Tiefer Zorn - Michael Peinkofer - E-Book
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Tiefer Zorn E-Book

Michael Peinkofer

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Beschreibung

Nach »Tote Helden« der neue Roman aus der Reihe »Die Legenden von Astray«: Einst kämpften in Astray die legendären sieben Helden eine glorreiche Schlacht für das Gute. Doch inzwischen ist der Kontinent von einem tiefen Abgrund durchzogen, der die Völker trennt. Könige, Herzöge und fanatische Sektierer ringen in dem zerrissenen Reich um die Macht. Die junge Diebin Bray und ihre Gefährten jedoch begehren auf. Sie wollen sich nicht damit zufriedengeben, dass Astray im Chaos versinkt. Nach dem Tod ihres Verbündeten Rayan setzen sie alles daran, die sieben Legenden von einst zu versammeln und den Kampf gegen den dunklen Gegner fortzuführen. Doch noch ahnt Bray nicht, was alles auf dem Spiel steht ...

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ISBN 978-3-492-99066-0

© Piper Verlag GmbH, München 2018

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Covermotiv: Mihai Radu

Karte: Helmut W. Pesch

Kapitelvignette: Sven Binner

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Inhalt

Cover & Impressum

Karte

Dramatis Personae

Zitate

Prolog

Erstes Buch – Das Salzvon Skaradag

1 – Skaradag

2 – Oase Ayshak, Feuerwüste

3 – Rikstedt, Skaradag

4 – Oase Ayshak

5 – Eiserne Zitadelle, Skaradag

6 – Westland

7 – Unbekannter Ort

8 – Skaradag

9 – Feuerwüste

10 – Festung Vanheim

11 – Feuerwüste

12 – Hobheim, Westland

13 – Rikstedt, Skaradag

14 – Haus des Lordkanzlers, Hobheim

15 – Ruinen von Gondar

16 – Haus des Lordkanzlers, Hobheim

17 – Eiserne Zitadelle, Skaradag

18 – Haus des Lordkanzlers, Hobheim

19 – Kerker der Eisernen Zitadelle, Skaradag

Zweites Buch – Die Tiefenvon Vanheim

1 – Festung Vanheim

2 – Ruinen von Gondar

3 – Hobheim, Westland

4 – Salzminen, Skaradag

5 – Keilergrube von Hobheim

6 – Salzminen, Skaradag

7 – Palast von Altashar

8 – Haus des Lordkanzlers, Hobheim

9 – Eiserne Zitadelle, Skaradag

10 – Palast von Altashar

11 – Südviertel, Hobheim

12 – Eiserne Zitadelle, Skaradag

13 – Südviertel, Hobheim

14 – Skaradag

15 – Südlicher Glockenturm, Hobheim

16 – Skaradag

17 – Ruinen von Gondar

18 – Altashar

19 – Haus des Lordkanzlers, Hobheim

20 – Hafen von Skaradag

21 – Haus des Lordkanzlers, Hobheim

22 – Hafen von Skaradag

23 – Eiserne Zitadelle, Skaradag

Drittes Buch – Die Klippenvon Tårannok

1 – Palast von Altashar

2 – Vergessene See, westlich des Nifelgebirges

3 – Kerker von Altashar

4 – Vergessene See

5 – Drachenbad, Altashar

6 – Tårannok, Vergessene See

7 – Feuertor, Hyraka

8 – Tårannok

9 – Hyraka

10 – Tårannok

11 – Hyraka

12 – Quälende Augenblicke lang …

13 – Hyraka

14 – Altashar

15 – Krakenküste, Vergessene See

16 – Karawanserei, Hyraka

17 – Krakenküste

18 – Königlicher Palast, Altashar

Viertes Buch – Die Flammenvon Altashar

1 – Krakenküste

2 – Kloster Var’a’shek, Ugarya

3 – Krakenküste

4 – Var’a’shek, Kloster des Windes

5 – Krakenwacht

6 – Bucht von Drakis

7 – Krakenwacht

8 – Reglos saß Bray …

9 – Makashar

10 – Wald nordwestlich von Kloster Var’a’shek, Ugarya

11 – Satrapos

12 – Kloster Var’a’Shek

13 – Wälder von Yarowa

14 – Hyraka

15 – Kloster Var’a’Shek

16 – Brückstadt

Epilog

Karte

 

Dramatis Personae

(in alphabetischer Reihenfolge)

Astyragis pan Tyras

König von Altashar

Anara

ein Mädchen aus Skaradag

Birk

ein Junge aus Skaradag

Blodskegg

Aufseher in den Salzminen

Bray

eine junge Diebin

Jadissa

rechte Hand des Großexekutors von Morwa

Jennara

Bordellbetreiberin in Skaradag

Elayan von Archos

König des Inselreichs

Elmer Kimling

angeheirateter Vetter des Hauses Thinkling

Fena

eine Gefangene

Gadates

Wesir von Altashar

Gorbald

Dwarg, Krieger

Gunryk

Hauptmann aus Achaya

Hakan Minerbo

Sklavenhändler aus Satrapos

Hilalayan

Eunuch und Hofmarschall von Altashar

Inara

eine Tänzerin

Kai

ein junger Dieb

Kalid Sayf

Gardist des Hauses Tyras

Keral Gulfullur

Magistrat von Skaradag

Kira

eine Dienerin

Kynrik

ein Schwertkämpfer

Marukh

ein junger Gärtner

Nogen

ein Schmuggler und Pirat

Latimer

Lordkanzler von Westland

Lorymar Thinkling

ein Halbling

Nawyd pan Tyras

verstoßener Prinz von Altashar

Nyasha pan Tyras

seine Schwester

Osric Jarnhant

Stadtmarschall von Skaradag

Owein Renlurd

ein wohlhabender Kaufmann

Salacar-Syn

Großexekutor von Morwa

Seana

ein Freudenmädchen aus Skaradag

Shayak

Krieger der Draki

Skady

eine junge Diebin

Stannoth

Dwarg, Kommandant von Krakenwacht

Telman Spratt

Oberster Saliger von Skaradag

Thero Borkling

Exekutor des Westlands

Troas

Hofbeamter in Altashar

Vargyas

Abt des Klosters von Var’a’shek

Veysi

General, Kommandant von Makashar

Xusra

Hohepriester des Feuerkults

Yaron

Fürst von Archos, Vetter von König Elayan

Yolaş

Agha (Hauptmann) aus Yarowa

Yris

ein Freudenmädchen aus Skaradag

Zóltan

Ormest (Sergeant) aus Yarowa

 

 

 

Und wisset weiter, dass in jenen Tagen, in denen eine unbestimmte Furcht die Herzen der Menschen erfasste, die Welt in zwei Lager gespalten war. Die einen suchten ihr Heil im Licht des Feuers, die anderen in der Kraft des reinen Verstandes, doch irrten beide, während in dunklen Tiefen der Zorn der Finsternis schwelte.

Vielfältige Zeichen gab es, Träume und Visionen über den Anbruch einer neuen Zeit. Doch niemand spürte die Veränderung so sehr wie jene, die die Welt einst gerettet hatten. Die Sieben Legenden, denen in diesen Tagen gewahr zu werden begann, dass ihre Mission noch nicht beendet war …

Aus der Chronik der Sieben,Fünfter Band

 

»Wann treffen wir Legenden wieder zusamm’?«

Bei Brückes Stadt, am Weltendamm.

Hei, wie Splitter brach die Welt entzwei.

Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand.

Gedichtfragment, Autor (beinahe) unbekannt

Prolog

Festung VanheimIm Winter

Hauptmann Gunryk hatte das Grauen gesehen.

Aus der Tiefe war es emporgestiegen und hatte sie getötet …

Zuerst die Besatzung der Festung, die oberhalb des tosenden Wasserfalls lag, an der Grenze zwischen den Reichen – und später auch Gunryks Grenzer, die tapfersten Männer, die er je befehligt hatte. Einer nach dem anderen war unter ihren mörderischen Klingen gefallen, hatte in tapferem Kampf sein Leben gegeben – doch Gunryks Qual hatte nicht damit geendet, seine Männer einen grausamen Tod sterben zu sehen.

Denn nun waren sie selbst der Feind.

Boten des Todes.

Splitter des Grauens.

Gunryk hatte es versucht … Unter Aufbietung all seines Wissens und der Erfahrung, über die er als Offizier des noryschen Grenzkorps verfügte, hatte er das Rätsel um die verlassene Festung zu lösen versucht. Er hatte herausfinden wollen, warum die Flagge von Altashar noch immer über den steinernen Zinnen von Vanheim wehte und die Vorratskammern der Festung prall gefüllt waren, von der Besatzung jedoch jede Spur fehlte. Hatten die Ostragier Vanheim freiwillig aufgegeben? Waren sie geflohen? Vor wem?

Die Antworten auf diese Fragen hatte Gunryk finden wollen, also waren seine Männer und er in die Festung eingedrungen, bis auf wenige Ausnahmen allesamt hartgesottene und erfahrene Scouts, der Stolz der noryschen Armee … Doch von Beginn an hatte sich gezeigt, dass etwas in der Festung, die einst von Baumeistern der Dwarge in den Tagen des alten Reiches der Astari errichtet worden war, nicht stimmte.

