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Dieses Buch ist eine Dark Romance und wir empfehlen es für Leser:innen ab 18 Jahren. Bitte lest euch vorab die Triggerwarnung durch.
Sie gehört mir. Und ich werde jeden töten, der etwas anderes behauptet
Elena Abelli ist die perfekte Mafiaprinzessin. Sie ist anmutig, schön, jung und wird nicht ohne Grund die »süße Abelli« genannt. Als erstgeborener Tochter von Salvatore Abelli, dem Oberhaupt der mächtigsten Mafiafamilie von New York, steht ihr die Welt der Cosa Nostra offen - doch dann begeht sie einen folgenschweren Fehler, der ihr Leben für immer verändert. Nun muss sie dabei zusehen, wie ihre jüngere Schwester anstatt ihrer Nicolas Russo versprochen wird. Dem Mann, dessen Seele so abgründig ist wie die gesamte Mafia selbst. Bei ihrer ersten Begegnung mit dem jungen Don sieht sie jedoch etwas in seinem Blick, was sie noch nie gesehen hat. Da ist etwas Düsteres. Etwas, das ihr Herz zum Rasen bringt. Etwas, das Gefühle in ihr auslöst, die sie für den zukünftigen Ehemann ihrer Schwester nicht empfinden sollte. Und so sehr Elena auch versucht, sich von ihm fernzuhalten und nicht gleich den nächsten Skandal heraufzubeschwören, der ihre Familie in den Abgrund stoßen könnte, kann sie der dunklen Anziehungskraft von Nico Russo nicht widerstehen ...
»Eines der besten Mafia-Romance-Bücher, das ich je gelesen habe. Gefährlich, anziehend und dazu der Touch-her-and-you-die-Trope? Nicolas Russo ist einer DER Mafia-Book-Boyfriends!« ITSJESSAMESS
Band 1 der MADE-Reihe von Bestseller-Autorin Danielle Lori
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Seitenzahl: 591
Titel
Zu diesem Buch
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Widmung
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Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Danielle Lori bei LYX
Impressum
DANIELLE LORI
The Sweetest Oblivion
Roman
Ins Deutsche übertragen von Beate Bauer
Elena Abelli ist die perfekte Mafia-Prinzessin. Sie ist anmutig, schön, jung und wird nicht ohne Grund die »süße Abelli« genannt. Als erstgeborener Tochter von Salvatore Abelli, dem Oberhaupt der mächtigsten Mafiafamilie von New York, steht ihr die Welt der Cosa Nostra offen – doch dann begeht sie einen folgenschweren Fehler, der ihr Leben für immer verändert. Nun muss sie dabei zusehen, wie ihre jüngere Schwester anstatt ihrer Nicolas Russo versprochen wird. Dem Mann, dessen Seele so abgründig ist wie die gesamte Mafia selbst. Bei ihrer ersten Begegnung mit dem jungen Don sieht sie jedoch etwas in seinem Blick, was sie noch nie gesehen hat. Da ist etwas Düsteres. Etwas, das ihr Herz zum Rasen bringt. Etwas, das Gefühle in ihr auslöst, die sie für den zukünftigen Ehemann ihrer Schwester nicht empfinden sollte. Und so sehr Elena auch versucht, sich von ihm fernzuhalten und nicht gleich den nächsten Skandal heraufzubeschwören, der ihre Familie in den Abgrund stoßen könnte, kann sie der dunklen Anziehungskraft von Nico Russo nicht widerstehen …
Liebe Leser:innen,
The Sweetest Oblivion enthält Elemente, die triggern können.
Wir möchten euch darauf hinweisen, dass dieses Buch eine Dark Romance ist undexplizite Szenen, derbe Wortwahl, Darstellungen von Gewalt und Schilderungen von sexuellen Übergriffen enthält.
Hier findet ihr eine detaillierte Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Gebt bitte acht auf euch und lest diese nur, wenn ihr euch damit wohlfühlt. Hört beim Lesen auf euer Gefühl und wendet euch an jemanden, dem ihr vertraut, oder sucht euch professionelle Hilfe, wenn ihr merkt, dass es euch nicht gut geht.
Ihr seid nicht allein und wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Lesererlebnis.
Euer LYX-Verlag
Für AJ
Meine einzige Inspiration, um mich zu verlieben.
World Gone Mad – Bastille
Rocket Man – Elton John
Human – Aquilo
Waterfalls – Eurielle
Her Life – Two Feet
Like I’m Gonna Lose You – Jasmine Thompson
Madness – Ruelle
Fireworks – First Aid Kit
Seven Nation Army – The White Stripes
Dirty Diana – Shaman’s Harvest
Holocene – Bon Iver
Hurt for Me – SYML
Soldier – Fleurie
Long Island, New York
Mein Zuhause war malerisch. Eine rote Eingangstür mit einem goldenen Türklopfer. Ein schwarz-weiß gefliester Fußboden. Eine lackierte Holztreppe und ein funkelnder Kronleuchter. Doch hatte ich mich stets gefragt, was passieren würde, wenn ich eine Tapetenecke abzog; würde dann Blut hervorquellen? Wenn diese Welt so transparent wäre wie Glas, würden leise Tropfen eine Pfütze auf dem Marmorfußboden bilden.
Ich starrte auf den Fernseher in der Küchenecke, wobei ich kaum mitbekam, was die Stimme der Nachrichtensprecherin von sich gab, doch als ihr Mord über die roten Lippen perlte, hallte das Wort in meinem Kopf wider. Meine Kehle war wie zugeschnürt, während ich den Ring an meinem Mittelfinger drehte.
Obwohl mein Zuhause, mein Leben auf Bergen schmutzigen Geldes errichtet worden waren, hatte ich immer behaupten können, dass ich zum Ausgleich beitrug. Zumindest bis Anfang des Jahres. Jetzt klebte Blut an meinen Händen, und Schuld wachte über mich, während ich schlief.
Vom Foyer her drangen jedes Mal Stimmen an mein Ohr, wenn unsere Dienstboten durch die Schwingtür gingen, um das Mittagessen vorzubereiten.
Das schrille Lachen einer Frau, die weiche Klangfarbe meines Cousins Benito und eine Stimme, die ich beim Verlassen der Kirche heute Morgen wiedererkannt hatte. Sie war tief, samten und gleichgültig. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich wusste, sie gehörte meinem zukünftigen Schwager.
Und das war zum Teil – zur Gänze – der Grund dafür, dass ich mich in der Küche versteckte, auch wenn ich es niemals zugegeben hätte.
»Du bist zu schön für so eine grimmige Miene, Süße Abelli«, sagte meine Mamma, als sie den Raum betrat und das Stimmengewirr von unseren Gästen hereinließ.
Ich wand mich unter dem Gewicht ihrer Worte. Aus offensichtlichen Gründen hatte ich den Spitznamen eine Zeit lang nicht gehört. Ich war dem Namen ein wenig entwachsen, vor allem, nachdem mir klar geworden war, dass man mich aus den falschen Gründen vergötterte: Ich war nicht gerade hässlich, ich schwieg, wenn man es von mir erwartete, und ich war höflich, wenn ich es nicht sein wollte. Wie in einem Kleid aus der Kindheit, das nicht mehr passte, war ich eingezwängt in den Erwartungen vom Rest der Welt. Jahrelang fühlte ich mich wie ein hübscher Vogel in einem Käfig, bis alles zu viel wurde … und ich entfloh.
»Ich weiß nicht, wieso du dir das anschaust, Elena«, sagte Mamma, während sie die Soße auf dem Herd umrührte. »Dieser ganze Unsinn ist deprimierend.«
Mamma war mit Salvatore Abelli verheiratet – einer der bekanntesten Bosse eines der größten Verbrechersyndikate in den Vereinigten Staaten. Manchmal fragte ich mich, ob Mammas Naivität eine Weigerung war oder ob sie wirklich lieber Days of Our Lives schaute, als sich Gedanken über die Affären meines Papas zu machen.
»Ich weiß nicht, für wen ich bei den Wahlen stimmen soll«, antwortete ich zerstreut.
Sie schüttelte ungläubig den Kopf, und ich nahm an, dass es seltsam für die Tochter eines Mob-Bosses war, sich um die Gesetzmäßigkeiten der Regierung zu kümmern.
»Dein Papa ist nicht zufrieden mit dir«, sagte sie bedeutungsschwanger und blickte mich, die Lider leicht gesenkt, mit gekräuselten Lippen und ihrer berühmten Du-bist-in-Schwierigkeiten-Miene an.
»Wann ist Papa in letzter Zeit denn nicht unzufrieden mit mir?«
»Was erwartest du nach dem, was du getan hast?«
Sechs Monate waren inzwischen vergangen, und ich schwöre, sie erwähnte es jeden Tag. Sie war wie ein Hund mit einem Knochen, und ich war überzeugt davon, dass sie den Fehler auskostete, den ich gemacht hatte, denn endlich hatte sie etwas, wofür sie mich bestrafen konnte.
»Wieso hast du dich nach der Kirche dem Russen nicht vorgestellt?« Sie zeigte mit dem Löffel auf mich. »Ich glaube dir nicht, dass du es vergessen und unschuldig im Auto gewartet hast.«
Ich verschränkte die Arme. »Ich wollte einfach nicht. Er ist … ungehobelt.«
»Elena«, tadelte sie mich. »Du kennst ihn nicht einmal.«
»Jemanden mit seinem Ruf braucht man nicht persönlich zu kennen, um über seinen Charakter Bescheid zu wissen, Mamma.«
»Oh, Madonna, salvami«, murmelte sie.
