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Eine wagemutige Frau – ein unerhörtes Abenteuer – und eine große Liebe: Im historischen Roman »Die Weltenseglerin« begleiten Sie die junge Portugiesin Mariella Alvaro und ihren berühmten Onkel Fernando Magellan auf einer der spektakulärsten Entdeckungsreisen der Seefahrt. Portugal, 1519: Um der Ehe mit einem gewalttätigen Trinker zu entgehen, flüchtet sich die junge Mariella Alvaro als Mann verkleidet auf die Concepción – eines der fünf Schiffe, mit denen ihr Onkel Fernando Magellan den westlichen Seeweg von Spanien zu den Gewürzinseln Indonesiens erkunden will. Als Mariellas Tarnung schließlich auffliegt, muss sie sich nicht nur gegen zermürbende Flauten und lebensbedrohliche Stürme behaupten: Die Matrosen begegnen ihr entweder mit offener Feindseligkeit, weil sie überzeugt sind, eine Frau an Bord würde Unglück bringen; oder sie werfen ihr Blicke zu, die Mariella als mindestens ebenso gefährlich empfindet. In die größte Gefahr bringt Mariella jedoch ihr eigenes Herz, das sie ausgerechnet an den ehemaligen Kapitän Juan Sebastián de Elcano verliert … An der Seite der wagemutigen Mariella lässt uns Nadja Raisers historischer Roman die Entdeckung der Südpassage an Feuerland vorbei miterleben: mitreißend, dramatisch und gewürzt mit einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte.
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Seitenzahl: 625
Nadja Raiser
Roman
Knaur eBooks
Portugal, 1519: Um der Ehe mit einem gewalttätigen Trinker zu entgehen, flüchtet sich die junge Mariella Alvaro als blinder Passagier auf die Concepción – eines der fünf Schiffe, mit denen ihr Onkel Fernando Magellan den westlichen Seeweg von Portugal zu den Gewürzinseln Indonesiens erkunden will.
Als Mariellas Tarnung schließlich auffliegt, muss sie sich nicht nur gegen zermürbende Flauten und lebensbedrohliche Stürme behaupten: Die Matrosen begegnen ihr entweder mit offener Feindseligkeit, weil sie überzeugt sind, eine Frau an Bord würde Unglück bringen, oder sie werfen ihr Blicke zu, die Mariella als mindestens ebenso gefährlich empfindet.
In die größte Gefahr bringt Mariella jedoch ihr eigenes Herz, das sie ausgerechnet an den ehemaligen Kapitän Juan Sebastián de Elcano verliert …
An der Seite der wagemutigen Mariella lässt uns Nadja Raisers historischer Roman die Entdeckung der Südpassage an Feuerland vorbei miterleben: mitreißend, dramatisch und gewürzt mit einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte.
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Widmung
Personenverzeichnis
TEIL 1
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
45. Kapitel
46. Kapitel
TEIL 2
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
TEIL 3
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
Epilog
Historische Anmerkungen der Autorin
Glossar
Danksagung
Ich widme dieses Buch allen mutigen Frauen dieser Welt, die genau wie die Protagonistin dieses Romans darum kämpfen, eigene Entscheidungen treffen zu können, um frei zu sein.
Und ganz besonders widme ich es meiner kleinen Nichte Mariella.
Historisch verbürgte Personen sind mit einem *gekennzeichnet.
Alvaro de Mesquita*,Vetter Magellans, zeitweise Kapitän der San Antonio
Antonio,Koch auf der Trinidad und Freund von Mariella
Antonio de Coca*,zunächst Buchhalter der Armada, später Kapitän der San Antonio
Antonio Pigafetta*,Sobresaliente – wortwörtlich übersetzt: ein Überzähliger; ein Passagier, der an Bord für einen geringen Lohn alle Arbeiten eines einfachen Matrosen verrichten muss, aber kein Mitglied der Mannschaft ist – und Chronist auf der Trinidad
Bernard Calmette*, geistlicher Begleiter der Flotte, Mitanführer der Meuterei bei San Julián
Carlos Alvarez*,Schreiber auf der Concepción und Freund von Juan Sebastián de Elcano
Diego,Zimmermann der Concepción und Freund von Juan Sebastián de Elcano
Duarte Barbosa*,Schwager Magellans, später Kapitän
Emi (Emiliana), Haushälterin und Freundin Mariellas
Enrique aus Melaka*,Magellans malaiischer Sklave
Estevão Gomez*,Steuermann und zweiter Offizier der Trinidad
Fernando Magellan*, portugiesischer Seefahrer und Generalkapitän der Expedition
Frederico, Schiffsjunge aus Italien auf der Trinidad
Gaspar de Quesada*, Kommandant und Kapitän der Concepción
Gonzalo Goméz de Espinosa*,Alguacil/Büttel und späterer Kapitän der Trinidad
Hernando de Bustamente*,Bader auf der Concepión und guter Freund von Juan Sebastián de Elcano
João Lopes Carvalho*,Steuermann und Navigator der Concepción, später Kapitän
Juan de Acurio, Bootsmann und Rudergänger der Concepción
Juan de Cartagena*,Kapitän der San Antonio und Oberbefehlshaber der Expedition
Juan de Elorriaga*,Schiffsmeister auf der San Antonio, erliegt seinen Wunden bei der Meuterei bei Puerto San Julián
Juan Sebastián de Elcano*, baskischer Seefahrer und Schiffsmeister der Concepción, später Kapitän der Victoria
Juan Serrano*,Kapitän der Santiago, später der Concepción
König Sultan Al-Mansur*,Sultan von Tidore
Luis de Mendoza*,Kapitän der Victoria und Schatzmeister der Expedition
Mariella Alvaro, Nichte Magellans
Martín de Judicibus*,Büttel/Alguacil auf der Concepción
Pedro Sánchez de la Reina*,geistlicher Begleiter der Flotte (siehe: Historische Anmerkungen der Autorin)
Pedro de Valderrama*, Kaplan und geistlicher Begleiter auf der Trinidad
Rajah Humabon (Taufname: Don Carlos)*,König der Insel Cebu
Ricardo und Gaspar,Schiffsjungen der Trinidad
Senor Ruíz*,Wundarzt der Flotte
Simón de Burgos*, Sobresaliente und bester Freund von Juan Sebastián de Elcano
Thomas, Segelmacher der Trinidad
Aufbruch und Mut
»Ai-jesus! Meine Güte! Wie konnten wir nur so die Zeit vergessen?« Trotz der Entfernung zwischen dem Flussufer und dem Hauptplatz in Serpa hörte Mariella, wie die Turmuhr die siebte Stunde schlug, und fuhr erschrocken auf. Sie griff nach dem Krug, dann nach den Äpfeln und legte beides eilig zurück in ihren Korb.
Chiara faltete zeitgleich die mitgebrachte Decke zusammen und streckte anschließend die Arme aus. »Das müssen wir unbedingt wiederholen! Es war ein herrlicher Nachmittag, nicht wahr?«
Mariella nickte zustimmend und betrachtete das dunkle Blau des Wassers. Sie hörte das Zwitschern der Vögel und das leise Rauschen des Flusses Guadiana, der mitten durch den Olivenhain verlief. Sie liebte diesen Ort, die Stille und vor allem das Wasser. Heute hatte sie Chiara zum ersten Mal die für sie so besondere Stelle gezeigt, an der sie früher immer mit ihrer Mutter auf einer Decke gesessen und eine kleine Mahlzeit, bestehend aus Äpfeln, Trauben, Brot und etwas Portwein, zu sich genommen hatte, die den Nachmittag erst perfekt machte. Doch die Sonne versank bereits hinter dem hügeligen Hinterland, und es würde nicht mehr lange dauern, bis es dunkel wurde. Mariella musste sich sputen, wenn sie keinen Ärger mit ihrem Vater bekommen wollte. Außerdem musste sie noch Luco, ihren Kutscher, aus der Schenke abholen, damit dieser sie wohlbehütet nach Hause begleitete. Wie so oft hatte sie ihm auch diesmal ein paar Münzen gezahlt, um ein paar Stunden allein mit Chiara verbringen zu können. Meist begleitete der alte Kutscher sie zum gewünschten Ort und verschwand dann in der Schenke, in der er sich die Wartezeit mit einem oder zwei Krügen Portwein versüßte. Doch an diesem Tag hatte Mariella die Zeit vergessen. Ob er überhaupt noch dort war?
Eilig nahm sie ihrer Freundin die Decke ab und stopfte sie in den Korb. Dann schlüpfte sie in die korkbesohlten Lederstiefel, setzte sich ihre Französische Haube auf den Kopf und stopfte ihre Locken kurzerhand unter deren samtigen Stoff. Auf dem kurzen Weg nach Hause würde hoffentlich niemand ihren zerzausten, nicht gescheitelten Haaransatz bemerken, schließlich dämmerte es bereits. Dann raffte sie ihre schweren Röcke mit der Linken und reichte Chiara anschließend die andere Hand. Gemeinsam rannten sie kichernd durch den Hain alter Olivenbäume zurück auf die Hauptstraße.
