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»Ich bin gefangen hinter einem schwarzen Spiegel.« Ein Rockstar, der endlich ausbrechen und er selbst sein will – auch wenn er alles verlieren könnte. Ein Ghostwriter, der seinen Traum, Autor zu sein, ehrgeizig verfolgt – aber eine längst vergangene Liebe nicht loslassen kann. Vollkommen egal, wie weh es tut. Gefangen sind beide – auf ihre ganz eigene Weise. Doch als Ray und Eliah aufeinandertreffen, geraten ihre Welten ins Wanken. Ihre Gefühle füreinander sind so tief, so stark, dass alles, was sie zu kennen glaubten, zusammenbrechen könnte. Jetzt müssen sie sich entscheiden, ob ihre Ängste sie weiterhin kontrollieren oder die beiden gemeinsam ihre Geschichte schreiben wollen. Sollte man sich in einen Mann verlieben, der einem vor Tausenden von Menschen das Herz brechen könnte? //Der New-Adult-Roman »These Unwritten Words« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//
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Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Nadja Raiser
These Unwritten Words
»Ich bin gefangen hinter einem schwarzen Spiegel.«Ein Rockstar, der endlich ausbrechen und er selbst sein will – auch wenn er alles verlieren könnte.Ein Ghostwriter, der seinen Traum, Autor zu sein, ehrgeizig verfolgt – aber eine längst vergangene Liebe nicht loslassen kann. Vollkommen egal, wie weh es tut. Gefangen sind beide – auf ihre ganz eigene Weise. Doch als Ray und Eliah aufeinandertreffen, geraten ihre Welten ins Wanken. Ihre Gefühle füreinander sind so tief, so stark, dass alles, was sie zu kennen glaubten, zusammenbrechen könnte. Jetzt müssen sie sich entscheiden, ob ihre Ängste sie weiterhin kontrollieren oder die beiden gemeinsam ihre Geschichte schreiben wollen.
Buch lesen
Vita
Danksagung
© privat
Nadja Raiser lebt mit ihrem Mann und drei Kindern am Rande der Allgäuer Alpen. Seit ihrer Kindheit liebt sie es, in selbstgeschriebene Geschichten abzutauchen. Während ihre Anfänge noch auf Disketten schlummern, hat sie Anfang 2020 den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt und schreibt nun Romane in verschiedenen Genres. Neben dem Schreiben gehört ihr Herz der Musik. Daher findet man sie immer wieder singend und musizierend in Chor und Orchester.
Ray
»Raus, alle zusammen! Verlasst das Zimmer!«
Peters Stimme dröhnt in meinen Ohren und ich stöhne genervt.
»Habt ihr nicht gehört? Oder standet ihr zu nah an den Boxen? Ich sagte RAUS!«
Ich lasse mich in den schwarzen Ledersessel fallen und winke den Mädchen ohne großes Interesse zum Abschied. Es war sowieso klar, dass Peter sie rauswirft, denn genau dasselbe hat er nach den letzten beiden Konzerten getan. Weiß der Geier warum. Andererseits ist es mir heute Abend ganz recht so, da mein Kopf dröhnt, als würde ein Presslufthammer darin wüten.
Als sich nur noch die Jungs und ich im Backstageraum befinden, dreht sich Peter zu meinen Kollegen und fährt sich dabei durch die Haare.
»Hey, würdet ihr mich einen Augenblick mit Ray alleine lassen?«
Okay, das ist neu. Und es klingt gar nicht gut.
Scott, Jonas und Alec klopfen mir kumpelhaft auf die Schultern und ich sehe ihnen nach, während sie mit gesenkten Köpfen unseren Backstageraum verlassen.
Mit gespielt abwesender Haltung trinke ich aus einer Bierflasche, doch ich spüre Peters wütenden Blick auf mir ruhen. »Was?«, fahre ich ihn an.
»Die wievielte Flasche ist das jetzt?«
Ich sehe vom Bier zurück zu Peter und schüttle den Kopf. »Ist die Frage ernst gemeint?«
»Antworte mir, Ray!«
Mein Manager steht inzwischen breitbeinig vor mir und hält die Hände abwartend in die Leisten gestemmt. Vermutlich denkt er, er würde so beängstigender aussehen, doch dazu fehlen ihm ungefähr zehn Kilo Muskelmasse. Stattdessen muss ich direkt auf seinen schwabbeligen Bauch starren, der in einem viel zu engen Armanianzug steckt, und ich stöhne genervt auf. »Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt und darf seit geraumer Zeit Alkohol trinken, das weißt du, nicht wahr? Oder willst du mir etwa sagen, dass es mir ab sofort vertraglich nicht mehr erlaubt ist, ein Bier zu trinken?«
Peter seufzt und klopft mir mitfühlend auf die Schulter.
»Du weißt, dass ich nur das Beste für dich will, Junge, oder?«
Ja klar – selten so gelacht. Ich unterdrücke noch rechtzeitig ein Augenrollen und stelle das Bier beiseite. In Peters Anwesenheit schmeckt mir nicht einmal meine Lieblingssorte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der mein Manager regungslos vor mir steht, höre ich ein weiteres theatralisches Seufzen aus seinem Mund und ich spanne mich innerlich an.
»Wir müssen reden, Ray.«
Ach, echt? Als wüsste ich das nicht. Doch ich richte mich im Sessel auf und nicke mit gespielt interessierter Miene.
»Um was geht’s?«
Peter seufzt schon wieder und ich frage mich, ob er dieses Geräusch in den letzten Tagen vor dem Spiegel geübt hat. Gleichzeitig beobachte ich ihn dabei, wie er die glatt nach hinten gegelten Haare noch platter an die Kopfhaut drückt – das tut er immer, wenn er schlechte Neuigkeiten hat. »Das Konzert war scheiße«, beginnt er und ich nicke.
Ein Punkt, bei dem wir uns einig sind, was eher selten vorkommt. Das Konzert war eine absolute Katastrophe und ich kann echt von Glück reden, dass sie uns nicht mit faulen Eiern beworfen haben. Denn wäre ich heute mein eigener Zuschauer gewesen, hätte ich es vermutlich getan.
»Und die neue Single kommt einfach nicht so an, wie wir uns das erhofft haben«, fährt er fort. Ein weiterer Punkt, dem ich zustimmen kann – abgesehen von der Tatsache, dass mir schon vor der Veröffentlichung von You are my Wonderlove klar war, dass der Song nichts ist. Wir – das heißt, die Band Ray and the Kings – haben uns sogar geweigert, ihn zu performen, bis Peter uns auf eine Vertragsklausel aufmerksam gemacht hat. Diese zwingt uns dazu, die grässlichen Pop-Lovesongs aus der Feder unseres Labels zu trällern, völlig egal, ob wir wollen oder nicht.
