The Maddest Obsession - Danielle Lori - E-Book

The Maddest Obsession E-Book

Danielle Lori

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Beschreibung

Dieses Buch ist eine Dark Romance und wir empfehlen es für Leser:innen ab 18 Jahren. Bitte lest euch vorab die Triggerwarnung durch.

Liebe ist eine Obsession. Einige würden sogar sagen ... die gefährlichste Obsession

Als Mitglied der mächtigsten Mafia-Familie von New York hat Gianna Russo eigentlich alles, was sie je begehren könnte - doch der Schein trügt. Denn auch wenn Gianna es nicht wahrhaben will, ist ihre Ehe mit einem der einflussreichsten Männer der Cosa Nostra nicht mehr als ein Zweckbündnis. Getrieben von ihrem sehnlichsten Wunsch, echte Gefühle für jemanden zu empfinden und geliebt zu werden, klammert sie sich an diese ungesunde Beziehung und hält so die Fassade der eigenwilligen und lauten Gianna Russo aufrecht. Niemand weiß, wie es ihr wirklich geht - bis sie den korrupten FBI-Agenten Christian Allister kennenlernt. Christian ist beherrscht, verschlossen und kühl und damit das absolute Gegenteil zu Giannas Chaos. Doch seine durchdringenden blauen Augen blicken hinter all die Mauern, die Gianna um sich errichtet hat. Und obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten und jede Begegnung in einem hitzigen Wortgefecht endet, ist da auch etwas Unerklärliches zwischen ihnen, das über die Jahre immer stärker wird. Dabei ahnt Gianna nicht, dass Christian so viel mehr über sie weiß, als er vorgibt, und schon längst entschieden hat, dass sie allein ihm gehört ...

»Diese Enemies-to-Lovers-Geschichte ist ein Wirbelwind aus prickelnden Emotionen - mit einer düsteren Atmosphäre, die euch in ihren Bann ziehen wird. Fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite. Ich jedenfalls bin obsessed!« ENDLESSBOOKWORLD

Band 2 der MADE-Reihe von Bestseller-Autorin Danielle Lori

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Playlist

Anmerkung der Autorin

Teil 1

1

2

3

4

5

6

7

Teil 2

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Danielle Lori bei LYX

Impressum

DANIELLE LORI

The Maddest Obsession

Roman

Ins Deutsche übertragen von Beate Bauer

Zu diesem Buch

Als Mitglied der mächtigsten Mafia-Familie von New York hat Gianna Russo eigentlich alles, was sie je begehren könnte – doch der Schein trügt. Denn auch wenn Gianna es nicht wahrhaben will, ist ihre Ehe mit einem der einflussreichsten Männer der Cosa Nostra nicht mehr als ein Zweckbündnis. Getrieben von ihrem sehnlichsten Wunsch, echte Gefühle für jemanden zu empfinden und geliebt zu werden, klammert sie sich an diese ungesunde Beziehung und hält so die Fassade der eigenwilligen und lauten Gianna Russo aufrecht. Niemand weiß, wie es ihr wirklich geht – bis sie den korrupten FBI-Agenten Christian Allister kennenlernt. Christian ist beherrscht, verschlossen und kühl und damit das absolute Gegenteil zu Giannas Chaos. Doch seine durchdringenden blauen Augen blicken hinter all die Mauern, die Gianna um sich errichtet hat. Und obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten und jede Begegnung in einem hitzigen Wortgefecht endet, ist da auch etwas Unerklärliches zwischen ihnen, das über die Jahre immer stärker wird. Dabei ahnt Gianna nicht, dass Christian so viel mehr über sie weiß, als er vorgibt, und schon längst entschieden hat, dass sie allein ihm gehört …

Liebe Leser:innen,

The Maddest Obsession enthält Elemente, die triggern können.

Wir möchten euch darauf hinweisen, dass dieses Buch eine Dark Romance ist und explizite Szenen, derbe Wortwahl, Darstellungen von Gewalt und Schilderungen von sexuellen Übergriffen enthält.

Hier findet ihr eine detaillierte Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Gebt bitte acht auf euch und lest diese nur, wenn ihr euch damit wohlfühlt. Hört beim Lesen auf euer Gefühl und wendet euch an jemanden, dem ihr vertraut, oder sucht euch professionelle Hilfe, wenn ihr merkt, dass es euch nicht gut geht.

Ihr seid nicht allein und wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Lesererlebnis.

Euer LYX-Verlag

Für meinen Bruder Corey

Du wolltest immer etwas Außergewöhnliches tun,

und das hast du auch.

Du hast uns um Längen geschlagen.

Ich werde dich immer lieben.

Playlist

Jealous – Labrinth

when the party’s over – Billie Eilish

White Rabbit – Jefferson Airplane

Piano Man – Billy Joel

Iris – The Goo Dolls

To Build a Home – The Cinematic Orchestra

The Good Side – Troye Sivan

Nevermind – Dennis Lloyd

What It’s Like – Everlast

Hi-Lo (Hollow) – Bishop Briggs

bury a friend – Billie Eilish

Sorry – Halsey

Anmerkung der Autorin

The Maddest Obsession umfasst einen Zeitraum von sieben Jahren, von Giannas einundzwanzigstem bis zum achtundzwanzigsten Lebensjahr. Darum habe ich das Buch in zwei Abschnitte unterteilt: Vergangenheit und Gegenwart.

Jedes Kapitel im ersten Teil behandelt ein Jahr in Giannas Leben, während Christians Erzählperspektive sich auf wenige Tage beschränkt.

Der zweite Teil spielt in der Gegenwart und überschneidet sich zufällig mit der Handlung von The Sweetest Oblivion. Solltet ihr The Sweetest Oblivion noch nicht gelesen haben, es jedoch vorhaben, empfehle ich, es zuerst zu lesen.

Eure Danielle

xo

TEIL 1

Die Vergangenheit

1

Christian

New York City

September 2015

»Erzählen Sie mir eine Sache über sich.«

Das Ticken der Uhr füllte die Leere zwischen uns. Mit seinen warmen Farben und den unterschiedlichen Sitzmöglichkeiten sollte der Raum gemütlich wirken. Zu schade, dass die Atmosphäre davon nichts abbekommen hatte; die Luft war schwer und süßlich, als wäre jede Lüge, die hier erzählt worden war, auf ewig gefangen.

Ich kniff die Augen zusammen, als ich mich an Kyle Sheets Zwinkern am gestrigen Tag erinnerte.

Er hatte dasselbe Verfahren durchlaufen – wenn auch unter einer anderen Anklage – und hatte sich mit irgendeinem Scheiß herausgeredet, weshalb er auf seinem Bürocomputer Hentai-Pornos hatte.

Ich war eine wandelnde Lüge, aber die Vorstellung, mit diesem Mistkerl in einen Topf geworfen zu werden, ärgerte mich.

Er trug Sneakers zum Anzug, verdammt nochmal.

Ich strich mir nachdenklich über das Kinn und gestand die Wahrheit ein.

»Ich neige zu Suchtverhalten.«

Dr. Sasha Taylor konnte ein überraschtes Aufblitzen in ihren Augen nicht unterdrücken, und um von dieser menschlichen Reaktion abzulenken, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf meine Akte, die auf ihrem Schoß lag. Der Hosenanzug der Blondine wies keine einzige Falte auf. Sie war in Yale gewesen und stammte aus altem Geldadel. Die Einunddreißigjährige hatte alles, was ich an einer Frau schätzte: Intelligenz, Schönheit, Stil.

»Alkohol?«, fragte sie.

Ich schüttelte den Kopf.

»Drogen?«

Das wäre einfacher gewesen.

»Frauen?«

Frau. Einzahl.

Ein weiteres Kopfschütteln, aber diesmal mit einem Lächeln.

Ihr Blick glitt zu meinen Lippen, sie schluckte und blickte weg. »Wir werden gleich darauf zurückkommen.« Sie machte eine Pause. »Sie wissen, warum Sie hier sind?«

Ich sah sie ausdruckslos an.

Ihr Blick wurde unruhig. »Natürlich wissen Sie es. Steht … dieser Vorfall in Zusammenhang mit Ihrem … Suchtverhalten?«

Ich richtete meinen Blick auf ihre feuerroten High Heels und hasste mich plötzlich selber dafür, dass ich nicht von etwas Harmloserem wie Pornos abhängig war. Ich würde das jederzeit dieser Schweinerei vorziehen.

Es war öffentlich, Allister. Tu einfach so als ob, mehr kann ich nicht tun.

Die Worte, die mich reingeritten hatten.

Ich war kein guter Mensch, und ich arbeitete für viel Schlimmere. Wie dem auch sei, ich hatte in viel zu jungen Jahren gelernt, dass die Welt nicht nur schwarz und weiß ist. Manchmal wurde man so befleckt, dass man sich nicht mehr ins helle Licht trauen konnte, und manchmal fühlte sich die Dunkelheit richtig an. Auch wenn Letzteres nicht auf mich zutraf, würde ich niemals gefährden, was ich aufgebaut hatte. Ich hatte zu hart gearbeitet, um an diesen Punkt zu gelangen, um das alles jemals für eine Frau aufzugeben. Schon gar nicht für eine, die sich anzog wie das uneheliche Kind von Britney Spears und Kurt Cobain. »Nein«, log ich. Wäre ich völlig aufrichtig gewesen, wäre ich innerhalb der nächsten Stunde dem FBI übergeben worden, oder eher noch hätte das Bureau Sasha Taylor auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen. »Einige glauben, es geht um eine Frau«, äußerte sie vorsichtig.

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Sind Sie einige, Sasha?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Sie wirken zu … nüchtern, um sich in solcher Weise gegenüber einer Frau zu benehmen.«

Kalt. Sie meinte kalt.