»Sollen wir uns gleich morgen noch mal an der Kirche treffen? Das wäre wunderbar!«
Mariella steckte eine letzte dunkle Haarsträhne, die sich wieder gelöst hatte, unter die Kopfbedeckung zurück und lächelte ihre kleinere Freundin an. »Sehr gerne. Doch morgen ist Markttag, und da benötigt Emi, unsere Haushälterin, meist Luco und die Kutsche für den Transport der Lebensmittel. Außerdem wollte sie morgen mit mir gemeinsam nach Stoffen für ein neues Kleid sehen. Aber du kannst uns gerne begleiten.«
Chiaras Augen strahlten. »Liebend gern! Vielleicht hat der alte Sanchez morgen die neue Ware aus Sizilien dabei. Oh, wie gern hätte ich einen seiner edlen Seidenstoffe. Oder ein Tuch aus Flandern? Ach, ich beneide dich so, Mariella!«
Mariella verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Was ihre Kleidung betraf, unterschieden sich die Geschmäcker der beiden Mädchen gravierend. Mariella beneidete ihre Freundin um das einfache Leinenkleid, das diese wie alle Frauen, die der niederen Gesellschaft angehörten, trug. Wenn Chiara, die die Tochter des Bäckermeisters war, nur wüsste, wie unangenehm die Brokatstoffe mit all den Unterkleidern waren, die Mariella als Angehörige des Landadels zu tragen hatte, hätte sie vermutlich auch eine andere Meinung davon. Doch diese Erfahrung würde Chiara vermutlich niemals machen. Schon allein die Tatsache, dass sich Mariella mit einem Mädchen aus der niederen Mittelschicht traf und sogar noch eine Freundschaft mit ihm pflegte, sorgte unter den Höhergestellten meist für Empörung. Sie zuckte mit den Schultern. »Dann treffen wir uns morgen Vormittag auf dem Marktplatz. Allerdings werde ich diesmal keinen Portwein mitnehmen können«, fügte sie mit einem spitzbübischen Grinsen hinzu, und Chiara kicherte.
»Ich möchte gar nicht wissen, wie eure Haushälterin reagieren würde, wüsste sie, dass wir heute einen ganzen Krug davon getrunken haben.«
Allein die Vorstellung von Emis Strafpredigt ließ einen unangenehmen Schauer über Mariellas Rücken laufen. Eigentlich liebte sie die Haushälterin ihres Vaters, die ihr seit dem Tod ihrer Mutter eine Ersatzmutter gewesen war, Mariella quasi großgezogen und sich immer für sie verantwortlich gefühlt hatte. Emi war auch die einzige Angehörige des Hausstandes, die sie entgegen aller Etikette liebevoll mit ihrem Vornamen ansprach. Und im Gegensatz zur sonstigen Dienerschaft scheute sich Emi nicht davor, ihr ab und an die Leviten zu lesen. »Ach, das wird sie schon nicht herausbekommen. Ich schwenke den Krug einfach kräftig mit Wasser aus, dann sind alle Beweise vernichtet. Oh, sieh mal, wer da kommt!« Mariella deutete an das Ende der Schotterstraße. Trotz der Dämmerung erkannte man dort eine dunkle, schlanke Gestalt, die ihnen mit schnellen Schritten entgegeneilte. Erschrocken schlug sich Chiara die Hand vor den Mund.
»Pedro! Lieber Gott! Wie sehe ich aus? Meine Haare sind völlig zerzaust! Außerdem habe ich Flecken vom Wein auf meinem Kleid.« Chiara blieb abrupt stehen und versuchte, mit den Fingern ihre schwarzen, glatten Haare zu kämmen und anschließend zu flechten, doch Mariella hielt ihre Freundin davon ab.
»Du siehst wunderschön aus mit deinem gelösten offenen Haar«, erklärte sie und zupfte einzelne Blätter von Chiaras Leinenrock. » Und jetzt geh ihm schon entgegen!«
»Aber du …«
»Ich finde Luco auch allein. Und Pedro will sicherlich nicht zu mir.«
Chiara umarmte sie stürmisch und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Danke schön.« Dann rannte sie ihrem Verlobten entgegen.
»Ich möchte morgen aber alles erfahren, ja?«, rief Mariella ihr lachend hinterher und beobachtete im Anschluss, wie sich das verliebte Pärchen begrüßte. Chiara beugte sich schüchtern vor und streckte Pedro ihre Hand entgegen, der sie zögerlich an seine Lippen führte. Trotz der Entfernung nahm Mariella die Nervosität und die Verliebtheit der beiden wahr und seufzte lächelnd. Nicht mehr lange, dann würde ihre beste Freundin eine verheiratete Frau sein. Eine Ehefrau mit einem wunderbaren Mann an ihrer Seite. Denn auch wenn Pedro nur ein Bauer war, wusste Mariella, dass er Chiara aufrichtig liebte. Er würde für sie sorgen, dessen war sie sich gewiss.
Mariella schlenderte bis zur Stadtmauer einen Trampelpfad entlang und schlüpfte dann durch eines der unbewachten Tore nach Serpa hinein. Vergnügt hüpfte sie dort über die Kieselsteine, die am Rande des Weges lagen. Dabei dachte sie an ihre beste Freundin und den freudigen Glanz in deren Augen. Bislang hatte sie sich nicht vorstellen können, dass solche Gefühle tatsächlich existierten, doch nun war Chiara bis über beide Ohren verliebt. Mariella kicherte leise, während sie sich vorstellte, wie die Kinder der beiden wohl aussehen würden. Ob Chiara Mädchen gebären würde, die wie sie glattes, glänzend schwarzes Haar hatten? Oder einen Jungen mit dunkelbraunen krausen Locken, wie Pedro sie hatte? Möglicherweise würde sie Chiara in ein paar Jahren umringt von einer ganzen Kinderschar besuchen? Der Gedanke daran ließ sie schmunzeln.
Ob sie selbst auch irgendwann einen Mann finden würde, den sie mögen, achten oder sogar lieben konnte?
An der Schenke direkt neben der Kirche Santa Maria hielt sie kurz inne. Ihre Kutsche war nirgends zu sehen, Luco musste ohne sie zurückgefahren sein. Mariella seufzte und sah zu dem dunklen Himmel hinauf. Sie erinnerte sich an Lucos warnende Worte, dass er diesen Abend noch einen Auftrag zu erfüllen hätte. Nun musste sie wohl oder übel alleine und zu Fuß nach Hause zurückkehren.
Ihr Vater würde mit Sicherheit verärgert sein, sollte er erfahren, dass sie verbotenerweise allein das Haus verlassen hatte und sich nun auch noch allein in der Stadt aufhielt. Schnell bog sie in eine Seitengasse hinter der Kirche ein und überlegte sich fieberhaft eine mögliche Ausrede für ihr viel zu langes Ausbleiben.
Plötzlich trat ihr eine dunkle, bullige Gestalt in den Weg und ergriff ihren Arm. »Wen haben wir denn da? Wenn das nicht die hübsche Señorita Alvaro ist.«
Allein die Stimme löste Ekel in ihr aus, und Mariella versuchte, sich von Alberto Ciano loszureißen. Sie kannte ihn. Viel zu gut sogar, denn er umwarb sie bereits seit Jahren. Allerdings weder mit Charme noch mit Feingefühl, und sie hatte den Eindruck, dass er umso aggressiver wurde, je mehr sie sich ihm verwehrte. »Fasst mich nicht an!«, fauchte sie, doch er packte ihren Arm nur umso fester und presste sie mit seinem Körper an die kalte Wand eines Hauses, sodass ihr Korb zu Boden fiel. »Ihr habt kein Recht dazu! Lasst mich sofort los!«
Alberto lachte kehlig und kam mit seinem Gesicht dem ihren ganz nah. »Doch, Mariella. Ich habe jegliches Recht dazu.« Sein Atem, eine Mischung aus Zwiebel-, Tabak- und Weingeruch, stieg ihr in die Nase, und sie unterdrückte einen Würgereiz.
»Lasst mich los! Sonst sage ich es meinem Vater!«
Bislang hatte diese Drohung noch immer Wirkung gezeigt, denn obwohl Alberto als junger Schmied größer und gewiss bedeutend stärker war als ihr Vater, hatte er sich vor diesem immer gefürchtet. Doch nun presste er seine stinkenden Lippen auf ihre, und sie spürte seinen kratzenden, ungepflegten Bart am Kinn. »Hat dir dein Vater gar nichts erzählt? Mariella, du bist mein. Und das schon bald.«
»Niemals!« Mariella stieß ihn mit beiden Händen von sich und schüttelte immer wieder den Kopf. »Mein Vater würde dieser Verbindung niemals zustimmen!«
Alberto lachte nun aus voller Kehle. »Das hat er bereits. Gestern Abend, um genau zu sein. Du warst mein Hauptgewinn.«
Auf einmal zog sich Mariellas Magen zusammen. Gestern war ihr Vater beim Kartenspielen gewesen. Wie so oft in letzter Zeit. Und er hatte heute Morgen in der Tat niedergeschlagen gewirkt. Aber er hätte doch niemals … »Nein, das glaube ich nicht!«
Alberto ließ sie los und zuckte mit den Schultern. »Du kannst ihn gerne fragen. Ich werde entweder heute oder morgen bei euch vorbeikommen, um mit ihm über die Einzelheiten unserer Verbindung zu sprechen.« Er zog ihr mit einer Grimasse die Französische Haube vom Kopf und schleuderte sie zu Boden. »Wenn du mein Weib bist, erwarte ich im Übrigen, dass deine Haare ordentlich unter einer Haube versteckt sind.« Er hielt inne und blickte abschätzig an ihr hinab. »Und du wirst in Zukunft saubere Kleider tragen.« Dann hob er ihr Kinn an und grinste breit. »Wir sehen uns, minha mulher.«
Mariella blieb wie angewurzelt stehen und sah ihm hinterher. Was war eben geschehen? Alberto hatte sie tatsächlich als »sein Weib« bezeichnet. Ihr Herz klopfte wild, und sie spürte einen immer größer werdenden Kloß im Hals. Was er behauptet hatte, konnte doch nur ein übler Scherz sein. Ihr Vater spielte zwar gern, und möglicherweise hatte sich ihr Verhältnis zueinander seit dem Tod ihrer Mutter nicht unbedingt zum Guten gewendet, aber er würde sie niemals bei einem Kartenspiel verwetten. Oder etwa doch?