»Wir benötigen dringend richtig gute Publicity. Und eine weitere Single. Hörst du, Ray?«
Mein Kopf dröhnt schmerzhaft, dennoch stehe ich auf und bohre den Zeigefinger in Peters teuren Anzug. »Wenn du von mir verlangst, dass wir einen weiteren Lovesong von Alberta aufnehmen, hast du dich …«
»Dann komm endlich in die Gänge und besorge mir einen Song! Verfluchter Mist!« Peter stöhnt auf und schüttelt den Kopf. »Ihr seid die erste amerikanische Boyband seit über zehn Jahren, die es neben dem ganzen K-Pop-Scheiß aus Asien endlich wieder in die Weltrangliste geschafft hat. Diesen Erfolg werde ich mir garantiert nicht von einem beschissenen Durchhänger deinerseits zerstören lassen! Die Leute und vor allem die jungen Mädchen lieben dich – immer noch. Das ist dein Glück. Also hör damit auf, ständig dieses griesgrämige Gesicht aufzusetzen. Schreibe einen neuen Song, der zu unserem Label passt, und du musst nie wieder etwas von Alberta singen. So einfach ist das.«
Peters Miene ist eisern und ich kenne ihn lange genug, um zu wissen, dass er keine Widerrede duldet.
»Außerdem wirst du ein Buch veröffentlichen«, fügt er nach einer Pause hinzu und ich verschlucke mich an meiner eigenen Spucke.
Bitte was? Völlig sprachlos starre ich ihn an und suche irgendein Zeichen dafür, dass er Witze macht, doch Peter sieht mich noch immer mit diesen eisblauen, kalten Augen an. »Das machen zurzeit fast alle Promis. Und wenn du dich an den Zeitplan hältst, wird es eine perfekte Geschenkidee in der Vorweihnachtszeit. Das bringt gute Publicity.«
Ich versuche ruhig zu bleiben, denn meine Fäuste sind kurz davor, schwungvoll und voller Enthusiasmus Peters Nasenbein zu brechen. »Ich habe noch nie ein Buch geschrieben«, merke ich mit gepresster Stimme an, doch mein Manager winkt lässig ab.
»Wir haben dir einen Ghostwriter engagiert. Das ist in dem Genre so üblich.«
Ich fasse es nicht, Peter meint das wirklich ernst.
»Und worüber soll dieser Ghostwriter schreiben?«
Er wirft mir einen fast schon mitleidigen Blick zu und klopft mir ein weiteres Mal auf die Schulter. »Na, über dich natürlich, Ray. Du bist Leadsänger von Ray and the Kings! Die Leute wollen dich, den wahren Ray, kennenlernen.«
Ein freudloses Lachen dringt aus meiner Kehle. Seit ich Peters Vertrag unterzeichnet habe, weiß ich, was er mit ›dem wahren Ray‹ meint. Damit bin nämlich nicht ich gemeint, nein, nein. Damit spricht er von einem Ray, der Balladen singt und der allein durch die Hilfe von Sunset Music am Musikhimmel als glänzender Stern aufsteigen konnte. Ein Sänger, der immerzu lächelt, niemals schlechte Laune hat, und dem die Mädchen zu Füßen liegen. Ein Womanizer, der dennoch auf der Suche nach der einzig wahren Liebe ist.
Peter tätschelt ein letztes Mal meine Schulter und räuspert sich. »Ich habe den Ghostwriter für morgen Vormittag zu dir nach Hause bestellt. Sybill hat dir die Infos dazu per Mail geschickt. Er kommt um neun. Enttäusche uns nicht, Ray.«
Er nickt mir noch einmal zu und lässt mich schließlich allein im Backstagebereich zurück.
Eine gefühlte Ewigkeit starre ich auf das graublaue Linoleum. Dann ergreife ich die Bierflasche und schleudere sie auf den Boden. Während sich weißer Schaum neben meinen Füßen verteilt, trifft mich die Erkenntnis wie ein Faustschlag.
Ich werde morgen also ein Buch schreiben. Eine Autobiografie. Und ich kann rein gar nichts dagegen tun.
»Fuck! Fuuck!!«
Ellie
»Bin wieder da!« Meine Stimme klingt irgendwie verzerrt und ich lausche in den langen Gang unserer Wohnung hinein. Nichts. Keine Antwort.
Das liegt möglicherweise daran, dass es drei Uhr morgens ist und nicht jeder um diese Uhrzeit topfit ist. Ich bin es allerdings. Außerdem habe ich Hunger – einen Bärenhunger.
Gott! Hoffentlich hat mir Rob etwas vom Essen übriggelassen.
Nach drei Versuchen schaffe ich es endlich, die triefend nasse Regenjacke und die Sneakers auszuziehen und ich schwöre, dieser Reißverschluss kommt direkt aus der Hölle! Das liegt ganz sicher nicht an den paar Bier oder den Cocktails, die ich getrunken habe. Und bestimmt auch nicht an den Tequila-Shots, die Lexi mit mir in den letzten Stunden geext hat. Mein Magen knurrt laut und ich kann förmlich die kalte Lasagne riechen, die Rob heute Abend gekocht hat.
»Mann! Auuuu!« War der Gang schon immer so eng? Und woher kommt plötzlich diese Türklinke? Das wird sicher einen üblen blauen Fleck am Oberarm geben.
Ich remple noch ein, zwei oder drei andere Gegenstände an, bis ich in der Küche ankomme. Und – Halleluja! –, es gibt noch Lasagne.
»O Rob! Ich liebe, liebe, liebe dich!« Nach drei weiteren Anläufen habe ich es sogar geschafft, die Besteckschublade zu öffnen, und endlich sitze ich auf dem Küchentresen und löffle kalte, aber absolut köstliche Lasagne.
Plötzlich geht das Licht an und ich kneife die Augen zu.
»Was machst du hier, verflucht?!«
Meine Schwester Linda steht mit verschränkten Armen im Türrahmen und ja – man könnte behaupten, dass sie wütend aussieht.
»Ich esse die weltbeste Lasagne.«
Offenbar überzeugt sie diese Antwort nicht, denn nun hebt sie auch noch eine Augenbraue an. »Im Dunklen?«
Auf einmal ergibt alles einen Sinn und ich lache laut auf. »Ich bin gar nicht betrunken. Und der Gang ist auch nicht schief. Ich habe lediglich vergessen, das Licht anzuschalten. Linda, du bist der Hammer! Hab ich dir das heute schon gesagt? Ich liebe, liebe, liebe dich!«
Leider lässt sie es nicht zu, dass ich sie küsse, denn sie hält meine beiden Hände fest und schüttelt den Kopf.