Sie hatte recht – was den Normalfall betraf zumindest –, aber es gab nichts Normales an dieser ärgerlichen Angelegenheit, die mich hierhergebracht hatte. Ich hatte, im wörtlichen Sinn, eine innige Verbindung mit der Kälte, jetzt hingegen fühlte ich mich meilenweit entfernt von ihr. In meiner Brust brannte ein Feuer und leckte an den Rändern von dem, was von meiner Seele übrig war.

Sasha änderte ihre Sitzhaltung und schlug ein Bein über das andere. »Zurück zu diesem Suchtverhalten … geben Sie oft Ihrem Verlangen nach, egal worum es sich handelt?«

Allein die Vorstellung, es zu können, schmeckte süß, ließ mein Herz doppelt so schnell schlagen und machte mich heiß und unruhig. Ich hasste die Frau dafür, dass sie mein Leben jahrelang zur Hölle gemacht hatte, aber verdammt, auch wenn ich sie nicht anfassen wollte, um ihr die Erinnerung an jeden anderen Kerl aus dem Kopf zu vögeln, bis sie halb so besessen wie ich wird und meinen Namen für den Rest ihres Lebens nicht mehr vergessen würde.

Ich fuhr mit der Zunge über die Zähne und unterdrückte dieses Gefühl, obwohl die körperliche Spannung nicht nachließ. »Niemals.«

»Warum nicht?«

Mein Blick hielt ihrem stand. »Weil die Sucht sonst gewinnen wird.«

»Und Sie verlieren nicht gerne?« Ihre Worte wurden zunehmend leiser.

Ich konnte beinahe das Schlagen ihres Herzens hören, während wir einander in schwerem Schweigen anstarrten. Sie schob sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, sah auf ihre Unterlagen und murmelte: »Nein, tun Sie nicht.«

Wie das leise Ticken einer Zeitbombe kurz vor der Explosion, machte die Uhr sich bemerkbar. Sasha blickte zu ihr und sagte: »Eine letzte Frage, bevor unsere heutige Sitzung vorüber ist. Wie gehen Sie mit diesem ›Suchtverhalten‹ um?«

Einfach. »Mit Ordnung.«

»Sie bevorzugen Ordnung?«, fragte sie. »In welchen Situationen?«

»In allen.«

Ein kaum merkliches Erröten zeigte sich an ihrem Hals, und sie räusperte sich. »Und wenn Unordnung in Ihr Leben tritt?«

Ein Bild von dichtem Haar – manchmal dunkel, manchmal blond –, zarter olivfarbener Haut, nackten Füßen und allem Verbotenen erschien vor meinem geistigen Auge.

Das Feuer in meiner Brust brannte immer heißer und raubte mir meinen verdammten Atem. Wenn Schmerz mich normalerweise wie das High eines Drogenrauschs traf, sobald Gianna Russo – oder, sorry, jetzt Marino – beteiligt war, fühlte sich dies wie der Absturz an. Ekelhaft. Es fühlte sich verflucht bitter an.

Ich antwortete ihr mit leicht zusammengebissenen Zähnen. »Dann schaffe ich Ordnung.« Ich stand auf, knöpfte meine Jacke zu und ging zur Tür.

»Und wenn das nicht möglich ist?«, hakte sie nach, während sie sich erhob, meine Akte lose im Griff.

Mit einer Hand auf dem Türknauf blieb ich stehen und blickte auf mein Handgelenk und das elastische Band, das unter meiner Manschette verborgen war.

Ein Gefühl der Häme breitete sich in meiner Brust aus.

»In dem Fall, Sasha, reagiere ich zwanghaft.«

2

Gianna

21 Jahre alt

Dezember 2012

»Ich hatte das Glück in einer zusammengerollten Dollarnote und weißem Puder gefunden.«

Manchmal war es euphorisch – blutpumpende, herzrasende, allergrößte Euphorie. Wie Sex, nur ohne die Leere.

Manchmal war es ein Mittel zum Zweck. Eine Line, und jegliche Unsicherheit, jeder blaue Fleck wurde zur Erinnerung. Eine Line, und ich war frei.

Andere Male war es ein kalter Luftzug und das Quietschen einer Stahltür, wenn sie vor mir zugeschlagen wurde.

Das Echo prallte von den Zellenwänden ab und hallte in meinen Ohren wie Flipperkugeln. Ich schluckte, als der Riegel ins Schloss fiel.

Ich trat vor und packte die Gitterstäbe. »Kann ich wirklich anrufen?«

Die Latina-Polizistin in ihren Zwanzigern stützte die Hände auf ihren Pistolengurt und musterte mich mit zusammengezogenen dunklen Brauen. »Pech gehabt, Prinzessin. Wenn ich mir diese Monstrosität von einem Kleid« – sie nickte zu meinem traumhaften roten Spitzenkleid von McQueen – »noch eine Minute länger ansehen muss, hab ich für den Rest meiner Schicht Kopfschmerzen.«

Ich konnte mir eine Bemerkung nicht verkneifen. »Du kannst das gerne auf mein Kleid schieben, aber wir beide wissen, dass die Kopfschmerzen von dem spießigen Haarknoten an deinem Hinterkopf kommen, cogliona.«

Mit zusammengekniffenen Augen trat sie einen Schritt auf mich zu. »Wie hast du mich gerade genannt?«

»Langsam«, unterbrach eine andere Polizistin und legte eine Hand auf die Schulter ihrer Partnerin. »Gehen wir, Martinez.«

Die Latina sah noch wütender drein, bevor sie, gefolgt von ihrer Partnerin, davonmarschierte.

Ich drehte mich um, um auf und ab zu gehen, hielt jedoch inne, als ich sah, dass ich nicht alleine war. Eine rothaarige Prostituierte, die ihre besten Jahre schon hinter sich hatte, saß in der Ecke und beobachtete mich durch Mascara-verkrustete Wimpern. Ihr Make-up war mehrere Töne dunkler als ihre blasse Hautfarbe, und ihre Fischnetz-Strumpfhosen wiesen jede Menge Löcher auf.

»Sie haben dir deine Schuhe nicht weggenommen.«

Ich blickte auf meine roten Jimmy Choos.

»Die sind wirklich hübsch«, sagte sie und knibbelte an ihrem Nagellack herum.

Mein Blick fiel auf ihre nackten Füße, ich seufzte und ließ mich auf die Bank neben ihr fallen.

Sie hatten mir meine Schuhe gelassen, weil ich hier nicht lange bleiben würde. Bestimmt war es nur eine Frage von Minuten, bis ein Oberboss in einem schlecht sitzenden Anzug mich irgendwohin führen würde, wo es eine Couch und Kaffee gab – irgendein angenehmer Ort, sodass ich mich wohl genug fühlen würde, um alle Geheimnisse der Cosa Nostra auszuplaudern.

Eine Schande.

Wertlos.

Nicht liebenswert.

Ich nagte an meiner Unterlippe, während sich ein Gefühl der Angst in meiner Brust ausbreitete.

»Wie viel haben die gekostet?«, fragte meine Zellengenossin in dem Moment, als hinten im Flur eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Bei dem Geräusch stellten sich die Härchen an meinen Unterarmen auf.

Ich hörte ihn, bevor ich ihn sah.

Und wusste sofort, dass er der FBI-Mann war, den sie mir geschickt hatten.

Seine Stimme war professionell und teilnahmslos, obwohl ein schwer fassbares Timbre in jedem Wort lag: eine ätzende Schärfe, wie eine tiefe, dunkle Sünde, die man in den Abgründen seiner Seele verborgen hält.

Sein nächstes Wort – Gianna – berührte meinen Nacken, als würden stählerne Flügel über empfindsame Haut streifen. Ich wischte das Gefühl mit einer Handbewegung weg, indem ich mir das Haar über die Schulter strich.

»Wahrscheinlich zu viel«, antwortete ich schließlich seltsam atemlos.

Die Prostituierte nickte, als hätte sie verstanden.

Sie war schön – hinter dem Make-up, dem Drogenmissbrauch, der den Glanz in ihren Augen getrübt hatte, und den Jahren, in denen sie New Yorks Polizisten zu Diensten war, war sie schön.

Eine verwandte Seele, sollte ich je eine getroffen haben.

Ich vernahm erneut die Stimme des Agenten, dieses Mal näher, weil er mit Martinez sprach. Durch die Unruhe in den anderen Zellen konnte ich nicht verstehen, was ihr mitgeteilt wurde, aber ich konnte erkennen, dass ihre Stimme jetzt weicher war, ihre hispanischen Wurzeln klangen durch und verliehen ihren Worten einen sinnlichen Klang.

Ich verdrehte die Augen. Eine Office-Romanze.

Wie nett.

Trotzdem glaubte ich nicht, dass er den Köder schlucken würde. Ich konnte sein Desinteresse körperlich spüren und den kalten Klang seiner Stimme hören.

Ein Schauder durchfuhr mich.

Um Gottes willen, es war nur ein FBI-Mann. Ich hatte von Geburt an mit Mafiosi zu tun.

Ich lehnte mich mit gespielter Gleichgültigkeit zurück und wickelte eine lange, dunkle Haarsträhne um meinen Finger.

Der Raum wurde kleiner, die Wände rückten näher, wie schon viel zu oft.

Ich atmete langsam ein. Und wieder aus.

Ich drehte den Kopf und blickte aus der Zelle.

Martinez stand im Gang und starrte mit reiner, unerwiderter Bewunderung im Blick dem FBI-Mann nach, als er zu mir herüberkam.

Ich schätzte, dass es in jedem von uns etwas gab, was uns miteinander verband.

Die stählernen Gitter warfen ihr Muster auf ihn, als er, mit abgewandtem Blick, an den Zellen vorüberging.

