummer?«, frage ich herausfordernd.
Der Blonde kichert. »Du willst wissen, wie deine Chancen stehen, dass du mit ihr nach Hause gehst? Null.«
Ich werfe der Brünetten wieder einen Blick zu. Sie trägt schwarze Samt-Stiefeletten mit klobigen Absätzen und hat ein Bein über das andere geschlagen, während sie an ihrem Drink nippt. Sie ist verdammt süß.
»Zweihundert Dollar, dass ich in weniger als fünf Minuten ihre Zunge in meinem Mund hab«, sage ich mit einem arroganten Grinsen.
Meine neuen Freunde brechen in schallendes Gelächter aus.
»Ja klar, Mann.« Mr Rolex kichert. »Falls du es noch nicht bemerkt hast, die Frauen in diesem Laden haben alle Klasse. Keine einzige von denen würde in der Öffentlichkeit mit dir rummachen.«
Ich lege bereits zweihundert Dollar auf den Tresen. »Ihr habt wohl Angst vor meiner sexuellen Leistungsfähigkeit«, ziehe ich sie auf.
»Ha! Also gut. Ich wette dagegen«, sagt der Blonde und legt zwei Scheine auf meine. »Geh zu ihr und hol dir deinen Korb, Loverboy.«
Ich nehme mein Glas und leere den Rest des Bieres in einem Zug. »Mut antrinken«, sage ich zu dem Trio, und Mr Rolex verdreht die Augen. »Schaut zu und lernt.«
Mit einem Zwinkern gehe ich davon.
Sofort fällt ihre Aufmerksamkeit auf mich. Der Anflug eines Lächelns – wenn auch ein bisschen schüchtern – legt sich um ihren Mund. Verdammt, sie hat tolle Lippen. Voll und rosig und glänzend.
Als sich unsere Blicke treffen, ist es, als ob sich alles um uns herum in Luft auflöst. Ihre braunen Augen sind hübsch und ausdrucksstark, und in diesem Moment drücken sie eine süße Gier aus, die meinen Puls beschleunigt. Ich bin in ihrem Orbit gefangen, und meine Beine werden ohne mein Zutun schneller.
Eine Sekunde später stehe ich neben ihr und begrüße sie mit einem knappen »Hey«.
»Hi«, antwortet sie.
Sie muss ihren Kopf nach hinten legen, um mich anschauen zu können, schließlich sitzt sie, während ich stehe. Ich war schon immer ein großer Kerl, aber seit ich professionell Hockey spiele, bin ich fast noch größer geworden, da der Profisport körperlich sehr anstrengend ist.
»Kann ich dir einen Drink ausgeben?«, frage ich.
Sie hebt ihr volles Glas. »Nein, danke. Ich hab schon einen.«
»Dann zahle ich dir den nächsten.«
»Es wird keinen nächsten geben. Ich traue mir selbst nicht.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ich vertrage nicht viel. Ein Drink macht mich schon beschwipst.« Ihre Mundwinkel zucken unmerklich. »Zwei Drinks lassen mich schlimme Sachen machen.«
Ich will verdammt sein, wenn mein Penis bei diesen Worten nicht zu zucken beginnt. »Wie schlimm?«, frage ich mit heiserer Stimme.
Obwohl sie rot wird, weicht sie meiner Frage nicht aus. »Sehr schlimm.«
Ich grinse sie an und mache dem Barkeeper eine eindeutige Geste. »Noch ein Drink für die Lady«, rufe ich.
Sie lacht, und der melodische Klang lässt mich erschaudern. Ich fühle mich sofort zu ihr hingezogen.
Anstatt mich auf den leeren Barhocker neben sie zu setzen, bleibe ich stehen. Aber ich komme näher, und ihr Knie streift leicht meine Hüfte. Ich könnte schwören, dass ihre Atmung bei der leichten Berührung schneller geht.
Ich werfe einen Blick über die Schulter zu meinen neuen Freunden, die uns interessiert beobachten. Mr Rolex tippt dramatisch auf seine Uhr, als ob er mich daran erinnern wollte, dass die Zeit läuft.
»Also, hör zu …« Ich bringe meine Lippen nah an ihr Ohr, damit sie mich hören kann. Dieses Mal sehe ich, wie ihr Atem schneller geht. Ihre straffen Brüste heben und senken sich, als sie nach Luft schnappt. »Meine Kumpel haben gesagt, meine Chancen stehen bei fünfundzwanzig Prozent, dass ich deine Nummer bekomme.«
In ihren Augen blitzt ein diabolisches Funkeln auf. »Wow. Die haben ja nicht viel Vertrauen in dich, oder? Tut mir leid.«
»Das muss dir nicht leidtun. Ich hab schon mehr geschafft als das. Aber … ich verrate dir ein Geheimnis …« Mein Mund berührt ihr Ohrläppchen, als ich ihr zuflüstere: »Ich will deine Nummer gar nicht.«
Sie zuckt überrascht zusammen und schaut mir in die Augen. »Nicht?«
»Nein.«
»Was willst du dann?« Sie nimmt ihren Drink und nippt hastig daran.
Ich überlege einen Augenblick. »Ich will dich küssen.«
Jetzt lacht sie erstaunt auf. »Ah ja. Das sagst du doch nur, weil du hoffst, dass ich es tue, und du deinen Freunden beweisen kannst, dass du kein Loser bist.«
Ich werfe wieder einen Blick über meine Schulter. Mr Rolex hat ein selbstgefälliges Grinsen aufgesetzt. Er tippt wieder auf seine Uhr. Ticktack.
Meine fünf Minuten sind fast rum. Meine eigene Uhr sagt mir, dass ich nur noch zwei übrig hab.
»Nein«, sage ich zu ihr. »Deshalb will ich dich nicht küssen.«
»Ach wirklich?«
»Wirklich.« Ich fahre mir mit der Zunge über die Unterlippe. »Ich will dich küssen, weil du die schärfste Frau in dieser Bar bist.« Ich zucke mit den Schultern. »Und außerdem ist es offensichtlich, dass du das Gleiche willst.«
»Sagt wer?«, will sie wissen.