»Das kommt wohl davon, wenn ich dich alleine mit Lexi und Gordon losziehen lasse. Himmel! Was hast du alles getrunken?«
»Mann, Linda! Es ist Wochenende und ich habe die ersten Prüfungen hinter mir. Und außerdem habe ich gestern mein Manuskript abgeschickt. So etwas muss ich doch fei… Aaaahhh!« Ich hatte eigentlich vor, die Arme in die Luft zu werfen, aber irgendwie verliere ich dabei das Gleichgewicht und kann mich gerade noch auffangen, um nicht vom Tresen zu fallen. Leider trifft das nicht auf den Teller Lasagne zu, denn der liegt jetzt völlig zerstört am Boden. Ich könnte heulen. Die gute Lasagne!
Allerdings höre ich wirklich ein heulendes Geräusch. Aber ich bin es nicht, ich schwöre.
Erst als Linda seufzt und mich verärgert ansieht, kapiere ich es.
»Dylan ist wach. Na toll. Gut gemacht, Bruderherz.« Anstatt sofort zurück in ihr Zimmer zu gehen, um ihren einjährigen Sohn zu versorgen, steht Linda allerdings immer noch vor mir und betrachtet mich und die Matschlasagne zu meinen Füßen. Dann rollt sie mit den Augen und deutet auf mich. »Du rührst dich nicht vom Fleck, verstanden?«
Obwohl ich den Ernst in ihrer Stimme höre, kann ich nicht anders und kichere. »Wenn du sauer bist, klingst du wie Mom, weißt du das?«
Linda wirft mir einen Putzlappen an den Kopf. »Und du wie Dylan, wenn du besoffen bist. Apropos Mom … Da blinkt ein Anruf auf dem AB.« Sie streicht ihr weißblondes Haar hinter die Ohren und wackelt verschwörerisch mit den Augenbrauen. »Ich kenne nur eine Person, die diese Nummer besitzt.«
»Mom«, antworte ich prompt und versuche die Nachricht abzuhören. Und tatsächlich finde ich irgendwann sogar die richtige Taste. Gleichzeitig mache ich mir eine gedankliche Notiz, bei meinem nächsten Besuch zu Hause unsere Festnetznummer in ihrem Handy zu löschen.
»Hey Ellie, ich bin’s, Mom. Tut mir so, so, sooo leid, ich habe total vergessen, einen wichtigen Termin weiterzugeben. Ein Autor unseres Verlags soll morgen Vormittag um neun Ray Williams in seiner Wohnung besuchen, die Adresse habe ich dir per Mail geschickt. Sein Label hat uns engagiert, eine Biografie über ihn zu schreiben, und ich dachte, es wäre eine tolle Herausforderung für dich, findest du nicht? Das ist die Gelegenheit, den Durchbruch als Autor zu schaffen. Und es ist die ideale Beschäftigung für die kommenden Wochen, nicht wahr? Immerhin sind die ersten Prüfungen vorbei und soweit ich mich an meine Studienzeit erinnern kann, habt ihr in der Woche vor Thanksgiving frei. Perfekt, oder? Ach so, Linda hat mir erzählt, dass du dein Manuskript beendet hast. Glückwunsch, Schatz. Du wirst sicher einen geeigneten Verlag dafür finden, meine Daumen sind jedenfalls gedrückt. Mach’s gut, mein Süßer. Und richte Linda aus, dass ich Dylan schrecklich vermisse! Küsschen.«
Wie in Trance starre ich auf das Telefon in meinen Händen und fühle mich schlagartig nüchtern.
Du wirst sicher einen geeigneten Verlag dafür finden.
Ich gebe zu, die Worte würden emotional aufbauend wirken, wenn meine Mom nicht eine Zweigstelle von Harper Collins leiten würde. Denn angesichts dieser Tatsache bedeuten sie eigentlich nichts anderes als: »Sorry, Ellie, dein Fantasyroman ist echt scheiße und wir werden sicher keinen Cent ausgeben, um ihn zu verlegen. Aber hey, vielleicht findest du ja ein paar Idioten, die Freude daran haben?« Gut, vermutlich würde sie es nicht so formulieren, doch die Message ist dieselbe: Mein Buch ist nicht gut genug für sie.
Seit ich schreibe, träume ich davon, mit einem eigenen Roman einer ihrer Autoren zu werden. Viele Jahre habe ich an meiner Idee getüftelt, recherchiert und das Manuskript immer wieder überarbeitet.
Wenn ich ehrlich bin, begann ich im Herbst nur aus einem einzigen Grund das Literaturstudium: Ich erhoffte mir, endlich von Mom als Schriftsteller gesehen zu werden. Tja, offensichtlich habe ich dieses Ziel erreicht. Nur leider anders als erträumt.
»Ich hab mich verhört, oder? Sie meint sicher nicht Ray Williams von Ray and the Kings? O mein Gott, o mein Gott, o mein Goohoooott! Ellie! Wie geil ist das denn? Gratuliere dir!« Linda wischt die letzten Reste der Lasagne auf und umarmt mich stürmisch. Dass Dylan immer noch weint, fällt ihr in diesem Augenblick wohl gar nicht auf.
»Ja … Äh … Danke.« Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob eine Gratulation wirklich angebracht ist. Da sich meine besten Freunde Lexi und Gordon inzwischen am Flughafen befinden, um einen sogenannten Selbstfindungskurztrip in der Karibik zu starten, wollte ich eigentlich die nächsten Wochen dazu nutzen, die Rohfassung eines neuen Romans zu schreiben. Und ein Musiker sollte ganz sicher nicht darin vorkommen.
Plötzlich öffnet sich die Küchentür und Rob wirft einen verschlafenen Blick auf uns. »Das Baby schreit«, sind die einzigen Worte, die er murrt. Dann betrachtet er das restliche Lasagnemassaker, das inzwischen neben mir liegt, und ich fühle mich extrem schuldig. Linda offensichtlich auch, denn die spurtet eilig aus der Küche hinaus, während Rob zum Kühlschrank schlurft und sich ein Glas Milch einschenkt.