Sein Gang war locker. Die Schulterhaltung, die entspannte Armhaltung strotzte vor solch hitziger Zuversicht und Verwüstung, so als könnten auf seinen Befehl hin Mauern und auch Frauenherzen zu Asche verbrennen.

Er hob seinen Blick und begegnete meinem, hart und gefühllos, als würde er direkt durch mich hindurchsehen.

Mir zog sich das Herz zusammen.

Der Blickaustausch dauerte nur eine Sekunde, aber er dehnte sich wie in Zeitlupe und raubte mir den Atem. Ich schlug ein Bein über das andere und enthüllte großzügig einen Teil meines Oberschenkels. Ein Gefühl der Sicherheit umhüllte mich. Solange seine Augen auf meinen Körper sahen, würden sie niemals erkennen, was hinter meinen Augen vorging.

Als er meine Zelle erreichte, blickte er dennoch zuerst direkt in meine Augen. Herzlos. Eindringlich. Blau. Sein Blick brannte, als würde ich an einem Sommertag vor einem offenen Kühlschrank stehen und das Zusammentreffen von Hitze und Kühle würde mich wie Dunst umfangen.

Als er vor der vergitterten Tür stand und ich selbst aus dieser Entfernung seine gefährliche Ausstrahlung körperlich spüren konnte, war ich überzeugt, dass er derjenige war, der eingesperrt war. Andersherum ergab es einfach keinen Sinn.

Eine trübe Lampe im Korridor flackerte über seinem Kopf. Seine dunklen Haare waren zu einem perfekten Fade-Cut geschnitten. Unter dem glatten, dunklen Anzug waren seine breiten Schultern und sein gestählter Körper deutlich zu erkennen. Kontrolle. Präzision. Das strahlte er aus, so wie das farbige Muster auf einer Giftschlange.

Doch was meine Aufmerksamkeit zuerst erregte, war sein Gesicht. Nicht einmal sein kalter, wie aus Stein gemeißelter Ausdruck konnte die Symmetrie und die makellosen Proportionen verunstalten. Auf den zweiten Blick zeigte sich die Art von Körper, die Frauen zum Stöhnen bringt, und der dritte verriet den Intellekt in jeder seiner Bewegungen, als wären alle anderen nur Schachfiguren und er würde darüber sinnieren, wie er jeden von uns benutzen könnte.

Mein Herz machte einen Satz, als die Zellentür entriegelt wurde, und ich wandte meine Aufmerksamkeit von ihm ab und auf die Betonwand vor mir.

»Russo.«

Nope.

Keine Chance.

Wenn ich mit ihm ginge, würde ich am Ende an einen Menschenhändlerring verkauft werden, und man würde nie wieder etwas von mir hören. FBI-Mann oder nicht, mit diesem Blick und dieser Ausstrahlung hat dieser Mann Dinge gesehen und getan, die sich ein normaler Mafioso nicht vorstellen konnte.

Ich schwieg.

Ich würde hier sitzen und auf den FBI-Mann in dem schlechtsitzenden Anzug warten.

Sein Blick richtete sich auf die Prostituierte.

»Ich heiße Cherry«, sagte sie mit einem Lächeln. »Aber du darfst mich nennen, wie du willst.«

Einige Frauen wussten nicht, was gut für sie war.

Er strich mit dem Daumen um seine Armbanduhr, ein, zwei, drei Mal. »Ich werde es mir merken«, antwortete er trocken.

Hitze breitete sich auf meiner Haut aus, als mich die volle Wucht seines Blickes traf. Er ließ ihn an meinem Körper hinabgleiten, und er hinterließ eine Spur von Eis und Feuer, bevor sich seine Augen missbilligend verengten. Und mit einem Mal löste die Vorstellung, dass er, als er mir in die Augen blickte, mich als menschliches Wesen sah und nicht nur als einen Körper, in Nichts auf, und er war nur noch irgendein Mann.

Einer, der über mich urteilte, etwas von mir wollte und mir sagte, was ich tun sollte.

Enttäuschung machte sich langsam und zögerlich in mir breit.

Ich wollte volle drei Sekunden warten, bevor ich mich fügte, aber nach den ersten beiden hatte ich plötzlich das deutliche Gefühl, dass ich nicht bis drei durchhalten würde.

Also gab ich nach, stand auf und ging bis zu der aufgeschlossenen Zellentür. Sein Schatten fiel auf mich, und selbst das fühlte sich kalt an.

Ich hasste große Männer, wie sie immer auf mich herabsahen, über mir aufragten, so wie eine Wolke die Sonne verdunkelt. Großgewachsene Männer hatten seit Anbeginn der Zeit die Regeln bestimmt, und in dem Moment, als ich die Gitterstäbe ergriff und in blaue Augen aufsah, wurde mir diese Wahrheit bewusst wie nie zuvor.

Ungeduldig starrte er mich an.

»Kennen Sie Ihren Namen nicht, oder haben Sie ihn nur vergessen?« Seine kultivierte und leicht raue Stimme jagte einen Schauer über meinen Rücken.

Ich zuckte mit der Schulter und sagte, als würde es irgendeinen Sinn ergeben: »Sie tragen keinen schlechtsitzenden Anzug.«

»Kann man von Ihnen nicht behaupten«, sagte er gedehnt.

Oh, das hat er gerade nicht gesagt?!

Ich sah ihn wütend an. »Dieses Kleid ist von McQueen, und es passt perfekt.«

Seine Haltung verriet mir, dass ihm das völlig egal war, als er die Tür öffnete und ein Schwall kalter Luft meine nackte Haut traf.

»Vorwärts«, befahl er.

Der einsilbige Befehl zerrte an meinen Nerven, aber ich hatte angefangen, und nun musste ich damit klarkommen. Mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren, als ich unter seinem Arm hindurch aus der Zelle trat und den Korridor entlangging.

Rufen und Pfeifen erklang aus allen Richtungen.

Meine Haut fühlte sich zart an, aber einundzwanzig Jahre hatten sie unter der Oberfläche verhärten lassen. Ihre Worte, Rufe und Pfiffe prallten von mir ab in den Abgrund, wo Wunden hinkamen, um dort zu sterben.

Adrenalin strömte in meine Adern. Grelle Lichter.

Abgestandene Luft. Das Quietschen von Polizistenschuhen.

Als sich der Gang am Ende gabelte, verlangsamte ich meinen Schritt. Ich war so abgelenkt von meiner misslichen Lage und diesem Mann hinter mir, dass ich, als er »Rechts« sagte, nach links ging.

»Das andere Rechts.« Die Genervtheit in seiner Stimme war nicht zu überhören, als wäre ich ein Hohlkopf, mit dem er seine Zeit verschwendete.

Ich spürte, wie ich vor Wut errötete und mir, wie so oft, die Worte aus dem Mund purzelten. »Es wäre nett, rechtzeitig zu wissen, wo es langgeht, stronzo.«

»Ich wusste nicht, dass Sie Zeit brauchen, um eine einfache Richtungsangabe zu verarbeiten«, antwortete er, und sein tiefer dunkler Tonfall klang hindurch. »Nennen Sie mich noch einmal Arschloch, Russo, und ich verspreche Ihnen, Sie werden es bereuen.«

Die Schärfe seiner Worte traf mich in den Rücken, und in dem Moment hasste ich ihn ein wenig dafür, dass er Italienisch verstand.

Ich betrat den Empfangsbereich, die Eingangstür direkt vor meinen Augen. Ich wünschte mir, auf der anderen Seite zu sein, aber ganz ehrlich, ich würde lieber hierbleiben, als mit ihm irgendwohin zu gehen.

Ich hatte einen FBI-Mann in schlechtsitzendem Anzug erwartet, der versuchen würde, mir höflich die Geheimnisse der Cosa Nostra zu entlocken, was schlimmstenfalls eine zu weit oben auf meinem Schenkel platzierte Hand beinhaltet hätte, aber er hätte niemals einer Frau körperlich wehgetan. Ich schluckte, und mein Blick folgte dem Mann, der stattdessen gekommen war, während er zum Tresen ging. Groß und unnachgiebig. Kalt und sehr wahrscheinlich unempfänglich für die Reize einer Frau.

Welche Taktik würde er beim Verhör anwenden? Waterboarding? Elektroschocks? War das überhaupt möglich?

Mir war ganz schlecht vor Angst.

Golden und silbern glitzernde Polizeiabzeichen verschwammen vor meinen Augen, und ich fühlte mich ein wenig elend.

Ich durchquerte den Raum und blieb neben dem FBI-Mann stehen.

»Warum trage ich keine Handschellen?«, fragte ich und sah zwei Polizisten nach, die einen gefesselten Gefangenen hinausführten.

Er klopfte mit seinem Finger einen Rhythmus auf den Tresen – tapp, tapp, tapp – und blickte mich mit einem Anflug von Spott von der Seite an.

»Würden Sie das gerne?« Die intime Anspielung in seinen Worten war nicht zu verkennen, und mir waren plötzlich zwei Dinge klar: Er war ein Arschloch, und er hatte schon mal eine Frau im Bett mit Handschellen gefesselt.

Seine unverhoffte Antwort ließ mein Herz schneller schlagen, und um das zu verbergen, setzte ich eine gelangweilte Miene auf. »Danke für das Angebot, aber ich bin verheiratet.«

»Das erkenne ich an dem Klunker an Ihrem Finger.«

Ich sah mechanisch auf meinen Ring und nahm ihm aus einem blöden Grund übel, dass er sich keinerlei Sorgen machte, dass seine Gefangene nicht gefesselt war. Ich könnte wirklich eine Gefahr für ihn oder die Öffentlichkeit darstellen.

»Ich könnte weglaufen, wissen Sie?«, sagte ich, ohne es wirklich vorzuhaben.

