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Hope hatte nie vor, sich zu betrinken und auf dem Rücksitz eines Autos einzuschlafen. Doch als sie aufwacht, ist sie meilenweit von Zuhause entfernt und blickt in die wütenden Augen eines äußerst gutaussehenden Mannes.
J.R. bringt es nicht übers Herz, Hope am Straßenrand stehenzulassen. Gemeinsam mit seinem Bruder Scout beginnt für die drei ein unerwarteter Road Trip. Während Hope versucht, die schweren Ereignisse der letzten Zeit hinter sich zu lassen, kämpft J.R. gegen Vorurteile und für das Wohl seines Sohnes.
Wird Hope in J.R.s Nähe den Mut finden, sich ihren Ängsten zu stellen? Und kann J.R. lernen, dass Liebe manchmal die stärkste Waffe im Kampf gegen die Widrigkeiten des Lebens ist?
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Seitenzahl: 376
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Hope hatte nie vor, sich zu betrinken und auf dem Rücksitz eines Autos einzuschlafen. Doch als sie aufwacht, ist sie meilenweit von Zuhause entfernt und blickt in die wütenden Augen eines äußerst gutaussehenden Mannes.
J.R. bringt es nicht übers Herz, Hope am Straßenrand stehenzulassen. Gemeinsam mit seinem Bruder Scout beginnt für die drei ein unerwarteter Road Trip. Während Hope versucht, die schweren Ereignisse der letzten Zeit hinter sich zu lassen, kämpft J.R. gegen Vorurteile und für das Wohl seines Sohnes.
Wird Hope in J.R.s Nähe den Mut finden, sich ihren Ängsten zu stellen? Und kann J.R. lernen, dass Liebe manchmal die stärkste Waffe im Kampf gegen die Widrigkeiten des Lebens ist?
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Tia Louise
This much is true
Aus dem Amerikanischen von Sonja Fiedler-Tresp
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Grußwort
Informationen zum Buch
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Widmung
Zitat
Prolog — J.R.
1: Hope
2: J.R.
3: Hope
4: J.R.
5: Hope
6: J.R.
7: Hope
8: J.R.
9: J.R.
10: Hope
11: J.R.
12: Hope
13: J.R.
14: Hope
15: J.R.
16: Hope
17: J.R.
18: J.R.
19: Hope
20: J.R.
21: Hope
22: J.R.
23: Hope
24: J.R.
25: Hope
26: J.R.
27: Hope
28: Hope
29: J.R.
30: Hope
Epilog — J.R.
Impressum
Lust auf more?
Für meine wunderbaren Leserinnen und Leser.
Ich hoffe, diese Geschichte bringt euch zum Lachen und zum Dahinschmelzen und hilft euch, alle Sorgen für eine Weile zu vergessen.
Ich schicke euch all meine Liebe. Danke für eure treue Unterstützung.
Tia
Love lights more fires than hate extinguishes.
Ella Wheeler Wilcox
Erst die Wellen der Veränderungen weisen uns die richtige Richtung.
J.R.
Ich stehe am Geländer der Golden Gate Bridge und betrachte den Sonnenuntergang über dem Pazifik. Tief unter mir wirbelt das eiskalte Wasser vorbei. Vor einer halben Stunde habe ich das Gebäude verlassen, in dem ich die letzten 24 Monate verbracht habe, um für ein Verbrechen zu bezahlen, das ich nicht begangen habe.
Die Haare reichen mir bis zu den Schultern. Und obwohl ich eher mager bin, habe ich trotzdem genug Muskeln, um alle einzuschüchtern, die mir an den Kragen wollen.
Ich habe so lange in dem Gestank aus Reinigungsmitteln, Schweiß und Urin gelebt, dass ich völlig vergessen habe, wie wunderbar frische Luft riechen kann.
Um fünf Uhr nachmittags war ein Wachmann zu meiner Zelle gekommen, hatte am Gitter gerüttelt und mir gesagt, dass ich meinen Scheiß zusammenpacken soll. Ich kam mir vor wie in einem alten Schwarz-Weiß-Film.
Es war Zeit zu gehen.
Obwohl ich grade mal die Hälfte meiner vierjährigen Gefängnisstrafe abgesessen hatte, hieß es plötzlich, dass es vorbei sei. Dass ich vorzeitig entlassen würde.
Wie ich mich dabei gefühlt habe? Verwirrt wäre noch weit untertrieben – aber ich habe weder nachgefragt noch diskutiert. Stattdessen habe ich angefangen, Pläne zu schmieden.
»Diese Fehlentscheidung hast du nur den nervigen Aktivisten zu verdanken«, sagte die Frau an der Pforte zu mir und verzog angewidert das Gesicht. »Die wollten nicht, dass du krank wirst. Haben sich Sorgen um deine Grundrechte gemacht.«
Wut loderte in meiner Brust auf, während ich versuchte jeglichen Blickkontakt mit ihr zu vermeiden. Jeder einzelne Tag da drin hatte gegen meine Grundrechte verstoßen, aber warum sollte diese Frau das kümmern?
Seit dieser Albtraum begonnen hat, hat sich niemand für mich interessiert. Auch wenn ich es einmal, zweimal, dreimal, tausendmal wiederholt habe. Ich. Habe. Es. Nicht. Getan.
Es war allen scheißegal.
Nicht einmal mein Pflichtverteidiger hat mir geglaubt. Ich war mit illegalen Wachstumshormonen in der Tasche erwischt worden, und das reichte ihnen allen als Beweis. Niemand hat sich die Rechnung für die absolut legalen pflanzlichen Nahrungsergänzungsmittel angeschaut, die ich dachte, abzuholen. Ich war ein Redneck aus South Carolina mit Dopingmitteln im Koffer. Fall erledigt.
In San Quentin hab ich von Anfang an den Kopf eingezogen. Hab mich mit den größten und miesesten Typen verbündet und mit den ruhigen Jungs, die unter sich blieben. Und ich habe gelernt, stets verteidigungsbereit zu sein.
Von Beginn meiner Haftstrafe an war ich fest entschlossen, bei der nächsten Begegnung mit meinem Vater erst lockerzulassen, wenn er um Gnade winselte.
Und jetzt bin ich ein freier Mann.
Jedenfalls mehr oder weniger.
Ich bin draußen, und ich bin bereit, ihm in die Augen zu sehen. Er hat mir das Ganze eingebrockt, und ich würde gerne wissen, warum.
Während ich auf das dunkle Wasser starre, leiste ich einen Schwur. Ich werde mir alles, was ich verloren habe, zurückholen. Noch habe ich keine Ahnung, wie der Mann, der mich hierhergebracht hat, das hinkriegen wird, aber damit können wir uns beschäftigen, wenn ich zu Hause bin.
1
Ich hätte nicht gleich die ganze Flasche Wein trinken sollen.