Eine bedrückende Atmosphäre der Furcht herrschte in den alten Mauern, und es hatte nicht lange gedauert, bis einer von Gunryks Leuten verschwunden war, ausgerechnet Mykol, der jüngste und unerfahrenste von allen … und dann hatte das Grauen seinen Lauf genommen. Sie hatten den alten Brunnen entdeckt und die schwärzliche Substanz, die dort überall zu finden war … und in der Tiefe des Schachts waren sie auf sie getroffen …

Die Schreie seiner Männer klangen ihm noch jetzt im Ohr. Gunryk hatte lange in den Diensten des Grenzkorps gestanden, hatte zahllose Scharmützel überstanden und Kämpfe gegen Schmuggler, Räuber und anderes Gesindel ausgetragen, das sich im Bergland herumtrieb. Er war dabei gewesen, als Männer verwundet wurden und starben, aber niemals, niemals in all den Jahren hatte er Soldaten so grässlich schreien gehört wie in diesem Augenblick. Die meisten, selbst die alten Veteranen, waren beim Anblick des grauenvollen Feindes in Panik ausgebrochen, hatten gewimmert wie Kinder und nach ihren Müttern geschrien … Und dann war das Grauen über sie hereingebrochen – und hatte sie alle getötet.

Auch Gunryk hatte gekämpft, hatte um sich geschlagen und gewütet wie ein Berserker, und endlich war es ihm gelungen, sich mit einer Handvoll Männer aus dem alten Brunnenschacht zurück an die Oberfläche zu flüchten. Doch das Grauen war ihnen gefolgt und hatte seine Männer einen nach dem anderen geholt.

Nur ihn hatte es verschont …

Auf dem Grund einer hölzernen Kiste sitzend, überdeckt von Zwiebeln in der Hoffnung, ihr Geruch würde den seinen übertünchen und verhindern, dass die Bestien ihn witterten, hatte er das Grauen überstanden – er, der erfahrene Offizier und viel gelobte Anführer, der Stolz des noryschen Grenzkorps!

Gunryk musste lachen.

Kein erleichtertes, fröhliches Gelächter, sondern das irrsinnige Gekicher eines Mannes, dessen Verstand kapituliert hatte angesichts des Grauens.

Gunryk wusste nicht, woher jener fürchterliche Feind stammte, doch in der Einsamkeit seines Verstecks hatte er viel Zeit zum Nachdenken gehabt, während draußen in der Festung die grässlichen Kreaturen umgingen – und irgendwann war ihm klar geworden, dass es kein Zufall sein konnte, dass der namenlose Schrecken ausgerechnet an diesem Ort zutage getreten war.

Denn die alte Festung Vanheim thronte über einem gewaltigen Abgrund, der sich in unergründlichen Tiefen verlor – am Ende des Risses, der die Welt trennte und sie bis ins Mark gespalten hatte. Und niemand, niemand in ganz Astray vermochte zu sagen, wie tief dieser Riss reichte und was in seinen unergründlichen Klüften lauern mochte.

ErstesBuch

Das Salzvon Skaradag

1

SkaradagAm Ende des Winters

Fünf Monde waren vergangen.

Fünf Monde, seit die Diebeszunft der Krähen zerschlagen worden und der fahrende Sänger Rayan einen ebenso jähen wie sinnlosen Tod gestorben war.

Fünf Monde, die Bray und ihre Freunde nun schon in der Obhut der Astara Dana Jennara im Haus des Doppelten Mondes lebten.

Fünf Monde voller Fragen – doch ohne Antworten.

Bray hatte noch oft über das nachgedacht, was Rayan ihr erzählt und wovon seine Lieder gehandelt hatten. Bis zuletzt hatte sie nicht begriffen, in welchem Verhältnis sie zu diesem seltsamen Mann gestanden hatte, der aus dem Süden stammte, jedoch in ganz Westray zu Hause gewesen war; dessen Lieder von alten Zeiten und begangenen Heldentaten kündeten und der in der Lage gewesen war, bisweilen, wenn das Schicksal es erlaubte, einen Blick hinter jene Schleier zu werfen, die die Zukunft verbargen.

Hellsichtigkeit.

Prophetie.

Bray scheute sich, jene Begriffe im Zusammenhang mit Rayan zu erwähnen, denn sie drückten nicht annähernd aus, wozu der Krähensänger – so hatten sie ihn genannt – fähig gewesen war. Einsam war er durch die Lande gezogen, ohne Heim und Obdach, stets auf der Flucht vor den Exekutoren und getrieben von seiner Gabe. Denn bisweilen, während er sang, hatte sein inneres Auge sich geöffnet und in die Zukunft geblickt; dann hatte der Klang seiner Worte sich geändert, und er hatte von Dingen gesungen, die dereinst geschehen würden, und dazu hatte er auf seiner Leier gespielt – jener Leier, die sich nun in Brays Besitz befand und auf der sie jeden Abend spielte und die Gäste im Haus des Doppelten Mondes unterhielt …

 

O Blume so zart aus dem fernen Khadir,

wie duftest du gut und schickst Grüße zu mir,

von meinem Liebsten aus gar fernen Landen

über Meere hinweg, über Grenzen und Banden

sagst du mir, dass er mich liebt all so sehr,

und ich wünscht’ ihn zu sehen, ich wünschte ihn her,

in meine Arme, den Liebsten mein,

o Blume, möchtest du er doch nur sein!

 

Es war, als würde man Perlen vor Säue werfen.

So wohlklingend die Töne auch sein mochten, die Bray der alten Leier entlockte, und so lieblich die Worte, die sie dazu sang – niemand kam ins Haus des Doppelten Mondes, um ihre Lieder zu hören, zu speisen oder sich auch nur zu unterhalten. Der eigentliche Grund waren die Dienerinnen des Doppelten Mondes, die in Jennaras Diensten standen und den Ruf genossen, die schönsten Huren von ganz Skaradag zu sein. Die Preise, die die Gäste zu entrichten hatten, waren entsprechend, dennoch war das Haus stets gut besucht – und das mochte etwas bedeuten in einer Stadt, in deren armen Vierteln sich Frauen schon für ein Stückchen Brot feilboten.

Der Winter war hart gewesen. Und das nicht nur wegen der Stürme, die von Borea die Küste herabgezogen waren und die Stadt mit Eis und Schnee überzogen hatten. Sondern auch, weil der Orden einen neuen Großexekutor nach Skaradag geschickt hatte. Sein Name war Salacar-Syn, und es war seine Aufgabe, das spurlose Verschwinden seines Vorgängers Thorgon zu untersuchen und aufzuklären. Und für Osric Jarnhant, den ruchlosen Marschall der Stadt, war dies ein willkommener Anlass, um den Druck auf die Diebeszünfte zu erhöhen.

Allein während der vergangenen fünf Monde waren in Skaradag mehr Menschen hingerichtet worden als in den fünf Wintern zuvor; die Mauern der Eisernen Zitadelle, von deren Zinnen man die in Salz eingelegten Leiber der Gehenkten baumeln ließ, quollen beinahe über in diesen Tagen, und die Zahl derer, die zum Frondienst in den Salzminen verurteilt worden waren, ging in die Hunderte. Dabei war es weder Gier noch Übermut, die die Armen dazu zwang, in Rikstedt, dem Viertel der Reichen, auf Beutefang zu gehen – sondern die pure Notwendigkeit. Verzweiflung herrschte unter den Armen der Stadt. Viele waren im Winter elend verhungert. Andere, die kein Dach über dem Kopf hatten, in den kalten Nächten elend erfroren, auch Frauen und Kinder.

Im Haus des Doppelten Mondes jedoch war davon nichts zu spüren.

Die mit rotem Stoff beschlagenen Mauern waren nach wie vor erfüllt von ausgelassenem Gelächter und heiterer Musik, die schwüle Luft durchdrungen von betörenden Düften. Rosen, Zimt und Granatapfel vermischten sich mit dem süßlichen Duft des Ophirs, der die Luft in schweren Schwaden tränkte und dafür sorgte, dass auch jene, die tagsüber von Ängsten und Sorgen geplagt wurden, sie des Nachts an diesem Ort vergaßen. Und natürlich waren da die Dienerinnen – dralle Schönheiten aus Norya mit Haut wie Alabaster und cymrische Frauen mit Haar wie Feuer. Sie alle geizten nicht mit ihren Reizen, wenn es darum ging, die meist männlichen Besucher des Hauses zu verwöhnen und ihre geheimen Wünsche zu erfüllen. Die besonders wohlhabenden Gäste – Kaufleute oder Angehörige des Saligerstandes, die den Salzhandel in Skaradag kontrollierten – zogen es vor, sich in die Separees zurückzuziehen, die sich in den oberen Stockwerken befanden; die Übrigen verlustierten sich noch in der Halle, auf den Liegen und Teppichen, nur durch halb durchsichtige Seidenschleier getrennt.

Anfangs war Bray vor Scham errötet. Zwar war sie kein Kind mehr und hatte längst getan, was auch jene Männer und Frauen taten. Doch stets war es ihr als etwas Persönliches, Vertrauliches erschienen, das zwei Menschen miteinander teilten – hier im Haus des Doppelten Mondes war es mehr oder minder öffentlich, wurde Liebe als Ware gehandelt wie das Salz auf den Märkten der Stadt. Dennoch hatte es nicht lange gedauert, bis Bray gleichgültig geworden war gegenüber dem, was sich allabendlich vor ihren Augen abspielte. Und sie hatte auch zu verstehen begonnen, weshalb Dana Jennara, die Herrin des Hauses, stets so über den Dingen zu stehen schien: Sie war eine Astara, und ihr Leben währte ganz einfach schon so lange, dass sie alles gesehen und erfahren hatte und sie nichts mehr überraschen konnte. Gewohnheit war ihr ständiger Begleiter, und so begegnete sie allen und jedem mit derselben zurückhaltenden Freundlichkeit, ganz gleich, ob es die Dienerinnen waren, die im Haus des Doppelten Mondes für sie arbeiteten und sie wie eine Mutter verehrten; oder die Freier, die für eine einzige Nacht mit ihr ein kleines Vermögen boten.