Mariella presste die Lippen aufeinander, griff nach dem Korb und rannte, so schnell sie konnte, nach Hause. Sie wollte eine Antwort erhalten. Ihr Vater würde ihr gewiss gleich erklären, dass sich Alberto diese Geschichte ausgedacht hatte. Es würde alles gut werden, ganz sicher.
Eine Stimme riss sie aus ihren panischen Gedanken.
»Mariella! Was macht Ihr um diese Zeit noch draußen? Und das allein? Ihr wisst doch genau, wie Euer Vater darauf reagiert!« Ausgerechnet Emi, ihre Haushälterin, trat zwei Häuser vor ihrem Elternhaus aus einer Seitengasse und verzog missbilligend das Gesicht. Doch dann hielt sie inne und betrachtete Mariella. »Meu Deus! Was ist geschehen, mein Kind?« Sie stellte einen Korb, der mit einem großen Laib Brot und Käse gefüllt war, ab und nahm Mariella liebevoll in den Arm. Mariella drängte die aufsteigenden Tränen zurück und atmete tief durch. Dann schüttelte sie den Kopf und verzog den Mund zu einem schrägen Lächeln.
»Es ist alles gut, Emi. Ganz sicher.« Sie wollte Albertos Worten keinen Glauben schenken. Er hatte sich einen üblen Scherz mit ihr erlaubt, weiter nichts. Allein Emis Blick verriet Mariella, dass diese ihr nicht glaubte, obwohl sie schweigend nickte. Dann zupfte sie ihre Diensthaube zurecht und fasste anschließend eine von Mariellas ungebändigten Locken, die sich unter der Haube hervorgestohlen hatte. »Ich werde es wohl nie schaffen, eine Dame aus Euch zu machen. Jetzt aber los! Sputet Euch, wenn Ihr keinen Ärger bekommen wollt.«
Normalerweise hätte Mariella nun irgendetwas Lustiges geantwortet, denn das tat sie immer, wenn Emi davon sprach, eine Dame aus ihr machen zu wollen. Doch diesmal dachte sie nur an Albertos Worte, und ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Ein zweites Mal verzog sie den Mund zu einem falschen Lächeln und eilte nach Hause. Keuchend öffnete sie die schwere Eingangstür und rannte durch den mit Fackeln beleuchteten Gang. Deren flackerndes Licht warf bizarre Schatten auf die Azulejos an den Wänden und verwandelten sie in düstere Gemälde, doch Mariella hatte keinen Blick dafür und hielt den Atem an, als sie vor der Stube stand.
Als sie schließlich eintrat und ihren Vater betrachtete, erstarrte sie. Denn in dem Blick, den er ihr zuwarf, lag eindeutig: Schuld.
Fassungslos starrte Mariella ihren Vater an. »Sagt mir, dass es nicht wahr ist … Sagt mir, dass Alberto sich einen üblen Scherz mit mir erlaubt hat!« Ihre Stimme zitterte, und sie wischte sich vereinzelte Tränen aus den Augenwinkeln. »Vater! Bitte!«
Gaspar Alvaro hieb den Krug auf den Tisch und fuchtelte anschließend mit den Händen in der Luft herum. »Er hatte vier Asse! Vier! Das hätte ich doch im Leben nicht ahnen können!«
Mariella schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte laut auf. »Wie konntet Ihr nur?! Ihr habt mich verspielt?«
Ihr Vater winkte ab. »Es war sowieso schon längst an der Zeit, einen Mann für dich zu finden. Und er ist Schmied, er wird immer genügend Arbeit haben und gut für dich sorgen.«
»Er versäuft sein Geld jeden Abend in der Schenke! Und außerdem ist er gewalttätig! Habt Ihr vergessen, wie er den jungen João grundlos verprügelt hat?«
»Ach, ihr Frauen, was ihr nur immer habt!« Gaspar verdrehte die Augen und trank einen Schluck, bevor er zu einer Antwort ansetzte. »Du wirst schon lernen, wie du ihn zu Hause halten kannst. Aber was dieses Thema angeht, solltest du besser Emiliana befragen. Und nun geh mir bitte aus den Augen!«
»Aber …«, wollte Mariella widersprechen, doch Gaspar unterbrach sie knurrend.
»Sofort! Und glaube ja nicht, ich hätte nicht bemerkt, wie spät du nach Hause gekommen bist! Darüber sprechen wir noch.«
Mariella presste ihre Lippen zusammen, eilte aus der Stube und stürmte die Treppen nach oben in ihr Zimmer. Mit einem lauten Schluchzen ließ sie sich auf ihre Matratze fallen. Die Verzweiflung fraß sich in ihr Herz, und sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.
Was hatte ihr Vater nur getan? Wieso? Ausgerechnet Alberto Ciano! Sie schniefte laut und schüttelte den Kopf. Sie musste von hier weg. Sie konnte nicht länger in Serpa bleiben. Eine Ehe mit diesem brutalen Menschen wäre ihr Ende, dessen war sie sich sicher. Schnell wischte sie über ihre Wangen, raffte sich auf und öffnete ihre Kleidertruhe. Ein einfaches Leinenkleid wie das von Chiara dürfte für die Flucht reichen, überlegte sie. Sie erinnerte sich daran, dass Chiara ihr erst vor einigen Monaten eines ihrer Kleider gegeben hatte, weil Mariella es mit einem Saum aus Spitze veredeln wollte, dann aber völlig vergessen hatte, es ihrer Freundin zurückzugeben. Daher legte sie nun ein Gewand nach dem anderen zur Seite, um das leinene ihrer Freundin zu finden. Doch ein Klopfen ließ sie innehalten.
Nach kurzem Zögern öffnete sich knarzend die Tür, und Emi blickte mit sorgenvoller Miene in Mariellas Zimmer. »Ich habe Euer Gespräch in der Stube gehört.« Sie stockte und zupfte unsicher an ihrer weißen Diensthaube herum. »Ihr habt vergessen, die Tür hinter Euch zu schließen, daher … Es tut mir von Herzen leid.«
Mariella nickte angespannt, packte ein rotes, festliches Kleid und schleuderte es auf den Boden. »Ja, mir tut es auch leid!« Mit hektischen Bewegungen ergriff sie das gesuchte dunkelbraune Leinenkleid und strich es glatt. Es war perfekt, um, ohne Aufsehen zu erregen, aus der Stadt zu verschwinden.
Emi seufzte lang und gedehnt und nahm ihre Haube vom Kopf. »Meine Liebe, das führt doch zu nichts.« Sie deutete auf das Kleid in Mariellas Händen und schüttelte den Kopf. »Wohin wollt Ihr denn gehen?«
Mariella schluchzte erneut auf. »Es spielt keine Rolle, wohin ich gehe. Überall ist es besser als bei Alberto!«
Emi schloss die Zimmertür hinter sich, lief mit ihrem typisch watschelnden Gang zu ihr und nahm auf dem Bett Platz, das keine drei Schritte weit von der Truhe entfernt stand. »Vielleicht hat er sich ja verändert. Möglicherweise wird er ein wunderbarer Ehemann«, erklärte sie, doch der Ausdruck, der dabei in ihren graublauen Augen lag, sagte das genaue Gegenteil. Emi war über die von ihrem Dienstherrn getroffene Entscheidung genauso entsetzt wie Mariella. Diese setzte sich neben sie und lehnte den Kopf an Emis Schulter. »Wieso hat er das getan, Emi? Was habe ich verbrochen?«
Wie so oft fuhr Emi durch Mariellas dunkelbraune Locken. »Wir sollten nie nach dem ›Warum‹ fragen, meine Liebe«, antwortete sie, doch Mariella fuhr auf und funkelte sie an.