»Und er wird Adriana nicht verstehen«, fügte ich unumwunden hinzu.
Sie schnaubte. »Nicht viele werden deine Schwester verstehen, figlia mia.«
Der Gärtner tat es allerdings … aber das würde ich Mamma nicht erzählen, sonst läge er am Ende des Tages auf dem Grund des Hudson.
Anfang der Woche hatte Papa verkündet, dass Adriana Nicolas Russo heiraten würde, den Don einer der fünf Familien von New York. Meine vergangenen Verfehlungen waren noch nicht ganz verheilte Wunden, doch diese Neuigkeiten sorgten dafür, dass sie wieder aufrissen.
Ich war die älteste Schwester; aus diesem Grund war es meine Pflicht, als Erste zu heiraten. Aber wegen meines Vergehens wurde meine Schwester den Wölfen zum Fraß vorgeworfen – und einem Mann von Ruf. Wenn jemand einen Ruf in dieser Welt hatte, bedeutete das vor allem eins: Halte dich unbedingt fern von ihm.
»Außerdem ist Nicolas der perfekte Gentleman. Wenn du ihn heute Morgen, wie von dir erwartet, kennengelernt hättest, wüsstest du das.«
Ich war direkt aus der Kirche zum Wagen marschiert, bevor man mich hätte einkreisen können, damit ich meinen zukünftigen Schwager kennenlerne. Ich war für meinen Vater im Grunde eine Ausgestoßene, weshalb ich überrascht war, dass er meine Abwesenheit überhaupt bemerkte. Abgesehen davon, war ich sicher, dass Nicolas Russos Gentleman-Gehabe reines Blendwerk war.
Seit Nicolas’ Vater vor fünf Jahren gestorben war, war der neunundzwanzigjährige und jüngste amtierende Don wohlbekannt in der Unterwelt. Auf seines Vaters Spuren wandelnd war er ein Betrüger, hatte mehr Blut an den Händen als der gesamte Strafvollzug vom Staat New York, und das ohne einen Funken Reue. Zumindest stellte ich mir vor, dass es ihm nicht leidtat. Der Nachrichtensprecher hätte nicht ein Jahr lang Morgen für Morgen ein weiteres Opfer mit Namen Zanetti verkündet – die Familie, mit der Nicolas sich früher bekriegte –, wenn er sich irgendwie schuldig gefühlt hätte. Meiner Wahrnehmung nach würde er mit dieser Haltung direkt zur Hölle fahren.
»Ich habe ihn kennengelernt, Mamma.«
Sie zog eine Braue hoch. »Tatsächlich?«
»Na ja, nicht so richtig.«
Ihre Miene verfinsterte sich.
»Aber ich habe Blicke mit ihm getauscht«, ergänzte ich. »Und mehr brauchte ich nicht, um zu wissen, dass er nichts für Adriana ist.«
Sie verdrehte die Augen. »Ridicolo.«
Ein Starren und ein Blick waren fast das Gleiche … richtig? Es war unabsichtlich geschehen, wirklich. Und zwar, als ich die Stufen der Kirche hinabstieg und mein Blick auf die Runde fiel, zu der ich ebenfalls dazustoßen sollte. Papa und Mamma standen zu beiden Seiten von Adriana, Nicolas Russo gegenüber – so begegneten sich üblicherweise Braut und Bräutigam in diesem Leben. Arrangierte Ehen gehörten bei der Cosa Nostra einfach dazu.
Angewidert von der gesamten Situation kniff ich die Augen ein wenig zusammen, bevor ich zu meinem zukünftigen Schwager blickte, nur um festzustellen, dass er mich bereits ansah. So kam es zu dem Starren – eindeutig unabsichtlich. Aber das konnte ich dem Mann kaum vermitteln, und hätte ich gelächelt, hätte das herablassend gewirkt, weshalb ich mich einfach … abwandte und hoffte, dass es mich nicht umbrächte.
Nicolas’ Blick hatte kurz verärgert geflackert, aber nach einer Sekunde intensiven Augenkontakts richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf meinen Vater, als wäre ich nur ein vorbeiwirbelndes Blatt gewesen. Ich stieß die Luft aus, die ich angehalten hatte, und versteckte mich im Auto. Nach diesem Blickwechsel würde ich ihn auf keinen Fall begrüßen. Ich würde ihm einfach bis zu meinem Lebensende aus dem Weg gehen.
»Hör auf, dir Sorgen zu machen, und vertraue deinem Papa.«
Ich gab ein Hmm von mir, denn ich hatte durch meinen Cousin Benito erfahren, dass die Verbindung wegen eines Waffendeals zustande gekommen war, nur deswegen. Meine Schwester war bloß eine Schachfigur bei illegalen Geschäften im großen Stil. Wie romantisch. Immerhin wussten wir, dass dieser Tag kommen würde. Ich erwartete keine Liebesheirat und Adriana ebenso wenig.
Das Problem war, meine Schwester glaubte, sie sei bereits verliebt.
In den Gärtner.
»Elena, sieh nach, ob Adriana fürs Mittagessen fertig ist.«
»Sie hat mir gestern Abend gesagt, dass sie nicht kommen würde.«
»Sie kommt!«, fauchte Mamma, gefolgt von einem leisen Wortschwall auf Italienisch.
Widerstrebend sprang ich vom Tresen und verließ die Küche. Die Stimme der Nachrichtensprecherin folgte mir durch die Schwingtür, und wie eine Warnung kam das Wort »Mörder« erneut über die roten Lippen.
On an Evening in Roma spielte auf einem antiken Plattenspieler, als ich zur Treppe ging und die Gäste im Foyer begutachtete. Die Schwester meines Vaters mit Ehemann, ein paar Cousins und mein Bruder Tony, der einen hasserfüllten Blick in Nicolas’ Richtung warf. Tony lehnte an der Wand, die Hände in den Hosentaschen seines schwarzen Anzugs. Seine Freundin war keine Italienerin und wurde nur selten eingeladen. Meine Mamma mochte sie aus dem simplen Grund nicht, dass sie mit ihrem Sohn befreundet war.
Ich liebte meinen Bruder, aber er war draufgängerisch, impulsiv und lebte nach dem Motto: »Wenn mir was nicht gefällt, erschieße ich es eben.« Und es sah so aus, als würde er gern Nicolas Russo erschießen. Die beiden hatten eine Vorgeschichte, und die war problematisch.
Mein Blick fiel auf eine eindrucksvolle Frau mit einem … interessanten Stil. Sie stand neben einem Mann, den ich für ihren Großvater hielt, doch dann ließ er eine Hand über ihren Hintern gleiten. Sie verzog lediglich die Lippen, als wäre es lästig.
Sie trug im Juli einen Nerzschal über einem dünnen olivgrünen Kleid und Overknees. Ihr langes dunkles Haar fiel in weichen Wellen herab, und mit ihren falschen Wimpern und ihren großen Reifohrringen sah sie aus wie eine Werbeanzeige für die siebziger Jahre. Und als wäre das noch nicht genug, machte sie eine rosa Kaugummiblase und ließ sie platzen, während sie einen prüfenden Blick auf mich richtete, als wäre ich diejenige, deren Stil vor vierzig Jahren modern gewesen war. Wenn es ein Gegensatzpaar in diesem Raum gab, dann waren das ohne Zweifel sie und ich.
Beinahe in Sicherheit, die eine Hand schon auf dem Treppengeländer, ertönte die Stimme meines Vaters hinter mir. »Elena, komm her.«
Mein Magen krampfte sich kurz zusammen, und ich schloss resigniert die Augen, zögerte jedoch nur eine Sekunde, weil die Stimme keinen Widerspruch duldete.
Meine Hände wurden feucht, als ich mich dorthin begab, wo mein Vater neben Nicolas stand. Als ich an die Seite meines Vaters trat, nahm er meinen Arm und schenkte mir ein Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. Papa sah zehn Jahre jünger als seine fünfundfünfzig aus und hatte silberne Strähnen in seinem schwarzen Haar. Er war immer im Anzug, faltenfrei, aber dieser Gentleman-Look war nur Fassade. Als ich zum ersten Mal, durch einen Türspalt hindurch, gesehen hatte, wie er zu seinem Ruf gekommen war, war ich sieben.
»Elena, das ist Nicolas Russo. Nico, das ist Elena, meine älteste Tochter.«
Ich hatte diese Show schon hundertmal gespielt, es war nur ein anderer Mann, ein anderer Tag. Doch diesmal stockte mir der Atem, so als wäre ich kurz davor, von einer Planke in ein haiverseuchtes Gewässer gestoßen zu werden, sobald ich zu ihm aufblickte. Er ist nur ein Mann, sagte ich mir. Ein Mann mit dem schlechtesten Ruf im gesamten Staat New York.
Wieso habe ich ihn angestarrt?
Ich holte Luft, um Mut zu fassen, und legte den Kopf zurück, weil ich ihn unter meiner Hutkrempe nicht sehen konnte. Als sich unsere Blicke trafen, lief mir ein warmer Schauer über den Rücken. Hellbraune Augen, die Farbe von Whiskey auf Eis, und volle dunkle Wimpern. Es verlieh ihm einen grüblerischen Ausdruck, fast so, als schaute er in die Sonne. Allerdings blickte er mich an wie eine Dienstbotin und nicht wie jemanden, den er »Schwägerin« nennen würde.