Nur ein einziges Mal hatte Bray erlebt, dass die sonst stets so beherrscht agierende Astara ihre Zurückhaltung aufgegeben hatte – an dem Tag, da sie und der Halbling Lorymar Thinkling einen Tross des Exekutorordens überfallen und Bray und ihre Freunde damit vor einem dunklen Schicksal bewahrt hatten; an jenem Tag, der sich unauslöschlich in Brays Gedächtnis eingebrannt hatte, hatte der Krähensänger Rayan sein Leben gelassen – ebenso wie Thorgon-Syn, Großexekutor des Ordens. Sollte dessen Nachfolger Salacar jemals von diesen Dingen erfahren, würde das ihrer aller Ende bedeuten …

 

Ach Liebster mein, ach wärst du doch hier,

und nicht nur die Blume aus dem fernen Khadir.

Statt dir nur zu schicken dies Lied als mein’ Gruß,

liebkoste ich dich mit feurigem Kuss

und ob der Sehnsucht roten Wangen

statt hier zu singen und zu bangen,

ob du einst kehrst zurück zu mir

o Liebster aus dem fernen Khadir!

 

Das Lied endete, aber es gab keinen Applaus und keine dankbaren Blicke, nicht einmal ein wohlwollendes Nicken. Die Gäste im Haus des Doppelten Mondes waren mit Dingen beschäftigt, die ihre Sinne weit mehr fesselten als der Gesang eines jungen Mädchens, das noch dazu seine Reize züchtig unter einem Kleid verbarg. Als Dana Jennara Bray und die anderen jungen Diebe der Krähenzunft, die sie aus der Gewalt Thorgon-Syns befreit hatte, in ihr Haus aufnahm, hatte sie versprochen, dass keiner von ihnen den Gästen zu Diensten sein müsse – und daran hatte sie sich stets gehalten. Die Jüngsten – wie der Knabe Birk oder das Mädchen Anara – verrichteten einfache Arbeiten in der Küche; die größeren und kräftigeren Burschen verdingten sich als Dienstboten und Führer, die die vom Ophir benebelten Freier nach Beendigung ihres Vergnügens sicher nach Hause geleiteten.

So auch Kai, der in diesem Moment zu ihr herüberkam, das rote Haar abstehend und die von Sommersprossen besetzten Züge hoch gerötet, was, wie Bray vermutete, nicht allein von der Wärme rührte, die das flackernde Kaminfeuer verbreitete …

»Es ist so weit«, raunte er ihr zu.

»Du schwitzt«, stellte Bray missbilligend fest.

»Heiß hier drin«, meinte er grinsend – er war nur wenig jünger als Bray, an den nackten Tatsachen, die sich ihm Tag für Tag präsentierten, hatte er sich offenbar noch nicht sattgesehen.

»Schwerenöter«, beschied sie ihm mit freudlosem Grinsen. »Also, was hast du?«

»Der Kaufmann Renlurd«, erwiderte Kai in unverhohlener Erregung. »Seana ist oben und kümmert sich um ihn – und sie hat mir verraten, dass es eine Weile dauert, bis er …«

»Verstehe.« Bray schnitt eine Grimasse. Seana, eines der Freudenmädchen, die in Jennaras Bordell arbeiteten, hatte einen Narren an Kai gefressen und ihn – zumindest nahm Bray das an – mit den Tatsachen des Lebens bekannt gemacht. Jedenfalls war er eines Abends in ihrer Kammer verschwunden und nur wenig später wiederaufgetaucht. Dabei hatte er gegrinst wie der sprichwörtliche Bär am Honigtopf …

»Kannst du weg?«, fragte er nur.

Bray nickte. »Ich habe Pause bis Mitternacht.«

»Das genügt – Renlurds Villa ist nicht weit weg. Ich habe ihn schon ein paarmal nach Hause gebracht.«

»Kluger Junge.« Bray lächelte verwegen – Kai mochte ein Aufschneider sein und bisweilen auch ein Tunichtgut. Aber wenn es darum ging, Beute ausfindig zu machen, war auf sein Gespür Verlass.

Bray erhob sich von dem Schemel, auf dem sie gesessen und gesungen hatte. »Ich gehe nach oben und ziehe mich um«, gab sie bekannt. »Wir treffen uns am Ende der Gasse.«

»Verstanden.« Er wollte zum Ausgang.

»Und – Kai?«

»Ja?« Er wandte sich noch einmal um.

»Steck deinen Kopf in den Schnee«, empfahl sie ihm grinsend. »So, wie er jetzt leuchtet, verrätst du uns noch.«

»Miststück«, erwiderte er.

Dann verließ sie die kleine Bühne, die inmitten der Eingangshalle errichtet worden war, nahm ihre Lyra, und durch den Wall der Schleier, vorbei an nackten, verschlungenen Körpern, ging sie über die schmale Treppe hinauf in ihr Quartier, das sie sich mit den anderen Mädchen aus Faginors alter Bande teilte.

Dabei spürte sie ihren Blick auf sich ruhen.

Bray widerstand dem Drang, stehen zu bleiben und sich nach Dana Jennara umzusehen. Bisweilen kam es ihr vor, als besäße die Astara die Gabe, die Gedanken derer zu lesen, denen sie tief in die Augen sah – und wenn es etwas gab, wovon die Herrin des Hauses nichts erfahren durfte, dann war es das, was Bray und Kai im Schutz der Dunkelheit taten, wann immer sich Gelegenheit bot.

Denn es war gefährlich.

Und konnte tödlich enden …

2

Oase Ayshak, FeuerwüsteZur selben Zeit

Er war gestrandet.

Nicht etwa am Ufer eines Meeres, sondern inmitten jener endlos weiten, trockenen Leere, die sich im Süden Ostragiens erstreckte und nach Osten hin bis weit in die Gebirge Turaniens reichte. Barra Harik nannte man dieses Land in Altashar – die Feuerwüste. Nur zwei Handelsrouten gab es, die die Wüste durchschnitten – die eine führte nach Süden, der Wüstenstadt Hyraka entgegen, die andere von dort gen Westen nach Satrapos. Was weit im Osten jenseits der sich scheinbar endlos fortsetzenden Sanddünen lag, wusste niemand zu sagen, da keiner, der dorthin gegangen war, jemals zurückgekehrt war, um zu berichten. Im Süden grenzte die Feuerwüste an die Gebirge Drakistans, die von alters her die südliche Grenze des Reiches darstellten, denn die schlangenhaften Draki, die in der zerklüfteten, lebensfeindlichen Landschaft herrschten, waren wilde Barbaren, die den Kontakt mit den Menschen mieden; statt sich ihren Gesetzen zu beugen, hatten die Draki von jeher ihren eigenen Bräuchen gefrönt – barbarischen, grausamen Ritualen, über die man in den Wüstenstädten und auf den Oasen nur zu flüstern wagte.

Die Zahl jener, die im Feueratem der Wüste den Tod gefunden hatten und deren Knochen unter heißem Sand begraben lagen, war nicht zu ermessen; überleben konnte nur, wer genügend Wasser bei sich hatte und um Treibsand, giftiges Getier und andere Gefahren der Wüste wusste. Zuflucht gewährten nur die Oasen, zwischen denen die Handelskarawanen verkehren und die sich wie rettende Inseln im glühenden Sandmeer erhoben.

Mit einer solchen Karawane war auch Nawyd gereist – und bis hierher gelangt, in die größte Oase der Barra Harik, die den Namen Ayshak trug. Brunnen, Palmengärten und Dattelhaine erstreckten sich unweit des Wadi Thar und boten nicht nur reisenden Händlern Zuflucht, sondern auch den Menschen, die sich in Ayshak niedergelassen hatten und sowohl von den Segnungen der Oase als auch vom Geld der Reisenden lebten. Fragen wurden hier nicht gestellt; es spielte keine Rolle, woher jemand kam oder wohin er wollte – die Wüste machte die Menschen einander gleich, und so vermischten Turanier, Rajuli, Bakrer und Abydonier sich zu einem Volk schweigsamer Einzelgänger, die sich vorrangig um ihre eigenen Belange kümmerten. Auch einige Westmenschen und sogar ein Dwarg waren unter ihnen, sodass auch ein Königssohn, der seines Titels beraubt und aus seiner Heimat verstoßen worden war, hier nicht weiter auffallen würde.

Das jedenfalls war Nawyds Hoffnung.

Über mehrere Wochen war er der Karawane gefolgt, die auf der Südroute gen Hyraka zog, bestrebt, möglichst große Distanz zwischen sich und Altashar zu bringen, der Stadt der Könige … seiner Stadt. Die Warnungen, die sein alter Lehrer und Mentor Gadates ihm mit auf den Weg gegeben hatte1, hatten ihm noch lange im Ohr geklungen.