»Versuchen Sie’s ruhig.«

Das war eine Herausforderung und eine Warnung.

Ein kalter Schauder lief mir über den Rücken. »Gäbe Ihnen das ein gutes Gefühl? Eine Frau einzufangen, die nur halb so groß ist wie Sie?«

»Ja.«

In seiner Antwort lag keine Spur von Zweifel.

»Und genau das ist das Problem mit euch FBIlern. Ihr liebt es, den starken Mann zu machen.«

»Markieren«, korrigierte er trocken.

»Was?«

»Die Redensart lautet, den starken Mann zu markieren.«

Ich verschränkte die Arme und betrachtete das geschäftige Treiben im Empfangsbereich. Ich war wütend. Ich hätte schwören können, dass jede Frau in der Nähe sich langsamer bewegte, um ihn anzusehen. Eine Polizistin mittleren Alters, die seine Mutter hätte sein können, starrte ihn an, während sie ein Klemmbrett über den Tresen schob.

Er unterschrieb die Papiere und gab sie der immer noch glotzenden Frau zurück. Ich könnte wetten, dass Frauen täglich Wunder für sein Ego vollbrachten. Ein unbehagliches Gefühl machte sich in mir breit, als jemand meinen Kunstpelz und meine Handtasche auf den Tresen legte.

Elektroschocks können nicht so schlimm sein.

»Ziehen Sie Ihren Mantel an«, befahl er.

Ich hielt inne, um mir auf die Zunge zu beißen, weil ich bereits mit einem Arm im Ärmel steckte.

Er nahm meine mit Pailletten besetzte Crossbody-Handtasche vom Tresen und betrachtete die falschen Pfauenfedern, als könnten sie Malaria übertragen. Ich hatte die Tasche selbst gemacht und fand sie schön. Ich nahm sie ihm aus den Händen, hängte sie mir über die Schulter und ging zum Ausgang.

Plötzlich blieb ich stehen, drehte mich um und schlenderte zurück zum Tresen, wobei ich meine High Heels auszog. »Könnten Sie dafür sorgen, dass meine Zellengenossin – sie nennt sich Cherry – die bekommt?«

Die Polizistin sah mich mit ausdrucksloser Miene an.

Ich sie ebenfalls.

Sie blickte über den Tresen auf meine nackten Füße mit den weißlackierten Nägeln und rückte dann raschelnd ihre gestärkte Uniform zurecht. »Es hat die ganze letzte Stunde über geschneit.«

Ich blinzelte.

»Sie wollen einer opioidabhängigen Prostituierten« – sie kippte den Schuh, um hineinzusehen – »Jimmy Choos schenken?«

Ich strahlte. »Ja, bitte.«

Sie verdrehte die Augen. »Na klar.«

»Toll«, rief ich. »Danke!«

Als ich mich umdrehte, traf mich ein Blick, der so kühl war, dass er die meisten Frauen garantiert zum Frösteln gebracht hätte. Der FBI-Mann nickte knapp in Richtung Ausgang.

Ich seufzte. »Na gut, Officer, aber nur weil Sie so freundlich darum gebeten haben.«

»Agent«, berichtigte er.

»Agent – und weiter?« Ich stieß die Tür auf. Schnee bedeckte den Parkplatz und glitzerte im Licht der vierarmigen Laternen. Die Dezemberluft griff mit eisigen Fingern nach meinen nackten Beinen und versuchte, mich zu umfangen.

Er betrachtete die Szenerie über meinen Kopf hinweg und blickte dann, mit zweifelndem Blick, auf meine nackten Füße.

»Allister.«

»Welches ist Ihr Auto, Agent Allister?«

»Der silberne Mercedes am Straßenrand.«

Ich machte mich bereit. »Könnten Sie ihn vielleicht entriegeln?«

Bevor er antworten konnte, rannte ich bereits zu seinem Wagen, während mir die beißende Kälte in die Füße drang und sein ausdrucksloser Blick mir ein Loch in den Rücken brannte.

Er hatte die Türen nicht entriegelt.

Ich hüpfte von einem Fuß auf den anderen und zerrte am Türgriff auf der Beifahrerseite, während er, ohne die geringste Eile, auf mich zukam.

»Öffnen Sie die Tür«, sagte ich, während mein Atem in der kalten Luft Wolken bildete.

»Hören Sie auf, an dem Türgriff zu zerren.«

Ups.

Die Tür ging auf, und ich glitt auf den Sitz und rieb meine Füße am Teppich, um sie aufzuwärmen.

Sein Wagen roch nach Leder und nach ihm. Ich war mir sicher, er benutzte ein speziell für ihn kreiertes Rasierwasser, das zu seinem Anzug passte, aber das war es wert. Es war ein angenehmer Duft, der mich leicht benommen machte, bis ich das Gefühl mit einem Blinzeln vertrieb.

Er hatte auf dem Fahrersitz Platz genommen und die Tür geschlossen, und ich ignorierte die Art, wie seine Gegenwart mich zu verschlingen drohte.

Schweigend fuhren wir von der Polizeiwache weg – ein angespanntes, aber beinahe angenehmes Schweigen.

Ich wühlte in meiner Handtasche und fand einen Kaugummi. Das Rascheln des Einwickelpapiers erfüllte das Auto. Er hielt den Blick auf die Straße gerichtet, doch die Andeutung eines Kopfschüttelns vermittelte mir, wie lächerlich er mich fand.

Mit der Meinung konnte er sich hinten an eine lange Schlange anstellen.

Ich schob mir den Kaugummi in den Mund und ließ meinen Blick über das makellose Innenleben des Autos wandern.

Nicht eine zerknüllte Quittung. Oder ein Getränk. Oder ein Staubkorn. Entweder hatte er gerade jemanden umgebracht und versuchte, seine Spuren zu verwischen, oder er war ein wenig zwanghaft.

Ich war schon immer zu neugierig.

Ich zerknüllte das Kaugummipapier und machte eine Bewegung, um es in seinen Becherhalter fallen zu lassen. Der Blick, den er mir zuwarf, hätte töten können.

Es war wohl Letzteres: Zwanghaftigkeit.

Ich ließ das Papier in den Untiefen meiner Handtasche verschwinden.

Während ich die Beine übereinanderschlug, machte ich mit dem Kaugummi eine Blase.

Ließ sie platzen.

Das Schweigen war so ohrenbetäubend, dass ich die Hand in Richtung Radio ausstreckte, aber erneut ließ mich der Blick, den er mir zuwarf, meine Meinung ändern. Ich seufzte und lehnte mich in den Sitz zurück.

»Sagen Sie mir, wie lange Sie verheiratet sind.«

Ich starrte geradeaus auf die Windschutzscheibe.

Dieser Mann fragte nicht mal – er wies einen nur an, dass man ihm zu sagen hatte, was er wissen wollte. Allerdings ließ die Stille zu viel Raum für Gedanken, und ich antwortete: »Ein Jahr.«

»Ziemlich jung, um zu heiraten.«

Ich betrachtete meine Fingernägel »Ja, schon möglich.«

»Sie stammen also aus New York.«

»Schön wär’s«, murmelte ich.

»Mögen Sie Ihren Geburtsort nicht?«

»Was ich nicht mag, ist, dass Sie versuchen, mir mit Small Talk Dinge zu entlocken. Ich habe Ihnen nichts zu sagen, also können Sie mich auch gleich wieder ins Gefängnis zurückbringen.«

Sein Arm streifte meinen, der auf der Mittelkonsole ruhte, und ich wich vor der Berührung zurück und schlug die Beine andersherum übereinander. War sein Auto klein, oder lag es an mir? Die Heizung lief auf niedrigster Stufe, aber dennoch glühte meine Haut. Ich schlüpfte aus dem Mantel und warf ihn auf die Rückbank.

Er blickte mich von der Seite an. »Nervös?«

»FBI-Männer machen mich nicht nervös, Allister. Sie verursachen mir Ausschlag.«

Ich ignorierte seinen Blick, der mich von den lockigen Wellen meiner Haare über die rote Spitze bis zu meinem Bauch, den ein diamantbesetztes Nabel-Piercing schmückte, und runter zu meinen nackten Füßen abtastete.

»Wenn Sie sich etwas weniger wie eine Hure anziehen würden, hätte Sie der Polizist, der Sie angehalten hat, vielleicht nicht durchsucht.«

Ich zog den Kaugummi mit den Zähnen von meinem Finger und lächelte ihn an. »Wenn Sie weniger wie ein analfixiertes Arschloch aussähen, würden Sie vielleicht ab und zu flachgelegt.«

Er deutete ein Lächeln an. »Schön zu hören, dass es doch noch ein wenig Hoffnung für mich gibt.«

Ich verdrehte die Augen und wandte den Kopf ab, um aus dem Fenster zu sehen.

»Scheint ein besonderer Anlass heute Abend gewesen zu sein«, sagte er gedehnt.

»Nein.«

»Nein? Laufen Sie an einem normalen Tag so hergerichtet herum?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Kann schon sein.«

»Wie bezahlen Sie das?«

»Mit Geld.«

Ich machte eine Blase.

Ließ sie platzen.

Seine Kiefermuskeln spannten sich an, und ich empfand eine gewisse Befriedigung.

»Haben Sie deswegen Ihren Mann geheiratet?« Unsere Blicke trafen sich. »Wegen Geld?«

Wut machte sich in mir breit, und ich verweigerte eine Antwort. Aber nach seiner nächsten Frage konnte ich mich nicht länger zurückhalten.

»Sind Sie wenigstens eine treue Golddiggerin?«

Golddiggerin?

»Als hätte ich je eine Wahl gehabt! Vaffanculo a chi t’è morto!«

Der Blick, den er mir zuwarf, war dunkel und sengend heiß.

Ich presste die Lippen aufeinander.