Die Meeresbrise wirbelt mir die blonden Haare aus dem Gesicht und drückt mir das Kleid gegen die Beine. Ich wickele meinen kuscheligen Mantel enger an mich. Als ich meine Lippen befeuchte, schmecke ich Salz auf der Zunge.
Heute Abend ist es hier draußen ziemlich ungemütlich, mit heftigem Wind und wild brechenden Wellen, aber genau das passt zu meiner Stimmung. Denn auch in mir tobt ein wüster Sturm, und alles um mich herum scheint im Chaos zu versinken …
Der Strandweg an der Bucht von San Francisco wirkt wie ausgestorben – genauso wie alles seit dieses schreckliche Virus uns heimsucht –, und auch ich kürze den unruhigen Spaziergang ein Stück in Richtung Brücke ab.
In der Ferne ragen die zwei riesigen roten Türme auf, verbunden durch eine Kette von Lichtern. Wie ein Schiff, das in der Dunkelheit vorbeituckert.
Ich schließe die Augen und stelle mir vor, dass ich mitten in einem Hitchcock-Film gelandet bin … oder in diesem Film mit Mike Myers: Liebling, hältst du mal die Axt?
Als ich in eine Kuhle im Sand trete und stolpere, fällt mir die leere Flasche aus der Hand. Sie kommt mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf, aber ich gehe einfach weiter. Natürlich sollte ich mich umdrehen und sie aufheben, sollte sie mitnehmen und in den Altglascontainer werfen. Schließlich bin ich eine verantwortungsbewusste Bürgerin. Doch ich tue es nicht.
Ich gehe einfach weiter.
Große Felsen trennen mich von dem Weg, der zur Brücke hinaufführt. Was sich geradezu symbolisch anfühlt. Ich blicke zu dem Bauwerk aus Stahl und Kabeln hinauf und stimme meinen liebsten ABBA-Song an: »I have a dream …«
Meine Stimme zittert, aber das ist mir egal. Schließlich straffe ich die Schultern und schmettere meine täglichen Bekräftigungs-Worte:
Ich mache meine Sache besser, als ich denke.
Meine Zukunft ist golden, und ich habe meine besten Tage noch vor mir.
Ich bin stark genug, alles zu schaffen, was vor mir liegt.
Mein Leben ist nicht vorbei, und ich werde nicht kampflos aufgeben.
Aber ich bin so schrecklich müde. Und bin mir gar nicht mehr sicher, ob ich an die Sprüche überhaupt noch glaube.
Also ziehe ich mein Handy raus und schreibe an meine beste Freundin Yarnell.
Wie lange brauche ich wohl, um nach Half Moon Bay zu laufen?
Ich habe nämlich gerade das Gefühl, ich könnte die ganze Nacht durchmarschieren.
Als sie antwortet, vibriert das Handy in meiner Hand.
Wieso solltest du den ganzen Weg bis zu mir laufen?
Während ich auf die Worte starre, schwanke ich leicht. Ich drücke auf das Telefon-Symbol. Ich muss jetzt eine Stimme hören.
»Wenn du bei mir vor der Tür stehst, lass ich dich erst rein, wenn ich bei dir Fieber gemessen habe. Nicht, dass du mir das Virus anschleppst.«
Meine Freundin ist so eine Dramaqueen …
»Ich habe eine existenzielle Krise!«
»Du bist so eine Dramaqueen!«
Mir bleibt der Mund offen stehen. »Das sagt die Richtige!«
»Aber jetzt erklär’s mir: Warum willst du den ganzen Weg herlaufen? Nimm doch das Auto!«
Ich atme tief durch, räuspere mich und blicke in Richtung Sonnenuntergang. Alles, damit ich nicht losheule.
»Ich hab Metallicar verkauft.«
»Was?« Sie keucht laut auf. »Neeeein!«
»Doch. Es wird morgen abgeholt. Ich bin jetzt offiziell am Ende.«
Und ich fühle mich schrecklich dabei.
Schon vor Jahren haben wir Dads geliebten schwarzen 1967er-Chevy Impala »Metallicar« getauft, nach unserer Lieblings-Fernseh-Serie Supernatural.
Dad hat mir das Auto überlassen, bevor er nach seiner Knie-OP zur Reha gefahren ist. Er sollte dort nur für ein paar Wochen sein … Aber dann kam die Pandemie und jetzt muss er erst mal dortbleiben, und ich bin komplett pleite.
»Das tut mir so leid, Hope.« Zumindest klingt sie jetzt nicht mehr sarkastisch. »Wo genau bist du?«
»An der Brücke.«
»Hope Eternal Hill! Was genau hast du vor?«
Ich lege mir die Hand an die Stirn und versuche, das Unwetter wegzureiben, das dahinter tobt.
»Ich denke über meinen Namen nach. Heiße ich wirklich Hope Eternal? Oder doch eher Eternal Hill? Denn es kommt mir vor, als würde der Hügel vor mir höher und höher werden …«
»Was kann ich für dich tun? Was brauchst du?«
»Einen Job, verdammt nochmal. Ich hab jetzt lange genug gewartet, dass sich alles wieder normalisiert. Noch länger pack ich es nicht.«
Seit ich wegen des Lockdowns Pancake Paradise schließen musste, mein Restaurant, in das ich jeden einzelnen Dollar gesteckt hatte, den ich besaß, wird es immer schwieriger, über die Runden zu kommen.
»Du könntest in einem der Amazon-Verteilzentren arbeiten. Das machen im Moment alle.«
»Genau, deshalb suchen die auch niemanden mehr.«
»Das ist absolut unmöglich. Die schicken doch sogar Leute ins All, um auf dem Mond das nächste Verteilzentrum aufzumachen.«
»Auf der Erde werde ich jedenfalls nicht gebraucht.«
Ich blinzele wieder zu der großen Metallbrücke hinauf und frage mich, ob ich …
Als ich klein war, hat Dad mit mir manchmal einen Spaziergang über die Brücke gemacht. Wenn wir gut drauf waren, sind wir sogar den ganzen Weg gejoggt. Oder wir sind stehen geblieben und haben auf den Pazifik geschaut. Ich habe dann immer die Ohren gespitzt, um die Engel singen zu hören …
Ich schließe auch jetzt die Augen und lausche, aber da ist nichts als Stille. Die einzigen Geräusche sind das Pfeifen des Windes und das Donnern der Wellen.
Früher habe ich sie gehört.
Am Rand der Brücke bewegt sich etwas, und ich glaube, da steht jemand. Ein ganzes Stück entfernt. Ein Mann.
»Hörst du mir überhaupt zu?« Die Stimme meiner Freundin reißt mich zurück.
»Entschuldige. Was hast du gesagt?« In meinem Kopf dreht sich alles, ich kann nicht klar denken. Zu viel Wein.