»Er hat mich verkauft! Als Einsatz verspielt bei einem Kartenspiel! An den schlimmsten Mann in ganz Serpa, ach was, in ganz Portugal! Und du findest, ich soll nicht nach dem Warum fragen?!«
»Ich weiß selbst, was Euer Vater getan hat. Und es gibt nichts, was diese Tat schönreden könnte.« Emi seufzte leise und verzog das Gesicht. »Dennoch müssen wir es hinnehmen.«
»Nein!« Mariella schüttelte den Kopf und ballte die Hände zu Fäusten. »Nein, das kann und werde ich nicht hinnehmen! Mutter versprach mir einst, einen Mann für mich zu finden, den ich liebe! Sie hätte dieser Verbindung niemals zugestimmt!«
»Doch weilt Eure Mutter – Gott hab sie selig – nicht mehr unter uns, um für Euch den passenden Gatten auszuwählen. Was wollt Ihr denn tun? Wohin wollt Ihr gehen? Jeder dahergelaufene Halunke könnte Euch einfangen und Euch … aber lassen wir das. Außerdem besitzt Ihr nicht einmal die notwendigen Mittel für eine Flucht.«
Mariella biss sich auf die Unterlippe, um deren Zittern zu verbergen. Sie wusste selbst, dass es keinen Ausweg gab. Ihre Mutter hatte sie einst das Lesen und Rechnen gelehrt und sie immer wieder dazu aufgefordert, eigenständig zu denken. Sie hatte sie darin unterstützt, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, obwohl sie eine Frau war. Doch ihr logisches Denken half ihr im Moment auch nicht weiter. Eine Flucht als junges, mittelloses Mädchen war aussichtslos. Und dennoch konnte sie nicht bleiben. Nicht bei ihrem Vater, nicht bei Alberto, niemals! Ruhelos schritt sie durch ihr kleines Zimmer und blieb plötzlich vor ihrem Schränkchen stehen. Darauf stand, verstaut in einer geschnitzten und vergoldeten Schatulle, der einstige Schmuck ihrer Mutter. Mit zittrigen Händen öffnete sie sie und betrachtete die feingliedrigen Ketten und die glänzenden Anhänger, Ohrringe und Broschen aus Gold, mit feuerroten Rubinen und kristallklaren Diamanten versetzt. Was sie wohl wert waren?
»O nein, Mariella! Das kommt gar nicht infrage! Ihr könnt doch nicht …«, begann Emi, doch Mariella klappte das Kästchen zu und warf ihrer Haushälterin einen wütenden Blick zu.
»Meine Mutter hätte niemals gewollt, dass ich Alberto heirate! Ich denke schon, dass ich das kann!« Doch so ernst und entschieden ihre Stimme auch klang, fühlte sie allein schon bei dem Gedanken, die letzten Erinnerungsstücke an ihre Mutter zu verkaufen, einen schmerzhaften Stich in ihrem Herzen. Aber hatte sie eine andere Wahl?
»Ach, Kindchen«, seufzte Emi und wischte sich nun einzelne Tränen aus dem Gesicht. »Wir werden einen Weg finden, ganz gewiss. Wir werden …« Weiter kam sie nicht, denn im selben Moment donnerte die Stimme des Hausherrn durch das Haus.
»Emiliana! Wo zur Hölle steckst du? Ich brauche dich in der Küche! Wir haben Besuch bekommen. Und richte meiner Tochter ihr schönstes Gewand her!«
Mariella erstarrte, und tausend Gedanken ratterten gleichzeitig durch ihren Kopf. Sie hatte zu lange gezögert, nun war es zu spät für eine Flucht. Alberto war gekommen, genau wie er es angekündigt hatte, und sie konnte nichts mehr tun.
»Mariella.« Emi legte ihr liebevoll eine Hand auf die Schulter, doch das Lächeln, das sie ihr schenkte, erreichte ihre Augen nicht. Einen Augenblick sahen sie sich nur stumm an, dann atmete Emi tief durch und deutete zuerst auf Mariellas offenstehende Kleidertruhe, dann auf das achtlos zu Boden geworfene Kleid daneben.
»Das rote hier wäre doch hübsch, nicht wahr? Das passende Unterkleid habe ich erst heute Morgen reinigen lassen. Ich werde kurz nach Eurem Vater sehen und komme dann sofort zurück, um Euch beim Ankleiden zu helfen. Ihr könnt Euch in der Zwischenzeit die Haare doch sicher allein kämmen und flechten?« Anschließend knickste sie kurz und verließ das Zimmer.
Mariella drehte sich zu ihrem Schränkchen, das auch einen Kamm und einen Spiegel verwahrte, in dem sie nun ausdruckslos ihr Gesicht betrachtete. Die dunklen Locken fielen ihr offen über die Schultern, genau so, wie ihr Haar ihr am besten gefiel. Doch die Augen waren vom Weinen gerötet und hatten jeglichen Glanz verloren. Wenn sie genau hinsah, konnte sie sogar die Spuren getrockneter Tränen auf ihren Wangen erkennen. Alles in allem sah sie furchtbar aus. Sie sollte sich dringend das Gesicht waschen, ihre Haare flechten und im Anschluss fein säuberlich mit der Französischen Haube bedecken. Eigentlich. Mariella blickte trotzig in ihr Spiegelbild und schüttelte den Kopf. Nein, sie würde sich nicht für ihren zukünftigen Ehemann zurechtmachen und ihm damit womöglich den Eindruck vermitteln, dass sie sich auf die Vermählung mit ihm freute. Er sollte ruhig erfahren, was sie davon hielt, als Preisgeld für ein verlorenes Kartenspiel an ihn verschachert worden zu sein. Daher glättete sie ihr Tagesgewand, strich sich mit den Fingern ein paar Mal durch ihre Locken und verließ mit hoch erhobenem Haupt ihr Zimmer.
Sie hatte die Treppenstufen zur Stube hinab noch nicht erreicht, als sie innehielt und lauschte. Diese Stimme … Sie klang nicht so hölzern und dünn wie die von Alberto, sondern dunkel und kräftig. Augenblicklich hatte sie ein Bild vor ihrem geistigen Auge, sah, wie sie als Kind durch die Luft gewirbelt wurde. Unwillkürlich begann sie zu lächeln, während sie voller Vorfreude die Tür öffnete.
In der Stube saß, mit einem Krug Bier vor sich, ihr Onkel, Fernando Magellan, der sich lachend den Schaum aus dem dichten Bart wischte. Das Barett aus gelbem Filz hatte er abgenommen und neben sich auf den Stuhl gelegt. Unzählige Lachfältchen umgaben seine schwarzen Augen. »Onkel! Wie schön, Euch zu sehen!«
Magellan erhob sich und trat leicht humpelnd auf sie zu. Dabei legte er den Kopf schief und pfiff durch die Zähne. »Sieh einer an, Mariella. Du bist in den letzten Jahren zu einer richtigen Señorita herangewachsen! Ich wette, die Männer stehen Schlange, um um deine Hand anzuhalten.« Er nahm sie stürmisch in den Arm und drehte sie anschließend direkt vor sich im Kreis herum. Dann lächelte er sie liebevoll an. »Du siehst genauso aus wie deine Mutter und meine über alles geliebte Schwester, minha beleza.«
Als Schönheit war sie schon lange nicht mehr bezeichnet worden. Mariella neigte ihren Kopf und bedankte sich mit knappen Worten, ehe sie sich zu ihrem Vater an den Tisch setzte. Dieser musterte sie mit zusammengekniffenen Augen und verzog kaum merklich das Gesicht. Mariella wusste, dass sie sich eine weitere Strafpredigt würde anhören müssen, weil sie in ihrem schlichten Tagesgewand aufgetaucht war und noch dazu mit gelöstem Haar. Allerdings nicht, solange sie Besuch hatten. Daher lehnte sie sich zurück und betrachtete ihren Onkel. Sein wettergegerbtes Gesicht zeugte von den vielen Reisen, die er in seinem Leben schon unternommen hatte, und stand im starken Kontrast zu seinem leuchtend gelben Wams aus Seide und den dazu farblich passenden Strümpfen. »Habt Ihr neue Geschichten aus fremden Ländern mitgebracht?«, fragte sie interessiert, denn Mariella liebte die spannenden Berichte, die ihr Onkel bei seinen seltenen Besuchen immer von sich gab. Früher hatte sie sich vorgestellt, gemeinsam mit ihm zu reisen und fremde Länder zu entdecken. Sie hatte gleich ihm eine Abenteurerin werden wollen. Als das hatte sie Magellans Broterwerb zumindest angesehen, bis sie erfuhr, dass er als Soldat für die portugiesische Krone kämpfte und Schlachten anführte. Dennoch liebte sie bis heute seine Erzählungen aus den verschiedenen Ländern.
»Nein, tut mir leid.« Magellan lächelte sie bedauernd an. »In der letzten Zeit habe ich mich hauptsächlich in Portugal und Spanien aufgehalten. Doch es ist eine weitere Reise geplant, du kannst dich also auf meinen nächsten Besuch freuen. Dann werde ich dir sicher viele neue Geschichten erzählen können.«
Mariella strahlte ihn an, und in ihrem Geiste entstanden erneut die Bilder seiner letzten Erzählung. Sie sah ihren Onkel vor sich, als er damals in Marokko gekämpft und bei einem Sturz sein Pferd verloren hatte. Gleichzeitig stellte sie sich den Duft der vielen Gewürze vor, von denen er ihr erzählt hatte, und seufzte leise. Muskat, Nelken, Zimt … Was musste das nur für ein herrliches Leben sein, das ihr Onkel führte.