Linda hat Robert Hyde, wie der ältere Herr mit dem mürrischen Blick eigentlich heißt, damals in einem Obdachlosenheim aufgegabelt, als sie dort gearbeitet hat. Bis heute weiß ich nicht, was in sie gefahren ist, als sie ihn kurzerhand in unserer WG einquartiert hat. Ich habe bestimmt zwei Wochen kein Wort mit ihr gesprochen, so wütend war ich. Wie sollte man bitte einem ehemaligen Obdachlosen aus der Wohnung werfen, ohne völlig herzlos zu wirken?
Na ja, inzwischen bin ich dankbar für Lindas zu großes Herz, denn Rob ist gelernter Koch und seitdem er bei uns lebt, gibt es jeden Abend frisch gekochtes Essen, was im heutigen Fall Lasagne bedeutet. Die Pampe, die jetzt inmitten von Scherben neben mir liegt …
»Sorry, Rob …«, beginne ich, doch Lindas Erscheinen hindert mich am Weitersprechen.
»Er schläft wieder, dem Schnuller sei Dank. Wehe, du rempelst noch ein einziges Möbelstück an.« Sie wirft einen Blick auf Rob, murmelt ebenfalls eine Entschuldigung und öffnet, genau wie er zuvor, die Kühlschranktür, um nach der Milch zu greifen. Mit dem Unterschied, dass Linda direkt aus der Flasche trinkt. Dann dreht sie sich zu mir und grinst breit.
»Du solltest ins Bett, Bruderherz. In weniger als sechs Stunden interviewst du Ray Williams!«
»Wer is’n das?«, mischt sich Rob ein und schließt ohne ein Wort des Ärgers den Kühlschrank.
»Machst du Witze? Er ist der Sänger unseres Jahrhunderts«, erklärt Linda, doch ich stöhne.
»Vielleicht kann er singen, aber die Lieder von Ray and the Kings sind gequirlte Scheiße.«
Das hätte ich nicht sagen dürfen.
Wirklich nicht.
Denn Linda verwandelt sich in eine Furie, stemmt die Hände in die Hüften und erklärt mir mit surrender, ohrenbetäubender Stimme, warum diese Band und vor allem Ray der Renner sei:
»Es gibt niemanden, der so eine rauchig-kratzige Stimme hat wie er. Sie klingt wie Honig und knisterndes Kaminfeuer.« (Wie zur Hölle klingt denn bitte schön Honig?) »Außerdem kann er tanzen – Ellie, du musst dir seinen Hüftschwung ansehen! Er ist ein Dirty-Dancing-Gott!
Hast du diesen Mund einmal genauer betrachtet? Er küsst sicherlich göttlich. Ray Williams singt mit so viel Gefühl. Ich liebe ihn. Er ist der absolute Wahnsinn!«
Diese und unzählige weitere Kommentare muss ich über mich ergehen lassen.
»Sein neuer Song heißt You Are My Wonderlove. Ich finde, das sagt alles über ihn«, entgegne ich.
Rob prustet laut los, während er sein inzwischen leeres Milchglas spült, und Linda funkelt mich beleidigt an.
»Na, wenn du nicht willst, dass er dich gleich fünf Minuten nach neun rauswirft, sag ihm das lieber nicht persönlich. Er hat den Song nämlich geschrieben. Mann, ich bin so neidisch. Wieso bekomme ich nie solche Aufträge von Mom?«
Linda arbeitete vor Dylans Geburt als Korrektorin beim Verlag und versucht bereits seit einigen Monaten vergeblich, wieder neue Manuskripte von Mom zu erhalten. Aber Mom ist eben Mom – sie erfüllt unsere Wünsche nie so, wie wir sie gern hätten.
»Weil du erstens einen einjährigen Sohn am Wadenbein hängen hast und sie zweitens vermutlich weiß, dass du besagtem Ray nur an die Wäsche gehen würdest, dürftest du ihn in seiner Wohnung besuchen«, beantworte ich ihre Frage mit einem ironischen Unterton. Nicht, dass sie keinen Erfolg damit hätte. Denn trotz der Geburt meines Neffen hat sich Linda kaum verändert – weder optisch noch charakterlich: Sie ist und bleibt eine umwerfende Frau, die gerne flirtet und mit ihrem entwaffnenden Lächeln die Männer reihenweise um den Finger wickeln kann. Dennoch bin ich mir ziemlich sicher, dass Mom Linda nur deswegen keine Aufträge erteilt, weil sie meine Schwester durchgehend zu Hause bei Dylan sehen will. Doch das sage ich nicht, denn die Antwort würde nur in einer wütenden Diskussion enden, auf die ich nicht einmal nüchtern Lust hätte.
Linda funkelt mich beleidigt an. »Ach, und du würdest ihm nicht an die Wäsche gehen, oder was?«
Ich grinse breit. Ja, es gab einmal eine Zeit, in der ich dasselbe Ziel verfolgt habe. Ich hole das Handy aus der Gesäßtasche, denn selbst wenn mir der Name und die Lieder der Band etwas sagen, habe ich momentan nur eine schemenhafte Ahnung, wie der Typ aussieht.
Aber das ändert sich schnell, nachdem ich »Ray Williams« bei Instagram eingebe. Unzählige Bilder und Videos ploppen von ihm auf. Schwarze, halblange Haare, verwegener Bartschatten, dunkelrote volle Lippen und dazu dieser leicht melancholische, durchdringende Blick … Gott! Der Typ ist heiß. Okay, die sehr spärlich bekleideten Damen, die sich auf jedem zweiten Foto in seinen Armen räkeln, stören mich etwas, aber es stimmt: Ray Williams zählt definitiv zu der Sorte Mann, auf die ich abfahre. Auf die ich abfahren würde, wenn ich auf der Suche wäre, versteht sich natürlich.
Denn nachdem ich den Bildschirm des Smartphones entsperrt habe, ist neben den Fotos des Popsternchens eine Nachricht aufgeploppt, die ich jetzt öffne. Mein Herz krampft sich zusammen und ich rutsche den Barhocker näher an die Wand, damit Linda nicht mitlesen kann.
Hey, Babe, ich hoffe, du hast eine tolle Party. Schade, dass ich nicht bei dir sein kann. Aber du weißt ja, Katie. Ich vermisse dich so! Wir sehen uns. Kuss, Cole
Ich presse die Lippen aufeinander. Die Nachricht hat er vor vier Stunden geschickt.
»Was schreibt er?«
Lindas bohrender Blick spießt mich auf und ich schalte schnell die Bildschirmsperre ein. Woher zur Hölle weiß sie, wessen Nachricht ich …?