»Weißt du noch, als wir klein waren? Wer hat damals erklärt, wir können unseren Limo-Stand retten, obwohl Mrs. Blackburn alle Zitronen mit ihrem Auto überfahren hatte?«
Ich schüttele in Erinnerung den Kopf. »Mrs. Blackburn war die schlechteste Autofahrerin ever. Sie hat mich zweimal fast erwischt, als ich mit dem Fahrrad unterwegs war.«
»Du warst dir sicher, dass wir ihn retten können!«, fährt sie fort. »Du hast uns nicht aufgegeben!«
»Wir hätten die Zitronen ja sowieso ausgepresst …«
»Und später, beim Football? Wer hat gesagt: ›Es ist egal, dass unser Maskottchen eine Taube ist – wir können trotzdem einen fucking kämpferischen Schlachtruf haben‹?«
»Wir waren zwölf, Yars. Ich glaube kaum, dass ich da fucking gesagt habe.«
Unsere Eltern waren friedensbewegte Super-Hippies und hätten uns niemals fluchen lassen.
»Pickt sie weg!, war der kämpferischste Schlachtruf aller Zeiten!« Ihre Stimme wird lauter, als würde sie gerade das Team anheizen.
Ich sehe die große weiße Taube auf unseren knielangen, königsblauen Sportkleidern vor mir. Gruselig.
Unsere Lerngruppe – wir wurden alle zu Hause unterrichtet – spielte zusammen Flag Football, weil unsere Eltern der Meinung waren, dass normales American Football zu Gehirnschäden und Verhaltensstörungen führen würde. Und obwohl sie versuchten, uns das Gefühl zu geben, als wären wir ganz normale Kinder, wussten wir, dass wir anders waren.
»Vielleicht war ich schon immer ein Loser und habe es bloß nicht gemerkt.«
»Du bist doch kein Loser! Du bist die stärkste Person, die ich kenne! Du hast bis jetzt alle Hürden überwunden. Und das wirst du auch weiterhin!«
Ich stelle mir vor, wie die Musik im Hintergrund anschwillt und hinter meiner besten Freundin die Lichter angehen, während das Publikum auf den Tribünen in Begeisterungsstürme ausbricht.
»Und jetzt sprich mir nach: Ich springe nicht von der Brücke.«
Ich zucke, als hätte ich einen Stromschlag bekommen. »Ich hab gar nicht vor, zu springen, Yars.«
»So ist es gut!«
»Nein, ernsthaft. Ich wollte gar nicht …«
»Du wirst diese schwere Zeit überstehen. So wie wir alle. Und dann werden wir gestärkt daraus hervorgehen.«
»Nein, wirklich, ich habe nur den Stimmen gelauscht.«
Stille in der Leitung.
Ich halte das Handy ein Stück von mir weg, bevor ich weiterspreche. »Bist du noch da?«
»Stimmen?« Sie klingt misstrauisch.
»Wenn ich als Kind hier auf der Brücke stand und aufs Meer geschaut habe, habe ich mir eingebildet, dass ich die Engel über die Wellen hinweg singen hören kann.«
»Und, hast du sie wirklich singen hören?«
»In meiner Vorstellung schon.«
»Puh.« Sie atmet erleichtert aus. »Für einen Moment dachte ich, wir hätten ein größeres Problem.«
»Größer, als dass ich von der Brücke springen will?«, ärgere ich sie, auch wenn ich immer noch traurig bin. »Ich höre sie nicht mehr, Yars. Sie haben aufgehört zu singen. Das hat bestimmt etwas zu bedeuten.«
»Ja, es bedeutet, dass du erwachsen und in der Realität angekommen bist.«
Ich lasse die Schultern sinken und trete den Rückweg an. Der Wind fährt mir heftig durch die Haare, und eine Träne rollt mir die Wange hinunter. »Ich wünschte, ich könnte Dad sehen. Ich brauche eine Umarmung.«
Mein Dad hat mir immer dabei geholfen, die Dinge wieder ins richtige Licht zu rücken. Jetzt würde er den Arm um mich legen und mir eine Geschichte erzählen, vielleicht irgendetwas von damals, als er jung war oder wie er selbst einmal ein Problem gelöst hat.
»Ich weiß, dass du dir Sorgen um ihn machst.« Meine Freundin klingt plötzlich ganz sanft. »Aber im Shady Rest ist er wirklich gut aufgehoben. Wahrscheinlich hat er sogar eine richtig schöne Zeit, schließlich ist er noch gar nicht alt und ziemlich fit.«
Meine Augen werden schmal. »Er ist in einer Reha-Klinik, Yars.«
»Dein Dad hat immer das Beste aus allem gemacht. Das hast du von ihm!«
Inzwischen bin ich fast bei dem alten Strandhaus angekommen, das meiner Familie gehört. Mir fällt jetzt erst auf, wie grau die Holzbalken geworden sind und dass die Farbe abblättert. »Vermutlich würde er mir sagen, dass ich mal das Haus streichen soll.«
»Um ehrlich zu sein …« Jetzt flüstert sie fast. »Der alte Schuppen ist inzwischen bestimmt eine Million wert.«
»Ich kann das Haus nicht verkaufen! Es ist seit Ewigkeiten in Familienbesitz.« Ich erwähne nicht, dass ich es rechtlich gar nicht verkaufen könnte. Denn damit würde ich zugeben, dass ich zumindest schon mal darüber nachgedacht habe.
»Was ist jetzt, kommst du und pennst bei mir auf dem Sofa?«
»Vielleicht.« Weil das kleine Eingangstor kaputt ist, gehe ich die Einfahrt hoch. Als ich das glänzend schwarze Auto vor der Tür sehe, wird mir das Herz schwer. Ich kann nicht glauben, dass ich Metallicar wirklich aufgegeben habe.
»Ich glaube, ich muss erst mal alleine klarkommen. In ein paar Tagen komme ich zu dir.«
»Halt durch, meine Liebe.«
Wir legen auf, und ich gehe zu dem Auto, an dem so viele Erinnerungen hängen, und streichele es vom Kotflügel bis zur Tür. Dad hat das Auto geliebt. Er hatte es schon als Teenager und hat dafür gesorgt, dass es immer gut in Schuss war. Es war sein Baby. Er hat es gehegt und gepflegt, damit es geschnurrt hat wie eine Nähmaschine. Alles war geölt, alle Muttern und Schrauben ausgetauscht. Wie sollte jemals jemand den Wagen so lieben wie er?
Mein Herz ist gebrochen. Es kommt mir vor, als hätte ich ein geliebtes Haustier verkauft.
»Oh Dad.« Ich öffne die Tür und klettere auf den Rücksitz, drücke mich gegen das Leder und ziehe unter meinem Teddymantel die Knie an die Brust. »Ich wünschte, ich hätte es verhindern können.«
Dad würde seinen Lieblings-Radiosender anstellen, Sirius XMs 60s on 6, und zwar auf volle Power.