»Du kommst übrigens zum richtigen Zeitpunkt. Denn meine liebe Tochter wird nächste Woche heiraten. Sie wird sich gewiss freuen, wenn du bei ihrer Vermählung anwesend bist. Nicht wahr, Mariella?«
»Gewiss, Vater«, antwortete sie mit sarkastischem Unterton, den aber niemand zu bemerken schien, so heftig schlug Fernando Magellan mit den Fäusten auf den Tisch und lachte ungläubig auf. »Das kann doch nicht wahr sein! Mariella! Ich habe dich noch als kleines Mädchen in Erinnerung. Wo ist die Zeit geblieben? Und jetzt heiratest du. Meinen herzlichsten Glückwunsch. Wer ist denn der Glückliche?«
Mariella zwang sich zu einem Lächeln, obwohl sich ihr Magen erneut schmerzhaft zusammenzog. Allein der Gedanke an die bevorstehende Hochzeit genügte, um die Freude über den Besuch ihres Onkels zu verdrängen. Aber sie würde Alberto nicht heiraten, niemals! Während ihr Vater Magellan von ihrem zukünftigen Mann und dessen Stand berichtete, wiederholte sie im Stillen die Worte ihres Vaters. Er hatte von nächster Woche gesprochen. Ihr würden also noch grob geschätzt vier Tage bleiben, den Schmuck ihrer Mutter zu verkaufen und ihre Flucht zu planen. Vielleicht würde sie einen Kaufmann finden, der sie mit seinem Wagen bis zur spanischen Grenze brachte. Es wäre machbar … Auch wenn sie damit ihren eigenen Ruf und den ihrer Familie beschädigte.
Magellan trank einen Schluck aus dem Krug und warf ihr einen entschuldigenden Blick zu, bevor er weitersprach. »Leider kann ich diese Einladung nicht annehmen. Ich habe vor, bereits morgen wieder aufzubrechen. Eine große Expedition wartet auf mich, und bis dahin muss ich noch einige Dinge erledigen. Es tut mir schrecklich leid.«
»Und wieso bist du dann hergekommen? Du kommst doch sonst nicht vorbei, um dich lediglich zu verabschieden.« Mariellas Vater lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Die beiden hatten sich nie sonderlich leiden können, und seit dem Tod ihrer Mutter hatte sich ihr Verhältnis zueinander nicht unbedingt verbessert. Magellan räusperte sich verlegen und kratzte sich am Bart. Doch bevor er zu einer Antwort ansetzen konnte, öffnete Emi nach kurzem Anklopfen die Tür zur Stube und stellte ein Brett voller Brot, Schinken und Käse auf den Tisch. Danach knickste sie höflich und verließ den Raum, nicht ohne einen tadelnden Blick auf Mariellas Kleid und ihre offenen Haare zu werfen. Vermutlich würde sie sich an diesem Abend gleich zwei Strafpredigten anhören müssen. Und das, obwohl sich ihr Onkel ganz offensichtlich nicht an ihrem Erscheinungsbild störte.
Magellan griff nach einem Stück Brot und faltete im Anschluss die Hände zum Gebet. Mit fester Stimme sprach er ein Dankgebet, und Mariella fiel murmelnd mit ein. Dann räusperte er sich, und sein Blick ging kurz zu Mariellas Vater. »Ja, es gibt in der Tat einen Grund für meinen Besuch. Ich wünschte wirklich, ich könnte bei deiner Hochzeit dabei sein, Mariella. Das musst du mir glauben! Isabel wäre so stolz auf dich.« Er hielt inne und deutete auf das Brot. »Es schmeckt übrigens ausgezeichnet! Hat das eure Haushälterin gebacken?«
»Fernando! Was willst du?«
Magellan atmete tief durch und hakte die Finger ineinander. »Es ist so. Ich werde während meiner Reise auf unterschiedliche Völker treffen, die kein Interesse an Geld haben. Erfahrungsgemäß freuen sich die meisten aber über kleine Ketten, Ringe, glänzende Steinchen und … Langer Rede kurzer Sinn: Ich wollte dich fragen, ob ich mir Isabels Schmuck ausleihen kann.«
Mariella riss erschrocken die Augen auf, und ihr Vater hob skeptisch eine Augenbraue.
»Ausleihen?«, fragte er.
»Ich gebe zu, dass dies nicht der perfekte Ausdruck dafür ist. Doch ich garantiere und verspreche dir, dass ich dir den Wert der Ketten nach meiner Reise um das Dreifache zurückzahlen werde.«
Nein! Mariella wurde speiübel, und das Brot in ihrem Mund fühlte sich plötzlich an, als bestünde es aus Stein. Nein, dieses Angebot durfte ihr Vater nicht annehmen. Dieser Schmuck war ihre einzige Fluchtmöglichkeit!
»Das Dreifache sagtest du? Das muss ja diesmal eine ganz besondere Expedition sein.«
»Das ist sie in der Tat. Und ich halte mein Wort, das weißt du.«
»Aber Mutter hat diese Ketten mir geschenkt«, warf Mariella mit zitternder Stimme ein und blinzelte die aufkommenden Tränen fort.
»Wenn deine Mutter gewusst hätte, dass du sie niemals trägst, hätte sie sie jemand anderem geschenkt. Außerdem gehören sie in weniger als einer Woche Alberto. Glaubst du wirklich, dass er diesen kostbaren Schmuck dann nicht sofort veräußern wird? Denk doch ein wenig nach, Mariella! Aber jetzt bekommen wir von deinem Onkel dafür das Dreifache ihres Wertes.«
Mariella hob den Kopf an und sah ihrem Vater trotzig ins Gesicht. »Ihr bekommt das Dreifache, nicht wir.«
»Dann machen wir es so«, warf nun Magellan ein. »Ich zahle euch das Vierfache, und die eine Hälfte davon bekommst du, Gaspar, während die andere an Mariella und ihre neue Familie geht. Und wenn du gern ein Erinnerungsstück an deine Mutter behalten möchtest, suchst du dir zuvor noch eine Kette oder Brosche aus, die du behalten möchtest. Einverstanden?«
Nein, ich bin überhaupt nicht einverstanden, dachte Mariella. Wie sollte ich damit auch einverstanden sein? Ich benötige den Schmuck jetzt. Doch bevor sie zu einer plausiblen Antwort ansetzen konnte, streckte ihr Vater bereits seine Hand aus und ergriff die ihm von Magellan dargebotene. »Abgemacht.«
Mariella sackte auf ihrem Stuhl in sich zusammen und presste die Lippen aufeinander. Nun würde sie Alberto heiraten müssen und die Ehefrau eines kartenspielenden Säufers werden. Verzweiflung erfasste sie, sodass sie dem Gespräch der beiden Männer kaum noch zu folgen vermochte, die nun bedeutend herzlicher miteinander umgingen. Ihr Vater lachte laut auf, nachdem Magellan irgendeinen Witz erzählt hatte, doch Mariella versank immer mehr in Schwermut.
Plötzlich fühlte sie die große Hand ihres Onkels auf der Schulter. Als sie aufsah, waren seine schwarzen Augen mit Besorgnis auf sie gerichtet. »Alles in Ordnung, Mariella?«
Sie unterdrückte ein Schluchzen. Wie gern würde sie ihm erzählen, was ihr Vater ihr angetan hatte und wie sie sich wirklich fühlte. Doch es hätte keinen Zweck. Er konnte ihr nicht helfen. Er hatte ja erwähnt, dass er nur auf der Durchreise und in Eile war. Daher schluckte sie ihre Verzweiflung hinunter, die ihr wie ein Kloß im Hals saß, und lächelte matt. »Ich bin nur etwas müde, entschuldigt, Onkel. Dürfte ich auf mein Zimmer gehen, Vater?«
»Dann richte dort doch gleich den Schmuck deiner Mutter her, bevor du zu Bett gehst.« Mariella nickte ihrem Vater zu und schaffte es gerade noch rechtzeitig, die Stube zu verlassen, bevor sie in Tränen ausbrach.
Mariella? Darf ich eintreten?«
Mariella hörte Emis leise Stimme und wischte sich mit dem Ärmel über die nassen Wangen. Dann stand sie auf und öffnete Emi die Tür.
»Ach Kindchen!«, seufzte die, nachdem sie einen kurzen Blick auf sie geworfen hatte, und nahm sie in den Arm. »Ich wünschte, ich könnte Euch helfen.«
»Ich weiß.« Mariella nickte. »Danke.«
Emi strich ihr liebevoll die Haare hinters Ohr und wischte mit dem Daumen eine weitere Träne fort. Dann holte sie tief Luft und verzog das Gesicht. »Ich soll Euch von Eurem Vater ausrichten, dass er mit seinem Gast in die Schenke gegangen ist. Er meinte, Euer Onkel müsse sich dort als persona importante unbedingt zeigen, wenn er schon einmal im Lande ist.« Sie zuckte mit den Schultern. »Und ich soll Euch um das Schmuckkästchen bitten.«
Mariella lachte trocken über Emis Wortwahl. Ihr Vater hatte sie noch nie um etwas gebeten, und Emi schon gleich zweimal nicht. Dennoch ging sie zu ihrem Schränkchen und griff nach der Schmuckschatulle. Sie ignorierte den Stich in ihrem Herzen und versuchte, die Bilder zu verdrängen, die ihr unmittelbar vor Augen traten. Denn plötzlich sah sie Isabel, ihre Mutter, die sich lachend zu ihr umwandte und sich dabei ihre lockigen Strähnen hinters Ohr strich. Rote Rubine glänzten an ihren Ohren und spiegelten das von ihnen eingefangene Sonnenlicht wider. Sie sah ihre Mutter, wie sie vor dem Spiegel saß und sich eine Kette um den Hals legte, während sie danebenstand und ehrfürchtig die einzelnen Kettenglieder berührte. Und sie fühlte erneut das Kribbeln im Bauch, das sie verspürt hatte, als ihre Mutter ihr eine der Ketten um den Hals gelegt hatte. Wie eine princesa war sie sich vorgekommen. Mariella presste die Lippen aufeinander und verdrängte die Erinnerungen.