Ich war ein paar Zentimeter größer als Adriana, doch sogar in meinen High Heels reichte mein Kopf nicht bis an sein Kinn. Ich hatte das dringende Bedürfnis, den Blick abzuwenden und ihn geradeaus auf seine schwarze Krawatte zu richten, aber es fühlte sich an, als würde er gewinnen, wenn ich wegsah, also hielt ich seinem Blick stand. Mein Ton war so höflich, wie er es in Gesellschaft immer ist. »Sehr erfreut …«
»Wir kennen uns bereits.«
Wir tun was?
Seine gleichgültige Stimme kroch mir über den Rücken, gefolgt von einem seltsamen Prickeln. Er hatte kaum etwas gesagt, doch es war, als würde ich mich auf einmal auf Russo- und nicht mehr Abelli-Gebiet befinden. Als wäre in einem Radius von zwei Metern um ihn herum alles Russo zuzurechnen, egal, wo er stand.
Papa runzelte die Stirn. »Bei welcher Gelegenheit habt ihr euch kennengelernt?«
Ich schluckte.
Etwas Amüsiertes und Gefährliches lauerte in Nicolas’ Blick. »Vorhin bei der Kirche. Erinnerst du dich, Elena?«
Mein Herz raste. Wieso ging ihm mein Name von der Zunge, als wäre er damit bestens vertraut?
Mein Papa neben mir erstarrte, und ich wusste, warum: Er dachte, ich hätte etwas Unangemessenes mit diesem Mann getan, wie es sein Tonfall angedeutet hatte. Hitze stieg mir in die Wangen. Wegen eines einzigen Fehlers, den ich vor sechs Monaten begangen hatte, glaubte mein Vater, ich würde mich an den Verlobten meiner Schwester ranmachen?
Ich blinzelte, während es mir dämmerte. Alles wegen eines kurzen, nicht einmal feindseligen Blicks? Dieser Mann hatte meine Schwäche entdeckt und spielte jetzt mit mir.
Vor Verärgerung zog sich meine Brust zusammen. Ich durfte diese Situation nicht noch schlimmer machen, indem ich einem Don widersprach, dem mein Vater eher glauben würde als mir. Also zwang ich mich, so leichthin wie möglich zu sagen: »Ja, wir kennen uns bereits, Papa. Ich habe meine Jacke in der Kirche vergessen und bin ihm dort zufällig begegnet.«
Ich bemerkte meinen Fehler zu spät. Es war Juli; ich hatte keine Jacke getragen. Und Nicolas wusste das.
Er zog eine Hand aus der Tasche und strich sich leicht kopfschüttelnd mit dem Daumen über die Unterlippe. Er war beeindruckt, dass ich mitgespielt hatte, aber fast ein wenig enttäuscht, wie schlecht ich dabei gewesen war.
Ich mochte diesen Mann nicht – überhaupt nicht.
Ein kaltes Flüstern lief mir durch die Adern, als mein Vater unschlüssig zwischen uns hin und her blickte.
»Also schön«, antwortete er schließlich und tätschelte mir den Arm. »Dann ist ja gut. Ich bin sicher, Nico hat ein paar Fragen an dich über Adriana. Du kennst sie am besten.«
Ich holte einmal tief Luft. »Ja, natürlich, Papa.«
Lieber würde ich eine Handvoll Erde fressen.
Die Eingangstür ging auf, und Mammas Bruder, Papas Consigliere Marco und seine Frau kamen herein. Mein Vater entschuldigte sich, um ihn zu begrüßen, und ließ mich mit diesem Mann allein, dessen Anwesenheit ein brennendes Gefühl verursachte.
Er blickte zu mir herunter.
Ich blickte zu ihm hinauf.
Als er einen Mundwinkel hochzog, wurde mir klar, dass er mich amüsant fand. Vor Verärgerung wurde ich rot. Davor hätte ich etwas Nettes geflüstert und mich davongemacht, aber das war davor. Jetzt konnte ich meine höfliche Miene nicht länger wahren, als ich auf Nicolas’ – Nicos, wie auch immer er heißen mochte – Blick traf.
»Wir sind uns nicht begegnet«, sagte ich fest.
Er zog lässig eine Braue hoch. »Bist du sicher? Ich hatte den Eindruck, du wüsstest schon alles über mich.«
Mein Herz flatterte auf ungesunde Weise heftig. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte, denn er hatte recht. Dieser Austausch brachte allerdings keinerlei Beweis, dass er nicht das war, wofür ich ihn hielt.
Er strich sich abwesend über die Krawatte. »Weißt du, wozu solche Annahmen führen?«
»Getötet zu werden?«, hauchte ich.
Sein Blick glitt zu meinen Lippen. »Schlaues Mädchen.« Die Worte klangen kehlig und sanft, und ein Teil von mir dachte seltsamerweise, dass ich das gut gemacht hatte.
Meine Atemzüge wurden flach, als er Anstalten machte, an mir vorbeizugehen, jedoch neben mir stehen blieb. Sein Arm berührte meinen, und es brannte wie züngelnde Flammen. Sein Atem strich über meinen Hals, als er sagte: »Schön, dich kennenzulernen, Elena.« Er sprach meinen Namen aus, wie er es zuvor hätte tun sollen: ohne Anspielung. Als wäre ich etwas, das er von seiner Liste streichen konnte, bevor er ging.
Ich stand da und starrte geradeaus, während ich abwesend ein paar Familienangehörigen ein Lächeln schenkte.
Das war also mein zukünftiger Schwager. Der Mann, den meine Schwester heiraten würde.
Vielleicht war ich ein schrecklicher Mensch, aber ein Teil der Schuld verschwand durch die Tür, durch die eine andere Person gerade hereinkam.
Denn auf einmal war ich froh, dass sie es treffen würde und nicht mich.
Es war schlimmer, als ich erwartet hatte.
Adriana faltete pedantisch eine Bluse und legte sie in den Koffer auf ihrem Bett. Sie trug ein Oversize-T-Shirt von Tweety und Weihnachtssocken, Berge von zerknülltem Toilettenpapier lagen überall im Zimmer herum.
Vor ein paar Jahren hatte Adriana eine rebellische Phase durchgemacht und sich die Haare zu einem Pixie-Cut geschnitten. Ich habe meine Mutter nie entsetzter gesehen. Adriana verlor ihre Kreditkarte, ihren Schauspielunterricht an unserer Mädchenschule und wurde einen Monat lang täglich finster angesehen. Jetzt waren die Haare zu einem glatten Bob geschnitten, aber damals hatte ich gelernt, dass Haareabschneiden in diesem Haus schlimmer war als Mord.
Mit seinen dunkelblauen Wänden, einem Kranzprofil und goldenen Akzenten war Adrianas Zimmer geeignet für Home-Staging … wenn es nicht so ausgesehen hätte, als hätte sich ein Kostümdesigner darin übergeben. Poster von berühmten Stücken wie Der große Gatsby hingen an den Wänden. Seltsame Bühnenrequisiten lagen auf dem Schminktisch: Federn, Hüte und Masken. Dinge, über deren Nutzen man sich wirklich den Kopf zerbrechen konnte – wie über den riesigen Kaninchenkopf auf dem Bett.
Bestimmt wusste Papa gar nicht, dass er für sämtliche Bühnenrequisiten an Adrianas Schauspielschule zahlte. Solange sie war, wo sie sein sollte, war er zufrieden. Er verstand sie einfach nicht, und sie ihn auch nicht.
Mit einem Seufzer nahm ich die Bluse aus Adrianas Koffer und trat zu dem begehbaren Kleiderschrank, um sie wieder aufzuhängen. Sie ignorierte meine Anwesenheit und streifte im Vorbeigehen mit einer Jeans in der Hand meine Schulter.
»Was soll das ganze Toilettenpapier?«, fragte ich und hängte die Bluse auf einen Bügel.
Sie schniefte, antwortete aber nicht.
Das letzte Mal, als ich sie hatte weinen sehen, war auf der Beerdigung unseres Nonno gewesen, als sie dreizehn war. Meine kleine Schwester war einer der emotionslosesten Menschen, die ich kannte. Ich glaubte sogar, dass sie die Vorstellung von Emotionen abstieß. Vor Besorgnis krampfte sich mein Magen zusammen, aber ich wusste, dass Adriana Mitleid genauso schätzte wie romantische Komödien. Sie hasste es.
Ich nahm die Jeans aus dem Koffer und kehrte zum Schrank zurück. »Wohin verreist du eigentlich?«
Mit einem gelben, gepunkteten Bikini ging sie an mir vorbei. »Kuba. Saudi-Arabien. Nordkorea. Such dir eins aus.«
Wir setzten das Spiel mit dem Einpacken und Auspacken wie ein menschliches Förderband fort.
Ich zog die Brauen zusammen. »Das ist nicht gerade eine gute Liste. Aber Saudi-Arabien fällt flach, falls du vorhaben solltest, diesen Bikini zu tragen.« Ich legte ihn zusammen und verstaute ihn.
»Hast du ihn kennengelernt?«, fragte sie, während sie mit einem Kleid mit Zebramuster an mir vorbeiging.
Ich wusste, dass sie ihren zukünftigen Ehemann meinte.
Ich zögerte. »Ja. Er ist, äh … wirklich nett.«
»Wo soll ich meine ganzen Requisiten reinpacken?« Sie stemmte die Hände in die Hüften und starrte in ihren kleinen Koffer, als hätte sie gerade erst festgestellt, dass es keine Mary-Poppins-Tasche war.
»Die werden wohl hierbleiben müssen.«
Sie verzog das Gesicht, als wollte sie gleich losheulen. »Aber ich liebe meine Kostüme.« Jetzt liefen die Tränen tatsächlich. »Und was ist mit Mr Rabbit?« Sie nahm den riesigen Kaninchenkopf vom Bett und hielt ihn neben ihren eigenen.