»Sagt die Tatsache, dass du nicht aufgehört hast, auf meinen Mund zu starren, seit ich zu dir gekommen bin.«
Sie kneift ihre Augen zusammen.
»Die Sache ist die«, sage ich und fahre mit meinen Fingerspitzen sanft über ihren schlanken Arm. Ich berühre keine nackte Haut, trotzdem zittert sie leicht. »Meine Kumpel denken, dass du ein kleines, unschuldiges Mäuschen bist. Sie haben mich davor gewarnt, dass jemand wie ich dich einschüchtern würde. Ein so rauer und harter Kerl. Aber weißt du, was ich denke?«
»Was?« Ihre Stimme klingt heiser.
»Ich denke, du magst es rau und hart.« Wieder beuge ich mich näher zu ihr. Sie trägt einen winzigen Diamanten im Ohr, und ich kann nicht anders, als mit der Zunge über den kleinen Ohrring zu fahren.
Sie atmet zischend ein, und ich spüre eine Woge der Befriedigung.
»Ich denke, du bist alles andere als unschuldig«, fahre ich fort. »Ich denke nicht, dass du ein braves Mädchen bist. Ich denke, dass du in diesem Moment nichts lieber tun willst, als deine Zunge in meinen Mund zu stecken und mit deinen Fingernägeln über meinen Rücken zu kratzen. Du willst, dass ich dich hier und jetzt vor allen nehme.«
Sie stöhnt laut auf.
Ich grinse siegessicher, als sie meinen Hinterkopf packt und mich zu sich runterzieht, um mir einen leidenschaftlichen Kuss zu geben.
»Du hast recht«, murmelt sie an meine Lippen. »Ich bin überhaupt kein braves Mädchen.«
Mein Penis ist hart, bevor ihre Zunge in meinem Mund ist. Und als sie meine Lippen teilt, bin ich nun derjenige, der stöhnt. Sie schmeckt nach Gin und Sex, und ich erwidere den Kuss gierig, während ich mir der Anfeuerungsrufe um uns herum nur allzu bewusst bin. Ganz klar kommen ein paar davon von meinen neuen Börsenfreunden, aber ich bin zu beschäftigt, um mich in ihrem Erstaunen zu suhlen.
Als meine Zunge über ihre gleitet, drücke ich sanft ein Bein zwischen ihre Oberschenkel. Ich lasse sie spüren, wie hart ich bin.
»O mein Gott«, murmelt sie und unterbricht den Kuss. In ihren Augen liegt die pure Lust. »Lass uns gehen und das hier irgendwo, wo wir ungestört sind, zu Ende bringen.«
»Nein. Ich will dich.« Meine Stimme ist rau und tief.
Sie blinzelt. »Jetzt?«
»Mhm.« Ich lege eine Hand auf ihre schlanke Hüfte und bewege meine Handfläche verführerisch auf und ab. »Ich hab gehört, dass es auf der Damentoilette richtig große, private Kabinen gibt …«
Sie legt mir ihre Handfläche auf die Brust. Aber nicht, um mich wegzudrücken. Sie streichelt mich ebenfalls, während ihr feuriger Blick über meinen ganzen Körper schweift. Dann legt sie den Kopf in den Nacken und sagt: »Was würde deine Freundin dazu sagen?«
Ich schenke ihr ein dreckiges Grinsen. »Sie würde sagen … ›Beeil dich, John. Ich will endlich kommen‹.«
Grace stöhnt wieder auf.
»Das hab ich mir gedacht«, ziehe ich sie auf, aber mein Mädchen sieht nicht beunruhigt aus.
Manchmal ist es schwer zu glauben, dass sie einst die nervöse, plappernde Neue war, in deren Wohnheim ich zufällig gelandet bin. Dass die süße Grace Ivers, in die ich mich verliebt habe, jetzt diese furchtlose Frau vor mir ist. Diese sexy Frau, die gleich auf der Toilette mit mir schlafen wird.
Zugegeben, Grace hat diese Bar ausgesucht und die Hygiene auf den Toiletten überprüft, bevor sie zugestimmt hat, hier heute Abend unser Rollenspielchen zu veranstalten. Also ist sie immer noch das verschrobene Mädchen, das ich vor Jahren kennengelernt hab. Aber sie ist zufällig auch meine heiße, sexbesessene Freundin.
Ich nehme ihre Hand und ziehe sie vom Barhocker. Ich bin immer noch steinhart und brauche unbedingt Erlösung. Ihrer schnellen Atmung zufolge ist sie genauso erregt wie ich.
»Also, was sagst du?«, frage ich und reibe mit dem Daumen über die Innenseite ihrer Hand.
Grace stellt sich in ihren hochhackigen Schuhen auf die Zehenspitzen und presst ihre Lippen an mein Ohr. »Beeil dich, John, ich will endlich kommen.«
Ich unterdrücke ein Lachen, als ich ihr in Richtung Toiletten folge. Bevor wir durch den Türrahmen gehen, werfe ich einen letzten Blick über meine Schulter. Die Börsenheinis schauen mich mit offenen Mündern an, als ob ich ein Alien von einem anderen Planeten wäre. Ich deute auf das Geld auf dem Tresen und nicke ihnen großzügig zu. Das Geld können sie ruhig haben, als wollte ich sagen, behaltet es.
Ich muss keine dumme Wette gewinnen. Ich bin bereits der glücklichste Mann in der Bar.
»Das hättest du wirklich nicht tun müssen«, sagt Graces Vater, als ich die Motorhaube seines SUVs wieder in die richtige Position bringe. »Nicht, dass ich es nicht zu schätzen wüsste, aber ich komme mir wie ein richtiger Vollpfosten vor, weil ich dich am Abend vor Weihnachten arbeiten lasse.«
Ich wische mir mit einem Lumpen etwas Motoröl vom Kinn und muss mich zusammenreißen, um nicht zu lachen. Ich mag Tim Ivers sehr, aber es ist schon ein bisschen verstörend, wenn ein erwachsener Mann Worte wie »Vollpfosten« benutzt.
Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft er in den vier Jahren, seit ich mit seiner Tochter zusammen bin, geflucht hat – ein krasser Kontrast zu meiner eigenen Erziehung. Ich bin mit einem Alkoholiker als Vater aufgewachsen, aus dessen Mund nur Schimpfwörter kamen. Meine arme Mom wurde mal von der Erzieherin in den Kindergarten zitiert, weil ich ein anderes Kind »verficktes Arschgesicht« genannt hab. Die guten, alten Zeiten … die schlechten, unglücklichen Zeiten.
Zum Glück hat sich seit damals alles geändert. Mein Dad ist jetzt seit fast vier Jahren trocken, und obwohl wir immer noch nicht alle Differenzen begraben haben, hasse ich ihn zumindest nicht mehr.
Wenn ich ehrlich bin, sehe ich mittlerweile Graces Dad eher als Vaterfigur. Er ist ein anständiger Kerl – wenn man die Tatsache außer Acht lässt, dass er Football mehr mag als Eishockey. Aber niemand ist perfekt.
»Tim, ich werde nicht zulassen, dass mein Ersatzvater Geld für einen Ölwechsel bezahlt, wenn ich das für ihn umsonst machen kann«, sage ich zu ihm. »Ich bin quasi in einer Autowerkstatt aufgewachsen. Einen Ölwechsel mache ich mit verbundenen Augen.«
»Bist du dir sicher?«, fragt er und rückt seine Drahtgestellbrille auf der Nase zurecht. »Junge, du weißt, dass ich dich nie ausnutzen würde.«
Junge. Das geht mir jedes Mal ans Herz. Tim hat eigentlich keinen Grund, mich so zu nennen. Es ist ja nicht so, als ob Grace und ich verheiratet wären. Als wir zusammengekommen sind, hab ich gedacht, er sei einfach der Typ, der jeden jüngeren Kerl »Junge« nennt. Aber nein, nur mich. Und ich kann nicht abstreiten, dass ich es liebe, das von ihm zu hören.
»Das weiß ich, deshalb hab ich’s dir ja auch angeboten«, beruhige ich ihn. »Und wie ich schon gesagt hab, geh ja nicht noch mal zu diesem Halsabschneider von Automechaniker. Mein Bruder wird sich um deine Angelegenheiten kümmern. Umsonst.«
»Wie geht es deinen Bruder?« Graces Dad schließt sein Auto ab, bevor er zur Garagentür geht.
Ich folge ihm auf die Einfahrt, wo die kalte Luft sofort mein Gesicht betäubt. Diesen Winter hat es in Hastings noch nicht geschneit, aber Grace hat gesagt, dass es laut Wettervorhersage morgen früh jede Menge Schnee geben soll. Perfekt. Ich liebe weiße Weihnachten.
»Jeff geht’s gut«, antworte ich. »Er hat gesagt, ich soll dir schöne Feiertage wünschen. Es tut ihnen leid, dass sie heute nicht zum Abendessen kommen konnten.«
Mein Bruder und seine Frau Kylie verbringen die Feiertage dieses Jahr in Mexiko mit Kylies Familie. Ihre Eltern feiern ihren vierzigsten Hochzeitstag, also haben sie beschlossen, sich ein sonniges Ziel für die Feier auszusuchen. Allerdings kommen meine Mom und mein Stiefvater David heute Abend zu uns, was auch toll werden sollte. Grace und ich finden es immer wahnsinnig unterhaltsam, dabei zuzusehen, wie ihr prüder Molekularbiologen-Vater eine Unterhaltung mit meinem unglaublich langweiligen Buchhalter-Stiefvater führt. Letztes Jahr haben wir Wetten abgeschlossen, wie viele langweilige Themen sie an einem Abend besprechen können. Grace hat mit ganzen zwölf gewonnen. Ich hatte zehn vermutet, aber hab Tims neue Vorliebe für antike Milchflaschen und Davids neue Keramikelefantensammlung unterschätzt.
»Josie tut es auch leid, dass sie es nicht einrichten konnte«, sagt Tim und meint damit Graces Mutter, die in Paris lebt.
Obwohl sich Tim und Josie schon vor Jahren haben scheiden lassen, stehen sie sich immer noch sehr nahe. Anders als meine Eltern, die nicht mal zusammen im selben Raum sein können, obwohl mein Dad jetzt trocken ist. Grace und ich haben uns oft darüber unterhalten, was passieren wird, wenn wir heiraten – wenn, nicht falls. Wir sind schließlich schon an dem Punkt, und das wissen wir beide. Aber wir haben uns Sorgen darüber gemacht, wie wir es mit den Hochzeitseinladungen machen sollen. Schließlich haben wir beschlossen, dass es wahrscheinlich besser wäre durchzubrennen, um das Drama zu vermeiden, das meine Mom und mein Dad im selben Raum auslösen würden.
Nicht, dass ich es meiner Mutter verübeln könnte. Während ihrer Ehe hat Dad ihr das Leben zur Hölle gemacht. Sie war diejenige, die all die Jahre mit Alkoholexzessen, Filmrissen und Entzügen gekämpft hat, während sie zwei Söhne praktisch alleine aufziehen musste. Ich denke nicht, dass sie je darüber hinwegkommt. Es ist ja schon ein Wunder, dass Jeff und ich es geschafft haben, ihm zu vergeben.
»Weißt du schon, ob dein Terminplan es zulassen wird, mit Grace im Sommer nach Paris zu fliegen?«, fragt Tim, als wir um das Haus herum Richtung Veranda gehen.
»Das hängt ganz davon ab, ob die Mannschaft die Play-offs schafft. Einerseits hören sich zwei Monate in Paris richtig toll an. Aber andererseits würde es auch bedeuten, dass wir nicht in der Post-Season spielen dürften, was wieder echt scheiße wäre.«
Tim lacht. »Siehst du, wenn du Football spielen würdest, wäre die Saison im Februar vorbei, und du könntest die Reise machen …«
»Irgendwann werde ich dich an einen Stuhl fesseln und dich zwingen, dir in einer Endlosschleife Hockeyspiele anzuschauen, bis du gar nicht mehr anders kannst, als es zu lieben.«
»Das würde auch nicht funktionieren«, sagt er belustigt.