Verdammt.

Er hatte kaum eine Unterhaltung angefangen, und schon hatte er mich dazu gebracht, zuzugeben, dass ich nicht wirklich die Wahl gehabt hatte, was die Heirat mit Antonio betraf.

»Hat Ihre Mutter Ihnen nie den Mund mit Seife ausgewaschen?«

Ich antwortete nicht. Wenn ich ihm sagen würde, dass meine Mamma die Beste war, würde er daraus folgern, dass mein Papà mich eher für drei Tage in einem Zimmer einschließen würde, als mir zuzuhören.

»Dummer Zug, Geschwindigkeitsüberschreitung unter Drogeneinfluss.«

Ich grinste spöttisch. Ich wollte ihn ignorieren, konnte mir aber eine Antwort nicht verkneifen. Ignoriert zu werden fühlte sich wie ein Messerstich an, und der Gedanke, dass ich jemanden so behandelt hatte, machte mich krank. Schon amüsant, da ich diesem Mann gerade gesagt hatte, dass er seine verstorbenen Angehörigen ficken solle. Italiener waren schon immer sehr kreativ, wenn es um Flüche ging.

»Ich war drei Meilen zu schnell.«

Er trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. »Wer hat Ihnen denn das Fahren beigebracht? Hat die Cosa Nostra nicht lieber dumme und unterwürfige Frauen?«

»Da mein Ehemann es mir beigebracht hat, offensichtlich nicht.«

Ich würde nicht zugeben, dass Antonio mir mehr Freiheiten zugestand, als sie irgendeine andere Ehefrau in der Cosa Nostra von ihrem Mann bekam. Antonio gab mir viele Dinge. Vielleicht war das der Grund, warum es mir schwerfiel, ihn für das zu verachten, was er wegnahm.

»Wie wird er reagieren, wenn Sie nach der Entlassung nach Hause kommen?«

»Wie wird Ihre Mutter reagieren, wenn Sie erst nach der Sperrstunde nach Hause kommen?«

»Beantworten Sie die Frage.«

Ich biss die Zähne zusammen und versuchte, die aufkommende Wut zu unterdrücken, indem ich die Sonnenblende herunterklappte und mein Haar im Spiegel richtete. »Fragen Sie, ob mein Mann mich öfter schlägt? Nein, tut er nicht.« Öfter war das Stichwort, also hatte ich rein technisch die Wahrheit gesagt.

Sein Blick brannte auf meiner Wange. »Sie sind eine schlechte Lügnerin.«

»Und Sie nerven mich, Allister.« Ich knallte die Sonnenblende hoch.

Die Atmosphäre wurde angespannt und klaustrophobisch, die Gegenwart seines groß gewachsenen Körpers und seine geschmeidigen Bewegungen erdrückten mich beinahe.

»Liebt er Sie?«

Die Frage klang so gleichgültig, als hätte er mich nach meiner Lieblingsfarbe gefragt. Dennoch traf sie mich wie ein Schlag in die Magengrube. Ich starrte stur geradeaus, während es in meiner Kehle heftig brannte. Er hatte einen Schwachpunkt gefunden und würde so lange nachbohren, bis ich blutete. Abscheu hinterließ einen säuerlichen Geschmack in meinem Mund.

Ich würde Elektroschocks dem hier jederzeit vorziehen.

Plötzlich verachtete ich diesen Mann dafür, dass er mich mit seinen dummen Fragen wirklich getroffen und mir Dinge entlockt hatte, die ich niemandem sonst offenbart hätte.

Ich blies eine Blase.

Ließ sie platzen.

In diesem Moment reichte es ihm.

Er zog mir den geplatzten Kaugummi direkt von den Lippen und warf ihn aus dem Fenster.

Ich starrte ihn an und kämpfte dagegen an, über die Stelle zu lecken, die von seiner verwirrenden Berührung brannte. »Das ist Umweltverschmutzung.«

Er warf mir einen gleichgültigen Blick zu.

Agent Allister war die Umwelt egal.

Keine Überraschung.

Er legte die Hand wieder auf das Lenkrad, und ich fragte mich unvermittelt, wie schwer seine Zwangsstörung war und ob er zu Hause meinen Speichel mit Bleichmittel von den Händen schrubben würde. Doch es langweilte mich rasch, über den FBI-Mann nachzudenken, und ich drehte den Kopf weg und betrachtete durch das Fenster den orangefarbenen Schimmer der vorbeiziehenden Straßenlaternen und die Schneeflocken, die wie winzige Schatten in der Dunkelheit fielen.

»Wie oft?«

Eine unbestimmte Frage, aber an seinem Tonfall erkannte ich, dass er wieder am Ausgangspunkt angelangt war und danach fragte, wie oft mein Ehemann mich geschlagen hatte.

»Jede Nacht«, sagte ich anzüglich. »Er bringt mich dazu, so laut zu schreien, dass ich die Nachbarn aufwecke.«

»Ah ja? Gefällt es Ihnen, mit einem Mann ins Bett zu steigen, der so viel älter ist als Sie?«

Eine tiefsitzende Verärgerung loderte in mir auf. Ich beugte mich zum Radio vor, schaltete es ein und antwortete kühl: »Ich bin sicher, dass er mehr Ausdauer hat als Sie.«

Er ließ sich zu keiner Erwiderung herab. Ich hörte nur für einen Moment irgendeine Politik-Talkshow, bevor er das Radio ausschaltete. Welcher Unmensch würde sich so etwas anstelle von Musik anhören?

Das Schweigen dauerte nicht lange, bevor er es erneut brach. »Ihr Stiefsohn ist älter als Sie«, bemerkte er. »Muss seltsam sein.«

»Nicht wirklich.«

»Sie haben wahrscheinlich mehr mit ihm gemeinsam als mit seinem Vater.«

»Da täuschen Sie sich«, antwortete ich gelangweilt von der Unterhaltung und diesem Mann. Das war die schlimmste Bestrafung überhaupt. Ich würde niemals mehr Koks anrühren.

»Sie haben ein Jahr lang unter demselben Dach mit ihm gelebt. Sie sind ungefähr im gleichen Alter. Wenn sie schon keine intellektuellen Gemeinsamkeiten haben, dann doch sicher körperliche.«

Ich lachte auf. Nico und ich? Nicht in einer Million Jahren.

Dummerweise hatte ich damals nicht gewusst, dass es nur ein Jahr brauchte.

»Nehmen Sie meine Akte abends mit nach Hause, Officer?«

Keine Antwort.

Als die Gegend immer vertrauter wurde, meldete sich in meinem Hinterkopf ein Warnsignal. Ein eisiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus, und als wir in meine Straße einbogen, überkam mich ein tiefes und eindeutiges Gefühl. Wut. Tief und voller Abscheu. Er hat mich in dem Glauben gewiegt, dass er der ehrenwerte FBI-Mann sei, dabei war er nur eine weitere Figur, die mein Ehemann in der Tasche hatte. Er fuhr vor meinem Haus an den Straßenrand und parkte den Wagen.

Mein Groll war so deutlich wahrnehmbar wie der Geruch des Leders und seines Rasierwassers. Ich war sicher, er konnte es spüren, als er sich umdrehte und mich ansah. Sein Blick war trocken wie Gin, aber darin brannte ein Licht, als ob jemand ein angezündetes Streichholz in das Glas geworfen hätte. Blau. Der Blick packte mich im Nacken und drückte mich unter Wasser.

Ich atmete langsam ein. Und wieder aus.

Der unerwartete Eindruck, dass ich diesem Mann zuvor begegnet war, überwältigte mich. Allerdings verschwand dieser Gedanke schnell wieder. Es wäre unmöglich, dieses Gesicht zu vergessen, egal wie sehr ich seine Gegenwart verdrängen wollte.

»Sie haben in meinem Privatleben herumgeschnüffelt«, knurrte ich und nahm meinen Mantel vom Rücksitz.

»Sie haben meine Zeit verschwendet, also hatte ich das Recht dazu.«

Zweifel keimte in mir auf. Keiner der Männer, die für meinen Ehemann arbeiteten, hätte mir solche Fragen gestellt und es dann noch sein Recht genannt.

Meine Stimme klang freundlich, dennoch troff sie vor Gehässigkeit. »Sagen Sie, Agent Allister, wann ist Ihnen klar geworden, dass Sie kein Mensch sind?«

Ein Anflug von Belustigung funkelte in seinen Augen.

»An dem Tag, an dem ich geboren wurde, Sweetheart.« Das Funkeln verschwand urplötzlich. »Wenn Sie nicht zurück in den Knast wollen, verschwinden Sie aus meinem Wagen.«

Ich biss mir auf die Lippen, öffnete aber die Tür und stieg aus. Die kalte Brise zerzauste meine langen dunklen Haare. Die Straße war schneebedeckt, und ich genoss das Brennen meiner nackten Füße. Ich drehte mich um und blickte ihn mit der größtmöglichen Geringschätzung an.

»Fahren Sie zur Hölle, Allister.«

»Da war ich schon, Russo, und ich war nicht sonderlich beeindruckt.«

Große Worte, aber ich glaubte ihm. Seine Augen waren aus dem gleichen Stoff, aus dem Albträume sind, Eis und Feuer und voller Geheimnisse, die niemand wissen wollte. Nur sein zu gut geschnittenes Gesicht ließ ihn als normal durchgehen – ansonsten wäre er irgendwo eingesperrt, weil die Welt ihn sähe, wie er wirklich war.

Dreckig.

Seine Abschiedsworte waren kurz und teilnahmslos. »Wenn man Sie noch einmal mit Drogen schnappt, werde ich Sie nicht retten. Ich werde Sie in einer Zelle verrotten lassen.«

Er log nicht.

Das nächste Mal rettete er mich nicht.