Er ist in den 1960ern geboren und hat immer gern die verrückte alte Beach Music gehört. »Dawn« von Frankie Vallie and the Four Seasons war sein Lieblingslied.
Ich bewege die Lippen und singe im Flüsterton: Go away, I am not good for you.
Ich weiß noch genau, wie ich mit Pferdeschwanz und leuchtenden Augen dasaß. Mein Lächeln war so breit, dass mir die Wangen wehtaten. Während wir den Küstenhighway entlangfuhren, schien die Sonne. Wir schmetterten im Duett die endlos glücklich klingenden Surfersongs …
Hope Eternal …
Wie die letzte Glut eines Streichholzes glimmt noch ein winziges kleines Licht in meiner Brust. Ein letztes bisschen Vertrauen im Nebel der Verzweiflung, die bereit ist, mich in die verzehrende Dunkelheit zu ziehen.
Doch das ist noch nicht das Ende unserer Geschichte. Ich werde nicht kampflos untergehen. Ich werde das sinkende Schiff retten. Und das zurückholen, was wir verloren haben.
Aber zuerst muss ich ein bisschen schlafen, um wieder klar denken zu können. Dann werde ich eine Lösung finden …
2
Die Sonne steigt gerade ganz hinten am Horizont auf, als ich an dem alten Strandhaus an einem ziemlich unwirtlichen Teil des Küstenhighways ankomme.
Weil es nicht einmal eine richtige Einfahrt gibt, überprüfe ich die Adresse vorsichtshalber noch einmal, auch wenn das eigentlich unnötig ist – ich sehe schon das Auto, das ich gekauft habe. Dank der kontaktlosen Übergabe, die wir vereinbart haben, sollte sich der Schlüssel in einer Box unter dem Kotflügel befinden, die mit einer Zahlenkombination gesichert ist. Wenn alles glatt läuft, sollte ich also gleich einsteigen und losfahren können.
Hierher zu gehen, hat sich komisch angefühlt. Der einzige andere Mensch, den ich getroffen habe, war ein Tramper, und auch Autos waren so gut wie keine unterwegs. Aber ich kann mir darüber jetzt keine Gedanken machen. Ich habe viel zu tun und nur wenig Zeit.
Nach kurzer Suche habe ich die Schlüssel gefunden. Ich bin zwar ein bisschen irritiert, weil die Fahrertür gar nicht abgeschlossen ist, aber als ich die Zündung betätige und der Motor zu dröhnen beginnt, klingt es genauso gut wie im Car Heaven versprochen.
Es hat mich ziemlich überrascht, wie vertrauensvoll es bei diesem Online-Autoverkauf zugeht. Ich musste nicht mal eine Anzahlung leisten. Vermutlich können sie mich tracken und kriegen mich, wenn ich nicht zahle … was mich sofort ins Gefängnis zurückkatapultieren würde.
In meiner Tasche stecken alle persönlichen Sachen, die ich dabei hatte, als ich damals San Quentin betreten habe – mein Handy, was schon damals uralt war, mein Portemonnaie samt Kreditkarten und mein Führerschein.
Ein weißer Umschlag mit zweihundert Dollar darin ist neu. Offensichtlich bekommt man diesen Betrag, wenn man aus dem Gefängnis entlassen wird, als wäre es fucking Monopoly.
Ich beiße die Zähne zusammen und spüre wieder Wut aufflammen. Früher hatte ich alles. Ich war ein Star in meiner Stadt, ein Held, der aus der eigenen Mitte kam. Der Schmerz sitzt tief, was meine Mission doppelt wichtig macht. Ich habe sieben Tage, um alles hinzubiegen.
Nach drei Stunden Fahrt ist mein Handy so weit aufgeladen, dass ich telefonieren kann. Es überrascht mich ein bisschen, dass es noch funktioniert, denn die Verträge liefen auf mich, und wir hatten einen Familientarif. Vermutlich haben sie aber einfach nicht daran gedacht, mich abzumelden.
Familie. Ich lache bitter auf. Durch all diese Erfahrungen habe ich wirklich viel über das Thema Familie gelernt. Vor allem darüber, wem ich trauen kann.
»Ja, hallo? Scout hier.« Die Stimme meines jüngeren Bruders klingt rau, als wär er grade erst aufgewacht. Ich stelle mir vor, dass er dabei wie üblich einen ganzen Wald zersägt hat, und meine Anspannung lässt etwas nach. »Schläfst du noch?«
Er räuspert sich, und ich höre ein Rascheln im Hintergrund. »J.R.? Bist du das? Wie zum Teufel …?«
»Es ist acht Uhr morgens. Gehst du nicht arbeiten?«
»Nein.« So, wie er es sagt, klingt es, als sei es das Normalste von der Welt. »Und meine Wohnung verliere ich auch bald. Was gibt’s bei dir?«
»Ich bin draußen. Vorzeitig.«
»Red keinen Scheiß.«
»Wirklich. Einer der Jungs da drin hatte einen guten Anwalt. Der hat gesagt, meine Haft verstößt gegen die Grundrechte.«
»Du verarschst mich.«
»Nein, ich bin wirklich draußen.«
»Ich weiß nicht, ob ich das gut finden soll.« Er lacht. »Wen lassen sie noch alles laufen?«
»Dazu sag ich lieber nichts.« Seit der ganzen Geschichte hat sich mein Blick auf den Strafvollzug ziemlich gewandelt.
Ich umklammere das Steuer und blinzele in die aufgehende Sonne.
»Und … bist du okay?« Ich höre ein Zögern in seiner Stimme. Vermutlich denkt er an den ganzen Mist, den man im Fernsehen und Kino so sieht.
»Ja, es geht mir gut. Aber ich brauche deine Hilfe.«
»Sicher. Willst du bei mir pennen? Im Moment ist ja alles geschlossen, einen Job zu finden ist also schwierig, aber ich könnte mich umhören …«
»Kannst du dich eine Woche frei machen? Ich mache einen Roadtrip, und ich brauche einen zweiten Fahrer.«
»Eine Woche?« Es klingt, als würde er sich über die Stirn reiben. »Ich weiß nicht. Klar, im Moment sind die Studios alle zu, aber es könnte jederzeit wieder losgehen …«
»Ich bin in einer Stunde bei dir. Schick mir deine Adresse, und dann hole ich dich ab. In sieben Tagen bist du wieder zurück.«
»Klingt, als wäre es eine beschlossene Sache.«
»Ist es auch.« Mein Kiefer verkrampft sich.
Ich bin nicht so frei, wie ich gerne wäre, was meine Wut nur noch verstärkt. Meine Wut darüber, nur auf Bewährung draußen zu sein. Wenn nicht, hätte ich alles alleine erledigen können und müsste ihn nicht zwingen, mitzumachen.
Aber Scout wird keine Probleme bekommen. Wenn irgendwas schiefgeht, nehme ich alle Schuld auf mich.