Unter Einsatz seines Lebens und seiner Stellung als Wesir des Reiches hatte Gadates ihn aus dem Kerker von Altashar befreit und ihm eingeschärft, niemandem zu vertrauen. Die Verhältnisse in Altashar hatten sich gewandelt – so sehr, dass auch Nawyd pan Tyras, der Sohn des großen und mächtigen Artaban, seines Lebens nicht sicher war. Machthungrige Intriganten und Emporkömmlinge und nicht zuletzt König Astyragis selbst, Nawyds leiblicher Onkel, trachteten danach, ihn zu vernichten, sodass ihm keine andere Wahl geblieben war, als die Heimat zu verlassen. Und so war aus Nawyd pan Tyras, dem Sohn Artabans und Erben der Krone von Altashar, über Nacht ein Ausgestoßener geworden. Seines Titels, seines Namens und seines Besitzes beraubt, war Nawyd nichts geblieben außer seiner Ehre und den Kleidern, die er am Leibe trug – und ein kleines, mit Wachs versiegeltes Fläschchen, das Gadates ihm bei ihrem letzten heimlichen Treffen gegeben hatte.

Die Worte, die der alte Wesir dabei gesprochen hatte, würde Nawyd nie vergessen, so tief und unauslöschlich hatten sie sich in sein Gedächtnis eingeprägt: Hüte es gut, vielleicht wird es dir eines Tages sein Geheimnis offenbaren …

In den Tagen und Nächten, die folgten, hatte Nawyd kaum etwas anderes getan, als über dieses Geheimnis nachzusinnen, denn Gadates’ Worten zufolge enthielt die Phiole Gift – von jener Sorte, die Nawyds Vater Artaban getötet hatte.

Die Erkenntnis, dass sein Vater ermordet worden war, hatte Nawyd wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel getroffen. Damit das Ostreich geeint bleibe und nicht das Schicksal des Westens erleide, hatte der große Artaban sterbend verfügt, dass niemand, nicht einmal sein eigener Sohn und Erbe, die Wahrheit über seinen Tod erfahren solle. So waren Nawyd und seine Schwester Nyasha im Bewusstsein aufgewachsen, dass ein widriges Schicksal ihren Vater in der Blüte seines Lebens dahingerafft hatte. Nyasha war noch zu jung gewesen, um sich an ihren Vater zu erinnern, Nawyd noch nicht einmal geboren – und doch hatte der Schatten des großen Artaban, der das Reich aus den Wirren der Divergenz geführt und geeint und befriedet hatte, ihr ganzes Leben lang über ihnen gelegen.

Stets hatten sie alles getan, um den Verpflichtungen gerecht zu werden, die ihr großer Name ihnen auferlegte, hatten die Launen ihres Onkels Astyragis, der Artaban als dessen leiblicher Bruder auf den Thron gefolgt war, zumeist widerspruchslos hingenommen. Astyragis’ Plan jedoch, Nyasha mit Elayan zu vermählen, dem König von Archos, hatte Nawyd seine Zustimmung verweigert, denn ihm war klar gewesen, dass in Wahrheit kein anderer als Xusra, der Hohepriester des Feuerkults, sowie der doppelzüngige Hofmarschall Hilalayan hinter den Plänen des Königs standen. Indem er seine Schwester fortschickte und sie zum Schein von dem Halbling Lorymar Thinkling entführen ließ, hatte Nawyd die Heiratspläne vereitelt – doch Hilalayan, der ihn vermutlich schon die ganze Zeit über bespitzelt hatte, war ihm auf die Schliche gekommen. Man hatte Nawyd des Hochverrats bezichtigt und ihn für schuldig befunden, sich dem Befehl des Königs widersetzt und die Gesandten der Astari getötet zu haben, und man hätte ihn wohl an Archos ausgeliefert – wäre er nicht mit Gadates’ Hilfe in letzter Not aus Altashar entkommen, rechtlos und halb tot …

Doch Nawyd bereute nichts.

Als Nyashas Bruder war es seine Pflicht gewesen, die Ehre seiner Schwester zu bewahren und zu verhindern, dass der schändliche Pakt mit den Astari zustande kam. Und obschon er weder wusste, wo Nyasha jetzt war und was sie tat, war er in seinem tiefsten Herzen davon überzeugt, dass alles besser war, als in Archos zu weilen und eine Hure der hadathani2 zu sein.

Bis Ayshak war er der Karawane gefolgt, der Gadates ihn mitgeschickt hatte, und dabei langsam wieder zu Kräften gekommen; als sie die Oase erreichten, hatte sich Nawyd schließlich von seinen Begleitern abgesetzt und in einem der kleinen Dörfer Zuflucht gesucht, die Ayshak übersäten. Ein argloser Handelsmann, dem er in einer dunklen Gasse auflauerte, hatte ihm freundlicherweise seine Barschaft überlassen, sodass Nawyd nicht zu hungern brauchte und einen neuen Burnus und ein Langmesser sein Eigen nannte. Seither jedoch kreisten seine Gedanken nur um zwei Fragen: Wer hatte seinen Vater ermordet?

Und aus welchem Grund?

Die Thronbesteigung seines Onkels Astyragis, das Erstarken des Feuerkults und nicht zuletzt die Intrigen der Hofschranzen erschienen ihm plötzlich in einem anderen Licht, und ihm wurde klar, dass es viele Leute in Altashar gab, die einen Grund gehabt hatten, seinem Vater nach dem Leben zu trachten – Männer, deren Macht und Einfluss sich nach dem Tod Artabans des Großen entscheidend gemehrt hatten …

Die ersten Wochen in Asyhak hatte sich Nawyd in einer halb verfallenen alten Scheune versteckt; schließlich war zu befürchten gewesen, dass seine Feinde sein Verschwinden nicht einfach hinnehmen und ihn verfolgen würden. Tatsächlich waren mehrere Trupps von Sturmreitern auf der Oase aufgetaucht, nach kurzem Aufenthalt jedoch weiter nach Süden gezogen, wohl in der Annahme, der Flüchtling wolle möglichst rasch nach Hyraka; also hatte Nawyd sich schließlich wieder aus seinem Versteck gewagt und damit begonnen, die Karawansereien aufzusuchen, wo immer wieder Reisende aus Altashar eintrafen und Kunde aus der Königsstadt brachten – und insgeheim reifte in ihm der Plan, zurückzukehren und den Mörder Artabans zu suchen.

Der Inhalt der Phiole war der Schlüssel.

Fand er den, der das Gift gemischt hatte, fand er vermutlich auch den Mörder – und mit ihm würde sich Nawyds eigenes Schicksal erfüllen, zum Guten oder zum Schlechten.

Wie so oft in den letzten Wochen, wenn er sich schlaflos auf seinem kargen Lager wälzte und einmal mehr keine Ruhe fand, verließ er seine Behausung und ging zu einem der Feuer, die die Knechte und Kameltreiber des Nachts entfachten. Dort saß er dann, unerkannt unter Sklaven und Dienern, starrte in die Flammen und hing seinen Gedanken nach. Und bisweilen holte er dann auch das Fläschchen hervor, das er an einem Strick um den Hals trug, und betrachtete es zum ungezählten Mal.

Es war das Einzige, was ihm von seiner Vergangenheit geblieben war – und im Grund auch seine einzige Zukunft. Im Spätsommer, wenn die Karawanen aus Satrapos zurückkehrten und den Rückweg nach Altashar antraten, würde auch er in die Stadt seiner Väter zurückkehren.

Bis dahin würde er weiter als ein Niemand leben, würde verschweigen, wer er war und niemandem vertrauen, genau wie Gadates es ihm aufgegeben hatte.

Wehmut überkam ihn beim Gedanken an seinen alten Lehrer, und er nahm mit Erleichterung zur Kenntnis, dass sich Musikanten zu den Kameltreibern gesellten. Ein dunkelhäutiger Mann aus Ophir spielte die Flöte, ein anderer schlug die Trommel dazu, und eine Schar von Tänzerinnen, die nichts als seidene Hüfttücher trugen, drehte sich dazu im Kreis.

Besonders eine unter ihnen erweckte Nawyds Aufmerksamkeit. Ihr Haar war schwarz und so lang, dass es ihr fast bis an die Hüften reichte, und sowohl ihre Züge als auch ihre Bewegungen waren von einer Anmut, die man hier im Niemandsland kaum zu sehen bekam. Anders als bei den Frauen, die sonst um die Flammen tanzten, um den ausgehungerten Kerlen die Mäuler wässrig zu machen und ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen, schien ihr Tanz nicht nur Mittel zum Zweck zu sein; die Art, wie sie sich bewegte, wie ihre Hüften kreisten und sie sich drehte, dass ihr schwarzes Haar und die fransenverzierten Schleier nur so flogen, fesselten Nawyd auf eine Weise, der er sich kaum entziehen konnte, und zu seiner eigenen Verblüffung hatte es nichts mit Begehrlichkeit zu tun. Er bestaunte die junge Frau nicht, weil er sie haben wollte wie vermutlich die meisten anderen Kerle, sondern weil ihre Eleganz und Natürlichkeit nicht an diesen Ort zu passen schienen. Sie waren von einer Leichtigkeit und Unschuld, die vergessen geglaubte Empfindungen weckte.

An die Heimat.

An Nyasha.

Auch seine Schwester hatte früher getanzt, nicht weniger anmutig und ausdrucksstark, doch die Blicke, mit denen König Astyragis sie bedacht hatte, waren zunehmend lüsterner geworden, sodass Nawyd es ihr schließlich verboten hatte – wissend, dass die Tatsache, dass Astyragis ihr leiblicher Onkel war, ihn im Zweifel nicht davon abhalten würde, sich zu nehmen, was er begehrte. Jene junge Frau, die dort im Schein des Feuers tanzte, mochte Nyasha nicht ähnlich sehen. Doch ihre stolze Haltung und ihre Art, sich zum Rhythmus der Musik zu bewegen, weckten dennoch Erinnerungen – an eine Zeit, in der die Dinge noch einfacher gewesen waren und weniger verworren. Bevor Nawyd erwacht war und die Wahrheit gesehen hatte …

Die Musik endete, und die Tänzerinnen bückten sich, um das Geld aufzusammeln, das die Kerle ihnen hinwarfen. Einige von ihnen gesellten sich zu den Kameltreibern, andere tanzten zu dem nächsten Lied, das einsetzte.