»Na ja … ich kenne Nordkoreas Einreisebestimmungen nicht, aber ich wette, Mr Rabbit wird nicht durchgelassen.«
Sie warf sich auf die Matratze und jammerte: »Was ist mit Kuba?«
»Dort stehen die Chancen wahrscheinlich besser.«
Sie nickte, als wäre das gut. »Ich habe bald eine Produktion von Alice im Wunderland.« Sie wischte sich über die Wangen, das Weinen hatte bereits aufgehört.
»Wen spielst du?« Ich wusste, es war nicht Alice. Meine Schwester mochte nichts Populäres oder Blondes.
»Die Grinsekatze.« Sie lächelte.
»Oh ja, das klingt nach dir.« Ich trat in den Schrank und suchte das schwarze Kleid mit Spaghettiträgern, das sie zum Lunch tragen konnte. Es dauerte einen Moment, bis ich es fand, weil es zwischen einem The-Legend-of-Zelda- und einem Peter-Pan-Kostüm steckte.
Ich legte das Kleid auf ihr Bett. »Du solltest dich fertigmachen. Beinahe alle sind hier.«
»Ryan hat mit mir Schluss gemacht«, sagte sie ausdruckslos.
Meine Miene wurde weicher. »Das tut mir leid, Adriana.«
»Er versteht nicht, weshalb ich heirate, und will mich nicht mehr sehen. Also kann er mich nicht sehr lieben, stimmt’s, Elena?«
Sie blickte mich mit ihren großen braunen Augen an.
Ich zögerte.
Rational sein und den Liebeskummer meiner Schwester ein wenig abmildern oder das Pflaster abreißen?
»Stimmt.«
Sie nickte. »Ich bin gleich unten.«
*
Als ich unten war und auf dem Flur vor der Bibliothek um die Ecke bog, stieß ich mit etwas Warmem und Festem zusammen. Ich saugte hörbar die Luft ein, als ich gezwungen war, einen Schritt zurück zu machen. Ich wusste, mit wem ich zusammengestoßen war, bevor ich ihn sehen konnte.
Russo.
Unbehagen breitete sich wie eine angefachte Flamme in meinem Körper aus. Wir waren nicht länger in einem mit Menschen gefüllten Foyer, sondern vollkommen allein. Es war so still, ich konnte mein Herz in meiner Brust schlagen hören.
Ich machte noch einen Schritt zurück, wie um mein Gleichgewicht zurückzugewinnen, doch geschah es vor allem, um außer Reichweite zu sein, irgendein Überlebensinstinkt, der geweckt worden war.
Er stand da in einem grauen Anzug und einer glatten schwarzen Krawatte. In diesem Flur wirkte er überlebensgroß. Oder war der Flur so klein? Nein, er hatte eine normale Größe. Puh, reiß dich zusammen, Elena.
Er betrachtete mich, als würde er Animal Planet schauen – als wäre ich eine andere Spezies und womöglich langweilige Unterhaltung. Er hatte ein Mobiltelefon in der Hand, also nahm ich an, er hatte einen privaten Anruf getätigt.
Der Flur hatte etwas von einem Alkoven, der aus Bögen hinter der Treppe bestand. Ein paar große Pflanzentöpfe versperrten die Sicht zur Haupthalle, und eine grüne Glaslampe auf einem Seitentisch tauchte die Umgebung in gedämpftes Licht. Jedenfalls war es hell genug, um die Ungeduld in seinem Blick aufblitzen zu sehen.
»Willst du den ganzen Tag hier rumstehen und mich anstarren, oder bewegst du dich irgendwann?«
Ich blinzelte.
»Und wenn ich sagen würde, bleib hier stehen und sieh mich an?« Es war mir einfach so rausgerutscht, und ich wünschte augenblicklich, ich könnte nach den Worten greifen und sie zurückholen. Ich hatte noch nie im Leben mit jemandem so geredet – schon gar nicht mit einem Boss. Mein Magen fühlte sich an wie eine Drehtür.
Er hob die Hand mit dem Telefon darin und strich sich mit dem Daumen übers Kinn. Wahrscheinlich tat er das, während er darüber nachdachte, wie er jemanden umbringen sollte.
Er machte einen kleinen Schritt vorwärts.
Als wären wir die beiden Pole eines Magneten, machte ich einen rückwärts.
Er ließ seine Hand sinken, und seine Augen nahmen einen leicht amüsierten Ausdruck an, als hätte ich gerade einen Trick vorgeführt, der ihn belustigte.
Auf einmal hatte ich das eindeutige Gefühl, dass ich nicht zu seiner Unterhaltung da sein wollte. Und ein noch stärkeres, dass ich es bereits war.
»Ich dachte, die Süße Abelli sei fügsam.«
Woher kannte er meinen Spitznamen?
Ich weiß nicht, was über mich kam, aber ich fühlte mich auf einmal von dem Namen befreit – vielleicht weil er diesem Mädchen nie begegnet war. Ich wollte jemand anders sein. Vor allem ihm gegenüber, aus einem unerklärlichen Grund.
»Dann sind wir wohl beide hinters Licht geführt worden. Ich dachte, ein Gentleman entschuldigt sich, wenn er mit einer Frau zusammenstößt.«
»Klingt, als würde jemand schon wieder Vermutungen anstellen«, sagte er gedehnt.
Ein seltsames Pochen begann in meiner Brust, und ich schüttelte den Kopf. »Es war keine Vermutung.«
Er machte einen Schritt vorwärts und ich einen weiteren zurück.
Er schob seine Hände in die Hosentaschen, während er seinen Blick über meinen Körper gleiten ließ. Er war weniger anzüglich als vielmehr aufmerksam, so als gehörte ich tatsächlich zu einer anderen Spezies und als fragte er sich, ob ich essbar sei.
Beim Anblick meiner rosa High Heels wurden seine Augen schmal. »Du denkst, du hast irgendeinen Beweis, hm?«
Ich nickte und fühlte mich seltsam atemlos unter seinem prüfenden Blick. »Meine Mamma hat gesagt, du hättest in der Kirche den perfekten Gentleman gespielt.«
»Den habe ich auch gespielt.«
»Geht es also darum, ob du einer sein willst?«
Er sagte kein Wort, aber sein neutraler Ausdruck bestätigte es, während er seinen Blick von meinen Heels wieder aufwärtswandern ließ.
Sein durchdringender Blick begegnete schließlich meinem und verbrannte mich.
Langsam schüttelte er den Kopf.
Okay.
Ich hatte lange genug durchgehalten, viel länger als die Süße Abelli es je getan hätte. Aber jetzt musste ich einfach von hier verschwinden.
»Na schön … wir sehen uns dann.«
Ich konnte mir keine dümmere Reaktion vorstellen, also machte ich einen Schritt um ihn herum – aber bevor ich konnte, packte mich etwas am Handgelenk. Seine Umklammerung fühlte sich wie ein Feuerband an; raues, schwieliges Feuer. Ein kühler Atem aus Angst, gemischt mit etwas kochend Heißem, drang in meinen Blutkreislauf.
Er stand einen halben Meter von mir entfernt, und seine Umklammerung war das Einzige, was uns verband. »Schreib mir eine Liste mit den Hobbys deiner Schwester. Vorlieben und Abneigungen, Schuhgröße, Kleidergröße und alles andere, was du für brauchbar hältst. Ja?«
»Ja«, hauchte ich. Wie viele Männer hatte er mit dieser Hand, die um mein Handgelenk lag, getötet? Es war keine feste Umklammerung, aber sie war kraftvoll, entschlossen und unnachgiebig. Es machte mir bewusst, wie viel kleiner ich war, wie verunsichert und fehl am Platz ich mir vorkam. Dass ich nicht gehen konnte, solange er mich nicht losließ.
Er betrachtete mich mit neugierigem Blick. Mein Herz fühlte sich an, als würde es gleich stehenbleiben, und meine Haut brannte. Es war unangemessen, dass er mich berührte, zukünftiger Schwager oder nicht. Mein Papa konnte jeden Moment aus seinem Büro kommen, aber diesem Mann schien das egal zu sein. Mir allerdings nicht, vor allem nicht nach der Szene von vorhin.
»Ich werde dir die Liste am Freitag bei der Verlobungsfeier geben«, brachte ich mühsam heraus und versuchte, mein Handgelenk wegzuziehen.
Er ließ mich nicht los. Mein Puls flatterte, als er mit dem Daumen über meine Fingerknöchel strich. »Ich hatte den Eindruck, die Abellis könnten sich mehr als einen Fünfzig-Cent-Ring leisten.«
Ich blickte auf den Ring an meinem Mittelfinger. Er stammte aus einem Verkaufsautomaten und hatte einen runden violetten Stein. Der Gedanke daran ernüchterte mich.
»Manchmal sind die billigsten Dinge die wertvollsten.«
Sein Blick kehrte zu meinem Gesicht zurück, und wir starrten uns einen Moment lang an. Seine klammernde Hand glitt über mein Handgelenk, meine Handfläche und an meinen Fingern hinab. Die rauen Kuppen seiner Fingerspitzen berührten meine weicheren, was mein Herz kurz aussetzen ließ.
»Wir sehen uns beim Lunch, Elena.«
Er verschwand im Büro meines Vaters.
Cazzo …
Als ich mich an die Wand lehnte, fühlte sich der Ring wie ein schweres Gewicht an meinem Finger an. Ich konnte ihn abnehmen, ihn irgendwohin tun, wo er mich nicht verfolgte, aber ich wusste, dass ich es nicht tun würde. Noch nicht.