»Sie hat diesen Schmuck mir geschenkt! Mir, Emi!« Mariella hielt Emi die Kette vor die Nase, die sie soeben gedankenverloren betrachtet hatte. »Er hilft mir, mich an sie zu erinnern«, sprach sie stockend, doch Emi prustete und hob vorwurfsvoll eine Augenbraue.
»Und aus diesem Grund hattet Ihr auch vor wenigen Minuten noch vor, ihn zu verkaufen, um allein durchs Land ziehen zu können?«
Mariella verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Sie wusste, dass Emi recht hatte, dennoch breitete sich ein schmerzliches Gefühl in ihr aus. »Meine Mutter hätte nicht gewollt, dass Vater die Ketten verkauft«, sprach sie leise. »Außerdem hättest du mich gern auf meiner Flucht begleiten dürfen«, fügte sie hinzu und ließ sich zurück auf ihre Bettstatt fallen.
Emi lachte. »Sicherlich. Das wäre natürlich um Welten besser gewesen. Zwei Frauen, ohne jeglichen Schutz, mit einem Kästchen voller Schmuck. Ach Mariella, das wäre niemals gut ausgegangen.«
»Aber es war die einzige Möglichkeit. Nun muss ich diesen … diesen abscheulichen Mann heiraten, während das Gold, mit dem ich hätte fliehen können, irgendwo übers weite Meer …« Mariella hielt mitten im Satz inne. Ihr Onkel würde sie am nächsten Morgen wieder verlassen. Mit dem Schmuck, der eigentlich ihr gehörte. Und er würde für eine lange Zeit fortbleiben …
»Mariella, Euer Gesichtsausdruck gefällt mir nicht. Was heckt Ihr gerade aus?«
Mariella grinste. »Ich weiß jetzt, was ich mache! Ich komme mit.«
»Ihr werdet was?« Emi schüttelte verständnislos den Kopf, während Mariella aufgeregt zu ihrer Kleidertruhe eilte.
»Ich werde meinen Onkel auf seiner nächsten Reise begleiten. Er selbst meinte eben, dass er bereits morgen aufbrechen würde. Das ist die einfachste Lösung. Ich verzichte auf meinen Anteil des Geldes, wenn er mich stattdessen mit an Bord nimmt.« Mit einem Lächeln im Gesicht trat sie an ihre Kleidertruhe. Hatte sie sich nicht erst vor wenigen Stunden an ihren einstigen Kindheitstraum erinnert? Daran, dass sie fremde Länder entdecken wollte? Aufregung erfasste sie bei dem Gedanken, dass dieser Traum schon bald wahr werden könnte. Sie öffnete die Truhe und suchte nach den passenden Kleidern für eine Seereise. Welche Länder er wohl besuchen mochte? Und welche Temperaturen herrschten auf einem Schiff? Benötigte sie die unbequemen Französischen Hauben? Vermutlich. Wahrscheinlich wäre es das Klügste, sowohl warme als auch leichte Kleidung einzupacken. Plötzlich fühlte sie Emis Hand auf ihrem Arm.
»Mariella. Das ist Wahnsinn. Ihr könnt nicht mit Eurem Onkel mitfahren.«
»Wieso nicht? Du weißt, ich lerne schnell. Ich kann gewiss auch die Arbeiten eines Seefahrers erlernen, zumindest die einfachen.«
Emi schüttelte den Kopf. »Er würde Euch niemals mitnehmen. Habt Ihr je von einer Frau gehört, die auf einem Segelschiff mitgefahren ist?« Bevor Mariella antworten konnte, fuhr sie bereits fort. »Gewiss nicht. Denn Frauen haben auf Schiffen nichts verloren.«
»Sagt wer?« Mariella funkelte Emi wütend an, die hilflos ihre Arme in die Luft reckte.
»Das sagen alle. Und ganz gewiss auch Euer Onkel. Er würde Euch niemals mitnehmen. Und selbst wenn – wollt Ihr das wirklich? Anstelle eines schrecklichen Ehemanns würden hundert andere Männer seinen Platz einnehmen.«
Mariella schüttelte den Kopf. »Nein. Mein Onkel würde auf mich aufpassen. Außerdem gibt es für mich keine schlimmeren Männer als Alberto.«
Emi schlug die Hände zusammen. »Herr im Himmel! Natürlich gibt es die. Glaubt mir, Ihr könnt nicht mitfahren.«
Mariella reckte trotzig ihr Kinn. »Ich kann und ich werde.« Mit diesen Worten drehte sie sich um, holte ein weiteres Tagesgewand aus Brokat aus der Truhe heraus und überlegte, wo sie die Kleidung, die sie mitnehmen wollte, überhaupt verstauen sollte. Aber Emi ließ nicht locker und nahm ihr das Kleid aus den Händen. »Er würde Euch nicht mitnehmen. Nicht einmal für einen ganzen Sack voller Goldketten. Glaubt mir, bitte.«
Mariella setzte sich auf den Rand der Truhe und dachte nach. Was, wenn Emi recht hatte? Wenn ihr Onkel ihre Bitte morgen ausschlagen würde? Dann hätte sie nicht nur ihr Gold verloren, sondern würde zudem riskieren, dass Magellan ihrem Vater von ihrem Fluchtversuch berichtete. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und starrte ins Nichts. Plötzlich grinste sie Emi breit an. »Ich weiß, was ich tun werde!« Sie stand auf und lief ans Fenster. Die Laterne, die an der Wand neben ihrer Haustüre hing, erzeugte ein schummriges Licht, sodass Mariella nur die Umrisse der Kutsche ihres Onkels erkannte. Wie ein riesiger dunkler Kasten stand sie direkt vor ihrem Haus. Offenbar waren er und ihr Vater zu Fuß in die Gaststube gegangen. Und das Beste war, Mariella sah weder den Kutscher noch einen anderen Bediensteten in der Nähe. »Ich verstecke mich in der Kutsche meines Onkels«, erklärte sie Emi, die daraufhin entsetzt die Luft einzog.
»Das könnt Ihr doch nicht …«
»Oh doch«, unterbrach Mariella sie. »Ich verstecke mich in dem abgetrennten, schmalen Stauraum ganz hinten, in dem sonst die Reisekisten untergebracht sind, und schleiche mich anschließend heimlich an Bord seines Schiffes.«
Emi seufzte und schlug dreimal das Kreuzzeichen vor ihrer Brust. »Ihr meint das wirklich ernst, nicht wahr?«
Mariella atmete tief durch und dachte an all die wundervollen Erzählungen ihres Onkels, an das Meer, das sie noch nie gesehen hatte. An die vielen Völker und Sprachen dieser Erde, an verschiedene Gewürze und Speisen. Ein Gefühl der Freiheit überkam sie und ließ sie am ganzen Körper eine Gänsehaut bekommen. Dann nickte sie. »Ich möchte mit ihm mitfahren.«
»Und was ist mit Eurer Freundin? Und mit mir?«
Mariella hielt inne und dachte an Chiara. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. »Chiara ist so glücklich mit Pedro, sie wird mich zwar vermissen, aber über meine Abwesenheit hinwegkommen. Außerdem hat Vater unsere Freundschaft aufgrund unseres unterschiedlichen Standes sowieso nie akzeptiert, sodass ich mich meist heimlich mit ihr treffen musste. Dir werde ich sicher fehlen, aber du hast mit meinem Vater genügend Arbeit. Zudem hätte ich, wäre ich Albertos Frau geworden, dieses Haus ebenfalls verlassen müssen und wir hätten uns kaum noch gesehen. Hab außerdem keine Sorge: Ich werde das schaffen.«
Allerdings schien Emi immer noch nicht überzeugt zu sein. Sie knetete ihre Dienstschürze zusammen und schüttelte den Kopf. »Hat Magellan Euch denn erzählt, wohin die Reise geht?«
Mariella zuckte mit den Schultern. »Nein. Aber das spielt auch gar keine Rolle. Überall ist es schöner als hier in Serpa«, erklärte sie und fügte in Gedanken: undals Ehefrau von Alberto hinzu. Sie band ihre wilden Locken mit einem Band zusammen und holte ihren warmen Mantel aus der Truhe heraus. Nachdem sie ihn angezogen hatte, öffnete sie ein weiteres Mal die Schmuckschatulle ihrer Mutter und griff nach der schlichten Goldkette, die sie damals als Kind getragen hatte. Mit einem wehmütigen Lächeln legte sie sich die Kette um, drehte sich zu ihrer Haushälterin und drückte ihr die Schmuckschatulle in die Hände.
»Die kannst du morgen früh meinem Onkel mit lieben Grüßen von mir übergeben.« Sie atmete tief durch und hauchte ihr einen Kuss auf die gerötete, weiche Wange. »Ich werde dich vermissen, Emi.«
Emi schluchzte leise. »Und ich kann Euch nicht umstimmen?«
Mariella verneinte und ergriff noch einmal kurz Emis Hand. »Lebe wohl!«
Mit dem Wissen, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen, verließ sie mit wild pochendem Herzen und angehaltenem Atem ihr Zimmer.
Sie hatte die Haustür noch nicht erreicht, da hörte sie Emis aufgeregtes Rufen.