Ich grinse. »Du solltest mehr Vertrauen in meine Folterfähigkeiten haben.«
Gerade als wir die Stufen zur Veranda erreichen, hält ein großer brauner Van auf dem Bürgersteig vor dem Haus. Eine Sekunde lang bin ich verwirrt. Sind das etwa schon Mom und David? Doch dann erkenne ich das UPS-Logo.
»Sie liefern immer noch?«, wundert sich Tim. »Um 18 Uhr am Abend vor Weihnachten? Der arme Kerl.«
Das kann er laut sagen. Der Lieferant sieht erschöpft und ausgepowert aus, als er auf uns zugeht. In der einen Hand hat er ein Paket, in der anderen ein klobiges Handy.
»Hey, Leute«, sagt er, als er bei uns ankommt. »Frohe Weihnachten und entschuldigt die Störung. Das ist meine letzte Lieferung für heute – für Grace Ivers?«
»Frohe Weihnachten«, erwidert Tim. »Das ist meine Tochter. Sie ist drinnen, aber ich kann sie holen, wenn sie unterschreiben muss.«
»Nicht nötig. Irgendeine Unterschrift von einer Person aus dem Haushalt reicht.« Er reicht Tim das Handy und einen Plastik-Pen. Nachdem Graces Dad unterschrieben hat, verabschiedet sich der Lieferant von uns und eilt zu seinem Lieferwagen zurück. Er kann es bestimmt kaum erwarten, nach Hause zu kommen und seine Familie zu sehen.
»Von wem ist es?«, frage ich.
Tim betrachtet das Label. »Kein Name. Nur ein Postfach in Boston als Absender.«
Das Paket ist ungefähr sechzig mal sechzig Zentimeter groß, und als Tim es mir gibt, merke ich, dass es nicht viel wiegt. Ich kneife die Augen zusammen. »Was, wenn es eine Bombe ist?«
»Dann wird sie explodieren, und wir werden sterben, und die Atome, aus denen wir bestehen, werden sich irgendwo im Universum einen anderen Nutzen suchen.«
»Und ein frohes Weihnachtsfest für uns alle!«, sage ich übertrieben enthusiastisch, bevor ich die Augen verdrehe. »Du bist ein echter Spaßverderber, weißt du das?«
»Was ist das?«, will Grace wissen, als wir das Wohnzimmer des viktorianischen Hauses betreten.
»Ich weiß es nicht. Es ist gerade angekommen.« Ich strecke ihr das Paket entgegen. »Für dich.«
Grace beißt sich total niedlich auf die Unterlippe, was sie immer tut, wenn sie nachdenkt. Ihr Blick wandert zu dem wunderschön geschmückten Weihnachtsbaum und den Stapeln von perfekt eingepackten Geschenken darunter. »Ich glaub nicht, dass wir es drunterlegen können«, sagt sie schließlich. »Meine Zwangsneurose würde mir nie erlauben, den morgigen Weihnachtsmorgen zu genießen, wenn ich wüsste, dass auch nur ein Päckchen unter dem Baum liegt, das nicht absolut perfekt aussieht.«
Ich schnaube. »Ich kann es einpacken, wenn du willst.«
»Wir haben kein Geschenkpapier mehr.«
»Dann nehme ich eine Zeitung. Oder Backpapier.«
Meine Freundin starrt mich ungläubig an. »Ich werde jetzt einfach mal so tun, als hättest du das gerade nicht gesagt.«
Ihr Vater lacht – was für ein Verräter!
»Schön, dann mach es jetzt auf«, sage ich zu ihr. »Wir wissen nicht mal, von wem es ist. Also könnte es theoretisch auch gar kein offizielles Weihnachtsgeschenk sein. Ich bin mir zu fünfzig Prozent sicher, dass es eine Bombe ist. Aber keine Sorge, Süße, dein Vater hat mir versichert, dass unsere Atome einen anderen Nutzen finden werden, nachdem wir explodiert sind.«
Grace seufzt. »Manchmal fällt es mir echt schwer, dich zu verstehen.«
Dann geht sie in die Küche, um eine Schere zu holen.
Ich bewundere ihren Hintern, der in ihrer hellroten Leggins fantastisch aussieht. Dazu trägt sie einen rot-weiß gestreiften Pullover. Ihr Dad hat einen ähnlichen Pulli an, aber seiner ist grün-rot mit einem schlecht gestrickten Rentier darauf. Als er heute Abend damit reingekommen ist, hab ich zuerst gedacht, es wäre eine Katze. Anscheinend hat Graces Mom das schreckliche Ding für ihn gestrickt, als Grace noch klein war. Als ein Mensch, der nicht viele schöne Feiertage mit seiner Familie verbracht hat, muss ich zugeben, dass ich die verrückten Traditionen der Familie Ivers bewundere.
»Na gut, dann schauen wir mal, was wir hier haben.« Grace klingt aufgeregt, als sie die Paketschnüre zerschneidet.
Ich hingegen bin auf der Hut, weil ich die Möglichkeit noch nicht ganz ausgeschlossen hab, dass es sich um einen Anschlag handeln könnte.
Sie öffnet das Paket und zieht eine kleine Karte raus. Dann runzelt sie die Stirn.
»Was steht da?«, will ich wissen.
»Da steht: ›Ich hab dich vermisst‹.«
Jetzt bin ich noch nervöser. Was zum Teufel …? Wer schickt meiner Freundin eine Grußkarte, auf der ›Ich hab dich vermisst‹ steht?
»Vielleicht ist es von deiner Mom?«, schlägt Tim vor und sieht genauso verwirrt aus.
Grace fasst in die Schachtel und stöbert in dem Füllmaterial umher. Die Falten auf ihrer Stirn werden tiefer, als ihre Finger das berühren, was auch immer sich darin befindet. Einen Augenblick später zieht sie es raus. Ich kann nur was Weißes, Blaues und Schwarzes sehen, bevor Grace aufschreit und das Ding fallen lässt, als hätte es ihr die Handfläche verbrannt.