Seine Umklammerung loderte noch immer wie ein Brandzeichen auf meinem Handgelenk, als ich den Flur verließ.
Erneut hatte er meinen Namen auf höchst unangemessene Weise ausgesprochen.
Billie Holiday erklang leise aus dem alten Pool-Radio. Kondenswasser tropfte von Kristallgläsern, und Silberbesteck glänzte im hellen Sonnenlicht. Es war ein heißer Julinachmittag, aber die stete Brise war das perfekte Begleitprogramm.
Lichterketten waren um die Holzbalken des Patiodachs geschlungen, und die Rosenbüsche meiner Mamma blühten. Die Stühle waren bequem, und das Essen war gut, aber Lunch mit einem Haufen Fremder konnte nur in begrenztem Maße angenehm sein. Die Werbeanzeige aus den Siebzigern mir gegenüber schien jedoch anderer Ansicht zu sein.
»Der Cop hat mich jedenfalls gehen lassen und nicht einmal mein Koks beschlagnahmt …«
»Gianna.« Das Wort kam leise warnend von Nicolas’ Platz.
Sie verdrehte die Augen und nahm einen großen Schluck Wein, aber sie redete nicht weiter.
Ich fragte mich, weshalb Nicolas sie gerügt hatte und in welchem Verhältnis sie zueinander standen. Geschwister? Sie schienen einander nicht ausstehen zu können, doch ich meinte gehört zu haben, dass Nicolas ein Einzelkind war. Giannas Ehemann im Seniorenalter, der neben ihr saß, hatte bis auf ein seltsam getimtes Lachen nichts von sich gegeben. So langsam glaubte ich, er war schwerhörig.
Gianna war tatsächlich mein Gegenpol. Wo ich schwieg, redete sie unbekümmert und lachte dabei laut. Wo ich gesittet war, klebte sie ihren Kaugummi auf die Stoffserviette, bevor sie ihre Pasta aß, ohne sie um die Gabel zu wickeln. Ich war ein wenig eifersüchtig auf ihre leichtherzige Art.
Tony saß auf ihrer anderen Seite. Er lehnte sich mit aufgeknöpftem Jackett auf seinem Stuhl zurück und sah gelangweilt aus, doch ich wusste es besser. Ich kannte diese arrogante Art, mit der er sich den Dreitagebart kratzte, als wäre er genervt und amüsiert zugleich. Und das hatte nie etwas Gutes zu bedeuten. Er war attraktiv, aber wenn ich nicht seine Schwester wäre, würde ich ihn mir unbedingt vom Leib halten. Sein Leichtsinn war gefährlich für jeden, der involviert war, vor allem für ihn selbst. Er bemerkte meinen beklommenen Blick und zwinkerte mir zu.
Leise Gespräche und das Klappern von Silberbesteck erfüllten den Hof, aber es lag eine Spannung in der Luft, die nicht verschwinden wollte, eine ungute Atmosphäre, die auch die Brise nicht forttrug. Alle schienen entspannt miteinander zu plaudern, also empfand ich das vielleicht nur so. Ich wischte es beiseite.
Gianna war nicht lange still, auch wenn sie nicht wieder von dem Päckchen Koks anfing. Sie kam auf Pferderennen zu sprechen. Das war ein annehmbares Thema, an dem sich einige beteiligten. Es war nicht so, dass das hier eine drogenfreie Zone war – tatsächlich gingen hier regelmäßig Leute ein und aus, die Drogen nahmen –, doch nach außen war es Cosa-Nostra-Etikette, so zu tun, als wären wir das Musterbeispiel einer anständigen Familie. Auch wenn unsere Häuser von schmiedeeisernen Zäunen und Wachleuten umgeben waren.
Ich war froh, dass Adriana gekommen war, anstatt ein Flugzeug nach Kuba zu nehmen. Sie saß neben ihrem Verlobten und Papa am anderen Ende des Tisches.
Vielleicht war ich ein Feigling, doch ich war erleichtert, nicht in Nicolas’ Nähe zu sitzen. Ich war die perfekte Gastgeberin und hatte eine höfliche Antwort auf alles – so unangemessen die Kommentare auch sein mochten, wenn Leute tranken –, aber ihm gegenüber war ich sprachlos. Ich brachte kein Wort heraus in seiner Nähe, war aus dem Gleichgewicht, und mir war ehrlich einfach heiß, so als würde ich permanent erröten.
Vielleicht war es unangenehm, mit ihm zu sprechen, aber es kostete keine Mühe, in seine Richtung zu blicken.
Wäre seine Größe nicht gewesen, hätte er problemlos Adrianas Vorliebe für hübsche Jungs entsprochen, wenn er eine ernste Miene aufsetzte. Er war braungebrannt, sein Haar fast schwarz und sein Bizeps unter dem Hemd wohlgeformt. Mein zukünftiger Schwager war in der hellen Sonne noch attraktiver. Was für ein Pech, dass seine Persönlichkeit dem ganz und gar nicht entsprach.
Was ich am faszinierendsten an seiner Erscheinung fand, war allerdings die dunkle Tätowierung, die durch sein weißes Anzughemd hindurchschimmerte. Sie war kaum zu erkennen, aber sie reichte von seiner Schulter bis zu seiner goldenen Armbanduhr. Nicolas Russo hatte ein komplettes Sleeve Tattoo. Wusste ich’s doch, dass der Gentleman-Look reines Blendwerk war.
Er sah zu mir herüber und erwiderte meinen Blick, als hätte er gespürt, dass ich ihn beobachtete. Noch mit fünf Stühlen Abstand traf er mich. Die Art und Weise, wie er meinen Namen gesagt hatte – so wohlklingend und zweideutig –, tönte in Endlosschleife in meinem Kopf. Um nicht wie ein Feigling zu wirken, erwiderte ich den Blick einen atemlosen Moment lang, bevor ich wegsah. Ich hatte das plötzliche Gefühl, dass ich zur Wahrung meiner Gesundheit … diesen Mann besser mied.
»Wie ich höre, hast du demnächst eine Aufführung, Elena«, sagte mein Onkel Manuel ein paar Plätze weiter. Wegen der Rolle, die er dabei gespielt hatte, verband ich seine Stimme nur noch mit dem Blutbad vor sechs Monaten. Ich nahm einen Schluck Wein und schmeckte lediglich Schuld und Verachtung.
Sämtliche Augenpaare richteten sich auf mich, alle zwanzig, doch ich war mir nur des einen bewusst.
»Ja.« Ich zwang mich, zu lächeln. »Am Samstag.«
»Du tanzt?«, fragte Gianna. »Wie witzig! Ich habe auch getanzt, aber«, sie senkte ihre Stimme, »wir reden wahrscheinlich von zwei verschiedenen Dingen.«
Ich zwinkerte. »Du meinst Stepptanz?«
Ihr Lachen war leicht und perlend. »Ja, natürlich Stepptanz. Tanzt du schon lange?«
»Ja, seit meiner Kindheit.«
»Bist du gut?«
Ich lachte angesichts der direkten Frage. »Ehrlich gesagt, nein.«
Meine Mamma widersprach leise vom anderen Ende des Tisches aus. Das musste sie tun – das gehörte zu ihrer Rolle als Mutter –, aber ich war mittelmäßig beim Tanzen, und es machte mir nichts aus, es zuzugeben. Es war ein Zeitvertreib. Etwas, um die Eintönigkeit zu vertreiben. Als Kind liebte ich es, doch jetzt war es wie der Ärmel eines Kleids, das nicht länger passte.
Das Gespräch verstummte, und Gianna schob ihren Brokkoli auf dem Teller hin und her, als wäre sie sieben und würde nicht gern Gemüse essen. Ihr Mann lachte leise über nichts Bestimmtes. Sie verdrehte die Augen und nahm einen großen Schluck Wein.
Der Lunch ging mit belangloser Konversation, gutem Essen und Trinken weiter, aber die Spannung wollte nicht verschwinden. Sie war die ganze Zeit da. Wie ein Echo, bevor die Worte überhaupt ausgesprochen waren.
Mein Bruder lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, und ein voller Ton erklang, als er mit dem Finger über den Glasrand strich. Adriana aß, als würde der große Mann, den sie nicht kannte und in drei Wochen heiraten würde, nicht neben ihr sitzen.
Papa erwähnte, er habe einen alten Schießstand erworben, und die Unterhaltung darüber erfasste den gesamten Tisch wie bei einem Dominoeffekt. Gerade war das Tiramisu serviert worden, und ich war so weit, den Lunch zu beenden. Aber leider führte die Spannung zum Unvermeidbaren.
Es begann mit dem harmlosen Vorschlag, den Schießstand doch zu besuchen. Anschließend konnte ich dabei zusehen, wie sich alles in einen Albtraum verwandelte. Der Russo zu meiner Linken grunzte verächtlich. Ich wusste, dass er Stefan hieß, obwohl er kaum ein Wort gesagt hatte.
Das Klingen des Weinglases meines Bruders verhallte. Tonys finsterer Blick richtete sich auf den Typen. »Glaub ja nicht, ich hätte das nicht mitgekriegt, Russo.«
Stefan schüttelte den Kopf. »Ich habe was Besseres zu tun, als einem Haufen Abellis dabei zuzuschauen, wie sie am Ziel vorbeischießen.«
»Oh-oh«, sagte Gianna leise.
Ich schloss die Augen. An dem Tag, an dem mein Bruder so etwas ohne einen Streit durchgehen lassen würde, würde der Himmel einstürzen.