»Du hast immer denselben Blick drauf, wenn Cole dir schreibt«, unterbricht sie meine Gedanken. Dann seufzt sie. »Lass mich raten, er vermisst dich und wäre gern bei dir, aber Katie … bla bla bla …«
Ich schlucke. Na toll. Wenn mich Moms Nachricht vorhin etwas nüchterner gemacht hat, bin ich jetzt stocknüchtern.
Wieso tut Liebeskummer so höllisch weh?
»Du musst ihn endlich aus unserer Wohnung rauswerfen, Ellie. Er wird nicht zu dir zurückkehren.«
Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft mir Linda diesen lieb gemeinten Rat erteilt hat.
Vergiss ihn. Er hat dich nicht verdient. Du bist viel zu gut für ihn. Wenn er sich nicht entscheiden kann, dann tu du es! Er will dich nur warmhalten, wenn das mit Katie nichts wird. Du willst doch nicht bis ans Lebensende mit einem Mann zusammen sein, der sich nicht outen möchte.
Ich kenne ihre Ratschläge in- und auswendig und ja – insgeheim weiß ich, dass sie recht hat.
Aber ich liebe Cole. Ich liebe ihn so sehr, dass es weh tut. So sehr, dass er immer noch einen Schlüssel unserer Wohnung besitzt, obwohl er seit Monaten mit jemand anderem – einer Frau namens Katie – zusammen ist. Ich liebe ihn so sehr, dass ich ihm auch nach dieser langen Zeit noch glaube, dass Katie nur eine Alibi-Freundin ist, um seine konservative Familie zu beruhigen. Ich glaube ihm immer noch, dass er insgeheim nur mich liebt.
Ich bin ein hoffnungsloser Fall, ich weiß.
»Die Lasagne hat super geschmeckt, und sorry noch mal für das Chaos«, murmle ich an Rob gewandt und erhebe mich schwerfällig. »Ich hau mich ins Bett.«
Dann verlasse ich die beiden. Denn wenn ich morgen ein Interview als Ghostwriter führe, sollte ich zumindest ein paar Stunden geschlafen haben.
Ray
Es klingelt. Verdammter Wecker! Was zur …? Ich tippe ein zweites Mal blind auf das Smartphone, das neben mir auf dem Bett liegt und einfach nicht aufhört zu klingeln.
Schon wieder. »Verfluchtes Handy!«, fahre ich es an und öffne doch die Augen, um den schrecklichen Weckton auszuschalten. Erst als es ein drittes Mal klingelt, kapiere ich es. Es ist nicht der Wecker meines Smartphones, der so durchdringend surrt, sondern die Wohnungstür.
Wer, zur Hölle, wagt es, mich um diese Uhrzeit zu stören? Und warum hat ihn der Portier überhaupt in den Aufzug steigen lassen?
Ich bin schon auf dem Weg, dem Störenfried eine Faust ins Gesicht zu rammen, da fällt es mir wieder ein. Ghostwriter Ellie Waye – irgendein Mädchen aus einem angesagten Verlag soll heute zu mir kommen, damit sie ein Buch über mich schreibt. Dummerweise habe ich den Portier gestern Abend persönlich darüber informiert, dass sie vorbeikommt.
Shit! Stöhnend laufe ich zurück ins Schlafzimmer, um mir zumindest eine Hose und ein Shirt anzuziehen. Doch dann sehe ich in die Spiegelfront des Schranks und halte inne. Ich habe überhaupt keine Lust, einer Ghostwriterin zur Seite zu stehen. Noch viel weniger möchte ich, dass ein Buch über mich und mein Leben erscheint.
Dieses Leben gehört mir, verdammt!
Ich betrachte das schiefe Grinsen meines Spiegelbildes und fahre mir durch die Haare, die rein theoretisch eine Dusche oder zumindest eine Bürste nötig hätten. Aber nur rein theoretisch. Genau wie das Kinn eine Rasur vertragen könnte.
Wenn mein Label mich schon verkaufen will, bitte – aber ich bestimme den Preis. Wer weiß, vielleicht ist besagte Ellie eine heiße Studentin, mit der ich in den frühen Morgenstunden ein paar Minuten Spaß haben kann?
Und falls nicht, wird sie sicherlich sofort schreiend die Aufzugtüren schließen und nie wieder auftauchen. So oder so klingt es nach einer Win-win-Situation.
Ich zwinkere mir selbst im Spiegel zu und eile splitterfasernackt zum Aufzug und drücke auf den Öffner.
»Du bist zu früh, Ellie«, säusle ich, während ich mich am Garderobenschrank anlehne. Doch dann erstarre ich.
Vor mir steht keine heiße Studentin, das ist schon mal klar. Und auch keine kreischende alte Omi, sondern ein Kerl. Ein K-E-R-L!
Ein junger Mann, der sich offensichtlich köstlich amüsiert und mich völlig ohne Scheu ausgiebig mustert. Verfluchter Mist! Plötzlich fühle ich mich auf unangenehme Art und Weise nackt.
»Scheint sehr heiß zu sein in deiner Wohnung«, bemerkt er und ich muss mich stark zusammennehmen, um mein bestes Stück nicht doch noch mit den Händen zu verdecken. Als würde das helfen.
»Soll ich auch die Hüllen fallen lassen, oder reicht es, die Schuhe auszuziehen?«
»Du bist Ellie Waye?«, bringe ich mit krächzender Stimme hervor. Mein Gegenüber betrachtet gerade ausgiebig die beiden Tattoos auf meiner Brust und meinem Bauch. Ich merke, wie sein Blick immer tiefer sinkt und – okay, er hat es geschafft – ich verdecke doch mein bestes Stück und warte in dieser Haltung auf eine Antwort.
»Jupp«, kommt sie auch prompt. Ein breites Grinsen legt sich auf sein Gesicht und als er mich ansieht, erkenne ich zwei tiefe Grübchen in seinen sommersprossigen Wangen. »Und mir fällt gerade der perfekte Titel zu deinem Buch ein: Ray Williams – nichts als die nackte Wahrheit. Dazu dieses Bild … verdammt schade, dass ich keine Kamera dabeihabe.« Er wackelt vielsagend mit den Augenbrauen. »Wir wiederholen das, versprochen?«
Ganz sicher nicht. Ich muss nicht sprechen, ich denke, mein Blick genügt, damit er weiß, dass er die Klappe halten soll. Und tatsächlich funktioniert es. Er zuckt kurz mit den Schultern und seufzt. »Eigentlich heiße ich Eliah, doch so nennt mich schon seit Jahren niemand mehr. Reicht dir die Antwort? Und kann ich jetzt reinkommen oder sollen wir das Interview im Aufzug führen?«
Seufzend ergebe ich mich und deute ihm mit einer ausladenden Handbewegung, mir zu folgen. »Ich zieh mir nur noch etwas an«, erkläre ich und begebe mich sofort ins Schlafzimmer. Trotzdem höre ich den Einwand, den er mir hinterherruft.