3

Gianna

22 Jahre alt

Oktober 2013

Dunkelheit. Tintenschwarz und zäh dringt sie in mein Unterbewusstsein.

Oft war es eine Flucht vor der Realität; ein Trost in alldem Wahnsinn. Aber dieses Mal flüsterte sie mir zu – sagte mir, ich solle jetzt nicht aufwachen, ich solle niemals aufwachen.

Dummerweise war ein durchdringendes, fernes Geräusch lauter. Ich blinzelte, schloss die Augen jedoch wieder, als der Schmerz sich wie ein Messer in meinen Kopf bohrte.

Rrring. Rrring.

Ich stieß ein Knurren aus, und ich drehte mich um, wobei meine Hand auf einer nackten Brust landete. Etwas regte sich, und ein Puzzleteil fiel an seinen Platz.

Rrring. Rrring.

Ich strich mit gespreizten Fingern über die Brust. Zu warm. Zu weich. Etwas stimmt nicht.

Rrring. Rrr…

»Was zur Hölle willst du?«, knurrte eine männliche Stimme.

Blut und mein Herz erstarrten zu Eis – und mit einem Mal zerbrach meine Welt um mich herum.

Ich riss die Augen auf, da der Schmerz in meinem Kopf stärker war als der, der in meiner Brust aufkeimte.

Ich sah alles wie in Momentaufnahmen. Mein Kleid auf dem Boden. Das Licht, das durch einen Spalt in der Jalousie fiel. Nackte Haut. Meine. Seine.

Ich zog das Laken enger um mich, während mein Magen rebellierte.

Er beendete das Gespräch, warf das Telefon auf den Nachttisch und schloss die Augen. Nach einem Moment, in dem die Spannung im Zimmer fast mit Händen zu greifen war, öffnete er sie abrupt wieder und sah mich an. Wir starrten einander an, während eine ohrenbetäubende Stille meine Haut berührte.

»Herrgott«, stammelte Nico und schloss die Augen erneut. Ich beugte mich über die Bettkante und erbrach meinen gesamten Mageninhalt. Die Säure brannte in meiner Kehle, und ich wischte mir mit dem Handrücken über den Mund.

Eine Schande.

Wertlos.

Nicht liebenswert.

Hure.

Es ist nicht passiert.

Lüge, flüsterte die Dunkelheit.

Ich konnte die Abdrücke – Hände, Zähne, Lippen – überall spüren, wie sie über meine Haut und in meine Seele krochen, mit Klauen aus Herzschmerz und Metall.

Als ich die Augen öffnete, blickte ich auf ein benutztes Kondom auf dem Boden.

In meinen Ohren klingelte es, meine Lunge zog sich zusammen, und ich bekam keine Luft. Ich packte die Laken, und Panik zerriss mir die Brust.

»Gianna …«

»Ich habe ihm alles gegeben«, heulte ich, während mir Tränen über die Wangen liefen.

»Scheiße«, murmelte er, stand auf und zog sich ein Paar Boxershorts an. Er war im Begriff, mein Kleid aufzuheben, ließ es aber wieder fallen, als er sah, dass ich es vollgekotzt hatte.

»Ich war noch Jungfrau, als ich ihn geheiratet habe. Ich war ihm treu.«

»Ich weiß.«

Die Bilder von gestern kamen mit aller Macht zurück. Unser Zimmer. Mein Ehemann. Sie. Jemand, der für mich zur Familie gehört hatte. Ich hatte immer gewusst, dass es andere Frauen gab … aber warum sie? Der Verrat schnitt mir in die Brust wie eine frische, brennende Wunde. Tränen fielen auf meine Lippen und schmeckten salzig.

»Es war nicht genug«, flüsterte ich. Ich bin niemals genug.

»Nichts ist jemals genug für meinen Vater, Gianna«, sagte er. »Du weißt das.«

Als ich Nico zusah, wie er ein T-Shirt aus der Kommode nahm, schnürte sich mir die Kehle zu, denn manchmal erinnerte mich seine Haltung an Antonio.

Ich liebte meinen Ehemann, aber er liebte mich nicht. Vielleicht war Agent Allister schuld daran, der mir ein Jahr zuvor die Idee eingegeben hatte, doch irgendwie war es der Schmerz gewesen, der mich hierhergeführt hatte. Zu dem Sohn meines Mannes.

Die Panikattacke erhob ihr Haupt und raubte mir die Luft zum Atmen. »Wie ist das passiert?«

»Ernsthaft? Muss ich dir das erklären?«

»Das ist kein Witz, Ace.«

»Ich lache nicht, Gianna.«

Er legte das T-Shirt in meinen Schoß, hockte sich neben mein Erbrochenes und nickte zu meinem Mund. »Hat Papà dir das angetan?«

»Ich fuhr mit der Zunge über den Riss an meiner Unterlippe. »Ich hab ihm eine Vase an den Kopf geworfen und ihn einen gemeinen Betrüger genannt.«

Ace machte ein amüsiertes Geräusch. »Natürlich.«

Agent Allister hatte Recht behalten. Aus einem Schlag waren Schläge geworden. Und aus irgendeinem Grund verachtete ich den Mann, als ob er der Auslöser für all das wäre. Ich hatte ihn seit einem Jahr nicht mehr gesehen, aber die Wut auf ihn schlummerte immer noch dicht unter der Oberfläche.

»Du wirst ihm nichts erzählen«, sagte Nico.

Ich antwortete ihm nicht.

»Wenn du es tust, werde ich dir das Leben zur Hölle machen.«

Ein bitteres Lachen entfuhr mir. Meine beste Freundin vögelte meinen Ehemann. Wie sollte es noch schlimmer werden?

Er nahm mein Kinn und drehte mein Gesicht zu sich. »Wir wissen beide, dass du seine ganze Wut abbekommen wirst, nicht ich.«

»Das ist meine Entscheidung.«

Er ließ die Hand sinken, seufzte und stand auf. »Na schön, aber ich habe dich gewarnt. Ich werde auch kein Mitleid mit dir haben.«

Ich nahm sein T-Shirt und zog es über, während er damit beschäftigt war, die Schublade seines Nachttischs zu durchsuchen.

»Warum, Ace?«, flüsterte ich.

Wie konntest du das nur geschehen lassen?

Ich wusste, warum. Ich war ein Fiasko. Alles, was ich tat, war falsch. Aber Nico? Er hatte immer einen klaren Kopf. Er behielt bei allem, was er tat, stets die Kontrolle.

»Ich war betrunken, Gianna. Völlig betrunken. Und um ehrlich zu sein, ich bin es noch.«

Er zündete eine Zigarette an, die Spitze glomm rot und wütend. Als er die Jalousien öffnete und das Licht das Zimmer erhellte, fiel ein weiteres Puzzleteil an seinen Platz. Rote Kratzspuren bedeckten seine Hände und seine Arme. Blut. Ich wusste nicht, was es bedeutet, ein Mafioso zu sein, aber ich hatte lange genug unter ihnen gelebt, um zu wissen, dass es nicht einfach war. Dass manchmal der Tribut alle auf einmal traf.

»Du siehst wie dein Papà aus.« Die Worte rutschten mir einfach so raus, sanft, aber doch so harsch in dem sonnendurchfluteten Zimmer. Die nächtlichen Sünden klangen bei Tag niemals so gut.

Er blies den Rauch aus, und in seinen Augen blitzte ein Funken von trockenem Humor auf. »Verdammt.« Er schüttelte den Kopf. »Bist du deswegen gestern Nacht hier gelandet?«

Stroboskoplichter. Dreckige Badezimmerfliesen. Pulver. Ein Schweißtropfen lief an meinem Rücken herunter. Eine weiße Pille aus einer Tüte, die ich angenommen hatte. Dann nichts.

»Ich weiß nicht«, flüsterte ich.

»Nun, was immer es auch war, ich hoffe, es hat dir was gebracht, Gianna. Weil wir nämlich beide zur Hölle fahren werden.« Er drückte seine Zigarette auf der Fensterbank aus und verließ das Zimmer.

Ich schloss die Augen und versuchte das Puzzle fertigzustellen, den Rest der Nacht zu rekonstruieren. Aber alles, was ich sehen konnte, war Dunkelheit. Eine Dunkelheit, die mir zuflüsterte, einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen.

Niemals wieder.

*

Als ich an diesem Morgen nach Hause kam, lag auf unserem Bett eine Pralinenschachtel mit einer entschuldigenden roten Schleife. Das gleiche Bett, auf dem mein Mann meine beste Freundin von hinten genommen hatte.

Ich kroch unter die Decke und aß alle Pralinen auf.

Die Tage vergingen, verschwommene Farben und Gefühle und ein Geheimnis nagten an mir. Alles stand kopf, als würde man die Welt verkehrt herum von einem sich drehenden Karussell betrachten.

Es waren schlimme Tage. Kalt. Einsam. High.

Antonio hatte sich nur einmal blicken lassen. Er kam spät ins Bett und schlief sofort ein. Ich hatte an die Decke gestarrt, bis die Sonne durch die Jalousien fiel, das Bett sich bewegte und er genauso leicht verschwand, wie er gekommen war.

Kurz darauf sank ich in den Schlaf.

Grelles Licht ging an, und ein Luftzug traf mich, als die Decke weggezogen wurde. Ich gab ein Protestgeräusch von mir, das in einem Schwall kaltem Wasser unterging.

»Levàntate!«

Ich prustete, während sich mehr Wasser über mich ergoss. Ich wischte mir über die Augen, und als ich sie öffnete, sah ich Magdalena mit einer großen Rührschüssel neben dem Bett stehen.

Ein Schauder durchfuhr meinen Körper, und ich spuckte Wasser.

»Bist du verrückt?«, keuchte ich.