»Würdest du mir verraten, worum es geht?«
»Später, wenn wir unterwegs sind. Bist du dabei?«
Er zögert, klingt dann aber, als würde er grinsen. »Die Dunne-Brüder sind also wieder am Start!«
»Tatsächlich ja. In gewisser Weise.«
Ich weiß, dass Scout an die Zeit denkt, von der ich kaum noch glauben kann, dass sie wirklich real war, die Zeit, in der wir beide Footballhelden waren, der amerikanische Traum, und alle für uns den roten Teppich ausgerollt haben.
Damals hatte ich mir mein Leben völlig anders vorgestellt, als es jetzt verlaufen ist.
»Sagst du mir wenigstens, wo wir hinfahren?«
»Nach Hause.«
Er reagiert nicht, und ich warte seine Antwort auch nicht ab. »Wir sehen uns in einer Stunde.«
Nachdem ich aufgelegt habe, werfe ich das Handy auf den Beifahrersitz und drücke das Gaspedal weiter durch.
Dieses Auto ist ein wahrer Teufel. Ich bin die ganze Strecke gerast und hab dabei gut aufgepasst, ob sich irgendwo Cops verstecken – aber die Highways sind wie ausgestorben.
Das kommt mir irgendwie seltsam vor, wie eine Apokalypse oder so. Aber für mich ist es perfekt.
Ich strecke die Hand aus und schalte das Radio an. Es ist ein altmodisches Ding, in dem jemand einen 1970er-Sender eingestellt hat. Ich lasse ihn an, ich bin nicht wählerisch. In Gedanken bin ich sowieso Millionen Meilen entfernt – oder, um genau zu sein, zweitausendfünfhundert Meilen.
Gestern Abend habe ich die Route von L.A. nach Charleston ausgearbeitet. Es ist eine gerade Strecke durch sieben Bundesstaaten, von der Westküste zur Ostküste.
Rein rechnerisch ist es eine 36-Stunden-Fahrt. Natürlich müssen wir zwischendrin Pausen machen, aber bei dem geringen Verkehr sollten wir schneller sein, jedenfalls, wenn es keine Baustellen gibt und keine Polizeikontrollen.
Ich beobachte, wie der Sonnenuntergang die Wüste in Gold taucht. Weil ich die Fenster geöffnet habe, umweht mich warme, trockene Luft. Ich bin so froh, San Francisco und dem kalten Nebel entkommen zu sein.
Während ich mir über den Bart streiche, denke ich an den zweiten Grund, der mich dazu bringt, einmal quer über den Kontinent zu fahren. Mein kleiner Sohn Jesse. Als ich an jenem Morgen das Haus verlassen habe, war er gerade erst drei geworden. Er saß auf meinen Schultern, hielt einen Football in die Höhe, und wir lachten zusammen, taten so, als hätte er gerade den entscheidenden Touchdown gemacht.
Ich sehe ihn genau vor mir, mit seinem hellen Haar, dem Iron-Man-Schlafanzug und den großen blauen Augen. Er war gerade alt genug um zu verstehen, was Ich bin bald zurück bedeutet.
Aber ich kam nicht zurück.
Ich wollte ihn noch einmal sehen, aber die Staatsanwältin meinte, es bestünde Fluchtgefahr. Und meine Kaution war so hoch angesetzt, dass ich nirgendwo hingehen konnte. Ich hab keine Ahnung, was meine Ex-Frau Becky ihm darüber erzählt hat, was mit mir passiert ist. Jedenfalls hat sie mir nicht einmal Fotos von ihm geschickt. Er ist jetzt fünf, kommt bald in die Schule.
Der Hals tut mir weh, und ich schlucke die Traurigkeit hinunter.
Das Einzige, was ich von Becky bekommen habe, war ein verdammter »Lieber John«-Brief drei Monate nach Urteilsverkündigung. Sie schrieb darin, wie ihre ganze Welt zusammengebrochen sei, und dass sie nicht geheiratet hätte, um die Frau eines Verbrechers zu werden.
Sie stellte sich nicht einmal die Frage, ob ich vielleicht unschuldig sein könnte.
Stattdessen schickte sie mir die Scheidungspapiere fix und fertig vorbereitet in meine Zelle, mit einer sauberen Auflistung all unserer Besitztümer und wem was gehörte. Es kam mir vor, als hätte sie sofort nach dem Hammerschlag des Richters losgelegt. Es wirkte wie Verrat.
Ich löse die Fäuste und drücke heftiger aufs Gas, als vom Rücksitz plötzlich eine leise Stimme ertönt: »Wo bin ich?«
Ein sehr blasses Mädchen mit verwuscheltem hellblondem Haar richtet sich hinter mir auf. Vor Schreck reiße ich das Lenkrad so heftig herum, dass es sich anfühlt, als würden wir gleich kippen.
Das Mädchen fliegt zur Seite, und ich bringe uns schnell wieder in die richtige Bahn.
»What the fuck!«, rufe ich, aber da beugt sie sich schon durch das offene Fenster nach draußen. Ihre Schultern zucken, und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich übergibt.
Das ist genug. Ich bremse heftig und halte am Straßenrand an. Was auch immer hier gerade abgeht, es muss ganz schnell aufhören.
Ich hab schon so viel Scheiße erlebt, dass es für mein ganzes Leben reicht.
3
Die Luft hat sich verändert.
Sie weht heiß und stickig durch das Auto, während ich auf dem Rücksitz liege und mich fühle wie in einem Speedboot auf offenem Meer. Ich versuche gegen das helle Sonnenlicht anzublinzeln und mich zu orientieren, aber es ist, als würde ich im Nebel stochern.
Eins aber ist sicher: Ich bin nicht in San Francisco.
Und mir tut alles weh, mein Kopf dröhnt. Ich trage noch immer mein dünnes geblümtes Sommerkleid von gestern und den flauschigen beigen Mantel. Außerdem bin ich barfuß. Zwischen meinen Zehen klebt Sand, und mein Mund ist so trocken …
Ich muss im Auto eingeschlafen sein. Und jetzt rase ich den Highway runter, während die Eagles im Radio »Doolin Dalton« plärren.
Ein fremder Mann sitzt am Steuer. Ich blinzele und versuche ihn zu fokussieren. Wer ist der Typ?
Er hat ein kantiges Profil und eine perfekte gerade Nase. Das markante Kinn ist von einem kurzen dunkelbraunen Bart bedeckt. Seine Haare sind dunkel, mit karamellfarbenen Strähnen. Allerdings wirkt es ein bisschen ungepflegt, als hätte er es schon länger nicht mehr schneiden lassen – aber wer hat das in diesen Zeiten schon?