»Wegen mir kannst du ruhig so bleiben. Ich habe absolut nichts da… wow …«
Ich schätze mal, Ellie hat die 180-Grad-Panoramafester entdeckt und betrachtet die Skyline von San Francisco. Schnell schlüpfe ich in eine Jogginghose und ziehe mir ein Shirt über.
Als ich zurück in den Wohnbereich komme, grinse ich breit. Mein Ghostwriter steht mit offenem Mund an der bodentiefen Fensterfront und ich nutze die Gelegenheit und betrachte ihn genauer. Blonde Kurzhaarfrisur, die mit Gel künstlich verstrubbelt wurde, schwarze, modische Jeans und ein tailliert geschnittenes schwarzes Hemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hat. Seine Hände stecken in den Hosentaschen, doch ich erkenne unzählige Sommersprossen an den Unterarmen, die einen krassen Kontrast zu der dunklen Kleidung bilden. So sieht also ein Ghostwriter aus. Hübsch. Und irgendwie passend – völlig schwarz und unscheinbar – wie ein Geist. Doch da sehe ich es.
»Was zur Hölle trägst du an deinen Füßen?«
Ellie dreht sich zu mir um und folgt meinem Blick. Dann grinst er wieder und wackelt mit den Zehen, die in knallbunt gemusterten Socken stecken. Unzählige Emojis lächeln mir zu, während sich im Hintergrund hypnotisch wirkende Kringel drehen.
»Das sind Happy Socks«, erklärt er. »Die ultimativen Socken für gute Laune.«
Sicher doch. Ich würde solche Dinger vermutlich nicht einmal anziehen, wenn ich auf Drogen wäre, aber wenn er meint …
»Also gut, lass uns anfangen. Willst du einen Kaffee?«
Ellie folgt mir in den offenen Küchenbereich und ich höre ein anerkennendes Pfeifen. Offensichtlich gefällt ihm meine Einrichtung. Da ich selbst noch nicht allzu lange hier lebe, kann ich seine Gefühlsregung durchaus nachvollziehen.
Ich habe mich in die Fensterfront und den Ausblick auf die Skyline verliebt. Ich liebe den Blick von der Golden Gate Bridge links von mir bis hin zur Insel Alcatraz. Oder die Aussicht auf die Stadt, mit all ihren imposanten Bauwerken. Aber ich liebe auch den riesigen Wohn- und Essbereich, die graue Sofalandschaft neben dem Klavier und die dazu gehörende Aussicht auf die Bay Bridge bis zum Financial Center, die ich sowohl vom Klavier als auch vom Sofa aus genießen kann. Ich liebe den extra breiten Flatscreen, der sich per Knopfdruck im Boden versenken lässt. Und vor allem liebe ich die Siebträger-Kaffeemaschine. Der Rest in dieser exklusiven Küche ist ehrlich gesagt bis auf den Kühlschrank unbenutzt, doch ich bin mir sicher, dass ich ihn auch lieben würde, wenn ich denn kochen könnte.
»Schwarz bitte«, erklärt mir Ellie und ich schmunzle. Ja klar, was sonst? Etwas anderes würde nicht zu seiner Kleidung passen. Obwohl, wenn ich an die Socken denke, könnte er genauso gut einen Chai-Latte-Karamel-Kaffee mit bunten Marshmallows darauf trinken wollen.
Nachdem ich ihm einen Kaffee und mir selbst einen Cappuccino zubereitet habe, setzen wir uns gemeinsam auf das Sofa und ich sehe ihn abwartend an. Er flucht leise, als hätte er sich verbrannt und pustet anschließend schweigend in die Tasse.
Wenn er denkt, dass ich freiwillig damit anfange, etwas über mich zu erzählen, hat er sich getäuscht. Daher trinke ich in aller – gespielter – Seelenruhe meinen Cappuccino und blicke dabei aus dem Fenster. Doch Ellie macht es mir nach und wir sitzen beide schweigend da und schlürfen Kaffee. Was für eine krasse und seltsame Situation ist das bitte schön?
»Willst du mich nicht etwas fragen?« Inzwischen ist der Cappuccino leer und ich habe allmählich keinen Bock mehr darauf, stumm neben einem Ghostwriter zu sitzen.
Ellie dreht die Tasse in den Händen und schmunzelt. »Es gibt da etwas, das ich wirklich gerne wissen möchte.«
Ich beobachte, wie er ein Knie an sich heranzieht und den Oberkörper zur Seite neigt. Okay, was auch immer er wissen will, es scheint eine bedeutende Frage zu sein. Hoffentlich beginnt er nicht gleich mit meinem familiären Hintergrund, denn ich fühle mich heute nicht in der Lage, über meine Kindheit oder meine Mutter zu sprechen.
Ellie holt tief Luft und ich halte zeitgleich den Atem an.
»Was hast du geraucht, als du You Are My Wonderlove geschrieben hast?«
Stille umgibt uns und ich starre ihn einige Augenblicke völlig versteinert an. An seiner Mimik erkenne ich einen Anflug von Angst und ich weiß, dass ich ihn für diese unverschämte Frage aus der Wohnung werfen sollte. Doch ich kann nicht anders und lache lauthals los.
Ich kann gar nicht mehr aufhören zu lachen. Irgendwann wische ich mir die Tränen aus den Augenwinkeln und stütze den Kopf auf die angewinkelten Knie.
Gott! Ich hasse diesen Song. Ich hasse ihn so sehr. Das Problem ist, dass ich diesem Ghostwriter nicht erzählen darf, was der echte Ray über ihn denkt. Denn meine Fans müssen glauben, dass nicht Alberta – eine weit über sechzigjährige Mitarbeiterin des Labels –, sondern ich den Song geschrieben habe. Und sie sollen erfahren, wie verknallt ich dabei an die Liebe meines Lebens gedacht habe, die ich immer noch suche. Denn genau das wird von mir erwartet.
Also stehe ich auf, trete ganz nah an die Fensterfront, und beginne zu erzählen. Sunset Music möchte ein Buch seines Musiklieblings? Am besten mit viel Drama und Herzschmerz? Bitte, das sollen sie bekommen – die Geschichte des Pop-Sternchens Ray Williams. Schließlich hat niemand von mir verlangt, die Wahrheit zu sagen …
Ellie
Ich weiß, ich weiß – ich hätte sie nie, niemals stellen dürfen. Schon gar nicht als erste Frage meines Interviews. Und vermutlich hätte Linda mir eine gescheuert, wenn sie es wüsste. Nein, ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sie mir noch eine scheuern wird, sollte sie es je erfahren. Verdammt!