Auch die Tänzerin, auf die Nawyd ein Auge geworfen hatte, begann sich wieder im Kreis zu drehen. Dabei kam sie Nawyd näher. Sein Blick sog sich förmlich an ihr fest, weidete sich an ihrem Liebreiz und ihrer Grazie wie ein Verdurstender an einer Quelle. In diesem Moment erst wurde ihm bewusst, was er hinter sich gelassen, was er tatsächlich verloren hatte – und dennoch war ihm klar, dass er, vor dieselbe Wahl gestellt, alles genauso wieder machen würde.

Nawyd bereute nichts.

Nicht um seiner und nicht um Nyashas Willen …

Die fremde Schöne wandte ihm den Rücken zu, die nackten Arme hocherhoben. Ihre Silhouette zeichnete sich gegen das orangerote Feuer ab, dessen züngelnde Flammen sie mit ihren Bewegungen nachahmte – und im letzten Moment, ehe sie herumfuhr, um sich wirbelnd zu drehen, warf sie Nawyd einen Blick zu.

Nawyd erstarrte innerlich.

Hatte sie ihn tatsächlich angesehen? Unter den vielen, die am Feuer saßen? Einst, als Prinz von Altashar, hatte es reihenweise junge Frauen gegeben, die ihm gefügig gewesen waren, von den Sklavinnen des Palasts ganz abgesehen – doch hier, an diesem Ort und zu dieser Zeit, war er ein Nichts und ein Niemand, nur einer unter vielen. Sicher, sagte er sich, hatte er sich geirrt – doch schon im nächsten Moment wandte sie sich zu ihm um, und für einige Augenblicke war es, als würde sie nur für ihn tanzen.

Er hatte das Gefühl, dass sie ihn durchdringend ansah. Ein Schauer durchrieselte ihn, und nun merkte Nawyd deutlich, dass die nur spärlich bekleidete Schöne in ihm auch noch andere Empfindungen weckte als nur Erinnerungen an eine verlorene Zeit.

Dann endete die Musik.

Die unbekannte Schöne beendete ihren Tanz.

Noch einen Augenblick blieb sie stehen, so als wollte sie sich Nawyd in ihrer ganzen, kaum verhüllten Anmut zeigen. Dann lachte sie leise, fast ein wenig spöttisch, und wandte sich ab.

Noch im Umdrehen jedoch blickte sie zurück, und indem sie nickte und eine einladende Geste machte, bedeutete sie ihm, ihr zu folgen.

1 nachzulesen in TOTE HELDEN. DIE LEGENDEN VON ASTRAY Bd. 1

2 »Spitzohren« – abwertende Bezeichnung für die Astari

3

Rikstedt, SkaradagIn derselben Nacht

Skaradag war auf felsigen Klippen erbaut.

Schon in grauer Vorzeit war die Landzunge, die weit ins sturmgepeitschte Nordmeer ragte, wegen ihrer Nähe zu den Salzinseln besiedelt worden, und beinahe so alt wie Skaradag selbst war auch die Teilung der Stadt in zwei Hälften: Eine reiche, Rikstedt genannt, in der es prunkvolle Häuser und vielstöckige Villen gab, die den reichen Kaufmannsfamilien und den begüterten Saligern vorbehalten waren; und die arme Hälfte Darlik, was in der bordischen Sprache so viel wie »arm« bedeutete, aber auch »heruntergekommen« oder »schäbig«. All das traf auf jenen Stadtteil zu – Darlik war wenig mehr als ein Konglomerat schäbiger Löcher und windschiefer Hütten, die sich aneinanderlehnen mussten, um nicht zusammenzubrechen. Hier lebten jene, die das Salz aus den Minen holten, es reinigten und mit ihrer Hände Arbeit dafür sorgten, dass die Kaufleute etwas hatten, woran sie sich bereichern konnten – gedankt wurde es den Leuten mit geringem Lohn und einem frühen Tod, denn die Arbeit in den Minen hielt niemand lange aus.

Obschon Darlik nicht größer war als Rikstedt, lebte der weitaus größere Teil der Bevölkerung hier; dies war dem strengen Regiment zu verdanken, das Keral Gulfullur, der Magistrat der Stadt, mit Unterstützung der reichsten und mächtigsten Familien führte. Und natürlich Osric Jarnhant, dem Stadtmarschall, der mit unnachgiebiger Härte das Gesetz vertrat – jenes Gesetz, das die Reichen und Mächtigen der Stadt erlassen hatten und das stets auf ihrer Seite stand. Und das viele brechen mussten, wenn sie in Skaradag am Leben bleiben wollten, ganz besonders in einem Winter wie diesem.

Auch Bray hatte es gebrochen.

Unzählige Male.

Als Mitglied der Diebeszunft der Krähen, die der alte Faginor um sich geschart hatte und die zum allergrößten Teil aus Halbwüchsigen bestand, war sie schon früh mit dem Gesetz in Konflikt geraten; genau wie die anderen hatte auch sie sich als Taschendiebin verdingt und den einen oder anderen kleinen Einbruch begangen, und meist war das Glück ihnen dabei hold gewesen. Dann jedoch hatte Osric Jarnhants Zorn sie mit voller Wucht getroffen. Die Zunft der Krähen gab es nicht mehr. Faginor war tot, die meisten von seinen Schützlingen ebenfalls getötet oder verschleppt worden. Nur noch Bray und diejenigen ihrer Freunde waren übrig, die bei Dana Jennara im Haus des Doppelten Mondes Zuflucht gefunden hatten, und die meisten von ihnen hatten sich geschworen, dass sie niemals wieder in ihrem Leben einen Diebstahl begehen wollten.

Auch Bray hatte diesen Schwur geleistet, hatte sich fest vorgenommen, ihren Lebensunterhalt in Zukunft mit der Leier zu bestreiten, die der Sänger Rayan ihr vermacht und auf der zu spielen er sie gelehrt hatte.

Doch ihre guten Vorsätze hatten nicht lange angehalten.

Nicht in Zeiten wie diesen …

In ihren weiten skyor3 gehüllt, das Gesicht und die Hände mit Ruß geschwärzt, damit sie in der Dunkelheit nicht gesehen wurde, huschte Bray über das flache, schiefergedeckte Dach, Kai hinterher, der diesen Teil von Rikstedt wie seine Westentasche kannte. Nicht von ungefähr hatte Jennara ihn den Führern zugeteilt, die die Gäste nach durchlebtem Vergnügen wieder nach Hause brachten. Im Zuge dieser Tätigkeit hatte Kai manches gesehen, das seine Begehrlichkeit geweckt hatte – und in der Folge auch die von Bray.

»Ist es noch weit?«, raunte sie ihm zu, während sie sich hinter einen Schornstein duckten, um Atem zu schöpfen. Die Luft über Skaradag war feucht und eisig kalt. Das Meer war nur als fernes Rauschen wahrzunehmen. Tiefe Schwärze lag über der Stadt, die sich den Dieben als ein verwinkeltes Labyrinth flacher und steiler Dächer präsentierte, aus denen unzählige rauchende Schornsteine ragten. Entsprechend durchsetzt war die Luft von bitterem Brandgeruch, aber auch vom Odem des Salzes und dem Gestank von fauligem Fisch.

»Nicht mehr weit«, gab Kai zurück und deutete auf ein Haus, das nur eine Gasse entfernt war. »Die Villa dort.«

Bray maß das Gebäude, das die umliegenden um ein ganzes Stockwerk überragte und dessen Dach von großen, in den Stein gehauenen Wasserspeiern getragen wurde, mit einem fachkundigen Blick. »Hübsch«, stellte sie fest. »Ein bisschen protzig vielleicht.«

»Vor allem hübsch reich.« Kai entblößte die Zähne zu einem Grinsen. Eine Lücke klaffte darin – das Andenken an den Kampf gegen die Spinnenzunft, den sie im vergangenen Jahr geführt und gewonnen hatten.

Mit Rayans Hilfe, ging es Bray durch den Kopf, und wie so oft, wenn sie an den Krähensänger dachte, griff sie unwillkürlich nach dem dünnen Leder, das ihr um den Hals hing, und dem kleinen Anhänger, einer durchlöcherten Münze. Auch sie war ein Geschenk von Rayan gewesen4, und schon manches Mal hatte Bray sich gefragt, ob er damals womöglich schon gewusst hatte, was mit ihm geschehen würde.

Sie verdrängte den Gedanken rasch wieder. Obwohl fünf Monde verstrichen waren, war der Sänger ihr noch immer so gegenwärtig, als hätte er sie gestern erst verlassen. Doch nun musste Bray sich zusammennehmen und konzentrieren – denn nur ein Fehler, und dieser Einbruch mochte der letzte gewesen sein.

»Dann los«, zischte sie, und beide gaben ihr Versteck hinter dem Schornstein auf und huschten in gebückter Haltung weiter über das Dach, lautlos und leichtfüßig, damit die Schindeln unter ihren Füßen nicht knackend brachen und sie verrieten. An der Stelle, an der die Dächer einander am nächsten waren, sprangen sie.