»Wartet!«
Mariella hielt inne und beobachtete ihre Haushälterin, die keuchend die knarzende Treppe herunterkam. »Wartet auf mich!«
»Auf dich? Wieso?«
Emi hatte das Erdgeschoss erreicht und wischte sich eine widerspenstige graue Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann atmete sie tief durch. »Ich habe Eurer Mutter einst versprochen, Euch niemals allein zu lassen, und dieses Versprechen gedenke ich zu halten.«
»Du willst mitkommen?«
Emi verzog das Gesicht zu einer Grimasse und schüttelte den Kopf. »Na, von wollen kann hier nicht die Rede sein. Wenn Ihr mich fragt, ist diese Seereise mit Abstand die dümmste Idee, die Ihr je hattet. Doch ich kenne Euch und weiß, wann der Versuch, Euch umzustimmen, zwecklos ist.« Sie streckte die Hand aus und berührte zärtlich Mariellas Wange. Dann lächelte sie. »Ich werde Euch niemals allein lassen, minha querida, niemals. Die Schmuckschatulle habe ich bereits in der Stube auf den Tisch gestellt, Euer Vater wird sie dort gewiss finden, wenn er zusammen mit Eurem Onkel aus der Gaststube heimkehrt.«
Mariella umarmte Emi stürmisch, küsste sie auf beide Wangen und lächelte gerührt. Ihre liebe Emi würde sie begleiten. Obwohl sie weder das Ziel der Reise kannte, noch wusste, ob und wann sie zurückkehren würden. Niemals hätte sie dieser zurückhaltenden und übervorsichtigen Frau so viel Mut zugetraut.
»Also was ist nun? Wir sollten schnellstmöglich das Haus verlassen und uns verstecken, bevor Euer Onkel zurückkehrt.«
Mariella ergriff Emis nasskalte Hand, und gemeinsam schlichen sie aus dem Haus. Erneut überkam sie ein Gefühl von Freiheit, und sie drehte sich ein letztes Mal zu ihrem einstigen Zuhause um. »Auf Wiedersehen, altes Leben«, murmelte sie und lief dann mit klopfendem Herzen zur Kutsche ihres Onkels. Vorsichtig schlich sie am Kutschbock vorbei zum Ende des Kastenwagens, wo sich der Stauraum für das Gepäck befand. Sie wollte die Klappe zu diesem schon öffnen, als Emi laut überlegte:
»Ich nehme an, Euer Onkel steuert den Hafen in Tavira an, immerhin zählt dieser zu den größten in ganz Portugal. Und Tavira müsste mit einer Tagesreise zu erreichen sein. Für diese Zeitspanne müsste es dort hinten auszuhalten sein, meint Ihr nicht auch?«
Mariella bejahte und öffnete dann vorsichtig den hinteren Stauraum. Darin befanden sich lediglich einige zusammengefaltete Kleider ihres Onkels und ein paar Pergamentrollen. Ansonsten war er leer. Mariella lachte verzückt auf. Ein besseres Versteck konnte es nicht geben.
»Willst du zuerst?«, fragte sie Emi, die ihrem Zögling jedoch mit einer Geste ihrer Hand den Vortritt ließ.
Wenige Minuten später saßen die beiden Frauen, einander mit den Füßen zugewandt, zusammengekauert im Stauraum der Truhe, und Mariella hörte Emis rasselnden Atem.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie.
»Bis auf die Tatsache, dass ich meine Beine kaum bewegen und diese vollkommene Dunkelheit nicht leiden kann und Staub in der Nase habe, ist alles bestens.«
Mariella kicherte. »Wir schaffen das schon. Und wenn wir erst einmal auf dem Schiff sind …«, begann sie und sah bereits das glitzernde Blau des Meeres vor sich. Wie es wohl roch, und welche Geräusche es machen würde? So ähnliche wie das Plätschern des Flusses Guadiana, an dessen Ufer sie heute Nachmittag noch gesessen hatte?
Emi stöhnte. »Zwei Frauen auf einem Segelschiff. Herr im Himmel! Warum habe ich Eurer Mutter nur dieses Versprechen gegeben? Gott, steh uns bei!«
Mariella streckte ihre Hand aus, suchte im Dunkeln nach der von Emi und drückte sie fest. »Ich danke dir, dass du mich begleitest. Es bedeutet mir sehr viel.«
Für einen Augenblick herrschte Stille zwischen ihnen, und Mariella legte den Kopf auf ihre angewinkelten Knie. Ihre Gedanken wanderten zu ihrer Mutter. Wenn dein Herz frei ist, so bleibst du es auch. Ganz egal, wo du bist, vergiss das niemals, minha princesa. Diese Worte hatte sie einst zu ihr gesprochen, doch Mariella hatte sie bis heute nicht verstanden. Erst der Gedanke an Alberto als ihren Ehemann hatte sie begreifen lassen, was ihre Mutter damit sagen wollte. Und Mariella wusste, dass ihr Herz an der Seite dieses Mannes niemals frei gewesen wäre.
»Wisst Ihr, in einer Sache hattet Ihr recht«, brachte Emi sie zurück ins Hier und Jetzt. »Eure Mutter hätte niemals gewollt, dass Ihr Alberto heiratet.«
Mariella lächelte und dachte erneut an ihre Mutter, hörte deren glockenhelles Lachen und hatte sofort wieder den Duft von Rosenwasser in der Nase, welches diese stets aufgetragen und geliebt hatte. Und sie erinnerte sich an den liebevollen Umgang zwischen ihren Eltern. »Dein Freigeist bringt mich noch in Teufels Küche, Isa!«, hatte er oft zu ihr gesagt, um sie kurz darauf stürmisch zu umarmen. Mariella wusste, dass die Spielsucht ihres Vaters und seine Kaltherzigkeit ihr gegenüber aus seiner Trauer heraus entstanden waren. Oft genug hatte sie versucht, ihm seine unnötig harten Entscheidungen zu verzeihen und anzunehmen. Doch diesmal betrafen sie ihr eigenes Leben in einem Ausmaß, dass ihr das nicht mehr möglich war. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, und Mariella berührte die zarte Goldkette an ihrem Hals. Nein, ihre Mutter hätte niemals gewollt, dass sie einen Mann wie Alberto heiratete. Sie atmete tief durch und drückte ein weiteres Mal Emis Hand. »Wir sollten versuchen, zu schlafen.«
Es dauerte nicht lange, bis sie Emis leises Schnarchen hörte. Mariella lehnte den Kopf an die Seitenwand des Stauraums und schloss ebenfalls die Augen. Nach einiger Zeit war auch sie eingeschlafen.
Ein Ruckeln schreckte sie auf.
»Manuel! Gib den Pferden etwas zu fressen, bevor du sie anschirrst! Und beeil dich!«, hörte sie die dunkle Stimme ihres Onkels donnern. Mariella hielt angespannt den Atem an und lauschte. Der Lautstärke nach musste er direkt neben der Kutsche stehen. Sie presste die Lippen aufeinander und betete zu Gott, dass ihr Onkel nichts von hier hinten benötigte.
Doch schon wenige Minuten später setzte sich das Gefährt in Bewegung, und Mariella versuchte, sich mit beiden Händen an den Seitenwänden abzustützen, um auf diese Weise die Stöße abzumildern, die jeder einzelne Stein und jedes Schlagloch verursachte und die ihr schmerzhaft in die Knochen fuhren.
»Jesus! Maria, Mutter Gottes, steh uns bei!«, hörte sie Emi leise beten.
Es waren Stunden vergangen, in denen Mariella immer wieder eingeschlafen und von heftigem Ruckeln aufgeschreckt worden war. Zweimal hatte ihr Onkel die Kutsche anhalten lassen, um auszusteigen, und jedes Mal hatte Mariellas Herz heftig geklopft, weil sie befürchtete, entdeckt zu werden. Ihre Sorgen hatten sich bisher als grundlos erwiesen, denn die beiden Frauen waren bis zu diesem Zeitpunkt unbemerkt geblieben.
Als sie zum dritten Mal anhielten, stöhnte Mariella leise auf. »Ich spüre meine Beine nicht mehr.«
»Seid froh. Mein Körper fühlt sich so an, als wäre die Kutsche mehrmals darübergefahren«, antwortete Emi flüsternd.
Mariella wollte zu einer Antwort ansetzen, als sie die Stimme ihres Onkels direkt neben sich hörte und die Luft anhielt. »Und? Haben sie hier freie Zimmer, Manuel?« Mariella hörte sein herzhaftes Gähnen und im Anschluss die leise zustimmende Antwort des Kutschers. »Gott sei Dank. Ich freue mich auf ein weiches Bett. Spann bitte die Pferde aus und führe sie in den Stall. Ich werde in der Zwischenzeit eine Mahlzeit für uns ordern.«
Mariella hörte, wie sich die Schritte Magellans allmählich von der Kutsche entfernten und kurz darauf das Wiehern der Pferde, die dem Klang nach von ihrer Last befreit wurden. Sie atmete tief durch. »Wo wir wohl gerade sind? Denkst du, wir haben Tavira schon erreicht?«
Emi stöhnte. »Ich hoffe es, ich kann mich ja jetzt schon kaum noch rühren.«
Mariella schloss ihre Augen und lächelte. Schon bald würde sie das Meer sehen, riechen und hören können, bald würde das Abenteuer auf dem Schiff beginnen. Sie lehnte den Kopf zurück und stellte sich in freudiger Erwartung den Moment vor, in dem es so weit sein würde. Gedanklich befand sie sich schon an Bord und spürte den Wind in ihrem Gesicht, als sie plötzlich das Knarzen von Holz vernahm und wenige Augenblicke später in das erschrockene Gesicht des jungen Kutschers blickte.