»Nein!«, ruft sie. »Nein. Nein. Nein. Nein, nein, nein, nein.« Dann wirft sie mir einen wütenden Blick zu. »Mach ihn weg, John.«
O shit! Als ich mich dem Paket nähere, geht mir ein Licht auf. Ich hab eine ziemlich gute Vorstellung davon, was es enthalten könnte, und – jep.
Es ist Alexander.
Graces Vater runzelt die Stirn, als ich die kleine Porzellanpuppe aus der Schachtel nehme. »Was ist das?«, will er wissen.
»Nein«, sagt Grace immer noch und deutet mit dem Finger auf mich. »Ich will, dass er verschwindet. Jetzt.«
»Was genau soll ich tun?«, entgegne ich. »Ihn in den Müll werfen?«
Bei dem Vorschlag wird sie ganz blass. »Das kannst du nicht machen. Was, wenn er wütend wird?«
»Natürlich wird ihn das wütend machen. Sieh ihn dir an. Er sieht von Haus aus wütend aus.«
Ich versuche, nicht zu erschaudern, und zwinge mich dazu, Alexander ins Gesicht zu blicken. Ich kann gar nicht glauben, dass es fast sieben glückselige Monate her ist, dass ich dieses Gesicht zum letzten Mal gesehen hab. Was verstörende antike Puppen angeht, steht diese hier ganz oben auf der Liste. Alexander hat ein so weißes Porzellangesicht, dass es schon unnatürlich aussieht, große, leblose blaue Augen, seltsam dicke schwarze Augenbrauen, einen winzigen, roten Mund und schwarze Haare mit ausgeprägtem, spitzem Haaransatz. Er trägt eine blaue Tunika, ein weißes Halstuch, eine schwarze Jacke und Hose und glänzend rote Schuhe.
Das ist das unheimlichste Ding, das ich je gesehen hab.
»Das war’s«, sagt Grace. »Du darfst nicht mehr länger mit Garrett befreundet sein. Ich meine es ernst.«
»Zu seiner Verteidigung muss ich sagen, dass Dean damit angefangen hat«, bemerke ich.
»Dem musst du auch die Freundschaft kündigen. Mit Tucker kannst du befreundet bleiben, weil ich weiß, dass er das genauso hasst wie ich.«
»Und du denkst, mir gefällt das?« Ich starre sie mit offenem Mund an. »Schau dir das Ding doch mal an!« Ich wedle mit Alexander vor Grace umher, und sie duckt sich und versucht, seinen flatternden, pummeligen Ärmchen auszuweichen.
»Ich verstehe euch nicht«, wirft Tim ein und greift nach der Puppe. »Das ist phänomenal! Schaut euch diese Handarbeit an.« Er bewundert Alexander, während seine Tochter und ich ihn entgeistert anstarren.
»Verdammt, Dad, jetzt hast du ihn berührt«, seufzt Grace. »Jetzt kennt er dich.«
»Wurde sie in Deutschland hergestellt?« Er fährt damit fort, Alexander zu begutachten. »Sieht so aus. 19. Jahrhundert?«
»Ich muss schon sagen, dein Wissen über antike Puppen ist ziemlich verstörend«, sage ich freiheraus. »Und wir machen keine Scherze. Leg ihn hin, bevor er dich brandmarkt. Für uns ist es zu spät – uns kennt er bereits. Aber du hast immer noch die Chance, dich zu retten.«
»Vor was?«
»Er ist verflucht«, antwortet Grace mit Grabesstimme.
Ich nicke. »Manchmal zwinkert er einem zu.«
Tim fährt mit den Fingern über die beweglichen Augenlider. »Dieser Mechanismus ist jahrhundertealt. Wenn die Augen sich selbstständig öffnen und schließen, dann sind das wahrscheinlich Verschleißerscheinungen.«
»Hör auf, ihn anzufassen«, fleht Grace.
Echt jetzt. Hat er etwa so eine Art Todessehnsucht? Dass Garrett sich nach dem Tod sehnt, ist klar. Anscheinend will er nämlich, dass ich ihn umbringe, wenn ich ihn das nächste Mal sehe. Ich liebe Garrett Graham wie einen Bruder. Er ist mein bester Freund. Er ist ein Teamkollege. Er ist absolut fantastisch. Aber uns das an Weihnachten anzutun?
Okay, ich gebe zu, ich hab meinen Ersatzschlüssel vor ein paar Monaten dazu missbraucht, um Alexander am Geburtstag von Garretts Freundin Hannah in das Haus der beiden zu schmuggeln. Aber trotzdem.
»Habt ihr was dagegen, wenn ich Fotos mache und versuche, den Wert der Puppe herauszufinden?«, fragt Tim, und ich kann ganz genau sehen, wie es in seinem Akademikerkopf arbeitet.
»Mach dir keine Mühe. Er kostet viertausend«, sage ich.