Es war nur ein Satz von zwei Schritten, jedoch führte er über einen gähnenden Abgrund: Drei Stockwerke Leere klafften unter ihnen, der Grund war mit Klippensteinen gepflastert. Wer dort aufschlug, war entweder sofort tot oder brach sich wenigstens sämtliche Knochen, und Bray wusste nicht zu sagen, was von beidem sie schlimmer fand …

Einen Augenblick lang schwebte sie buchstäblich zwischen Tod und Leben, dann landete sie sicher auf der anderen Seite und fing ihren Sprung katzengleich ab. Zu springen, zu klettern und sich lautlos zu bewegen, war ihr von frühester Kindheit an beigebracht worden, und sie hatte es nicht verlernt, ebenso wenig wie Kai, der schon dabei war, das Seil zu entrollen, das er über der Schulter trug. Mit geübten Griffen band er es am Schornstein fest, dann war er schon dabei, sich vorsichtig daran hinabzulassen, während Bray die Gasse im Auge behielt. Zwar war um diese späte Stunde kaum noch jemand unterwegs, aber schließlich konnte man nie wissen. Und außerdem waren da noch die Wachen des Stadtmarschalls, die des Nachts in den Gassen patrouillierten.

Kai war bereits im Haus verschwunden. Er zog zweimal am Seil, um Bray zu bedeuten, dass sie nachkommen sollte. Mit einem weiteren Blick in die Tiefe und über die umliegenden Dächer vergewisserte sie sich, dass sie tatsächlich niemand beobachtete, dann ließ auch sie sich hinab.

Kai hatte sich für ein schmales, mit Butzenscheiben versehenes Fenster entschieden, das vermutlich nicht in ein Zimmer, sondern auf den Hausgang führte. Geschickt hatte er den Schließmechanismus ausgehebelt und es geöffnet, sodass er hatte hineinschlüpfen können. Bray folgte ihm in das ungewisse Dunkel, das dahinterlag, und landete geschmeidig auf einem Boden aus glattem Kirschholz. Der Gestank, der außerhalb des Hauses herrschte, war verschwunden. Der Geruch von Wachs lag in der Luft, mit dem der Boden wohl erst kürzlich poliert worden war. Entsprechend rutschig war er – Kai konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Gang hinabzuschlittern.

»Lass das«, wies Bray ihn scharf zurecht. »Wir sind nicht zum Spaß hier!«

»’tschuldigung.« Er grinste im spärlichen Mondlicht, das von draußen hereindrang. »Hatte ich fast vergessen«, fügte er hinzu, während beide die leeren Säcke hervorholten, in die sie die Beute zu stecken gedachten.

»Wo?«, fragte Bray nur.

»Unten. Die Eingangshalle«, erwiderte der Junge, und beide huschten über die Treppe hinab, bemüht, die Stiegen unter ihren Tritten nicht knarren zu lassen.

Wie Bray feststellte, hatte Kai nicht übertrieben.

Schon die Eingangshalle des Hauses, das der Salzhändler Owein Renlurd sein Eigen nannte, glich einer Schatzkammer. Natürlich nicht jener der Eisernen Zitadelle, die Bray und Kai ebenfalls schon von innen gesehen hatten. Aber die meisten Menschen, die in Darlik ihr kümmerliches Dasein fristeten, hätten wohl das Gefühl gehabt, eine andere Welt zu betreten: Reich bestickte Teppiche zierten die Wände, dazu Waffen mit edelsteinbesetzten Scheiden und silbernen Griffen; ein goldener Kerzenleuchter fand ebenso Eingang in Brays Schnappsack wie eine kleine silberne Schale, deren einziger Daseinszweck darin zu bestehen schien, den Schlüssel zur Haustür aufzubewahren, wenn der Hausherr anwesend war. Niemand in Darlik besaß etwas Vergleichbares. Wozu auch, dachte Bray bitter bei sich, es besaß ja auch niemand einen Schlüssel. Geschweige denn etwas, das man hätte wegschließen müssen.

Sie nahmen nur mit, was sie gut tragen konnten – handliche Stücke, die ihnen auf der Flucht nicht hinderlich sein würden. Im ersten Stockwerk, wo sich der Salon des Hauses befand, setzten sie ihren Diebeszug fort. Hier, wo Renlurd seine reichen Freunde empfing, wo man Wein aus dem fernen Sarassa trank und sich mit vollgeschlagenen Bäuchen darüber amüsierte, wie primitiv und elend das Leben in Darlik doch sein musste, nahmen sie eine Sammlung kleiner Zinnfiguren mit, dazu zwei Kerzenleuchter aus Silber und ein in Gold gefasstes Wappen, das ein Schwert und eine Waage zeigte, die Insignien Skaradags. »Maß für Maß« war in verschnörkelten Buchstaben darübergeschrieben, das von den Reichen so gerne zitierte Motto der Stadt.

Bray verdrehte die Augen. Sie hatte dieses Motto nie gemocht, es war ihr immer wie bitterer Hohn erschienen angesichts der Unterschiede, die in Skaradag herrschten. Auf dem Schwarzen Markt allerdings würde es keine Rolle spielen, was auf dem Wappen geschrieben stand – allein schon seine goldene Fassung würde ein kleines Vermögen einbringen. Die Diebe verschnürten die Säcke und nahmen sie auf den Rücken – als ein Geräusch sie erstarren ließ.

Es war ein lautes Knarren, so als ob sich jemand über die Treppe näherte. Bray huschte zur nächsten Wand und tauchte in ihren Schatten, Kai zückte den kurzen Dolch an seinem Gürtel. Es war eine sinnlose Geste, denn wenn sie entdeckt waren und die Diener des Hauses sich auf sie stürzten, würde auch ein Dolch ihm nicht mehr nützen.

Augenblicke lang hielten sie den Atem an.

Standen wie erstarrt.

Warteten.

Lauschten.

Das Geräusch wiederholte sich, aber es näherte sich nicht. Und endlich dämmerte Bray und Kai, dass es nicht das Knarren der Stiegen waren, das sie da hörten …

»Da schnarcht wer«, erkannte Kai.

Bray, die zur Tür gehuscht war und vorsichtig auf den Gang hinausspähte, vergewisserte sich, dass dort tatsächlich niemand war. Erleichtert atmeten sie auf. Es war tatsächlich nur ein Schnarchen, das aus dem hinteren Bereich des Stockwerks drang und sich anhörte, als würde ein Seebeben die Felsen erschüttern, auf denen die Stadt errichtet war.

»Das kommt aus dem Schlafgemach«, stellte Kai grinsend fest. »Renlurd hat keine Kinder, also muss es Amilia Renlurd sein, seine liebreizende Gemahlin und Herrin des Hauses.«

Wieder ein Schnarchen.

Bray sah ihn zweifelnd an. »Klingt nicht sehr damenhaft.«

»Dafür schläft sie tief und fest.«

»Scheint so«, gab Bray zu. »Ob sie auch so tief und fest schlafen würde, wenn sie wüsste, was ihr Ehemann gerade treibt?«

Die beiden sahen einander an und grinsten.

Dann huschten sie die Stufen hinauf zum obersten Stockwerk. Durch das schmale Fenster mit den Butzenscheiben stiegen sie hinaus in die Nacht und erklommen das Dach – und im Schutz der Dunkelheit entkamen sie ungesehen.

3 bordisches Wollhemd

4 siehe TOTE HELDEN. DIE LEGENDEN VON ASTRAY Bd. 1

4

Oase AyshakZur selben Zeit

Nawyd folgte ihr.

Was ihn antrieb, vermochte er selbst nicht genau zu sagen, vermutlich eine Mischung aus Neugier und Begehrlichkeit. Oder vielleicht auch nur die Tatsache, dass nach Monaten, die er im stillen Exil verbracht hatte, unerkannt verborgen unter Kameltreibern und Sklaven, wieder jemand von ihm Notiz genommen hatte.

Was die Absichten der Fremden betraf, so gab er sich keinen Illusionen hin – ihr Tanz mochte anmutig und ihre Haltung stolz gewesen sein. Doch im Grunde wollte auch sie nur das, was all die jungen Frauen wollten, die sich der geifernden Meute präsentierten und für ein paar Münzen ihre Körper feilboten.

Überleben.

Sie war in einem der Palmengärten verschwunden, von denen es auf der Oase so viele gab – Horte grünenden, blühenden Lebens umgeben vom heißen Tod der Wüste. Mondschein fiel durch das Blätterdach und sorgte für blaues Zwielicht, das die Fremde noch unwirklicher erscheinen ließ, als sie es ohnehin schon war. Fasziniert folgte Nawyd ihr durch den Irrgarten der Palmen bis zu einer Lichtung. Dort wartete sie auf ihn, von hellem Mondlicht beleuchtet und noch um vieles schöner und begehrenswerter, als es im Widerschein des Feuers zu erahnen gewesen war. Und die Art, wie sie ihn ansah, legte nahe, dass sie ihn erwartet hatte.

»Du bist mir gefolgt«, sagte sie. Ihre Stimme war rauer als gedacht.

»Du wolltest, dass ich dir folge«, hielt er dagegen.

»Du hast mich beobachtet«, erwiderte sie.

»Das hast du bemerkt?«

»In meinem Beruf lernt man früh, vorsichtig zu sein.«

»Ich bin keine Bedrohung für dich.«

»Und was willst du dann?« Sie sah ihn herausfordernd an.