Das Problem ist nur, dass ich, seit ich auf dieser Sofalandschaft sitze – und ich frage mich ernsthaft, warum ein einzelner Mensch so eine riesige Fläche zum Sitzen benötigt? – den nackten Ray Williams vor meinem geistigen Auge sehe. Und ich krieg dieses verdammt attraktive Bild nicht mehr aus dem Kopf. Als hätte es nicht gereicht, heute Morgen mit einem schrecklichen Kater aufzuwachen und erst nach drei Kaffee und einer Schmerztablette wieder einigermaßen normal auszusehen. Scheiße, Mann!
In so einem Zustand kann ich nicht über seine Kindheit sprechen, wie es mein ursprünglicher Plan vorgesehen hat. In so einem Zustand sollte ich eigentlich gar nicht sprechen. Eine kalte Dusche wäre das, was ich jetzt gut gebrauchen könnte.
Doch die Frage ist gestellt und Ray lacht immer noch darüber. Ehrlich gesagt bin ich erleichtert, denn er hätte mich genauso gut aus der Wohnung werfen können.
Als er nun aufsteht, um aus dem Fenster zu blicken, verfolge ich jede seiner Bewegungen. Und nein, ich betrachte nicht diesen knackigen, perfekt geformten Hintern! Ehrlich nicht. Ich schwöre. Ich bewundere nur die tiefsitzende Jogginghose.
»Der Song entstand während einer Reise in den Rockys letzten Winter. Ich liebe es, einmal im Jahr für ein oder zwei Wochen alleine in einer Holzhütte zu leben, völlig eingeschneit und abgeschnitten vom Rest der Welt. Das Kaminfeuer knisterte und ich habe mir kurz zuvor einen Eintopf gekocht, ich erinnere mich noch zu gut an den Geschmack des Essens, es war …« Er macht eine wegwerfende Handbewegung. »Ich schweife ab. Ich saß also auf dem Sofa, eingewickelt in eine Patchworkdecke, und stellte mir vor, wie es wäre, dort mit meiner großen Liebe zu sitzen. Auf diesem Sofa, unter der Decke meiner Grandma, vor dem knisternden Kaminfeuer.« Er dreht sich zu mir und zuckt mit den Schultern. »So entstand der Songtext zu You Are My Wonderlove. Und um deine Frage zu beantworten: Der einzige Rauch in dem Haus war, wenn überhaupt, der Rauch der brennenden Holzscheite.«
»Muss ja ein krasses Harz gewesen sein, das die Hütte eingeräuchert hat.« Die Worte rutschen mir heraus, ohne dass ich sie aufhalten kann, und Ray wendet sich hustend ab.
Alter Falter! Die Story klingt genauso schrecklich wie der Song selbst. Abgeschnitten vom Rest der Welt? Eingeschneit? Patchworkdecke der Großmutter? Und dazu selbst gekochter Eintopf? Vermutlich hat er zuvor ein Kaninchen mit bloßen Händen erlegt. Verdammt! Wieso sehe ich jetzt einen nackten Ray Williams mit Fellmütze und einem knuffigen, flauschigen Kaninchen vor meinem geistigen Auge? Hilfe! Ich brauche wirklich eine kalte Dusche!
Ray allerdings auch, denn das kann er doch niemals ernst gemeint haben. Oder? Welcher Mann in seinem Alter sitzt eingewickelt in gestrickte Decken vor einem Kaminfeuer und denkt über die große Liebe nach? Und nein, ich stelle mir jetzt nicht auch noch einen nackten Ray Williams in einer schrecklich hässlichen Patchworkdecke vor. Ich muss an etwas anderes denken, und zwar schnell!
»Hast du sonst noch Fragen an mich? Könnte sonst ein etwas eintöniges Buch werden, meinst du nicht?«
Ray hat sich inzwischen zu mir gedreht. Nun steht er breitbeinig und mit verschränkten Armen vor mir. Ich räuspere mich, weil … verfluchte Bilder im Kopf! Verfluchte Patchworkdecke! Gott! Die Jogginghose sitzt wirklich extrem tief. Wenn Ray nur wüsste, welche Aussicht er mir gerade bietet …
»Ja, äh … Wie würde sie denn aussehen?«
Als ich es endlich schaffe, Ray ausschließlich ins Gesicht zu blicken, erkenne ich eine hochgezogene Augenbraue und grüne funkelnde Iriden. »Wer?«, fragt er.
»Na deine Wonderlove«, antworte ich und betone das letzte Wort mit zwei in der Luft geformten Gänsefüßchen.
»Woher soll ich das wissen?«, raunt er. Zumindest ist es das, was ich verstehe, aber Ray hat sich schon wieder abgewandt und blickt reglos in Richtung Alcatraz hinaus. Dann höre ich sein gedehntes Ausatmen.
»Sie sollte, genau wie ich, Sonnenuntergänge lieben, ausgedehnte Spaziergänge, Vogelgezwitscher … Außerdem soll sie mich und meine Musik unterstützen. Wenn sie selbst singen könnte, wäre das natürlich absolut perfekt, denn dann könnten wir gemeinsam Liebeslieder performen und der ganzen Welt unsere Liebe zeigen.« Er seufzt. »Das wäre einfach … wunderschön.«
Ich starre Ray völlig perplex an. Meint er das ernst?
Das klingt nicht wunderschön, sondern komplett abgedreht und schrecklich. Irgendwie stimmen für mich das Bild des Ray Williams, wie er vor mir steht, und seine Worte nicht überein. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur daran, dass mich bei solch einer Zukunftsvision das blanke Grauen überfällt. Ray und seine Geliebte – Hand in Hand auf der Bühne stehend, während sie gemeinsam »You Are My Wonder – wonder – wonder Love« singen. Allein die Vorstellung …
Toll, jetzt ist mir schlecht. Aber hey – die anzüglichen Bilder in meinem Kopf sind verschwunden.
»Ja … doch, das klingt … nett«, antworte ich langsam und hole mir zum ersten Mal das mitgebrachte Notizbuch heraus. Dort steht bis auf Rays Namen noch rein gar nichts und wenn ich ehrlich bin, fällt mir nichts ein, was ich aufschreiben könnte. Extrem heißer Kerl? – unpassend. Was für ein Sixpack! – äh, nein. Großmutters Liebling? – ja, wäre wahr, aber vermutlich nicht sonderlich für eine Biografie geeignet. Schreibt schrecklich kitschige Liebeslieder und träumt von deren Realitätswerdung? – Kotz! Würg! Das geht gar nicht!