»Grundgütiger!«, schrie er und machte einen Satz zurück. »Was …?« Er sah von Emi zu Mariella und schüttelte dabei immer wieder den Kopf. »Ihr seid doch die Nichte meines Herrn, wenn ich mich nicht irre?«
Mariella nickte schwach und verzog das Gesicht.
»Geht es Euch gut? Aber wie seid Ihr nur in den Stauraum hineingeraten?«
Noch bevor Mariella zu einer Antwort ansetzen konnte, hatte er Emi bereits die Hand gereicht und versuchte, ihr aus dem Versteck ins Freie hinaus zu helfen. »Habt keine Sorge. Ich werde sogleich Euren Onkel informieren, dann können wir …«
»Nein!«, unterbrach ihn Mariella und kletterte mit wackeligen Knien aus dem Stauraum heraus. Ihr Herz pochte heftig, während sie sich umsah. Ein dichter Wald verschluckte die letzten Strahlen der untergehenden Sonne, sodass die Laterne eines Hauses die einzige Lichtquelle darstellte. Weit und breit war kein Meer zu sehen. Wo waren sie nur? Mariella sah erneut den Kutscher an und legte ihre Hand auf seinen Arm.
»Bitte erzähle ihm nicht, dass wir hier sind.«
»Aber«, begann er und fuhr sich durch die strohigen Haare, die sogleich in alle Richtungen abstanden.
»Hör zu, Manuel. Das ist doch dein Name, richtig?«
Der Kutscher erwiderte Mariellas Lächeln und nickte schwach.
»Es ist sehr wichtig für mich und Emiliana, dass wir unentdeckt bleiben. Kannst du uns dabei helfen?«
Manuel schien nicht zu verstehen, was Mariella von ihm wollte, sondern schaute sie fragend an.
Mariella stöhnte. »Wir möchten meinen Onkel begleiten.«
Manuel hob eine Augenbraue an. »Ihr wollt nach Sevilla?«
»Sevilla?« Mariella schnappte erschrocken nach Luft. »Wieso fährt er denn nach Spanien? Ich dachte, er will ans Meer?«
»Schon, aber nicht an die portugiesische Küste. Die Expedition startet von Sevilla aus. Wusstet Ihr das nicht? Señorita, ich denke, ich gebe jetzt doch besser Eurem Onkel Bescheid.« Er nickte ihr noch einmal höflich zu und wandte sich in Richtung Gasthaus.
In Mariellas Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wenn ihr Onkel nun von ihrer Anwesenheit erfahren würde, wäre sie innerhalb kürzester Zeit wieder zu Hause. Dann müsste sie Alberto heiraten und wäre für immer verloren. Andererseits lag Sevilla ihres Wissens weit mehr als eine Tagesreise von Serpa entfernt. Sie würden die Stadt niemals unbemerkt erreichen. Es sei denn … »Ich bezahle dich auch für deine Hilfe!«, schrie sie Manuel hinterher und griff sich an den Hals. Mit geschickten Bewegungen öffnete sie die filigrane Goldkette ihrer Mutter und hielt sie dem Kutscher entgegen, der das Schmuckstück skeptisch betrachtete. »Das ist echtes Gold. Wenn du es eintauschst, bekommst du dafür gewiss mehr als genug Maravedís.«
Manuel nahm die Kette zögernd an sich. »Was wollt Ihr von mir?«
Mariella griff nach der Hand ihrer Haushälterin und drückte sie leicht. Dann schenkte sie dem Kutscher ihr schönstes Lächeln und zuckte mit den Schultern. »Es genügt, wenn du dafür sorgst, dass wir unentdeckt weiterreisen können. Und wenn du uns abends etwas zu essen und zu trinken bringst und die Möglichkeit verschaffst, uns ungesehen von meinem Onkel zu erleichtern. Schaffst du das?«
Sie bemerkte Manuels Zögern. Immer wieder ging sein Blick zwischen ihr und der Kette hin und her.
»Bitte«, flehte sie.
Schließlich nickte er und streckte ihr zur Bekräftigung ihres Handels die offene Hand entgegen. »Abgemacht.«
Es klopfte zwei Mal gegen die Klappe des Stauraums. Dies war Manuels Zeichen, dass sie unbemerkt die Kutsche verlassen konnten. Allem Anschein nach hatten sie den Flusshafen Sevillas erreicht. Mariella streckte sich und öffnete vorsichtig die Klappe, woraufhin Emi sofort ungelenk nach draußen kletterte. Mariella folgte ihr und blieb dann wie angewurzelt stehen. Der Geruch von Unrat, Urin und Brackwasser stieg ihr in die Nase, und sie hielt sich schnell die Hand vor die Nase. Es stank abscheulich! Und auch das Bild, das sie vor Augen hatte, gestaltete sich ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Die Kutsche stand direkt neben einer Lagerhalle und nur wenige Meter von einer alten Hafenschenke entfernt, deren Holz so morsch wirkte, dass Mariella sie niemals freiwillig betreten hätte. Zudem standen davor mindestens ein Dutzend Männer, die laut grölten und tranken und dabei ungeniert mit den ebenfalls dort anwesenden leicht bekleideten Damen schäkerten. Mariella schluckte, als sie beobachtete, wie ein Mann einer der Frauen in den freizügigen Ausschnitt griff und diese dabei laut kicherte. Wo war sie hier bloß gelandet?
»Mariella! Bedeckt um Himmels willen Eure Augen! Das ist kein Anblick für eine Dame!«, schimpfte Emi und zerrte sie am Arm, bis sie ganz dicht neben ihr stand, als könnte sie ihr dadurch Schutz bieten.
»Ihr tut gerade so, als hättet Ihr noch nie zuvor ein Freudenhaus gesehen. Wir müssen übrigens hier entlang, denn dort stehen die …«, weiter kam Manuel nicht mit seiner Erklärung, da Emi ihn wütend mit erhobenem Zeigefinger anfunkelte.
»Kein Wort mehr über dieses Etablissement, haben wir uns verstanden? Mariella ist eine anständige Dame, und das soll auch so bleiben!«
Manuel zuckte kurz mit den Schultern, als wäre er sich keiner Schuld bewusst, und lief ihnen dann anschließend und zu ihrem Glück in die dem Bordell entgegengesetzte Richtung voraus. Mariella hielt die Luft an und versuchte, die aufkommende Angst zu verdrängen.
»Passt auf, wohin Ihr tretet, Señorita«, warnte sie Manuel, während sie einen Bogen um ein undefinierbares Etwas schlugen, das bestialisch stank. Mariella schluckte. So hatte sie sich einen Hafen nicht vorgestellt.
»Por dios!« Plötzlich wurde sie von einem dicken, bärtigen Mann angerempelt, der sichtlich Mühe hatte, sich aufrecht zu halten. Mariella riss erschrocken die Augen auf, während er sich an ihrer Schulter festhielt, um das Gleichgewicht zu bewahren. Dann schlich sich ein anzügliches Grinsen auf sein Gesicht, das zwei Zahnlücken und schiefe gelbe Zähne zum Vorschein brachte. »Hola, hermosa dama. So eine hübsche Dame wie du hat sich gewiss verlaufen. Soll ich dich ein Stück begleiten?«
Doch ehe Mariella ihm in angemessener Weise antworten konnte, hatte Emi dem Mann schon mit voller Kraft auf die Finger gehauen, der daraufhin erschrocken zurückwich. »Wir haben bereits eine Begleitung. Auf Wiedersehen, Señor.«
Der Mann fluchte etwas Unverständliches in seinen Bart, wankte dann aber davon, während Mariella ihre einstige Haushälterin sprachlos anstarrte. Doch diese grinste nur unschuldig und hob eine Schulter. »Ich habe versprochen, auf Euch aufzupassen, und das gedenke ich, auch zu tun. Wohin führst du uns, Manuel?«
Der junge Kutscher streckte seinen Arm aus und deutete auf weitere Lagerhallen, die etwas abseits vor ihnen im Schatten riesiger Bäume standen. »Dort ist nicht so viel los. Ein idealer Ort, um sich umzukleiden und sich auf die Reise vorzubereiten, findet Ihr nicht?«
Mariella betrachtete ihr Tagesgewand und den dunkelbraunen Mantel. Auch wenn beides aufgrund der Reise im Stauraum staubig geworden war, hätte sie es dennoch gerne anbehalten. Offensichtlich ahnte Manuel, was in ihr vorging, denn er betrachtete sie mit einem wissenden Grinsen im Gesicht und setzte zu einer Erklärung an.
»Habt Ihr hier vielleicht irgendwo Frauen gesehen? Ich meine mit Ausnahme der Huren.«
Während Emi erneut zu einer Strafpredigt ansetzte, weil Manuel das Wort »Hure« vor Mariella in den Mund genommen hatte, blickte diese sich um. Tatsächlich hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt noch keine einzige Frau im Hafen entdeckt.
»Wir sollen also Männerkleidung tragen?«, schlussfolgerte sie und ignorierte Emis Schimpfen.
»Ganz genau. Und zwar die eines einfachen Seemanns. So werdet Ihr am wenigsten auffallen.«
Mariella presste die Lippen aufeinander, während sie Manuel in die schwach beleuchtete Lagerhalle folgte. Sie hatte sich die Flucht auf das Schiff ihres Onkels bedeutend einfacher vorgestellt.