Er wirkt wütend. Die Stirn ist gerunzelt, und seine Kiefermuskeln mahlen vor sich hin, als ob er tief in Gedanken wäre. Sein dickes hellblaues Hemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellbogen hochgekrempelt hat, erinnert mich an eine Uniform. Als er das Lenkrad oben mit einer Hand umfasst, bewegt sich sein muskulöser Unterarm. Schwarze Tinte überzieht die Haut, aber ich kann nicht erkennen, was das Tattoo darstellt.
Er scheint sehr vertieft zu sein und ist dabei unfassbar sexy. Trotz Kater fühle ich bei seinem Anblick ein Kribbeln in der Leistengegend. Er ist ein Mann, der Macht ausstrahlt und besitzergreifend wirkt, und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm direkt in die Augen sehen könnte.
Ich muss hier raus. Ich sollte sowieso nicht hier sein – wo auch immer ich bin … Wo bin ich?
Yars wartet in ihrer Wohnung in Half Moon Bay auf mich. Aber ich habe das Gefühl, als würden wir in eine andere Richtung fahren.
Als ich mich aufsetze und mich gegen den Vordersitz stütze, bin ich ziemlich wackelig. Ich versuche, mich etwas bequemer hinzusetzen. »Wo bin ich?«
Der Blick aus hellen blauen Augen trifft meinen im Rückspiegel, und er durchfährt mich wie ein Stromschlag. Im selben Moment schleudert das Auto heftig zur Seite, und ich hebe ab, knalle gegen die Tür.
Die gesamte Flasche Wein, die ich gestern Abend getrunken habe, ist plötzlich wieder zurück.
Ich hänge mit zitternden Schultern den Kopf aus dem Fenster, während sich mir der Magen umdreht. Mir kommen die Tränen, so peinlich ist mir das alles.
Als das Auto anhält, greife ich wimmernd nach dem Türöffner. Mit Sicherheit sehe ich grauenvoll aus. Ich ziehe mir den Mantelärmel über die Hand und versuche, meine Augen zu trocknen.
Die Fahrertür knallt zu, ich höre das Knirschen von Stiefeln auf Schotter, bevor die hintere Tür aufgerissen wird. Beinahe falle ich hinaus.
»Raus.« Der Befehl kommt scharf, fast wie ein Knurren.
Er wartet, und ich versuche, normal zu atmen.
»Es tut mir leid …«
Er packt meinen Arm so fest wie ein Schraubstock, zerrt mich vom Rücksitz und lässt mich neben dem Auto in den Schmutz fallen.
»Was treibst du in diesem Wagen?« Er schreit mich nicht an, aber die Wut ist unüberhörbar.
Ich sage das Erste, was mir in den Sinn kommt. »Es ist meiner …«
»Ganz sicher nicht. Er gehört mir. Ich habe ihn gekauft.«
»O Gott.« Ich richte mich so auf, dass ich Metallicar ansehen kann.
Er hat recht. Und ich habe das Gefühl, dass ich mich gleich noch mal übergeben muss. Aber auf keinen Fall will ich vor diesem gut aussehenden, feindlich gesinnten Mann kotzen.
Auf dem Highway ist es erstaunlich ruhig. Keine Autos rasen vorbei, stattdessen füllt das Tschilpen der Vögel und das Zirpen der Grillen die Stille zwischen uns, während wir uns atemlos anstarren.
Seine Augen verengen sich, als er schließlich die Sprache wieder findet. »Hast du dieses Virus?«
»Nein.« Ich keuche auf. Das Sprechen tut mir weh. »Ich hatte nur eine Flasche Wein.«
Er nimmt die Hände von den Hüften und atmet tief durch, macht dann wieder einen Schritt auf das Auto zu. »Hast du ein Handy?«
Ich taste in meiner Tasche danach. Als er sieht, wie ich es herausziehe, nickt er. »Ruf jemanden an, der dich abholen kann.«
Dann setzt er sich hinters Steuer und lässt den Motor aufheulen, während die Autotür zuknallt.
Panik überfällt mich, und ich springe auf, wobei ich den Schmerz ignoriere, der meinen Kopf durchfährt. »Warte! Bitte warte! Ich kann niemanden anrufen.«
Mein Handy ist tot, und außerdem wüsste ich gar nicht, bei wem ich es versuchen sollte.
Ich greife in das offene Fenster der Beifahrertür und jogge ein paar Schritte neben dem Auto her, bis er endlich bremst.
»Finger weg von dem Auto.«
Der aufgewirbelte Staub lässt meine Augen tränen.
»Du kannst mich nicht hier zurücklassen.« Mein Herz rast in doppeltem Tempo, während ich versuche, regelmäßig zu atmen. »Ich hab nicht mal Schuhe an.«
»Nicht mein Problem.«
Er startet das Auto wieder, und ich kreische los. »Warte! Bitte!«
Als er erneut anhält, glüht blaues Feuer in seinen Augen. »Ich hab für so was keine Zeit.«
»Es tut mir leid … wirklich … es tut mir sehr leid … aber hör auf dein Herz …«, meine Stimme zittert, und ich auch. »Du kannst mich hier nicht einfach so an der Straße stehen lassen.«
Sekunden werden zu Stunden. Ich rechne schon damit, dass er Vollgas gibt, als er plötzlich die Schultern sacken lässt und mit der Faust gegen das Lenkrad schlägt. Er sieht mich nicht an. »Ich nehme dich bis Los Angeles mit. Von dort kannst du per Anhalter fahren oder was auch immer.«
Ich schließe die Augen und lehne mich mit der Schulter gegen Dads schwarzes Auto. Da erst dringt durch mich hindurch, was hier gerade abgeht: Ein Typ, den ich nicht kenne, kutschiert mich nach L.A. Und dann? Ich habe kein Geld, kein funktionierendes Handy … keine Schuhe.
»Ich warte nicht ewig«, faucht er. »Steig ein oder lass es. Letzte Chance.«
Ich zögere einen Moment zu lange, der Wagen rollt los.
»Okay«, brülle ich, und er hält an.
Ich reiße die Tür auf und setze mich auf den Beifahrersitz. Sobald die Tür wieder zu ist, drückt er so aufs Gas, dass ich in den Ledersitz gepresst werde und draußen Schmutz und Steine auffliegen. Abgesehen vom Lärm des Fahrtwinds ist es totenstill im Auto. Ich presse die Lippen fest zusammen, während die Silhouette von Los Angeles näher kommt.
»Bist du Schauspieler?«, frage ich schließlich. Meine Stimme klingt rau.
Die kleinen Muskeln neben seinen Augen zucken. »Nein.«
»Aber du lebst in L.A.?«
Sein Blick trifft kurz meinen. »Nein.«
Wir fliegen weiter den Highway runter. Er lässt Metallicar rasen, und ich spüre seine Kraft – dieses Auto ist fürs schnelle Fahren gebaut. Meine Augen brennen, und der Kopf tut mir so weh, als hätte jemand mit einem Hammer dagegengehauen – ich würde meinen kleinen Zeh für eine Wasserflasche geben.