Nachdem ich eine halbe Ewigkeit auf das Papier vor mir gestarrt habe, schreibe ich eine halbwegs passable Info darauf: Ray hat wahnsinnig schöne, grüne Augen. Immerhin ein Anfang.
»Läuft das bei dir immer so ab?«, unterbricht Ray meine ratternden Gedanken und ich schrecke auf. Er hebt die Schultern. »Ich habe nie mit einem Ghostwriter zusammengearbeitet. Aber irgendwie dachte ich, dass der Autor mehr Fragen stellen würde. Oder sitzt du bei anderen Kunden auch schweigend auf dem Sofa?«
Wenn ich ihm jetzt erkläre, dass er mein erster Kunde ist, kommt das sicherlich nicht so gut an, daher stehe ich auf und strecke mich ausgiebig, bevor ich zu einer Antwort ansetze, die nicht total bescheuert klingt. Ich könnte ihn drauf hinweisen, dass man mir eher selten splitterfasernackt die Tür geöffnet hat und mich diese Tatsache etwas aus der Fassung gebracht hat, aber will ich uns und vor allem mich schon wieder an dieses Bild erinnern? Himmel, nein! Okay, zu spät … Verdammt!
»Du hast recht. Vielleicht vergessen wir für den Anfang, dass ich ein Ghostwriter bin, und du zeigst mir einfach deine Wohnung und erzählst mir etwas darüber? Ganz unverbindlich, damit wir uns ein wenig kennenlernen.«
Ray zuckt mit den Schultern und breitet seine Arme aus. »Bitte, fühl dich wie zu Hause.«
***
»Ich will alles, jedes kleinste Detail wissen! Wie sieht seine Wohnung aus? Hast du sein Schlafzimmer gesehen? Hingen Fotos an den Wänden? Hast du in den Kühlschrank geschaut?«
Ich lasse mich völlig ausgelaugt auf unser altes Sofa fallen und fahre über den fransigen, ausgeblichenen Stoff, der vor langer Zeit einmal orange war. Dann drücke ich Dylan einen Kuss auf die Stirn, der in Lindas Armen liegt, und nehme dankend einen Teller Käsemakkaroni entgegen. Erst nachdem ich eine große Portion Nudeln im Mund zerkaut habe, betrachte ich meine Schwester.
Linda füttert Dylan gerade mit einem Fläschchen, doch ihr Blick hält mich eisern fest.
»Ich warte.«
»Wieso sollte ich in seinen Kühlschrank sehen?«
Rob, der sich schräg gegenüber von mir an den eigentlichen Esstisch setzt, grinst mich breit an. »Ein Kühlschrank sagt mehr über einen Menschen aus, als man denkt.«
Ich drehe die geschmolzenen Käsefäden um den Löffel und schiebe ihn in den Mund. »Und was hat dir der Kühlschrank über uns erzählt, als du hier aufgetaucht bist?«
Ich höre Robs bellendes Lachen, doch er holt sich zunächst unsere elektrische Pfeffermühle und würzt das Essen auf seinem Teller, bevor er antwortet. »Ich wusste, dass ihr mich dringender braucht als umgekehrt.«
»Und wir lieben dich, Rob!«, unterbricht Linda ihn und wedelt mit der Babyflasche vor meinem Gesicht herum. »Aber du lenkst ab. Also, ich höre?«
Gut, ich habe zumindest versucht, das Thema auf Rob zu lenken. Denn eigentlich will ich nicht weiter über Ray sprechen. Irgendwie hat mich der Vormittag bei ihm ziemlich durcheinandergebracht. Sein Penthouse ist der absolute Hammer, ganz zu schweigen von der Aussicht. Und ich will wirklich nicht wissen, was es gekostet hat. Dennoch wirkt es wie eine Wohnung aus einem Katalog. Mit Ausnahme von drei Gitarren und dem Klavier enthält sie rein gar nichts, das etwas über Rays Persönlichkeit erzählen könnte. Völlig langweilig.
»Ich hätte wirklich in seinen Kühlschrank blicken sollen«, denke ich laut, denn vielleicht hätte ich dort etwas entdeckt und es wäre ein Gespräch entstanden. Doch so … ich habe noch nie zuvor so lange am Stück geschwiegen. Ich wusste einfach nicht, was ich fragen soll. Diese unangenehme Stille zwischen uns fühlte sich katastrophal an und mir graut jetzt schon vor heute Abend. Mir graut im Allgemeinen davor, diese Biografie zu schreiben. Das werden die schrecklichsten Wochen meines Lebens. Verdammt blöd, dass ich bereits sämtliche Studienkurse für die nächste Woche umgelegt habe, damit ich ausschließlich Zeit für diesen Mist habe.
»Ach, übrigens«, spreche ich weiter und krame in der Hosentasche nach Eintrittskarten, die ich Linda zuwerfe. »Ich habe drei Karten für die aktuelle San-Francisco-Kneipentour von Ray and the Kings heute Abend bekommen. Willst du mich begleiten, Schwesterherz? Du bist natürlich auch eingeladen, Rob. Dylan könnte bei Mom übernachten, oder?«
Während Linda kreischend vom Sofa aufspringt und durch die Wohnung tanzt, brüllt Dylan wie am Spieß, da er durch Lindas Sprung sein Fläschchen verloren hat. Gleichzeitig höre ich Robs dunkles Knurren: »Nur über meine Leiche.«
»Ja! Ja! Ja, ich will da unbedingt hin! Ich rufe sofort Mom an. O Rob, du musst mitkommen! Das wird dir gefallen. Bitte, bitte, bitte!«
Linda hüpft immer noch wie ein Gummiball auf und ab, während Rob in aller Seelenruhe seine Nudeln aufisst und im Anschluss den Teller wegräumt. Dann kramt er sein Handy hervor und wischt ein paarmal darüber. Kurze Zeit später hallt Rays Stimme mit You Are My Wonderlove durch unsere Wohnung und Rob deutet kopfschüttelnd auf das Handy.
»Diese Musik werde ich mir ganz sicher keinen Abend lang anhören.«
Ja, ich kann ihn gut verstehen. Trotzdem wirkt Linda beleidigt und verlässt ohne ein weiteres Wort mit Dylan unseren Wohn- und Essbereich. Rob blickt mich mit hochgezogener Augenbraue an, doch ich winke ab.