Sie ließ die Schüssel fallen und strich über ihre schlichte weiße Uniform. »Sí. Pero non tan loca como tú.«

In meinem Kopf pochte es. Ich war klatschnass und aufgebracht, und meine Worte klangen harscher als beabsichtigt. »Du weißt, dass ich kein Spanisch spreche, Magdalena.«

»Porque eres demasiado tonta.«

Weil du zu dumm bist.

Ich verstand diesen Satz nur, weil sie fand, dass er die passende Antwort auf alles war.

Mit einem Knurren ließ ich mich auf die nassen Laken zurücksinken. »Ich habe keine Ahnung, wer es für eine gute Idee gehalten hat, dich einzustellen. Du bist respektlos und, ganz offen gesagt, ein schlechtes Dienstmädchen.«

Die Sechzigjährige rümpfte die Nase. »Ich bin kein Dienstmädchen. Ich bin eine Haushälterin.«

Ich war mir sicher, dass das keinen Unterschied machte, aber ich hatte nicht die Kraft, mich mit ihr zu streiten.

»Dann geh, kümmere dich um das Haus, und lass mich in Ruhe.«

Sie strich eine graue Haarsträhne zurück und sah auf ihre Fingernägel. »Sie gehen heute auf eine Party, querida.«

»Nein«, protestierte ich. »Keine Party.«

»Sí …«

»Ich gehe auf keine Party, Magdalena«, sagte ich und fügte hinzu: »Ich habe nichts anzuziehen.« Zumindest nichts, durch das meine Seele nicht bluten würde.

»Nein, nichts Anständiges«, stimmte sie zu und fixierte mich mit ihren Augen, die dunkel wie Schokolade waren. »Es geht um Krebs. Una cena benéfica.«

Mir drehte sich der Magen um. »Ein Wohltätigkeitsessen für Krebs?«

»Sí. Antonio hat angerufen und angeordnet, dass Sie um acht bereit sein sollen.«

Angeordnet?

Unter anderen Umständen, zum Beispiel bei einer Veranstaltung zum Schutz der Meeresschildkröten – meiner zweitliebsten Wohltätigkeitsarbeit –, hätte ich ihm gesagt, dass er mich mal kann. Die Wahrheit war, ich verabscheute Krebs, doch mein Ehemann hatte eine Menge Geld.

»Schön, ich werde gehen. Aber nur, um einen fetten Scheck auszustellen.«

Ich stand auf und gab der leeren Pralinenschachtel im Vorbeigehen einen Tritt. Sie landete unter dem Bett, zusammen mit meinen anderen Dämonen.

»Bueno. Sie sind die ganze Woche faul gewesen, Señora. Das wirkt nicht anziehend.«

In dem begehbaren Kleiderschrank schob ich ziellos Bügel mit Kleidungsstücken hin und her. »Danke, Magdalena«, antwortete ich, »aber hier gibt es niemanden, für den ich anziehend sein wollte.«

Sie kramte in der Schublade mit meiner Unterwäsche. »Weil Antonio mit Sydney schläft?« Ein String aus Spitze baumelte von ihrem Finger. »Welche Farbe soll es sein, querida? Rot wäre passend.«

Der Schraubstock um mein Herz zog sich zusammen.

»Wie ich sehe, hat man dir nicht nur Putzen, sondern auch Feingefühl beigebracht«, sagte ich und fügte hinzu: »Hautfarben, bitte.«

»Ich putze nicht.«

»Genau«, murmelte ich, während ich ein weites schwarzes Top, das bauchfrei war, mit einem passenden, geschlitzten Rock, den ich aus einem alten Nirvana-T-Shirt gemacht hatte, kombinierte. Zusammen mit Thigh High Boots wäre es perfekt.

Ich legte die Sachen aufs Bett und ging ins Bad.

Magdalena kam hinterher. »Ich wusste von Anfang an, dass sie keine gute Freundin für Sie wäre.« Da war etwas in ihren Augen. Man kann es immer an den Augen erkennen. »Ich habe es Ihnen gesagt, aber Sie wollten nicht hören.«

Ich unterdrückte ein Augenrollen. Magdalena liebte Sydney und sagte mir dauernd, dass ich mich mehr wie sie benehmen sollte, dass mich mein Ehemann dann vielleicht lieben würde. Meine Haushälterin war eine gewohnheitsmäßige Lügnerin, ein bisschen verrückt und dennoch der normalste Mensch in diesem Haushalt.

Ich wünschte, sie hätte mich tatsächlich gewarnt.

Vielleicht würde es dann nicht so schrecklich wehtun.

Ich hatte einen Kloß im Hals, und Betrug brannte hinter meinen Augen.

Ich umklammerte die Kante des Waschbeckens, gelb lackierte Fingernägel bildeten einen krassen Gegensatz zu dem ganzen Durcheinander auf der Ablage. Dollarscheine, das Schimmern einer Neun-Millimeter, rosa Rouge, ein Tütchen und Spuren von weißem Pulver.

Ich starrte ausdruckslos in den Spiegel.

Von meinem aschblonden Haar tropfte Wasser über olivfarbene Haut. Ich blickte meinem Spiegelbild in die Augen, und meine Seele starrte zurück.

Man kann es immer an den Augen sehen.

Magdalena stellte die Dusche an. »Sie riechen nach Schwermut, querida. Waschen Sie sie ab, dann werde ich mich um Ihre Haare kümmern.«

Ich trat unter die Dusche.

Und wusch sie ab.

*

Die Absätze meiner Stiefel klackten auf dem Marmorfußboden, während ich mich zwischen silbernen Tabletts mit Champagnerflöten hindurchschob, die in der romantischen Beleuchtung funkelten. Ein kleines Orchester in der Ecke des Ballsaals spielte in einem leisen, langsamen Rhythmus, der es ermöglichte, den langweiligen Gesprächen zu folgen.

Mein Herz war wie betäubt, aber in meiner Mitte erwachte eine nervöse Unruhe zum Leben. Ich hatte Antonios Anweisung ignoriert, ihn im Club zu treffen, damit wir gemeinsam auf der Veranstaltung erscheinen konnten, und war stattdessen alleine gekommen.

Ich wollte ihn nicht sehen. Ich wollte nichts fühlen.

Und diese beiden Dinge kamen immer zusammen.

Ich war fast am Spendentisch angelangt, als mein Plan, kurz reinzugehen und wieder zu verschwinden, bevor mein Ehemann auftauchte, den Bach runterging.

»Gianna, du bist schön wie immer.«

Ich schloss für einen Moment die Augen. Ich wandte mich ihm zu und verzog die Lippen zu einem schüchternen Lächeln.

»Oh, du siehst aber auch süß aus, Vincent.«

Der neunundzwanzigjährige Eigentümer dieses noblen Hotels lachte.

»Süß, genau das, was ich immer erreichen wollte.«

Da ich hier nicht so schnell herauskommen würde, nahm ich mir ein Glas Champagner von einem der Tabletts. »Nun, das ist dir wirklich gelungen«, antwortete ich und warf einen Blick auf die Gruppe von Vincents Bekannten, die sich hinter ihm versammelt hatten.

Er strich über seine Krawatte, und in seinen Augenwinkeln erschienen Lachfältchen.

»Es gibt einen Grund, warum wir dich überfallen, und dabei geht es nicht darum, darüber zu reden, wie niedlich ich bin.«

Ich sah ihn mit gespielter Verwirrung an. »Probierst du einen neuen Gesprächsstil aus?«

Vincent und seine Gruppe lachten. Ich nippte an meinem Champagner.

Ich spürte ein Kribbeln in meinem Hinterkopf, und mein Blick glitt zu der Doppelflügeltür am Eingang des Ballsaals. Meine Hand mit dem Glas stoppte vor meinen Lippen.

Breite Schultern. Schwarzer Anzug. Klare Linien.

Blau.

In meiner Brust knisterte und funkte es wie bei einem Feuerwerkskörper auf heißem Asphalt.

Im Eingang stand Agent Allister mit einer Blondine an seiner Seite. Sie hielt sich an seinem Ellbogen fest, und er hatte seinen Blick unverwandt auf mich gerichtet.

Man kann es immer an den Augen erkennen.

In dem Moment beneidete ich ihn.

Seine waren ein Meer unter einer Schicht von Packeis, in dem nur die dunkelsten Kreaturen überleben konnten, während meine eine weite Ebene waren.

Er sah alles.

Jeden Bluterguss.

Jede Narbe.

Jeden Schlag in mein Gesicht.

Ich wollte kein Mitleid, doch was mich fast noch verrückter machte, war, dass ihn das alles kaltließ. Ich konnte mich nicht mehr an den Klang seiner Stimme erinnern, aber irgendwie konnte ich hören, was er mir jetzt sagen würde.

Reiß dich zusammen, Sweetheart. Du hast keine Ahnung, was Schmerzen sind.

Ein Gefühl der Verachtung pochte in meiner Brust.

Ich wusste, dass es unlogisch war, aber ich gab dem Mann die Schuld dafür, dass er mir die Idee eingepflanzt hatte, mit Nico zu schlafen.

Ich gab ihm die Schuld, weil es einfach war.

Ich gab ihm die Schuld, weil er so kalt war, dass es ihm nichts ausmachen würde.

Sein Blick registrierte die Männer, die um mich herumstanden. Er wandte den Blick ab, aber ich konnte einen Moment den Gedanken in seinem Blick lesen, bevor er und seine Blondine in der Menge verschwanden. Er dachte, ich würde flirten, die Männer anmachen. Er dachte, ich wäre untreu.

Und jetzt konnte ich das nicht mal leugnen.

Hass erfüllte meine Lunge und raubte mir den Atem.