»Ich denke, das weißt du«, erwiderte er leise. Vermutlich, sagte er sich, gehörte es zu ihrem Spiel. Sie war nicht wie die anderen Tänzerinnen, die sich an den Feuern herumtrieben, und sie benahm sich auch nicht so.

Ein Lächeln huschte über ihre ebenmäßigen Züge, aus denen ein dunkles, feuriges Augenpaar blickte. Ihre nackte Brust hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen, was sein Begehren nur noch mehr entfachte. »Leg deine Waffe ab«, verlangte sie, während sie das Tuch um ihre Hüften aufreizend beiseitezog. »Bei mir wirst du sie nicht brauchen.«

Nawyd hegte keinen Zweifel daran.

Den Blick auf das Ziel seines Begehrens gerichtet, löste er die Schärpe, in der das Langmesser steckte, und ließ sie zu Boden fallen. Dann entledigte er sich auch seines Mantels.

»Gut so«, beschied sie ihm mit einladendem Lächeln. »Nun komm, Fremder. Ich will dir geben, wonach du begehrst.«

Nawyd trat auf sie zu.

Er wollte sie haben. Vermutlich konnte er sie sich gar nicht leisten, aber das war ihm einerlei. In diesem Augenblick, an diesem entlegenen Ort, stellte diese junge Frau all das dar, was er hinter sich gelassen hatte und was er schmerzlich entbehrte: Schönheit, Annehmlichkeit, Freude … und Macht. All das wieder zu haben, und wäre es nur für eine einzige Nacht, schien ihm mit einem Mal erstrebenswerter als alles andere – über die Bezahlung würde er sich Gedanken machen, wenn das Geschäft getätigt war.

Sein Herz schlug heftig in seiner Brust, so als würde er zum allerersten Mal einem Weib beiwohnen, und tatsächlich kam es ihm vor, als ob …

Ein hässlich peitschendes Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken, als sich die Schlinge zuzog, die im sandigen Boden verborgen gewesen war, und das Seil sich spannte.

Nawyd wusste nicht, wie ihm geschah.

Von einem Moment zum anderen wurde er an den Füßen gepackt und emporgerissen. Sein Hinterkopf schlug am Boden auf, sodass er für einen Augenblick benommen war – kurz darauf fand er sich kopfüber von einer der Palmen hängend, Auge in Auge mit der glutäugigen Schönen. Und obwohl sein Schädel dröhnte und das Blut in seinen Ohren unerträglich rauschte, wurde ihm bewusst, was für ein Narr er gewesen war …

»Nun?«, fragte sie ihn, während er vor ihr hing, zappelnd und hin und her baumelnd wie ein Stück Senkblei, hilflos und der Lächerlichkeit preisgegeben. »Ich fürchte, diese Nacht wird ein wenig anders verlaufen, als du es dir vorgestellt hast.«

»Was willst du?«, fuhr Nawyd sie an, außer sich vor Zorn. Er versuchte, mit den Händen, nach ihr zu greifen, aber sie war klug genug, außerhalb seiner Reichweite zu bleiben.

»Kannst du dir das nicht denken?«

»Ich bin nur ein einfacher Kameltreiber«, versicherte er. »Ich habe kein Geld, das ich dir geben kann.«

»Sieh an – und dennoch hättest du meine Dienste gern in Anspruch genommen«, konterte sie ihm mit einer Gelassenheit, die bewies, dass sie dies nicht zum ersten Mal tat. »Ihr Kerle seid alle gleich, einer wie der andere. Aber sei unbesorgt, auf dein Geld hatte ich es ohnehin nicht abgesehen.«

»Was dann?«, knurrte er feindselig. »Worauf hattest du es dann abgesehen?«

»Nur auf dich, mein Freund.«

Nawyd biss sich auf die Lippen, während er sich gleichzeitig einen elenden Narren schalt.

Also doch …

Die Befürchtung, die er insgeheim bereits gehegt hatte, hatte sich bestätigt. Die Fremde war weder eine Hure noch eine Diebin, sondern war geschickt worden, um ihn aufzuspüren und zurück nach Altashar zu bringen. Sie war Kopfgeldjägerin, vermutlich vom Stamm der Rajuli, was manches erklärt hätte. Und er in seiner Torheit hatte es ihr allzu leicht gemacht …

»Tochter einer Hündin!«, fuhr er sie an. »Das wirst du bereuen!«

»Du hängst kopfüber von einem Baum und drohst mir?« Sie hob die schmalen Brauen.

»Das Spotten wird dir vergehen!«, sagte er in seiner hilflosen Wut voraus. »Ich habe noch immer Freunde in Altashar.«

»Ich habe auch Freunde«, versicherte sie – und indem sie den rechten Arm hob, schienen die Schatten der Nacht ringsum lebendig zu werden. Grobschlächtige Kerle traten hervor, die schwarze Burnusse trugen und Tücher vor den Gesichtern. Ihre schartigen Säbel zeugten von häufigem Gebrauch.

»Gute Arbeit«, lobte einer von ihnen, ein wahrer Muskelberg mit dunklen Augen.

»Danke sehr«, erwiderte sie, ohne dass sie irgendwelche Anstalten machte, ihre Blöße zu bedecken. Die Kerle schienen sie dennoch zu respektieren, mehr noch, es hatte den Anschein, dass sie sie fürchteten. Trotz seines jämmerlichen Zustands begriff Nawyd, was es tatsächlich gewesen war, das ihn so an ihr beeindruckt und sein Begehren geweckt hatte: Es war ihr Selbstbewusstsein, die Autorität, die aus ihr sprach. Die fremde Schöne war nicht irgendein Flittchen, das den Kerlen als Köder diente – sondern ihre Anführerin.

»Wer bist du?«, keuchte er.

»Wozu willst du das wissen?« Der Spott in ihrer Stimme blieb, während ihre Handlanger sich daranmachten, Nawyds Hände auf seinen Rücken zu fesseln.

»Ich will den Namen der Frau kennen, die mich gefangen hat.«

»Das war nicht weiter schwer«, versicherte sie achselzuckend. »Wenn es dir hilft – mein Name ist Inara. Ich fürchte nur, dein Wissen wird dir nicht helfen.«

»Du musst das nicht tun, Inara«, sagte Nawyd. Er verzog schmerzvoll das Gesicht, als seine Häscher die derben Stricke zuzogen. In seinen Schultergelenken knackte es. »Noch können wir verhandeln.«

»Verhandeln? Sagtest du nicht, dass du nur ein einfacher Kameltreiber wärst? Was also hättest du wohl zu bieten, womit du handeln könntest?«

Nawyd stutzte. Spielte sie nur mit ihm? Oder … war es möglich? Wusste sie womöglich gar nicht, wer er war?

»Womöglich bin ich mehr als ein Kameltreiber«, stieß er hervor. Das Sprechen fiel ihm zunehmend schwerer, weil immer mehr Blut in seinen Kopf floss und seine Zunge in seinem Mund zu einem unförmigen Kloß anschwellen ließ.

»Sicher«, konterte sie unbeeindruckt, »und ich bin die Königin von Gondar.«

Er sah in ihre Augen, konnte jedoch nichts als Hohn und Spott darin erkennen – und verspürte trotz seiner misslichen Lage so etwas wie Erleichterung.

Sie wusste nicht, wer er war! Hatte keine Ahnung, dass ihr Gefangener ihr in Altashar ein kleines Vermögen eingetragen hätte – und er hatte es nichts als einem dummen Zufall zu verdanken, dass er an diesem Baum hing.

Und seiner eigenen Dummheit …

»Ihr … seid Menschenhändler«, folgerte er.

»Natürlich, was hast du gedacht? Für einen jungen hübschen Burschen wie dich werden wir ein hübsches Sümmchen bekommen!«

Nawyd konnte nicht anders, als laut loszulachen, ob aus Erleichterung oder neuer Verzweiflung, wusste er selbst nicht. Vom Thronfolger Altashars zum Sklaven, und das in weniger als einem halben Jahr. Das war des einzigen leiblichen Sohnes des großen Artaban mehr als würdig. Sein Gelächter überschlug sich, gackerte hysterisch durch die Nacht.

»Der Kerl ist verrückt«, knurrte einer der Vermummten.

»Im Gegenteil«, widersprach sie, während sie ihn aus ihren klaren Augen betrachtete. »Er ist einer von den ganz Schlauen – aber ich bin noch schlauer. Stopft ihm das Maul und bringt ihn ins Lager zu den anderen. Morgen früh brechen wir auf.«

Damit wandte sie sich ab und verließ die Lichtung. Nawyd wollte ihr etwas hinterherrufen, wollte sie fragen, wohin man ihn bringen würde, aber er kam nicht mehr dazu.

Denn der Hieb einer mächtigen Faust traf ihn an der Schläfe, und es wurde dunkel.

5

Eiserne Zitadelle, SkaradagAm nächsten Tag

In seiner schwarzen Robe stand Salacar-Syn am Fenster des Gemachs, das ihm zur Verfügung gestellt worden war, und blickte auf die Ruinen des Gebäudes, das sich einst östlich der Zitadelle erhoben und ein Gasthaus für reisende Händler beherbergt hatte. In Zukunft würden die Kaufleute, die den Salzweg heraufkamen, sich eine andere Bleibe suchen müssen, denn der Magistrat hatte das Gebäude dem Exekutor-Orden überschrieben. Und als neuem Großmeister von Morwa würde es Salacar-Syn obliegen, nun auch in Skaradag eines jener Bauwerke zu errichten, die in ganz Westray die Macht und Größe des Ordens repräsentierten: einen Schwarzen Turm.