»Hast du irgendwas zu trinken?«
Er keucht irritiert auf. »Nein.«
»Kannst du auch mal was anderes sagen?«
Als er mich aus seinen eisblauen Augen anstarrt, zieht sich mir der Magen zusammen.
»Nein.«
Ich lehne mich zurück, lege die Füße auf das Armaturenbrett und ziehe mein Kleid zurecht.
Sofort greift er rüber und drückt sie runter. »Die Füße bleiben unten.«
Ich ziehe die Augenbrauen hoch und erwische mich dabei, wie ich mich aufrechter hinsetze, als er mit der Handfläche über die Stelle reibt, an der gerade meine Füße lagen.
»Entschuldige bitte.«
»Schon gut.« Seine Hände wandern wieder ans Steuer, und ich verschränke die Arme vor der Brust und mustere ihn. Mit seinem Profil könnte er ein Model sein. Seine Zähne sind gerade und weiß und daran, wie sein Shirt über Schultern und Taille spannt, sehe ich, dass er ins Gym geht.
»Wenn du kein Schauspieler bist, was bist du dann?«
»Das geht dich nichts an.«
Ich drehe mich kopfschüttelnd zum Fenster und murmele »Ist auch egal.« Noch nie im Leben habe ich jemanden getroffen, der so unfreundlich war.
Während ich rausschaue, fällt mir auf, wie grün die Bäume sind und wie klar die hohen Gebäude in der Ferne zu erkennen sind. Das ist ungewöhnlich, weil die Stadt normalerweise in schmutzig braunen Nebel gehüllt ist. Was für ein wunderschöner Morgen.
Mein Blick wandert auf meinen Schoß und ich spüre, wie der Schock, hier im Auto aufgewacht zu sein, langsam weicht. Dafür kommt die Traurigkeit mit aller Gewalt wieder zurück. Besser, ich versuche noch mal mit ihm zur reden.
»Das Auto hat meinem Vater gehört«, sage ich in den Raum hinein. »Er hat es sich gekauft, als er in meinem Alter war und nie wieder hergegeben.«
Mr. Grummel antwortet nicht. Nur Don Henley schmachtet mich mit Gesäusel über »One of these nights« an.
»Ich hoffe, du wirst es genauso lieben wie ich.«
Dieses Mal betrachtet er mich etwas länger als zuvor. »Es ist ein gutes Auto.«
»Ein Klassiker.« Ich fahre mit der Hand über die Tür.
Als wir langsamer werden und den Highway verlassen, reicht er mir sein Handy. Es ist echt alt, er scheint kein Technikfreak zu sein. »Kannst du mir ansagen, wie wir fahren müssen?«
»Klar.« Ich kenne mich in Los Angeles nicht aus, aber dieses erste Anzeichen von Freundlichkeit macht mir Mut. »Wohin fahren wir denn?«
»Ich will meinen Bruder abholen.«
Ich werfe einen Blick auf die Route auf dem Handy. Was mache ich, wenn wir am Ziel sind? Ich habe nicht die geringste Ahnung.
Stirnrunzelnd sehe ich ihn an. »Ich weiß gar nicht, wie du heißt.«
Wieder erhasche ich einen Blick aus seinen eisblauen Augen. »Spielt auch keine Rolle.«
»Stimmt, wäre aber trotzdem hilfreich.«
»John.« Seine Antwort kommt etwas zu scharf.
»Das ist dein echter Name?« Bei seinem Blick hebe ich die Hand. »Okay, John. Ich heiße Hope. Schön, dich kennenzulernen.«
»Pass auf, dass wir die nächste Abzweigung nicht verpassen.«
Ich freue mich auch, dich kennenzulernen, Hope, antworte ich für ihn im Kopf. So viel zum Thema Freundlichkeit.
»Achtung, hier müssen wir links.«
Er folgt meinen Anweisungen, bis wir zu einem Gebäude kommen, das aussieht wie ein Motel aus den 1960ern. Auf einer großen hellblauen Stucksäule prangt ein Flamingo, und zwei lange Reihen von Apartments bilden eine zweigeschossige U-Form.
John steigt aus und schlägt die Tür zu, dann läuft er um das Auto herum und öffnet meine. »Also, mach’s gut.«
Er bleibt abwartend stehen, während ich auf meine nackten Füße starre. »Wenn du nicht in Los Angeles wohnst … fährst du eventuell bald nach San Francisco zurück?«
»Nein.«
Wir sind also wieder bei einsilbigen Antworten.
Gerade will ich etwas erwidern, als uns eine freundliche Männerstimme unterbricht.
»Hab dich kommen hören.« Der Mann zieht John in eine einarmige Bruder-Umarmung. »Es ist so schön, dich zu sehen. Und so schlimm siehst du ja gar nicht aus.«
Der neue Typ ist genauso groß wie John, hat aber helleres Haar und freundliche blaue Augen, in der gleichen Farbe wie sein Bruder. Er trägt Shorts und ein dünnes T-Shirt, das seine perfekt gebräunten, muskulösen Arme zeigt. Der leichte Drei-Tage-Bart kann das Grübchen in seinem Kinn nicht verbergen, und als er lächelt, zeigt sich ein zweites süßes Grübchen in seiner Wange.
Wenn dieser Junge kein Schauspieler ist, weiß ich auch nicht. Oder mindestens Surfer.
Als er seine Tasche in den Kofferraum werfen will, bleibt ihm plötzlich der Mund offenstehen. »Meine Güte, wo hast du denn dieses Auto her? Es sieht aus, als käme es direkt aus einer Fernsehserie.«
Ich lächele ihn an. »Meine Freunde und ich nennen es Metallicar.«
»Wer bist du denn?« Er starrt John an. »Du hast mir gar nicht erzählt, dass du mit jemandem zusammen bist.«
»Bin ich auch nicht.« Schon an der Art, wie John den Kofferraum aufreißt, ist seine Wut zu erkennen. »Sie hat sich in das Auto geschlichen, und ich werde sie nicht mehr los.«
»Hey!« Ich sehe ihn beleidigt an. »Ich hab dir gesagt, dass ich auf dem Rücksitz eingeschlafen bin.«
»Sie war betrunken.« Es klingt, als hätte ich Katzenbabys misshandelt.
»Hier.« Er drückt mir eine Wasserflasche in die Hand, und meine Augen werden groß. Ich drehe den Deckel auf und kippe das Wasser runter, als wäre es das Elixier des Lebens.