»Tony, nicht …«, warnte ihn Benito, der neben meinem Bruder saß. Er war stets die Stimme der Vernunft in diesem Duo. Aber Tony sah seinen Cousin nicht einmal an – stattdessen lächelte er Stefan Russo an, und es war kein freundliches Lächeln.
Meine Brust zog sich zusammen, und ich blickte zum anderen Tischende, um Papas Aufmerksamkeit zu erregen, doch er war im Gespräch mit Nicolas und meinen Onkeln.
»Keine Ahnung, wovon du redest«, sagte Tony gedehnt. »Ich habe – wie war nochmal sein Name? Ah, ja, Piero …?« Die Augen meines Bruders blitzten vor boshafter Freude. »Bei dem hab ich ins Schwarze getroffen.«
Tonys Belustigung verwandelte sich in tödliches Schweigen, das sogar die Familie und Gäste am Ende des Tisches mitbekamen. Alles erstarrte, wie bei einem Standbild im Film.
Ich sah es nicht kommen.
Das Herz klopfte mir bis zum Hals, als sich ein Arm um meine Taille legte und mich hochzog. Mein Kopf wurde zur Seite gedreht, als jemand einen kalten Pistolenlauf an meine Schläfe drückte.
Rufe auf Italienisch ertönten. Stühle kippten nach hinten, als alle aufsprangen. Rundherum wurden Pistolen gezückt.
Ich hörte, wie mein Papa Befehle bellte, aber mein Herz übertönte seine Stimme. Bu-bum. Bu-bum. Bu-bum. Die Herzschläge erklangen unter einer kalten Schicht Angst.
Ich hatte kein malerisches Leben gelebt, egal was meine rote Eingangstür und mein goldener Türklopfer vermittelten. Ich war sieben, als ich mit angesehen hatte, wie mein Papa einem Mann einen Finger abschnitt. Ich hatte dabei zugesehen, wie mein Onkel einem anderen in den Kopf schoss und sein Kopf zur Seite gedreht auf dem blutbefleckten Teppich lag, die Augen weit aufgerissen. Ich hatte Wunden von Messern und Kugeln gesehen, so viel Rot. Aber ich hatte noch nie eine Pistole an meiner Schläfe. Hatte nie das kalte Metall gespürt. Hatte nie das Gefühl, dass mein Leben einfach so vorbei sein könnte.
Die Kälte in meinen Adern gefror zu Eis.
Nicolas’ Stimme drang durch das Rauschen des Bluts in meinen Ohren. Sie war leise und sanft, und ich klammerte mich daran wie an ein Rettungsfloß. »Nimm die Waffe runter, Stefan.«
»Er war es, der Piero getötet hat!« Der Lauf stieß gegen meinen Kopf, und meine Lunge fühlte sich eng an, aber ich rührte keinen Muskel, während ich zu den Hecken starrte, die den schmiedeeisernen Zaun säumten.
»Tony!«, blaffte mein Papa. »Nicht.«
Ich blickte zu meinem Bruder und hatte den Lauf einer Pistole vor mir. Er wollte den Russo hinter mir erschießen, aber in den High Heels war ich nicht viel kleiner als er.
»Du bist ein beschissener Schütze, Tony. Wir alle wissen, dass du die kleine Lieblings-Abelli treffen wirst!« Stefans zornige Stimme vibrierte an meinem Rücken.
»Nimm. Sie. Runter.« Nicolas’ Worte wirkten ruhig, mit einem leicht bedrohlichen Unterton, wie das Meer kurz vor einem Sturm.
Eine Sekunde, zwei Sekunden. Stefan zögerte …
Peng.
Etwas Warmes und Nasses hatte mein Gesicht getroffen. Meine Ohren klingelten, als ich in dem Aufruhr um mich herum versank. Der Arm des Mannes ließ mich los, und es gab ein dumpfes Geräusch, als er zu Boden ging.
In meinem Kopf hörte ich die Stimme der Nachrichtensprecherin, über deren rote Lippen »Mord« kam, wieder und wieder. Ich fühlte mich benommen. Geräusche drangen langsam in mein Bewusstsein, als würde man sie mit schweren, tropfnassen Ketten aus dem Wasser ziehen.
»Setz dich verdammt nochmal hin! Jetzt!«, ertönte die Stimme meines Vaters. »Wir beenden dieses Mittagessen, gottverflucht!«
Es dauerte einen Moment, seine Worte zu verarbeiten und festzustellen, dass alle bis auf ihn und Nicolas steif in ihren Stühlen saßen. Der bleierne, undurchdringliche Blick berührte meine Haut, während ich auf die Pistole in seiner Hand starrte.
»Elena! Setz dich!«, fauchte Papa.
Ich ließ mich in den Stuhl sinken.
Warmes Blut tropfte von meiner Wange. Und Blutstropfen waren auf meinen Stuhl und das weiße Tischtuch gespritzt. Der Fuß eines toten Russo berührte meinen.
Ich saß da und ließ den Blick von einer glotzenden Gianna zu Tony wandern, der genüsslich sein Dessert verspeiste.
»Elena.« Die kurze Aufforderung kam von meinem Papa, und weil es mir befohlen wurde, schob ich mir eine Gabel Tiramisu in den Mund und kaute.
Ich legte eine Hand hinten auf meinen Hut und blickte hinauf in den blauen Himmel.
Von den Umständen abgesehen war es wirklich ein wunderschöner Tag.
Der Schuss hallte durch die Luft, und die Spannung war lauter als Silberbesteck auf Porzellantellern. Die Abellis warfen mir vorsichtige Blicke zu, während meine Familie den Blick auf ihr Dessert gerichtet hielt und steifer dasaß, als es die Stühle waren, auf denen sie saßen.
Ich lehnte mich zurück, stützte einen Unterarm auf den Tisch und konzentrierte mich auf die Zigarette, die ich zwischen den Fingern hin- und herrollte. Meine Wut war so groß, dass ich sie hinunterschlucken musste. Mein Hals und meine Brust brannten und vernebelten meine Sicht mit einem roten Schleier.
Ich hob leicht den Blick, um nach Luca Ausschau zu halten, meinem Capo und einzigen vertrauenswürdigen Cousin, der sich in dem halbherzigen Versuch, seine Belustigung zu verbergen, mit einer Hand über den Mund strich. Ich setzte eine finstere Miene auf, um zu vermitteln, dass ich heute vielleicht sogar zwei Cousins erschießen müsste. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und seine Belustigung verschwand.
Er hatte gerade die Wette gewonnen, dass wir es ohne Streitereien nicht schaffen würden. Und er hatte doppelt gewonnen, denn alles, worin die Süße Abelli verwickelt war, bekam einen Bonus. Meine Familie wettete auf alles. Jede Gelegenheit, einen Dollar zu verdienen, wurde genutzt.
Ich schuldete ihm fünf verdammte Riesen. Und ich gab einer kleinen schwarzhaarigen Primadonna die Schuld, denn wenn ich jetzt so über ihren Bruder nachdachte, hätte ich ihm eine Kugel in den Kopf jagen können.
Es gab immer ein paar Verwandte, die man nicht mochte – diejenigen, die man am liebsten nach eigenem Gusto umbrachte, wenn man die Gelegenheit bekam. Aber dazu gezwungen zu werden … das verstimmte mich doch, wie der Hieb einer Pferdepeitsche. Mein Kiefer spannte sich an, als Zorn ganz langsam durch meine Adern floss.
Mein Papa hatte eine Vorliebe dafür, mich in die Rippen zu treten, wenn ich gedankenlos handelte.
Meine Mamma rauchte immer am Küchentisch in ihrem Nachthemd, nachdem sie und mein Vater das Haus zusammengeschrien hatten.
Mit brennendem Brustkorb und der Zigarette in der Hand entging mir nicht, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fiel. Und ich vermutete, dass diejenigen, die Antonio Russo kannten – meine eigene Familie eingeschlossen –, das nicht unbedingt für beklagenswert hielten.
Ich war aus dem gleichen Holz geschnitzt wie mein Vater, und die Cosa Nostra hatte das ihre dazugetan. Eine Mischung aus einem Fass Schießpulver und einer Lunte. Wo mein Vater meine Erziehung vernachlässigte, versuchte meine Mamma die Lücken zu füllen. Sie bemühte sich zumindest, mit vergrößerten Pupillen und einer regelmäßig blutenden Nase. Die verstorbene Caterina Russo tat ihr Bestes, um ihrem einzigen Kind Respekt vor Frauen beizubringen. Doch um ehrlich zu sein, ist das nicht so richtig haften geblieben. Es war schwer, eine Mamma zu respektieren, die man an manchen Abenden vom Fußboden aufheben musste. Ganz zu schweigen davon, dass ich fast immer bekommen hatte, was ich wollte, seit ich alt genug gewesen war, darum zu bitten. Ich brauche weder Charme noch Respekt, um Frauen zu kriegen – Reichtum und eine in Aussicht stehende, vielversprechende Position hatten das seit meinem dreizehnten Lebensjahr für mich getan.
Lucas Mamma war die Erste, die es wagte, mir einen andeutungsweisen finsteren Blick zuzuwerfen. Meine Familie mochte so sauer sein, wie sie wollte, aber zumindest hatte ich dafür, ein Blutbad verhindert zu haben, ein verdammtes Dankeschön verdient.
Es war schließlich nur Stefan gewesen.
Niemand mochte Stefan.