»Ich habe ihnen gerade erzählt, wie wir uns kennengelernt haben«, sagte Vincent. »Du erinnerst dich?«

Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder der Gruppe zu, während etwas Heißes von meiner Brust den Arm hinabfloss. Mit einem gezwungenen Lächeln antwortete ich: »Selbstverständlich erinnere ich mich. Du hast gegen mein Pferd gewettet und natürlich verloren.«

»Stimmt.« Er senkte den Blick und räusperte sich lächelnd. »Aber ich rede davon, dass ich abgewiesen wurde und dich bat, mit mir nach Tahiti durchzubrennen. Und du hast Nein gesagt, weil du da schon gewesen warst und als Nächstes Bora Bora auf deiner Liste stände.«

Alle lachten wie aufs Stichwort.

Ich biss mir auf die Wange, um ein Lachen zu unterdrücken. »Ich habe versucht, dir eine Enttäuschung zu ersparen, aber es sieht so aus, als wärst du heute Abend versessen darauf, bestraft zu werden.«

»Scheint fast so«, lachte er. »Morticia ist erneut am Start, und ich wette immer noch, dass sie dieses Wochenende gewinnt.«

»Oh Vincent«, sagte ich enttäuscht, »du liebst es einfach, dein Geld zum Fenster rauszuwerfen, oder?«

Die Menge wurde immer größer, bis ich nicht mehr über die Köpfe hinausblicken konnte, während Wetten und Pferdestatistiken hin und her flogen.

»Gianna, kommst du dieses Wochenende zum Herbsttreffen?«

»Gianna, wirst du auf Blackie setzen?«

»Gianna, was ist mit der Afterparty?«

Es dauerte eine halbe Stunde, bis ich mich aus der Unterhaltung zurückziehen konnte, und währenddessen hatte ich zwei Gläser Champagner getrunken und musste pinkeln. Ich ging auf die Damentoilette und dann direkt zu dem Spendentisch; ich hoffte, meinen Scheck abgeben und dann einen unauffälligen Abgang machen zu können.

Als ich Allister sah, der mit dem Rücken zu mir direkt vor dem Tisch stand und mit einer der Verantwortlichen für die Spendengala sprach, blieb ich wie angewurzelt stehen. Ein zögerliches Gefühl überkam mich, und ich machte einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung, aber: Nicht mit mir! Ich hasste ihn, doch was ich noch mehr verabscheute, war, dass seine Gegenwart mich einschüchterte.

Wie um mir selbst etwas zu beweisen, schlenderte ich zu dem Tisch und blieb so dicht neben ihm stehen, dass mein Arm sein Jackett streifte. Er sah zu mir herunter, bevor er sich wieder der Dame mittleren Alters zuwandte, als wäre ich lediglich ein Teil der Deko.

»Nun«, sagte die blonde Gesellschaftsdame errötend, »meine Tochter lobt Sie in den höchsten Tönen, und ich bin so froh, dass Sie es einrichten konnten. Ich weiß, wie beschäftigt ein Mann wie Sie sein muss. Die Verbrechensrate nimmt in dieser Stadt von Jahr zu Jahr zu.«

»Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Ma’am.«

Ich konnte mir ein leises Kichern nicht verkneifen.

Allister sah nicht in meine Richtung, verzog aber leicht die Mundwinkel.

Ich hörte wieder seine Stimme und die Worte, die er mir vor einem Jahr gesagt hatte. Kultiviert, ein wenig rau mit einem amüsierten Unterton, als wüsste er immer etwas, von dem sein Gegenüber keine Ahnung hatte.

Die Dame sah für einen Moment in meine Richtung, bevor sie mich ausblendete und wieder den Agent anschaute, doch dann, als hätte sie erst jetzt das Gesehene verarbeitet, wandte sie sich mir wieder zu.

Sie sah mich, ohne zu blinzeln, an. »Entschuldigung … kann ich Ihnen helfen?«

Ich zog den unterschriebenen Scheck aus meinem BH und reichte ihn ihr. Sie hielt ihn mit spitzen Fingern an einer Ecke, bevor sie ihn entfaltete und auf den Betrag sah.

»Wow«, hauchte sie. »Das ist ausgesprochen großzügig. Haben Sie vielen Dank.« Sie schrieb etwas auf einen Zettel und reichte mir ein Klemmbrett. »Ich darf Sie bitten, noch dieses Formular auszufüllen.« Da ich es nur anstarrte, drängte sie: »Spenderdaten und eine Steuerbescheinigung.« Ihre Stimme wurde leiser. »Sie können dies von der Steuer absetzen.«

»Oh, ich zahle keine Steuern.«

Sie blinzelte.

Allister griff nach dem Klemmbrett. »Sie wird es ausfüllen.«

»Okay … sehr schön.« Sie trat einen Schritt zur Seite und verschwand dann.

»Denken Sie eigentlich auch mal nach, bevor Sie reden? Oder plappern Sie einfach drauflos?«

»Also«, antwortete ich grinsend, »nein, diesmal habe ich nicht nachgedacht. Aber woher sollte ich mich auch mit Steuern auskennen? Antonio sagt, er muss keine zahlen.«

»Jeder muss Steuern zahlen. Das ist Gesetz.«

»Oh, etwa jenes, das Sie so gut schützen?«

Er hielt mir das Klemmbrett hin. »Halten Sie die Klappe, und füllen Sie das Formular aus, bevor ich Sie wegen Steuerhinterziehung verhafte.«

»Wäre wohl kontraproduktiv, wenn man bedenkt, dass Sie mich wieder freilassen müssten, sobald mein Ehemann davon erfährt.«

Seine Kiefermuskeln spannten sich an. »Er ist Ihr Retter, oder?«

Bei seinem düsteren Tonfall wurde ich ganz angespannt – ein Tonfall, der mir das Gefühl gab, er wüsste mehr über mich, als er sollte.

»Er ist mein Ehemann«, antwortete ich, als wäre damit alles gesagt, obwohl es tatsächlich überhaupt nichts bedeutete.

Ich griff nach dem Klemmbrett. Er zögerte eine Sekunde, und sein Blick ruhte auf meinem Gesicht, bevor er losließ. Er wandte sich ab und sah sich im Ballsaal um, während er ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit an die Lippen hob.

Vermutlich Wasser, wenn man bedachte, was für eine Spaßbremse er war.

»Sie sehen aus, als hätten Sie sich auf dem Weg zu einem Grunge-Konzert verlaufen.«

»Zum Glück nicht«, sagte ich, während ich das Formular ausfüllte. »Ich wäre sauer, wenn ich es verpasst hätte.«

»Was ist mit Ihrem Haar passiert?«

»Bitte?« Ich zog einen Schmollmund. »Gefällt es Ihnen nicht? Ich habe das nur für Sie gemacht. Ich dachte, Sie mögen Blondinen.«

»Sie haben an mich gedacht?«, fragte er gedehnt.

»Jeden Tag, jede Stunde. Sie sind immer gegenwärtig, wie ein Pilz oder ein lästiges Insekt, das mir um den Kopf schwirrt.«

Er verzog einen Mundwinkel zu einem leichten Lächeln.

Ich legte das Klemmbrett weg, lehnte mich mit der Hüfte an den Tisch, stützte das Kinn auf den Kugelschreiber und blickte mich im Saal um. »Apropos, wo ist Ihre Blondine?«

Ich folgte seinem Blick zu der fraglichen Frau, die sich in der Mitte des Saals mit einer anderen unterhielt. Sie trug ein elegantes weißes Cocktailkleid und einen straffen Nackenknoten. Ihre Haltung war perfekt und ihr aktuelles Lächeln angespannt. Ich war mir sicher, dass sie niemals aus der Rolle fiel.

»Sie sieht … nett aus.«

Als ich aus dem Augenwinkel sein entwaffnendes Lächeln sah, erwachte etwas Heißes und Zögerliches in meinem Bauch. Das Gefühl verursachte mir umgehend einen schalen Geschmack im Mund.

Ich stieß mich vom Tisch ab. »Na schön, haben Sie einen angenehmen Abend. Ich würde ja toll sagen, aber ich versuche gerade, nichts zu äußern, was ich nicht so meine.«

»Sind Sie sicher, dass Sie nicht noch Ihre Schuhe spenden wollen, bevor Sie gehen?«

Ich sah auf meine Stiefel und schlug die Hacken zusammen wie Dorothy. Dummerweise brachte es mich nicht nach Hause. »Würde ich ja, aber ich glaube, die Mamma ihrer Freundin würde sie wegwerfen.«

Ich hob den Blick und sah, wie seine Augen von meinen Stiefeln zu der Handbreit nackter Haut an meinem Schenkel glitten. Es war emotionslos, abwägend und kaum anzüglich. Dennoch brannte die Berührung seines Blicks, als würde ein Eiswürfel in der Sommersonne auf nackter Haut schmelzen.

»Sie ist nicht meine Freundin«, sagte er und nahm einen großen Schluck von dem, was garantiert Wasser war.

»Ich würde ja sagen, armes Mädchen, aber …« Meine Augen funkelten wegen eben dieser neuen Sache, die ich ausprobierte, als ich mich anschickte, an ihm vorbeizugehen.

Seine darauffolgenden Worte, denen etwas Bitteres und Süßes anhaftete, brachten mich dazu, wie angewurzelt stehen zu bleiben.

»Ärger im Paradies?«

Meine Finger krampften sich um den Kugelschreiber, den ich noch immer in der Hand hielt.

Ich schluckte und strich mit dem Daumen über meinen bloßen Ringfinger.

Meine Ehe war eine Farce, aus der ich niemals entkommen konnte – Scheidung existierte für die Cosa Nostra nicht –, aber ich würde nicht durch einen Diamanten an meinem Finger gefesselt sein, dem Symbol der Liebe, wenn es keine gab. Zumindest keine, die erwidert wurde.