Seine Augenbrauen schießen nach oben. »Viertausend Dollar?«
Grace nickt bestätigend. »Das ist ein weiterer Grund, warum wir ihn nicht rauswerfen können. Es fühlt sich einfach falsch an, so viel Geld wegzuschmeißen.«
»Dean hat ihn vor ein paar Jahren auf einer Antiquitätenauktion gekauft«, erkläre ich. »Auf der Liste stand, dass er verflucht ist. Also hat Dean es für eine extrem lustige Idee gehalten, die Puppe für Tuckers Tochter zu kaufen, die damals noch ein Baby war. Sabrina ist total ausgeflippt, hat gewartet, bis Dean und Allie ein paar Monate später in der Stadt waren, und dann jemanden in ihrem Hotel dafür bezahlt, dass er die Puppe auf Deans Kopfkissen legt.«
Grace kichert. »Allie hat gesagt, er hat geschrien wie ein kleines Kind, als er das Licht angemacht und Alexander dort gesehen hat.«
»Und jetzt ist das so ein Ding«, beende ich die Geschichte halb grinsend, halb seufzend. »Wir alle schicken Alexander hin und her, wenn die andere Person es am wenigsten erwartet.«
»Was hat der Verkäufer über ihn erzählt?«, fragt Tim neugierig. »Hat das Ding eine Hintergrundgeschichte?«
Grace schüttelt den Kopf. »Dad, bitte nenn ihn nicht so. Er kann dich hören.«
»Er hatte eine Beschreibung bei sich«, antworte ich achselzuckend. »Ich kann mich nicht erinnern, wer sie gerade hat. Aber sein Name ist Alexander, und er hat einem kleinen Jungen namens Willie gehört, der zu Zeiten des Goldrausches auf dem California Trail gestorben ist. Anscheinend ist die ganze Familie verhungert, außer Willie. Der arme Junge ist tagelang auf der Suche nach Hilfe umhergestreunt, bis er schließlich in eine Schlucht gestürzt ist und sich das Bein gebrochen hat. Dort lag er dann, bis er vor Erschöpfung gestorben ist.«
Grace erschaudert. »Sie haben ihn gefunden, wie er Alexander an seine Brust gepresst hatte. Der psychopathische Puppenhändler hat gesagt, dass Willies Seele auf Alexander übergegangen ist, kurz bevor er gestorben ist.«
Tims Augen weiten sich. »Mein Gott! Das ist ja verdammt düster.«
Mir klappt die Kinnlade runter. »Hast du eben geflucht?«
»Wie könnte ich das nicht?« Er legt Alexander zurück in die Schachtel und schließt sie wieder. »Wir sollten ihn auf den Dachboden bringen. Jean und David werden jeden Moment hier sein. Und dem wollen wir sie doch nicht aussetzen, oder?«
Entschlossen nickend geht Tim Ivers mit der Schachtel in der Hand davon. Ich kann nicht sagen, ob er es ernst meint oder uns verarscht.
Als ich mich zu Grace umdrehe, zucken meine Mundwinkel. »Na also. Alexander ist auf den Dachboden verbannt. Fühlst du dich jetzt besser?«
»Ist er immer noch im Haus?«
»Ja, aber …«
»Dann fühle ich mich nicht besser.«
Grinsend packe ich sie an der Hüfte und ziehe sie zu mir. Dann neige ich meinen Kopf und lege meine Lippen auf ihre. »Und jetzt?«, murmle ich.
»Ein bisschen«, gibt sie zu.
Als ich sie wieder küsse, verschmilzt sie mit mir und schlingt ihre Arme um meinen Hals. Verdammt, ich vermisse sie so sehr, wenn ich unterwegs bin. Ich wusste, dass das Leben als Profi-Eishockeyspieler hart werden würde, aber ich hatte nicht vermutet, dass ich Grace jedes Mal, wenn ich nicht in der Stadt bin, so vermissen würde.
»Ich will nicht, dass du wieder gehst«, sagt sie an meine Lippen gepresst. Anscheinend hat sie dieselben Gedanken wie ich.
»Erst in ein paar Tagen«, erinnere ich sie.
Sie beißt sich auf die Unterlippe und legt ihre Wange an meine Brust. »Trotzdem nicht genug Zeit«, sagt sie so leise, dass ich es kaum höre.
Ich atme den Duft ihrer Haare ein und halte sie ganz fest. Sie hat recht. Das ist nicht annähernd genug Zeit.
Ein paar Tage nach Weihnachten fährt Logan für fünf Tage zu Spielen an der Westküste. Natürlich tut er das, denn sich überschneidende Terminpläne machen momentan unser Leben aus.
Wenn Semesterferien sind und ich zu Hause bin? Dann ist Logan weg.
Logan hat ein paar Abende frei und ist zu Hause? Dann sitze ich am Campus der Briar Uni in Hastings, eine fünfundvierzigminütige Autofahrt von uns entfernt.
Wir haben uns für das gemütliche Sandsteinhaus entschieden, weil es genau in der Mitte zwischen Hastings und Boston liegt, wo Logans Team Eishockey spielt. Aber die Winter in Neuengland sind unvorhersehbar, also kann es schon mal passieren, dass bei schlechtem Wetter die Fahrt doppelt so lange dauert. Das bringt uns wieder um die kostbare Zeit, die wir miteinander haben. Aber bis ich meinen Abschluss gemacht hab, ist das der Kompromiss, den wir eingehen müssen.
Zum Glück bin ich offiziell im Mai mit der Uni fertig, und wir freuen uns beide schon sehr darauf, ein Zuhause in Boston zu finden. Obwohl … ich weiß nicht, was wir machen, wenn ich einen Job bekomme, der nicht in Boston ist. Über diese Möglichkeit haben wir noch gar nicht geredet. Hoffentlich müssen wir das auch nicht.
Obwohl Winterferien sind, laufen Campus-Radio und -TV ganz normal, also fahre ich am Tag, nachdem Logan abgereist ist, zur Arbeit. Ich bin dieses Jahr Studio-Managerin, was sehr viel Verantwortung mit sich bringt – und viel zwischenmenschlichen Blödsinn. Ständig muss ich mich mit verschiedenen Egos und den unterschiedlichen Persönlichkeiten des »Talents« herumschlagen, und auch heute ist es nicht anders. Ich hab bereits ein paar kleine Brände gelöscht, wie zum Beispiel einen Streit über persönliche Hygiene zwischen Pace und Evelyn geschlichtet, die beide Co-Moderatoren von Briars beliebtester Radiosendung sind.
Der einzige Lichtblick an meinem hektischen Vormittag ist ein Brunch mit meiner ehemaligen Zimmergenossin Daisy. Als es endlich Zeit für unser Treffen ist, ertappe ich mich dabei, wie ich fast den ganzen Weg zum Coffee Hut renne.
Wie durch ein Wunder hat sie uns einen kleinen Tisch am Rand ergattern können. Das ist wirklich eine Meisterleistung, wenn man bedenkt, dass das Café immer voll ist – egal an welchem Tag oder zu welcher Zeit.
»Hey!«, sage ich fröhlich, als ich meinen Mantel ausziehe.