Die Wahrheit war, dass nicht jeder Mann damit klarkam, ein Russo zu sein. Meine Nonna sagte immer, dass unser Blut heißer war als das der meisten anderen. Obwohl das vielleicht nur eine Ausrede dafür war, dass sämtliche männlichen Nachkommen gierig und besitzergreifend waren bei Dingen, die nicht ihnen gehörten. Wenn ein Russo etwas Bestimmtes wollte, gehörte es praktisch ihm. Am ehesten durch eine Reihe illegaler Unternehmungen. Aber vielleicht war sie etwas auf der Spur, denn es fühlte sich verdammt viel heißer an, als es sollte.
I’ll Be Seeing You von Billie Holiday erfüllte den weitläufigen Innenhof, und die leisen Klaviertöne mischten sich in eine angespannte Atmosphäre voller Räusperer und Blicke. Ich rollte die Zigarette zwischen den Fingern hin und her und versuchte den Drang, zu rauchen, zu unterdrücken. Ich rauchte nur, wenn ich zu sauer war, um klarzusehen, oder – selten einmal – aus Beunruhigung.
Salvatore verließ den Tisch, um die Bediensteten nach Hause zu schicken. Sie wussten genau, bei wem sie angestellt waren und dass sie irgendwie zur Cosa Nostra gehörten – aber der Tote im Patio und sein Blut, das in die Spalten zwischen den Bodenplatten sickerte, war für ein paar von ihnen zu viel.
Ich hatte nur den Teil des Gesprächs mitbekommen, der das Ganze in Gang gesetzt hatte, aber es war klar, dass sich Tony mit dem Mord an Piero, noch so einem idiotischen Cousin von mir, gebrüstet hatte. Ich hatte nicht gewusst, dass Tony es gewesen war, doch es hatte mich auch nicht überrascht. Und kaum berührt. Ich hatte Pieros Tod behandelt, wie ich es mit einem Zanetti getan hätte: mit zwei Fingerbreit Whiskey. Wenn man dummes Zeug anstellte, wurde man eben umgebracht. So funktionierte die Welt nun einmal, und mein Cousin hatte mehr als genug angestellt.
Ich hatte ehrlich geglaubt, dass Stefan die Waffe herunternehmen würde. Aber an dem Punkt war es mir egal gewesen. Zorn war in meiner Brust aufgewallt angesichts der Respektlosigkeit meines Cousins und hatte sich seltsamerweise noch gesteigert aufgrund der Tatsache, dass er die Süße Abelli bedrohte. Ich hatte kurzzeitig das irritierende Gefühl, dass nur ich sie bedrohen durfte – also habe ich ihn erschossen und zugesehen, wie Blut auf Elenas weißes Kleid spritzte.
Tony war versessen darauf, mich tot zu sehen, seit sein Freund Joe Zanetti in die Mündung meiner 45er geblickt hatte, was schon eine Ewigkeit her war. Ich war zwar davon ausgegangen, dass Tony und ich ein paar Probleme hatten, aber ich hatte unterschätzt, was für ein verdammter Idiot er war und dass er sie zum Lunch mitbringen würde. Ich vermutete, die Vorstellung, dass ich seine Schwester vögelte, kratzte ihn ein bisschen mehr als meine bloße Anwesenheit.
Ich klopfte meine Zigarette auf den Tisch und konnte es mir nicht verkneifen, dorthin zu blicken, wo die Süße Abelli saß. Ich kniff leicht die Augen zusammen. Wenn sie nicht gewesen wäre, würde ich Luca nur fünfundzwanzig schulden.
Blut tropfte von ihrer olivfarbenen Haut, doch sie aß ihr Dessert, weil ihr Vater es ihr befohlen hatte. Ich war eigentlich kein Sadist, aber verdammt, es hatte mich irgendwie angemacht. Ein Hitzeschwall, der langsam durch meinen Körper strömte.
Wo ich gerade über Sadisten redete; mein Blick fiel auf meinen Cousin Lorenzo, der zwei Plätze weiter saß. Er starrte das Mädchen an, als wäre das sein Auftrag. Und nicht irgendein Auftrag, den ich ihm gegeben hatte – denn er war gut darin, diese zu vermasseln –, sondern wie eine Berufung oder so etwas. Wenn man ihn ansah oder mit ihm redete, wäre man nie darauf gekommen, dass der Mistkerl eine Neigung zu BDSM hatte. Das zu wissen und zu sehen, wie er Elena Abelli anstarrte, irritierte mich irgendwie.
Sie mochte es wahrscheinlich lieb und harmlos.
Hatte es lieber, wenn der Mann erst einmal auf die Knie ging und ein wenig bettelte.
Lorenzo würde es tun.
Ich würde meinen Schwanz lieber in einer Autotür einklemmen.
Sie hatte mich heute in der Kirche angestarrt, und ich hatte mich gefragt, was die Süße Abelli wohl gegen mich haben könnte. Der Spitzname war mir geläufig, bevor ich die Frau überhaupt getroffen hatte. Es war ein unschuldiger Kosename, der ziemlich bekannt geworden war – jedenfalls unter Männern –, denn sie war süß und hatte auch den süßesten Hintern.
Ich hatte in den letzten beiden Jahren mehr über den Po der Frau gehört als nötig. Und ich hatte es wirklich satt. Etwas zu überhöhen führte stets zu einer Enttäuschung. Nur war ich jetzt der Angeschmierte, denn in diesem Fall war es anders.
Ich hatte mich aus Gesprächen immer herausgehalten, wenn die Rede auf sie kam. Ich hatte sie noch nie getroffen, aber meine bescheuerten Cousins redeten fortwährend über diese eine Frau, als würde ich sie dafür bezahlen, es war wirklich nervig. Ihr Name war zu einem Ärgernis geworden, wie eine Art Pawlow’scher Reflex. Als mir ihr Vater schließlich mitgeteilt hatte, dass sie nicht zum Heiraten bereit sei, hatte ich nicht einmal gefragt, weshalb. Ich hatte den Vertrag für die andere unterzeichnet.
Und dann sah ich sie in der Kirche.
Verdammte Scheiße.
Im Grunde checkten meine Cousins jede Frau unter fünfzig ab. Jede Frau, die irgendetwas Hübsches an sich hatte, also hatte ich dem Hype nie geglaubt.
Aber mit ihr wurden die feuchten Träume eines Mannes wahr.
Ihr Körper … ein Foto davon hätte es verdient, jeder Zeitschrift als Poster beizuliegen. Ihr Haar war eine meiner Schwachstellen: schwarz, seidig und lang genug, um es zweimal um meine Faust zu wickeln. Der Gedanke war mir unfreiwillig durch den Kopf geschossen. Und das in der Kirche. Verdammt.
Es war allerdings der sanfte, unschuldige Ausdruck, der sich durch meine Haut zu brennen schien, direkt bis zu meinem Schwanz. Er war so verdammt süß, und ich wusste, woher ihr Spitzname kam. Von Miss Böser-Blicks Persönlichkeit konnte er jedenfalls nicht kommen.
Ich hatte sie vom hinteren Bereich der Kirche aus viel länger beobachtet, als ich es hätte tun sollen. Ich hatte beobachtet, wie sie jedem Mann, der sie begrüßte, das gleiche Lächeln geschenkt hatte; wie eine Königin, die all jene grüßte, die sich in die Schlange gestellt hatten, um Ihre Majestät zu treffen.
Ich war eins zweiundneunzig – und kaum zu übersehen, aber sie bemerkte mich die nächste halbe Stunde nicht, bis sie mich dann wütend anstarrte.
Die Süße Abelli war zu allen nett außer zu mir. Ich hätte lachen können, denn aus unerfindlichen Gründen machte es mir nichts aus. Es war das erste Mal, seit ich der Boss war, dass mich jemand ganz unverblümt respektlos behandelte. Vielleicht war es kindisch, aber ich wollte Elena Abelli vermitteln, dass sie mich ebenfalls nicht interessierte.
Eine Frau mit so viel männlicher Aufmerksamkeit konnte nur hochnäsig und oberflächlich sein. Ihre rosafarbenen High Heels verrieten mir, dass sie gern das Geld ihres Vaters ausgab. Ihre Schwester trug Flip-Flops. Ich würde wahrscheinlich Millionen Dollar sparen, indem ich stattdessen sie heiratete.
Adriana war ein wenig seltsam, aber attraktiv. Wenn man sie von ihrer Schwester entfernte, war sie toll; wenn sie neben Elena stand, verschmolz sie mit der Tapete. Gegen dieses Szenario hatte ich nichts einzuwenden. Ich wollte lieber keine Frau haben, bei der alle meine Cousins nicht aufhören konnten, zu gaffen.
Es war mir gar nicht so wichtig, wen ich heiratete. Es war Zeit, sich eine Frau zu nehmen, und in meiner Welt bedeutete das Profite. Salvatore hatte einen kleinen Streit mit ein paar Mexikanern, der sich zu einem Problem auswuchs. Er war mit den Jahren weich geworden. Nach der Hochzeit würde ich ihm helfen, die Ursache dafür zu finden und mich darum kümmern, wie man es mir beigebracht hatte: mit einer Kugel in den Kopf. Diese Verbindung machte mich um Millionen reicher, ganz zu schweigen davon, dass sie mir ermöglichen würde, fast die gesamte Stadt zu kontrollieren.
Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich Elenas Blick von gegenüber auf mir spürte. Es war ein warmes und lästiges Gefühl auf der einen Hälfte meines Gesichts. Ich wollte es ignorieren, aber ich ertappte mich dabei, wie ich trotzdem zu ihr hinsah. Mein Nacken juckte, doch ich hielt ihrem Blick stand, bis sie wegsah.