»Okay, alles klar.« Der Bruder hält mir lachend die Hand hin. »Ich bin Scout. Freut mich, dich kennenzulernen.«
Ich wische mir den Mund mit dem Handrücken ab, bevor ich sie schüttele. »Hope.«
»Du hilfst uns also dabei, nach South Carolina zu fahren?«
»Nein.« John packt mich wieder mit diesem Griff am Oberarm und zerrt mich auf den Gehweg. »Ihre Reise endet hier.«
Scout betrachtet stirnrunzelnd meine nackten Füße. »Hast du Schuhe?«
Mein Gesicht färbt sich glühend rot. »Ich hab sie sozusagen zu Hause vergessen.«
»Und wo ist das?«
»In San Francisco. War es jedenfalls, bevor ich meinen Job verloren habe.«
»Das sind sechs Stunden Fahrt von hier.« Er mustert mich kurz, aber sein Bruder bleibt unerbittlich.
»Das Leben ist hart. Sag tschüss, Scout.«
John geht um Metallicar herum und setzt sich auf den Fahrersitz, während sein Bruder vor der offenen Tür stehen bleibt und mich ansieht. »Kannst du irgendwo hin?«
»Dafür ist jetzt keine Zeit.« John starrt unbeirrt nach vorn.
»Ich komme schon klar.« Der Hals ist mir wie zugeschnürt, aber ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Mich haut so leicht nichts um.«
Scout wirft noch einen Blick auf meine nackten Füße, bevor er seine Tasche in den Kofferraum stellt. Seine Miene drückt Zweifel aus.
Er steigt ein, zögert dann aber und steht wieder auf. »Es ist so … er muss mich eh wieder hierher zurückbringen. Wenn du sonst nichts vorhast, könntest du dich mit uns beim Fahren abwechseln. J.R. will nämlich in einer Woche zurück sein, und ich habe keine Ahnung, wie wir das zu zweit hinkriegen sollen.«
»Steig sofort ein, Scout«, bellt John … oder J.R.?
Mittlerweile bin ich so weit, jeden Strohhalm zu ergreifen, den man mir reicht. »Eigentlich fahr ich ganz gern. Und in South Carolina war ich noch nie.«
Die Fahrerseite öffnet sich, John springt aus dem Auto und starrt mich über das Dach hinweg an. »Du bleibst hier, und fertig.« Sein Blick wandert zu seinem Bruder. »Und du steigst ein.«
»Ich weiß, es ist verrückt.« Scout zuckt die Achseln. »Du kennst uns nicht und wir dich nicht …«
»Ja …« Vom Gehweg aus sehe ich zu, wie die einzigen beiden Personen, die ich in L.A. kenne – wenn auch nur ein winziges bisschen – kurz davor sind, zu verschwinden, und Panik überkommt mich. »Aber ihr habt mein Auto …«
»Es ist mein Auto«, brummt John. »Kommst du jetzt bitte?«
»Willst du vielleicht telefonieren?« Scout macht einen Schritt auf mich zu und reicht mir sein Handy.
»Danke.« Ich nehme es und tippe Yarnells Nummer ein, während John ungeduldig neben mir wartet. Es klingelt und klingelt, bis schließlich ihre Mailbox losgeht. »Sie geht nicht ran.« Mit hängenden Schultern gebe ich ihm das Handy zurück.
Scout nimmt es mit zusammengepressten Lippen an sich. »Na dann … alles Gute für dich.«
»Danke noch mal.« Ich nicke und gebe mir die größte Mühe, zuversichtlich zu wirken, obwohl ich barfuß mitten in L.A. stehe mit einem Handy, das nicht funktioniert.
Ich sehe zu, wie er einsteigt und mich durch das Fenster hindurch besorgt anschaut. Eine leichte Brise wickelt mir das Kleid um die Beine. Der flauschige Mantel, den ich trage, ist für L.A. viel zu warm.
Metallicar ruckelt ein bisschen, als er sich in Bewegung setzt, und ich hebe die Hand und winke ihnen nach. Dann drehe ich mich um und steige die Stufen zu dem Flamingo-Motel hoch, während das rote Rücklicht kleiner und kleiner wird.
4
»Das geht nicht. Wir können sie nicht einfach so zurücklassen.« Mein kleiner Bruder starrt aus dem Fenster auf das Mädchen, das winkend vor seinem Haus steht.
»Sie ist kein Welpe, Scout.«
»Um einen Welpen würde ich mir weniger Sorgen machen. Dem würde wenigstens jemand ein paar Essensreste zuwerfen und ihn vielleicht sogar mit nach Hause nehmen. Aber Tatsache ist …«
»Tatsache ist, dass wir es bis Tuscon geschafft haben sollten, wenn es dunkel wird.«
Ich versuche, mich dagegen zu wehren, aber als wir an der roten Ampel halten müssen, wandert mein Blick in den Rückspiegel. Ich kann sie sehen. Sie hält die leere Wasserflasche noch immer in der Hand und sieht uns aus ihren großen Augen nach. Über ihrem dünnen gelben Kleid trägt sie den beigefarbenen Mantel, der aussieht, als hätte sie einen Teddybären gehäutet.
Sie ist süß. Und verdammt sexy. »Das Mädchen macht nur Schwierigkeiten.«
»Dieses Mädchen?« Scout schlägt sich gegen die Stirn und lacht auf, als ob ich sie gerade als Auftragskillerin bezeichnet hätte.
»Das hier ist keine Vergnügungsreise.«
»Ach ja? Was denn dann? Du kommst frisch aus dem Knast! Warum willst du sofort drei Tage lang quer durchs Land fahren?«
»Ich will Jesse sehen.« Bei der Vorstellung, dass mein Sohn mich vergessen haben könnte, schnürt sich mir die Kehle zu.
Dass ich auch vorhabe, meinen Dad mit allem zu konfrontieren und Antworten von ihm einzufordern – oder ihm ins Gesicht zu schlagen –, behalte ich lieber für mich.
Wenn ich nur daran denke, geht mein Puls hoch.
Als die Ampel endlich grün wird, und ich Gas geben will, reißt Scout auf einmal die Tür auf und springt aus dem Auto. »Nicht mit mir.«
Ich schreie auf. »Scout, du verdammter Idiot!«
Aber er joggt schon zu Hope zurück, auf die inzwischen ein Mann in einem schmutzigen Hoodie einredet. Immer muss Scout den Helden spielen. Bis vor zwei Jahren war ich genauso, bis ich auf die harte Tour gelernt habe, dass man, wenn man heldenhaft sein will, einen Schlag in die Magengrube und anschließend einen Tritt in die Eier kassiert, wenn man schon am Boden liegt.
Das Auto hinter mir hupt, so dass ich rasch an die Seite fahre, wo ich – ziemlich schlecht – einparke. Als ich aussteige, sehe ich gerade noch, wie Hope sich von dem fremden Mann abwendet, als Scout auf sie zuläuft.
Mein Bruder fackelt nicht lange, nimmt sie am Arm und zieht sie mit sich zum Auto. Hopes helles blondes Haar weht, während sie versucht, mit ihm Schritt zu halten. Der Teddymantel rutscht ihr seitlich von einer Schulter.