Daisy springt auf, um mich zu umarmen. Sie ist ganz warm, weil sie schon länger drinnen sitzt, und ich bin praktisch eine Eisskulptur wegen des extrem kalten Wetters draußen.
»O Gott! Du bist ja eiskalt! Setz dich – ich hab dir einen Latte bestellt.«
»Danke«, sage ich dankbar. »Ich hab nur eine Stunde Zeit, also lass uns sofort essen.«
»Jawohl, Ma’am.«
Einen Moment später sitzen wir auf unseren Stühlen und überfliegen die Speisekarte, die gar nicht so umfangreich ist, weil das Café nur Sandwiches und Gebäck serviert. Nachdem Daisy zum Tresen gegangen ist, um unser Essen zu bestellen, nippen wir beide an unseren Getränken, während wir warten.
»Du siehst gestresst aus«, sagt sie geradeheraus.
»Ich bin gestresst. Ich hab gerade die letzte Stunde damit verbracht, Pace Dawson zu erklären, warum er wieder anfangen muss, ein Deo zu benutzen.«
Daisy wird ganz blass. »Warum hat er denn damit aufgehört?«
Ich reibe mir die Schläfen, die schon von der ganzen Dummheit pochen, mit der ich mich auseinandersetzen musste. »Um gegen die Plastikverschmutzung in unseren Ozeanen zu demonstrieren.«
Sie kichert. »Das versteh ich nicht.«
»Was gibt es da nicht zu verstehen?«, frage ich sarkastisch. »Sein Deodorant ist in einer Plastikverpackung. Der Ozean ist voll mit Plastik. Also muss er aus Protest gegen diese Farce unser Studio vollstinken.«
Daisy spuckt fast ihren Kaffee wieder aus. »Okay. Ich weiß, er ist unausstehlich als Arbeitskollege, aber komm schon … alles, was aus seinem Mund kommt, ist pures Gold.«
»Evelyn hat letztendlich damit gedroht zu kündigen, wenn er nicht wieder anfängt, ein Deo zu benutzen. Also musste ich mich hinsetzen und zwischen den beiden vermitteln, bis Pace schließlich bereit war, auf Evelyns Forderung einzugehen – mit der Bedingung, dass sie zweihundert Dollar an eine Gesellschaft spendet, die die Meere erhält.«
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass er so umweltbewusst ist.«
»Ist er auch eigentlich gar nicht. Seine neue Freundin hat letzte Woche eine Doku über Wale angeschaut, und das hat wahrscheinlich sein Leben verändert.«
Als unsere Bestellung fertig ist, bringen wir uns weiter gegenseitig auf den neuesten Stand, während wir unsere Sandwiches essen. Wir reden über unsere Kurse, ihren neuen Freund, meine neue Position im Sender. Dann kommen wir auf meine Beziehung zu sprechen. Und als ich sage, dass alles in Ordnung ist, bringt das überhaupt nichts. Denn Daisy sieht geradewegs durch mein schlechtes Pokerface hindurch.
»Was ist los?«, fragt sie sofort. »Habt ihr Streit?«
»Nein«, versichere ich ihr. »Überhaupt nicht.«
»Was ist dann los? Warum hast du so … lustlos … geklungen, als ich gefragt hab, wie es zwischen euch läuft?«
»Weil die Dinge tatsächlich ein bisschen lustlos laufen«, gestehe ich.
»Inwiefern lustlos?«
»Wir sind einfach beide wahnsinnig beschäftigt. Und er ist immer auf Achse. Diesen Monat war er mehr Tage unterwegs als zu Hause. Weihnachten war so schön, aber viel zu kurz. Nach den Feiertagen musste er sofort wieder aufbrechen, weil er Spiele hat.«
Daisy sieht mich mitfühlend an, als sie einen Bissen von ihrem Thunfisch-Wrap nimmt. Sie kaut langsam, schluckt und fragt dann: »Wie ist der Sex?«
»Der ist gut.« Sehr gut, um ehrlich zu sein. Die Nacht in der Bar, als wir so getan haben, als wären wir Fremde, taucht vor meinem geistigen Auge auf. Diese heiße Erinnerung lässt mich richtig schaudern.
Das war großartiger Sex. Es in der Öffentlichkeit zu treiben, ist nichts, was wir regelmäßig tun, aber wenn wir es tun … dann ist es verdammt scharf. Unser Sexleben war schon immer fantastisch. Wahrscheinlich ist deswegen die räumliche Trennung zwischen uns auch so schwer. Wenn wir zusammen sind, ist alles leidenschaftlich und perfekt wie am Anfang. Unser Problem ist es, gemeinsame Zeit zu finden. Zeit ist rar gesät in unserer Welt.
Ich bin nicht unglücklich mit Logan. Im Gegenteil, ich will noch mehr von ihm. Ich vermisse meinen Freund.
»Die Zeit, in der wir getrennt sind, ist hart«, sage ich zu Daisy.
»Das kann ich mir vorstellen. Aber was ist die Lösung? Er kann ja nicht mit dem Hockey aufhören. Und du wirst das College nicht schmeißen, vor allem nicht, weil du ja nur noch fünf Monate übrig hast.«
»Nein«, stimme ich ihr zu.
»Und du willst auch nicht Schluss machen.«
Ich bin entsetzt. »Auf keinen Fall.«
»Vielleicht solltet ihr heiraten.«
Ich muss grinsen. »Das ist deine Lösung? Heiraten?«
»Na ja, wir wissen doch beide, dass es irgendwann passieren wird.« Sie zuckt mit den Schultern. »Vielleicht würde es diese stressige Übergangsphase für dich einfacher machen, wenn ihr beide eine Art permanente Verpflichtung hättet. Immer, wenn du die Entfernung zwischen euch spürst, musst du dir keine Sorgen machen, dass ihr euch auseinanderlebt, weil diese extrastarke Basis dich stabilisiert.«
»Das ist gar keine schlechte Idee«, gebe ich zu. »Und ich will Logan auch heiraten. Absolut. Aber unser Problem ist die Zeit. Selbst wenn wir heiraten würden – wann hätten wir Zeit dafür?« Ich seufze resigniert. »Wir sind immer beschäftigt oder in zwei unterschiedlichen Bundesstaaten.«
»Dann bleibt dir keine andere Wahl, als es auszusitzen«, sagt Daisy.