Nach ihrem Starren in der Kirche hatte ich herauszufinden versucht, weshalb sie fürs Heiraten nicht so weit war. Wie sich herausstellte, war die Süße Abelli weggelaufen und hatte sich mit einem Mann eine schöne Zeit gegönnt.
Ich wusste, dass die verlorene Jungfräulichkeit nicht der Grund dafür war, dass Salvatore sie mir nicht angeboten hatte. Es war nur eine Ausrede. Salvatore wollte nicht, dass ich sie bekam, wofür ich ihm kaum Vorwürfe machen konnte. An seiner Stelle hätte ich meine Tochter mir ebenfalls nicht gegeben. Es war leicht nachvollziehbar, warum Salvatore keine Mühe hatte, seine andere Tochter anzubieten.
Adriana saß, die Beine übereinandergeschlagen, in einem schwarzen Kleid neben mir. Ihr braunes, schulterlanges Haar fiel ihr ins Gesicht, als sie sich nach vorn beugte und etwas mit einem Stift auf ihre Handfläche kritzelte.
Ich hatte kein Wort zu ihr gesagt, seit sie zu spät an den Tisch gekommen war. Ich hatte, ehrlicherweise, beinahe vergessen, dass sie hier saß. Es war wohl an der Zeit, meine zukünftige Ehefrau kennenzulernen.
»Was zeichnest du?«
Adriana zögerte, drehte dann ihre kleine Handfläche zu mir um und zeigte es mir.
»Ein Kaninchen.« Es war keine Frage, denn es war verdammt nochmal tatsächlich eins.
Sie schürzte die Lippen und zog ihre Hand zurück, um weiterzumachen. »Mr Rabbit«, korrigierte sie in einem Ton, der mich normalerweise wütend gemacht hätte. Aber ich war bereits am Limit, also ging ich darüber hinweg und überlegte mir genau, was ich mit ihrem Bruder anstellen würde.
*
»Links oder rechts?«
Tonys Kinn zuckte, aber er sagte kein Wort, saß einfach nur vor dem Schreibtisch seines Vaters in einem Stuhl, als wäre er bei einer Vorstandssitzung. Blut tropfte von seiner Lippe auf sein weißes Hemd, und trotzdem trug er noch immer eine düster amüsierte Miene zur Schau.
Also schlug ich ihn. Erneut.
Ein Brennen schoss durch meine wunden Fingerknöchel.
Er biss die Zähne zusammen, gab aber keinen Mucks von sich. Tony gehörte zu den Männern, die von ihrem eigenen Schwachsinn so high wurden, dass sie keinen Schmerz spürten. Doch bevor ich diesen Raum verließ, würde er auf jeden Fall etwas spüren.
Sonnenstrahlen fielen durch die Jalousien in Salvatores Büro und brachten Staubpartikel in der Luft zum Leuchten. Sämtliche Gäste hatten sich verabschiedet, und man konnte mit Sicherheit sagen, dass der Lunch ein Reinfall gewesen war. Was bedeutete, dass ich noch mehr Lunchs und Partys würde besuchen müssen. Keine der Familien wollte es riskieren, jeden Einzelnen zu einem so großen Event mitzunehmen, denn ein solcher Schlamassel wie heute konnte dazu führen, dass alles in ein Blutbad ausartete, während Frauen und Kinder anwesend waren.
Luca stand vor der Tür, seine kalten Augen auf Tonys Hinterkopf gerichtet. Benito und einer seiner jüngeren Cousins, der ungefähr so alt wie Adriana war, lehnten mit verschränkten Armen an der Wand, während Salvatore mit zerknirschter Miene hinter seinem Schreibtisch saß.
Ich hätte wegen Pieros Tod einen Krieg beginnen können, weshalb Salvatore wahrscheinlich mitzog. Das und die Tatsache, dass das Leben seiner Tochter wegen der Dummheit seines Sohnes bedroht worden war.
»Du hast Mist gebaut, mein Sohn«, sagte Salvatore und verschränkte die Hände auf dem Holzschreibtisch. »Ich habe dich gewarnt, aber du hast trotzdem Ärger gemacht. Wenn Elena etwas passiert wäre, würdest du im Hudson treiben. Du solltest froh sein.«
»Froh«, höhnte Tony. Er strich sich mit der Hand über das Kinn, bevor er sagte. »Links.«
Zufriedenheit machte sich in meiner Brust breit.
Ich würde die rechte nehmen.
Ich tappte den teppichbelegten Flur entlang zum entfernten Sound der Misfits, der unter der Tür meiner Schwester hervordrang. Sobald ich mein Zimmer betrat, hinterließ ich eine Spur mit Klamotten in Richtung Badezimmer. Nachdem ich am Spiegel vorbei war, drehte ich die Dusche auf und stellte mich unter den heißen Strahl.
Es brannte.
Etwas musste diese Erinnerung fortwaschen. Der heutige Tag hatte mich ein halbes Jahr zurückversetzt. Es war das letzte Mal, als ich Blutspritzer von jemandem auf meinem Gesicht gehabt hatte.
Das heiße Wasser strömte aus dem Duschkopf und klebte mein Haar an Gesicht und Schultern fest. Ich stellte es mir als Malfarbe vor – das Rot lief an meinem Körper herunter und verschwand wirbelnd im Abfluss. Wenn man Schuld nur so leicht loswürde.
Ich schloss die Augen.
Rufe. Ein kalter Lauf an meiner Schläfe. Eine Sekunde, zwei Sekunden. Zögern …
Peng.
Ich riss die Augen auf.
Dieser Schuss war nicht in meiner Vorstellung gewesen.
Mein Nacken prickelte. Hoffentlich war es nur Tony, der noch eine von Nonnas Vasen zerschoss. Aber ich hatte noch nicht über die Konsequenzen nachgedacht, denen Tony sich womöglich nach dem Ärger, den er verursacht hatte, stellen musste …
Ich sprang aus der Dusche und trocknete mich so schnell wie möglich ab. Das Haar noch nass und ungekämmt, schlüpfte ich in T-Shirt und Shorts, bevor ich die Treppe hinunterrannte. Der Marmorfußboden war kalt an meinen Füßen, als ich die Treppenrundung zu Papas Büro nahm, und erneut stieß ich mit etwas Festem zusammen.
Luft entwich meiner Lunge. Ich war so schnell gerannt, dass ich auf meinen Hintern gefallen wäre, hätte sich nicht ein Arm um meine Taille gelegt, als ich rückwärtstaumelte, und mich wieder ins Gleichgewicht gebracht. Es war ein unglaublich warmer und starker Arm.
»Verdammt«, murmelte Nicolas verärgert.
Mein Bauch spannte sich an, als er gegen seinen gepresst wurde. Die Berührung löste überall ein Prickeln aus, aber ich hatte keine Zeit, das Gefühl genauer zu analysieren. Ich wurde rasch aus dem Weg geschoben und konnte nur noch Nicolas’ Rücken betrachten, als er weiter den Flur entlangschritt.
Die kalte Gleichgültigkeit, mit der sein Unterboss an mir vorbeiging, kränkte mich, und ich war plötzlich froh, dass ich statt seiner mit Nicolas zusammengestoßen war.
Ein Brennen war noch immer um die Taille herum zu spüren, und mein Herz flatterte wegen des Zusammenpralls und einer plötzlichen Befürchtung: »Hast du meinen Bruder getötet?«
»Ich hätte es tun sollen«, war alles, was Nicolas sagte, bevor sich die Eingangstür hinter den beiden Männern schloss.
Ich atmete erleichtert ein, doch das war von kurzer Dauer, als Tony Papas Büro verließ und den Gang entlangwankte, als wäre er betrunken. Sein Oberkörper war nackt, und sein Anzughemd war um seine Hand gewickelt. Blut tropfte hellrot auf den Marmorfußboden.
Mein Bruder war groß, einigermaßen muskulös und von Narben übersät. Von den beiden Schusswunden und einer Vielzahl anderer Verletzungen, deren Ursprung ich nur vermuten konnte. Wahrscheinlich von den illegalen Kämpfen, an denen er teilgenommen hatte.
Tony sagte im Vorbeigehen kein Wort, aber ich folgte ihm in die Küche. Während mir die Schwingtür in den Rücken drückte, sah ich dabei zu, wie er eine Flasche Whiskey aus dem Schrank nahm und sich abmühte, sie mit einer Hand zu öffnen. Schließlich gelang es ihm, indem er sie gegen seine Brust presste und den Deckel drehte. Er trank einen großen Schluck, bevor er sich an die Kücheninsel setzte. »Verschwinde, Elena.«
»Du musst zu Vito.« Er war der Vikar in der Kirche, hatte aber auch medizinische Kenntnisse und konnte Verletzungen behandeln.
»Mir geht’s gut.« Er nahm noch einen Schluck aus der Flasche, wobei etwas davon auf seine bloße Brust tropfte.
Es ging ihm nicht gut. Er verschmierte Blut auf der Arbeitsplatte. Und er wirkte betrunken, noch bevor er überhaupt einen Schluck genommen hatte, wie jemand, dem man gerade das Herz gebrochen hatte.
»Ich rufe Vito an.« Ich ging zu dem schnurlosen Telefon neben dem Kühlschrank.
Tony blickte mit reuiger Miene zu mir herüber. »Es tut mir leid, Elena. Ich wusste nicht, dass es so enden würde. Ehrlich.«
Mein Herz zog sich zusammen. »Ich verzeihe dir.«
Er lachte freudlos. »Das solltest du nicht.«