Lange hatten der Magistrat und die Saliger sich gegen das Ansinnen des Ordens zur Wehr gesetzt und sich dagegen verwahrt, dass ein Exekutor Einfluss auf ihre Entscheidungen nahm. Doch nach den Ereignissen vom vergangenen Jahr hatten sie kaum anders gekonnt, als Zugeständnisse zu machen, wollten sie nicht den Unmut des Ordens auf sich ziehen. Denn die Macht des Ordens, das war kein Geheimnis, nährte sich aus einer ebenso einfachen wie ergiebigen Quelle: Furcht.

Aus den Wirren der Jahre nach der Großen Divergenz hervorgegangen, hatte der Orden der Exekutoren seinen Einfluss beständig gemehrt. Indem er den Glauben der alten, zugrunde gegangenen Weltordnung zum Feind erklärte und alle Magie, alle Religion und allen Schicksalsglauben aus den Köpfen der Menschen verbannte, weil sie die Welt ins Chaos und um ein Haar auch in den Untergang geführt hatten, fand er vor allem in Westray großen Zuspruch. Zuspruch, den der Orden nutzte, um seine Macht immer weiter auszubauen und seine Türme zu errichten.

Die ersten Bollwerke der Ordensmacht waren im Süden errichtet worden, in Sontra, wo sich nach wie vor das Kernland des Ordens befand und sein Hauptsitz; doch so verzweifelt, wie die Menschen in den Jahren nach der Katastrophe gewesen waren, hatte die Lehre des Ordens sich schon bald darauf auch in Burgos und Cymria verbreitet und weitere Niederlassungen entstehen lassen; und seit einigen Wintern streckte der Orden der Exekutoren seine Hand nun auch nach dem Norden aus.

Skaradag war lange unberührt geblieben, eine Bastion des Handels, in der die Leute vor allem an die Macht des Geldes glaubten – und das war eine Religion, gegen die selbst der mächtige Orden nur wenig ausrichten konnte. Doch nach dem Vorfall hatte sich vieles geändert, und so fiel Salacar die Möglichkeit zu, das zu bewerkstelligen, wovon sein Vorgänger Thorgon-Syn nur hatte träumen können: Eine Bastion des Ordens in der Stadt des Salzes zu errichten – und damit früher oder später den Handel mit der wertvollen Ware unter seine Kontrolle zu bringen.

Salacars Methoden, Angst zu schüren, unterschieden sich von denen Thorgons. Die Bedrohung, die von ihm ausging, war weit subtiler, aber nicht weniger wirkungsvoll.

Wen Thorgon als Gegner oder gar als Feind betrachtet hatte, den hatte er kurzerhand aus dem Weg räumen lassen, vorzugsweise in einem Erdloch, in dem er ihn mit dem Kopf nach unten begraben ließ, die gängige Hinrichtungsmethode für Ketzer.

Salacar hingegen war lange genug der Unterlegene gewesen, hatte genügend gedient und gekrochen, um in seine jetzige Position zu gelangen, um zu wissen, dass es nicht allein Bestrafung war, die Menschen gefügig machte; bereits die Furcht davor genügte. Salacar brauchte die Menschen nicht lebend einzugraben. Es genügte vollauf, seine Gegner wissen zu lassen, dass er es konnte. Auf diese Weise machte er sie sich gefügig und bekam, was er wollte. Und noch einen Unterschied zu Thorgon gab es: Trotz seiner Mission, gegen alle Formen von Aberglauben vorzugehen und jene zu bestrafen, die dem Offenkundigen zum Trotz weiter an alten Irrlehren festhielten, hatte Thorgon selbst an Magie geglaubt und in ihr den Urgrund allen Übels gesehen. Für Salacar jedoch waren all diese Dinge nur ein Vorwand, um zur Macht zu gelangen. Weder glaubte er an Magie noch an übernatürliche Dinge, nur an den Wahn der Menschen, daran festzuhalten – und diesen Wahn zu bekämpfen und das Chaos, das er auszulösen vermochte, war seine Aufgabe.

Die Welt war in Unordnung geraten.

Die Exekutoren brachten die Ordnung zurück.

Er spürte die Präsenz des Mannes, der ihm angekündigt war und soeben leise das Gemach betrat. Sie stank nach Machthunger, Grausamkeit und Aggression.

»Osric Jarnhant«, sagte er, ohne sich zu ihm umzuwenden. »Ich bin überrascht, Euch zu begegnen, Stadtmarschall. Eigentlich wünschte ich Magistrat Gulfullur zu sehen.«

»Der Magistrat lässt sich entschuldigen«, schnarrte Jarnhant. »Dringende Geschäfte erfordern seine Aufmerksamkeit.«

»Dringende Geschäfte, soso. Oder wollte er mir nur nicht persönlich unter die Augen treten?« Salacar wandte sich um, weil er die Reaktion in Jarnhants Gesicht sehen wollte – und tatsächlich verriet ihm das unwirsche Minenspiel des Stadtmarschalls von Skaradag, dass seine Vermutung richtig war.

»Der Magistrat hat mich an seiner Stelle geschickt«, erklärte Jarnhant, wobei seine von weißem Haar umrahmten Züge wieder zu der üblichen steinernen Maske erstarrten. Das Blau seiner Augen war kalt wie Eis.

»Nun gut.« Salacar lächelte verzeihend. »Dann ersuche ich Euch, mich über den Fortschritt der Untersuchung bezüglich des Verschwindens meines ehrwürdigen Vorgängers zu unterrichten.«

»Bedauerlicherweise«, entgegnete der Stadtmarschall, »gibt es keine Fortschritte.«

»Nein? Wie kann das sein?« Salacar hob die dunklen Brauen. »Ich dachte, Ihr wolltet mit aller Macht durchgreifen.«

»Nichts anderes tue ich«, versicherte Jarnhant, »aber ich habe nicht genügend Leute, um …«

»Nicht genügend Leute? In einer Stadt wie Skaradag, die ein kleines Heer von Wachsoldaten ihr Eigen nennt?« Salacar schüttelte tadelnd den Kopf. »Bisweilen frage ich mich, Stadtmarschall, ob Ihr Euch über den Ernst der Lage im Klaren seid. Ein Großexekutor des Ordens ist spurlos verschwunden, im Machtbereich Eurer Stadt … Was, wenn ich den Eindruck gewänne, dass Ihr nicht wirklich daran interessiert seid, die Wahrheit über Thorgon-Syns Verbleib herauszufinden?«

»Und was«, fragte Jarnhant dagegen, »wenn jemand den Eindruck gewänne, dass Ihr aus seinem Verschwinden Nutzen gezogen habt? Immerhin wurdet Ihr unmittelbar nach Thorgons Verschwinden zum neuen Syn von Morwa ernannt, oder nicht?«

»So wie die Regeln der Nachfolge es vorsehen«, bestätigte Salacar. »Ich sehe nichts, was daran verwerflich sein sollte. Ihr etwa?«

Jarnhants blaue Augen durchbohrten ihn mit Blicken, aber er blieb eine Antwort schuldig. »Die Stadt und der Magistrat haben Euch willkommen geheißen, Salacar«, sagte er stattdessen.

»Salacar-Syn«, verbesserte dieser.

»Sie haben Euch bei der Suche nach Eurem Vorgänger jede Unterstützung zugesichert und Euch sogar Grund und Boden zur Verfügung gestellt, auf dem Ihr einen Eurer verdammten Türme errichten könnt«, fuhr der Stadtmarschall fort. »Aber Ihr solltet es nicht übertreiben. So weit nach Norden reicht der Einfluss des Ordens nicht.«

»Ist das eine Nachricht, die der Magistrat mir ausrichten lässt?«, fragte Salacar ruhig.

»Nein, diese Nachricht stammt von mir persönlich«, gab Jarnhant schnaubend zurück. »Skaradag ist stets ohne den Orden zurechtgekommen, es braucht ihn nicht.«

»Das, mein Freund, hättet Ihr Euch überlegen sollen, ehe Ihr zugelassen habt, dass ein Großexekutor spurlos verschwindet. Überdies frage ich mich, ob es der passende Tonfall ist, dessen Ihr Euch mir gegenüber befleißigt.«

»Ich habe keine Angst vor Euch«, versicherte Jarnhant.

»Vielleicht nicht. Noch nicht«, räumte Salacar lächelnd ein. »Aber ich versichere Euch, es wird sich vieles ändern. Diese Stadt, Stadtmarschall, ähnelt einem Vulkan, und der Magistrat und die reichen Bürger der Stadt belieben darauf zu tanzen. Was, wenn er eines Tages ausbricht?«

»Das werde ich verhindern«, knurrte Jarnhant trotzig.

Salacar lachte in unverhohlenem Spott. »Ihr seid doch nicht einmal in der Lage, das Verschwinden eines Großexekutors angemessen zu untersuchen! Oder auch nur die dreisten Diebe einzufangen, die des Nachts die Stadt berauben. Erst gestern sollen sie wieder zugeschlagen haben, im Haus des Kaufmanns Renlurd, wie man hört.«

»Ihr seid gut unterrichtet.« Der Stadtmarschall nickte. »Aber Ihr solltet nicht alles glauben, was Eure Spitzel Euch zutragen – und was jene Diebe betrifft, so werden sie schon bald gefasst sein, das versichere ich Euch.«

6

WestlandZur selben Zeit

Zurück zu sein, weckte Erinnerungen.