Sie hat recht.
Aber das ist schwer. Ich vermisse ihn. Ich mag es nicht, nach der Uni in eine leere Wohnung heimzukommen. Ich mag es nicht, dass ich den Fernseher anschalten muss, um einen Blick auf meinen Freund erhaschen zu können. Ich mag es nicht, dass ich mich ständig auf Prüfungen vorbereiten muss und zu müde bin, um mit meinem Freund auszugehen, einen Film anzuschauen oder ein Abendessen zu genießen. Ich mag es nicht, wenn Logan nach einem besonders harten Spiel nach Hause kommt und mit blauen Flecken und völlig ausgelaugt ins Bett kriecht und selbst für Kuscheln zu erschöpft ist.
Der Tag hat einfach nicht genug Stunden, und es ist sogar noch schlimmer geworden, seit ich den Sender leite. Als ich auf dem College angefangen hab, wusste ich noch nicht genau, was ich nach dem Abschluss machen wollte. Zuerst hab ich daran gedacht, vielleicht Psychologin zu werden. Aber dann hab ich im zweiten Jahr einen Job beim Campus-Radio bekommen, und da ist mir klar geworden, dass ich gerne Fernsehproduzentin werden möchte. Genauer gesagt, möchte ich eine Nachrichtensendung produzieren. Jetzt, da ich mich für einen Karriereweg entschieden hab, ist es schwerer, die Kurse zu schwänzen oder sich bei der Arbeit krankzumelden, wenn Logan überraschenderweise eine oder zwei Stunden freihat. Wir haben jetzt beide unsere Verpflichtungen, die uns wichtig sind. Also ist es, wie Daisy gesagt hat – wir müssen es aussitzen.
»Tut mir leid«, sage ich. »Ich wollte keine Spaßbremse sein. Logan und mir geht’s gut. Es ist nur manchmal schwer …«
Mein Handy piepst wegen einer eingehenden Nachricht. Ich werfe einen Blick auf das Display und muss grinsen, als ich Logans Nachricht lese. Er schreibt, dass das Team sicher in Kalifornien gelandet ist. Das Gleiche hat er gestern getan, als sie in Nevada angekommen sind. Ich liebe es, dass er mich immer auf dem Laufenden hält.
»Einen Moment«, sage ich zu meiner Freundin, als ich eine Antwort tippe. »Ich schreibe Logan nur kurz, dass ich ihm beim Spiel heute Abend viel Glück wünsche.«
Er antwortet sofort.
Er: Danke, Baby. Ich wünschte wirklich, du wärst hier.
Ich: Ich auch.
Er: Dann ruf ich dich nach dem Spiel an?
Ich: Kommt drauf an, wie spät es dann ist.
Er: Versuchst du, wach zu bleiben? Wir haben gestern Abend nur ungefähr zwei Minuten geredet. ☹
Ich: Ich weiß. Tut mir leid. Heute werde ich eine Kanne Kaffee trinken, damit ich wacher bin!
Aber obwohl ich den ersten Teil meines Versprechens halte – wie eine Wahnsinnige Kaffee in mich reinzustürzen –, macht mich das Koffein nur noch müder, als ich an diesem Abend vom Campus heimkomme. Ich bin völlig fertig mit der Welt und hab kaum noch genug Energie zu essen und zu duschen.
Als Logan mir um Mitternacht eine Nachricht schreibt, ob wir jetzt telefonieren können, schlafe ich bereits tief und fest.
Grace: Wie ist die Pressekonferenz gelaufen?
Ich: O. k. Ein paar Fragen hab ich versaut, zu lange geredet. G beantwortet immer alles kurz und knapp. Er ist halt ein richtiger Profi.
Sie: Ich bin mir sicher, du warst toll. ❤
Ich: Na ja, der Coach hat mich hinterher nicht zur Seite gezogen, um mich zu feuern. Also hab ich den Medientest wohl bestanden.
Sie: Wenn er dich feuert, werde ich ihm in den Arsch treten.
Ich grinse mein Handy an. Ich bin gerade erst vom heutigen Spiel gegen San Jose ins Hotel zurückgekommen und fühle mich immer noch voller Energie. Die Erschöpfung wird mich schon bald wie eine Flutwelle überrollen, aber das Adrenalin aus dem Spiel braucht normalerweise eine Weile, um sich aus meinem System zu verabschieden.
Ich: Egal. GVM.
Sie:GVM? Ich bin zu müde, um diesen Code zu knacken.
Ich: Genug von mir. Erzähl mir von deinem Tag.
Sie: Können wir das morgen machen? Ich bin schon im Bett. Es ist 1 Uhr. ☹
Ich schaue auf mein Handydisplay. Verdammt! Natürlich ist sie im Bett. Hier ist es vielleicht erst 22 Uhr, aber an der Ostküste ist für sie schon längst Schlafenszeit.
Ich stelle mir Grace eingekuschelt und warm unter unserer Flanellbettdecke vor. In Neuengland ist es gerade eiskalt, also hat sie wahrscheinlich ihre Karohose und dieses langärmelige Shirt mit der Aufschrift EICHHÖRNCHEN-POWER! an. Keiner von uns weiß, was das bedeutet, vor allem, weil auf dem Shirt eine Ananas abgebildet ist. Vermutlich hat sie keine Socken an. Sie schläft nämlich bei jeder Temperatur barfuß, und ihre Füße sind immer kleine Eisklötze. Wenn wir zusammen im Bett liegen, presst sie sie immer gegen meine Wade. Ein richtiger kleiner Teufel.
Ich reibe mir die müden Augen. Verdammt, ich vermisse sie.
Ich schicke ihr ein »Ich vermisse dich«.
Sie antwortet nicht. Wahrscheinlich ist sie schon eingeschlafen. Ich starre das Handy noch eine Weile an und warte auf eine Antwort, aber es kommt keine. Also öffne ich einen anderen Chat und schreibe Garrett.